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Dark Nights With a Billionaire - Sündige Nächte mit dem Milliardär (4in1-Serie)

hier erhältlich:

Erotisch, aufregend, glamourös - diese Serie lässt Sie dahinschmelzen.

MASKENBALL DES GLÜCKS
Maskenball in Venedig: Daniellas Herz klopft bis zum Hals, als ein verwegener Pirat mit ihr flirtet. Nur dieses eine Mal will die junge Engländerin alles vergessen und sich ganz der Magie des Augenblicks hingeben. Hingebungsvoll genießt sie die zärtlichen Küsse des geheimnisvollen Fremden und folgt ihm in hinaus in die dunkle Nacht. Wer wohl der Mann hinter der Maske ist? Für einen Moment erhascht Daniella im Mondschein einen Blick auf das Gesicht ihres Verführers - und erstarrt: Sie sieht direkt in die Augen ihres Erzfeindes, des vermögenden Bankiers Niccolo D’Alessandro …

DAS SCHLOSS AUF DEN KLIPPEN
Die wilde Brandung, der süße Duft des blühenden Ginsters - und ein faszinierender Mann: Seit Jenny den charismatischen Bestseller-Autor Michael Denver bei der Arbeit für sein neues Buch unterstützt, schwebt sie im siebten Himmel. Denn in seinem romantischen Cottage zeigt Michael ihr, dass er sie zärtlich begehrt … Bis Jenny erfährt: Ihr attraktiver Boss plant angeblich einen Neubeginn mit seiner Exfrau! Doch warum küsst er sie dann? Warum zeigt er ihr das geheimnisvolle Schloss auf den Klippen - und verzaubert ihre gemeinsame Nacht mit seiner Liebe?

SO NAH UND DOCH SO FERN
Ein Blick in die kalten Augen von Ricardo Emiliani, und Lucy weiß, dass sie niemals hätte zurückkehren dürfen: Weder in die luxuriöse Villa am See noch in die Arme ihres Exmannes, der sie für eine Betrügerin hält. Wird es ihr diesmal gelingen, ihn von ihrer Unschuld zu überzeugen?

NÄCHTE DER LIEBE - TAGE DER SEHNSUCHT
Miguel ist reich, sehr reich sogar - wenn er etwas haben will, bekommt er es auch. Nur das, was er sich am meisten wünscht, ist unerreichbar: Die Liebe seiner Frau Allegra kann er nicht kaufen. Eine bittere Lektion, die Miguel unter der Sonne Mexikos lernen muss …


  • Erscheinungstag: 19.11.2018
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 576
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955769635
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Lee Wilkinson, Carole Mortimer, Kate Walker, Janette Kenny

Dark Nights With a Billionaire - Sündige Nächte mit dem Milliardär (4in1-Serie)

Lee Wilkinson

Das Schloss auf den Klippen

1. KAPITEL

Am vierzehnten Februar fand sich in der Tageszeitung folgender Artikel:

Verdientes Valentinsgeschenk für einen verdienten Autor

Zum zweiten Mal hintereinander hat Michael Denver den renommierten Quentin Penman Literaturpreis gewonnen, diesmal für seinen Roman „Withershins“. Nach Meinung maßgeblicher Literaturkritiker ist Denver als Schriftsteller auf dem Gebiet des Psychothrillers nicht zu übertreffen. Mit fünf preisgekrönten Werken ist er einer der bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit.

Dennoch scheut er die Öffentlichkeit, lässt sich nicht fotografieren und verweigert jegliche Interviews. Obwohl er durch seine Scheidung von Supermodel Claire Falconer und die Gerüchte um eine Aussöhnung immer noch in den Schlagzeilen steht, gibt er keine Presseerklärungen.

Die ersten vier Romane Denvers sind alle von Hollywood als Drehbuchvorlagen aufgekauft worden, drei Verfilmungen sind bereits in die Kinos gekommen und haben sich als Kassenschlager entpuppt. „Withershins“, sein bisher bestes und reifstes Werk, wird da keine Ausnahme machen.

Michael stellte das Telefon zurück auf die Station und fuhr sich mit beiden Händen durch das dichte dunkle Haar. Der Anruf seines alten Freundes Paul Levens hatte seine letzten Zweifel so gut wie beseitigt. Er brauchte Unterstützung und musste eine PA, eine persönliche Assistentin, einstellen, sosehr er sich auch innerlich dagegen sträubte.

Paul, frisch gebackener Direktor bei Global Enterprises, hatte bei einem Treffen vor einiger Zeit eine Mitarbeiterin ins Gespräch gebracht, die ihm für den Job geradezu ideal schien. Michael hatte mit diversen Gegenargumenten aufgewartet, die, völlig untypisch für ihn, alles andere als logisch waren.

„Ich verstehe dich.“ Paul nickte. „Nach deiner Scheidung sehen alle heiratswütigen Frauen in dir das perfekte Opfer, und daher wünschst du das gesamte weibliche Geschlecht auf den Mond. Trotzdem musst du den Tatsachen ins Auge sehen. Du brauchst dringend eine fähige PA, und eine bessere als Jennifer Mansell wirst du nicht finden.“

„Wenn sie so gut ist, warum lässt du sie dann gehen?“, konterte Michael.

„Weil ich keine andere Wahl habe. Jenkins muss aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand gehen, und die Geschäftsleitung nutzt die Gelegenheit, um seine Abteilung an den Export anzugliedern. Aber Cutcliff, der die Exportabteilung seit über zehn Jahren leitet, möchte natürlich seine PA behalten.“

In Michaels grünen Augen funkelte es amüsiert. „Mit anderen Worten, du willst diese Jennifer Mansell an mich abschieben.“

Paul, ein bulliger rotblonder Rugbyspieler mit hellen blauen Augen, seufzte. „Ich will nur eins: dir helfen. Weshalb ich mich allerdings mit dir sturem Bock überhaupt noch abgebe, weiß Gott allein.“

„Ich werde es mir überlegen.“

Paul verdrehte die Augen. „Deine überschwängliche Dankbarkeit ist mir echt peinlich.“

Michael lachte und klopfte seinem Freund auf die Schulter. „Danke, Kumpel.“

Paul mochte es nicht begreifen, aber für ihn, Michael, kam es einer Revolution gleich, eine Bürokraft einzustellen und somit den ganzen Tag jemanden um sich zu haben. Dass es sich dabei um eine Frau handelte, machte die Sache noch komplizierter.

Nach einer Woche Bedenkzeit hatte er sich immer noch nicht entschieden, obwohl er längst in Slinterwood hätte sein wollen, um mit seinem neuen Roman zu beginnen. Zu allem Unglück rief dann auch noch Claire an. Wortreich teilte sie ihm mit, wie sehr sie unter der Scheidung litt und wie gern sie wieder seine Frau wäre. Das trug auch nicht gerade zur Verbesserung seiner Laune bei.

Die Einstellung, sie brauche nur mit den Fingern zu schnippen, und er läge ihr wieder zu Füßen, machte ihn wütend und bestärkte ihn in seiner Voreingenommenheit gegenüber Frauen – besonders Frauen, die Sex als Mittel zum Zweck benutzten.

Und jetzt setzte Paul ihm auch noch die Pistole auf die Brust.

„Dies ist deine letzte Chance, alter Freund“, hatte er am Telefon gesagt. „Freitagabend tritt Jennifer Mansell noch einmal als Organisatorin bei Jenkins festlicher Verabschiedung auf. Das ist deine allerletzte Möglichkeit.“

Als Michael nicht reagierte, redete er weiter. „Warum kommst du nicht einfach zu dem Empfang und lernst sie kennen? Sie sieht super aus, ohne eine auffallende Schönheit zu sein, und ist bestimmt keine Frau, die sich Männern an den Hals wirft. Ich kann dir Jennifer auf der Party ganz zwanglos vorstellen. Wenn du aber selbst das als Zumutung empfindest, beobachte sie einfach diskret aus dem Hintergrund.“

Michael wählte schließlich Letzteres, und Paul war zufrieden.

„Bis dahin werde ich alles Wichtige über sie herausgefunden haben“, versprach er.

Freitag um acht Uhr abends, gut versteckt hinter den Kübelpflanzen des Londoner Luxushotels, beobachtete Michael, was im Ballsaal vor sich ging. Er bereute bereits, auf Pauls Vorschlag eingegangen zu sein. Zugegeben, er benötigte Hilfe. Aber musste es unbedingt eine Frau sein? Um jedoch endlich Ruhe vor seinem Freund zu haben, würde er sich diese Miss Mansell wenigstens anschauen.

Michael hatte sich seinen Platz klug gewählt, denn er hatte freien Blick auf die Bühne, ohne selbst gesehen zu werden. Im Moment spielte dort noch eine Kapelle, und mehrere Paare tanzten. Andere standen in Gruppen im Raum, plauderten angeregt und tranken Champagner, der großzügig ausgeschenkt wurde. Arthur Jenkins war dreißig Jahre lang bei Global Enterprises gewesen, und die Gesellschaft hatte trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage an nichts gespart, um ihn würdig zu verabschieden.

Einen genauen Blick auf Jennifer Mansell hatte Michael bisher noch nicht erhaschen können. Er hatte sie nur von Weitem gesehen, groß und schlank, das dunkle Haar hochgesteckt. Sie trug ein luftiges und zugleich elegantes knöchellanges Chiffonkleid in einem Muster aus Aquamarin, Türkis, Lapislazuli und Gold.

Paul, der einzige Mensch, den Michael hier kannte, hatte ihn zu Anfang unauffällig beiseite genommen und ihm Jennifer Mansell und Arthur Jenkins gezeigt.

„Was hast du über sie in Erfahrung bringen können?“, hatte Michael wissen wollen.

„Nicht viel. Die Personalabteilung wusste nur, dass sie vierundzwanzig ist, sehr zurückhaltend und alle ihre Aufgaben perfekt erledigt. Sie kam direkt nach ihrem Examen an einer Londoner Fachhochschule für Wirtschaftswissenschaft zu Global Enterprises.“

„Und ihr Privatleben?“

„Darüber ist so gut wie nichts bekannt. Von ihren Kollegen erfuhr ich lediglich, dass sie für einige Zeit einen Verlobungsring trug. Vor einigen Monaten war er dann plötzlich von ihrer Hand verschwunden, was mehrere Kollegen zum Anlass nahmen, ihr Glück bei ihr zu versuchen. Sie ließ jedoch alle abblitzen. Wahrscheinlich hat sie genug von Männern.“

Obwohl diese Einschätzung in Michaels Ohren sehr vielversprechend klang, ließ er sich das nicht anmerken. „Danke für deine Bemühungen, alter Freund“, meinte er lediglich.

Paul zuckte die kräftigen Schultern. „Keine Ursache. Ich muss mich wieder unter die Gäste mischen. Soll ich sie dir vorstellen?“

„Bitte nicht.“ Michael schüttelte den Kopf.

„Solltest du deine Meinung ändern, lass es mich wissen.“ Eine kurze Verbeugung, und Paul war schon wieder in der Menge verschwunden.

Michael musste nicht lange warten, dann traten Arthur Jenkins und Jennifer Mansell erneut in sein Blickfeld. Der schlichte, körpernahe Schnitt des Kleides betonte die Vorzüge ihrer Figur auf das Verführerischste, ohne ihre weiblichen Reize zur Schau zu stellen. Als sie näher kam, erkannte Michael, dass sie außer einem schlichten Goldring am rechten Ringfinger und einer eleganten Abenduhr keinen Schmuck trug.

Ihr Gesicht hatte er noch nicht erkennen können, da sie mit Arthur Jenkins sprach und den Kopf zur Seite geneigt hielt. Als sie endlich in seine Richtung blickte und lächelte, verschlug es Michael regelrecht den Atem.

Das Gesicht kannte er – und dies nicht nur, weil es ihn an eine jüngere Ausgabe von Julia Roberts erinnerte.

Wo und wann hatte er diese Frau schon gesehen? Plötzlich fiel es ihm ein, und sein Herz schlug schneller: An einem Spätnachmittag vor fünf oder sechs Jahren hatte er gedankenverloren von der Burgmauer seines Anwesens in den mit Kopfstein gepflasterten Innenhof geblickt. Zwischen den Blumenkübeln entdeckte er eine letzte Besucherin – Jennifer Mansell.

Den Kopf in den Nacken gelegt, verfolgte sie den Flug der ersten Schwalben, der Wind spielte mit ihrem dunklen Haar, und um ihren Mund spielte ein verträumtes Lächeln. Plötzlich wandte sie den Kopf und blickte zu ihm auf. Für Sekunden sahen sie einander an, bis sie schüchtern zu Boden blickte.

Ohne im Geringsten zu wissen, weshalb, war ihm Jennifer Mansell schon damals vertraut vorgekommen, so, als würden sie sich seit Ewigkeiten kennen.

Als sie sich umdrehte, um zum Hauptausgang zu gehen, eilte er ihr sofort hinterher. Doch die steinerne Wendeltreppe des Nordturms war lang und steil, und unten angekommen, war die Fremde verschwunden. So schnell er auch zum Tor lief, alles, was er sah, war ein kleines Auto, das gerade die enge, holperige Auffahrt hinunterfuhr. Er winkte wie wild, doch die Fahrerin setzte ihren Weg fort.

Unsagbar traurig und enttäuscht stieg er wieder auf die Mauer, um den kleinen silbernen Wagen wenigstens mit den Augen zu verfolgen. Er fuhr die gewundene Küstenstraße entlang und über den Damm, der die Insel mit dem Festland verband.

Seine Gedanken kreisten stets und ständig um die geheimnisvolle Fremde, und ihr Gesicht hatte sich für alle Zeiten in seinem Gedächtnis eingeprägt.

Später dann hatte er versucht, seine Enttäuschung über ihr Verschwinden zu bagatellisieren, sich weiszumachen, kein Mann könne wirklich tief für eine Frau empfinden, die er ein einziges Mal und nur für einen kurzen Augenblick gesehen hatte. Trotzdem ertappte er sich immer wieder dabei, ihr Gesicht in der Menge zu suchen. Mit der Zeit verblasste die Erinnerung, doch die Unbekannte ganz zu vergessen, gelang ihm nicht.

Jetzt hatte das Schicksal sie ihm ein zweites Mal vor Augen geführt, was ihn tief berührte, denn er sah darin eine höhere Fügung. Trotz seiner derzeitigen Abneigung gegen Frauen fühlte er sich wie magisch von ihr angezogen und wäre am liebsten zu ihr gegangen, um sie aus der Nähe zu betrachten und ihre Stimme zu hören. Doch sein Verstand verbot es ihm.

Er war nicht mehr zweiundzwanzig und voller romantischer Ideale, sondern älter und abgeklärter – vielleicht sogar zynisch. Obwohl ihr Gesicht ihm wohlvertraut war, wusste er nicht, welche Persönlichkeit sich dahinter verbarg.

Noch während er seinen Gedanken nachhing, verbeugte sich ein älterer Mann mit schütterem Haar vor Jennifer Mansell und führte sie zur Tanzfläche, wo das Paar sehr schnell im Gedränge verschwand.

Nachdenklich strich sich Michael das glatt rasierte Kinn. Er wollte diese Frau näher kennenlernen, dessen war er sich sicher, doch seine Vorbehalte gegen eine PA bestanden nach wie vor. Er hatte keinesfalls die Absicht, die Dinge zu überstürzen.

„Du bist ja doch noch hier, ich war mir nicht sicher.“ Pauls Worte schreckten Michael aus seinen Überlegungen auf.

Er drehte sich zu seinem Freund um. „Ich wollte noch mit dir sprechen, bevor ich gehe.“

„Du hast sie also gesehen? Was hältst du von ihr?“, fragte Paul mit mühsam bezähmter Neugier.

„Soweit ich es bisher beurteilen kann, macht sie den allerbesten Eindruck, aber …“

„Aber du wirst nichts weiter unternehmen“, unterbrach ihn Paul resigniert. „Natürlich ist es deine Entscheidung, aber meiner Meinung nach machst du einen großen Fehler. Eine persönliche Assistentin vom Format einer Jennifer Mansell lässt man sich nicht einfach so durch die Finger schlüpfen.“

„Das habe ich auch nicht vor. Doch dies ist weder der Ort noch die Zeit, um aktiv zu werden. Ich möchte dich bitten, ihr zu sagen …“ Eine Gruppe lachender Menschen näherte sich, und Michael senkte die Stimme, sodass nur Paul ihn verstehen konnte.

„Geht in Ordnung, Kumpel.“ Paul klopfte Michael auf die Schulter und verschwand.

Laura hörte ein Motorengeräusch auf der Straße und öffnete den Vorhang einen Spalt weit, um in die Dunkelheit zu blicken. Gerade stieg Jenny aus dem Taxi und ging zur Tür.

„Hi“, begrüßte Laura ihre Mitbewohnerin beim Betreten des Wohnzimmers lakonisch.

„Hi.“ Jennifer warf ihren Abendmantel über eine Stuhllehne und musterte Laura in ihrem pinkfarbenen Morgenmantel und den pelzbesetzten Pantoletten. „Du bist noch auf? Das überrascht mich.“

Lauras rundes, kindliches Gesicht glänzte, so dick hatte sie es eingecremt. Ihr blondes Haar ringelte sich schon wieder, obwohl sie gerade Stunden damit zugebracht hatte, es zu glätten.

„Normalerweise wäre ich auch schon längst im Bett, aber Tom und ich waren aus und mussten Ewigkeiten auf ein Taxi warten. Wie war die Party?“

„Alles lief glatt“, antwortete Jenny ausweichend.

Laura jedoch entgingen weder Jennys glänzende Augen noch ihre mühsam unterdrückte Aufgeregtheit. „Du schwebst ja auf Wolke sieben“, meinte sie. „Bist du etwa deinem Traumprinzen begegnet?“

„Nein.“ Jenny schüttelte den Kopf. „Es ist etwas anderes.“

„Was denn? Los, erzähl schon!“

„Gut, aber erst hätte ich gern eine Tasse Tee.“

„Bescheiden bist du wirklich nicht!“ Laura seufzte. „Das Glück ist allerdings auf deiner Seite, denn unsere Wünsche decken sich.“ Sie verschwand in der Küche.

Jenny machte es sich in dem Sessel vor dem elektrischen Kaminfeuer bequem, streifte ihre hohen Schuhe von den Füßen und schloss die Augen. War sie zu Tode betrübt zu der Veranstaltung gegangen, weil sie von nun an arbeitslos sein würde, jauchzte sie jetzt himmelhoch. Das war die Chance ihres Lebens!

Seit der Geschichte mit Andy hatte sie nicht mehr so viel Lebensfreude empfunden. Durch seine Untreue war ihrem Selbstwertgefühl ein harter Schlag versetzt worden, und sie litt unter der Vorstellung, als Frau unzulänglich und nicht begehrenswert zu sein.

Laura kam mit zwei dampfenden Bechern zurück, einen davon reichte sie Jenny. „Jetzt rück endlich raus mit der Sprache“, forderte sie ihre Freundin auf, nachdem sie sich gesetzt hatte.

„Kennst du Michael Denver?“, begann Jenny.

„Du meinst diesen Schriftsteller, den du regelrecht vergötterst?“

„Das ist eine Übertreibung!“

„Nein, es ist die Wahrheit.“

Insgeheim musste Jenny ihrer Freundin jedoch recht geben. Seit sie das erste Buch von Michael Denver gelesen hatte, kannte ihre Bewunderung für ihn keine Grenzen. Seine Romane faszinierten sie. Was musste das für ein Mann sein, der sich derartig komplexe, spannende und trotzdem überzeugende Handlungen ausdenken konnte?

Obwohl anspruchsvoll und tiefgründig, ließen sich seine Werke leicht lesen, waren einfühlsam und zeugten von der Liebe des Autors zu seinen Mitmenschen. Seine Figuren waren aus dem wirklichen Leben gegriffen, hatten ihre Schwächen, Fehler und auch Schattenseiten, waren andererseits auch mutig und stark. Es waren Charaktere, an denen die Leser Anteil nehmen und in denen sie sich wiederfinden konnten.

„Was also ist mit Michael Denver?“ Laura wurde ungeduldig.

„Er braucht eine persönliche Assistentin, und ich soll mich bei ihm vorstellen – morgen früh um halb neun.“

Ungläubig schüttelte Laura den Kopf. „Morgen ist doch Sonntag!“

„Ich weiß, anscheinend ist ihm die Angelegenheit enorm wichtig. Er lässt mich von seinem Chauffeur abholen. Weißt du, ich habe das Gefühl, alles nur geträumt zu haben.“

„Das glaube ich dir aufs Wort. Hast du vielleicht einfach nur zu viel getrunken?“

„Mit Sicherheit nicht. Der gute alte Mr. Jenkins hat wohl Paul Levens, dem neuen Direktor gegenüber, ein Loblied auf mich gesungen, und der ist, wie der Zufall so spielt, eng mit Michael Denver befreundet. Daher wusste Paul Levens auch, dass Michael Denver eine PA sucht, und empfahl mich, weil er selbst mir keinen Job anzubieten hat.“

„Wahnsinn! Was für eine Karriere.“

„Noch habe ich den Job nicht, Laura, sosehr ich es mir auch wünsche. Für einen Mann wie ihn zu arbeiten, muss der Himmel auf Erden sein.“

Laura schnaufte verächtlich. „Wenn er dich nicht mit Kusshand nimmt, ist er ein ausgemachter Idiot.“

Jenny war gerührt über so viel Loyalität und lächelte. „Warten wir es ab.“ Sie trank den letzten Schluck Tee. „Jetzt muss ich aber schnellstens ins Bett, damit ich morgen ausgeruht bin und meine fünf Sinne beieinanderhabe. Wie ich Michael Denver einschätze, ist er ein Boss mit hohen Ansprüchen.“

„Spielverderberin!“ Laura machte ein enttäuschtes Gesicht. „Gerade wollte ich dich fragen, was du schon über ihn erfahren hast.“

„Nicht viel, aber das werde ich dir morgen früh erzählen.“

„Abgemacht! Schlaf gut.“

Als Jenny am nächsten Morgen nach einer schlaflosen Nacht die Küche betrat, duftete es bereits nach Kaffee und geröstetem Weißbrot. Laura, normalerweise eine ausgemachte Langschläferin, deckte gerade den Tisch.

„Die pure Neugier“, gestand sie auf Jennys Frage, was sie denn schon so früh aus dem Bett getrieben habe. „Ich brenne darauf, alles über Michael Denver zu erfahren – außerdem wollte ich es nicht verpassen, wenn er dich persönlich abholt.“

„Das ist mehr als unwahrscheinlich.“ Dankend lehnte Jenny den Toast ab, den Laura ihr reichen wollte. „Für mich bitte nur Kaffee, zum Essen bin ich viel zu aufgeregt.“

Laura schenkte ihr ein. „Nun erzähl doch endlich“, bat sie ungeduldig.

„Es gibt gar nicht viel zu erzählen, und das meiste habe ich dir schon gestern Abend gesagt. Michael Denver ist ein Senkrechtstarter, schon nach dem zweiten Roman feierte man ihn als Ausnahmeautor. Doch an all dem Trubel um seine Person scheint ihm nichts zu liegen, denn er scheute die Öffentlichkeit – bis er Claire Falconer traf und heiratete.“

„Das weltberühmte Topmodel?“

„Ja, die Schöne und das Superhirn, so nannte man die beiden. Sie hatten sich auf den ersten Blick ineinander verliebt und schienen wie füreinander geschaffen. Die Medien feierten sie als das Traumpaar und verfolgten sie auf Schritt und Tritt. Claire Falconer genoss es, im Blickpunkt des öffentlichen Interesses zu stehen, Michael Denver hasste es. Gerade ließ der Rummel, den die Reporter um sie machten, etwas nach, als Claire einen Skandal verursachte.“

„Ich erinnere mich dunkel.“ Laura nickte.

„Claire wurde mit einem anderen Mann in einem abgelegenen Hotel gesehen“, erzählte Jenny weiter. „Zuerst stritt Claire alles ab, doch dann wurde ein Foto veröffentlicht, das sie und ihren Lover beim Verlassen des Hotels zeigte, und sie musste die Wahrheit gestehen. Nach nur sechs Monaten wurde ihre Ehe mit Michael Denver geschieden, für die Medien ein gefundenes Fressen. Er verweigerte jegliche Stellungnahme, doch Claire gab ein groß aufgemachtes Interview. Sie erklärte, sie würde Michael immer noch lieben und alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um sich mit ihm auszusöhnen.“

„Stimmt.“ Laura nickte. „Jetzt fällt mir die unschöne Geschichte wieder ein. Michael Denver tat mir damals sehr leid.“

„Mit Recht. Wie Mr. Levens andeutete, ist er in dieser Zeit durch die Hölle gegangen. Claire ließ keinen Trick aus, um die Scheidung zu verhindern, und die Reporter verfolgten Michael gnadenlos. Seine Weigerung, eine Presseerklärung abzugeben oder sich fotografieren zu lassen, machte die Angelegenheit für die Medien nur noch interessanter. Schließlich sah er sich sogar gezwungen, die Wohnung zu wechseln.“

„Der arme Kerl! Das erklärt vielleicht, weshalb ich noch nie ein Bild von ihm gesehen habe. Weißt du, wie alt er ist und wie er aussieht?“

Jenny schüttelte den Kopf.

„Ich stelle ihn mir hager und schon etwas ältlich vor, mit hoher Stirn, Adlernase und stechend blauen Augen.“

„Und die Ohren?“

„Abstehend, spitz und groß“, antwortete Laura wie aus der Pistole geschossen.

„Und wie kommst du darauf?“

„Berühmte Schriftsteller sehen einfach so aus.“

Jenny lachte. „Wenn du meinst.“

„Wenn du zurückkommst, werde ich wohl nicht da sein“, sprach Laura weiter. „Tom und ich fahren nach Kent. Seine Eltern haben heute Hochzeitstag, und wir sind zum Essen eingeladen.“

„Wie schön! Bestell Mr. und Mrs. Harmen liebe Grüße von mir, ich wünsche Ihnen für die weiteren Jahre ihrer Ehe alles Gute.“ Jenny stand auf, um sich umzuziehen.

Sie wählte ein taupefarbenes Kostüm mit farblich abgestimmter Bluse, kämmte das Haar aus der Stirn und fasste es im Nacken zu einem Knoten zusammen. Dann befestigte sie ihre schlichten goldenen Ohrstecker und trug gerade genug Make-up auf, um frisch und ausgeruht zu wirken. Da sie nicht wusste, was Michael Denver von einer PA erwartete, konnte sie nur hoffen, dass ihr klassisch-eleganter Stil seine Billigung finden würde.

Pünktlich zur verabredeten Zeit fuhr der Wagen vor. Laura, die sich hinter der Gardine versteckt hielt, entdeckte ihn sofort. „Was für ein tolles Auto! Viel Glück, Jenny!“

Aufgeregt griff Jenny nach ihrer Handtasche, wünschte Laura einen schönen Tag in Kent und eilte nach unten. Kalte Luft schlug ihr entgegen, und auf der Straße glitzerte Raureif.

Der Chauffeur war bereits ausgestiegen und öffnete ihr die Tür. „Guten Morgen, Miss“, begrüßte der ältere Mann sie höflich.

Jenny erwiderte den Gruß und stieg ein. Sie genoss die Wärme und machte es sich in den üppigen Polstern bequem. Doch so richtig genießen konnte sie den Luxus nicht. Sie litt unter dem Gefühl, etwas in Anspruch zu nehmen, das ihr eigentlich nicht zustand.

Als sie der Chauffeur dann jedoch vor einem eleganten Apartmenthaus im vornehmen Stadtteil Mayfair aussteigen ließ, hatte sie sich wieder im Griff und wirkte kühl und gelassen.

Der Portier kontrollierte ihre Personalien und führte sie zu einem Fahrstuhl, der zum zweiten Stock führte. Als sich die Türen wieder öffneten, befand sie sich in einem geschmackvoll eingerichteten Foyer. Ein älterer, auffallend hagerer Butler begrüßte sie mit undurchdringlicher Miene.

„Miss Mansell? Mr. Denver erwartet Sie bereits, bitte folgen Sie mir.“

Er brachte sie in ein großes, modern eingerichtetes Büro, verbeugte sich und schloss die Tür hinter ihr. Ein großer, breitschultriger Mann mit dunklem Haar, lässig gekleidet, erhob sich vom Schreibtisch.

Jennys Herz setzte einen Schlag aus. Dieser Mann war ihr nicht fremd, obwohl sie ihm noch nie begegnet war! Aus unerklärlichen Gründen hatte sie das Gefühl, einen alten, vertrauten Freund nach langer Zeit wiederzutreffen.

Spielte ihr das Gedächtnis einen Streich? Hatte sie sein Bild vielleicht doch schon einmal in der Zeitung gesehen und es nur wieder vergessen? Nein, das war es nicht. Ihre tiefen Gefühle für diesen Mann mussten einen anderen Grund haben.

Musste Jenny um Fassung ringen, fiel Michael ein Stein vom Herzen. Jenny Mansell stand tatsächlich vor ihm! Sonst mit einem gesunden Selbstbewusstsein ausgestattet, hatte er in diesem Fall bis zur letzten Sekunde an ihrem Kommen gezweifelt – und sich darüber geärgert. Er sträubte sich gegen die Emotionen, die diese Frau in ihm weckte.

Hatte sie anfangs unsicher gewirkt und wäre sogar bei seinem Anblick beinahe gestolpert, wirkte sie jetzt ruhig und gefasst. Ohne seinem Blick auszuweichen, sah sie ihm offen ins Gesicht.

„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Mansell“, begrüßte er sie mit formeller Höflichkeit.

Jenny ergriff seine ausgestreckte Hand. Michael Denvers angenehm tiefe Stimme gefiel ihr ebenso wie sein Gesicht, das eher markant als schön war. „Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite“, erwiderte sie im gleichen distanzierten Ton, obwohl es ihr heiß unter seinen Blicken wurde.

Noch nie hatte sie bei einem Mann derart faszinierende Augen gesehen, olivgrün und von dichten, dunklen Wimpern umrahmt. Außerdem war er viel jünger, als sie erwartet hatte. Michael Denver war bestimmt nicht älter als Ende zwanzig und besaß nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Bild, das Laura von ihm entworfen hatte.

Michael war von Jenny ähnlich tief beeindruckt. Sie war nicht nur schön, sondern strahlte Persönlichkeit aus. Aus ihrem Gesicht sprachen Klugheit und Humor, gleichzeitig jedoch auch eine geheimnisvolle Melancholie, die ihn magisch anzog.

„Setzen Sie sich doch“, bat er etwas barsch, weil er sich über seine unsachliche Reaktion ärgerte. Auf einen schwarzen Ledersessel deutend, nahm er wieder seinen alten Platz hinter dem Schreibtisch ein, um sie von hier aus weiter zu beobachten.

Ruhig, gefasst und mit geradem Rücken saß Jennifer Mansell ihm gegenüber. Die langen Beine hielt sie gekreuzt, und den Rock hatte sie korrekt über die Knie gezogen. Nichts an ihr deutete auf eine Femme fatale hin, sie unternahm nicht den geringsten Versuch, ihre Sexualität ins Spiel zu bringen. Damit unterschied sie sich grundlegend von den Frauen, die ihm seit seiner Scheidung nachstellten und zu umgarnen versuchten.

Auch ihr natürliches Aussehen fand nach all dem Styling, das er von Claire und ihrer Clique gewohnt war, sein ungeteiltes Wohlwollen. Ihr Gesicht war nahezu frei von Schminke – bei ihrem makellosen Teint, den von Natur aus dunklen Brauen und Wimpern konnte sie natürlich auf kosmetische Tricks auch leicht verzichten.

Aus der Nähe betrachtet, fand er ihre großen braunen Augen und den schön geschwungenen, sinnlichen Mund noch anziehender. Jenny Mansell gehörte trotz ihrer zurückhaltenden Art zu den attraktivsten und interessantesten Frauen, denen er in seinem Leben begegnet war.

Ihre Hände waren schmal und feingliedrig, ohne zerbrechlich zu wirken. Erleichtert stellte er fest, dass die Nägel lediglich poliert, nicht lackiert oder gar künstlich verlängert waren. Rechts trug sie wieder den massiven Goldring, der ihm schon gestern aufgefallen war, die linke Hand war frei von Schmuck.

„Erzählen Sie mir etwas über sich“, forderte er sie auf, als ihm bewusst wurde, wie unangenehm seine eingehende Musterung für sie sein musste. „Fangen Sie einfach ganz von vorne an. Wo sind Sie geboren?“

„In London, aber schon kurz nach meiner Geburt zogen wir aufs Land.“

Wieder fiel ihm auf, wie wohlklingend ihre Stimme war, weich und etwas rauchig. „Wohin genau?“

„Nach Kelsay, das ist eine kleine Stadt an der Ostküste …“

„Ich kenne Kelsay“, unterbrach er sie aufgeregt. Hätte er noch einen Beweis gebraucht, in Jenny das Mädchen im Schlosshof wiedergefunden zu haben, hier wäre er gewesen. „Und weshalb kehrten sie nach London zurück?

„In Kelsay lebte ich bei meiner Urgroßmutter. Als diese wenige Wochen nach meinem Schulabschluss starb, schrieb ich mich an einer Fachhochschule für Wirtschaftswissenschaft in London ein. Nach meinem Examen bewarb ich mich bei Global Enterprises, wo ich sofort einen Job bekam. Anfangs arbeitete ich in der Verwaltung, wurde aber schon bald zur persönlichen Assistentin von Mr. Jenkins befördert, einem der Direktoren.“

„Paul Levens deutete an, ihr Posten entfiele, weil Mr. Jenkins in den Ruhestand geht und die Abteilung nicht mehr selbstständig weitergeführt wird. Habe ich das richtig verstanden?“

„Ja, und da alle anderen Chefs von Global Enterprises bereits eine eigene Assistentin haben, bin ich auf der Suche nach einem neuen Job.“

„Paul Levens erwähnte auch, wie lobend sich Mr. Jenkins über Ihr Taktgefühl, Ihre Loyalität und Ihren Arbeitsstil äußerte. Das sind genau die Qualitäten, die auch ich von meiner PA erwarte. Wie würden Sie Ihren Aufgabenbereich grundsätzlich beschreiben?“

„Meiner Auffassung nach zeichnet sich eine gute PA dadurch aus, dass sie ihren Boss nicht mit Problemen behelligt und ihm das Leben so angenehm wie möglich zu gestaltet.“

„Auch wenn das bedeutet, Botengänge zu machen oder Kaffee zu kochen?“

„Ja.“ Jenny nickte nachdrücklich mit dem Kopf. „Für mich ist eine PA nichts weiter als ein gut dotiertes Mädchen für alles.“

Michael hätte am liebsten amüsiert gelächelt. „Das nenne ich die richtige Einstellung“, bemerkte er jedoch lediglich. „Ihre eigentliche Aufgabe ist aber eine ganz andere. Ich werde Ihnen meine Texte ins Stenogramm diktieren, und Sie geben sie dann in den Computer ein. Ich arbeite sehr schnell. Das Schreiben raubt mir zu viel Zeit und behindert mich in meinem kreativen Prozess. Da ich phasenweise äußerst intensiv arbeite, kann ich niemanden gebrauchen, der auf festgelegten Bürozeiten besteht. Außerdem lege ich Wert auf Effektivität, Diskretion und Zuverlässigkeit.“

„Das hat mir Mr. Levens bereits erklärt, und ich bin überzeugt, diese Kriterien zu erfüllen.“

„Und noch etwas. Zwischen meinen Büchern liegen oft längere Pausen, in denen ich nichts für Sie zu tun habe, Sie Ihr Gehalt jedoch selbstverständlich weiterhin beziehen. Dafür gibt es andererseits Perioden, in denen ich sieben Tage die Woche und bis in den späten Abend hinein arbeite. Wäre das ein Problem für Sie?“

„Nein.“

Er glaubte ihr. Michael war sicher, wenn er überhaupt eine PA einstellen würde, dann nur Jenny Mansell.

2. KAPITEL

Wollte er tatsächlich eine Assistentin für sich einstellen? Michael schloss kurz die Augen. War er wirklich bereit, den Großteil des Tages mit einer Frau zu teilen, selbst wenn sie nichts weiter als eine Angestellte war?

Hätte es sich nicht um Jennifer Mansell gehandelt, wäre seine Antwort ein entschiedenes Nein gewesen. Bei ihr jedoch lag der Fall anders. Um nichts in der Welt würde er diese Frau ein zweites Mal entwischen lassen.

Er merkte, wie sie ihn fragend anblickte, und gab sich einen Ruck, um mit seinen Fragen fortzufahren. „Wie oft sind Sie während Ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn krank gewesen?“, erkundigte er sich.

„Nie. Glücklicherweise erfreue ich mich bester Gesundheit und bin äußerst belastbar.“

„Dann bleiben noch Gehalt und Urlaub. Zu Anfang dachte ich mir …“

Er nannte eine Summe, die Jennys kühnste Erwartungen übertraf.

„Was den Urlaub angeht, möchte ich Sie allerdings ausdrücklich darum bitten, sich nach mir zu richten und ihn zu Zeiten zu nehmen, wenn nichts Besonderes anliegt. Sollten Sie unbedingt zu einem bestimmten Termin freihaben wollen, muss ich Sie darum bitten, dies weit im Voraus mit mir abzusprechen. Könnten Sie damit leben?“

„Und ob.“

Nachdenklich strich er sich über das glatt rasierte Kinn. Jennifer Mansell war eine attraktive Frau. Selbst wenn ihre Verlobung in die Brüche gegangen sein sollte, gab es bestimmt einen Mann an ihrer Seite.

„Leben Sie allein?“, fragte er sie.

„Nein, ich teile mir die Wohnung mit jemandem.“

„Mit einem Lebenspartner?“

Unwillig runzelte Jenny die Stirn. „Das ist eine Privatangelegenheit, die mit meinem Job nichts zu tun hat“, hielt sie ihm entgegen.

„Da muss ich Ihnen leider widersprechen. Überstunden habe ich bereits erwähnt, doch Sie müssen sich auch noch mit einer anderen meiner Eigenheiten abfinden. Wenn ich einen neuen Roman beginne, verlasse ich London und ziehe mich in die Einsamkeit zurück, wo ich ungestört arbeiten kann und mich niemand behelligt.“

„Oh …“

„Um es klar und deutlich zu sagen: Für eine PA mit Partner ist der Job ungeeignet, da ist der Ärger programmiert. Sind Sie verlobt?“, fragte er sie auf den Kopf zu.

„Nein.“

So entschieden das auch klang, Michael wusste nur zu gut, zu welchen Lügen Frauen fähig waren, um ihr Ziel zu erreichen.

„Und es macht Ihnen nichts aus, London manchmal auch für längere Zeit verlassen zu müssen?“

„Nicht das Geringste.“

Michael war erleichtert. Claire hatte es als Zumutung empfunden, London auch nur für eine Woche den Rücken zu kehren. Nur ein einziges Mal war sie mit ihm auf Slinterwood gewesen. Die Erfahrung reiche, hatte sie anschließend behauptet, nie wieder werde sie sich in einem kulturellen Niemandsland lebendig begraben lassen.

Ihr zuliebe hatte er deshalb versucht, Mandrake in London zu Ende zu schreiben. Nach einigen unproduktiven Wochen, der Erscheinungstermin rückte immer näher, hatte Claire ihm schließlich geraten, ohne sie nach Slinterwood zu fahren. Im Rückblick erkannte er, dass das der Anfang vom Ende ihrer Ehe gewesen war.

Plötzlich fiel ihm ein, wie unangenehm sein langes Schweigen für Jenny sein musste. „Also gut“, hörte er sich zu seiner eigenen Überraschung sagen, „unter diesen Umständen stelle ich Sie ein. Die Probezeit beträgt vier Wochen.“

Jenny war irritiert. Sie hätte gern noch etwas gründlicher überlegt, und die abrupte Zusage erstaunte sie. Michael Denvers zögerliche Haltung und seine bohrenden Fragen nach ihrem Privatleben hatten sie vermuten lassen, er würde sie erst einmal vertrösten.

Obwohl sie ihren Traumjob also bekommen hatte, hielt sich ihr Glücksgefühl in Grenzen. Michael Denvers schroffes Verhalten und seine durchdringenden Blicke verunsicherten sie zu sehr.

Ich werde mich schon an seine Art gewöhnen, dachte sie zuversichtlich, und er hält mich für geeignet, denn sonst hätte er mich nicht genommen. Von nun an würde sie für den von ihr so bewunderten Autor arbeiten dürfen. Sollte es auch lediglich ihre Aufgabe sein, seine Worte zu Papier zu bringen, durfte sie dennoch den Schaffensprozess aus nächster Nähe miterleben.

Michael entging ihr Mangel an Begeisterung natürlich nicht, und plötzlich bekam er Angst. Wollte sie etwa ablehnen?

„Sind Sie einverstanden?“, fragte er.

„Ja. Ich nehme den Job an und bedanke mich.“

„Perfekt.“ Er nickte. „Wann können Sie anfangen?“

„Das liegt bei Ihnen.“

Diese Chance ließ er sich nicht entgehen. „Wie wäre es mit sofort?“

Verständnislos sah sie ihn an. „Sofort? Was soll ich darunter verstehen?“

„Wie ich Ihnen bereits sagte, brauche ich die Einsamkeit, um mit einem neuen Projekt zu beginnen. Deshalb möchte ich London schon heute verlassen. Da Sie keinerlei Verpflichtungen haben, kommen Sie am besten gleich mit.“

„In Ordnung.“

„Sie werden also Sachen für ungefähr einen Monat mitnehmen müssen, die Zeit, die wir als Probezeit vereinbart haben. Wie lange brauchen Sie zum Packen?“

„Höchstens eine Stunde.“

„Ausgezeichnet. Mein Chauffeur bringt Sie jetzt nach Hause, und ich hole Sie und Ihren Koffer in gut einer Stunde ab.“

Michael stand auf, um seine frisch gebackene Assistentin zur Tür zu begleiten. War dies die richtige Entscheidung, oder hatte er aus einer Laune heraus viel zu überstürzt gehandelt? Die kommenden Wochen würden es zeigen. Selbst wenn er einen Fehler gemacht hatte, würde dieser sich schnell wieder korrigieren lassen. Vier Wochen waren schließlich keine Ewigkeit.

Erst im Lift fiel Jenny auf, dass sie eine wichtige Frage vergessen hatte. Sie wusste überhaupt nicht, wohin die Reise gehen sollte.

Auch egal, dachte sie resigniert, ich werde es ja sehen.

In ihrer Wohnung angekommen, packte Jenny in Windeseile ihren Koffer mit gut kombinierbarer Kleidung – sie brauchte genau eine halbe Stunde dazu. Nachdem sie den Deckel geschlossen hatte, schrieb sie Laura einen kurzen Brief.

Job bekommen, Probezeit einen Monat. Muss sofort anfangen und ihn begleiten – wahrscheinlich in sein Landhaus.

Gruß, Jenny

P.S. Er sieht ganz anders aus, als wir vermutet haben, viel jünger und attraktiver. Ist jedoch unnahbar. Bin mir nicht sicher, ob er ein angenehmer Boss ist.

Als sie den Stift beiseitelegte, blickte sie zufällig aus dem Fenster. Ein schwarzer Geländewagen mit getönten Scheiben parkte gerade vor dem Haus ein. Das musste Michael Denver sein. Hier in der Stadt schien sein Jeep irgendwie fehl am Platz, auf dem Land dagegen war er bestimmt äußerst praktisch.

Jenny hängte sich die Tasche über die Schulter, nahm Mantel und Koffer und eilte hinaus. Zweifel, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, versuchte sie tapfer zu verdängen.

Es war immer noch kalt, doch die Sonne hatte sich inzwischen durch die Wolken gekämpft, und der Himmel war strahlend blau.

Als Michael Denver sie kommen sah, stieg er aus. Wieder hatte sie jenes seltsame Gefühl, einem lang vertrauten Menschen zu begegnen.

„Gutes Timing“, lachte er, verstaute ihren Koffer und half ihr beim Einsteigen.

Während Michael seinen Wagen geschickt durch den Londoner Trubel lenkte, schwiegen beide. Jenny versuchte, sich zu entspannen, was bei der körperlichen Nähe zu ihrem neuen Chef keine leichte Aufgabe war. Als die Verkehrsdichte in den Vororten dann merklich nachließ, stellte Jenny die Frage, die sie schon die ganze Zeit bewegte „Übrigens, Mr. Denver …“

„Mir wäre es lieber, wenn wir uns beim Vornamen nennen“, unterbrach er sie. „Ich heiße Michael, und Sie sind Jennifer, wenn ich mich nicht irre.“

„Eigentlich werde ich Jenny genannt.“

„Dann also Jenny – ein hübscher alter Name, der aus dem Keltischen kommt, nicht wahr? Aber Sie wollten etwas fragen.“

„Ja. Wohin fahren wir eigentlich? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, besitzen Sie ein Haus auf dem Land.“

„Ja, Slinterwood.“ Er warf ihr einen bedeutungsvollen Seitenblick zu, den sie nicht einordnen konnte. „Sie kennen doch Mirren, oder?“

„Natürlich!“ Jenny war freudig überrascht. „Die Insel liegt vor der Küste von Kelsay. Dort habe ich doch jahrelang bei meiner Urgroßmutter gelebt.“

„Waren Sie schon einmal auf Mirren?“

„Ja, aber das ist schon lange her. Es war kurz vor meinem Umzug nach London, ich war gerade achtzehn geworden.“

„Haben Sie auch die Burg besichtigt?“

„Ja und nein. Ich war einer spontanen Eingebung gefolgt und kam viel zu spät an, nur um festzustellen, dass man die Burg an diesem Tag gar nicht besichtigen durfte. Daher habe ich außer dem Vorhof nichts gesehen. Trotzdem war ich von der Atmosphäre tief beeindruckt und nahm mir fest vor, das Versäumte zu einer anderen Zeit nachzuholen.“

„Und, haben Sie das getan?“

Jenny schüttelte den Kopf. „Nein. Leider änderten sich die Umstände, und als ich endlich wieder die Gelegenheit zu einem Besuch gehabt hätte, erübrigte sich mein Vorhaben. Mirren hatte inzwischen den Besitzer gewechselt und war für die Öffentlichkeit gesperrt.“

„Sie sind also kein zweites Mal dort gewesen?“

Jenny schüttelte den Kopf.

„Schade. Doch wie Sie ganz richtig sagten, ändern sich die Umstände – und werden sich auch wieder ändern.“

Auf diese etwas rätselhafte Bemerkung wusste Jenny nichts zu antworten.

„Haben Sie wenigstens herausgefunden, wem die Burg jetzt gehört?“, setzte Michael das Gespräch fort.

„Nein, aber soweit ich weiß, ist der Besitz in der Familie geblieben, er ist nur für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich.“

„Worüber Sie enttäuscht sind“, stellte er fest.

„Einerseits schon, andererseits kann ich die Familie auch verstehen.“ Sie zögerte etwas. „Wenn Mirren mir gehörte, hätte ich es auch nicht gern, wenn Horden von lärmenden Urlaubern über die Insel ziehen und ihren Abfall verstreuen.“

Michael schwieg, und sie glaubte, sich rechtfertigen zu müssen. „Meiner Ansicht nach liegt der Reiz von Mirren gerade in der Abgeschiedenheit der Lage. Es wäre regelrecht ein Vergehen, die Unberührtheit der Natur zu zerstören.“

„Wie können Sie mit einer solchen Einstellung in einer Großstadt wie London leben?“

„Für mich ist das kein Widerspruch. London ist auf eine andere Art schön. Die Stadt ist aufregend, voller Leben und bietet Arbeitsplätze in Hülle und Fülle. Natürlich vermisse ich Kelsay, das Rauschen des Meeres, die dunklen Nächte mit dem wunderbaren Sternenhimmel … in London kann man ihn vor lauter Lichtern und Leuchtreklame kaum erkennen …“ Jenny hatte das Gefühl, viel zu viel gesagt zu haben, und verstummte.

Als Michael nicht antwortete, redete sie weiter. „Entschuldigung, ich wollte Sie mit meinem Geplapper nicht nerven.“

„Das haben Sie auch nicht. Ganz im Gegenteil, ich fand Ihr sogenanntes Geplapper äußerst poetisch.“

Machte er sich über sie lustig? Jenny schnitt ein etwas neutraleres Thema an. „Wenn ich Ihre Worte richtig interpretiere, liegt Slinterwood also in der Nähe von Mirren?“

„Slinterwood liegt auf Mirren.“

„Wie bitte?“

„Sie haben richtig gehört, Slinterwood liegt auf Mirren“, bestätigte er rasch.

Jenny hielt den Atem an. Träumte sie das alles nur? Mirren hatte schon von jeher einen unwiderstehlichen Zauber auf sie ausgeübt. Für sie stellte die Insel eine Art seelische Heimat dar. Auch während der Zeit, als sie mit ihren Eltern in Jersey gelebt hatte, waren ihre Gedanken von Mirren nicht losgekommen.

Dann war ihre Urgroßmutter pflegebedürftig geworden. Jenny, die nicht nur nach ihr benannt worden war, sondern sie auch sehr mochte, zog daraufhin nach Kelsay, um sie zu betreuen. Da ihre Urgroßmutter das ganze Leben in Sichtweite von Mirren verbracht hatte, wollte Jenny sie nach allem fragen, was sie über die Insel wusste.

Doch dazu kam es nicht. Die Nacht, bevor Jenny in Kelsay eintraf, erlitt ihre Urgroßmutter einen zweiten Schlaganfall. Anschließend war sie nicht mehr in der Lage, sich zusammenhängend zu äußern.

Jetzt bot das Schicksal Jenny eine zweite und noch günstigere Chance: Statt Erzählungen zu lauschen, würde sie Mirren selbst erkunden. Was für eine Gelegenheit!

Michael beobachtete sie. „Sie strahlen ja plötzlich vor Glück“, bemerkte er.

„Ich bin außer mir vor Freude“, bestätigte sie. „Und völlig überrascht. Zum einen dachte ich, Mirren sei in Privatbesitz.“

„Das ist die Insel auch.“ Michael nickte, gab jedoch keine weiteren Erklärungen. „Und zum anderen?“

„Ich dachte, die Burg sei das einzige Gebäude auf Mirren. Wo genau liegt Slinterwood denn?“

„Gut einen Kilometer südlich der Burg mit Blick aufs Meer.“

„Eigenartig! Ich frage mich, weshalb ich das Haus vom Land aus nie gesehen habe.“

„Weil es verzaubert ist, es erscheint nicht jedem.“ Michael lächelte amüsiert. „Nein, es liegt zwischen Bäumen und einer steilen Klippe versteckt.“

„Gibt es sonst noch Häuser?“

„Ja, zwei Farmgebäude und das ehemalige Gesindehaus aus dem 19. Jahrhundert.“

Jenny schüttelte ungläubig den Kopf.

„Von der Küste aus ist lediglich die Burg zu sehen, alles andere nur, wenn man sich auf See befindet“, erklärte Michael.

Jenny konnte es immer noch nicht so recht begreifen. „Demnach leben also ständig Menschen auf der Insel?“

„Ja. Obwohl die Burg nicht länger bewohnt ist, wird das dazugehörige Land noch bewirtschaftet, von Familien, die schon seit Generationen auf Mirren leben. Für junge Leute bietet die Insel natürlich keine Perspektive, aber einige zieht es nach der Berufsausbildung unwiderstehlich an den Ort ihrer Kindheit zurück, und so stirbt das Leben auf Mirren nicht aus.“

Michael schwieg und gab Jenny Gelegenheit, über die für sie überraschende Situation in Ruhe nachzudenken. Trotz aller Vorfreude spürte sie leichte Beklommenheit.

Natürlich war es aufregend und spannend, die nächste Zeit sowohl auf ihrer Lieblingsinsel zu verbringen, als auch für ihren Lieblingsautor zu arbeiten. Über das, was Michael als Abgeschiedenheit bezeichnet hatte, hatte sie sich allerdings Illusionen gemacht. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, mit ihm allein und fast völlig von der Außenwelt isoliert leben zu müssen. War sie vielleicht auf die Arbeitsbedingungen allzu leichtfertig eingegangen?

Der Beschreibung nach lag Slinterwood nicht am Damm, der die Insel mit dem Festland verband, sondern genau am entgegengesetzten Ende. Das Festland zu Fuß zu erreichen, war ihr daher nahezu unmöglich. Wie sie sehr gut wusste, war der Damm fast zwei Kilometer lang und nur bei Ebbe passierbar.

Ohne eigenes Auto war sie damit praktisch Michael Denvers Gefangene.

Doch sie war nicht die Heldin eines Melodrams, und Michael war kein fieser Unhold. Außerdem waren bestimmt zumindest eine Haushälterin und ein Butler im Haus, um für das leibliche Wohl ihres Dienstherrn zu sorgen. Ganz allein würde sie mit Michael auf Slinterwood bestimmt nicht sein.

Ob er von ihr erwartete, ihm auch außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit Gesellschaft zu leisten? Das war eher unwahrscheinlich, denn an weiblicher Gesellschaft schien ihm nicht viel gelegen zu sein. Aber selbst wenn – sie wurde für ihre Dienste hervorragend bezahlt, und sie würden nicht ewig auf Slinterwood bleiben. Sollte die Situation wirklich unerträglich werden, musste sie eben nach der Probezeit gehen und sich einen anderen Job zu suchen.

Ruhig und mit neuer Zuversicht erfüllt, hatte sie wieder Augen für die hügelige Landschaft, durch die sie fuhren. Kahle Bäume ragten in einen wolkenlos blauen Himmel. Dennoch war es der fahlen Wintersonne nicht gelungen, den Raureif auf Wiesen und Feldern zum Tauen zu bringen.

Im nächsten Dorf hielt Michael an einem Ententeich und deutete auf einen Gasthof.

„Was halten Sie von einem leckeren Mittagessen?“, fragte er.

„Viel, ich habe nämlich ausgesprochenen Hunger. Vor dem Bewerbungsgespräch war ich einfach zu aufgeregt, um auch nur einen Bissen hinunterzubringen.“

War sie wirklich so naiv, oder hatte sie die Bemerkung absichtlich gemacht? Michael runzelte die Stirn. Wollte sie ihm vorgaukeln, ein junges, naives Ding zu sein?

Jenny sah, wie sich sein Gesicht verschloss, und bereute ihre spontanen Worte. Sie hätte die Einladung kommentarlos annehmen sollen. Schweigsam folgte sie Michael in einen ausgesprochen behaglichen Gastraum mit niedriger Balkendecke und bleiverglasten Fenstern. In einem offenen Kamin prasselte ein gemütliches Feuer, und außer zwei Männern an der Theke waren sie die einzigen Gäste.

Der Wirt verließ sofort seinen Platz am Zapfhahn, um Michael herzlich zu begrüßen. „Schön, Sie wieder einmal bei uns zu sehen, Mr. Denver“, meinte er ehrlich erfreut. „Aber wo ist Mrs. Denver? Meine Frau und ich haben so gehofft, sie wieder an Ihrer Seite zu sehen.“

Michaels Miene wurde abweisend, doch seine Stimme blieb höflich. „Und was hat Sie zu dieser Hoffnung veranlasst, Amos?“

„Die Berichte in den Zeitungen natürlich! Sie und Ihre Frau hätten sich wieder ausgesöhnt, das war dort Schwarz auf Weiß zu lesen. Das müssen Sie doch wissen!“

„Nein, ich verfolge die Presse nicht. Die Hälfte von dem, was dort geschrieben wird, entbehrt jeder Grundlage. Am besten, man tut diese Art Informationen als Gerüchte ab.“

Amos nickte zustimmend. „Normalerweise würde ich Ihnen recht geben, doch Mrs. Denver selbst soll den Reportern von einem Neuanfang berichtet haben.“

„Wer auch immer was gesagt haben mag“, meinte Michael, „es entspricht nicht den Tatsachen, das dürfen Sie mir glauben, Amos.“

Geschickt wechselte der Wirt das Thema. „Was darf ich Ihnen bringen, Mr. Denver? Das Übliche?“

Michael nickte.

„Und was darf ich der jungen Dame bringen?“

„Dies ist Miss Mansell, meine neue Assistentin“, stellte Michael Jenny vor. „Jenny, was möchten Sie trinken?“ Fragend sah er sie an. „Ein Glas Wein? Apfelschorle oder nur Wasser?“

Sie zögerte, weil sie nicht schon wieder einen Fehler machen wollte, sagte dann aber doch die Wahrheit. „Ich hätte gern ein Glas von dem selbst gebrauten Bier.“ Sie deutete auf die Werbetafel, die über dem Schanktisch angebracht war.

Amos lachte anerkennend. „Eine hervorragende Wahl, Miss!“ Er blickte zu Michael, der versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. „Bestimmt haben Sie mein Bier in den höchsten Tönen gelobt, Sir.“

„Das brauchte ich nicht.“ Michael blieb völlig ernst. „Miss Mansell besitzt die Fähigkeit, meine Gedanken zu lesen.“

Amos grinste. „Das nenne ich gefährlich.“ Er zapfte zwei Glas Bier. „Glücklicherweise besitzt meine Frau keine derartigen Talente. Es reicht, wenn sie meine Taschen kontrolliert und meine Briefe liest … Sie möchten doch bestimmt auch etwas essen, oder?“

„Wenn es möglich wäre.“

„Selbstverständlich. Sarah mag ihre Fehler haben, aber sie ist die beste Köchin weit und breit. Heute gibt es Kaninchenragout und hinterher warmen Apfelkuchen mit Vanilleschaum, einfach köstlich! Wenn die Dame jedoch etwas Leichteres wünscht, können wir natürlich auch einen leckeren Salat anbieten.“

Michael, an Claire gewöhnt, die stets an ihre Figur denken musste, sah Jenny fragend an. Wieder gelang es ihr, ihn zu überraschen.

„Für mich bitte das Kaninchenragout und anschließend Apfelkuchen“, erklärte sie.

„Dann bitte zwei Mal, Amos.“

Michael nahm die Gläser und ging zu einem Tisch am Kamin. Jenny folgte ihm nachdenklich. Hatte sie sich undamenhaft benommen? Hätte sie sich doch lieber für einen Salat und ein Mineralwasser entscheiden sollen? Egal, jetzt ließ sich daran sowieso nichts mehr ändern.

Michael wollte ihr schon einen der bequemen Polsterstühle zurechtrücken, als er plötzlich innehielt. „Möchten Sie lieber woanders sitzen? Ist Ihnen das zu nah am Feuer?“

„Zu nah am Feuer?“ Verständnislos sah sie ihn an.

„Ich musste an meine Exfrau denken“, erklärte er entschuldigend. „Sie hat sich nie vor einen offenen Kamin gesetzt, weil die Hitze angeblich die Haut ruiniert.“

Darauf wusste Jenny nichts zu antworten. Schweigend setzte sie sich und betrachtete das Spiel der Flammen. Michael runzelte die Stirn und trank einen Schluck Bier. Seit Monaten bemühte er sich, Claire zu vergessen und ihren Namen nicht zu erwähnen. Wieso redete er plötzlich von ihr? Wahrscheinlich, weil Amos das Thema angeschnitten hatte.

Zweifellos hatte sich Claire vor der Presse absichtlich in Szene gesetzt. Sie liebte ihn nicht und hatte ihn wahrscheinlich niemals geliebt, dessen war er sich ganz sicher. Claire war jedoch keine Frau, die einen Mann, den sie als ihr Eigentum betrachtete, kampflos aufgab.

Mochte sie intrigieren, wie sie wollte, niemals würde er sich erneut auf sie einlassen. In der kurzen Zeit ihrer Ehe hatte sie ihm nicht nur Hörner aufgesetzt, sondern auch seinen männlichen Stolz in den Dreck gezogen. Die Gefühle, die er ihr einst entgegenbrachte, hatte sie grausam vernichtet. Als er die Scheidungsurkunde endlich in den Händen hielt, war er trotz aller Enttäuschung und Verbitterung grenzenlos erleichtert gewesen.

Geistesabwesend seufzte er, riss sich aber sofort zusammen und kehrte mit den Gedanken in die Gegenwart zurück. Jenny hatte sich zurückgelehnt und blickte in die Flammen. Sie war längst nicht so gelassen, wie sie tat, das spürte er genau.

Glücklicherweise brachte Amos in diesem Moment das Essen, und die Situation entspannte sich. Jenny bekam einen Schrecken, als sie auf ihren üppig gefüllten Teller blickte. Doch das Ragout zerging auf der Zunge, und die Klöße mit der würzigen Soße waren so lecker, dass sie keine Schwierigkeiten hatte, ihre Portion aufzuessen.

Michael beobachtete sie verstohlen. Jenny besaß einen guten Appetit und ließ es sich schmecken. Nach Claire, die stets in ihrem Salat gestochert hatte, nur um die Hälfte zurückgehen zu lassen, fand er es erfrischend, mit einer Frau am Tisch zu sitzen, der die Freude an einem guten Essen anzusehen war.

Der warme Apfelkuchen mit Vanillesoße stand dem Hauptgericht in nichts nach, und wieder leerte Jenny ihren Teller. „War das gut!“ Zufrieden lehnte sie sich zurück.

Fasziniert beobachtete er, wie sie sich mit der Zungenspitze einen winzigen Krümel von der Lippe leckte. Leidenschaftliches Verlangen ergriff ihn, und er musste schnell zur Seite blicken. Diese heftige Reaktion war mehr als überraschend für ihn und brachte ihn ziemlich aus der Fassung. Nach den Erfahrungen mit Claire war es keiner Frau wieder gelungen, derartige Gefühle in ihm auszulösen.

Michael war Amos ausgesprochen dankbar, dass er genau diesen Moment wählte, um den Kaffee zu bringen und den Tisch abzuräumen.

„Mein Kompliment an Sarah“, begrüßte er Amos. „So gut habe ich nicht mehr gegessen, seit ich das letzte Mal hier war.“

„Das richte ich ihr gerne aus. Auf ein Lob aus Ihrem Mund ist sie immer besonders stolz.“

Den Kaffee tranken die beiden in einvernehmlichem Schweigen. Mit einem kurzen Seitenblick vergewisserte sich Jenny, dass Michael tief in Gedanken versunken war. Das bot ihr eine willkommene Gelegenheit, ihn heimlich zu mustern.

Sein dichtes dunkles Haar lockte sich, obwohl er es kurz geschnitten trug. Das Gesicht war ausgesprochen männlich und markant. Michael besaß eine gerade Nase und ein energisches Kinn, ließ jedoch Jennys Meinung nach Charme und Humor vermissen.

Seine grünen und leicht schräg stehenden Augen hatten sie schon heute Vormittag fasziniert. Dagegen fiel ihr erst jetzt auf, wie sinnlich sein Mund wirkte. Als sie den Blick auf seinen Ohren ruhen ließ, musste sie unwillkürlich lächeln. Klein und wohlgeformt, waren sie das genaue Gegenteil von den spitzen und abstehenden Ohren, die Laura vermutet hatte.

In diesem Moment blickte Michael auf. Jenny schoss die Röte ins Gesicht. Dachte er etwa, sie mache sich über ihn lustig?

Er sah sie jedoch nur amüsiert an und zog die Brauen etwas hoch. „Verraten Sie mir den Witz?“, fragte er.

Jenny sah sich in die Enge getrieben. Sie atmete einmal tief durch und entschloss sich zur Flucht nach vorn. „Ich musste gerade daran denken, wie sich meine Freundin Sie, den berühmten Autor, vorgestellt hat.“

„So? Und wie sollte ich demnach aussehen?“

Jenny wiederholte Lauras Beschreibung wörtlich.

Michael verzog keine Miene, seine Augen jedoch sprühten vor Lachen. „Zumindest mit meinen Ohren habe ich Sie ja dann wohl angenehm überrascht.“

Sein Sinn für Humor gab Jenny den Mut, auch einen Scherz zu wagen. „Da muss ich Sie leider enttäuschen. Als überzeugter Fan von Star Treck bin ich eine glühende Bewunderin von Mr. Spok.“

Jenny beeindruckte ihn. Der Witz, der aus ihren Augen sprach, und das Lächeln, das ihre Lippen umspielte, ließen sein Herz schneller schlagen. Bemüht, sich das nicht anmerken zu lassen, schüttelte er in gespielter Verzweiflung den Kopf.

„Mr. Spok hat mich aus dem Feld geschlagen! Davon wird sich mein Ego nie wieder erholen.“

Jetzt mussten beide lachen, und Jenny sah den Charme und Humor, den sie vorhin bei Michael vermisst hatte. Er verstand es meisterlich, diese Eigenschaften hinter einer nüchternen und sogar abweisenden Maske zu verbergen.

Aus unerfindlichem Grund fühlte sie sich plötzlich frei und leicht – und freute sich ohne jede Einschränkung auf die kommenden Tage und Wochen.

3. KAPITEL

Der Anziehungskraft dieser leuchtenden Augen konnte sich bestimmt kein Mann entziehen. Jenny war eine einmalig schöne Frau.

Michael blickte gedankenverloren vor sich hin. Schon etliche Stunden hatte er jetzt in ihrer Gesellschaft verbracht, ohne dass Jenny ihn auch nur einen Moment lang gelangweilt hätte. Ganz im Gegenteil, sie fesselte ihn immer mehr – was er bei seinem anfänglichen Widerstand gegen eine persönliche Assistentin als Ironie des Schicksals empfand. Außerdem würden dadurch gewisse Probleme entstehen.

Nach dem Interview mit Jenny hatte er sofort Paul angerufen und ihm das Ergebnis mitgeteilt.

„Gut.“ Paul war zufrieden. „Ich habe mich noch einmal eingehend umgehört, dabei jedoch nichts Negatives über Jennifer Mansell in Erfahrung bringen können. Ich werde die Ohren aber weiterhin offen halten. Gib dem Mädchen eine Chance, Michael, sie ist wirklich eine Spitzenkraft. Und sollte sie sich dir tatsächlich an den Hals werfen, ergreife die Chance und geh mit ihr ins Bett. Vielleicht brauchst du genau das, um wieder du selbst zu werden.“

An diese Worte musste Michael jetzt denken. Wie würde er reagieren, wenn Jenny tatsächlich eindeutiges Interesse signalisierte?

Bisher allerdings deutete nichts darauf hin. Ganz im Gegenteil, Jenny wahrte Distanz und blockte allzu persönliche Gespräche sofort ab.

Er trank den letzten Schluck Kaffee und blickte auf die Uhr. „Wenn Sie fertig sind, sollten wir uns wieder auf den Weg machen, sonst ist die Tide schneller als wir und macht den Damm für heute unpassierbar. Wenn Sie sich frisch gemacht haben, treffen wir uns am Auto.“

Jenny nickte und folgte den Schildern zur Toilette.

Nachdenklich wusch sie sich die Hände. Michael Denver war ihr ein Rätsel, und sie wusste nicht, wie sie mit ihm umgehen sollte. Die nächsten Wochen mit ihm auf der einsamen Insel zu verbringen, war zwar ein Risiko, doch sie war bereit, es einzugehen. Nur so würde sie Michael näher kennenlernen und entscheiden können, ob der Job als seine PA wirklich der richtige für sie war. Mit neuem Elan machte sie sich auf den Weg zum Parkplatz.

„Wie lange brauchen wir noch bis zur Küste?“, fragte sie, während sie sich anschnallte.

„Ungefähr eine halbe Stunde.“ Michael fuhr los.

„Könnten Sie mir etwas über Mirren erzählen?“, bat Jenny. „Obwohl diese Insel für mich aus unerfindlichen Gründen schon immer das Ziel meiner Sehnsucht war, weiß ich über sie so gut wie nichts.“

„Mirren ist ungefähr zwölf Kilometer lang und viereinhalb Kilometer breit“, erklärte Michael. „Das Land, das etwas höher als der Meeresspiegel liegt, eignet sich als Weide. Außer einigen windschiefen Kiefern gibt es nur wenige hohe Bäume, nämlich die vor Slinterwood. Da die Insel mehrere Quellen besitzt, die den Süßwasserbedarf decken, ist sie schon seit Jahrhunderten besiedelt. Mirren ist berühmt für die Zucht einer seltenen Schafrasse, die ähnliche Eigenschaften besitzt wie das berühmte Merinoschaf. Außerdem wird Gemüse angebaut, heutzutage nach biologisch-dynamischen Prinzipien. Es ist äußerst gefragt und wird an die besten Hotels Londons geliefert.“

Er lächelte. „Selbst auf die Gefahr hin, wie ein Reiseführer zu klingen, möchte ich besonders die idyllischen Sandbuchten an der Seeseite erwähnen, die zum Schwimmen und Picknicken einladen.“

„Das klingt äußerst romantisch.“

„Mirren hat einen eigenen, unverwechselbaren Charakter.“

Zu Jennys großer Enttäuschung hielt Michael das Thema damit für beendet. „Das Gute an dieser Jahreszeit ist der wenige Verkehr“, meinte er zufrieden.

Und wirklich, als sie auf den Damm fuhren, war kein anderes Auto zu sehen. Jenny schauderte, so weit und einsam wirkte die Landschaft.

Die Abendstimmung war traumhaft. Kein Lüftchen regte sich, und das Meer wirkte wie ein geheimnisvoller Spiegel. Mirren schien in silbrigem Dunst über dem Wasser zu schweben, durch den Damm wie mit einem schimmernden Band an das Festland geknüpft.

In der hereinbrechenden Dämmerung verfärbte sich der Himmel zu einem Feuerwerk der Farben. Alle nur erdenklichen Rottöne mischten sich mit Violett, Grau und Anthrazit. Dieses Naturschauspiel verschlug Jenny den Atem. Jeden Moment befürchtete sie, Mirren könne sich wie eine Fata Morgana in Nichts auflösen.

Nachdem sie den Damm ungefähr zur Hälfte überquert hatten, änderte sich die Szenerie, denn ab hier schob sich die Burg ins Blickfeld. Die Türme und Zinnen der mittelalterlichen Anlage schienen direkt aus der felsigen Steilküste zu wachsen und zeichneten sich gestochen scharf gegen den Himmel ab.

Wie bei ihrem ersten Besuch stieg ein Gefühl von Glück in ihr auf und ließ ihr Herz schneller schlagen. Jenny seufzte. Hätte sie doch nur dort leben dürfen!

„Leider ist die Burg nicht mehr bewohnt“, bemerkte Michael, als könne er Gedanken lesen.

„Und warum nicht? Ist sie baufällig?“

Er schüttelte den Kopf. „Ganz und gar nicht. Außer einigen kleineren Schönheitsreparaturen ist sie in hervorragendem Zustand.“

Gern hätte Jenny den Grund gewusst. Doch weitere Fragen zu stellen, traute sie sich nicht. Michaels Miene wirkte plötzlich verschlossen und abweisend, und so hielt sie es für klüger, wieder aus dem Fenster zu sehen. Nur noch wenige Meter, und sie hatten die Insel erreicht – gerade noch rechtzeitig, denn die Flut kam jetzt mit aller Macht, und das Wasser leckte schon an der Sicherheitsmarkierung. In wenigen Minuten würde der Damm überspült werden.

Als Michael am Eingang zum Burghof vorbeifuhr, erkannte Jenny die Stelle wieder, an der sie damals geparkt hatte. Die Straße ging jetzt steil in Serpentinen die Steilküste hinauf. Einige der Stechginsterbüsche, die zwischen den Felsen wuchsen, standen trotz der Jahreszeit in voller Blüte. Als Jenny zufällig in den Seitenspiegel blickte, war sie von der Aussicht zutiefst berührt.

„Könnten Sie einen Moment anhalten?“, bat sie spontan. „Ich möchte den herrlichen Blick von hier oben gern etwas länger genießen.“

„Selbstverständlich.“ Sofort parkte er am Straßenrand, half Jenny beim Aussteigen und führte sie zu einem kleinen Felsplateau. Die Luft war bitterkalt, das Farbspiel des Himmels wurde zusehends blasser, und am Horizont zogen schwarze Wolken auf.

„Von hier aus wirkt die Burg ganz anders, geradezu uneinnehmbar.“ Jenny kniff die Augen zusammen. „Die Mauern stehen ja direkt auf der Kante des Kliffs! Wurde die Burg überhaupt jemals eingenommen?“

„Durch Verrat gelang es dem Feind ein einziges Mal, den Fuß auf den Hof zu setzen, was ihm und dem Abtrünnigen allerdings äußerst schlecht bekam. Doch lassen Sie uns jetzt zum Auto zurückgehen. Ihnen scheint kalt zu sein, und es wird dunkel.“

Jenny nickte und folgte ihm. „Es ist nicht zu fassen, wie eine Pflanze zu dieser Jahreszeit so wunderbar blühen kann.“ Sie deutete auf den Ginster, dessen Blüten in der Dämmerung gelb schimmerten.

„Glücklicherweise blüht Ginster das ganze Jahr über.“ Michael öffnete ihr die Tür.

„Glücklicherweise?“ Verständnislos drehte Jenny sich zu ihm um.

„Sie kennen doch bestimmt die alte Volksweisheit, dass mit der Ginsterblüte die Zeit zum Küssen kommt.“

Lächelnd blickte sie zu ihm auf und wollte gerade eine ironische Bemerkung machen, als sie das verräterische Glitzern in seinen Augen sah. Die Autotür im Rücken, konnte sie nicht zurückweichen. Wie hypnotisiert sah sie ihn an und öffnete unwillkürlich die Lippen.

Als Michael den Kopf senkte und sie küsste, schloss sie die Lider, um sich ganz auf ihre Gefühle zu konzentrieren.

Waren seine Lippen im ersten Moment überraschend fest und kühl, erwärmten sie sich schnell und wurden weich und nachgiebig. Obwohl die Liebkosung sanft und eher spielerisch war, stand Jenny in Flammen. Das Blut rauschte in ihren Ohren, und ihre Knie gaben nach. Sie war schon öfter geküsst worden, und zwar länger und sehr viel leidenschaftlicher, doch noch nie hatte sie dabei so tief empfunden.

Michaels Kuss hatte ihre Welt aus den Angeln gehoben. Als er die Berührung löste, war sie verstört, als hätte sie plötzlich einen wesentlichen Teil ihrer selbst verloren.

Benommen öffnete sie die Augen. Erst jetzt bemerkte sie, dass Michael sie stützen musste. Hastig versuchte sie, ihr Gleichgewicht wiederzufinden und sich aufzurichten.

Michael erlangte seine Fassung deutlich schneller wieder. Auch ihn hatte dieser Kuss im Innersten getroffen. Jennys Hingabe und seine eigene Leidenschaft, mit der er darauf reagierte, hatten ihn völlig unverhofft getroffen. Schnell trat er einen Schritt zurück. Wie hatte er nur so unüberlegt handeln können! Reue jedoch lag ihm fern, dazu war die Erfahrung zu überwältigend und zu schön gewesen.

Nach allem, was er über Jennifer Mansell erfahren hatte, erstaunte ihn ihr Verhalten über alle Maße. Warum hatte sie ihn gewähren lassen, anstatt ihm eine Abfuhr zu erteilen? Außerdem machte sie den Eindruck, als hätte sie der Kuss ebenso verstört wie ihn. Wortlos half er ihr in den Jeep und ging dann um den Wagen herum, um sich hinter das Steuer zu setzen.

Da es Jenny in der Zwischenzeit immer noch nicht geschafft hatte, ihren Gurt einrasten zu lassen, half er ihr. Als sich dabei ihre Oberschenkel berührten, zuckte sie zurück und senkte den Kopf.

Nachdem sich der Jeep in Bewegung gesetzt hatte, starrte Jenny blicklos durch die Frontscheibe und versuchte, Ordnung in das Chaos ihrer Emotionen zu bringen. Es gab keinen vernünftigen Grund, derart durcheinander zu sein. Was war schon Großartiges passiert? Ein Kuss war schließlich nur ein Kuss. Michael maß ihm sicherlich keine Bedeutung zu. Für ihn war es eine amüsante Spielerei gewesen, zu der ihn das Sprichwort mit dem Ginster angeregt hatte.

Trotzdem – wenn sie an das Glitzern in seinen grünen Augen dachte, wurde ihr klar, dass er nicht spontan, sondern bewusst gehandelt hatte. Wollte er vielleicht testen, wie weit er bei ihr gehen konnte?

Gegen diese Verdächtigung sprach sein Ruf. Michael Denver war kein Casanova, ganz im Gegenteil, nach dem dramatischen Scheitern seiner Ehe galt er als Frauenverächter. Auch sein Verhalten während des Bewerbungsgesprächs hatte ihr diese Einschätzung bestätigt.

Wahrscheinlich gelang es ihm nicht, seine Frau zu vergessen, und er liebte sie noch immer. Als er von Amos auf eine mögliche Aussöhnung angesprochen worden war, hatte sich sein Gesicht versteinert – bestimmt vor Schmerz. Claire hatte ihn zwar betrogen, es aber anscheinend sofort bereut und sich aus diesem Grund auch gegen die Scheidung gesträubt. Mit Sicherheit wusste sie auch, dass Michael sie noch liebte, sonst hätte sie der Presse gegenüber nicht von ihrer Hoffnung auf eine Versöhnung gesprochen.

Michael dagegen hatte das als Wunschdenken abgetan, vielleicht, weil sich sein Stolz von der Schmach noch nicht erholt hatte, vielleicht, weil er Claire eine Lehre erteilen wollte. Solange die Zeit für einen Neuanfang mit seiner geschiedenen Frau noch nicht reif war, brauchte Michael vielleicht eine Zwischenlösung. Eine Frau fürs Bett, die nicht mehr von ihm erwartete als ein erotisches Abenteuer.

Warum auch nicht? Wenn sich beide Partner ehrlich dazu bekannten, war in der heutigen Zeit nichts dagegen einzuwenden. Für sich selbst lehnte Jenny allerdings diese Art von Beziehung kategorisch ab. Wenn Michael ihr Gehalt nur deshalb so großzügig bemessen hatte, weil er ihre Liebesdienste gleich mit dazurechnen wollte, stand sie vor einem Problem.

Erneut zweifelte sie, ob sie diesen Job wirklich hätte annehmen sollen.

„Nach der nächsten Kurve haben Sie freien Blick auf die Bucht von Slinterwood“, hörte sie Michael sagen. Seine nüchterne Feststellung und die sachliche Stimme holten Jenny auf den Boden der Tatsachen zurück. Ihre Befürchtungen, er habe es auf sie abgesehen, waren nichts weiter als Hirngespinste und entsprangen einzig und allein ihrer überhitzten Fantasie.

Nur gut, dass Michael keine Gedanken lesen konnte. Sonst würde er sich jetzt bestimmt fragen, was für einen Wirrkopf er da als Assistentin eingestellt hatte.

„Und das ist das Haus.“ Er deutete durch die Scheibe.

Die dünne Mondsichel über dem Wasser spendete gerade genug Licht, um das in einer kleinen Senke liegende und von Bäumen geschützte Haus am Rande des Kliffs zu erkennen. Es war mit Efeu bewachsen, und aus zwei der zahlreichen Schornsteine stieg weißer Rauch.

Die Szene wirkte märchenhaft und verwunschen. Slinterwood war aus Naturstein gebaut, besaß Erker, Sprossenfenster mit Läden und war von einer niedrigen Mauer mit einer kleinen Pforte umgeben. Das Haus schien hier hinzugehören, als habe es schon immer an diesem Platz gestanden.

Michael hielt vor den alten Steinstufen am Eingang. Als Jenny die Tür erblickte, musste sie lächeln. Aus verblichener Eiche, mit eisernen Beschlägen und einer erleuchteten Laterne darüber ähnelte sie den Illustrationen, die in alten Kinderbüchern zu finden sind.

Michael ließ sie aussteigen und öffnete die Heckklappe, um ihren Koffer zu holen – er selbst schien keinerlei Gepäck mitgebracht zu haben. Wahrscheinlich war Slinterwood sein zweites Zuhause und mit allem, was er brauchte, ausgestattet.

„Fühlen Sie die Stille?“, fragte er sie.

Jenny nickte. Nicht das kleinste Lüftchen regte sich. Es war, als hielte die Natur in Erwartung der hereinbrechenden Nacht den Atem an.

„Diese Stimmung ist typisch für Winterabende auf Mirren“, erklärte Michael, zog einen großen, altmodischen Schlüssel aus der Jackentasche und öffnete die Tür.

Jenny war erstaunt. Wo blieb die Haushälterin? Als Michael die Innenbeleuchtung einschaltete, sah sie, dass sie sich in einer Halle befanden, die sich längs durch das Haus zog. An der gegenüberliegenden Wand war die Anordnung von Tür und Fenstern genau dieselbe wie auf der Eingangsseite. Rechts und links befanden sich weitere Türen, die in die Zimmer führten. Die Freitreppe in die obere Etage lag rechts.

Schon der Eingangsbereich war Jenny bekannt vorgekommen, was sie jedoch auf verschwommene Erinnerungen an die Geschichtenbücher ihrer Kindertage zurückgeführt hatte. Als sie sich jetzt jedoch genauer umblickte und die gewachsten Eichendielen sah, verstärkte sich ihr seltsames Gefühl. In längst vergangenen Zeiten war sie schon einmal in diesem Haus gewesen. Es hatte auf sie gewartet und hieß sie freudig willkommen.

Michael war ihr lebhaftes Mienenspiel nicht entgangen. „Ist etwas?“, fragte er.

„Nein … nichts.“ Sie schluckte. Michael wirkte nicht überzeugt. Daher versuchte sie, ihre Empfindungen in Worte zu fassen. „Irgendwie kommt mir das Haus bekannt vor. Es scheint mir sogar durch und durch vertraut.“

Michael setzte den Koffer ab. „Vielleicht waren Sie schon einmal auf Slinterwood“, meinte er ohne große Überzeugung.

Entschieden schüttelte Jenny den Kopf. „Nein! Es muss sich um ein Déjà-vu-Erlebnis handeln.“ Sie war sich sicher, noch niemals hier gewesen zu sein, trotzdem wollte das Gefühl von Freude und der Gewissheit, endlich zu Hause angekommen zu sein, nicht schwinden.

Michael fand Jennys Verhalten nicht weiter befremdlich. Für ihn besaß jedes Haus eine bestimmte und einzigartige Atmosphäre, die jeder spürte, der sich dafür öffnete. „Was Sie fühlen, ist es … unangenehm?“, fragte er vorsichtig.

„Ganz im Gegenteil, es ist stark und positiv.“

„Wenn Sie meinen, das Haus zu kennen, können Sie mir die Lage der Räume beschreiben? Versuchen Sie es.“

Jenny schloss die Augen und rührte sich nicht. „Die Türen auf der Seite der Treppe führen zu einer großen Wohnküche und … ich glaube, man könnte es als ein Morgenzimmer bezeichnen. Von der Küche aus betritt man die Speisekammer … an der Wand steht ein Tisch mit einer grünen Marmorplatte, daneben eine altmodische Wasserpumpe mit einem weißen Porzellanbecken.“

„Weiter“, forderte er sie mit belegter Stimme auf.

Jenny gehorchte. Sie hatte keine Ahnung, woher die Bilder kamen, die sie so klar vor sich sah. „Auf der Seite zur See hin gibt es einen lang gestreckten Salon. Daneben liegen die Bibliothek mit dem Büro und das Esszimmer.“

„Und oben?“

„Ich bin mir nicht sicher.“ Jenny öffnete die Augen. „Ein großes Schlafzimmer über dem Salon, mehrere kleine daneben – alle mit offenen Feuerstellen, Dachschrägen und gebohnertem Dielenboden. Am Ende des Korridors führen zwei Stufen hinunter zu einem großen Bad mit einer altmodischen, frei stehenden Wanne auf Löwenfüßen.“

„Und Sie meinen, das stimmt?“, fragte er nachdenklich.

„Natürlich nicht. Es war eine Art Geistesblitz. Wahrscheinlich habe ich etwas beschrieben, das ich irgendwann einmal geträumt oder in einem Film gesehen habe.“ Obwohl Jenny das Ganze mit einem amüsierten Lächeln abtat, war sie insgeheim erschüttert. Sie hatte die Räume in aller Deutlichkeit vor sich gesehen!

„Wenn ich Mrs. Blair richtig verstanden habe, sind Sie im lila Zimmer untergebracht.“ Michael sah sie erwartungsvoll an. Erst als sie nicht reagierte, griff er den Koffer und führte sie die Treppe hinauf.

Ihr Zimmer lag zur Seeseite. Die Wände waren helllila gestrichen, die Möbel schlicht und modern, und eine schmale Tür führte zu einem eigenen Badezimmer. Jenny atmete erleichtert auf, denn abgesehen von den Dachschrägen und den auf Hochglanz polierten Holzdielen, besaß der Raum keinerlei Ähnlichkeit mit ihren Fantasiegebilden.

„Keine offene Feuerstelle also“, meinte sie, als sie Michaels fragenden Blick auf sich ruhen spürte.

„Nein“, antwortete er scheinbar gelassen. „Vor ein paar Jahren gab es einige kleine Umbauten. Eine Zentralheizung wurde installiert, dieses Badezimmer wurde eingerichtet, und die Kamine wurden zugemauert – nur der im Schlafzimmer für die Eheleute existiert noch.“

„Oh“, brachte Jenny mühsam hervor.

Michael setzte den Koffer auf eine Kommode. „Bevor Sie auspacken, möchte ich Ihnen die übrige Etage zeigen.“

Auf dem Flur schaltete er das Licht ein und öffnete die benachbarte Tür. „Das ist mein Zimmer …“

Es musste sich um das erwähnte große Schlafzimmer handeln, denn Jenny fiel sofort der Kamin auf, in dem das Holz zum Anzünden bereitlag. Der Raum war äußerst großzügig geschnitten, besaß eine dunkle Balkendecke und war ausschließlich mit antiken Möbelstücken eingerichtet.

Dann führte Michael Jenny zum Ende des Flurs, wo zwei Stufen hinunter in ein Badezimmer führten, dessen Ausstattung längst nicht mehr dem modernen Geschmack entsprach. In der Mitte stand eine Badewanne mit Löwenklauen.

Jenny schluckte. „Oh, da habe ich ja einen Volltreffer gelandet“, meinte sie, als nehme sie das Ganze nicht ernst.

Michael runzelte die Stirn, enthielt sich jedoch eines Kommentars. „Ich gebe Ihnen jetzt etwas Zeit, um sich frisch zu machen“, meinte er und führte sie zu ihrem Zimmer zurück. „Wenn Sie fertig sind, kommen Sie bitte runter. Dann trinken wir eine Tasse Tee, und ich zeige Ihnen den Rest des Hauses.“

Jenny nickte und ging wie eine Schlafwandlerin ins Badezimmer. Sie war sich ganz sicher, dieses Haus noch nie betreten zu haben. Weshalb wurde sie dann das Gefühl nicht los, es genau zu kennen?

Die Vermutung, jedes Zimmer habe eine offene Feuerstelle, besaß noch eine logische Grundlage, da die vielen Schornsteine, die ihr sofort aufgefallen waren, darauf hindeuteten. Die genaue Beschreibung der Lage und Ausstattung des Badezimmers am Ende des Flurs dagegen musste reine Intuition gewesen sein.

Jenny warf einen letzten Blick in den Spiegel und nahm sich vor, sich über diese Ungereimtheiten nicht länger den Kopf zu zerbrechen. Sie fühlte sich wohl und willkommen in diesem Haus, und das war es, worauf es ankam.

Als sie die Tür zum Salon öffnete, verstärkte sich ihr Wohlgefühl noch. Es war ein langer und nicht sehr breiter Raum, dessen Wände nicht tapeziert, sondern verputzt und hell gestrichen waren. Die Decke wurde von mächtigen schwarzen Eichenbalken getragen, die quer durchs Zimmer liefen.

Die Möbel waren eher zweckmäßig als repräsentativ, und das gedämpfte Licht, das die Stehlampen und das offene Feuer ausstrahlten, schuf eine behagliche Atmosphäre. Alles war so, wie Jenny es erwartet hatte.

Vor dem Kamin standen zwei gemütliche Ledersessel, dazwischen ein kleiner Tisch, fertig gedeckt mit Teegeschirr, herrlich duftenden Scones, Sahne und Marmelade. Michael hatte es sich bereits in einem der Sessel bequem gemacht und deutete auf den Platz neben sich. „Bitte setzen Sie sich.“

Hastig kam sie seiner Aufforderung nach. Wie immer machte sie Michaels unmittelbare Nähe leicht befangen. „Eine Heizung sorgt für Wärme“, bemerkte sie, nur um etwas zu sagen. „Ein Kamin dagegen sorgt darüber hinaus für eine ganz besondere Stimmung.“

„Erforderlich sind Kamine auf Slinterwood eigentlich nur bei Stromausfall, weil dann die Warmwasserpumpe nicht mehr arbeitet. Trotzdem geht auch für mich nichts über ein offenes Feuer, besonders im Winter. Was fasziniert Sie denn so daran?“

„Ich … oh … ich finde einfach das Spiel der Flammen so schön. Es lässt einen Raum lebendig werden.“

„Und? Weiter?“

Michaels Beharrlichkeit irritierte Jenny. Dennoch antwortete sie ehrlich, obwohl es ihr etwas peinlich war, ihre Empfindungen so freimütig zu äußern. „Feuer ist für mich ein Symbol für Leben und Energie. Ich sehe mehr darin als eine angenehme Wärmequelle.“

Das kam seinen eigenen Empfindungen – die Claire nie hatte nachvollziehen können – so nah, dass Michael im ersten Moment nichts zu antworten wusste. „Das haben Sie sehr poetisch ausgedrückt“, meinte er schließlich.

Machte er sich über sie lustig? Jenny war sich nicht sicher. „Soll ich Ihnen einschenken?“, fragte sie, um von dem Thema abzulenken.

„Bitte.“

Sie nahm die Kanne vom Stövchen. „Wie trinken Sie den Tee?“

„Etwas Milch, keinen Zucker.“

Michael bewunderte ihre anmutigen Bewegungen und ihre heitere Gelassenheit. Sie erstaunte ihn. Allein die Tatsache, wie genau sie ihm das Haus beschrieben hatte, machte sie interessant, fast rätselhaft. Wie war sie zu ihrem Wissen gekommen? Er wünschte, er könnte ihre Gedanken lesen.

Während er seine Tasse entgegennahm, schwor er sich, Jennys Geheimnis zu ergründen. „Sich so bedienen zu lassen, ist eine angenehme Abwechslung“, meinte er laut.

Jenny neigte lächelnd den Kopf. Anscheinend wollte er ein Hausmütterchen – er sollte es haben. Zuvorkommend reichte sie ihm die Platte mit dem typisch englischen Backwerk.

„Möchten Sie denn nichts?“, fragte er verwundert, als sie sich keins der süßen Brötchen nahm. „Mrs. Blair ist sehr stolz auf ihre Scones, die sie nach einem traditionellen Familienrezept zubereitet.“

Jenny schüttelte den Kopf.

Sofort fühlte Michael sich an Claire erinnert. „Denken Sie an die vielen Kalorien? Um Ihre Figur brauchen Sie sich doch nun wirklich keine Sorgen zu machen.“

„Das tue ich auch nicht, glücklicherweise habe ich mit meinem Gewicht keine Probleme. Doch das Mittagessen war so üppig, dass ich einfach noch nicht hungrig bin.“

„Das geht mir nicht viel anders. Trotzdem sollten wir Mrs. Blairs Gefühle nicht verletzen.“ Er lächelte, und in seinen grünen Augen funkelte es. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag zur Güte: Wir teilen uns einfach eine dieser verführerischen Kalorienbomben.“

„Warum nicht?“ Jenny lächelte. Wie hatte sie ihren neuen Boss je für humorlos und verschlossen halten können?

Michael teilte das locker gebackene Brötchen in zwei Hälften, die er großzügig mit Marmelade bestrich, mit einem Klecks Sahne verzierte und anschließend viertelte. Einer plötzlichen Idee folgend, nahm er eins der Häppchen, beugte sich vor und schob es Jenny in den Mund.

Jenny ließ es geschehen. Wie in Trance saß sie da, bis sie den Teller gemeinsam geleert hatten.

Obwohl sie sich weigerte, Michaels Geste eine Bedeutung zuzumessen, und sich gelassen gab, war ihr Innerstes in Aufruhr. Als sie zur Tasse griff, zitterte ihr die Hand.

4. KAPITEL

Michael betrachtete Jennys leicht gerötete Wangen und fragte sich, was in aller Welt ihn zu seinem ungewöhnlichen Verhalten veranlasst hatte. Doch auch Jenny hatte ihn mit ihrer Reaktion überrascht.

Weder wandte sie sich pikiert ab, noch verlangte sie empört nach einer Erklärung, wie es von einer neuen Angestellten zu erwarten gewesen wäre. Sie hatte seine vertrauliche Geste nachgiebig und etwas befangen geschehen lassen und ihn damit im Innersten gerührt.

Jetzt wich sie seinem Blick aus, und die Tasse in ihrer Hand zitterte.

Während er noch nach einem unverfänglichen Thema suchte, um die Situation zu entspannen, flackerte das Licht, als wolle es jeden Moment ausgehen.

„Das liegt am Generator“, erklärte er. „Ab und zu verweigert er sogar ganz den Dienst. Wenn meine Ideen gerade sprudeln, und ich das Diktafon dringend benötige, ist das mehr als nur ärgerlich. Deshalb hätte ich nie eine Assistentin für mich eingestellt, die kein Steno beherrscht.“

„Fällt der Strom öfter aus?“

„Relativ häufig. Das erklärt übrigens auch die vielen Petroleumlampen, die Sie hier überall sehen. Nächstes oder übernächstes Jahr sollen wir an das öffentliche Stromnetz angeschlossen werden und dann auch endlich eine Telefonleitung erhalten.“

„O nein!“ Jenny wurde blass.

„Was ist los?“

„Ich habe mein Handy vergessen! Ich wollte es vor der Abreise noch laden, und jetzt hängt es zu Hause an der Steckdose!“

„Sind Sie dringend darauf angewiesen?“, erkundigte sich Michael.

„Eigentlich nicht, doch ohne Handy komme ich mir irgendwie unvollständig vor.“

„Sie können sich meins jederzeit ausleihen“, bot er ihr an. „Und wenn Sie wirklich keinen Tee mehr möchten, würde ich Ihnen jetzt gern den Rest des Hauses zeigen.“

Sofort stand Jenny auf und folgte Michael zu der Tür am Ende des Zimmers. Sie führte zu einer wohlbestückten Bibliothek mit einer Nische, in der ein kleines Büro eingerichtet war. Der Boden war vollständig von einem dicken roten Teppich bedeckt.

Auch hier befand sich eine offene Feuerstelle, in der das Holz fertig zum Anzünden bereitlag. Kunstvoll in Stein gemeißelte Tiere und Figuren der klassischen Mythologie zierten den Kamin. Am Sims befand sich ein Wappen, dessen Motiv Jenny gut vertraut war – ein Phönix, der sich aus der Asche erhob.

Daran war an sich nichts Verwunderliches. Eigenartig war nur, dass sie von dem Wappen schon gewusst hatte, bevor es in ihr Blickfeld geraten war.

Jenny rieselte es kalt den Rücken hinunter.

Jeder größere Kamin eines englischen Herrenhauses trägt ein Wappen, versuchte sie, sich ihre Ahnung logisch zu erklären. Jedes Kind hätte das erraten können. Sie riss sich zusammen und folgte Michael, der schon die nächste Tür aufhielt.

„Dies war einmal der Speisesaal“, erklärte er. „Da er jedoch kaum benutzt wurde, habe ich ihn mir als Arbeitszimmer eingerichtet.“

Diese Äußerung bestätigte Jennys Vermutung endgültig. Michael hatte das Haus nicht gemietet, sondern Slinterwood gehörte ihm.

Die Einrichtung war nüchtern und büromäßig. Rauchgrauer Teppichboden, Vertikaljalousien, ein Schreibtisch, ein mit schwarzem Leder gepolsterter Drehsessel, Computer und Drucker. Außer einem Aktenschrank und einem Regal mit Nachschlagewerken und Wörterbüchern waren keine größeren Möbelstücke zu sehen, und an den Wänden hingen keine Bilder. Hier konnte man wirklich frei von jeder Ablenkung arbeiten.

Durch eine Seitentür erreichten sie wieder den Flur, überquerten ihn und gelangten in eine große Wohnküche. Hier standen gemütliche Möbel im Landhausstil, und gekocht wurde auf einem riesigen Herd mit Holzfeuerung, der auch als Heizung diente. Mikrowelle, Geschirrspülmaschine und andere modernste Elektrogeräte waren jedoch ebenfalls zu finden.

„Wie Sie sehen, ist auch hier kräftig renoviert worden, und solange der Generator richtig läuft, gibt es keine Probleme mit der Energieversorgung, selbst wenn alle Geräte laufen.“ Michael öffnete eine Tür. „Hier allerdings ist alles geblieben, wie es war.“

Jenny blickte in die Speisekammer, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Die Regale und Schränke, der Tisch mit der grünen Marmorplatte, die Handpumpe mit dem Porzellanbecken darunter – alles entsprach bis ins letzte Detail ihren Fantasiebildern.

Jenny schauderte. Hatte sie sich bisher bemüht, ihre Visionen auf ihre ausgeprägte Vorstellungsgabe zurückzuführen, wurde ihr jetzt unheimlich zumute. Aus welch dunklen Tiefen waren diese Bilder aufgetaucht? Langsam überkam sie das Gefühl, am Rande eines gefährlichen Abgrunds zu stehen.

Jetzt erst bemerkte sie Michaels forschenden Blick. „Sind Sie sich wirklich sicher, Slinterwood noch nie betreten zu haben?“, erkundigte er sich noch einmal.

„Ich schwöre es.“

Fast hätte er ihr glauben mögen, so ehrlich verwirrt sah sie ihn an. Aber eben nur fast. Was für ein Spiel trieb Jenny in Wirklichkeit? Nach der Scheidung hatten mehrere Frauen versucht, ihre Netze nach ihm auszuwerfen. Keine war dabei jedoch so beeindruckend einfallsreich vorgegangen wie Jenny.

Was hatte sie nur in die Lage versetzt, ihr taktisches Vorgehen derart perfekt zu planen?

Bei der genauen Beschreibung, die sie von seinem Haus abgeben konnte, musste sie entweder hier gewesen sein, Fotografien gesehen oder eine genaue Beschreibung gehört haben. Doch wie und wo? Außerdem hatte sie erst im Auto erfahren, wohin die Fahrt überhaupt ging.

Hatte sie ihr Wissen von Paul? Hatte er ihr ausführlich über Slinterwood berichtet? Es wäre die einzig logische Erklärung, doch Michael hielt sie für nahezu ausgeschlossen.

„Sind Sie hellsichtig?“, fragte er unverblümt.

Jenny schüttelte den Kopf und versuchte, die Sache mit einem Spaß abzutun. „Vielleicht habe ich in einem meiner vergangenen Leben einmal hier gelebt.“

„Glauben Sie an Wiedergeburt?“

„Leider nicht. Des Rätsels Lösung muss woanders liegen.“

Michael ließ nicht locker. „Und wo ist die zu finden?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe mich allerdings schon immer für alte Herrensitze interessiert und auch viele, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, besichtigt. Vielleicht hat das Haus alte Erinnerungen geweckt, die ich unbewusst auf Slinterwood projiziere.“

Das klang selbst in ihren Ohren äußerst lahm. „Mehr fällt mir dazu leider nicht ein“, meinte sie kleinlaut.

„Paul kennt Slinterwood sehr gut. Vielleicht hat er Ihnen von dem Haus erzählt.“

„Paul hat Ihr Haus mit keiner Silbe erwähnt. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie ihn doch selbst“, fügte sie hitzig hinzu, als sie seinen ungläubigen Blick bemerkte. „Selbst der Name Slinterwood war mir kein Begriff. Ich habe ihn heute Morgen aus Ihrem Mund das erste Mal gehört.“

Sie wirkte überzeugend. „Ich glaube Ihnen“, hörte er sich zu seiner eigenen Überraschung gestehen.

Erleichtert atmete Jenny auf. Innerlich merklich ruhiger, folgte sie ihm zur letzten Tür. „Was Sie mir als Morgenzimmer geschildert haben, ist das Zimmer der Haushälterin, das heißt, es war es, solange es eine gab.“

„Aber … Sie erwähnten doch eine Mrs. Blair. Ich dachte, sie sei die Haushälterin.“

„Mrs. Blair sieht während meiner Abwesenheit im Haus nach dem Rechten, hält es sauber und trifft die nötigen Vorbereitungen, wenn ich meinen Besuch ankündige. Ihr Sohn kümmert sich um den Generator und erledigt die gröberen Arbeiten. Beide wohnen auf der Farm. Wenn ich hier bin, wirtschafte ich lieber selbst und lasse nur in Ausnahmefällen jemanden kommen.“

„Ich … verstehe.“ Jenny kamen wieder Bedenken. War es wirklich klug von ihr gewesen, sich auf diese Arbeitssituation einzulassen?

Anscheinend waren ihr die Gedanken vom Gesicht abzulesen, denn Michael lächelte amüsiert. „Seien Sie unbesorgt, hier wird Ihnen nichts passieren. Wir sind zwar von der Außenwelt weitestgehend abgeschnitten, aber ich bin weder Dr. Frankenstein noch ein Serienmörder.“

„Das habe ich auch nicht angenommen.“ Jenny errötete. Nach dem Kuss und der innigen Szene vor dem Kaminfeuer gingen ihre Befürchtungen in eine ganz andere Richtung.

Wieder schien er sie zu durchschauen. „Sie haben Vorbehalte, das sehe ich Ihnen an. Verraten Sie mir doch bitte, welche.“

Jenny wehrte sich entschieden. „Nein, für mich ist die Situation so, wie sie ist, völlig in Ordnung, ich habe nicht das Geringste dagegen einzuwenden.“

„Wunderbar. Dann schicke ich Sie jetzt nach oben. Sie packen Ihren Koffer aus, und ich erledige einige dringende Telefonate.“

Während Jenny die Treppe hochging, arbeiteten ihre Gedanken fieberhaft. War es klug gewesen, Michael ihre wahren Bedenken zu verheimlichen? Hatte sie damit nicht einen falschen Eindruck bei ihm erweckt?

Es war wie verhext, aber in seiner Nähe stolperte sie, die normalerweise geistesgegenwärtig und schlagfertig war, über ihre eigenen Worte. Wie hatte sie sich beim Vorstellungsgespräch nur zu der Äußerung hinreißen lassen können, eine gute PA müsse alles tun, um ihren Boss bei Laune zu halten?

Was, wenn er daraus ableitete, sie sei zu allem bereit? Was, wenn er ihr anbieten würde, nicht nur seinen Arbeitsalltag, sondern auch sein zu Bett teilen? Sie würde darauf eingehen! Diese überraschende Selbsterkenntnis verschlug ihr den Atem. Bisher war sie davon ausgegangen, dass die schmerzlichen Erfahrungen mit Andy sie vor derartigen Dummheiten bewahren würden, und sofort wurden in ihr alte Erinnerungen wieder lebendig.

Andy war der erste und einzige Mann in ihrem Leben gewesen. Sie hatte ihn geliebt und heiraten wollen. Der Termin sollte in einigen Wochen sein, weil erst dann die Wohnung, die sie gemietet hatten, frei wurde. Bis dahin lebte Andy noch wie bisher bei seinem Freund Simon in zwei winzigen, hellhörigen Räumen, die noch dazu ineinander übergingen.

Trotz dieser Situation, die keinerlei Privatsphäre garantierte, überredete Andy Jenny, schon vor der Hochzeit mit ihm ins Bett zu gehen. Sie solle sich keine unnötigen Gedanken machen, drängte er sie, Simon könne zwar zufällig ins Zimmer kommen, aber das wäre ja nicht weiter schlimm.

Jenny versuchte trotz der für sie unerträglichen Situation alles, Andy eine leidenschaftliche Geliebte zu sein. Doch das Experiment endete kläglich. Jenny fühlte sich hinterher elend, enttäuscht und unzureichend.

Ihre Hoffnung, Andy würde sich in sie hineinversetzen und verstehen können, wurde bitter enttäuscht. Stattdessen zeigte er sein wahres Gesicht. Er machte ihr die heftigsten Vorwürfe und beschuldigte sie, eine kalte, lieblose, ja sogar frigide Frau zu sein.

Endlich zu Hause in ihrem eigenen Bett, weinte sich Jenny in den Schlaf. Am folgenden Morgen hatte sie sich etwas beruhigt und tröstete sich selbst. Wenn Andy und sie endlich ihr eigenes Heim hätten, würde alles besser werden.

Doch das Vertrauen in Andy und ihre Liebe zu ihm hatten gelitten. Nachdem schließlich die Vormieter ausgezogen waren und sie gemeinsam mit Andy die Wohnung renovierte, brach ihre Welt vollends zusammen.

Gerade wollte Jenny einige Sachen in die neue Wohnung bringen, als sie ihn mit einer anderen Frau in ihrem zukünftigen Ehebett erwischte. Wütend warf sie ihm den Verlobungsring an den Kopf und flüchtete sich zu ihrer Freundin. Sie kam sich ausgenutzt, verraten und gedemütigt vor und schwor sich, den Versprechungen eines Mannes nie wieder Glauben zu schenken.

„Statt zu jammern, solltest du deinem Schicksal auf Knien danken.“ Die lebenskluge Laura beurteilte den Treuebruch aus einem ganz anderen Blickwinkel. „Stell dir vor, du hättest erst nach der Hochzeit entdeckt, was für ein Schwein er ist.“

Dem musste Jenny zustimmen. Trotzdem dauerte es Monate, bis sie die Schmach einigermaßen überwunden hatte. Was blieb, war die Überzeugung, verletzlich und keine heißblütige Frau zu sein.

Wie kam sie da auf die Idee, ein Mann wie Michael Denver könne sich ernsthaft für sie interessieren? Er sah in ihr lediglich seine neue PA, und die beiläufigen Zärtlichkeiten hatte er bestimmt schon wieder vergessen.

Doch ihr Verstand half Jenny wenig. Michaels Kuss hatte sie aufgewühlt und Sehnsüchte in ihr geweckt, von denen sie bisher nichts geahnt hatte. Trotzdem, sie war eine erwachsene Frau und schwor sich, sich nicht wie ein verschossener Teenager zu benehmen.

Mit neuem Selbstbewusstsein betrat sie ihr Zimmer. Sowohl beruflich als auch privat war es ihr schon immer hervorragend gelungen, ihre wahren Gedanken und Gefühle hinter einer höflichen Maske zu verbergen, und dabei würde es auch bleiben. Michael würde nie erfahren, welch leidenschaftliches Begehren er in ihr entfacht hatte.

Mit einer energischen Bewegung zog sie die Gardinen zu, räumte ihre Garderobe in den Schrank und brachte ihre Toilettenartikel ins Badezimmer.

Kritisch blickte sie in den Spiegel. Sollte sie ihr sehr offiziell wirkendes Kostüm anbehalten oder sich zum Abend etwas legerer kleiden? Sie entschloss sich zu Letzterem und schlüpfte in ein schlichtes olivgrünes Strickkleid, das Laura missbilligend als „tantenhaft“ bezeichnet hatte.

Irgendwie würde sie das Abendessen schon überstehen, und anschließend würde Michael bestimmt sofort arbeiten wollen. Wenn er mit seinen Gedanken erst bei seinem neuen Roman war, würde er in ihr die Sekretärin sehen und nichts weiter. Das jedenfalls war der Strohhalm, an den sie sich klammerte.

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