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Ex-Freundin und ein bisschen Single - zwei Romane von Lynda Curnyn

hier erhältlich:

BEKENNTNISSE EINER EX

Für die ambitionierte Journalistin Emma Carter ist es schlimm, als Redakteurin bei Bridal Best zu versauern. Noch schlimmer ist es, als Redakteurin und Single wider Willen bei Bridal Best zu versauern. Am schlimmsten aber ist es, wenn man als allein lebende Brautmagazin-Redakteurin die dritte Hochzeit der eigenen Mutter planen soll! Folgerichtig beschließt Emma: eine Radikalkur muss her! In Sachen Job, in Sachen Liebe und in Sachen Kleidergröße.

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  • Erscheinungstag: 29.10.2015
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 564
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955765095
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Lynda Curnyn

Ex-Freundin und ein bisschen Single - zwei Romane von Lynda Curnyn

Lynda Curnyn

Bekenntnisse einer Ex

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Katja Henkel

Image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Confessions Of An Ex-Girlfriend

Copyright © 2002 by Lynda Curnyn

erschienen bei: Red Dress Ink, Toronto

Übersetzt von Katja Henkel

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./Amsterdam

Für die deutsche Ausgabe: © 2004 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Claudia Wuttke

Titelabbildung: Getty Images, München

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprise S.A., Schweiz

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-95576-160-8

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

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1. KAPITEL

„Exfreundinnen werden gemacht, nicht geboren.“

– Emma Carter, sich erholende Exfreundin –

Bekenntnis: Ich hätte es kommen sehen müssen.

Meine Freundin Jade behauptet, dass, wenn man mit einem Serienkiller zusammen ist, er einen seine Absichten vom ersten Tag an wissen lässt – wenn auch sehr subtil. Und wenn man sich zu besagtem Serienkiller besonders hingezogen fühlt, wird man bei seinen Hinweisen lediglich freundlich nicken, lächeln und sie prompt vergessen.

Es ist wahr, dass Derrick mir bei unserem ersten Date erzählte, dass er an die Westküste ziehen würde, sobald er sein erstes Drehbuch verkauft hätte. Aber da er das unmittelbar nach unserem ersten Kuss sagte – inklusive Sonnenuntergang über dem Hudson, an dessen Ufer wir einen romantischen Abendspaziergang machten –, entnahm ich dieser Information nicht, dass er mich eines Tages verlassen würde, sondern registrierte nur, dass er a) fantastisch küssen konnte, und b) ein Schriftsteller war, wodurch er sich als Seelenverwandter qualifizierte. Schließlich war ich auch eine Art Schriftstellerin.

Es ist leider eine Tatsache, dass fast jeder Mann, den man in New York City kennen lernt, entweder zu ehrgeizig, zu kreativ oder vom Rest der Welt zu sehr begehrt ist, um überhaupt eine Freundin zu haben. Dennoch habe ich nach zwei Jahren, in denen ich zahlreiche Nächte zusammen mit Derrick auf dem Futon in meinem mietpreisgebundenen Apartment verbracht habe, uns dummerweise als Pärchen angesehen, das füreinander bestimmt war. Und das, obwohl eigentlich alles gegen eine Beziehung sprach.

Wir haben uns am U-Bahnsteig in der Vierten Straße West kennen gelernt, an dem die Züge in Richtung Uptown abfahren. Hauptsächlich fiel er mir deshalb auf, weil wir beide ähnlich angezogen waren: schwarzes T-Shirt und Jeans. Und die Art und Weise, wie er versuchte, meinen Blick auf sich zu ziehen, hatte etwas so unbeholfen Scheues an sich, dass ich einfach nicht widerstehen konnte. „Hi“, sagte er und kam langsam näher.

Eine Schrecksekunde lang dachte ich, er sei einer dieser Verrückten, die nichts ahnende Frauen auf die Schienen schubsen. Aber als ich sein sorgsam gepflegtes Spitzbärtchen sah, fühlte ich mich unsinnigerweise sicher. Männer mit Spitzbärtchen vermitteln mir aus irgendwelchen Gründen ein tröstendes, wenn auch leicht beunruhigendes Gefühl. Ich erinnere mich auch noch daran, dass mich die klare Farbe seiner Augen hinter der Nickelbrille überraschte. Und die Brille gefiel mir – ich liebe Männer mit Brille.

Es war Sommer, und auf dem Bahnsteig war es heiß und stickig. „Ganz schön warm hier unten“, bemerkte Derrick.

„Wie in einer Achselhöhle“, antwortete ich, ohne nachzudenken.

Das war genau eine dieser offenherzigen, leicht vulgären Bemerkungen, vor denen Jade mich unzählige Male gewarnt hatte. „Es gibt Dinge, die darf man einfach nicht zu einem Mann sagen, mit dem man gern eines Tages Sex haben will.“

Derrick sah mich etwas seltsam an, dann lachte er leise, stellte sich vor und fragte nach meinem Namen.

„Emma“, sagte ich schnell. In diesem Moment kam die U-Bahn und rettete uns davor, noch weiter reichlich gezwungene Konversation zu machen.

Tatsächlich war die Tatsache, dass Derrick zu unbeholfen und planlos war, mich zu verführen, der Grund dafür, dass ich mich sofort zu ihm hingezogen fühlte. „Verlässt du übers Wochenende die Stadt?“ fragte er und warf einen Blick auf meine voll gepackte Tasche. „Nein“, gab ich wenig originell zur Antwort.

„Oh.“ Er musterte meine Tasche mit gerunzelter Stirn. „Ich schon. Ich fahre an den Strand. New Jersey.“

Dann hielt er seine Tasche hoch, die mir zu klein vorkam, um darin eine Flasche Sonnenschutzmittel und frische Unterwäsche unterzubringen. Aber da ich ihn wirklich attraktiv fand, hielt ich mich zurück und machte keine weitere dumme Bemerkung.

Als der Zug am Penn Station hielt, wo er aussteigen musste – einen Moment zuvor hatte ich erzählt, ich sei auf dem Weg zum Guggenheim Museum, um die Ausstellung „Phallische Unvermeidlichkeit und die Surrealistische Schule“ zu besuchen, was Derrick mit bewundernd hochgezogenen Augenbrauen zur Kenntnis genommen hatte –, unterlief mir mein erster taktischer Fehler. Obwohl Jade mir immer wieder geraten hatte, niemals den ersten Schritt zu tun, stieg ich rasch hinter Derrick aus. Was sollte ich tun? Zulassen, dass er vergeblich in seinen Taschen nach etwas zu schreiben sucht, um sich meine Telefonnummer zu notieren, während die Tür zwar noch geöffnet war, aber sich jeden Moment schließen konnte und mir damit jede Chance zum Glücklichsein nahm? Ich verfiel in Panik.

„Oh, ich dachte, du fährst …“, sagte er verwirrt.

„Es ist besser, wenn ich hier schon umsteige“, antwortete ich schnell und hoffte, dass er nicht sofort durchschaute, dass das unmöglich stimmen konnte.

Erleichtert beförderte er schließlich einen Stift und ein Stück Papier zu Tage und reichte mir beides. Als ich fertig war, schrieb er ebenfalls seine Telefonnummer auf den Zettel, riss ihn durch und gab mir eine Hälfte. Dann blickte er nervös auf die Uhr und murmelte ein kurzes, aber herzliches „Wiedersehen“. Und weg war er, während ich verträumt auf dem Bahnsteig zurückblieb.

Die Verträumtheit dauerte drei Minuten, in denen ich mir vorstellte, wie wir uns bei einem Drink in einer kleinen In-Bar in Downtown – Bar Six oder Lansky Lounge – innig unterhalten würden. Dann kamen mir erste Zweifel. Um mich zu vergewissern, dass ich tatsächlich die Telefonnummer dieses attraktiven Typen hatte, warf ich schnell einen Blick auf den zusammengefalteten Zettel in meiner Hand. Als ich ihn auseinander faltete, sah ich voller Entsetzen, dass er mir den Teil gegeben hatte, auf den ich meine Nummer geschrieben hatte. Und ich hatte ihm nicht mal meinen Nachnamen verraten, so dass er mich im Telefonbuch hätte finden können.

„Ihr seid wie füreinander gemacht“, bemerkte Jade, als ich ihr später diese Story erzählte. „Keiner von euch beiden wird jemals Sex haben, wenn ihr euch schon beim ersten Schritt so doof anstellt.“

Trost suchend wandte ich mich anschließend an meine Freundin Alyssa. Im Gegensatz zu Jade ist Lys eine hoffnungslose Romantikerin, die allem etwas Positives abzuringen versucht. „Vielleicht gibt er eine Anzeige auf, in der er nach dir sucht. Manche Leute machen so etwas. Die Voice hat eine Seite voll damit. Du weißt schon: ‚Habe dich im Zug A kennen gelernt. Du, brünett, wunderhübsche grüne Augen …‘“

„Meine Augen sind hellbraun.“

„,Süß und schüchtern‘.“

„Ich?“

„Na ja, wenn man dich gerade erst kennen lernt, dann erweckst du schon diesen Eindruck!“ Und dann fuhr Lys in der Stimme des Mannes fort, den sie nicht kannte, aber den sie für fähig hielt, solche großartigen romantischen Gesten zu machen: „Ich, Schriftsteller, suche nach dir. Ich dachte, ich hätte dich gefunden, aber du, meine Schöne, bist mir entflohen. Bitte ruf mich an …“

„Vergiss es. So was macht ein Typ niemals. Da kann ich warten, bis ich tot umfalle.“

„Dann mach du es doch, Em. Gib eine Anzeige auf! Los, trau dich! Was hast du schon zu verlieren?“

„Früher habe ich diese Anzeigen auch gelesen, Lys“, erklärte ich. „Immerzu. Ich fand sie auch romantisch. Aber je mehr du davon liest, desto klarer wird dir, wie verzweifelt viele Leute sind. Also wirklich. Man kann doch nicht ernsthaft glauben, dass eine zufällige Begegnung – zum Beispiel wenn man jemandem in einer Menge versehentlich auf den Fuß tritt – vom Schicksal gewollt ist. Komm, hör doch auf.“

„Ah, unsere Zynikerin.“

Es stimmt, dass ich in der Zeit vor Derrick zum Zynismus neigte. Aber wer wollte mir das schon vorwerfen? Damals war ich 29 Jahre alt und mit genug Männern befreundet gewesen, um zu wissen, dass mein Seelenverwandter letztendlich nichts anderes sein würde als ein gut passendes Paar Schuhe.

Aber dann schaltete sich die Vorbestimmung tatsächlich ein. Gerade als Alyssa und ich uns über die glücklose Begegnung in der U-Bahn vor zwei Wochen unterhielten, erblickte ich Derrick. Er saß zwei Tische von uns im Peacock Café entfernt und trug die ausgewaschensten Levi’s, die ich jemals gesehen hatte. Trotz meiner ausgedehnten Streifzüge durch Second-Hand-Läden hatte ich so etwas bisher nicht finden können.

„Hey“, sagte er und sprang so vehement auf, dass er fast den kleinen Tisch vor sich umriss. „Das bist ja du.“ Und plötzlich stand er vor meinem Tisch und sah mich erstaunt an.

Ich stand ebenfalls auf und starrte in sein hübsches Gesicht, während Alyssa sitzen blieb, von einem zum anderem schaute und langsam zu lächeln begann.

„Ich konnte nicht fassen, wie idiotisch ich mich neulich angestellt habe“, sagte er.

„Das ging mir genauso“, antwortete ich, und ignorierte alles, was Jade mir erzählt hatte, während ich stammelnd erzählte, wie bescheuert ich mir vorgekommen war, als ich das Missverständnis mit den Zetteln bemerkt hatte.

„Siehst du, es war doch Schicksal“, stellte Alyssa fest, als Derrick fünfzehn Minuten später unseren Tisch verließ, nachdem er diesmal den richtigen Zettel sicher in seiner Hosentasche verstaut hatte.

Aber wenn es Schicksal war – warum hat Derrick mich dann wegen Hollywood verlassen?

Bekenntnis: Entgegen anderen Meinungen bin ich ohne ihn nicht besser dran.

Sogar Derrick hatte den Nerv, mir zu erklären, warum ich glücklich sein sollte, obwohl er mich verließ. Er meinte, ich hätte ein traumhaftes Leben. Wie viele Menschen, argumentierte er, könnten schon von sich behaupten, den größten Teil ihres Lebens zwischen zwanzig und dreißig in der tollsten Stadt der Welt verbracht zu haben?

„Wenn es so eine tolle Stadt ist, warum ziehst du dann weg?“ gab ich zurück.

Daraufhin erklärte er zum wiederholten Mal, in dieser ruhigen rationalen Stimme, die ich in den letzten Tagen voller Trennungsangst zu hassen gelernt hatte, dass er nur in L.A. die Gelegenheit hätte, Karriere zu machen. Dass jetzt, nachdem er sein erstes Drehbuch verkauft hatte, ein Studio ihn als Scriptschreiber haben wollte. Dass er an der Westküste bessere Chancen hätte. Dass er einfach umziehen müsse, um groß rauszukommen.

Ohne mich, dachte ich in der Stille, die seinen Erklärungen folgte. Und während ich erwog, mich ihm zu Füßen zu werfen und ihn anzuflehen, mich mitzunehmen, änderte er seine Taktik.

„Du hast hier so viel“, war sein nächstes Argument. „Dein eigenes Apartment. Deine Karriere.“

Diese Bemerkungen verlangen nach einer Erklärung.

Erstens: mein Apartment. Wem der Begriff „begehbarer Schrank“ verheißungsvoll erscheint, der möge innehalten und ein zweites Mal darüber nachdenken. Mein begehbarer Schrank beinhaltet ein Bett, eine Kommode, einen Schreibtisch und ein heruntergekommenes Bücherregal. Ach, und habe ich die Barbie-Küche erwähnt, die sich ebenfalls darin befindet? Ja, das ist richtig. Mein Apartment ist ein begehbarer Schrank. Natürlich muss man ihm zugute halten, dass es mietpreisgebunden ist und sich unterhalb der Vierzehnten Straße befindet, also in der einzig lebenswerten Gegend Manhattans.

Und was meine Karriere angeht … wenn in einem Gespräch die unvermeidliche Bemerkung „Und was machst du?“ fällt, dann antworte ich, dass ich für eine Frauenzeitschrift schreibe. Das ist zwar keine Lüge, aber dennoch ist meine tatsächliche Arbeit nicht so cool, wie es klingt. In Wirklichkeit arbeite ich für das Brautmagazin Bridal Best, indem ich mir Überschriften ausdenke und mit zunehmender Häufigkeit Artikel über so interessante Themen wie „Die heißesten Urlaubsorte für Flitterwochen“ und „Hochzeitskleider, in denen man tatsächlich atmen kann“ verfasse.

Bestenfalls kann man meine illustre Karriere bei Bridal Best als ein günstiges Zufallsprodukt bezeichnen, denn sie fing damit an, dass ich zwei Wochen in der Redaktion als Sekretärin aushalf, woraus sich ein fester Job entwickelt hat, weil sich meine Chefin Caroline Jamison für mich eingesetzt hat. Wie hätte ich ihren Bemühungen auch widerstehen können, nachdem mir mein Magister in „Kreativem Schreiben“, den ich an der NYU gemacht habe, lediglich eine Hand voll unveröffentlichter Kurzgeschichten und einen Ganztagsjob als Kellnerin eingebracht hatte?

Als ich jetzt am Mittwochmorgen voller Selbstmitleid in einer Redaktionsversammlung saß und insgeheim die Minuten zählte, bis Derricks Flieger abheben und ihn mir unwiederbringlich entreißen würde, ertappte ich mich bei dem Wunsch, ich hätte um drei Uhr nachts nicht dem Impuls widerstanden, ihn anzurufen und ihm zu sagen, was für ein herzloser Bastard er ist.

Durch eine dunkle Wolke der Verzweiflung sah ich unsere Chefredakteurin Patricia Landess, die ihre wöchentliche Motivationsrede hielt: „Wir von Bridal Best haben die Aufgabe, die Braut in jeder Frau anzusprechen“, begann Patricia, „egal ob sie von diesem ganz besonderen Tag nur träumt oder den ersten Schritt unternimmt, ihre Träume in die Realität umzusetzen.“

Schritt eins: Verhindere, dass dein Freund den Bundesstaat verlässt.

Ich seufzte. Plötzlich deprimierte mich das Hochzeitsmantra, das Patricia in den nächsten Minuten unablässig von sich geben würde. Während ich ihr fransiges blondes Haar, ihr blasses Gesicht und ihre blauen Augen betrachtete, fragte ich mich, ob das auch mein Schicksal war: eine ultradünne, etwas altjüngferliche, aber sich gut gehaltene Chefredakteurin einer Zeitschrift zu werden. Eine Karrierefrau, die keinen Mann, sondern nur jeden Monat einen fetten Gehaltsscheck und genug Manuskripte als Heimarbeit brauchte, um zu vergessen, dass es im Leben mehr als nur Arbeit gibt.

Dann fiel mir noch etwas ein.

Im Gegensatz zu mir war Patricia verheiratet. Und egal, wie zweifelhaft diese Ehe den Gerüchten nach auch war, gab ihr das einen meilenweiten Vorsprung zu einer männerlosen, hart ums Überleben kämpfenden Redakteurin wie mir.

Fieberhaft ließ ich meinen Blick den langen Tisch hoch- und wieder runterschweifen, an dem das ganze Redaktionsteam von Bridal Best anscheinend andächtig Patricias Worten lauschte. Da hinten saß Rebecca, die einzige Kollegin, die ich als Freundin bezeichnen würde und die meinen Enthusiasmus teilte, wenn es darum ging, gelegentlich das Schicksal herauszufordern. Aber Rebecca hatte einen Freund, und was noch schlimmer war, sogar einen unglaublich perfekten Freund, der nicht nur einen gut bezahlten Job bei einer Steuerberatungsfirma hatte, sondern auch noch aus einer Familie mit sehr viel Geld stammte.

Dann saß da noch meine Chefin Caroline, die Dank ihres hart arbeitenden Ehemannes, den sie vorsorglich jeden Tag in dem großzügig geschnittenen Haus in Connecticut zurückließ, mit dem vierten Kind schwanger war. Die anderen drei Redakteurinnen waren ebenfalls verheiratet. Sandras Hochzeit mit Roger vor zwei Jahren war beinahe so sensationell gewesen wie die Hochzeit von Patricia. Debbie, deren fünfzigster Geburtstag sich näherte, war bereits so viele Jahre verheiratet, dass die anderen sich nicht mal mehr daran erinnern konnten, wie ihr Ehemann überhaupt aussah. Von Carmen behauptete unsere Produktionsassistentin und amtierende Bürotratschtante Marcy Keller, dass sie nicht nur einen Ehemann, sondern auch noch einen Geliebten habe. Janice aus der Produktionsredaktion war bereits zum zweiten Mal verheiratet, und das, obwohl sie ein haariges Muttermal auf der einen Gesichtshälfte hatte. Wer blieb da noch vom Redaktionsteam übrig, abgesehen von den ganz jungen Assistentinnen, denen dieses Thema noch völlig egal war?

Ich blickte zum anderen Ende des Tisches und schluckte, als ich dort das seltsame Trio versammelt sah: Lucretia Wenner, die stets übellaunige Korrektorin, die wahrscheinlich weder einen Mann noch eine Frau lieben konnte; die am ganzen Körper gepiercte und maskulin wirkende Nancy Hamlin aus der Verwaltung, von der jeder vermutete, sie sei lesbisch; und Marcy Keller, die so viel Zeit damit zubrachte, die Leben der anderen zu studieren, dass sie vergessen hatte, dass sie selbst eins hatte. Ich schloss die Augen, um nicht mehr den hoffnungslosen Blick in ihren Augen sehen zu müssen, den auch nicht ihr bitteres Lächeln verbergen konnte.

Oh Gott, war es das, was mich erwartete?

Bekenntnis: Ich bin noch nicht bereit, nur eine Exfreundin zu sein.

Diese Erkenntnis kam mir, als ich mein erstes Wochenende allein als Single verbrachte. Derrick war drei Tage zuvor nach L.A. geflogen und hatte versprochen, sich zu melden, sowie er sich eingerichtet hatte. Aber wir hatten beschlossen, ab jetzt nur noch Freunde zu sein. Ich bekenne, dass er der einzige „Freund“ ist, dem ich jemals gewünscht habe, er würde mit seinem Vorhaben kläglich scheitern. In meinen Träumen kehrte er mit eingezogenem Schwanz nach New York zurück und flehte mich an, ihn wieder zurückzunehmen.

Obwohl Jade mich gefragt hatte, ob ich zusammen mit ihr und einigen ihrer Freundinnen von Threads, der Modezeitschrift, bei der sie als Stilistin arbeitete, ausgehen wollte, entschloss ich mich, den Discoabend auf der Tanzfläche, auf der ich neben ihren pseudoartigen Supermodel-Freundinnen fett und altmodisch aussehen würde, zu Gunsten von einem ruhigen Abend bei Alyssa dankend abzulehnen.

„Dir ist dein Recht auf Wut verweigert worden, Em“, erklärte Alyssa, nachdem sie mir einen Martini gemacht hatte, woraufhin ich nach dem zweiten Schluck in jämmerlichstes Selbstmitleid verfallen war, bis Alyssa mich mit ihrem albernen „Ich bin okay, du bist okay“-Ratschlag abgewürgt hatte.

Ich seufzte laut und tief, während ich zusah, wie sie mit viel Sorgfalt Pilze in eine Gourmet-Pfanne schnitt, um ihrem Freund Richard, mit dem sie zusammenwohnte, ein fabelhaftes Essen zu kochen. Noch war er aber von seinem einflussreichen und – wie konnte es anders sein – großartig bezahlten Job als Rechtsanwalt bei einem Konzern nicht nach Hause gekommen. Alyssa war ebenfalls Rechtsanwältin, aber eine von der erdverbundenen Sorte, die sich für die Natur und die Qualität des Trinkwassers einsetzen. Neben ihrem Einsatz für die Umwelt und bei zig anderen Institutionen kochte sie auch sehr gern so herzhaft gesunde, bewusstseinserweiternde Gerichte wie „Weizenvollkornauflauf mit geröstetem Babymais“. So sehr ich ihre vielseitigen Talente normalerweise bewunderte, deprimierten sie mich an diesem Abend. Musste man so viel wie sie leisten, um den Status „Freundin“ zu erhalten? Vielleicht hätte ich mich doch mehr bemühen und Derrick mal etwas anderes als Kaffee mit Kaffeeweißer am Sonntagmorgen anbieten sollen.

„Nur weil er einen sehr guten Grund hatte, dich zu verlassen, heißt das nicht, dass du nicht einen sehr guten Grund hast, darüber wütend zu sein“, fuhr Alyssa fort, während sie die Pilze sautierte. Die braunen Locken wippten in einem Pferdeschwanz, und sie zog über ihren blitzenden blauen Augen die Brauen zusammen.

Obwohl Alyssa mich besser kennt als jede andere meiner Freundinnen, hat sie keine Ahnung, wovon sie spricht, wenn es um das Dasein als Exfreundin geht. Denn schließlich ist Lys seit der Pubertät nie ohne Freund gewesen. Als ich sie mal fragte, wie sie das geschafft hätte, lachte sie und meinte, sie wäre mit dem alten Freund immer so lange zusammen gewesen, bis sie einander leid waren, und hätte genau in dem Moment mit ihm Schluss gemacht, wenn der nächste Freund vor der Tür gestanden hatte.

Wenn mir das ein anderes Mädchen als Alyssa erzählt hätte, würde ich vermutlich glauben, es leide unter einem akuten „Chronischen-Freund-Syndrom“ – ein Zustand, der viele Frauen dazu bringt, ihr Leben um das Dasein ihres Freundes zu organisieren, der zwar indiskutabel ist, aber besser als überhaupt kein Freund. Aber ich bin davon überzeugt, dass Alyssa niemals aus diesem Grund einen Freund hatte. Sie ist nur dermaßen liebenswert, dass die meisten Männer, die ihr begegnen, sich wünschen, sie hätten sie für sich allein.

Ein perfektes Beispiel dafür ist ihr momentaner Lover Richard, der der erste Mann ist, mit dem Alyssa das Risiko einer gemeinsamen Wohnung eingegangen ist. Zudem ist er der netteste von allen ihren Freunden, die ich kennen gelernt habe. Davor wohnte Richard mit Dan, Alyssas letztem Freund, zusammen. Sie studierten alle drei Jura, und Alyssa war sehr oft bei Dan, um ihrer schrecklichen Mitbewohnerin aus dem Weg zu gehen. Richard nahm jede Gelegenheit wahr, ihr näher zu kommen. Ich kann mir lebhaft seine Begeisterung vorstellen, als Dan sich entschloss, zurück nach Ohio zu ziehen und in der Praxis seines Vaters mitzuarbeiten. Denn logischerweise ließ das Alyssa allein und frei für Richard zurück, der sich bereits hoffnungslos in sie verliebt hatte.

Alyssa schaute mich fragend an und erwartete eine Reaktion auf ihre psychologischen Exkurse.

„Ich glaube nicht, dass ich wütend bin, Lys. Ich vermisse ihn nur so schrecklich.“

„Na, du solltest aber wütend werden, Em“, sagte Alyssa. „Du kommst nicht darüber hinweg, bis du es nicht durch Wut bewältigt hast.“

Der Gedanke, über Derrick wegzukommen, erschreckte mich maßlos. Er war der Mann, den ich liebte. Mein Seelenverwandter. Über ihn hinwegzukommen war keine erstrebenswerte Aussicht.

„Hmhm“, antwortete ich unbestimmt. Und während ich dasaß und über die Kühnheit ihres Vorschlags nachdachte, stimmte ich ganz nebenbei ihrer Einladung zu, mit ihr und Richard zusammen Abendbrot zu essen – was sich später als Fehler herausstellen sollte. Als ich sie dabei beobachtete, wie sie sich gegenseitig kleine Erlebnisse aus ihrem Tagesgeschehen erzählten und sich dabei bedeutungsvolle Blicke zuwarfen, wurde mir klar, dass ich ein neues Leben brauchte – ein Leben, das eins nicht enthalten durfte: Pärchen.

Bekenntnis: Ich habe mich fälschlicherweise dem Glauben hingegeben, dass ich nie, nie wieder die Dating-Szene aufsuchen würde.

Als Erstes rief ich am Samstagmorgen Jade an und flehte sie förmlich an, mit mir zum Brunch zu gehen. Und trotz ihres leichten Katers erklärte sie sich dazu bereit, noch vor der Abenddämmerung das Haus zu verlassen – tolle Freundin, wie sie nun einmal ist.

Wir trafen uns im French Roast, hauptsächlich deshalb, weil es dort draußen Tische gab und Jade so rauchen konnte. Als ich um fünf vor eins draußen saß und auf sie wartete – ich bin immer etwas zu früh dran, eine Angewohnheit, die ich wahrscheinlich entwickelt hatte, um dem sich stets verspätenden, aber sonst perfekten Derrick etwas voraus zu haben – freute ich mich schon auf ein fundiertes aufbauendes Single-Coaching. Schließlich war Jade eine der wenigen Freundinnen, die sich anscheinend furchtlos auf das Schlachtfeld der Dating-Szene von NYC wagten. Niemals steckte sie die Niederlagen ein, die andere Mädchen erleiden mussten. Wenn Jade einem Mann ihre Telefonnummer gab, dann rief er auch immer an. Manchmal nahm sie nicht mal den Hörer ab, so selbstsicher war sie.

Um Viertel nach eins segelte sie schließlich auf den Tisch zu, den ich uns reserviert hatte. Mit ihren Caprihosen und dem engen Top, das ihre gebräunten Schultern frei ließ, sah sie auf lässige Weise klasse aus. Jade ist eine der Frauen, die zum Model prädestiniert sind. Sie hat Größe sechsunddreißig, einen netten kleinen Busen und praktisch keine Hüften. Ihr dunkelrotes Haar fließt in sanften Wellen bis zur Mitte ihres Rückens und bedarf anscheinend keines besonderen Stylings. Jade ist die Sorte Frau, die andere Frauen gern hassen würden, und sei es nur deshalb, weil kein Mann sie ignorieren kann. Aber sie wirkt auf Männer und Frauen gleichermaßen unwiderstehlich. Manchmal erstaunt es mich, dass wir befreundet sind, sie so anmutig und selbstbewusst, ich oft tollpatschig und unzufrieden. Aber wir kennen uns schon lange, und uns verbinden gemeinsame Erinnerungen wie die an unsere ersten BHs und unsere ersten Freunde. Als Jade auf die zwanzig zuging, ermutigte sie ein Fotograf, eine Mappe mit Fotos von sich zusammenzustellen. Das tat sie auch, aber als sie die Mappe bei Modelagenturen einreichen sollte, lehnte sie gleichmütig ab, so, als ob das nichts Besonderes sei. Nach verschiedenen Versuchen ergab es sich aber, dass Jade einen Beruf ergriff, bei dem sie hinter statt vor der Kamera steht, nämlich als Modestylistin der Zeitschrift Thread.

„Entschuldige bitte die Verspätung“, sagte sie und umarmte mich rasch. Dann ging sie einen Schritt zurück und sah mir kritisch in die Augen, wahrscheinlich, um einzuschätzen, wie es um meine Stimmung stand. Zuerst bestellten wir unser Essen, sie einen Salat – nicht etwa, weil sie auf ihre Figur achten muss, sondern weil sie tatsächlich gern Salat isst –, ich Räucherlachs mit Bratkartoffeln und Ei – eine etwas elegantere Version der fetten kohlenhydrathaltigen Mahlzeiten, mit denen ich mich in Momenten tiefsten Selbstmitleids tröste. Dann sagte Jade: „Okay, erzähl. Was ist mit dir los? Warum bläst du Trübsal? Du brauchst es erst gar nicht abzustreiten. Er ist es nicht wert. Kein Mann ist es wert, dass man seinetwegen durchhängt.“

Und so begann ich den Monolog über mein Leben, das sich viel zu schnell vom glücklichen Pärchendasein zum entsetzlich schmerzhaften Singlestatus gewandelt hatte, und das alles noch vor dem Memorial-Day-Wochenende!

„Alyssa sagt, dass ich keine Wut empfinde, weil er mich wegen eines guten Grundes verlassen hat. Es stimmt, dass ich es ihm nicht übel nehmen kann, weil er seinen eigenen Zukunftstraum verwirklicht. Ich weiß, dass alles, was er immer wollte, war, vom Schreiben leben zu können. Und als er das Drehbuch verkaufte, sah er plötzlich, dass sein Wunsch sich erfüllen würde – in Los Angeles.“

Jade zündete sich eine Zigarette an, wobei mir wieder mal bewusst wurde, dass ich zwar nicht mehr rauchte, aber oft große Lust auf einen Zug verspürte. „Ich muss dich jetzt mal etwas fragen. Wenn du so unter der Trennung leidest, warum ziehst du dann nicht zu ihm nach Los Angeles?“

Diese Reaktion war typisch für Jade – sie redete nie lange drum herum, sondern kam immer direkt auf den Punkt und stellte mir die Frage, die ich mir selbst noch nicht stellen wollte. „Soll ich deshalb meine Karriere aufgeben?“ fragte ich und zitierte damit Derricks Argument, das er als Begründung benutzt hatte, warum er mich nicht bitten konnte, mit ihm zu kommen. Was mich tief getroffen hatte.

„Bei Bridal Best?“ fragte sie ungläubig.

„Ich bin bald mit einer Beförderung dran“, sagte ich verteidigend, während mir bewusst wurde, wie lächerlich es war, dass ich meinen Job vorschob. Ausgerechnet meine Arbeit, über die ich so gern spottete, wenn ich mich freitags nach der Arbeit mit Alyssa auf einen Drink zur Happy Hour traf. Aber wie konnte ich Jade, die genau wusste, dass ich mein Leben lang Schriftstellerin werden wollte, erklären, dass die letzten zwei Jahre – die „Derrick-Jahre“, wie ich sie eines Tages nennen würde – meine Kreativität so eingeschränkt hatten, dass sie nur noch knapp für den Job als Redakteurin ausreichte? Bei einer Zeitschrift, die, wie ich oft scherzte, sich schamlos an der weiblichen Sehnsucht nach der ewig währenden Liebe bereicherte.

In unserer Beziehung hat es nur Platz für einen Schriftsteller gegeben, und das war zweifelsohne Derricks Platz gewesen, der bereits an einem Drehbuch schrieb und dazu noch eine ganze Reihe Kurzgeschichten in verschiedenen Literaturzeitschriften veröffentlicht hatte. Ich dagegen hatte seit anderthalb Jahren kein Wort geschrieben. Das wusste allerdings weder Jade noch irgendjemand anders. Außer Derrick. Es war unmöglich, Misserfolge vor jemandem geheim zu halten, der fünfundsiebzig Prozent seines Lebens mit einem im selben Einzimmer-Apartment verbringt.

„Außerdem kann ich unmöglich mein Apartment aufgeben, wo es doch mietpreisgebunden ist“, fügte ich wenig überzeugend hinzu, als die Kellnerin mit unserem Essen kam.

Jade zog ein letztes Mal an ihrer Zigarette, und während sie sie im Aschenbecher ausdrückte und mich dabei nicht aus den Augen ließ, versuchte ich ihrem scharfen Blick zu entkommen, indem ich mich auf das Essen stürzte. Jade kennt mich besser als jeder andere Mensch auf der Welt, manchmal sogar besser als ich mich selbst. Und ich fühlte mich einfach noch nicht in der Lage, der hässlichen Wahrheit, die ich vor mir selbst verbarg, entgegenzutreten.

„Emma …“

„Die Wahrheit ist, dass er mich nicht gebeten, ihn bei seinem Trip zu Ruhm und Reichtum zu begleiten. Er wollte mich nicht dabeihaben.“

Der mitleidige Blick, den sie mir zuwarf, als ich den Kopf hob, traf mich mehr, als wenn sie auf mich böse gewesen wäre.

„Was du brauchst, ist eine nette gleichberechtigte Beziehung. Und ich weiß auch schon den passenden Typ für dich“, sagte sie. Entschlossen begann sie, ihren Salat zu essen. „Ich habe ihn gerade neulich für die Fotos der Außenkollektion gestylt.“

„Ich fange doch nichts mit Models an.“ Übersetzung: Männliche Models interessieren sich nicht für mich. „Nicht mal du willst ein männliches Model als Freund haben.“ Nach Monaten des Experimentierens hatte Jade schließlich eingesehen, dass männliche Models zu egozentrisch sind, um sich auf eine Beziehung einzulassen. Das heißt, ich hoffte, sie hätte es eingesehen.

„Ach komm, Emma. Du weißt, dass es für dich am besten ist, wenn du sofort wieder ausgehst. Außerdem kann es doch sein, dass der, an den ich dabei denke, wirklich ein Knüller ist.“

„Warum angelst du ihn dir dann nicht?“ fragte ich sie und studierte dabei aufmerksam ihren Gesichtsausdruck. Ich war immer misstrauisch, wenn Jade mir einen Mann empfahl, den sie selbst nicht haben wollte. Denn sie hatte ein sehr gutes Gespür für Männer, und wenn sie ihn nicht wollte, musste etwas mit ihm nicht stimmen.

„Er ist nicht mein Typ.“

Jetzt wusste ich genau, dass etwas mit ihm nicht stimmte. „Vergiss es.“

„Vielleicht hat er ja sogar am nächsten Wochenende Zeit.“

„Am nächsten Wochenende?“ fragte ich schockiert, weil sie überhaupt auf den Gedanken kam, ich könnte in einem verrauchten Raum einem umwerfend attraktiven Mann gegenüber sitzen und dabei noch völlig Bedeutungsloses murmeln, um den Eindruck zu vermitteln, ich sei genauso gewandt und schön wie er. Ganz davon zu schweigen, dass die fünf Pfund, die ich während der Beziehung zugelegt hatte, hartnäckig auf meinen Hüften lasteten, meine Gefühle dafür aber frei und verwundbar im Wind flatterten. „Danke, aber nein danke.“

„Na gut, aber was willst du sonst unternehmen?“

„Ich weiß nicht. Ich versuche erst mal, dieses Wochenende zu überstehen, vom nächsten ganz zu schweigen. Apropos, was machst du heute? Wollen wir ins Kino?“ fragte ich in der Hoffnung, den Abend nicht allein verbringen zu müssen.

„Geht nicht. Ich habe ein Date.“

„Echt? Mit dem König der Steroide?“

„Meinst du Carl? Nein, den kannst du vergessen“, sagte sie. „Ich habe dir doch erzählt, dass er im Bett eine Null ist. Warum soll ich mich mit Impotenz herumärgern, wenn ich in den Mann nicht mal verliebt bin? Erinnerst du dich daran, was für ein Trauerspiel das mit Michael war?“

Michael konnte man am ehesten als Jades große Liebe bezeichnen, davon mal abgesehen, dass er sie schließlich wegen einer dummen kleinen Blondine aus seinem Büro absägte, nachdem Jade über ein Jahr lang auf seine Eitelkeit, seine Verantwortungslosigkeit und, am schlimmsten, seine Impotenz eingegangen war – was er aber nie so gesagt hätte. Er tat nur so, als sei er nicht an Sex mit Jade interessiert, was sie in ihrem Ego unglaublich verletzte. Seit dem Ende ihrer Beziehung vor zwei Jahren hatte Jade alles daran gesetzt, sich nicht in einen Mann zu verlieben und stattdessen nur nach dem Kick einer sexuellen Erfüllung zu streben – all den Kicks, die sie in der Beziehung mit Michael nicht bekommen hatte. Aber die große Ironie ihres Lebens bestand darin, dass sie, obwohl sie sehr attraktiv, intelligent und finanziell unabhängig war, scheinbar in ganz New York keinen Mann finden konnte, der ihr sexuelle Erfüllung schenkte. Ich konnte ihren Frust gut verstehen, denn seit ich nach New York gezogen war, hatte ich selbst einige sexlose Zeiten durchgestanden. Manchmal ulkten wir herum und malten uns aus, wir würden unsere eigene Fernsehkomödie schreiben: No Sex in the City. Carl war lediglich eine von Jades vielen Date-Erfahrungen gewesen – so mit Steroiden vollgepumpt, dass er keines seiner Körperteile dazu bewegen konnte, sich zu erheben.

„Nein, es ist ein anderer Mann aus dem Fitnessclub, und er ist echt nett. Sieht toll aus, wie ein durchtrainierter Surfer.“

„Lass mich raten: Er arbeitet als Model.“

„Ja, schon, aber dabei ist er ganz natürlich“, rechtfertigte sie sich, lehnte sich von ihrem Salat, in dem sie nur herumgestochert hatte, zurück und trank einen Schluck Wasser.

Obwohl Jade es nur ungern hörte, glaubte ich fest daran, dass ihr Problem mit Männern an ihren Auswahlkriterien lag. Schon immer hatte sie körperliche Schönheit an Menschen sehr geschätzt, weshalb sie auch in ihrem Beruf so erfolgreich war. Aber sie hatte noch nicht begriffen, dass schönen Menschen eins gemeinsam war: Sie sind nicht fähig dazu, jemand anders als sich selbst zu lieben oder sogar zu begehren.

„Ich weiß genau, was du denkst, Em“, sagte Jade, „aber diesmal habe ich das Gefühl, dass ich das Beste von beiden Welten bekomme. Er sieht sehr gut aus, aber scheint nicht zu wissen, wie gut.“

„Aha, und deshalb arbeitet er als Model?“

„Oh bitte. Hör auf. Der Typ kommt aus der Pampa des Mittleren Westens, wo er von einem Talentsucher in einem Club entdeckt wurde.“

„Diese Story klingt irgendwie sehr vertraut.“ Woran lag es nur, dass anscheinend alle Models nur zufällig entdeckt wurden und keines je zugab, tatsächlich an den hoch bezahlten, glamourösen Jobs interessiert zu sein?

„Er wirkt fast … unschuldig“, fuhr Jade fort. „Ich meine, er wurde tatsächlich rot, als ich ihm meine Telefonnummer gab.“

„Machst du Witze?“

Sie lachte und zündete sich die nächste Zigarette an. „Was machst du denn nun heute Abend? Gehst du mit Alyssa aus?“ Als ich Jade und Alyssa im College einander vorgestellt hatte, waren sie trotz ihrer Unterschiedlichkeit sofort Freundinnen geworden.

„Nein, nein. Sie unternimmt wahrscheinlich etwas mit Richard. Und es ist völlig unmöglich, dass ich mir dieses glückliche Pseudo-Eheleben reinziehe.“

„Trotzdem finde ich nicht, dass du allein zu Hause hocken solltest“, meinte Jade. „Willst du dich mit mir und Ted auf einen Drink treffen?“

„Er heißt Ted?“

„Ich weiß, klingt dieser Name nicht … harmlos?“

„Ganz wie der Junge von Nebenan.“

„Und? Was meinst du? Kommst du mit uns mit?“

„Nein, ich bleibe wirklich lieber zu Hause. Ich muss mich erst mal sortieren. Vielleicht kümmere ich mich etwas um die Wohnung, stelle das Bücherregal um und hänge endlich ein paar Bilder auf.“

„Bist du sicher?“ wollte Jade wissen.

„Ganz sicher. Und schließlich ist es ja nicht der erste Samstagabend, den ich allein verbringe.“

Bekenntnis: Ich habe seit zwei Jahren keinen Samstagabend mehr allein verbracht.

Das stimmte nicht ganz. Denn manchmal hatte Derrick einen Samstagabend in seiner Wohnung verbracht, um zu schreiben, und dann war ich allein zu Hause geblieben, um ebenfalls zu schreiben. Oder jedenfalls sagte ich das Derrick, wenn er am Telefon vorschlug, dass wir uns mal nicht sehen sollten, um mit unseren Schreibvorhaben voranzukommen. „Oh ja, gute Idee. Ich hatte schon die ganze Zeit vor, mit der Kurzgeschichte anzufangen, die mir im Kopf herumschwirrt“, sagte ich dann immer. Wenn wir aufgelegt hatten, machte ich meinen Computer an. Während er startete, fing ich meistens an, meine Handwäsche zu erledigen oder meine Schubladen neu zu ordnen. Wenn es dann nichts mehr zu tun gab, griff ich sogar nach einer alten Zahnbürste und machte mich daran, die Fugen im Bad zu schrubben. Wenn Derrick in dem Moment anrief und wissen wollte, was ich tat, dann sagte ich, ich würde arbeiten. Was ja nicht mal gelogen war.

Jetzt traute ich mich nicht mal, den Computer anzustellen. Auch die Handwäsche kam nicht in Frage aus Angst vor den Erinnerungen, die dabei hochkommen könnten. Stattdessen rollte ich mich in Embryostellung auf meinem Futon zusammen und dachte über die einsame Nacht nach, die vor mir lag.

Ich hatte bereits Alyssa angerufen und erfahren, dass sie und Richard bei Richards Schwester zum Abendessen eingeladen waren, was mir nur noch klarer gemacht hatte, dass ich den Abend tatsächlich allein verbringen würde. Es blieben nicht mal Freunde, die ich anrufen konnte. Zwar gab es da Rebecca, mit der ich mich bei der Arbeit sehr gut verstand, aber unsere Freundschaft war noch nicht so weit gediehen, dass wir gemeinsame Wochenendpläne machten. Dann kannte ich noch meinen Friseur Sebastian, mit dem ich gut auskam, wenn ihn nicht gerade ein gut aussehender Mann oder ein Wochenende auf Fire Island von mir weglockte. Doch ich hatte mich eine ganze Weile nicht mehr um ihn gekümmert, und es kam mir falsch vor, ihn anzurufen, wenn ich ihn brauchte, wo ich so lange nicht für seine Nöte da gewesen war.

„Tu etwas für dich“, hatte Alyssa mir geraten, als wir telefonierten. „Nimm ein heißes Bad, mach eine Gesichtspackung, lies ein gutes Buch.“ Ich wusste, dass sie Recht hatte. Das war es, was ich hätte tun sollen. Nicht nur sie, sondern jede Frauenzeitschrift und jedes Selbsthilfebuch gaben dieselben Ratschläge – nicht, dass ich so etwas lesen würde, aber meine Mutter hatte so viele davon gelesen, dass es für uns beide reichte.

Stattdessen stopfte ich mich mit Chocolate-Chip-Cookie-Eiscreme voll, zupfte meine Augenbrauen und kramte alte Fotos hervor, die Derrick und mich im letzten Sommer zeigten. Wir hatten auf den East Hamptons Ferien gemacht, in einem Haus, das seine Freunde gemietet hatten. Ich studierte sein geliebtes Gesicht, sah, wie glücklich seine Augen strahlten, während wir Arm in Arm, gebräunt, ausgeruht und bis über beide Ohren ineinander verliebt, nebeneinander standen. Was war nur falsch gelaufen? fragte ich mich.

Plötzlich durchdrang das Klingeln des Telefons die deprimierende Stille in meinem Apartment. Ich nahm ab und erinnerte mich zu spät daran, dass ich an diesem ersten Samstagabend, den ich allein verbrachte, den Anrufer zunächst über den Anrufbeantworter hätte checken sollen.

„Emma! Du bist ja zu Hause! Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich dort erwische …“

„Hallo, Mom.“ Da saß ich nun Samstagabend zu Hause, und prompt erwischte mich meine Mutter dabei. „Ja, ich dachte, ich gehe mal nicht weg, um ein paar Dinge im Apartment zu erledigen. Wie geht’s dir?“

„Gut, gut. Clark ist gerade mal los, um Milch und Eier fürs Frühstück morgen einzukaufen, und da dachte ich, ich ruf dich mal an.“

Clark ist seit drei Jahren mit meiner Mutter zusammen, aber trotzdem würde ich nicht darauf wetten, dass es auch so bleibt. Und das liegt nicht an Clark, sondern daran, dass meine Mutter eine unglückliche Hand in der Auswahl ihrer Freunde an den Tag legt. Mittlerweile fürchtete ich, dass das erblich sein könnte.

„Und wie geht’s mit Derrick?“ wollte meine Mutter wissen. Diese Frage stellte sie routinemäßig in jedem unserer wöchentlichen Telefongespräche. Obwohl es meine Mutter vehement verneinen würde, meinte sie mit dieser Frage Folgendes: Geht alles seinen normalen Lauf? Werdet ihr euch bald verloben? Bekomme ich endlich ein Enkelkind?

Ich versuchte, die eigentliche Bedeutung zu ignorieren, und antwortete fröhlich: „Alles läuft bestens.“ Und das sagte ich, obwohl ich genau wusste, dass die Chancen meiner Mutter, jemals ein Enkelkind von mir zu bekommen, gegen Null gingen. Denn schließlich war ich einunddreißig, mein Freund hatte mich gerade verlassen, um nach L.A. zu gehen, meine durchschnittliche Männerrate war alle zwei Jahre einer, wobei nur einer von den letzten dreien überhaupt als Vater eines Kindes in Betracht gekommen wäre.

Ich weiß nicht, warum ich log. Vielleicht hatte ich einfach keine Lust, Erklärungen abzugeben. Irgendwann würde ich ihr alles erzählen. Bloß im Moment, wo die Nervenenden meiner Gefühle noch so blank lagen, hätte ich es nicht ertragen können, wenn sie mir auch noch Vorwürfe gemacht hätte.

Es stellte sich aber heraus, dass meine Mutter über etwas ganz anderes mit mir sprechen wollte.

Nachdem sie ein paar Minuten lang über ihren Job bei Bilbo, der Firma für Pharmaprodukte, den sie seit meiner Kindheit hat, gesprochen hatte, kam sie zum eigentlichen Grund ihres Anrufs. „Ich wollte dir das eigentlich nicht am Telefon sagen, aber ich weiß nicht, wann ich dich wieder mal sehe …“ Das war ein deutlicher Hinweis darauf, dass sie meine monatlichen Besuche bei ihr auf Long Island als nicht ausreichend empfand.

„Was ist los?“ fragte ich.

„Nun, Clark und ich haben beschlossen zu heiraten.“

Ich muss zugeben, dass meine erste Reaktion auf ihre Ankündigung war, sie einfach zu ignorieren. Schließlich würde Clark damit Ehemann Nummer drei (fast Nummer vier) werden und einer von vielen, in die meine Mutter sich Hals über Kopf verliebt und mit dem sie eine Ehe erwogen hatte. Man musste ihr allerdings zu Gute halten, dass sie stets mit der besten Absicht heiratete. Es war bloß so, dass die Männer, die sie auswählte, stets alles erheblich komplizierten.

Von meinem Vater hatte sie sich nach zwanzig Jahren scheiden lassen, als er ein hoffnungsloser Alkoholiker geworden war. „Er war auf Partys immer ein echter Knüller“, hatte sie mir einmal in Erinnerung an bessere Zeiten erzählt. Als Nächstes kam Donald, um ein Haar Ehemann Nummer zwei. Nach einer stürmischen Romanze flogen sie nach Las Vegas, um dort zu heiraten. Doch daraus wurde nichts, denn noch am Flughafen wurde Donald verhaftet. Er hatte sich in drei Fällen der Unterschlagung schuldig gemacht. Dann war da Warren, den ich als die große Liebe meiner Mutter bezeichnen würde – wenn ihre Ehe lange genug gehalten hätte, um das zu beweisen. Nach einer achtjährigen Verlobungszeit – diesmal wollte meine Mutter auf Nummer sicher gehen – wurden sie während einer kleinen Zeremonie in unserem Garten getraut, mit mir als Brautjungfer. Leider starb Warren noch in den Flitterwochen an einem Herzanfall.

Und nun hatte sie Clark, einen Englisch-Professor. Den lieben netten Clark mit seinem speziellen Grinsen, wobei er die Mundwinkel nach unten verzog, und der Vorliebe, aus metaphysischer Lyrik des siebzehnten Jahrhunderts zu zitieren, was meine Mutter absolut hinreißend fand.

Es stellte sich heraus, dass es unmöglich sein sollte, ihre Ankündigung zu ignorieren. Denn jetzt fing sie an, ihre Pläne für die Hochzeit herunterzurattern „… ein kleines Kreuzfahrtschiff, nur die Familie. Natürlich Clark und ich. Grandma Zizi. Du und Derrick. Shaun und Tiffany …“ Shaun ist mein verheirateter Bruder. Mein jüngerer Bruder, um genau zu sein. „Clarks Sohn und Tochter und jeweils deren Kinder“, fuhr sie fort. „Wir segeln nach St. Thomas in die Karibik, wo wir uns am Strand trauen lassen wollen, während die Brandung rauscht und wir von unseren Liebsten umgeben sind. Eine Mischung aus Ferien mit der ganzen Familie und einer Hochzeit. Ist das nicht fantastisch?“

Ja. Und wie.

2. KAPITEL

„Man sollte Selbstverleugnung erst mal ausprobieren, bevor man sie verdammt.“

– Name und Alter unbekannt –

Bekenntnis: Die Trennung hat mich zu einer krankhaften Lügnerin gemacht.

Am nächsten Montag bei der Arbeit ließ ich mich auf den Besucherstuhl vor Rebeccas Schreibtisch sinken. Obwohl Rebecca eigentlich nur eine Kollegin war, gingen wir doch oft zusammen zur Happy Hour in verschiedene Kneipen aus, wo wir uns dann über den Job oder über besonders nervende Kollegen ausließen. Allerdings wurden diese Ausflüge in letzter Zeit immer seltener, was in erster Linie daran lag, dass ich wegen meiner Beziehung alle Freunde außer Jade und Alyssa vernachlässigt hatte. Mir war es wichtiger gewesen, mit Derrick ein Video auszuleihen und Abendessen beim Lieferservice zu bestellen. Rebecca hingegen war zwar mit ihrem Freund Nash ungefähr genauso lange zusammen wie Derrick und ich es waren, aber sie hatte für ihre Freunde immer Zeit. Ihr schien es auch nie etwas auszumachen, eine zusätzliche Aufgabe zu übernehmen und bis in die Nacht zu arbeiten, selbst wenn der gute alte Nash einen Tisch in einem Restaurant reserviert hatte. Wahrscheinlich war sie sogar stolz darauf, gleichzeitig eine gute Freundin für alle und die feste Freundin für einen sein zu können, was mich etwas misstrauisch machte, wenn nicht sogar eifersüchtig.

„Meine Mutter wird wieder heiraten“, verkündete ich mit Verzweiflung in der Stimme.

„Das ist ja toll“, antwortete Rebecca und schaute von dem Text auf, den sie gerade Korrektur las. Mit hochgezogenen Augenbrauen lächelte sie mich breit an.

Irgendetwas an ihrer fröhlichen Reaktion ließ bei mir sofort die Alarmglocken läuten. Schließlich hatten Rebecca und ich zumindest etwas gemeinsam: Wir hegten beide eine gesunde Abneigung gegen diese alberne kleine Welt bei Bridal Best, in der sich alles nur um Hochzeiten drehte. Und wie konnten wir am besten zeigen, dass wir uns deutlich von den Kollegen unterschieden, die stundenlang über die passenden Örtlichkeiten oder die Papierqualität der Einladungskarten diskutieren konnten? Nun, indem wir uns über sie lustig machten. Wenn ich Rebecca nicht besser gekannt hätte, hätte ich annehmen müssen, dass sie vom Bridal Best-Hochzeitsfieber schließlich doch angesteckt worden war. Denn bei Bridal Best war jede Hochzeit, selbst wenn es sich um die dritte der eigenen Mutter handelte, ein Ereignis, über das man sich begeistern musste.

„Na ja, nun, mir fällt es nicht leicht, auch nur etwas Begeisterung für diese Hochzeit aufzubringen. Ich meine, bisher ging es bei meiner Mutter immer darum, wie man die ewig währende Liebe nicht findet.“

Rebecca blickte mich einen Moment lang forschend an, so als ob ich in einer Fremdsprache gesprochen hätte. „Du solltest froh für deine Mutter sein. Schließlich gelingt es nicht jeder Frau, sich nach so vielen Misserfolgen noch einmal zu verlieben. Ich finde sie sehr mutig.“

„Entweder das, oder sie nimmt einfach zu viel Prozac, um sich darüber Sorgen zu machen.“ Seit meine Mutter nicht mehr mit Warren zusammen war, hatte sie einen Hang zu diesem jederzeit verfügbaren Glücksgefühl, für das sie einfach nur zwei Pillen schlucken musste.

„Was ist denn in dich gefahren? Du bist ja noch zynischer als sonst? Hast du dich am Wochenende mit Derrick gestritten?“

Diese Frage verursachte bei mir einen kleinen Panikanfall. Konnte man mir mein ungewolltes Singledasein irgendwie an der Nasenspitze ablesen? Ich stotterte etwas herum, während ich ihren sorgfältig frisierten blonden Bob und die perfekt gezupften Augenbrauen betrachtete und die Kugelschreiber, die ordentlich auf dem Schreibtisch aufgereiht lagen. Plötzlich war ich voller Misstrauen. Selbst das gerahmte glänzende Foto von Nash, das auf ihrem Tisch stand, schien mich bösartig anzublinken. Auf gar keinen Fall konnte ich ihr die Wahrheit sagen.

„Nein, nein. Wir haben uns nicht gestritten. Mit Derrick ist alles in Ordnung. Großartig sogar.“

„Na wunderbar“, antwortete Rebecca und wandte sich wieder ihrem Text zu. „Dann hast du ja den Kopf frei, um deiner Mom bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen. Ich meine, Himmel, du wärst ja praktisch in der Lage, das Ganze komplett alleine zu planen, wenn du müsstest.“

„Wenn ich müsste, ja“. Doch vorher würde ich sicher einen Herzinfarkt bekommen.

Bekenntnis: Hochzeiten kommen mir plötzlich wie eine gesellschaftliche Krankheit vor.

Wieder an meinem Tisch fand ich mich der größten Herausforderung seit meiner Trennung gegenübergestellt. Ich musste eine kurze Aufgabenliste für zukünftige Bräute zusammenstellen. Ich hatte sie heimlich für mich so überschrieben: „Wie man dafür sorgt, dass der Hochzeitstag ohne Megadesaster vorübergeht.“ Während ich versuchte, einen Vorspann zu schreiben, spürte ich plötzlich etwas von der Wut, zu der Alyssa mich ermutigt hatte. Was ist eigentlich mit uns Nicht-Bräuten? fragte ich mich. Selbst meine eigene Mutter hatte mich in ihre Hochzeitsvorbereitungen eingespannt. Ich sollte mal nach Kreuzfahrtschiffen und außergewöhnlichen Zeremonien in meiner kleinen Datenbank suchen. Und was noch schlimmer war. Sie wollte einen ihrer vielen Urlaubstage, die sie in ihrer zwanzigjährigen Laufbahn bei Bilbo angesammelt hatte, opfern, um mich nächste Woche zum Mittagessen treffen zu können. Bei der Gelegenheit könnte ich ihr Bericht erstatten, was ich herausgefunden hatte.

Warum ist mein Job nur für jeden anderen außer mir so hilfreich? Warum nur verspürt jedermann das Bedürfnis, mich um Auskünfte über romantische Flitterwochen zu bitten oder mich zu fragen, welche möglichst nicht aufwändigen aber eleganten Horsd’oeuvres ich denn für die Feier vorschlagen würde. In dieser kleinen abgeschlossenen Welt der Hochzeitsplanungen zu arbeiten hatte mir über die Jahre folgende Erkenntnis beschert: Wenn man nicht verheiratet war, war man ein Nichts.

Das Telefon klingelte und rettete mich davor, den gefürchteten Artikel schreiben zu müssen.

„Hallo, Em“, hörte ich Jades Stimme.

„Jade. Gott sei Dank.“

„Hast du mit jemand anderem gerechnet?“

„Ich habe nur gehofft, es wäre jemand, der nicht heiratet.“

„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Was gibt’s Neues?“

„Nichts, gar nichts. Du weißt schon, nur das Übliche. Abgabetermine, viel Druck, wenig Motivation. Und wie ist das Date mit dem wundervollen Ted gelaufen?“

„Wundervoll natürlich. Wir haben ein paar Drinks genommen und dann Billard gespielt. Habe ich erwähnt, dass er die schönsten Unterarme hat, die ich je gesehen habe? Hübsch und stark, genauso, wie ich es mag. Er hat sogar ein paar Tätowierungen. Und du weißt ja, wie ich auf tätowierte Männer abfahre.“

„Oje. Das war’s dann wohl.“

„Wenn ich nicht bald mit ihm schlafe, drehe ich durch. Dann mache ich bestimmt eine Dummheit.“

„Wie ihn heiraten?“

„Was ist heute nur in dich gefahren?“

„Es ist wegen meiner Mutter. Sie will wieder heiraten.“

Als Jade vor Begeisterung loskreischte, hielt ich schnell den Hörer von meinem Ohr weg. „Das ist ja so aufregend! Sie und Clark sind einfach ein tolles Paar. Oh, ich muss sie gleich anrufen und gratulieren. Oder vielleicht sollte ich in der Mittagspause eine Karte besorgen …“

Ich hätte wissen müssen, dass Jade auf der Seite meiner Mutter stehen würde. Schließlich kannte sie meine Mutter seit Ehemann Nummer eins. „Jade, bin ich denn der einzige Mensch auf der Welt, der davon nicht begeistert ist?“

„Du solltest es jedenfalls sein“, entgegnete sie mit vorwurfsvoller Stimme. „Sie ist deine Mutter. Willst du nicht, dass sie glücklich ist?“

„Glücklich ja. Ich bin mir nur nicht sicher, ob eine Hochzeit der richtige Weg ist, um glücklich zu werden. Dir ist schon klar, dass es sich hier um Ehemann Nummer drei handelt, fast ja schon Nummer vier?“

„Em, ich finde, du solltest endlich darüber hinwegkommen. Nicht jeder lebt ein Bilderbuchleben. Was soll’s, dass deine Mutter viel Zeit in ihrem Leben mit der Suche nach dem Richtigen verbracht hat, solange sie schließlich gefunden hat, was sie will?“

„Du hast vermutlich Recht“, seufzte ich. „Ich kann mich einfach nicht auf den großen Tag freuen, vor allem, weil sie mit der ganzen Familie in die Karibik schippern will. Und rate mal, wer als Einzige in einer Einzelkabine schlafen muss? Wobei meine Mutter das natürlich noch nicht weiß.“

„Was soll das heißen?“

„Ich habe es noch nicht über mich gebracht, ihr von Derrick zu erzählen. Ich weiß auch nicht, warum … ich konnte es einfach nicht.“

„Irgendwann wirst du es ihr sagen müssen. Wann ist die Hochzeit?“

„Sie hofft, dass es bis Ende September klappt.“

Eine nachdenkliche Stille entstand. „Da bleibt nicht mehr viel Zeit, aber wer weiß, was bis dahin noch geschieht. Du könntest dich in einen anderen verlieben. Oder du findest auf der Kreuzfahrt einen hübschen Ober, mit dem du deine Einzelkabine teilen kannst.“

„Irgendwie bezweifle ich das. Aber vielleicht finde ich jemanden, den ich mitnehmen kann.“

„Ja, klar, wie wär’s mit dem Jungen unterm Bett?“ Das war unsere Bezeichnung für den immer verfügbaren männlichen Freund, den man mit zu Hochzeiten oder Betriebsfesten nehmen kann, mit dem man aber aus dem einen oder anderen Grund keinesfalls ein richtiges Date haben will. Meiner hieß Cal, ich hatte mit ihm zusammen während des Studiums im Good Grub bedient. Cal war der perfekte Junge unterm Bett – ein großartiger Tänzer, groß genug, dass ich ihn in High Heels nicht überragte, und gerade unattraktiv genug, dass ich auch angetrunken nicht auf die Idee kam, auf der Tanzfläche mit ihm zu fummeln, was hinterher besonders peinlich gewesen wäre. Das Problem war nur, dass Cal inzwischen geheiratet hatte. Männer sind ja solche Verräter.

„Mir ist gerade klar geworden, dass mein Junge unterm Bett sich aus dem Staub gemacht hat. Cal hat letztes Jahr geheiratet, erinnerst du dich?“

„Ja, klar.“ Sie schwieg einen Moment, und ich hörte, wie sie an ihrer Zigarette zog. „Und was ist mit Sebastian?“

Sebastian war natürlich auch immer eine Möglichkeit. Aber er war eher der Junge aus dem Kleiderschrank als der Junge unterm Bett. Und deswegen hätte ich es problematisch gefunden, ihn ausgerechnet zu einer Hochzeit mitzunehmen. „Ich will nicht die typische fette frustrierte Frau sein, die bei so was mit einem Schwulen auftaucht.“

„Du bist nicht fett.“

„Nun, man weiß nie, was bis September noch alles passiert. Ich habe übers Wochenende einen ganzen Eimer Chocolate-Chip-Cookie-Eis verspeist. Und zwar nicht die Joghurt-Variante, ich wollte den vollen Geschmack. Vierundzwanzig Gramm Fett pro Portion und vier Portionen pro Eimer.“

„Na und? Mach dir keine Gedanken, Em, wir finden jemanden für dich. Da gibt es schließlich noch dieses Model, von dem ich dir erzählt habe.“

„Du weißt, was ich von Models halte.“

„Nun, du musst ihn ja nicht heiraten. Andererseits, überleg mal, wie gut ihr zusammen auf den Hochzeitsfotos aussehen würdet.“

„Ich werde darüber nachdenken“, stimmte ich zögernd zu.

„Endlich, das ist die Emma, die ich kenne und liebe. Mach dir keine Sorgen. Es wird schon alles gut werden.“

Bekenntnis: Für eine bezahlbare Zweizimmerwohnung würde ich sogar heiraten.

Irgendwie war es mir gelungen, den Rest der Woche ohne größere emotionale Katastrophen zu überstehen. Und nachdem ich sogar ein zweites einsames Wochenende hinter mich gebracht hatte, ohne komplett durchzudrehen, war ich recht stolz auf mich. Als ich am Ende der dritten Post-Derrick-Woche nach der Arbeit meine mit Bäumen gesäumte Straße entlangschlenderte, dachte ich plötzlich, dass es gar nicht so schlimm sein konnte, in der tollsten Stadt der Welt ein Single zu sein. Und ich wohne auch noch in der schönsten Straße, dachte ich, als ich an den hübschen Brownstone-Gebäuden in der Dreizehnten Straße West vorüberging.

Dann kam ich vor meinem Haus an, betrachtete die verblichene Fassade mit der abblätternden Farbe und seufzte bestürzt. Warum, warum nur waren Derrick und ich nie zusammengezogen? Er hätte mich niemals verlassen, wenn wir in einer bezahlbaren Zweizimmerwohnung in Downtown gelebt hätten. Kein vernünftiger Mensch würde so etwas aufgeben.

Mit einem Mal hasste ich Derrick dafür, dass er mir meine Wohnungsträume zerstört hatte. Mit einem weiteren Seufzen lief ich die Stufen hinauf.

Derrick hatte mein Apartmentgebäude mit den vierundzwanzig Wohneinheiten gerne als „Das Haus der Unheilbaren“ bezeichnet. In den winzigen Studios wohnten neben den Studenten nur alte Menschen mit psychischen oder physischen Gebrechen, was der Grund dafür war, warum sie sich nicht eine Wohnung suchten, die wenigstens groß genug war, um einen kleinen Teppich auf den Boden zu legen. Da gab es zum Beispiel Beatrice im ersten Stock, auf die vor sechzehn Jahren in der Neununddreißigsten Straße ein Baugerüst gestürzt war. Seitdem hatte sie eine Metallplatte im Kopf und war schwerstbehindert. Inzwischen war sie in den Fünfzigern, lebte von Sozialhilfe und bemalte die Wände ihrer winzigen Kammer mit Wasserfarben. Dann gab es Abe, der alles zwischen fünfundsechzig und fünfundachtzig sein konnte, und der jeden Morgen den kompletten Inhalt seines Apartments (von den Möbeln abgesehen, von denen es nicht viele gab) in zwei großen Mülltüten in einen Einkaufswagen packte und weiß der Himmel wohin verschwand.

Dann war da ich. Weder Studentin noch psychisch krank, klammerte ich mich dennoch halsstarrig an meine mietpreisgebundene Wohnung, als ob mein Leben davon abhinge. Immerhin handelt sich um eine tolle Adresse – nur wenige Straßen entfernt von der U-Bahn, dem Film Forum, der Kneipenszene von Downtown, dem Peacock, der New York University – so ziemlich jeder würde gerne hier wohnen. Und das war auch der Grund dafür, warum ich in dieser winzigen Wohnung ohne begehbaren Schrank weiterhin wohnen blieb. Allein die neidischen Blicke, wenn ich auf Partys meine Adresse sagte, waren es wert. Davon abgesehen hegte ich in der Zeit mit Derrick die Hoffnung, dass wir eines Tages eine Zweizimmerwohnung teilen würden – und zwar sobald Derrick endlich kapiert hatte, dass diese Spelunke, die er sich in der Lower East Side mit einem primitiven Barkeeper teilte, einfach nicht das Wahre war. Ich stellte mir gerne unsere Traumwohnung vor, inklusive all der Regale, in denen unsere beeindruckende Sammlung von Filmen und Büchern zu sehen sein würde. Diese Hoffnung hatte mich bei der Stange gehalten und mich vor den verrückten Alten oder unangenehm jungen und nur vorübergehend hier wohnenden Nachbarn bewahrt.

Doch nachdem Derrick nun aus meinem Leben verschwunden war, hatte ich diese Hoffnung nicht mehr, sondern …. etwas anderes. Und dieses Etwas muss erst einmal definiert werden, dachte ich, als ich das Haus betrat.

„Emma!“ hörte ich Beatrice schrille Stimme, als ich in die Eingangshalle kam. Sie stand an den Briefkästen, die Arme beladen mit sämtlichen Versandhaus-Katalogen, die man sich nur vorstellen kann, und einer Auswahl an Briefen.

„Hallo Beatrice, wie geht es Ihnen?“ fragte ich mit der üblichen Singsang-Stimme, die ich in Gegenwart kleiner Kinder und Erwachsener wie Beatrice verwandte, die, wie man so schön sagt, nicht alle beisammen haben.

„Oh, mir geht es gut …“

„Schön“, sagte ich schnell und steuerte auf die Treppe zu.

„… abgesehen von meinen schrecklichen Nebenhöhlen. Jeden Morgen wache ich mit verstopfter Nase und Druck auf den Ohren auf. Und mein Backenzahn. Oh …“ Sie riss die grauen Augen hinter den dicken Brillengläsern weit auf. „Es ist unerträglich.“

„Das kann ich mir vorstellen, Bea“, antwortete ich und stellte schon mal einen Fuß auf die Stufe, um mich bei der erstbesten Gelegenheit in Bewegung setzen zu können. Beatrice ließ sich gerne auf ausführliche Diskussionen über ihre Leiden ein, und ich hatte noch keinen höflichen Weg gefunden, ihre Litaneien zu umgehen. Sie war einsam, und es bedeutete ihr eine Menge, dass ich ihr zuhörte, zumindest sagte ich mir das immer, wenn ich mir schon gute zehn Minuten lang Details über verstopfte Nasen und Hitzewallungen angehört hatte.

Aber anstatt wie ich erwartet hatte die Einzelheiten einer Nebenhöhlen-Spülung zu erörtern, unterbrach sie sich abrupt, und bedachte mich stattdessen mit einem Blick von Kopf bis Fuß, durch den ich mich plötzlich selbst wie eine Kranke fühlte. Beatrice, die ihren dicken gedrungenen Körper meistens in Flanellhemden und Stretchhosen packte, wirkte auf mich immer wie die männliche Hälfte eines lesbischen Paares – nur dass sie immer ohne die andere Hälfte auftauchte – und deshalb bereitete mir ihre Inspektion in dieser Post-Derrick-Periode ängstliches Unbehagen. „Sie können sich das wirklich vorstellen, oder?“ fragte sie, und dann fiel ihre Kinnlade herunter wie immer, wenn sie von einem Gedanken überwältigt wurde.

Während ich ihr eilig gute Besserung wünschte und langsam begann, die Stufen hinaufzusteigen, rief sie: „Warten Sie!“ und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Post in ihren Armen. Sie wühlte sich durch die Kataloge und zog eine dicke glänzende Broschüre hervor, die sie mir hinhielt. „Ich dachte, das könnten Sie vielleicht gebrauchen“, sagte sie, als ich zögernd den Katalog entgegennahm.

Ausdruckslos starrte ich auf das Cover, auf dem eine große vollschlanke Frau abgebildet war, die ein ähnliches Flanellhemd trug wie Beatrice und dunkle Jeans.

„Da gibt es großartige Angebote für Frauen wie uns“, fuhr sie fort und starrte mit einem freudigen Gesichtsausdruck zu mir hoch.

Frauen wie uns? Ich wollte mich schon aufregen, überlegte es mir dann aber anders und flüchtete lieber. „Danke, Beatrice. Ich bringe ihn zurück, wenn ich damit fertig bin.“

„Oh, das brauchen Sie nicht“, gab sie zurück, grinste breit und zeigte mir ihre braunen Zähne.

Bekenntnis: Ich bin mir nicht sicher, ob ein Fisch mit Fahrrad nicht doch glücklicher wäre.

„Warum sind wir noch nicht verheiratet?“ fragte ich Jade später am Abend am Telefon.

„Weil wir starke Frauen sind“, antwortete sie.

Diese Antwort begann mir langsam auf die Nerven zu gehen. „Was soll das eigentlich genau heißen? Dass ich Metall in meinem Kopf habe und zahllose Hiebe einfach wegstecken kann?“

„Wovon sprichst du?“

„Vielleicht suchen wir einfach nicht genug.“

„Oh, ich habe mich ziemlich intensiv umgesehen.“

„Ach so, ja. Wie läuft es denn mit Ted Wundervoll?“

Tiefer Seufzer. „Er hat nicht angerufen.“

Überflüssig zu erwähnen, dass ich schockiert war … und ein wenig entsetzt. Von allen Frauen, die ich kannte, war Jade immer die, die niemals von einem Typen versetzt wurde. Männer hatten Jade immer angerufen. Sie war meine letzte Hoffnung gewesen, dass Frauen nicht für immer und ewig dazu verdammt waren, wartend neben dem Telefon zu sitzen. Guter Gott. Was bedeutete das für den Rest von uns, wenn selbst Jade Probleme hatte, ein zweites Date zu bekommen?

Da ich nur zu gut die Frustration kenne, die auf solche Tiefschläge folgt, bot ich ihr das Einzige an, was eine Frau braucht, wenn sie von einem Typen hängen gelassen wird. Wut. „Er ist bestimmt einfach ein Arschloch.“

„Hm.“

„Oder schwul. Oder mental gestört. Ich meine, nur ein Vollidiot geht mit einer schönen intelligenten Frau wie dir aus und ruft dann nicht an, um ihr zu sagen, wie glücklich er ist, dass es sie gibt und er ein paar Stunden in ihrer Gegenwart verbringen durfte.“

„Er kann wahrscheinlich nicht mit der Tatsache umgehen, dass ich ihn in zwei von drei Billardspielen geschlagen habe.“

Es entstand ein Moment des Schweigens, weil wir darüber nachdachten, warum aus Ted Wundervoll ein Idiot geworden war.

„Vielleicht war ich zu aggressiv“, schlug Jade vor.

„Du machst Witze, oder? Jade, ich bin mir sicher, dass du nichts getan hast, was …“

„Ich habe ihn aufgefordert, noch mit zu mir zu kommen. Ich meine, nicht weil ich mit ihm schlafen wollte oder so. Aber ich habe doch gerade die neue Jamiroquai-CD gekauft, und ich wusste, dass er die gleiche Musik mag wie ich, und …“

„Ist er mitgekommen?“

„Nein. Er sagte, er müsse früh aufstehen. Und hat mir dann so einen Killer-Kuss vor meiner Tür gegeben und ist gegangen. Das ergibt einfach keinen Sinn. Der ganze Abend, bis hin zu diesem Kuss, war einfach unglaublich. Wir haben was getrunken, Billard gespielt und uns unterhalten, als würden wir uns schon ein ganzes Leben lang kennen. Wir mögen die gleiche Musik und hassen die gleichen Clubs. Ich konnte gar nicht glauben, wie gut wir uns verstanden haben. Wie viel wir gemeinsam hatten. Und die Chemie … unvorstellbar! Ich wünschte, er wäre mit hoch gekommen, dann hätten wir wenigstens miteinander geschlafen, bevor er sich davongemacht hat. Ich bin mir sicher, dass es ganz fantastisch gewesen wäre. Ja wirklich, ganz fantastisch.“

Ehrlich gesagt, war ich ratlos, aber ich überlegte, dass wir vielleicht einfach von falschen Tatsachen ausgegangen waren. „Vielleicht wird er noch anrufen. Wann seid ihr denn zusammen ausgegangen?“

„Letzten Samstag. Also vor dem letzten Wochenende. Okay, ich war am Donnerstag nicht in der Stadt, weil ich ein Shooting hatte, aber das wusste er nicht. Als ich am Sonntagmorgen nach Hause kam, hatte er keine Nachricht hinterlassen.“

Das sah gar nicht gut aus. Eine Woche, okay. Aber dass er in der zweiten Woche nicht einmal anrief nach dem Motto „Hallo, es war toll, ich würde dich gerne wiedersehen, sobald ich wieder etwas mehr Zeit habe“ war kein gutes Zeichen. Das mit ihm würde nichts mehr werden. „Vielleicht ist er ja vom Bus auf der Second Avenue überfahren worden. Die ist doch direkt an eurem Fitness-Center, oder? Vielleicht ist er spätabends nach dem Training rausgerannt und wummms.“

„Ja. Wenn er Glück hat.“

Ich wusste, dass wir niemals eine Antwort darauf bekommen würden. Warum hat er nicht angerufen – das war wohl die Frage, die sich alle Singlefrauen stellten. Und so langsam musste ich mir eingestehen, dass ich jetzt auch dazu gehörte.

Bekenntnis: Hochzeiten – egal was für welche – fangen mit einem Mal an, mir zu gefallen.

Als ob die Tatsache, wieder Single zu sein, nicht schon anstrengend genug gewesen wäre, war ich am nächsten Tag bei der Arbeit auch weiterhin gezwungen, die Fassade der noch immer glücklich liierten Frau aufrecht zu erhalten. Rebecca kam an meinen Schreibtisch, um mir die Details ihres unglaublich romantischen Abends mit ihrem Freund Nash zu erzählen.

„Er kommt mir in letzter Zeit einfach anders vor“, sagte sie mit vor Aufregung glitzernden Augen. „Irgendwie engagierter.“ Dann erzählte sie mir von dem tollen französischen Restaurant auf der Upper East Side, wo sie zu Abend gegessen hatten. „Wenn du und Derrick jemals nach Uptown kommt“, fügte sie hinzu, „dann könnten wir ja mal alle zusammen essen gehen.“ Woraufhin ich mit einem wie ich hoffte überzeugenden Lächeln entgegnete, dass wir das ja vielleicht mal tun könnten – wobei mir klar war, dass Derrick sich vermutlich niemals wieder an die Ostküste verirren würde, ganz zu schweigen von der Upper East Side.

Als ich mich dann an diesem Abend nach Hause schleppte, war ich überzeugt davon, dass es nur einen Sinn im Leben gab, nämlich jemanden zu finden – irgendjemanden zu finden –, der lange genug bei einem bliebe, damit man ihn vor den Altar zerren konnte. Einen soliden und verlässlichen Mann wie Nash. Oder besser noch wie Richard.

Wie um diese Erkenntnis zu bestätigen rief mein Vater an. Obwohl er einen guten Teil seines Lebens in Johnnie Walker Black ertränkt hat, kann ich nicht leugnen, dass er inzwischen doch ein ganz guter Fang ist. Mit dreißig hatte er sich bereits an die Spitze einer Investment-Gesellschaft gearbeitet. Sogar als er im zarten Alter von fünfundzwanzig um die Hand meiner Mutter anhielt, verdiente er bereits ein respektables Gehalt, und er schien die Worte „Bin auf dem Weg nach ganz oben“ auf die Stirn tätowiert zu haben: Es war damals ziemlich angenehm gewesen, in einem großen Stadthaus mit Garten zu leben. Nicht ohne Grund dauerte es zwanzig Jahre, bis meine Mutter bemerkte, dass ihr Mann nichts und niemanden so sehr liebte wie die Flasche.

„Hallo Dad“, sagte ich, „wie geht es dir?“ Diese Frage stellte ich noch immer etwas ängstlich. Seine zweite Frau Deirdre hatte ihn vor über einem Jahr zum dritten Mal innerhalb ihrer zwölfjährigen Ehe in eine Entzugsanstalt verfrachtet. Es überraschte mich, dass Deirdre ihn nie verlassen hatte. Aber vielleicht hatte sie Recht gehabt. Immerhin war er seit seinem letzten Absturz trocken geblieben, ein Jahr ohne Alkohol war sein Rekord. Trotzdem fürchteten wir alle ständig, dass er wieder einen Rückfall haben würde.

„Mir geht gut, wirklich gut. Habe endlich das Geld für den Backofen bekommen, der explodiert ist“, sagte er mit Zufriedenheit in der Stimme.

Das Ende seiner Trinkerkarriere hatte eine Nebenwirkung: Er war extrem prozesssüchtig geworden. Schon als er vor einigen Jahren zum ersten Mal versucht hatte, von der Flasche loszukommen, begann er jeden zu verklagen, der ihn seiner Meinung nach beleidigt hatte – sei es seine Firma, die ihn vor drei Jahren ohne entsprechende Abfindung in Rente geschickt hatte, oder, kürzlich erst, der Hersteller des Ofens, der angeblich grundlos in Flammen aufgegangen war. Mein Vater musste nicht lange nachforschen, um herauszufinden, dass dieses Modell ein halbes Jahr zuvor vom Markt genommen worden war.

„Wie geht’s meinem kleinen Mädchen?“ fragte er dann. „Hast du schon deine erste Million verdient?“

„Was das angeht, solltest du lieber auf Shaun zählen, Dad.“ Mein kleiner Bruder verdiente mit neunundzwanzig bei seiner Dot.Com-Firma mehr, als ich in den vergangenen vier Jahren bei Bridal Best insgesamt.

Er lachte. „Ich weiß nicht, Em. Du bist bestimmt noch immer im Rennen, bei deinem Dickkopf. Und wie geht es Wie-heißt-er-noch-gleich?“

Ungeachtet der Tatsache, dass unsere Beziehung zwei Jahre gedauert hatte, tat mein Vater immer so, als könne er sich an Derricks Namen nicht erinnern. Und obwohl mir klar war, dass mein Vater entzückt sein würde zu hören, dass ich nicht mehr mit einem Hunde ausführenden und Drinks servierenden „Penner“ zusammen war (mein Vater glaubte ihm nie, dass er zu Höherem bestimmt war und deswegen keinen anständigen Beruf ausüben könnte), konnte ich den Lügenpfad, den ich kürzlich erst betreten hatte, einfach nicht verlassen. „Ihm geht’s gut“, antwortete ich. „Habe ich dir erzählt, dass er sein Drehbuch verkauft hat?“

Egal was mit Derrick und mir geschehen war, ich hatte noch immer das Gefühl, ihn meinem Vater gegenüber als absolut perfekten und aufstrebenden Freund darstellen zu müssen. Es war zwar völlig sinnlos, aber trotzdem plapperte ich etwas von den unglaublichen Möglichkeiten, die sich Derrick jetzt eröffneten, nachdem er einen Fuß in der Tür hatte. Ich erwähnte natürlich nicht, dass auch der Rest seines Körpers diesem Fuß nach L.A. gefolgt war.

„Hm“, sagte mein Vater, er schien gar nicht richtig zuzuhören. Wie immer überlegte er vermutlich, ob seine Tochter mit einem Mann ohne vernünftige Altersversorgung überleben könnte. „Wie geht es Alyssa?“ fragte er dann. „Geht sie noch mit diesem Anwalt?“

Nachdem mein Vater einen Großteil seiner Rente den Anwälten in den Rachen warf, die er für seine verschiedensten Prozesse angeheuerte, hatte er einen besonderen Respekt gegenüber dieser Gattung von potenziellen Ehemännern entwickelt. „Ja, die beiden sind noch zusammen. Ich vermute, dass sie irgendwann heiraten werden, obwohl Richard im Augenblick total darauf konzentriert ist, Partner in seiner Kanzlei zu werden. Wahrscheinlich wird er erst danach die berühmte Frage stellen.“

„Das hört man gerne“, entgegnete mein Vater.

„Jade geht es auch sehr gut“, fuhr ich fort. „Eines der Layouts, das sie letztes Jahr gemacht hat, hat gerade einen Preis gewonnen.“

„Ach ja?“ fragte er zurück. Dann lachte er. „Diese Jade. Die hatte ja schon immer eine künstlerische Ader. Ich vermute, sie hat noch immer keinen Freund, was?“

„Du kennst doch Jade. Sie ist doch immer mit irgendjemandem zusammen“, sagte ich und versuchte zu verdrängen, dass ihr letzter Irgendjemand sich plötzlich in Luft aufgelöst hatte.

„Hmmm …“ Wieder hatte mein Vater abgeschaltet. Vermutlich sorgte er sich gerade darüber, dass Jades erfolgreiches Singledasein mich dazu verleiten könnte, ebenso unverheiratet bleiben zu wollen.

„Und wie geht es Deirdre?“ fragte ich.

„Oh, sie ist ganz außer sich, seit ich zugestimmt habe, ein neues Sofa fürs Wohnzimmer zu kaufen. Ich habe noch nie im Leben so viele Modelle angesehen. Sie hat mich vorhin erst nach dir gefragt. Sie möchte wissen, ob ihr am Memorial-Day-Wochenende zu uns kommt.“

Oje. Wie soll ich bis dahin ein Derrick-Double aufgetrieben haben? „Ähm … ich habe das noch nicht entschieden. Also, Derrick und ich unternehmen vielleicht irgendwas hier, in der Stadt.“

„Ihr wollt das Memorial-Day-Wochenende in der Stadt verbringen?“ fragte er. Mein Vater, der die letzten dreißig Jahre zwischen seiner Wohnung und diesem „schmutzigen Rattenloch“, wie er Manhattan nannte, hin- und herpendeln musste, konnte es nicht fassen, dass ich freiwillig hier lebte, und das auch noch in einer Wohnung von der Größe einer Briefmarke. Er gehörte zu den Hausbesitzern, die jedes Mal ein größeres Haus kauften als das vorige, obwohl nach der Scheidung seine Familie eigentlich kleiner geworden war. Sein derzeitiges Haus, ein ausgedehntes viktorianisches Gebäude in Huntington, setzte dieser Einstellung ein Denkmal.

„Ich weiß noch nicht, was ich am Memorial Day tun werde, ich habe noch nichts entschieden“, sagte ich, Angst schwang in meiner Stimme mit.

„Schon gut, schon gut. Kein Druck. Deirdre wollte es nur wissen, weil wir überlegen, übers Wochenende wegzufahren.“

„Oh.“ Und ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass mein Vater und Deirdre es vielleicht nicht verkraften würden, wenn ich an dem jährlichen Familien-Grillfest nicht teilnahm. „Also bitte, lasst euch durch mich nicht von euren Plänen abhalten“, antwortete ich schnell.

Wir sprachen noch eine Weile, bevor wir auflegten. Dann gab ich mit einem Seufzen, das in ein Stöhnen mündete, der Verlockung nach und schnappte mir ein Fotoalbum vom Regal. Sobald ich bei einem Foto von Derrick und mir angekommen war, starrte ich tief in seine geheimnisvollen Augen und suchte nach einer Antwort auf die Frage, was schief gelaufen war. Und während ich sein lächelndes Gesicht studierte, wurde mir klar, dass unsere Beziehung trotz der vielen guten Zeiten, die wir hatten, nicht mehr als ein großes Nichts gewesen war. Dann erinnerte ich mich an den bewundernden Ton meines Vaters, als er nach Richard gefragt hatte.

Vielleicht hatte mein Vater ja gar nicht so großes Unrecht. Vielleicht sollte ich mir einen Mann mit mehr Perspektiven und einer anständigen Karriere suchen. Ein Mann, der sich in der Welt bereits einen Namen gemacht hatte und jetzt nach einer Ehefrau Ausschau hielt. Das ist die Art von Mann, mit der ich ausgehen sollte. Jemand wie Richard, wo es nicht darum ging, ob er jemals Die Frage stellte, sondern nur wo und wann.

Ich rief Alyssa an, in der Hoffnung, dass sie mir einen heißen Kandidaten empfehlen könnte. Dann hätte ich zumindest eine Begleitung für den Memorial Day. Und vielleicht sogar für die Hochzeit meiner Mutter.

„Warum ein Anwalt?“ fragte Alyssa, als ich ihr meinen Vorschlag unterbreitet hatte.

„Du sagst das dermaßen abwertend, Lys. Dabei bist du, wenn sich seit unserem letzten Gespräch nichts geändert hat, nicht nur selbst Anwältin, sondern lebst auch noch mit einem Anwalt zusammen.“

„Aber hier geht es um dich, Em. Du warst noch nie von meinen Kuppelversuchen begeistert.“

„Das lag daran, dass mir bis jetzt nicht klar war, wie viel so ein Date mit einem Anwalt wert ist.“

„Oje. Das ist es also.“

„Nun, all meine Erfahrungen mit der männlichen Spezies in den letzten Jahren haben mich zu einer Einsicht gebracht: Männer denken erst über Heirat nach, wenn sie ein gewisses Gehaltsniveau erreicht haben. Und da ich davon ausgehe, dass die meisten Anwälte in unserem Alter jetzt genau bei diesem Niveau angekommen sind – oder es wahrscheinlich schon überschritten haben – sind meine Chancen, geheiratet zu werden, bei einem Anwalt am besten. Im schlimmsten Fall könnte ich mir den Weg zum Altar vor Gericht erstreiten.“

„Warte mal ‘ne Sekunde. Noch mal von vorne. Seit wann bist du so wild darauf zu heiraten? Was ist auf einmal los mit dir, Em?“

„Ich bin einunddreißig Jahre alt. Ich sollte mir darüber langsam mal Gedanken machen, findest du nicht?“

„Ich bin auch einunddreißig, deswegen kaufe ich mir doch nicht sofort ein Brautkleid.“

„Nimm das nicht persönlich, Lys, aber es ist ziemlich einfach, den Status einer nicht verheirateten Frau zu verteidigen, wenn der künftige Ehemann schon unter deinem Dach wohnt.“

„Zwischen Richard und mir ist in dieser Richtung noch nichts sicher.“

„Ja, aber ihr zwei seit definitiv …“ Plötzlich durchzuckte mich ein panisches Gefühl. Da stimmte was nicht. „Warte mal. Was ist da bei euch los?“

„Ach … nichts.“

„Bitte sag jetzt nicht, dass das mit dir und Richard zu Ende geht. Das würde meinen letzten Glauben daran zerstören, dass es tatsächlich so was wie Seelenverwandte gibt. Dass es nach der ersten Verliebtheit wirklich ein Bisans-Lebensende geben kann.“

„Es ist alles in Ordnung, denke ich.“

„Lys …“

„Na gut. Ich habe jemanden kennen gelernt.“

„Was?“

„Es ist nicht so, als ob ich das geplant hätte.“ Das musste sie sowieso nie. Die Männer verliebten sich in Alyssa immer einfach so.

„Wer ist es?“

„Versprich mir, nicht zu lachen.“

„Versprochen.“

„Dr. Jason Carruthers.“

Klar, dass Alyssa nach einem Anwalt sofort einen Doktor findet. „Lass mich raten … dein Gynäkologe?“

„Sei doch nicht lächer…“

„Dein Augenarzt? Dein Zahnarzt?“

„Mein Tierarzt.“

„Dein was?“ Plötzlich war mein Kopf angefüllt mit der Vorstellung von einem dürren, leise sprechenden Mann mit ungleichmäßigem Bartwuchs. Immerhin hatte ich noch nie einen Tierarzt getroffen, der nicht irgendwie den Patienten, die er behandelte, ähnlich sah.

„Ich habe dir doch erzählt, dass Lulu Probleme mit ihrer Darmbewegung hat? Nun, ich wollte zu meinem alten Tierarzt, aber der hat sich zur Ruhe gesetzt. Und stattdessen war Jason da.“

„Jason? Ihr seid bereits beim Vornamen?“

„Ich weiß, was du jetzt denkst. Aber ich habe noch nie jemanden wie ihn getroffen. Es ist nicht nur so, dass er einfach fantastisch ist. Da ist auch so etwas … Zartes an ihm.“

„Oh Gott. Sag’s nicht. Habt ihr beide etwa …“

„Nein. Nein! Nichts in der Art. Ich meinte damit, wie er Lulu behandelt.“

So langsam wurde ich misstrauisch. Lulu war Alyssas Lhasa Apso, ein tibetisches Hündchen, mit dem sie auf der Upper East Side aufgewachsen war und der die letzte Hinterlassenschaft ihrer Mutter war, als sie vor zwei Jahren starb. Alyssas Vater war schon viele Jahre zuvor an einem Herzinfarkt gestorben. Ihre Mutter hatte ihr den kleinen Hund während dieser schwierigen Jahre gekauft. Alyssa liebte diesen Hund, als ob er das letzte Mitglied der Familie sei. Und das war Lulu ja auch irgendwie. Wenn man mich und Jade nicht mitzählte.

„Wie geht es Lulu?“

„Nicht gut. Jason glaubt, dass es ihre Nieren sein könnten.“

Aha. „Nun, übereile nichts, Lys. Bekomme das mit Lulu erst mal hin, und dann kannst du ja sehen, wie die Dinge stehen. Du und Richard, ihr habt eine lange gemeinsame Vergangenheit. So was solltest du nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.“

„Ich weiß. Ich weiß. Es ist nur so … zwischen uns hat sich etwas geändert. Ich … manchmal kommt es mir so vor, als ob ich Richard gar nicht mehr richtig kenne. Vielleicht hat er sich verändert. Zur Hölle, vielleicht habe ich mich verändert.“

„Lys, ich sage doch nur, du sollst nicht …“

„Oh Mist. Ich muss auflegen. Richard ist gerade nach Hause gekommen. Hör mal, Em, das muss unter uns bleiben. Ich habe Jade nichts davon gesagt. Du weißt doch, wie sie sein kann – und ich habe keine Lust, dass sie sich gerade jetzt über mich lustig macht. Ich kümmere mich um diese Sache wegen eines Anwalts. Vielleicht kennt Richard jemanden. Ich melde mich …“

„Alyssa …“

„He, vielleicht könnten wir alle zusammen am Samstagabend Essen gehen? Richard ist geschäftlich nicht in der Stadt, und es ist schon ziemlich lange her, dass wir einen richtigen Weiberabend hatten. Ist Jade zurzeit da? Lass uns was ins Auge fassen.“

„In Ordnung, Lys, aber ich lasse dich trotzdem nicht so einfach davonkommen.“

„Okay, okay. Ich verspreche, ein gutes Mädchen zu sein. Zumindest bis Samstag.“

3. KAPITEL

„Zu heiraten ist der einfachere Teil.“

– Virginia McGovern, Mutter von Emma Carter –

Bekenntnis: Endlich beginnt die Weisheit meiner Mutter für mich einen Sinn zu ergeben. (Gott steh mir bei.)

Am nächsten Tag fand das Mittagessen mit meiner Mutter statt, die noch immer von der beruhigenden, aber absolut irrigen Annahme ausging, dass ihre Tochter sich mit ihrem Traummann auf dem sicheren Weg Richtung Bis-ans-Lebensende befand. Als ich auf das Restaurant in der Nähe meines Büros zusteuerte, beladen mit Katalogen und Reisebroschüren und Ideen, wie wir ihre Traumhochzeit Realität werden lassen könnten, war ich mir noch nicht sicher, wie ich das Thema Derrick ansprechen sollte.

Sie war schon da und hatte sich an einen Tisch in der hintersten Ecke gesetzt. Mit einem Mal wurde mir klar, von wem ich diese Angewohnheit, immer fünf Minuten zu früh zu erscheinen, übernommen hatte. Bin ich meiner Mutter doch ähnlicher, als mir bewusst ist? fragte ich mich entsetzt.

„Emma!“ rief sie, als ich mich dem Tisch näherte. Sie stand auf und umfing mich mit einer warmen, nach Aprikosen duftenden Umarmung. Als wir uns wieder voneinander lösten, dachte ich, dass es, zumindest was das Aussehen betraf, gar nicht schlimm wäre, meiner Mutter ähnlich zu sein. Mit neunundfünfzig war sie noch immer eine schöne Frau mit ihrem welligen kastanienbraunen Haar und den hohen Wangenknochen. Hätten wir nicht die gleichen Augen gehabt – auch wenn ihre mehr ins Grün tendierten –, wäre allerdings niemand auf die Idee gekommen, dass wir Mutter und Tochter waren. Wie nur konnte es geschehen, dass ich mausbraunes Haar und keine erwähnenswerten Wangenknochen bekommen habe? Vielleicht überspringen solche Vorzüge ja eine Generation.

„Wie geht es dir, meine Süße?“ fragte sie und musterte mich aufmerksam.

„Gut, gut“, entgegnete ich und versteckte mein Gesicht umgehend hinter der Speisekarte. Ich wollte nicht, dass auch nur die geringste Andeutung von Unglücklichsein mich verriet. „Müde. Bei der Arbeit ist wie immer die Hölle los.“

„Da ist es manchmal gut, sich einfach mal eine Pause zu gönnen. Ich habe gerade ein Buch gelesen, da geht es darum, dass man seine kreative Energie erneuern kann, indem man sich pro Tag nur fünfzehn Minuten Zeit nimmt, um zu meditieren.“

„Wir werden wohl kaum Räucherstäbchen im Büro anzünden dürfen. Leider.“

„Oh, Emma, du brauchst doch keine …“ Sie unterbrach sich, weil ihr offenbar klar wurde, dass sie mich nicht bekehren konnte. Wie immer. „Warum musst du nur so schwierig sein?“

„Tut mir Leid, ich …“ Dann erblickte ich den Ring, einen großen tiefblauen Stein, der prachtvoll an ihrer linken Hand glänzte. „Oh, ist er das? Ich meine, ist das der Ring, den Clark dir geschenkt hat?“

Sie strahlte und hielt mir ihre Hand hin. „Ist er nicht absolut perfekt? Wir haben uns gegen Diamanten entschieden, nachdem … na, du weißt schon. Ich beginne nach den letzten beiden Malen zu glauben, dass sie Unglück bringen … Wie auch immer, als Clark mir diesen Saphir geschenkt hat, sagte er, dass man früher glaubte, das sei das wahrste Blau der Welt, eine Spiegelung des Himmels. Er gab es mir als Zeichen seiner Treue und Aufrichtigkeit.“ Sie errötete. „Du kennst ja Clark. Er redet immer wie ein Poet.“

Meine Mutter wirkte definitiv überglücklich. So langsam begann ich zu argwöhnen, dass es diesmal vielleicht wirklich der Richtige war. Bis sie weitersprach.

„Clark und ich haben beschlossen, keusch zu sein.“

„Wie bitte?“ Normalerweise war das Sexleben meiner Mutter oder das Fehlen eines solchen ein Thema, das ich strikt vermied. Aber ich konnte nicht anders, als zu fragen: „Für immer?“

„Oh nein. Natürlich nicht!“ Sie blickte sich um und beugte sich dann vertrauensvoll über den Tisch. „Erst seit einer Woche, und Clark hat ein ziemliches Problem damit. Letzte Nacht erst …“

„Okay, okay“, unterbrach ich sie schnell, aus Angst, sie würde mir irgendwelche Details verraten, die ich nicht ertragen konnte. Über die Jahre hinweg hat mich der gelegentliche Singlestatus meiner Mutter zu ihrer Vertrauten gemacht, weil ich für lange Zeit die einzige Frau in ihrer Nähe war. Aber es gibt einfach Grenzen, die Mütter und Töchter niemals überschreiten sollten. „Lass mich raten. Bis zur Hochzeitsnacht?“

„Ja! Du hast also schon davon gehört, dass Paare das so handhaben?“

„Klar. Ich glaube, wir haben in Bridal Best auch mal eine Geschichte darüber gemacht. Nach dem Motto, wie man die Romantik altmodischer Hochzeiten wieder zurückgewinnt.“

„Ganz genau. Ich wusste, dass du davon gehört hast. Clark dachte zuerst, ich sei verrückt, aber du weißt ja, wie verständnisvoll er ist.“

„Kann ich den Damen zunächst was zu trinken bringen?“ fragte der Ober, als er sich endlich an unserem Tisch blicken ließ.

Meine Mutter sah auf und strahlte ihn derartig an, dass er fast errötete. „Wir wissen schon, was wir bestellen wollen, glaube ich“, sagte sie. Dann fragte sie mich: „Du hast doch schon gewählt, Emma?“

Nein, aber das bremste meine Mutter nicht, die dieses zeitsparende Benehmen an den Tag legte, seit sie ‚Zwölf Strategien, die Ihnen mehr Zeit schenken‘ gelesen hatte. „Fang du an. Ich bin dann gleich soweit“, antwortete ich und überflog hastig die Speisekarte.

„Ich nehme den Salat mit Hühnerbrust, das Dressing bitte extra, und Mineralwasser“, sagte sie. Dann wandte sie sich an mich: „Die Salate hier sind wirklich gut, Emma.“

Nun. Das ist genau die Art von Bemerkung, die mich sofort dazu bringt, paranoide Überlegungen anzustellen. Offensichtlich hatte ich also zugenommen, und meine Mutter versuchte ganz subtil, mir zu helfen. Zu verhindern, dass ich weiterhin allmorgendlich mit meinem wulstigen Bauch vor dem Schrank stehen und verzweifelt etwas zum Anziehen suchen musste, das die Pfunde vertuschen konnte. Wenn es etwas gab, worauf ich bei meiner Mutter immer zählen konnte, dann die Tatsache, dass sie jegliche Veränderung meines Gewichtes wahrnahm. Wenn ich mich nur auf mein eigenes Augenmaß verlassen würde, das mich in den Perioden, in denen ich das Bedürfnis habe, mich voll zu stopfen, komplett betrügt, würde ich eines Tages einen Kran benötigen, um aus dem Bett zu kommen. „Ich nehme den Cobb-Salat und Eistee“, sagte ich und gab dem Ober die Speisekarte. Er nickte nur kurz und verschwand.

„Hast du Derrick schon von der Hochzeit erzählt?“

„Ja, klar“, antwortete ich und fuhr dann hastig fort: „Jade auch. Sie kriegt sich gar nicht mehr ein vor Freude.“

Meine Mutter hielt inne und starrte mich einen Augenblick streng an. „Das heißt, du freust dich nicht so sehr?“

Jetzt ist es soweit. Zeit zu gestehen. „Es geht nicht darum, dass ich nicht glücklich darüber bin …“, begann ich.

„Du glaubst nicht daran“, ergänzte meine Mutter. „Das hatte ich schon befürchtet.“

Wow. Jetzt war klar, dass meine Mutter das Gespräch in die Hand nehmen würde, um mir ihre Gründe zu erklären, warum sie zum dritten Mal vor den Altar treten wollte.

„Ich weiß, dass es meistens so aussah, als würde ich den Kopf in den Sand stecken, und das habe ich wahrscheinlich auch getan“, bekannte sie.

Sie sah mich jetzt sehr ernst an, und ich erkannte ihren dringenden Wunsch, mir das alles begreiflich zu machen. „Für dich war das nicht das Schlechteste …“, sagte ich und versuchte alle Bedenken wegzuwischen, die sie über den Zickzackkurs ihres Lebens haben könnte.

„Manchmal war es schon schlimm. Und ich glaube, es lag daran, dass ich mich einfach geweigert habe, die Wahrheit zu sehen. Doch wenn ich jetzt Clark betrachte, sehe ich alles. Seine Wärme. Sein Verständnis. Sein liebes, liebes Herz.“ Ihre Augen verschleierten sich. „Ich sehe auch seine Fehler. Manchmal zum Beispiel ist er so in seine Arbeit vertieft, dass er meine Bedürfnisse komplett übersieht. Und manchmal fällt es ihm nicht leicht, Veränderungen zu akzeptieren. Und du weißt, dass mein Leben überwiegend aus Veränderungen besteht.“ Dann lächelte sie. „Und er schnarcht. Laut.“

„Du schnarchst auch, Mom.“

„Oh Em, verglichen mit ihm bin ich sehr leise.“ Sie lachte und wurde dann wieder ernst. „Aber eines weiß ich ganz sicher. Ich liebe ihn auf eine Art, wie ich nie zuvor einen Menschen geliebt habe. Ich würde alles für ihn tun. Überall mit ihm hingehen. Ich würde ihn pflegen, wenn er krank würde, was Gott verhüten möge. Und ich weiß diesmal ganz sicher, dass er das Gleiche für mich tun würde.“

Ihre Worte berührten mich auf eine Weise, die ich nicht erwartet hatte. Plötzlich stellte ich mir die Frage, ob Derrick und ich uns wirklich so nahe gestanden hatten, wie ich es mir immer erträumt hatte, waren wir doch nie willens gewesen, auch nur das Geringste füreinander aufzugeben. Doch schnell schluckte ich diesen Zweifel herunter. Und glücklicherweise wählte der Ober genau diesen Augenblick, um uns die Salate zu servieren.

Als er sich wieder entfernt hatte, fragte meine Mutter: „Ergibt das für dich irgendeinen Sinn?“

Ich erkannte an ihrem Gesichtsausdruck, wie wichtig es für sie war, dass ich sie verstand. Und obwohl ich aus verschiedenen Gründen noch immer nicht überzeugt war, begann ich langsam, ihre Wünsche und Hoffnungen in einem anderen Licht zu sehen. „Ich verstehe dich. Und ich freue mich wirklich für dich, Mom. Ich habe auch eine Menge toller Vorschläge dabei, wie wir aus Hochzeit Nummer drei was ganz Besonderes machen.“ Dann lachte ich. Ich konnte es nicht lassen, dem Ganzen zumindest ein kleine ironische Note beizumischen. „Denn du weißt ja so gut wie ich, dass es nicht wirklich darum geht, wen man heiratet, sondern wie.“

Und damit fielen wir gleichermaßen über unser Mittagessen und den Stapel von Hochzeitsträumen her, den ich in meine Tasche gepackt hatte. Alles schien in Ordnung, weswegen ich auch nicht verstehen konnte, warum ich plötzlich einen Kloß im Hals hatte, als wir nach dem Essen Fotos von Bräuten studierten, die gedankenverloren in die Kamera blickten, während sie unter Torbögen hindurchliefen, die man mieten und zur Feier des Tages aufstellen lassen konnte.

Mit einem Mal spürte ich, dass etwas in mir zerbrach. Und bevor ich es recht bemerkte, hatte ich meiner Mutter alles erzählt. Von Derricks katastrophaler Abreise und meinem Elend. Und nachdem wir gemeinsam ein paar Tränen vergossen und über die Gründe für die Trennung gegrübelt hatten – meine Mutter ist, was die Analyse von Beziehungen angeht, ziemlich gut, schließlich hat sie sich nach jeder beendeten Beziehung in Selbsthilfe-Bücher vergraben – stopften wir zum Dessert riesige Mengen Mokka-Schokoladentorte in uns hinein. Dazu hatten wir sogar große Kugeln Vanilleeis bestellt.

„Weißt du, was du jetzt wirklich brauchst?“ fragte meine Mom, als wir endlich mit der Nachspeise fertig waren. Ich starrte sie an und erwartete eine bedeutende Weisheit aus ihrem Mund.

„Strähnchen.“

Bekenntnis: Es gibt Leiden, die kann man nur mit schönem Haar kurieren.

Obwohl ich meiner Mutter grundsätzlich nicht allzu gerne zustimme, musste ich doch zugeben, dass ich typisches Beziehungs-Haar hatte. Lange braune Locken, die von Samstagabenden zu Hause erzählten, wo ich eingekuschelt in Derricks Hemd mit ihm Videos schaute, während wir uns mit allen möglichen Süßigkeiten voll stopften, die wir in dem Laden um die Ecke hatten finden können. Um zumindest dieses Problem zu lösen, tat ich, was ich vor der Derrick-Periode getan hatte, als Strähnchenfärben ein regelmäßiger Bestandteil meines Lebens gewesen war. An diesem Abend noch rief ich Sebastian, meinen früheren Friseur, an.

„Emma, was für eine Überraschung!“ rief er, einen leicht beleidigten Unterton in der Stimme. Das ist das Problem, wenn man mit dem Menschen, der schließlich für dein Haar verantwortlich ist, schon vorher befreundet war. Dann erwartet er, dass man die Freundschaft aufrecht erhält, auch wenn man eigentlich nichts anderes will als neue Farbe. Und nachdem ich mit Sebastian mehr als sechs Monate nicht mehr gesprochen hatte, musste ich ihn ein wenig umschmeicheln, indem ich ihn auf ein paar Drinks einlud.

„Oh, ich trinke nicht mehr, Emma. Vielleicht auf einen Tee?“ entgegnete er und nannte ein vegetarisches Restaurant in der Dritten Straße West, wo wir uns am nächsten Tag nach der Arbeit treffen wollten. Ich freute mich darauf, zu erfahren, wie es Sebastian inzwischen ergangen war, und mit ihm Geschichten über New Yorker Männer und andere merkwürdige Kreaturen auszutauschen. Als ich Sebastian kennen lernte, ging er mit einem College-Freund von mir, Keith. Und auch wenn Keith und Sebastian nicht länger als ein Semester zusammenblieben, reichte das doch, um die Bindung zwischen Sebastian und mir zu festigen. In der Trennungsphase hielt ich seine Hand, betrank mich mit ihm und schimpfte über die traurige männliche Spezies, Sebastian natürlich ausgenommen. Und als wir alles gesagt und getan hatten, begann Sebastian, mein Haar zu färben.

Wir hatten von Anfang an eine schwierige Beziehung, worunter mein Haar allerdings nie zu leiden hatte. Sebastian versuchte sämtliche Blondtöne an mir aus, ein paar Nuancen in Rot und sogar einmal ein kräftiges Schokoladenbraun – das bei seinem magischen Geschick sogar irgendwie gefährlich und aufregend aussah. Er war ein Künstler, aber wie alle Künstler auch äußerst launisch. Er bestand darauf, dass seine Freunde nicht bezahlten, beschwerte sich aber dann darüber, dass er ausgenutzt wurde. Das ging sogar so weit, dass ich heimlich Geld auf seinem Tisch liegen ließ, wenn ich nach einer Färbesitzung seine Wohnung verließ, so wie ein Liebhaber Geschenke für seine Geliebte hinterlässt. Außerdem war er entweder total offenherzig oder komplett verschlossen, was sein Liebesleben anging. Weswegen ich nie wusste, wann eine gute Zeit war, ihn nach dem Befinden eines seiner leckeren Freunde zu fragen – und die sahen wirklich immer unglaublich gut aus!

„Emma“, rief er und winkte mir zu, als ich mich durch den Samtvorhang durchgekämpft hatte, der zwischen der Saftbar und dem Restaurant hing. Dort thronte er wie eine Königin, die den ganzen Raum überblicken konnte. Irgendwie war es Sebastian gelungen, ein Restaurant zu finden, das zu seinem eigenwilligen Aussehen passte – es war ein Mix aus Gesundheit und Exotik. Inmitten goldgerahmter Bilder von verschiedensten Pflanzen und Kräutern und Streifen kräftiger Stoffe, die vor den Fenstern und an den Wänden hingen, schien Sebastian mit seinen üppigen blonden Locken, seinen asiatischen Augen und dem Engelsgesicht zu Hause zu sein.

Als ich den Tisch erreichte, umarmte er mich fest – eine Abweichung von seiner früheren Praxis, mich auf beide Wangen zu küssen.

„Setz dich! Setz dich! Ist dieses Restaurant nicht fabelhaft?“ fragte er und musterte mein Gesicht mit einer Mischung aus Verehrung und Sorge. Immer wenn ich mit Sebastian zusammen war, überkamen mich die gleichen Unsicherheiten wie in der Gegenwart einer schönen Frau – ich fragte mich, ob meine Brauen gezupft werden mussten, ob mein Lippenstift eine Auffrischung brauchen konnte. Kurz gesagt, ich fühlte mich, was Weiblichkeit anging, elendig unterlegen.

„Wie geht es dir?“ fragte er, nachdem wir einander gegenüber Platz genommen hatten. Riesige knallrote Speisekarten, eingeschlagen in einen Stoff, der ganz offensichtlich nicht gut für die Umwelt sein konnte – lagen vor uns.

„Gut, gut. Und wie geht es dir?“ fragte ich zurück, während ich einen Blick auf die Speisekarte warf. „Du siehst … erholt aus.“

„Wirklich? Oh! Ich habe dir so viel zu erzählen.“

„Wollt ihr bestellen?“

Als ich mich von der Speisekarte abwandte, sah ich mich einem gepiercten Bauchnabel über Hüfthosen gegenüber. Die Bedienung, ein schlaksiges Mädchen, dessen gelangweiltes Gesicht deutlich ausdrückte, wie egal ihr unsere Bedürfnisse waren, stand neben unserem Tisch und wartete. Sie sah erschöpft aus, und ich entdeckte den verblichenen Abdruck eines Stempels auf ihrem Handrücken, vermutlich von einem Club im East Village. Sie hatte ihre Frage mit leiser Stimme gestellt, ich vermutete, dass sie sich am liebsten einfach neben uns auf eine Bank gelegt hätte.

„Darjeeling für mich“, sagte Sebastian, und ich nahm an, dass er damit einen Tee meinte.

Mir fiel auf, dass es auf der Karte einen Mangel an koffeinhaltigen Getränken gab, weshalb ich Kamillentee bestellte. Denn wenn ich schon keinen Koffeinschock bekommen sollte, dann konnte ich genauso gut gleich das andere Extrem wählen.

„Komm, erzähl, erzähl, erzähl. Wie läuft es so? Derrick?“ fragte Sebastian und drückte sich in die Kissen auf seinem Stuhl.

„Es läuft gut. Derrick ist … weg.“

„Weg. Im Sinne von …?“

„Er hat einen Job angeboten bekommen und ist an die Westküste gezogen.“

„Oje.“ Sebastian rümpfte mitleidig seine hübsche kleine Nase.

„Nun ja, ich schätze, er hat vorher genug Warnschüsse abgegeben.“

„Das ist das Problem mit ehrgeizigen kreativen tollen Männern. Sie haben immer etwas Besseres zu tun, als sich mit einem abzugeben.“

Ich nahm mein Wasserglas und stieß mit Sebastian an. „Auf die Drückeberger.“

„Drückeberger mit Treuhandvermögen“, antwortete Sebastian und trank einen Schluck. „Männer ohne Geld machen keinen Spaß.“

„Stimmt. Ich denke darüber nach, mich, was Männer angeht, nach oben zu orientieren. Ich habe die entsprechenden Brüste, jetzt brauche ich nur noch eine anständige Haarfarbe. Was meinst du Sebastian? Hast du Lust?“ Ich lachte, und versuchte, nicht zu verzweifelt zu klingen. Er würde mir helfen, er wusste genau, wie er das tun konnte. Ich musste einfach wieder blonder werden, und Sebastian war der Einzige, dem ich das zutraute.

„Oh Emma. Ich habe festgestellt, dass Haarfarben – selbst großartige Haarfarben – nicht all deine Probleme lösen können.“

Erst jetzt fiel mir auf, dass Sebastian sich auf elementare Weise verändert hatte. Ich bekam Angst. „Erzähl es mir“, entgegnete ich und versuchte, fröhlich zu klingen.

„Erinnerst du dich an John? Den unmöglichen John?“

„Seid ihr wieder zusammen?“ fragte ich ungläubig. John war der Mann, der Sebastian etwa drei Jahre lang hatte leiden lassen. Erfolgloser Schauspieler, der er war, schwor er Sebastian immer genau dann seine unsterbliche Liebe, wenn er kurz davor war, mit einem muskulösen Produktionsassistenten oder einem Garderobenjungen wegzulaufen.

„Nein. Nein. Auf keinen Fall“, sagte er und kniff die Lippen zusammen, als die Bedienung den Tee vor uns abstellte. „Genauer gesagt ist John dauerhaft ersetzt worden.“ Er begann, in der glänzenden Tasche herumzuwühlen, zog dann eine Brieftasche heraus und zeigte mir ein Foto.

Ich war schockiert, als ich eine indische Frau erblickte, die in traditionelle Kleidung gehüllt war, mit Holzketten und einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Nicht nur war sie eine Frau – eine unerhörte Vorstellung –, sondern zugleich alarmierend uninteressiert an all den weiblichen Dingen, die Sebastian normalerweise so viel Spaß bereiteten. Dinge wie Lippenstift, Dekolletee und perfekt gezupfte Augenbrauen.

„Ich habe die Frau getroffen, die mir das Leben gerettet hat“, sagte er lächelnd.

Ich starrte ihn perplex an. „Ich verstehe nicht.“

„Emma, ich habe die unglaublichste Transformation hinter mir.“

„Du bist doch nicht etwa heterosexuell geworden, oder?“

„Gott bewahre!“ schrie er und schüttelte den Kopf. „Nein, darum geht es nicht. Das hier ist mein Guru!“

„Guru?“

Er lächelte freundlich, wie man kleine Kinder anlächelt, die dringend aufgeheitert werden müssen. „Lass mich von vorn anfangen. Ich habe John vor ein paar Monaten getroffen, und du würdest nicht glauben, wie er aussieht. Zum Beispiel hat er eine totale Glatze.“

„John?“ fragte ich und erinnerte mich daran, wie stolz er immer auf seine langen dunklen Locken gewesen war.

„Ich weiß, ich weiß“, sagte Sebastian und sah einen Augenblick lang traurig aus, als ob der Verlust dieses schönen Kopfes ihn noch immer schmerzte, unabhängig davon, welche Offenbarungen das Leben ihm in letzter Zeit gewährt hatte. Als er sich wieder im Griff hatte, fuhr er fort: „Er strahlte so eine Abgeklärtheit aus. Sein Gesicht war fast völlig verändert – er sah sogar noch fantastischer aus, als du dir vorstellen kannst!“ Bei der Erinnerung daran riss er die Augen auf. „Ich fragte ihn, wie es ihm geht, und er begann mir zu erzählen, dass er einen ganz neuen Weg beschritten habe. Als ich ihm weitere Fragen stellte, sagte er, dass er eine Art Hinduismus praktiziere – und sich zum Heiler ausbilden lassen würde.“

„Wow. Wer hätte das gedacht“, sagte ich, trank meinen Kamillentee und wünschte plötzlich, es handelte sich dabei um etwas anderes … sagen wir, einen Martini. Meine Hoffnungen wegen der Haare schwanden, vor allem als mir auffiel, dass Sebastian seine Augenbrauen hatte wuchern lassen. Das ist kein gutes Zeichen für einen Mann, den ich immer für seinen Schönheitssinn bewundert hatte.

„Und dann hat er mich zu so einem Treffen eingeladen“, sagte Sebastian und nahm die Teetasse in beide Hände. „Ich muss zugeben, dass ich anfangs noch Sex im Sinn hatte, als ich zustimmte. Du weißt ja, dass, egal, was zwischen John und mir passiert ist, wir damit niemals Probleme hatten. Aber von dem Augenblick an, wo ich durch die Türen des Holistischen Zentrums für Heilung trat, war ich ein neuer Mensch. Innerhalb von Wochen war ich auf dem richtigen Weg, und jetzt stehe ich kurz davor, selbst Heiler zu werden. Ich habe sogar vor, im Herbst nach Indien zu reisen, um den Guru zu treffen. Ich kann es kaum erwarten.“

Ich war zerknirscht. Er sah glücklich aus. Wer war ich, dass ich sein Glück mit meinen eigenen egoistischen Bedürfnissen trübte? „Das ist wunderbar, Sebastian.“

„Ich wusste, du würdest es verstehen, Emma. Ich hatte sogar darüber nachgedacht, dich anzurufen und zu einem solchen Treffen einzuladen. Ich glaube, dass vor allem du wirklich davon profitieren könntest.“ Er stellte die Tasse ab und umschloss meine Hände mit seinen.

Ich muss zugeben, ich spürte so etwas wie beruhigende Stärke in diesen Fingern. Aber da ich so etwas natürlich nicht wahrhaben wollte, machte ich eine letzte, halbherzige und halblustige Bemerkung.

„Dann vermute ich mal, dass ein paar aschblonde Strähnen überhaupt nicht in Frage kommen, hm?“

„Oh Emma“, lächelte er glücklich und ließ meine Hände los. „Das kommt mir jetzt alles so weit entfernt vor.“ Dann blinzelte er. „Davon abgesehen weißt du, dass ich dich immer als Goldblonde gesehen habe.“

Bekenntnis: Ich versuche, die Karrierefrau in mir zu finden – und stelle fest, dass sie gerade beim Mittagessen ist.

Am nächsten Tag brütete ich über ein paar alten Notizen und versuchte, einen Artikel über moderne Blumenarrangements zu schreiben, als Marcy Keller, die Produktionsassistentin und Bürotratschtante in mein Zimmer kam.

„Was gibt’s Neues, Emma?“ fragte sie und ließ sich in meinen Besucherstuhl fallen. Umgehend schrillten sämtliche Alarmglocken. Die einzigen Gründe, warum Marcy Keller sich jemals auf meinen Besucherstuhl setzen würde, sind a) dass sie ziemlich interessante Gerüchte aufgeschnappt hatte, die sie bereits allen anderen im Büro erzählt hatte, und nun war ich als Letzte dran oder b) dass sie ziemlich interessante Gerüchte über mich aufgeschnappt hatte, die sie jetzt unauffällig überprüfen wollte.

Ein Schauder durchfuhr mich. Sie wussten es. Sie hatten von meiner kürzlichen brutalen Trennung erfahren. Aber wie?

„Was bringt dich denn in diesen Teil der Welt, Marcy?“ fragte ich beklommen.

Sie blickte auf, beugte sich zu mir und kniff die Augen hinter den quadratischen Brillengläsern fest zusammen. „Sandra hat gekündigt“, zischte sie mir zu. Dann strich sie sich ihr kurzes dunkelbraunes Haar hinter die Ohren, lehnte sich zurück, verkreuzte die Arme über ihrer armselig kleinen Brust und beobachtete den Effekt, den die Worte auf mich hatten.

Erleichterung durchströmte meinen ganzen Körper, dann erst begriff ich. Sandra war eine der drei Chefinnen vom Dienst bei Bridal Best, und damit war mit einem Mal eine Position frei, die eine Redakteurin wie ich anstreben konnte. Jetzt verstand ich auch, warum ausgerechnet mir dieses Gerücht zugetragen wurde. Nachdem ich vier Jahre Erfahrung hatte und am längsten dabei war, war ich diejenige, die sich um diese Stelle einfach bewerben musste. Also war Marcys Mission tatsächlich, etwas herauszufinden. Ich beschloss, ihr diese Genugtuung nicht zu gönnen.

„Sandra hat gekündigt?“ begann ich und lehnte mich zurück. „Das ist ja krass.“ Ich machte eine Pause, als ob ich darüber nachdenken würde, um die Spannung noch zu erhöhen. „Hm. Und ich dachte, sie würde für immer hier bleiben. Wie lang war sie hier, fünf, sechs Jahre?“

„Siebeneinhalb“, antwortete Marcy, Freude in der Stimme wegen des Skandals, dass eine so langjährige Mitarbeiterin gekündigt hatte. „Wie ich hörte, hat sie es mit Patricia nicht mehr ausgehalten.“

Jetzt wusste ich, dass sie einfach irgendwas behauptete. Unsere Herausgeberin war eine ruhige ausgeglichene Persönlichkeit und die Letzte, die einen Streit bei Bridal Best vom Zaun gebrochen hätte. Das Magazin war ihr Lebenselixier. „Hm. Das ist kaum vorstellbar.“

„Nun, weißt du, du kennst doch Sandra. Sie kann schon eine ziemliche Zicke sein, wenn nicht alles so läuft, wie sie es sich vorstellt. Und ganz besonders, seit ihr Mann sie verlassen hat.“

„Ihr Mann hat sie verlassen?“ fragte ich, plötzlich doch in die Geschichte hineingezogen, obwohl ich das gar nicht gewollt hatte.

Marcy verdrehte hinter den quadratischen Brillengläsern die Augen. „Das ist schon ein halbes Jahr her. Gott, Emma, wo warst du denn die ganze Zeit?“

Ich klappte den Mund zu. „Na ja, normalerweise bin ich zu beschäftigt, um mich um solchen Klatsch und Tratsch zu kümmern“, antwortete ich. Manchmal musste man Marcy einfach mal in ihre Schranken weisen.

Marcy schluckte schwer und begann runterzuschalten. „Stimmt, du arbeitest viel. Ich habe dich sogar ein paar mal Überstunden machen sehen,“ sagte sie und änderte dann die Taktik, denn offenbar war ihr klar geworden, dass sie mit Spott bei mir nicht viel ausrichten konnte.

„Nun ja. Manchmal. Wenn ich einen Abgabetermin habe“, entgegnete ich. Ich wollte keinesfalls als Streber gelten, als jemand, der sein Leben und seine Träume aufgegeben hat und – wie in Sandras Fall – auch den Ehemann, nur um ein monatliches Magazin herauszubringen, in dem steht, wie man sich glücklich verheiratete.

„Nein“, protestierte sie und blickte mich unverwandt an. Mir fiel zum ersten Mal auf, dass ihre Augen hinter der Brille grau waren. „Du arbeitest wirklich hart. Ich habe deinen Artikel ‚Das Cinderella-Syndrom: Wie man den perfekten Hochzeitsschuh findet‘ gelesen. Der war erstaunlich.“

Nun hatte sie mich in der Hand. „Ähm, danke. Das hat mir irgendwie Spaß gemacht.“

„Ich fand es einfach toll, wie du den Kampf, den Schuh zu finden, der zugleich bequem und wunderschön ist, beschrieben hast. Und das immer mit dem Märchen im Hintergrund – das war echt clever. Wie war noch mal der erste Satz?“

Ich lehnte mich mit einem etwas beschämten Lächeln zurück und zitierte: „Jetzt, wo Sie Ihren Traumprinzen gefunden haben, müssen Sie sich ernsthaft Gedanken über die Schuhe machen, mit denen sie den langen – und vermutlich schmerzhaften – Gang zum Altar antreten wollen.“

„Ja. Ja!“ rief Marcy uns setzte sich auf. „Das war fantastisch.“

„Danke, Marcy. Mir war gar nicht klar, dass du unsere Zeitschrift tatsächlich liest.“

„Machst du Witze?“ Marcy lehnte sich erneut zurück. „Du bist gut, Emma, wirklich gut. Wie lange bist du nun schon hier? Dreieinhalb Jahre?“

„Nächste Woche sind es vier Jahre und zwei Monate.“

„Wow.“ Sie grinste mich an, dann kniff sie die Augen nachdenklich zusammen. „Weißt du, du bist eine sichere Kandidatin für diese Position.“

„Das ist nett, dass du das sagst, aber …“

„Ich meine, du bist von allen Redakteuren am längsten da.“

„Ich weiß, aber das bedeutet nicht …“

„Und jeder weiß, dass du den besten Stil hast“, endete sie mit einem zufriedenen Glitzern in den Augen.

„Tatsächlich?“

„Ach Emma. Mir gegenüber brauchst du doch nicht so bescheiden zu sein. Ich meine, ich bin einfach davon ausgegangen, dass du dich bewerben wirst. Du bist tatsächlich die aussichtsreichste Kandidatin.“

Ich beugte mich nach vorne. „Jetzt wo du es erwähnst, ich habe schon mal darüber nachgedacht, mit Caroline über meine Aussichten in dieser Firma zu sprechen.“ Es stimmte, dass ich vor kurzem ganz vage darüber nachgedacht hatte, mit meiner Chefin meine Zukunft zu diskutieren. Aber in meinen Fantasien stellte ich mir immer vor, dass ich ihr Büro mit einer fertigen Ansprache betreten würde, um dann willkürlich loszujammern, dass niemand erkannte, was für ein großartiges Talent ich war. Und genau das hielt mich immer davon ab, Caroline um ein solches Gespräch zu bitten. Aber jetzt schien es ja so – zumindest laut Marcy –, dass alle ganz schön beeindruckt von meinem Können waren.

„Du solltest mit ihr sprechen.“

„Hm. Vielleicht irgendwann nächste Woche, ich meine, ich muss diesen Artikel hier noch schreiben und einen anderen redigieren …“

„Ich würde es nicht zu lange hinausschieben“, sagte Marcy warnend. Sie stand auf und beugte sich für den letzten tödlichen Treffer noch einmal nach vorne. „Ich meine, du willst doch nicht, dass jemand anderes sich zuerst bewirbt.“

Da hatte sie Recht. „Ja, das ist wohl wahr.“ Ich sah zu ihr hoch, versuchte einen Hauch von Kameradschaft in ihrem Gesicht zu entdecken, sah aber nur irgendwas, das an Sympathie erinnerte oder an Wohlwollen, doch ich war schon viel zu begeistert, um mir diesen Augenblick verderben zu lassen. „Ich werde es tun. Gleich Montagmorgen. Vielleicht kann sie mir einen Tipp geben, wie ich Patricia am besten ansprechen soll.“ Allein der Gedanke, mich der Verlegerin zu nähern, versetzte mir einen Stich in den Magen. Ich bezweifelte, dass Patricia überhaupt von meiner Existenz wusste. Aber ich konnte sie eben nicht umgehen, wenn ich meinen Entschluss wirklich in die Tat umsetzen wollte.

Und jetzt konnte ich nicht mehr zurück. Marcys triumphierendem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, den ich sah, als sie sich hastig entschuldigte und aus meinem Zimmer rannte, würde sie die Neuigkeit sofort weitererzählen – dass Emma Carter, die desillusionierte Redakteurin auf dem Höhepunkt ihrer Berufskrise, gerade beschlossen hatte, sich für die höchste Position zu bewerben, die eine Frau ohne Begeisterung für das Hochzeitsgeschäft jemals bei Bridal Best erreichen könnte.

Oh Gott. Was hatte ich nur getan?

Umgehend suchte ich Rebecca auf, weil ich hoffte, dass sie mir ein wenig Einblick in die Interna geben könnte.

„Hallo“, sagte ich und setzte mich auf den Besucherstuhl.

„Hi“, gab sie zurück, riss ihren Blick vom Computer los, auf dessen Tastatur sie wild herumgetippt hatte.

„Ich störe doch nicht, oder?“ fragte ich, weil mir erst jetzt auffiel, wie konzentriert sie bei der Arbeit war. Ich schien wirklich keinen guten Zeitpunkt gewählt zu haben.

„Nein, nein. Ich wollte nur diesen Artikel noch vor dem Mittagessen ins Reine bringen“, sagte sie, speicherte die Datei ab und wandte sich mir zu.

Einen Artikel vor dem Mittagessen ins Reine bringen? Seit wann war Rebecca so strebsam? Doch ich hatte es zu eilig, um darüber nachzudenken, und deswegen begann ich unvermittelt: „Hast du das von Sandra gehört?“

„Ja, klar. Marcy hat bereits ihre Runde gemacht“, sagte Rebecca und verdrehte die Augen.

„Ich habe mir überlegt, mich für die Stelle zu bewerben.“

Sie zögerte nur ganz kurz, aber lang genug, dass mir ihre Überraschung auffiel.

„Findest du nicht, dass ich das tun sollte?“ fragte ich und fühlte mich plötzlich in der Defensive. Was hatte ich an mir, dass Rebecca glaubte, ich sei noch nicht reif für eine gehobenere Position? Und wie konnte ausgerechnet sie so über mich urteilen, wo sie doch erst vor eineinhalb Jahren hier angefangen hatte?

„Nein, nein. Das meine ich nicht.“ Dann lächelte sie. „Du solltest es versuchen. Wenn es das ist, was du wirklich willst.“

„Natürlich will ich es! Ich meine, was soll ich denn sonst tun? Noch weitere vier Jahre hier sitzen und das gleiche miese Gehalt bekommen? Es ist ja schließlich nicht so, als ob sich eine solche Gelegenheit jeden Tag bietet. Sandra hat sich siebeneinhalb Jahre Zeit gelassen, diese Position freizumachen.“

„Das ist wahr.“ Sie seufzte. „Für sie ist alles anders geworden, seit ihr Mann sie verlassen hat.“

„Mensch, diesen Schocker habe ich eben erst erfahren. Dabei haben sie doch erst vor zwei Jahren geheiratet. Hat dich das nicht umgehauen?“

„Doch“, antwortete Rebecca. „Ich dachte immer, dass sie und Roger eine perfekte Ehe führen.“

„Du kennst ihn?“

„Mhm. Sandra hat Nash und mich vor über einem Jahr zum Essen eingeladen. Sie ist auch ins Sarah-Lawrence-College gegangen und hat ein paar Jahre vor mir ihren Abschluss gemacht. Wahrscheinlich dachte sie, dass wir eine Menge gemeinsam haben. Es war ein sehr netter Abend. Sandra ist wirklich ganz in Ordnung, wenn man sie erst mal näher kennt.“

„Klar …“ Diese Neuigkeit warf mich nun wirklich aus der Bahn. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass Sandra und Rebecca Freundinnen waren. Und schon wieder meldete sich mein Misstrauen gegen Rebecca. Wie sehr war sie in dieser kleinen verrückten Welt verankert?

Das sollte ich schnell herausfinden.

„Ich finde, du solltest dich um den Chefin-vom-Dienst-Posten bewerben, Emma“, begann sie. „Wenn du meinst, dass das der Weg ist, den du einschlagen willst.“ Dann schaute sie kurz auf ihre Hände, verschränkte sie im Schoß und blickte mich wieder an. „Aber um fair zu sein, möchte ich dich wissen lassen, dass ich mich bereits selbst um die Position beworben habe.“

Bekenntnis: Meine innere Karrierefrau hat soeben das Gebäude verlassen.

„Wer glaubt sie eigentlich, dass sie ist?“ fragte Alyssa und starrte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen über den Tisch hinweg an. Wir hatten uns zum Abendessen in der Bar Six, eines unserer Lieblingsrestaurants im West Village, getroffen. Jade wollte auch mit uns essen, war aber noch nicht da. Wir saßen in der Nähe des Tresens, damit Jade rauchen konnte, und tranken Cosmopolitans. Ich hatte Alyssa die unglaublichen Details meiner plötzlichen Konkurrenzsituation ausgerechnet mit Rebecca bereits erläutert.

„Sie hat nicht mal sonderlich viel Zeit in den Job investiert“, beschwerte ich mich. „Obwohl, sie hat Zeit in die gute alte Sandra investiert. Wahrscheinlich hat Sandra sie genauestens darauf getrimmt, wie man diese Position am besten bekommt.“ Ich nahm noch einen Schluck von meinem Drink in der Hoffnung, dass meine Nerven sich endlich beruhigen und die irritierenden Kopfschmerzen verschwinden würden. „Warum passiert so was immer nur mir?“

„Was genau passiert dir denn?“ fragte Jade, die gerade hereingekommen war. Sie bückte sich schnell, um jede von uns zu umarmen, und ließ sich dann auf den freien Stuhl fallen.

„Rebecca kämpft mit Emma um den Posten als Chefin vom Dienst bei Bridal Best“, informierte Alyssa sie.

Jade warf mir einen abschätzenden Blick zu. „Du willst dich als Chefin vom Dienst bewerben?“

„Ja“, zischte ich sie an. Und dann begann ich zu argumentieren: „Warum nur ist das so schwer zu glauben? Ich schreibe seit vier Jahren für dieses Magazin – und ziemlich brillant, wie ich anführen darf. Gestern erst hat meine Chefin mich für einen Artikel über die passende Unterwäsche zum Hochzeitskleid gelobt. Der war definitiv gut – ich meine, für einen Artikel über Unterwäsche. Ich hatte diese Wahnsinns-Idee für den Titel – ‚Die Braut darunter‘.“

Ich setzte mich schwer atmend zurück und betrachtete Jades ausdrucksloses Gesicht.

„Klingt … gut“, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an. Der Ober kam, um die Bestellung aufzunehmen. Er war jung und wunderschön, wie es die Ober in der Bar Six meistens sind. Er hatte etwas Mediterranes an sich. Ich beobachtete Jade, wie sie ihn von Kopf bis Fuß musterte, während ich beleidigt schmollte.

Ich wusste genau, was Jade durch den Kopf ging. Sie dachte, dass ich mit einem Mal mein Herz und meine Seele verpfänden wollte für eine Karriere, die mich noch vor wenigen Wochen kaum weniger hätte interessieren können. Aber da hatte sie Unrecht. Sie hatte keine Ahnung, dass in den Derrick-Jahren meine Stellung bei Bridal Best immer wichtiger für mich geworden war. So etwas wie ein Lebensinhalt geworden war. Was keiner wusste, außer Derrick natürlich. Derrick, der mich immer darum beneidet hatte, dass ich eine der ganz wenigen war, die tatsächlich einen festen Job als Redakteurin ergattert hatte, wohingegen er alle möglichen Jobs annehmen musste, bedienen oder Hunde spazieren führen, um seine „Kunst“ finanzieren zu können. Da fällt mir ein, dieser Derrick, der mich so dafür bewundert hatte, hatte bisher nicht einmal angerufen, um mich wissen zu lassen, wie er ohne mich auskam.

Als meine Gedanken wieder in die Realität zurückkehrten, hörte ich, wie Alyssa ruhig die Fakten aufzählte, warum ich viel qualifizierter für den Job war als Rebecca. Die gute alte Alyssa. Ich konnte immer darauf zählen, dass sie zu mir hielt. Jade hingegen war da schon etwas komplizierter.

„Okay, okay“, sagte sie. „Ich verstehe, was du meinst.“ Der Ober kam zurück, stellte vorsichtig einen Cosmopolitan auf den Tisch, und sie musterte seine Unterarme und Hände. Dann schaute sie wieder zu uns hoch und sagte: „Also, dann lasst uns wenigstens richtig darauf anstoßen.“ Wir erhoben unsere Gläser, und sie sagte: „Auf Emmas nächste Inkarnation – als Chefin von Stepford Editors.“

Wir erstarrten mit erhobenen Händen. Alyssa lächelte müde. „Jade!“

„Okay, okay. Ist ja okay. Vergesst es. Dann einen Trinkspruch, hinter dem ich wirklich und wahrhaftig stehen kann“, rief sie und warf einen letzten bedeutungsvollen Blick in meine Richtung. „Auf unseren Ober. Weil er so lecker aussieht, dass ich die Hoffnung auf Sex doch nicht vollkommen aufgeben werde.“

Wir stießen an, Alyssa lachte, und ich war erleichtert, dass jetzt ein Thema dran war, das nichts mit meinem nächsten Karriereschritt zu tun hatte.

„Und was läuft bei dir?“ fragte Alyssa. „Emma hat mir erzählt, dass du einen tollen Mann kennen gelernt hast. Ted heißt er, oder?“

„Ted.“ Jade seufzte. Dann schüttete sie ihren Drink hinunter und zuckte mit den Schultern. „Ich schätze, Emma hat nicht erzählt, dass Ted wie vom Erdboden verschluckt ist.“

„Was ist passiert?“ fragte Alyssa.

„Was schon? Er hat nicht angerufen.“ Sie drückte ihre Zigarette aus und zuckte noch mal mit den Schultern.

Obwohl sie versuchte, es nicht zu zeigen, entdeckte ich etwas in ihren Augen, das darauf hindeutete, wie sehr sie diese Erfahrung mitgenommen hatte. Ich fragte mich, wieso. Dachte dann aber, es läge vermutlich daran, dass Ted der erste Mann war, der bei ihr jemals unter die Kategorie „Männer, die nie anrufen“ gefallen war. Und so was hinterließ eine Frau ja nicht etwa mit gebrochenem Herzen, sondern mit der schmerzlichen Frage warum? Die Antwort wandte sie dann normalerweise eher gegen sich selbst als gegen ihn: „Vielleicht bin ich zu fett, zu langweilig, zu pleite, zu selbstbewusst, zu unsicher, zu aggressiv, zu passiv, zu glücklich, zu deprimiert …“ Zumindest dachte ich immer so. Aber auch die selbstbewussteste Frau konnte ins Zweifeln geraten bei einem so wortlosen aber deutlichen Korb. Vielleicht sollte man sie daran erinnern, dass Ted Wundervoll gar nicht so wundervoll war.

„Ich habe mal gelesen, dass die Größe der Muskeln genau umgekehrt proportional zur Größe des Gehirns ist“, begann ich. „Hast du nicht gesagt, dass Ted ziemlich viele Muskeln hatte?“

Jade lächelte halbherzig. „Schon gut, schon gut. Ich weiß, was du vorhast. Und außerdem habe ich gesagt, dass Ted schlank ist. Wie ein Surfer. Aber darum geht es nicht.“

„Worum geht es denn?“ fragte Alyssa, offenbar war auch ihr aufgefallen, wie frustriert Jade war.

„Es geht darum, dass ich dachte, wir würden uns wirklich gut verstehen. Ich meine, wir mögen dieselbe Musik. Er geht in die gleichen Clubs. Ihm gefällt sogar Simply Red. Und ihr wisst, wie ich auf Simply Red stehe.“

„Na ja, ihr seid doch nur einmal miteinander ausgegangen“, sagte Alyssa, wie immer logisch denkend.

„Aber dieses eine Mal war fantastisch“, behauptete Jade. „Und das geschieht nicht sonderlich oft.“

Da hatte sie Recht. Wenn ich etwas in dieser großen Stadt gelernt hatte, wo jegliche Interaktion mit dem anderen Geschlecht gerne von Eile oder Verkehrsstaus oder was auch immer vereitelt wird, dann, dass ein bedeutungsvoller Abend mit einem Mann der Anfang von etwas sehr Ernstem sein konnte. Und deswegen war es auch so ein Desaster für mich, dass ich nach zwei Jahren, in denen Derrick und ich von tief schürfenden Gesprächen bis zur Zahnbürste alles geteilt haben, diesen Mann verloren habe.

„Männer sind herzlose Bastarde“, warf ich ein.

„Na ja, da ich weiterhin darauf hoffe, mal wieder Sex zu haben, muss ich es irgendwie schaffen, einen dieser Bastarde lang genug in meiner Nähe zu behalten.“

„Vielleicht konzentrierst du dich zu sehr auf das Resultat, Jade“, warf Alyssa ein. „Vielleicht solltest du dich diesen Liebesdingen mehr auf Zen-Art nähern.“

„Leicht für dich, so was zu sagen, wo du doch deinen Lustknaben zu Hause hast“, sagte Jade, obwohl es mir schwer fiel, mir Richard in seinem schwarzen Anzug und seinen Slippern als Lustknaben vorzustellen. Verstehen Sie mich nicht falsch – er ist durchaus attraktiv, groß und athletisch gebaut. Aber Richard ist die Art von Mann, mit dem eine Frau lieber vor den Altar treten möchte als mit ihm verruchte Spiele zu spielen. Andererseits behauptet Jade immer, dass ich einen Sehfehler hätte, was Männer betrifft.

„Das Gras im Nachbargarten ist immer grüner“, sagte Alyssa und senkte den Blick.

„Aha?“ konterte Jade, das Thema schien sie zu interessieren. „Mal sehen. Es ist sechs Wochen und vier Tage her, dass ich mit einem Mann geschlafen habe – und ich zähle Carl nicht mit, weil es dabei schon um Penetration gehen muss. Und wann habt Richard und du es zuletzt getan? Mach mich ruhig neidisch, sag mir, dass es gestern Nacht war.“

Während sie noch immer ihr Glas anstarrte, antwortete Alyssa: „Vor drei Monaten.“

„Wie bitte?“ riefen Jade und ich gleichzeitig.

Alyssa sah uns an und seufzte. „Nun, das stimmt nicht ganz. Wir haben vor drei Wochen miteinander geschlafen, aber das gehört zu der Art Anstrengung, die nicht wirklich zählt. Das ist einfach nur mechanisch gewesen, ohne Gefühl. Als ob wir nach einem harten Arbeitstag die Luft rauslassen würden.“

„Was ist denn da bei euch los?“ fragte Jade.

„Ich weiß auch nicht. Es hat sich eben … alles geändert in den letzten Monaten. Wir leben irgendwie nebeneinander her.“

„Vielleicht ist eure Beziehung auch einfach nur zu eingefahren“, sagte ich. Ich wollte verzweifelt einen Grund dafür finden, dass es selbst bei den beiden Menschen, von denen ich immer dachte, sie seien füreinander bestimmt, nicht mehr so richtig lief. „Ich meine, versucht Richard nicht gerade, Partner in seiner Kanzlei zu werden? Da steht er doch unter enormem Druck. Und du arbeitest seit einiger Zeit an dieser Sammelklage …“

„Vielleicht.“ Alyssa seufzte. „Aber irgendwie ist es so, als ob wir uns gar nicht mehr richtig sehen würden. Wir leben wie in einer Wohngemeinschaft. Ich bin das Mädchen, mit dem er sich die Waschmaschine teilt oder so.“

„Du musst einfach mal wieder Spannung reinbringen“, sagte Jade. „Tu etwas, damit er sich daran erinnert, dass er eine wunderschöne intelligente Frau hat, nach der sich jeder Typ die Finger lecken würde.“ Dann zog sie die Augenbrauen hoch, als ob sie plötzlich eine Eingebung hätte. „Du brauchst einen ernsthaften Konkurrenten, damit Richard sich mal wieder bemühen muss.“

Alyssa schaute mich mit einem schuldbewussten Lächeln an, und ich konnte nicht anders, als zurückzulächeln, weil ich an ihren Tierarzt denken musste. Kaum vorstellbar, dass ein Typ, der vermutlich den Großteil seines Tages damit verbrachte, Hundekot auszuweichen, Richard dazu bringen sollte, sich mal wieder richtig ins Zeug zu legen.

„Was ist hier los?“ frage Jade misstrauisch.

Ich schaute Alyssa an und überließ es ihr zu beichten.

„Nun … die Wahrheit ist … dass ich tatsächlich jemanden kennen gelernt habe.“

„Du machst Witze“, rief Jade, und offenbar fragte sie sich genauso wie ich, wie Alyssa es immer wieder schaffte, dass in ihrem Leben Männer auftauchten, egal, unter welchen Umständen. „Wen? Und vor allem, wie?“

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