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Close up - drei Sünden hast du frei (3in1)

hier erhältlich:

CLOSE UP - HEIßE VERSUCHUNG

Für eine gute Story würde Emma so einiges tun … und das ist auch der Grund, warum sich die schüchterne Journalistin auf ungewohntes gradezu furchteinflößendes Terrain begibt. Der für seine Nacktfotos weltberühmte Künstler Ian Bainbridge ist in der Stadt und Emma wird ihm Modell stehen. Und als ob ihr das nicht schon schwer genug fallen muss sie das ausgerechnet mit ihrem Kollegen Kyle tun - den Mann, bei dem sie schon lange weiche Knie bekommt. Alles sprach bisher gegen ihn: Abgesehen davon, dass sie sich nie getraut hätte, ihn um ein Date zu bitten, sind Beziehungen in der Firma auch streng verboten. Doch nun, nackt und ganz nah an ihm, fragt Emma sich, ob es nicht an der Zeit wäre, die Vernunft zu vergessen und sich der endlich der prickelnden Versuchung hinzugeben …

CLOSE UP - SINNLICHE BERÜHRUNG

Ein Trip mit dem Ex in die romantische Blockhütte aus ihren Flitterwochen? Reine Erpressung von Kristines sexy Noch-Ehemann Sean! Aber sie muss ihn milde stimmen, sonst unterschreibt er die Scheidungspapiere nie. Sie will endlich wieder frei sein und selbstbestimmt ihren Weg gehen. Und es ist ja nur ein Wochenende - bei dem es plötzlich heißer zwischen ihnen prickelt als jemals zuvor. Schon bald verliert sich Kristine in einem Strudel der Lust der ihre guten Vorsätze gefährlich auf die Probe stellt.

CLOSE UP - ERREGENDE NÄHE

Melanie hat genug von Männern! Kurz vor ihrem romantischen Liebesurlaub, macht ihr Freund Schluss. Stattdessen schickt er sie mit seinem arroganten Bodyguard Hunter nach Mexico. Und da wartet schon die nächste Katastrophe auf Melanie: Im Hotel muss sie sich mit Hunter ein Zimmer teilen. Natürlich will sie sich nach der großen Enttäuschung keinesfalls wieder auf einen neuen Mann einlassen - doch die glühende Sonne, der idyllische Strand, und ihr muskulöser heißer Begleiter wecken in ihr bald unwiderstehlich sinnliche Fantasien …


  • Erscheinungstag: 10.02.2020
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 912
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745752090
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Erin Mccarthy

Close up - drei Sünden hast du frei (3in1)

Erin McCarthy

Close Up – Heiße Versuchung

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Ralph Sander

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Double Exposure

Copyright © 2014 by Erin McCarthy

erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: büropecher, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Getty Images, München / Tom Merton

ISBN eBook 978-3-95649-550-2

www.harpercollins.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

„Und wann ziehen wir uns aus?“

Emma Gideon warf ihrem Kollegen Kyle Hadley einen finsteren Blick zu und musste sich davon abhalten, ihm eine runterzuhauen. Er machte es ihr wirklich nicht leicht, ruhig und gelassen zu bleiben, während er völlig lässig dastand und darauf wartete, dass ihn jemand aufforderte, sein Hemd abzulegen. Nichts an diesem Fotoshooting schien ihn zu beeindrucken. Emma dagegen wollte sich am liebsten in einem tiefen Erdloch verstecken und unter einem Stapel dicker Fleecedecken verschwinden, wenn sie nur daran dachte, sich vor anderen Leuten auszuziehen.

Dies hier war etwas, das ihre Karriere verlangte. Als sie jetzt zusammen mit zweihundert anderen Leuten auf dem Parkplatz hinter dem leer stehenden Lagerhaus auf die Anweisung wartete, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen, war sie sich ihrer Sache jedoch nicht mehr ganz so sicher. War ein Interview mit dem berühmten Fotografen Ian Bainbridge ein solches Unbehagen tatsächlich wert?

„Wenn du zu früh loslegst, schmeißen die Veranstalter dich raus. Also behalt bitte deine Hose an“, antwortete Emma und schaute verstohlen auf Kyles Jeans, als würde ihr der Anblick etwas anderes zeigen, als dass er muskulös war. Und das wusste sie längst. Das bemerkte sie an jedem einzelnen Tag, seit er vor dreiundzwanzig Monaten und einer Woche in der Redaktion zu arbeiten begonnen hatte, also drei Monate und fünfzehn Tage nach ihrem eigenen ersten Arbeitstag … Nicht dass sie darüber Buch geführt hätte. „Hast du Boxershorts an, oder was? Du weißt, du sollst hier in Unterwäsche erscheinen, sonst fliegst du raus.“ Als sie hörte, wie nervös und hektisch ihre Stimme klang, presste sie sofort die Lippen zusammen.

„Du bist anscheinend echt sehr besorgt, dass man mich rausschmeißen könnte.“ Er rückte seine Baseballkappe gerade. „Ich weiß es zu schätzen, dass du mich unbedingt dabeihaben willst.“

Emma verdrehte die Augen. Tatsache war, dass sie lieber mit einem tollwütigen Hund als mit Kyle hier herumgestanden hätte, obwohl sie nicht völlig davon überzeugt war, dass es zwischen beiden einen großen Unterschied gab. Zugegeben, im Gegensatz zu einem tollwütigen Hund lächelte Kyle eindeutig häufiger, doch ansonsten …

Als wollte er beweisen, wie recht sie hatte, grinste er sie an und zog den Bund seiner Jeans so weit nach unten, dass sie seine straffen Bauchmuskeln und den Gummizug seiner eng anliegenden schwarzen Unterhose sehen konnte. „Aber ich trage natürlich Unterwäsche, und es macht mir nichts aus, wenn sie mit Farbe beschmiert wird. Ich kann Anweisungen befolgen.“

Genau daran zweifelte Emma. Seit jenem schicksalhaften Tag, an dem ihr Boss Kyle eingestellt hatte, arbeitete sie mit ihm zusammen und wusste, dass er glaubte, sein Charme gebe ihm das Recht, sich regelmäßig über Vorschriften hinwegzusetzen. Ein Lächeln von ihm reichte, und es war anderen plötzlich unwichtig, ob er seine Arbeit sofort oder erst in drei Stunden ablieferte. Was sie dabei vor allem wurmte, war ihr Eindruck, dass er damit auch noch fast immer durchkam. Hätte sie sich selbst bloß einen Bruchteil seiner Nachlässigkeiten erlaubt, wäre sie schon längst gefeuert worden.

Doch sie war eben kein heißer Typ, bei dem allen Frauen im Büro das Wasser im Mund zusammenlief. Ihre vorgesetzte Redakteurin war geschieden, und Kyle war Single und für jeden Spaß zu haben. Das ließ sich nicht ignorieren, so gern Emma das getan hätte. Hinzu kam, dass ihre eigene Reaktion auf ihn absolut frustrierend war. Sie rühmte sich gern mit ihrer Selbstbeherrschung und ihrer Fähigkeit, sich ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie war eine Karrierefrau, zielstrebig und vernünftig. Und dennoch reagierte sie wie jede andere Frau, wenn Kyle den Raum betrat: mit weichen Knien und einem warmen Gefühl zwischen den Schenkeln. Es war zum Verrücktwerden. Sie hatte vollstes Verständnis für jeden Teenager, der ein Sklave seiner Hormone war, denn was Kyle bei ihr auslöste, war einfach nur lächerlich.

Und jetzt würde sie sich für ein Gruppenfoto auch noch fast komplett ausziehen und dabei direkt neben ihm stehen müssen. Fantastisch.

„Mir ist egal, ob du bleiben darfst oder nicht“, entgegnete sie. „Aber ich weiß, dass Claire nicht begeistert sein wird, wenn sie dich mit einem Tritt in den Hintern hier rausbefördern.“ In seinen verdammt knackigen Hintern. Vermutlich würde sie nirgendwo sonst mehr hinschauen können, wenn er erst einmal seine Jeans abgelegt hatte. „Mir wäre es lieber, wenn meine grandiose Berichterstattung im Mittelpunkt dieser Story steht und nicht deine Mätzchen.“

Auch wenn sie bloß Artikel für die Rubrik Life & Style des Daily Journal schrieb, nahm sie ihren Job ernst. An einem Sonntag zu arbeiten war für sie eine Selbstverständlichkeit – allerdings geschah das normalerweise nicht unter solch außergewöhnlichen Umständen. Dass sie bei dem Shooting mitmachte, lag nur daran, dass sie als Reporterin gar nicht bis hierher vorgelassen worden wäre und daher auch nicht mit dem Fotografen hätte sprechen können. Doch Emma war fest entschlossen, wenigstens ein paar Worte mit Ian Bainbridge zu reden.

Ian galt als der kommende große Star, was Fotos mit Massenaufläufen von Nackten anging, und reiste von Stadt zu Stadt, um Scharen von Freiwilligen so kunstvoll anzuordnen, dass sie eins wurden mit der von ihm ausgewählten Umgebung. Es war seine Art, ein Statement abzugeben, und dafür hatte er sich nach seiner Ankunft im nordöstlichen Ohio dieses abbruchreife Lagerhaus ausgesucht. Emma wäre ein Shooting am Seeufer oder im botanischen Garten viel lieber gewesen, aber solche Orte übten auf einen Künstler wie Bainbridge offenbar nicht die gleiche Anziehung aus wie das hier.

Bislang hatte sie Ian noch nicht zu Gesicht bekommen; nur die Leute von der Security schritten den abgesperrten Bereich ab, um Schaulustige davon abzuhalten, mit ihren Smartphones Bilder zu machen. Ein Zelt war als zusätzliche Barriere aufgebaut worden. Darin wurden die Teilnehmer mit Farbe besprüht und von dort direkt in das heruntergekommene Lagerhaus geführt. Das Ganze war bestens durchorganisiert, was für Emma bedeutete, dass jeden Moment die Aufforderung an sie ergehen würde, Jeans und T-Shirt abzulegen. Ihre Handflächen waren schweißnass. Allein nackt unter der Dusche zu stehen war normal. Nackt zu sein, um mit einem Mann auf ein, nun ja, erfreuliches Ziel hinzuarbeiten, war für den Zweck unverzichtbar. Aber nackt inmitten von zweihundert Fremden? Das war alles andere als normal.

Es war nicht so, als wäre sie prüde. Sie war bloß sittsam, und daran war nichts verkehrt. Sie würde nicht zulassen, dass Kyle ihr ein schlechtes Gewissen einredete.

„Meine Mätzchen?“, gab er zurück. „Tut mir leid, Mom, ich werde jetzt brav sein, versprochen. Wir werden uns ganz köstlich amüsieren.“ Dann grinste er sie dämlich an und ließ seine Arme vor und zurück schwingen.

Sein Sarkasmus kam alles andere als gut bei ihr an. Okay, vielleicht war sie ein klein wenig prüde. Oder vielleicht war sie ein bisschen verstimmt, weil Kyle im Büro jede Frau zwischen vierundzwanzig und fünfzig anbaggerte, mit ihr aber bis heute nicht ein einziges Mal geflirtet hatte. Taugte sie nicht zum Flirten? Klar, sie würde niemals in Erwägung ziehen, sich mit ihm zu verabreden. Nicht in einer Million … ach, nicht mal in einer Billion Jahren. Trotzdem wäre es nett gewesen, wenn er es zumindest mal versucht hätte.

Warum sie sich in diesem Moment darüber Gedanken machte, war ihr ein Rätsel. Sie durfte sich nicht mit Kyle befassen, sondern musste sich darauf konzentrieren, Ian zu finden.

„Außerdem wäre Claire das völlig egal“, fügte Kyle hinzu. „Sie wollte sowieso nicht, dass gleich zwei von uns bei der Story mitmachen.“

Das war ihr neu. „Und wieso bist du dann hier?“

Kyle ergriff ihren Ellbogen und dirigierte sie in Richtung der Schlange, die sich vor dem Zelt gebildet hatte. „Ich finde, wir sollten hier sein. Ich kenne Bainbridges Arbeit und dachte, es wäre eine coole Sache, dabei mitzumachen. Es gefällt mir, dass er so ein mutiges Statement abgibt.“ Er zwinkerte ihr zu. „Außerdem ist das die Gelegenheit, sich mal in aller Öffentlichkeit auszuziehen, ohne dass die Cops einen einkassieren. Wie oft kommt so was schon vor?“

Emma warf mit einer knappen Kopfbewegung ihr blondes Haar über die Schulter. Eigentlich hätte sie zum Friseur gemusst, weil es zu lang war, doch heute Morgen hatte sie es dennoch nicht zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie hatte geglaubt, sich nicht ganz so nackt zu fühlen, wenn die Haare auf ihren Schultern ausgebreitet lagen. Das war allerdings ein Trugschluss gewesen, denn ihre Brüste würden ja vollständig unbedeckt sein. Es war offenbar ein verzweifelter Versuch gewesen, ihre Angst zu lindern, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, wovor sie sich so fürchtete. Sie wusste nur, dass sie schon Wurzelbehandlungen über sich hatte ergehen lassen, die ihr nicht halb so viel Angst gemacht hatten wie das hier. Vielleicht sollte ich mir eine Betäubungsspritze geben lassen, überlegte Emma und seufzte.

„Du bist ein Freak, weißt du das?“, sagte sie zu Kyle. „Leute sollten sich nicht gemeinsam nackt umherwälzen.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Ach wirklich? Wissen das auch die Leute, die Sex haben?“

So hatte sie das natürlich nicht gemeint. Emma bekam einen roten Kopf, als sie in der Schlange weiter nach vorn rückte. Bloß noch acht Leute, dann war der Eingang zum Zelt erreicht. Dem Zelt, in dem sie ihre Kleidung ausziehen würde. Dem Zelt, in dem sie vermutlich in Panik ausbrechen würde. „Du weißt, wie ich das gemeint habe! Es ist nichts normal daran, zweihundert nackte Menschen in ein Lagerhaus zu stecken.“

„Das ist keine Massenorgie, sondern Kunst. Deshalb macht Bainbridge das ja“, erklärte Kyle. „Wir Amerikaner sind von der Nacktheit fasziniert, und zugleich fühlen wir uns unbehaglich. Das ist der Blickwinkel, aus dem ich schreiben werde. Claire lässt mich eine Kolumne darüber schreiben, dass zum Beispiel in Filmen und in der Werbung eine Übersexualisierung zu beobachten ist, während bei der Kunst immer noch moralische Einschränkungen existieren.“

Na, großartig.

Irgendwie war es Kyle gelungen, einen Ansatz zu finden, der viel mehr in die Tiefe ging als das, was Emma sich vorgenommen hatte. Im Gegensatz zu seinem Text würde ihr Artikel jetzt so interessant wie eine Schlaftablette werden. Dabei hatte sie gehofft, an den Fotografen heranzukommen und ihn zu diesen Vorfällen mit dem Stalker zu befragen. Der Unbekannte, der schon mehrmals ausgewählte Motive verwüstet und dadurch Zeit und Geld gekostet hatte, da für das Fotoshooting alles wieder hergerichtet werden musste, schien es wegen Ians Kunstform auf den Mann abgesehen zu haben.

Es war jedoch mehr als fraglich, ob sie auch nur in die Nähe des Fotografen gelangen würde  – von Fragen zu diesem heiklen Thema ganz zu schweigen. Sehr wahrscheinlich kam für sie am Ende nichts weiter als ein Bericht über das Shooting an sich heraus, während Kyle einen gründlich recherchierten Artikel verfassen würde, in dem er außerdem Stellung zu einem heiklen Thema nehmen konnte.

Im Augenblick war Emma sich nicht sicher, ob Kyle ihr überhaupt noch unsympathischer werden konnte. „Hört sich nach etwas ziemlich Offensichtlichem an“, gab sie beiläufig zurück. Was sollte sie sonst auch sagen? Dass er schlauer war als sie? Eher würde sie an diesen Worten ersticken, bevor die ihr über die Lippen kommen konnten.

Sie arbeitete wie besessen für das Magazin und hatte fast ihr gesamtes Privatleben geopfert, um Karriere zu machen, während Kyle gerade mal das Nötigste tat. Und wer von ihnen stand öfter als Autor unter einem Artikel?

Das war einfach nicht fair.

Sie war entschlossener als je zuvor, ein paar Minuten lang Ian Bainbridge zu interviewen.

Aber erst mal musste sie sich ausziehen.

„Verzichtserklärung“, herrschte eine ältere Frau sie an, als sie sich dem Eingang zum Zelt näherten.

Emma zog das Standardschreiben mit klammen Fingern aus der Tasche und gab es der Frau, während sie sich auf die Unterlippe biss. Sie überlegte, ob sie Kyle wohl irgendwie entwischen konnte, wenn der Moment kam, in dem man sie mit Farbe bemalen würde. Der Tag wäre womöglich nicht ganz so demütigend und schrecklich, wenn sie ihn für eine Weile ohne ihren selbstbewussten und sexy Kollegen verbringen konnte.

„Sieht alles ordentlich aus“, sagte die Frau schroff und legte ein Plastikband um Emmas Handgelenk. „Sie stellen sich rechts an. Sie werden grün sein.“

„Grün?“ Emma schaute argwöhnisch in die angezeigte Richtung. Dort standen fünf Leute, zwei zogen soeben ihre Hosen aus, zwei andere trugen bereits nur noch Unterwäsche. Jeder konnte ungehindert einen Blick auf die riesigen Brüste der einen Frau werfen. Der Erste in der Schlange, ein älterer Mann, bekam gerade seinen Hängebauch in Smaragdgrün besprüht.

Himmel!

„Grüne Farbe. Sie werden grün sein. Machen Sie schon, Sie halten hier den ganzen Betrieb auf.“ Die Frau starrte sie ungeduldig an.

„Und was ist mit mir?“, fragte Kyle. „Werde ich auch grün? Dann würde ich mir vorkommen wie der unglaubliche Hulk. Sie würden mir meinen Kindheitstraum erfüllen.“

Die Frau, die Emma gegenüber so schroff und hastig gewesen war, lächelte jetzt und begann amüsiert zu kichern. „Eigentlich sollen wir nur jeden zweiten nehmen, aber ich denke, für Sie kann ich eine Ausnahme machen.“

Emma verdrehte die Augen.

Kyle zwinkerte der Hexe zu, die sich als freiwillige Helferin getarnt hatte. „Danke, Puppe, du hast was gut bei mir.“

Puppe? War das sein Ernst?

Gleich darauf löste sich Emmas Verärgerung über Kyles Überredungskünste jedoch in Luft auf, als ein Mann vor ihr meinte: „Hier ist der Beutel für Ihre Kleidung, und das ist die Nummer, mit der Sie ihn später abholen können. Wenn Sie fertig sind, geben Sie Jane den Beutel und stellen sich in die Reihe zum Färben.“

Emma nahm Tasche und Nummer an sich, blieb dann aber wie angewurzelt stehen und musste erst mal schlucken. Sie konnte das nicht machen. Sie konnte sich nicht hier inmitten von so vielen Leuten ausziehen. Okay, niemand starrte sie an, weil es niemanden kümmerte. Alle hier gingen mit ihrer teilweisen Nacktheit so um, als würden sie so was jeden Tag tun. Die Erkenntnis, dass sie verlegen war, machte sie bloß noch verlegener. Sie stand da, schwitzend, mit rasendem Herz, kurzatmig, einer Panik gefährlich nahe.

Plötzlich fasste Kyle sie am Ellbogen. „Hey, du musst das nicht tun, wenn du nicht willst. Deinen Artikel kannst du auch schreiben, ohne dass du mitgemacht hast.“

Antworten konnte sie nicht, da sie gegen eine massive Übelkeitsattacke ankämpfen musste, aber sie nickte ihm dankbar zu. Kyle sah sie erstaunlich mitfühlend an, sein Tonfall hatte nichts Ironisches oder Herausforderndes mehr an sich. Ja, er hatte recht. Sie musste das nicht machen. Nur weil es ihr nicht gefiel, sich die nackten Brüste mit koboldgrüner Farbe besprühen zu lassen, war sie noch lange nicht prüde. Es zeigte vielmehr, dass sie sittsam war, und es bewies, dass sie für sich den richtigen Karriereweg gewählt hatte. Als Stripperin oder Kellnerin bei Hooters hätte sie es nicht weit gebracht, und mit dieser Tatsache konnte sie leben. Sie würde einen schönen Artikel über das Fotoshooting schreiben, und angezogen hatte sie vielleicht sogar eine bessere Chance, mit dem Fotografen ins Gespräch zu kommen. Immerhin konnte sie ihn ja nicht interviewen, wenn sie in einem Meer aus bemalten Nackten stand. Außerdem hatte sie bereits genug gesehen, um einen brauchbaren Text schreiben zu können.

Emma seufzte erleichtert, während Kyle sie aufmunternd anlächelte, an ihr vorbeiging und sein Shirt auszog. Aus nächster Nähe konnte sie nun seine Rückenmuskeln und diese kleine sexy Kuhle in Höhe des Kreuzes bewundern. Dann drehte sie sich schnell weg. Einerseits kam sie sich wie eine Spannerin vor; andererseits machte sie diese Aussicht mit einem Mal unglaublich scharf … Es war Zeit, woanders hinzusehen.

Allerdings fiel ihr Blick dabei auf die Frau, die hinter ihr stand und sich gerade bis auf ein weißes Bikinihöschen entblättert hatte. Ehe sie woanders hinschauen konnte, bemerkte sie bei der Frau die Narben einer beidseitigen Brustamputation. „Oh, tut mir leid“, murmelte sie entsetzt. Sie fühlte sich, als wäre sie beim Anstarren erwischt worden, obwohl das Ganze keine drei Sekunden gedauert hatte.

Die Frau schenkte ihr ein freundliches Lächeln. „Kein Problem. Wir stehen hier ja so dicht gedrängt wie die Ölsardinen, aber ich glaube, das wird noch schlimmer kommen. Ich bin nur froh, dass ich heute Morgen mein Deo nicht vergessen habe.“

Emma erwiderte das Lächeln schwach. „Stimmt, doch ich denke nicht, dass ich … Ich finde, ich sollte besser …“ Sie wusste nicht, wie sie ihr Unbehagen erklären sollte, was wohl daran lag, dass ihr der Grund dafür nicht so klar war.

„Nicht Ihr Ding, wie?“ Die Frau machte einen provisorischen Knoten in ihr dunkles Haar. „Als ich zwanzig war, hätte ich das vermutlich auch nicht machen wollen. Aber heute kümmert mich das nicht mehr. Mir gefällt die Botschaft, die der Fotograf rüberbringen will: dass wir alle Menschen sind und keine Maschinen oder Unternehmen.“ Sie deutete auf ihren Oberkörper. „Oder Pharmakonzerne oder Versicherungsunternehmen. Wir sind Menschen, und wir stecken in unvollkommenen Hüllen.“

Emma biss sich auf die Unterlippe. „Sie haben völlig recht. Meine Mutter hat bei meiner Erziehung eben einfach großen Wert auf Sittsamkeit gelegt, weil mein Großvater bei uns lebte. Es kommt mir so unnatürlich vor.“ Sie hatte jedoch oft den Eindruck gehabt, dass Sittsamkeit für ihre Mutter auch ein ganz persönliches Anliegen gewesen war. Sie hatte wahrscheinlich immer befürchtet, Emma könnte genauso enden wie sie – schwanger mit achtzehn, alleinerziehende Mutter mit zwanzig. Welche Gründe letztlich eine Rolle gespielt hatten, konnte Emma gar nicht sagen. Auf jeden Fall hatte man bei ihr zu Hause die Kleidung anbehalten, und von nackten Menschen umgeben fühlte sie sich nicht wohl.

Bestimmt war sie nicht die Einzige, die so empfand, doch es war anzunehmen, dass alle anderen, die sich lieber bedeckt hielten, von vornherein einen großen Bogen um diese Veranstaltung machten.

„Kann ich total verstehen“, stimmte die Frau ihr zu. „So ging es mir auch. Aber ich glaube, das hier zeigt uns, dass wir in Wahrheit doch von unserer Biologie gesteuert werden, nicht wahr? Ob Hunger oder Sex oder Krankheiten: Wir werden von unserem Körper kontrolliert. Also müssen wir uns nicht auch noch von Konzernen beherrschen lassen. Befreien wir uns von dieser Kontrolle.“

Bislang hatte Emma sich nie Gedanken darüber gemacht, ob und wie sie von ihrem Körper beherrscht wurde. Außer, wenn Kyle sich in der Nähe aufhielt. Dann übernahm ihr Körper eindeutig die Kontrolle. Dann hatte ihr Verlangen ihre Nippel im Todesgriff, und ihre Lust versuchte beharrlich, ihre Schenkel auseinanderzudrücken.

„Ja, das ist wahr“, sagte sie zu der Frau und kam sich plötzlich vor, als würde sie von neuer Energie und Entschlossenheit angetrieben. „Danke, ich möchte mich auch befreit fühlen.“ Sie wollte nicht länger die langweilige, arbeitswütige Kollegin sein, für die der Serienflirter Kyle nichts übrighatte. Sie wollte nicht länger nur die Angestellte Emma mit dem Handy und den vernünftigen Schuhen sein, sondern wenigstens hin und wieder die lockere und lässige Emma, die ein Privatleben inklusive Sex hatte.

Also atmete sie einmal tief durch. Und dann zog sie ihr T-Shirt aus.

In dem Moment drehte sich ein lachender Kyle zu ihr um, der sich eben wieder die Baseballkappe aufsetzte. „Hey, Em, sieh dir mal …“

Sie öffnete den BH und befreite ihre Mädels, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

Kyles Grinsen erstarrte kurz und verschwand schließlich ganz. Aus seiner Kehle drang ein erstickter Laut.

Emma fasste nach den Knöpfen ihrer Jeans.

Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Doch beim Blick in sein Gesicht verlor sie auch jedes Interesse an einem Rückzieher. Für Kyle wollte sie alles ausziehen, was sie am Leib trug.

Die Frage war nur, ob er genauso empfand wie sie.

2. KAPITEL

Kyle vergaß den dummen Witz, den er wegen seiner grünen Haut hatte reißen wollen. Er vergaß, dass er von Kopf bis Fuß mit kalter, juckender Farbe überzogen war. Er vergaß einfach alles.

Und das, weil seine Kollegin, die nur ihre Arbeit und sonst gar nichts zu kennen schien, soeben ihren BH ausgezogen hatte. Zum Vorschein gekommen war ein Paar perfekte Brüste der Körbchengröße C. Die festen rosigen Nippel schienen ihm förmlich zuzuzwinkern. Er hatte absolut nicht damit gerechnet, dass sie das durchziehen würde. Es passte nicht zu der Seite ihrer Persönlichkeit, die er kannte, und er hätte es ihr nicht mal verübeln können, wenn sie einen Rückzieher gemacht hätte. Für die Frauen war das Spektakel entblößender als für die Männer. Er trug schließlich immer noch seine Unterhose – es war also wirklich nichts Wildes. Manchmal brachte er ja sogar in Boxershorts den Müll raus. Doch angesichts der Besessenheit mancher Männer für die weibliche Oberweite konnte er jede Frau verstehen, die sich nicht vor ein paar Hundert Leuten ausziehen wollte.

Allerdings war er sehr froh, dass Emma sich letztlich dazu durchgerungen hatte. Dieser Anblick würde seine Wunschträume weiter beflügeln. Außerdem kannte er jetzt die Antwort auf die eine Frage, die ihm in den letzten Wochen zu schaffen gemacht hatte: War diese vollkommene Form einem Push-up-BH zu verdanken, oder war das pure Natur?

Es war pure Natur, daran bestand kein Zweifel mehr.

Der BH hielt nur, was tatsächlich vorhanden war; er war nicht der Erschaffer des grandiosen Dekolletés, das sie immer unter dünnen Pullovern und Ähnlichem zu verstecken versuchte.

Ihm wurde bewusst, dass er schon viel zu lange dastand und keinen Ton sagte. Also zwang er sich, den Blick von ihren Brüsten zu ihrer Hand weiterwandern zu lassen, von deren Daumen der rote BH baumelte. In die Augen konnte er ihr nicht sehen, denn ihm war klar, dass sie ihm sofort die Lust anmerken würde, die ihm ins Gesicht geschrieben stand.

„Also ziehst du’s durch“, stieß er hervor und hoffte, dass er fröhlich genug klang. „Cool. Das wird sicher lustig werden.“ Himmel, er musste sich anhören wie ein Idiot. Allerdings befand er sich am Rand der Verzweiflung, denn ihre Finger waren jetzt damit befasst, ihre Jeans aufzuknöpfen. Er stand nur in Unterwäsche vor ihr, und wenn grüne Farbe auch ein paar Pickel kaschieren konnte, half sie ihm bei einem gigantischen Ständer nicht weiter.

Er sollte wegschauen, sollte sich unbedingt auf etwas anderes konzentrieren. Aber der Reißverschluss ging Stück für Stück auf, und er fühlte sich zu dem Anblick genauso hingezogen wie Bienen zu Honig. In diesem Fall verdammt sexy Honig. Er konnte sich nicht abwenden. Immerhin war Emma die einzige Frau in der Redaktion, die noch nie einen Hauch von Interesse an ihm hatte erkennen lassen. Oder besser gesagt: die noch nie einen Hauch von Interesse an Männern überhaupt oder auch nur an Sex gezeigt hatte.

Das hier war möglicherweise seine einzige Chance, zu sehen, welche Freuden sie vor aller Welt versteckt hielt. Obwohl er mit seinem Gewissen ringen musste, wollte er gleichzeitig doch wenigstens einen kurzen Blick auf ihre verbotene Frucht werfen. Dann sah er etwas Weißes aufblitzen und überlegte es sich anders. Zeit, woanders hinzuschauen. Er würde seine Reaktion nicht verbergen können, wenn er auch bloß einen Moment darüber nachdenken würde, was sich unter dem halb durchsichtigen Spitzenstoff ihres Slips befand.

Er hob den Kopf, um ihr wieder in die Augen zu sehen, musste auf dem Weg dorthin aber innehalten, als Emma sich aus ihren Jeans schälte und ihre Brüste bei jeder Bewegung wippten. Himmel, er gab sich ja wirklich Mühe, das alles zu ignorieren – doch es war so verlockend wie ein Festmahl, das man einem Verhungernden hingestellt hatte. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Und was seine Befürchtung hinsichtlich seiner Reaktion betraf, hatte sie sich soeben bewahrheitet: Er hatte eine Erektion von den Ausmaßen des Sears-Towers.

Dann beugte Emma sich vor, um die Jeans über ihre vollen Hüften weiter nach unten zu schieben. Dabei kam sie seiner Erektion bedenklich nahe. Er durfte sich um Himmels willen nicht ausmalen, was in der gleichen Position unter ganz anderen Umständen passieren konnte. Kyle wollte die Hände in die Hosentaschen schieben, um sich selbst davon abzuhalten, nach Emma zu fassen. Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass er momentan gar keine Hosentaschen hatte.

Emma stieß einen leisen Schrei aus, als sie bei dem Versuch, ihren Fuß aus den Jeans zu ziehen, das Gleichgewicht verlor. Sofort streckte Kyle eine Hand aus und gab ihr Halt. Zwar war es eine durchaus reizvolle Vorstellung: sie, halb nackt auf dem Boden liegend. Doch er war nun auch nicht so krank im Kopf, dass es ihm egal gewesen wäre, ob sie sich dabei womöglich verletzte. Was er bislang gesehen hatte, sollte seine Fantasie sowieso erst mal für eine Weile anregen.

„Danke“, hauchte sie und blickte ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen an. Was in diesem Moment in ihr vorgehen mochte, konnte er nicht sagen.

Sie stand da und drückte ihre Jeans zusammen mit den restlichen Klamotten an sich, um ihre Brüste zu bedecken. Die Hose, das T-Shirt, der BH und der Beutel ließen so kaum etwas von ihrer nackten Haut erkennen. Das galt jedenfalls für die wirklich interessanten Körperpartien. Kyle war erleichtert und zugleich enttäuscht.

„Komm, stell dich vor mich, bis du besprüht wirst. Dann kann ich den Leuten die Sicht auf dich versperren“, schlug er vor, weil ihr deutlich anzumerken war, wie unbehaglich ihr ihre eigene Nacktheit war. Ihre Wangen waren gerötet, und sie war etwas näher an ihn herangetreten, so als wollte sie auf Abstand zu den anderen in diesem Zelt gehen.

Wenn sie das hier durchziehen wollte, würde er ihr dabei helfen. Er wollte, dass sie ihm vertraute, und wenn er es sich jetzt durch den Kopf gehen ließ, gefiel ihm der Gedanke gar nicht, dass die anderen Kerle in diesem Zelt genauso wie er auf ihre Brüste starrten.

Sie kniff die Augen ein wenig zusammen. „Wo ist der Haken?“

Er hielt beide Hände hoch. „Es gibt keinen, ganz ehrlich. Ich will einfach nur nett sein. Du kannst mich ja verklagen, wenn dir das nicht gefällt.“ Er zeigte sich von seiner besten Pfadfinder-Seite, indem er ihr stur in die Augen sah, und sie meinte, er hätte irgendwas vor? Er fühlte sich beleidigt.

„Ich will nur sicher sein, dass ich nicht zur Lachnummer werde.“

„Hältst du mich wirklich für so ein Arschloch?“ Kyle ging um sie herum und warf einem Typen einen finsteren Blick zu, den er verdächtigte, Emmas Po anzuglotzen. Diesen vollkommenen Po, der – oh Gott – von einem Bikinislip bedeckt wurde. Es lag wie eine zweite Haut auf ihren perfekt geformten Pobacken, sodass für die eigene Fantasie wenig auszumalen blieb. Aber immerhin war es kein G-String. Trotzdem war es kein Wunder, dass dem Kerl fast die Augen aus dem Kopf fielen. Kyle musste selbst schlucken, während er die grünen Arme vor seiner Brust verschränkte. Er wusste, dass seine Schultern und Hüften breit genug waren, um einigen Leuten die Sicht auf Emma zu versperren. An der Highschool hatte er Hockey gespielt, und er trainierte heute noch mit Gewichten. Enge Jeans konnte er mit dieser Figur nicht tragen, und er schreckte nicht davor zurück, notfalls die Muskeln spielen zu lassen.

Der Typ ließ seinen interessierten Blick weiterwandern. Das hätte Kyle dem kranken Mistkerl auch spätestens jetzt geraten. Allerdings wusste er nicht so recht, ob er selbst nicht ebenfalls in Richtung Mistkerl tendierte – was ihm im nächsten Moment von Emma bestätigt wurde.

„Ich halte dich nicht für ein Arschloch, aber ich finde schon, dass du dich quer durchs ganze Büro flirtest und ein ziemlicher Scherzbold bist“, sagte sie. Sehen konnte er sie nicht, da er mit dem Rücken zu ihr stand. Er hörte nur, wie der Plastikbeutel raschelte, als sie ihre Kleidung einpackte.

Wenn er Emma reden hörte, hatte er manchmal den Eindruck, dass sie aus einem anderen Jahrhundert stammte. Oder zumindest ihre Wortwahl. „Scherzbold?“, wiederholte er schnaubend. „Wieso? Nur weil mir meine Arbeit Spaß macht?“

„Die dir vor allem dann besonders viel Spaß macht, wenn du dich in der Buchhaltung an Gina mit dem tiefen Ausschnitt ranmachst. Für gewöhnlich, wenn du mit irgendeinem Termin eine Stunde oder mehr hinterherhängst.“

Die Erkenntnis war für Kyle ein Schock. Es war ihm immer so vorgekommen, als würde Emma ihn nicht mögen, und jetzt stand fest: Sie mochte ihn nicht.

Das war okay. Nicht toll, aber okay. Es war ihr gutes Recht, ihn nicht zu mögen, auch wenn er noch so scharf auf sie war. Doch sie hatte nicht das Recht, seine berufliche Integrität anzugreifen. „Ich habe noch nie eine Frist verstreichen lassen. Und falls du es unbedingt wissen willst: Ginas tiefer Ausschnitt kümmert mich gar nicht. Ihr Mann ist ein guter Freund von mir, und Gina und ich sind dadurch ebenfalls befreundet. Mehr ist da nicht.“

„Du hast noch nie eine Frist verstreichen lassen? Willst du mich auf den Arm nehmen? Und willst du mir ernsthaft weismachen, dass du nicht mit jeder Frau im Büro flirtest?“

„Noch nie eine Frist versäumt. Nicht ein einziges Mal“, beharrte er. Er und Claire hatten vereinbart, dass er von montags bis donnerstags jeweils statt um acht erst um halb neun ins Büro kommen konnte, wenn er dafür freitags eine Stunde früher erschien und eine weitere Stunde an den eigentlichen Feierabend dranhängte. Möglicherweise führte das zu einer Wahrnehmung, er würde zu wenig arbeiten, aber er sah nicht ein, warum er ihr das erklären sollte.

„Ich bin freundlich“, fügte er stattdessen hinzu, „und ich mag Menschen. Seit wann ist das ein Verbrechen?“ Genau genommen war das der Hauptgrund dafür, dass er seine Arbeit so gut leiden konnte. Er hatte nicht nur mit den Leuten im Büro, sondern mit der ganzen weiten Welt zu tun. Die gesellschaftlichen Anlässe, die Sportveranstaltungen, die Wohltätigkeitsbälle – er berichtete über alles, was sich auf dem Gebiet abspielte, und es machte ihm riesigen Spaß. Zugegeben, ihm war das Sportressort weggenommen worden, weil er sich eine kleine Eigenmächtigkeit mit seinem Presseausweis erlaubt und so einem an Krebs erkrankten langjährigen Kumpel das einmalige Erlebnis verschafft hatte, die Footballspieler der Cleveland Browns persönlich kennenzulernen. Doch er bedauerte seine Degradierung kein bisschen.

Hinzu kam, dass sich ihm durch seine Kolumne über Kunst und Unterhaltung ein Teil der Stadt erschlossen hatte, der ihm bis dahin völlig unbekannt gewesen war. In dem, was er machte, war er zudem verdammt gut, aber nichts davon schien Emma zu kümmern.

Es machte ihn wirklich wütend, dass sie es so hinstellte, als würde er sich ständig bedenklich nahe am Tatbestand der sexuellen Belästigung bewegen. „Außerdem flirte ich nicht mit jeder Frau – oder habe ich mit dir schon mal geflirtet?“, bemerkte er noch.

Als sie daraufhin entrüstet nach Luft schnappte, kam ihm der Gedanke, dass das womöglich nicht das beste Argument war, das er in diesem Moment hatte vorbringen können. Der vorwurfsvolle Blick der Frau, die in der Schlange ursprünglich hinter Emma gestanden hatte, sich jetzt aber vor ihm befand, bestätigte seinen Verdacht. Dass sie den Kopf flüchtig schüttelte, war eindeutig eine freundliche Warnung gewesen.

„Was ich natürlich nur nicht mache, weil ich vor dir zu großen Respekt habe“, ergänzte er hastig. Normalerweise war das ein Spruch, mit dem sich ein Mann vor einer Menge Ärger bewahren konnte. Zumindest war das die Erfahrung, die er bei anderen Frauen gemacht hatte.

„Du bist ein Weichei“, konterte Emma kurz und knapp. „Von wegen Respekt.“

Emma war eindeutig nicht wie andere Frauen. Die anderen hätten eine solche Erklärung charmant gefunden, Emma hielt sie für Gewäsch. Das war ein Problem, das er nicht so recht zu lösen wusste. Warum er das überhaupt wollte, war ihm selbst ein Rätsel, aber auf jeden Fall konnte er das nicht auf sich beruhen lassen. Es machte ihm ebenso zu schaffen wie die Tatsache, dass er seit Monaten keinen Weg fand, ihr Interesse an ihm zu wecken. Und jetzt kam es ihm sogar so vor, als hätte er zwei Aufträge gleichzeitig zu erledigen: nämlich zum einen, Emma dazu zu bringen, dass sie seine guten Eigenschaften zur Kenntnis nahm, und zum anderen, herauszufinden, warum Arbeit und Vergnügen sich ihrer Meinung nach gegenseitig ausschlossen.

„Vielleicht flirte ich ja bloß nicht mit dir, weil du so gemein zu mir bist“, sagte er ausweichend, da er das Gefühl hatte, bei Emma mit Gegenargumenten nicht ans Ziel zu gelangen. Jedes weitere Widerwort würde ihr nur einen Vorwand liefern, um wütend davonzumarschieren. Wenn er ruhig war, würde sie sich eventuell wieder beruhigen.

Sie schnaubte verächtlich. „Ich bin überhaupt nicht gemein zu dir.“ Im nächsten Moment klatschte etwas gegen seinen Rücken. „Hier, halt meinen Beutel“, forderte sie ihn auf.

Kyle verstand das als Einladung, sich zu ihr umzudrehen.

Also drehte er sich um …

… und war froh darüber, dass er es getan hatte.

Emma zitterte förmlich vor Entrüstung über ihr Gespräch, sie hatte eine Gänsehaut und starrte ihn herausfordernd an. Und sie hielt nicht länger den Beutel in der Hand, mit dem sie ihre Brüste hätte bedecken können. Die wippten bei jeder Bewegung sanft hin und her, seit sie vom BH befreit worden waren. Oh ja, er sah hin. Und es tat ihm kein bisschen leid. Er nahm ihr den Beutel ab und beobachtete sie interessiert, während sie dastand und die Arme seitlich ausstreckte, damit sie mit grüner Farbe besprüht werden konnte.

„Du siehst lächerlich aus“, meinte sie zu ihm und stieß gleich darauf einen spitzen Schrei aus, als die erste Lage der kalten Farbe auf ihre Haut traf.

„Besonders elegant wirkst du auch nicht gerade“, gab er zurück. Allerdings sah sie nicht lächerlich, sondern zum Anbeißen aus. Sogar wenn sie sauer war, strahlte sie dieses gewisse Etwas aus. Sie war einfach heiß. Wenn sich diese Leidenschaft auch aufs Schlafzimmer erstreckte und wenn sie sich dort ein wenig von ihrer geschäftsmäßigen Coolness löste, würde sie durchaus in der Lage sein, einen Mann mit Haut und Haar zu verschlingen. Sie würde das Sagen haben und Forderungen stellen, sie würde ihn aufs Bett drücken, während sie seinen Schwanz in den Mund nahm …

„Wieso hast du diese Kappe auf?“, wollte sie wissen.

„Hm?“ Kyle wünschte sich mehr als alles andere, seine Unterhose zurechtziehen zu können. In den unteren Regionen wurde es immer unbequemer und schmerzhafter. Dieses ständige Auf und Ab tat keinem Mann gut. „Weil darunter mein Schlüsselbund versteckt ist. Ich bin nämlich nicht sicher, ob ich diesem Zahlensystem bei den Beuteln wirklich vertrauen kann.“ Brieftasche und Handy hatte er von vornherein im Wagen gelassen, aber er wollte nicht, dass sein Schlüsselbund mit anderen verwechselt wurde.

„Das können Sie beim Shooting nicht anbehalten.“ Die Frau, die Emma besprühte – eine stark tätowierte Mittzwanzigerin –, warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Ian gestattet keine Requisiten.“

„Ich weiß. Ich werde die Kappe rechtzeitig abnehmen.“

„Du trägst deinen Schlüsselbund auf dem Kopf mit dir herum?“, fragte Emma und trat einen Schritt nach vorn, als die junge Frau sie für fertig besprüht erklärte. „Du siehst echt albern aus.“

Sie bewegte sich wie Frankensteins Monster: die Arme vor sich ausgestreckt, die Knie steif, das Gesicht von der noch nassen Farbe glänzend und sehr, sehr grün. Ein wenig Farbe war an ihre Haare gekommen, was sie aussehen ließ, als hätte sie in einem wilden Paintball-Gefecht den Kürzeren gezogen. Ihre Nippel konnten in dieser Farbgebung für kleine Rosenkohlröschen durchgehen. Gleich nach dem Einsprühen hatte sie sich an der Nase gekratzt, und so blitzte dort ein Stückchen blanker Haut zwischen dem Grün auf. Definitiv war er hier ganz bestimmt nicht der Einzige, der albern aussah.

„Wenn du mich weiter als albern bezeichnest, werde ich so viele Witze über dich reißen, dass es dir leidtun wird. Nur mal so als Warnung“, entgegnete er.

Sie streckte ihm die Zunge raus, die von grünen Lippen umrahmt in einem kräftigen Rosaton leuchtete. Das hätte wirklich nicht sexy sein sollen, aber genau das war es. Gegen seinen Willen malte sein Verstand sich aus, wie diese Zunge über seinen Körper wanderte, um ihn lustvoll zu quälen.

Kyle trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Er musste schnellstens von hier weg, bevor er noch auf die Idee kam, Emma gegen die nächste Wand zu drücken, seine grünen Arme um ihren grünen Leib zu schlingen und etwas folgen zu lassen, was man wohl nur als Alien-Porno hätte bezeichnen können.

Zum Glück wurde er vor dieser womöglich peinlich endenden Idee bewahrt, als ein Mann sich über eine Lautsprecheranlage an die Menge wandte: „An alle Teilnehmer, Sie müssen sich jetzt ins Lagerhaus begeben, wo die Helfer jedem von Ihnen einen Platz zuweisen werden.“

Die Leute setzten sich in Bewegung, ein Teil von ihnen in Grüntönen eingefärbt, die von Moos bis Smaragd reichten, andere in einer Vielzahl von Brauntönen. Emma zögerte, woraufhin sich Kyle vorbeugte und ihr beschwichtigend ins Ohr flüsterte: „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du in Grün toll aussiehst?“

„Nein“, erwiderte sie mürrisch. „Grün gehört nicht zu meinem Farbschema.“

„Vielleicht liegt das daran, dass dich noch niemand ganz in Grün gesehen hat. Das steht dir nämlich wirklich gut.“

„M-hm.“

Als ihr ein Platz an der Wand gleich unter einem eingeworfenen Fenster zugewiesen wurde, sagte Kyle: „Gib dein Bestes, Mädchen. Stell dir vor, die Kamera wäre dein Geliebter.“

Ihre Mundwinkel zuckten, als würde sie überlegen, ob sie es sich erlauben sollte, über seine Bemerkung zu lachen. Das war schon mal ein gutes Zeichen.

„Mütze runter!“, knurrte eine stämmige Frau mit einem Durag auf dem Kopf und einem Klemmbrett in der Hand ihn an.

Kyle nahm die Baseballkappe ab, legte den Schlüsselbund hinein und hielt sie hinter dem Rücken, während er neben Emma in Position ging. Dann ließ er die Kappe zu Boden fallen und hörte die Schlüssel klimpern. Es war ein beruhigendes Geräusch, weil es ihm sagte, dass sie wieder von hier wegkommen würden, selbst wenn all ihre Sachen abhandenkommen sollten. Nach dem Shooting wollte er noch den einen oder anderen Teilnehmer interviewen, aber die Fakten zum Event lagen ihm bereits alle vor, da das Team des Künstlers eine umfassende Pressemitteilung herausgegeben hatte. Eine Kolumne zu schreiben, in der er seine Meinung zu einem Thema äußern konnte, war ihm von allen Aufgaben am liebsten.

„Wie fühlst du dich?“, fragte er Emma.

Sie stieß ihn mit der Hüfte an. „Ich komme mir nicht wie ein Teil eines Kunstwerks vor. Ich fühle mich eher wie ein nackter smaragdgrüner Trottel. Kannst du den Fotografen irgendwo entdecken?“

„Nein.“ Er sah nur eine Reihe von grünen Hintern, als die Leute in der Reihe vor ihm aufgefordert wurden, sich auf den Bauch zu legen. „Ich bin froh, dass wir stehen dürfen. Das Gebäude ist bestimmt radioaktiv verseucht. Da möchte ich mein bestes Stück nicht mal dann mit dem Boden in Berührung kommen lassen, wenn noch meine Unterhose dazwischen ist.“ Allein der Gedanke ließ ihn schaudern. „Ich möchte schließlich irgendwann Kinder haben.“

Von der einst erfolgreichen Stahlfabrik war nur noch eine verfallene Halle übrig, deren Fenster fast alle eingeworfen waren. Der Betonboden war von einer dicken Staubschicht überzogen. Wenn Kyle genauer darüber nachdachte, gefiel es ihm auch nicht, barfuß an diesem Ort herumzustehen. Auf keinen Fall hätte er sich hingelegt und von dem Zeugs auch noch etwas eingeatmet.

„Hier ist doch bis zuletzt Stahl verarbeitet worden“, meinte Emma. „Wie gefährlich kann das schon sein?“

Kyle zeigte auf ein Schild, das schief an der Wand hing. „So gefährlich.“

Auf dem Schild stand geschrieben: Kein Betriebsunfall mehr seit 3 Tagen.

„Na ja, aber die Maschinen sind alle weg, und sie haben gesagt, dass das Shooting nicht sehr lange dauern wird.“

Na toll. Jetzt redete sie beschwichtigend auf ihn ein. Dabei war doch er derjenige, der ihr die Nervosität nehmen sollte. Stattdessen drückte sie nun seine Hand, als wollte sie ihm Mut machen. Moment mal. Das war eigentlich gar nicht so schlecht.

Im Gegenzug drückte er ihre Hand.

„Ich bin davon überzeugt, dass deine Fruchtbarkeit nicht beeinträchtigt wird“, erklärte sie.

Daran bestand kein Zweifel. Kyle bewegte sein Bein, sodass sein Oberschenkel ihren berührte, und sie stießen mit den Schultern aneinander. Er sah zu ihr. „Ganz sicher?“

Sie lachte kurz auf und presste schnell wieder die Lippen aufeinander. „Ja.“

„Du hast nicht mal nachgesehen.“ Er wusste, was für ein Risiko er gerade einging, aber er war zu sehr Spieler, als dass er sich die Bemerkung hätte verkneifen können. Er würde darauf wetten, dass sie ihm nicht während eines Shootings eine Ohrfeige verpassen würde.

Emma wandte sich ihm zu. Ihre Zunge glitt nervös über ihre grünen Lippen. „Kyle … was soll das hier werden?“

„Ich flirte mit dir.“

„Warum?“

„Weil du attraktiv bist. Gewusst habe ich das schon immer, aber heute habe ich das auf eine ganz neue Art zu schätzen gelernt.“

„Du fühlst dich nicht zu mir hingezogen.“

„Tja, mein grüner Riese ist da aber anderer Meinung.“ Er wollte nicht prahlen, doch seine Erregung war für jeden deutlich sichtbar, der einen Blick unter seine Gürtellinie wagte. In diesem Fall konnte nicht mal seine Unterhose darüber hinwegtäuschen.

„Dein …“ Sie sah nach unten und machte große Augen. „Oh. Oh.“

Er war sich nicht sicher, ob er jemals eine sprachlose Emma erlebt hatte. Er wusste bloß, dass es irgendwie sehr befriedigend war.

Sie starrte noch immer auf seinen Schwanz.

All die Aufmerksamkeit ließ ihn zucken, woraufhin sie zurückwich, als wäre sie von etwas gestochen worden.

Kyle lächelte. Er liebte seinen Job über alles.

3. KAPITEL

Emma wusste, dass sie auf die Beule in Kyles Unterhose starrte. Das war allerdings tatsächlich ein grüner Riese.

Sie hielt seine Hand. Und sie verspürte plötzlich den dringenden Wunsch, sich mit Kyle in einem großen Bett zu wälzen. Keines von beidem ergab für sie einen Sinn.

Ihr war auch klar, dass sie außer einem kleinen Slip nichts am Leib trug, weshalb sie für ihre seltsame Reaktion keine rechte Erklärung hatte. Abgesehen von dem einen offensichtlichen Grund, dass für sie Nacktheit automatisch mit Sex verbunden war. Das würde auch erklären, wieso ihre Nippel so steinhart waren, seit sie sich im Zelt ausgezogen hatte. Und wieso sie das Gefühl hatte, innerlich dahinzuschmelzen. Und wieso es ihr in den Fingern kribbelte, nach seiner Erektion zu greifen und zu sehen, wie er darauf reagieren würde.

Mit Kyle selbst konnte das alles unmöglich etwas zu tun haben.

Was natürlich eine dreiste Lüge war. Sie fühlte sich schon zu ihm hingezogen, seit sie ihm vor zwei Jahren das erste Mal begegnet war, als Claire ihn durch die Abteilung geführt und ihn den Kolleginnen vorgestellt hatte, denen reihenweise das Wasser im Mund zusammengelaufen war. Sogar die Männer konnten ihn gut leiden, weil sie in Kyle einen richtigen Kerl sahen, jemanden, mit dem man golfen gehen konnte.

Aber keiner von ihren Kollegen – männlich oder weiblich – stand jetzt hier dicht an dicht neben Kyle und starrte auf seine Erektion.

„Emma.“ Seine Stimme klang beinahe schmerzerfüllt.

Sie zwang sich, den Blick von seiner Unterhose loszureißen und ihm ins Gesicht zu sehen. „Was?“, fragte sie atemlos.

„Meinst du …?“

Seine Frage ging in den lauten Worten des Mannes unter, der sich nun per Megafon an die Menge wandte: „Okay, jeder muss jetzt auf seiner zugewiesenen Position still stehen. Die Damen hinten an der Wand halten die Arme so vor sich, dass sie vor der Brust den Buchstaben I bilden. Verstanden?“

„Das gilt für dich“, murmelte Kyle.

Automatisch hob Emma die Arme, obwohl sie sich wie benommen fühlte. Wieso hatte sie den Eindruck, dass Kyle sie eben um ein Date hatte bitten wollen? Warum sollte er so etwas tun? Das konnte nicht sein. Er fühlte sich nicht zu ihr hingezogen. Zumindest war sie bis heute immer dieser Meinung gewesen. Doch was sie gerade gesehen hatte, war der Beweis dafür, dass sie sich geirrt hatte.

Aber selbstverständlich hieß das nicht zwangsläufig, dass er auch mit ihr ausgehen wollte. Wie war sie bloß auf diese Idee gekommen?

Weil ihr diese Idee gefiel.

Oh.

Sie war froh, dass sie die Arme vor ihre grünen Brüste halten konnte. Zugegeben, man würde ohnehin nicht viel erkennen können, denn schließlich würden auf dem Foto noch zweihundert andere mit Farbe besprühte Frauen und Männer zu sehen sein. Dennoch war ihr gleich viel wohler. So hatte Kyle nichts, was er die ganze Zeit anstarren konnte. Und auch im Internet würde sich nichts finden lassen, woraus man ihr einen Strick drehen konnte.

„Mr. Bainbridge möchte Ihnen allen für Ihre Mitwirkung danken. Er wird für die Fotos nur ein paar Minuten benötigen. Aber wenn Sie das Resultat zu Gesicht bekommen, werden Sie ganz bestimmt erfreut darüber sein, wie gut er das Gefühl von Menschen erfasst hat, die auf die Mauern einer zerfallenden produzierenden Wirtschaft reduziert worden sind.“

Die Worte rissen sie aus ihren Gedanken über Kyle und erinnerten sie daran, weshalb sie eigentlich hergekommen war. War das eine offizielle Erklärung gewesen? Emma wiederholte die Sätze im Geiste und fragte sich, ob sie sie als Zitat in ihrem Artikel verwenden konnte. Wenn dieser Mann da vorne allerdings nicht gerade der Pressesprecher des Fotografen war, musste sie beim Zitieren vorsichtig sein.

„Da ist der Mann der Stunde“, raunte Kyle ihr zu. „Es wird allmählich auch Zeit. Meine Farbe ist inzwischen so trocken, dass sie schon anfängt, abzublättern.“

„Wo ist er?“ Kaum hatte sie es ausgesprochen, entdeckte sie Ian Bainbridge, der am gegenüberliegenden Ende der Halle auf eine Plattform stieg. Kamera und Ausrüstung waren schon aufgebaut und einsatzbereit, sodass er sofort beginnen konnte. Emma hatte sich mit dem Künstler befasst und bei ihren Recherchen herausgefunden, dass er aus Neuseeland stammte und wie ein ehemaliger Fußballspieler aussah, der auf einmal seine emotionale Seite entdeckt hatte. Er trug oft schwarze Rocker-T-Shirts, dazu Blazer und eine Tweed-Melone; außerdem besaß er eine schicke schwarze Brille, die er jedoch nur manchmal aufsetzte, wie verschiedene Fotos zeigten. Heute gab es weder Brille noch Blazer, aber zumindest trug er eine Melone, während er letzte Einstellungen an der Kamera vornahm.

Der Mann hinter ihm war eindeutig ein Leibwächter, was nicht weiter überraschte, hatte seine Stalkerin ihre Aktivitäten doch in letzter Zeit deutlich gesteigert. Das war in der Zeitung aus Pittsburgh berichtet worden, wo Ian vergangenen Monat ein Fotoshooting veranstaltet hatte. Emma wunderte sich, wie verzweifelt jemand sein musste, dass er einem anderen Menschen auf Schritt und Tritt folgte und dabei so tat, als hätten sie beide eine feste Beziehung. Sich mit zwölf Jahren vorzustellen, die Freundin von Justin Timberlake zu sein, war völlig normal, aber bei einem seiner Konzerte alles ins Chaos zu stürzen war weit von allem Normalen entfernt – ganz so wie bei Ian.

Das Shooting dauerte nicht mal zehn Minuten. Ian drückte einige Male auf den Auslöser und ein paar andere Tasten, dann kletterte er schon wieder von der Plattform. Emma war ein wenig enttäuscht. Wenn man sich bis auf die Unterwäsche auszog und sich wie ein Alien einfärben ließ, erwartete man irgendwie, dass der eigentliche Moment etwas Erhabenes, Bewegendes an sich haben würde. Stattdessen bekam sie jetzt einen Wadenkrampf, da sie die Pose nicht mehr hatte wechseln dürfen, und ihre Nase juckte. Ihr tat es schon um den weißen Slip leid, auch wenn sie den für wenig Geld beim Discounter gekauft hatte. Er war nämlich bequem und schnitt an den Hüften nicht ein. Jetzt konnte sie ihn bloß noch wegwerfen.

Außerdem waren ihre Chancen gleich null, auch nur in Ians Nähe zu gelangen. Er verschwand in einer Gruppe, die ihn vor allen Leuten abschirmte, obwohl hier nirgends eine Frau zu entdecken war, die nach einer Stalkerin aussah. Aber wer konnte schon sagen, wie eine Stalkerin aussah?

„Da hält sich aber jemand für einen Rockstar“, meinte Kyle und verdrehte die Augen. Er stieß sich von der Wand ab und ruderte mit den Armen. „Mann, ich bin völlig steif. Das hat ja eine Ewigkeit gedauert.“

„Das waren gerade mal zehn Minuten.“

Kyle bückte sich und hob die Baseballkappe und seine Schlüssel auf. „Zehn Minuten, die mir niemand zurückgibt. Ich weiß nicht. Okay, ich hab ja was für Fotografie übrig, aber das hier, das war so … so melodramatisch. Und ich hab noch immer keine Ahnung, warum wir grün sind.“

Emma war zwar derselben Meinung, doch das musste Kyle ja nicht erfahren. „Wer sind wir, dass wir darüber bestimmen wollen, was Kunst ist und was nicht? Und vor zehn Minuten hast du genau das Gleiche gesagt.“ Sie stellte sich in die Schlange, die sich vor dem Zelt bildete, in dem ihre Sachen aufbewahrt wurden. Die anderen Teilnehmer unterhielten sich miteinander, und in dem alten Gebäude herrschte eine aufgeregte, begeisterte Stimmung. Es war Juni, aber die Luft hier in der Lagerhalle war ziemlich frisch. „Mir ist kalt.“

„Ist mir nicht entgangen.“ Sein Blick wanderte nach unten zu ihrer Brust.

„Was?“ Emma sah auf ihre aufgerichteten Nippel und spürte, wie sie rot wurde. „Ist das dein Ernst?“

„Ich kann nichts dafür! Du hast keinen BH an. Es ist völliger Blödsinn, wenn jemand behauptet, Männer und Frauen könnten sich im selben Raum ausziehen, und keiner würde sich versucht fühlen, den anderen anzusehen, um zu gucken, was der zu bieten hat. Das liegt nun mal in der Natur des Menschen. Ich halte solche Fotoshootings für absoluten Unsinn. Meiner Meinung nach ist Bainbridge ein Perverser, der bloß nackte Leiber sehen will.“

Emma wusste nicht so recht, ob Kyle scherzte oder nicht. „So eine Aktion wie diese zu veranstalten ist ziemlich extrem, wenn es ihm tatsächlich nur darum geht. Im Internet wimmelt es doch von Fotos, die nackte Leute zeigen.“ Allerdings musste sie zugeben, dass es inmitten so vieler Nackter schwierig war, nicht den einen oder anderen neugierigen Blick zu wagen. Genau deshalb konnte sie es nicht erwarten, endlich wieder ihr T-Shirt anziehen zu können. Es war ihr unangenehm, in dieser Schlange stehen zu müssen. Während sie die Augen vom hängenden Hintern eines älteren Mannes abwandte, schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass im gleichen Moment irgendjemand hinter ihr stehen könnte, dem der Anblick ihres Hinterns genauso wenig gefiel. Das hier war einfach nichts Natürliches, und es weckte bei einigen Menschen unweigerlich eine spätpubertäre Denkweise. So wie bei ihr. Und Kyle war kein bisschen besser als sie.

„Du hast übrigens selbst gesagt, dass du dich schon darauf freust, dich in der Öffentlichkeit auszuziehen“, sagte sie.

„Ich weiß. Und gerade das belegt meine Meinung, dass Männer und Frauen nicht nackt in Gruppen zusammenkommen sollten.“

„Du widersprichst dir selbst! Mir hast du erklärt, dass das hier schließlich keine Massenorgie werden würde.“ Wie eine Orgie kam es ihr auch ganz und gar nicht vor. Ihr war kalt, und die Farbe auf ihrer Haut juckte.

„Ist es auch nicht. Aber es fühlt sich so an, als sollte es eine sein. So als ob das nur eine Methode ist, um einen Bogen um das Thema zu machen.“

Emma seufzte. „Ich kann darüber nicht länger nachdenken. Das ist mir zu stressig. Ich will einfach meinen BH zurückhaben.“

„Hey, da vorn im Zelt ist irgendwas los“, sagte Kyle und stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die Köpfe der anderen Leute hinweg etwas zu erkennen.

Emma war gut fünfzehn Zentimeter kleiner als er und konnte überhaupt nichts sehen. Von vorn setzte sich jedoch eine Welle in Bewegung, da jeder seinem Hintermann erzählte, was passiert war.

„Einige der Beutel mit den Klamotten sind gestohlen worden“, sagte nun die Frau, die genau vor Emma und Kyle stand. Aus irgendeinem Grund schien sie das zu freuen.

„Was? Gestohlen?“ Reflexartig verschränkte Emma die Arme vor der Brust. „Was soll das heißen?“

„Irgendein Spinner hat wohl die gesamte Kleidung geklaut.“

Ihre Sachen waren weg? Emma hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden.

Kyle lachte amüsiert auf, weil es so offensichtlich war. Warum sollte jemand Kleidung stehlen? Das war der ideale Streich. Als „Scherzbold“, wie Emma ihn bezeichnet hatte, musste er das ja am besten wissen. „Das ist die perfekte Gelegenheit für so eine Aktion.“

Dann sah er Emmas Gesicht und verstummte. Sie schaute drein, als hätte ihr jemand ein Klavier auf den Fuß fallen lassen.

„Ist schon okay“, fügte er hinzu. „Ich habe ja noch meine Schlüssel. Das heißt, wir kommen zumindest von hier weg.“

„Aber nackt! Wir kommen nur nackt von hier weg!“ Sie schlang die Arme noch enger um ihren Oberkörper, als ob das irgendetwas hätte ändern können. „Das ist schrecklich! Wie kann denn so was passieren? Wofür gibt es eigentlich Wachleute, wenn sich einfach irgendwer …“ Sie fuchtelte wild mit den Armen. „… an der Kleidung anderer Leute bedienen kann?“

„Emma, es ist okay“, sagte er und hoffte, zuversichtlich zu klingen. Sie geriet unübersehbar in Panik, und die Leute drehten sich bereits nach ihr um – auch der Kerl, der locker über sechzig war und auf ihre Brüste starrte. „Ich habe bestimmt irgendwas im Wagen, das du dir umlegen kannst. Abgesehen davon wissen wir ja nicht, ob unsere Sachen überhaupt gestohlen wurden. Wie wahrscheinlich ist das schon, dass wir betroffen sind?“

Die Wahrscheinlichkeit war jedoch leider nicht auf ihrer Seite. Als die Veranstalter damit beschäftigt waren, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen, stellte sich heraus, dass sie beide tatsächlich zwei von rund vierzig Leuten waren, deren Beutel spurlos verschwunden waren. Kyle war ausgesprochen sauer, als er erfuhr, dass ihre Sachen nicht mehr da waren. Er hatte Achtzig-Dollar-Jeans getragen, außerdem sein liebstes blaues T-Shirt, bei dem die Frauen immer sagten, es würde das Blau seiner Augen hervorheben.

Ein wenig war es so wie bei einer Fluggesellschaft, die den einen Koffer verbummelte, oder wie bei einer Reinigung, die das Lieblingshemd mit einem riesigen Fleck versah. Solche Dinge konnten mal vorkommen. Davor konnte einen niemand schützen.

Aber hier war jemand am Werk gewesen, der sich vorgenommen hatte, den Leuten den Tag zu verderben. Oder besser gesagt: Ian Bainbridge den Tag zu verderben. Das war das Gute an der Sache, denn dadurch würde Kyles Kolumne umso interessanter werden. Und zähneknirschend musste er sich selbst eingestehen, dass er noch auf Jahre hinaus eine unterhaltsame Geschichte erzählen konnte. Vielleicht würde er später sogar darüber lachen können, wenn er geduscht hatte und die Farbe nicht länger seine Augenlider verklebte.

Ein paar der Teilnehmer waren außer sich und beschimpften die freiwilligen Helfer, doch die meisten fanden sich mit den Tatsachen ab und notierten ihre persönlichen Angaben für die Organisatoren. Die Polizei war alarmiert worden und bereits unterwegs, aber Kyle hatte nicht vor, auf das Eintreffen der Beamten zu warten. Emma war heute schon lange genug begafft worden, und er hatte das Gefühl, wenn er sie nicht bald nach Hause schaffte, könnte sie noch einen ernsthaften Zusammenbruch erleiden. Für eine Frau, die so verkrampft war wie sie, hielt sie sich bemerkenswert wacker. Trotzdem vermutete er, dass sie kurz vor dem Ausrasten war. Die Art, wie sie auf den Fersen hin und her wippte und wie sie sich beharrlich auf die Unterlippe biss, verhieß jedenfalls nichts Gutes.

„Ich kann es nicht fassen!“, schimpfte sie mindestens zum zehnten Mal.

„Mich überrascht, dass so was erst jetzt passiert“, sagte Kyle, als sie das Zelt verließen und zu seinem Wagen gingen. „Ich finde, das ist gar keine so schwierige Aktion, und sie sorgt für genug Ärger unter den Leuten, was wohl die Absicht gewesen sein dürfte.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die verärgerten Teilnehmer, die sich noch im Zelt aufhielten.

„Das ist absolut lächerlich!“, fauchte sie. „Wer denkt sich so einen Mist aus? Das ist einfach … kindisch!“

„Genau genommen ist es kriminell. Möchte nur wissen, ob überhaupt eine Chance besteht, die Täterin zu überführen. Ich gehe mal davon aus, dass wir es mit der Frau zu tun haben, die auch bei den anderen Fotoshootings für Ärger gesorgt hat. Hier stehen ja keine Überwachungskameras mehr, die ganze Fabrik ist so was wie eine Geisterstadt.“ Kyle achtete genau darauf, wo er beim Überqueren des alten Parkplatzes hintrat. „Pass auf, hier ist alles voller Kieselsteine und Scherben.“ Er sah auf Emmas Füße. „Soll ich dich zum Auto tragen?“

„Du bist genauso barfuß wie ich“, stellte sie klar. „Du brauchst nicht zusätzlich mein Gewicht, damit du dir die Scherben noch tiefer in die Fußsohlen trittst.“

„Meine Fußsohlen sind abgehärtet, ich merke nichts davon. Aber deine Füße sehen viel empfindlicher aus.“ Es stimmte, was er sagte. Emma hatte sich die Zehennägel rot lackiert, ihre Füße wirkten zart und makellos. Vom Staub im Lagerhaus waren sie zwar schmutzig geworden, aber Kyle erkannte deutlich an ihnen, dass sie regelmäßig zur Pediküre ging. Und sie war keine Sportlerin, die ihre Füße strapazierte. Angesichts ihrer weiblichen Rundungen konnte er sie sich in ihrer Freizeit vorstellen, wie sie sich in einer Lounge bei einem Cocktail in einem bequemen Sessel rekelte. Aber er sah sie nicht auf einem Fußballplatz, wo sie sich den Ball erkämpfte. Doch womöglich war es ja trotzdem genau das, womit sie sich samstags die Zeit vertrieb.

„Ich glaube nicht, dass irgendwas an mir besonders empfindlich ist“, erwiderte sie. „Aber ich habe nichts gegen eine gute Pediküre.“

Unwillkürlich stellte Kyle sich vor, wie sie mit ihrem Fuß über sein Bein strich. Er räusperte sich, bückte sich und zeigte auf seinen Rücken.

„Rauf mit dir“, forderte er sie auf, und im gleichen Moment zogen vor seinem geistigen Auge die Bilder von ihr vorbei, wie sie sich in Strapsen auf einem Sofa rekelte. Kyle wünschte sich, es wäre sein Sofa.

„Außer meinem Slip habe ich nichts an, Kyle. Auf keinen Fall werde ich auf deinen Rücken klettern. Nächsten Montag müssen wir im Büro wieder Seite an Seite arbeiten!“

Was ihn betraf, war ihm der nächste Montag völlig egal. Für ihn gab es nur das Heute und einen mit Scherben übersäten Parkplatz. „Wir sind jetzt nicht im Büro, und du solltest hier wirklich nicht barfuß rumlaufen.“ Er wollte nicht, dass sie sich an den Scherben verletzte. Und ehrlich gesagt gefiel ihm die Vorstellung, wie sie sich an ihn klammerte und ihre Beine um ihn schlang, während er sie zum Auto trug.

„Das geht schon.“ Pikiert machte sie einen Schritt nach vorn und stieß gleich darauf einen leisen Schrei aus. „Autsch! Oh verdammt, ich bin auf einen rostigen Nagel getreten!“ Sie stützte sich auf seinem Arm ab, damit sie ihre Fußsohle untersuchen konnte. „Ein Glück, dass ich meine Tetanusimpfung bekommen habe. Ist ja eklig.“

Kyle unterdrückte den Impuls, die Augen zu verdrehen. „Ich habe dir eine Lösung für das Problem angeboten.“ Erneut deutete er auf seinen Rücken.

Sie verzog den Mund. „Das ist die Wahl, vor der ich stehe? Über rostige Nägel zu laufen oder meine bemalten Arme und Beine um dich zu schlingen?“

Kyle grinste sie an. „Klingt für mich nicht nach einer allzu schwierigen Wahl.“

Emma bekam einen roten Kopf. „Du weißt genau, wie ich das meine. Außerdem bin ich nicht magersüchtig, sondern wiege ein paar Kilo. Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“

Er konnte nicht anders und starrte wieder auf ihre Brüste. Nein, magersüchtig war sie nicht. Bei ihr war alles genau richtig proportioniert, wenn es nach ihm ging. „Ich finde dich perfekt. Und beleidige nicht meine Männlichkeit. Ich bin in der Lage, eine Frau zu tragen.“

„Ich glaube, über deine Männlichkeit haben wir heute schon genug geredet.“ Sie schaute zu den anderen Leuten, die sich ihren Weg über den Parkplatz bahnten. Keiner nahm von ihnen beiden Notiz, obwohl sie praktisch nichts am Leib trugen. „Okay, einverstanden. Aber nach dem heutigen Tag werden wir darüber nie wieder ein Wort verlieren. Niemals. Und ich will auch keine dummen Witze von dir hören. Ist das klar?“

„Ist klar.“ In diesem Moment wollte er es einfach nur genießen, Emma auf seinem Rücken zu spüren. Warum ihm der Gedanke solches Vergnügen bereitete, darüber konnte er später immer noch nachdenken. „Wenn dir huckepack nicht zusagt, kann ich dich auch einfach so tragen.“

Genau das tat er dann auch, ehe sie es sich anders überlegen konnte. Als er sie packte und hochhob, quiekte sie vor Schreck.

„Kyle!“

„Ja?“ Oh Mann, er kam sich vor wie im Himmel. Vielleicht aber auch wie in der Hölle, denn es fühlte sich zwar wundervoll an, sie in seinen Armen zu halten, aber er wusste, dass mehr als das nicht passieren würde. Oder etwa doch? Es schien Emma durchaus zu gefallen, von ihm getragen zu werden. Wenn er sich ein bisschen anstrengte, würde es ihm eventuell eines Tages gelingen, mehr von ihren verlockenden Kurven zu spüren, die er heute hatte bewundern können. Er schaukelte sie ein wenig hin und her, um sie besser umgreifen zu können, und kam dabei ihren Brüsten bedenklich nahe. Instinktiv legte Emma auf der Suche nach mehr Halt den Arm um seinen Hals.

„Ähm … nichts. Ist schon gut“, sagte sie und sah ihn mit vor Schreck geweiteten Augen an.

Kyle betrachtete sie einen Moment lang, während ihm die perfekte Rundung ihres Pos nur allzu bewusst war, der sich bei jedem Schritt gegen seine Taille drückte. Ihr Mund war so nah, dass er den Kopf bloß ein Stück nach vorn sinken lassen musste, um sie zu küssen. Wäre das mit Emmas Bedingung vereinbar? Wäre sie auch mit einem Kuss einverstanden, solange er am nächsten Montag im Büro nichts verlauten ließ? Oder würde sie sich so dagegen wehren, dass er sie nicht länger halten konnte und sie hinfiel?

Das Risiko wollte er lieber nicht eingehen.

Er überquerte ohne einen Zwischenfall den Parkplatz, auch wenn er nicht behaupten konnte, dass es ihm Spaß machte, barfuß über Kieselsteine zu laufen. Er kam sich mit einem Mal so vor, als wäre er wieder am College. Das hier erinnerte ihn sehr an eine Party seiner Studentenverbindung, an deren Ende er sich mit Handschellen an einen Maschendrahtzaun gefesselt wiedergefunden hatte.

Hm. Hier konnte er zumindest auf ein besseres Ende hoffen.

Er setzte Emma ab, griff nach dem Autoschlüssel und entriegelte die Türen per Fernbedienung.

„Danke, dass du mich nach Hause fährst“, sagte sie, als sie einstieg.

„Kein Problem. Ich müsste irgendwas dahaben, was du dir umlegen kannst.“ Er sah auf den Rücksitz, aber da lag nur die leere Tüte von einem Fast-Food-Restaurant. Im Kofferraum fand er nichts außer dem Wagenheber und einem Seil. Nicht gerade das, wonach er suchte. Er ging nach vorn und beugte sich auf der Beifahrerseite in den Wagen.

„Was tust du da?“, rief sie erschrocken.

Nicht das, was er gern täte, wenn es allein nach ihm gehen würde.

„Vielleicht ist da ja was.“ Er öffnete das Handschuhfach und holte gleich darauf triumphierend eine Handvoll Servietten hervor. „Aha!“

Emma schürzte die Lippen und schien zu überlegen, ob sie lachen oder weinen sollte. „Danke“, sagte sie und nahm ihm die Servietten ab. Sie faltete eine davon auseinander und legte sie über ihre linke Brust, dann wiederholte sie die Prozedur für die rechte Seite.

Am liebsten hätte Kyle laut gelacht, also zog er sich rasch zurück und ging um das Auto herum.

„Tut mir leid, dass deine Sitze jetzt etwas von der Farbe abbekommen“, meinte sie, während sie versuchte, die restlichen Servietten unter sich zu legen.

„Mach dir keine Gedanken. Das lässt sich nicht ändern.“ Fasziniert beobachtete er, wie sie den Rücken gegen die Lehne drückte, um die Sitzfläche mit Servietten auszulegen, und wie sich dabei ihre verdeckten Brüste nach oben reckten.

„Augenblick mal!“, sagte sie plötzlich. „Du kannst mich gar nicht zu Hause absetzen. Mein Hausschlüssel wurde doch zusammen mit meiner Kleidung gestohlen!“

Oh, dieser Tag wurde von Minute zu Minute interessanter.

„Keine Sorge“, gab Kyle zurück. Es war, als hätte ihm das Schicksal das Los mit dem Hauptgewinn in die Hand gedrückt. Wenn Emma dazu gezwungen war, noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen, würde sie bestimmt über kurz oder lang herausfinden wollen, was genau eigentlich zwischen ihnen war. „Ich nehme dich mit zu mir.“

Und dort würde es mit ein wenig Glück dazu kommen, dass sie ihren grünen Körper ganz eng an seinen schmiegte.

4. KAPITEL

Emma sah entsetzt zu Kyle. Sie hatte ihren Wohnungsschlüssel nicht mehr. Es gab auch keinen Ersatzschlüssel irgendwo in der Nähe ihres Apartments, weil ja jeder wusste, dass das die beste Methode war, um sich ausrauben zu lassen. Sechs Monate lang war sie Polizeireporterin gewesen, was genügt hatte, um sie davon zu überzeugen, dass ein Türschlüssel unter der Fußmatte eine Einladung zum Einbruch war.

Zwar hatte sie bei ihrem Nachbarn Mr. Stein einen Zweitschlüssel deponiert, aber der Mann war sechsundachtzig Jahre alt, und sie konnte unmöglich bei ihm klingeln, wenn sie von Kopf bis Fuß grün angemalt war und Servietten auf ihren Brüsten klebten. Mr. Stein würde vermutlich einen Herzinfarkt bekommen, und sie wollte nun wirklich nicht seinen Tod auf dem Gewissen haben. Also blieb ihr keine andere Wahl, als mit Kyle zu ihm nach Hause zu fahren, damit sie sich von ihm ein T-Shirt und Shorts borgen konnte.

Der Himmel möge ihr beistehen.

Unruhig rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her, wobei sie hoffte, dass sie nicht die Farbe auf dem Polster verteilte, und biss sich auf die Lippe. Schließlich fragte sie: „Kann ich bei dir duschen? Diese Farbe fängt an, an meiner Haut zu ziehen.“ Beim Trocknen hatte sich die Farbe zusammengezogen, und Emma musste zugeben, dass sie von dieser gesamten Aktion die Nase voll hatte.

Sobald sie geduscht hatte und wieder vollständig bekleidet war, würde sie Kyle und ihre Reaktion auf ihn vielleicht nicht mehr ganz so deutlich wahrnehmen. Sie drückte die Beine zusammen und wünschte sich, dass dieses intensive Ziehen zwischen ihren Schenkeln endlich nachlassen würde. Aber wahrscheinlich gab es nur einen Weg, um dieses Gefühl abzustellen  – und dieser Weg würde geradewegs in eine Katastrophe führen.

Oder zur Ekstase.

Über sich selbst verärgert schüttelte Emma den Kopf. Nein. Das konnte sie nicht. Das würde sie nicht tun. Niemals. Nicht mit Kyle. Nicht, solange sie Kollegen waren. Sie hatte schon zu oft miterlebt, was dabei herauskam, wenn Kollegen sich zu nahe kamen, und sie war nicht so dumm, in die gleiche Falle zu tappen. Da war Jenny, die nach der Weihnachtsfeier mit dem Chef der Werbeabteilung geschlafen und sich mit ihrem alkoholbedingten Eifer so sehr in Verlegenheit gebracht hatte, dass sie gekündigt hatte. Bill und Stacey in der Online-Redaktion waren zwei Monate lang ein Paar gewesen, dann hatten sie sich getrennt und in ihrem beengten gemeinsamen Büro schließlich angefangen, sich gegenseitig mit Tackern unter Beschuss zu nehmen. Dates, Sex, Liebe und Affären ließen alle Leute früher oder später gefühlsduselig und irrational handeln, und das war mit der Arbeit nicht vereinbar.

Natürlich konnte man argumentieren, dass sie und Kyle eigentlich nicht richtig zusammenarbeiteten: Sie bewegten sich nur beide in denselben Büroräumen. Das war allerdings ein klägliches Argument, und das war Emma auch klar. Es wäre einfach zu unangenehm, mit zehn Leuten in einem Meeting zu sitzen, wenn einer von ihnen einen bereits nackt gesehen hatte.

Allerdings hatte Kyle sie praktisch schon nackt gesehen. Gerade jetzt saß sie ja so gut wie nackt neben ihm.

Emma krallte die Fingernägel in ihre smaragdgrünen Knie. Wieso schien sich jedes Argument gegen Kyle im nächsten Moment in Luft aufzulösen? Und das, wo sie noch nicht einmal bei ihm zu Hause angekommen waren?

Sie machte sich bewusst, dass Claire eine Affäre zwischen zwei festen Mitgliedern des Autorenstabs auf keinen Fall dulden würde. Und wenn jemand mit Konsequenzen rechnen musste, dann wäre sicher Emma diejenige. Claire hielt viel zu große Stücke auf Kyle; und zwar in der Art, dass sie wohl gern selbst mit ihm im Bett landen würde, davon war Emma überzeugt.

„Klar kannst du bei mir duschen. Und ich habe bestimmt etwas da, was du für den Weg zu dir nach Hause anziehen kannst.“ Kyle fuhr vom Parkplatz. „Soll ich dir was sagen? Ich komme fast um vor Hunger. Am liebsten würde ich an irgendeinem Drive-in anhalten, aber das dürfte wohl keine gute Idee sein.“

„Nein.“ Energisch schüttelte Emma den Kopf. „Das ist überhaupt keine gute Idee. Denk dran, die haben da überall Kameras.“

Kyle lachte. „Da hätten die Leute bei McDonald’s bestimmt noch lange was zu erzählen, was? Zum Glück haben wir es nicht weit. Ich wohne in Downtown.“

Das ist wirklich ein Glück, überlegte Emma, während sie an einer roten Ampel anhielten. Sie sah nach rechts und begegnete dem erschreckten Blick einer älteren Frau im Wagen neben ihnen. Die starrte sie an und hielt das Lenkrad krampfhaft umklammert. Noch bevor Emma zu Kyle sagen konnte, dass die Leute bereits auf sie aufmerksam wurden, zückte die andere Fahrerin ihr Handy und machte ein Foto von Emma.

Entsetzt duckte Emma sich auf ihrem Sitz und brüllte die Frau an: „Hey! Das können Sie nicht machen! Löschen Sie gefälligst das Foto! Sofort!“

Als ihr klar wurde, dass die Frau sie gar nicht hören konnte, betätigte sie den Fensterheber. Dann begann sie auf eine Weise zu gestikulieren, von der sie hoffte, dass jeder verstand, was damit gemeint war: nämlich, dass die Frau das Foto wieder löschen sollte.

„Was ist los?“, fragte Kyle.

„Sie hat mich fotografiert!“ Emma spürte, wie ihre grünen Wangen vor Verlegenheit zu glühen begannen. Die Fahrerin schaute stur in die andere Richtung und wollte ganz offenbar nicht auf Emmas Aufforderung reagieren.

„Niemand wird dich auf dem Foto wiedererkennen“, meinte Kyle. „Außerdem kann sie von dir nur Kopf und Hals erwischt haben.“

„Irgendjemand könnte mich aber wiedererkennen!“ Als die Ampel auf Grün schaltete und Kyle Gas gab, klappte sie die Sonnenblende runter, sodass sie sich im Schminkspiegel betrachten konnte. Was sie erblickte, verschlug ihr vor Entsetzen den Atem. Oh Gott, das war ja noch schlimmer, als sie gedacht hatte! „Ich sehe ja aus, als … als wäre ich verrückt!“, flüsterte sie und fühlte sich einer Ohnmacht nahe.

Ihre Haare standen in alle Richtungen ab, die Farbe wirkte dabei wie ein Gel, das sie in dieser Form hielt. Ihr Gesicht war so intensiv smaragdgrün wie der Rest ihres Körpers. Das Weiß ihrer Augen und ihrer Zähne bildete einen extremen Kontrast dazu. Die Servietten klebten wie ein Schlabberlatz auf ihrer Brust. „Ich sehe aus wie ein Frosch, der zum Barbecue eingeladen wurde.“

Kyle musste daraufhin so lachen, dass er sich dabei verschluckte. Emma klappte die Sonnenblende hoch und merkte, dass ihre Mundwinkel zuckten. Vielleicht war das Ganze ja doch zumindest ein bisschen komisch. Außerdem war das Lachen, das aus seinem tiefsten Inneren kam, einfach ansteckend. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie selbst das letzte Mal so unbeschwert gelacht hatte.

„Das ist nicht witzig“, protestierte sie, konnte jedoch ein Kichern nicht unterdrücken. Ihr war klar, dass er recht hatte: Niemand würde sie auf dem Foto erkennen. Das war wenigstens eine positive Sache.

„Oh doch, das ist witzig“, stieß er prustend hervor. „Ich habe noch nie gehört, dass sich jemand so beschreibt. Und das Beste an allem ist, dass es stimmt!“

„Ach ja?“, gab Emma zurück, konnte aber nicht leugnen, dass die ganze Situation wirklich zum Lachen lächerlich war. „Besten Dank!“ Sie zog eine der Servietten von ihrer Haut ab, knüllte sie zusammen und warf sie nach ihm.

Die Serviette prallte von seiner grünen Brust ab, was ihn nur noch lauter lachen ließ. Dazwischen brachte er ein „Autsch“ zustande.

„Halt den Mund. Das kann nie im Leben wehgetan haben.“

Kyle sah sie an und bekam große Augen. Er streckte die Hand nach ihr aus und zeigte auf ihre Brust. „Da kleben noch ein paar Reste von der Serviette“, sagte er und war kurz davor, sie zu berühren.

Emma schaute an sich herab und konnte sich das Lachen nicht länger verkneifen. Das wurde ja immer besser, denn jetzt klebte ein Stück Serviette an ihrem Nippel fest. „Sind wir schon da?“, fragte sie, weil ihr nichts Besseres einfallen wollte und weil Kyle auffallend langsam fuhr.

Er grinste sie an. „Du hast es erfasst. Wir biegen jetzt zu mir ab.“

„Jesus, ich danke dir.“ Zumindest hatte kein anderer Sonntagsfahrer mehr die Gelegenheit bekommen, sie im Internet unsterblich zu machen.

Kyle wohnte in einem alten Lagerhaus, das zu einem schicken Apartmentkomplex umgebaut worden war. Normalerweise wäre Emma einmal um das Gebäude geschlendert, um die Architektur zu bewundern, die Eisenträger und Ziegelsteine miteinander verband. Doch heute war sie froh, wenn sie endlich eine Tür hinter sich zuschlagen konnte, damit niemand sie mehr angaffte.

Aber offenbar war sogar das zu viel verlangt: Kaum waren sie ausgestiegen, kam ihnen ein Mann entgegen, der vermutlich obdachlos war. Dafür sprach, dass er einen mit Plastiksäcken überladenen Einkaufswagen vor sich herschob und an diesem eigentlich ziemlich warmen Junitag schmutzige und zerschlissene Kleidung in mehreren Lagen übereinander trug. Seine Frisur ähnelte auffallend der von Emma, wobei sein Haar allerdings verfilzt wirkte. Emma vermied jeden Blickkontakt, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich von Kyle zum Hintereingang führen.

Das Quietschen, das die Räder des Einkaufswagens verursachten, verstummte abrupt. Wahrscheinlich sah der Mann dem seltsamen Pärchen hinterher.

„Elende Hippies“, hörte sie ihn murmeln.

Als die schwere Feuerschutztür hinter ihnen zufiel, musste Emma laut lachen. „Oh mein Gott, er hat uns tatsächlich als Hippies bezeichnet! Welche Hippies kennst du, die so aussehen wie wir?“

„Ich kenne überhaupt keine Hippies“, antwortete Kyle. „Ich dachte, die wären längst ausgestorben. Aber du hast recht: Ich kann mir nämlich auch nicht vorstellen, dass Hippies ausgesehen haben wie Aliens aus einem billigen Science-Fiction-Film. Komm, lass uns die Treppe nehmen, sonst begegnet uns im Aufzug noch irgendwer, und dann könnte es wieder peinlich werden.“

„Sehr peinlich sogar.“ Bei dem Gedanken daran schauderte Emma, und die Serviette auf ihrer Brust flatterte bei jedem Schritt hin und her.

Kyles Apartment befand sich im ersten Stock, sodass sie nach wenigen Schritten vor weiteren unerfreulichen Begegnungen sicher waren. Emma atmete erleichtert aus.

„Was für ein Tag“, meinte Kyle und warf seine Baseballkappe auf den Tisch gleich hinter der Eingangstür.

„Das kannst du laut sagen.“ Sie blieb stehen und sah sich um, wobei sie erneut von heftiger Verlegenheit heimgesucht wurde. Aus irgendeinem Grund war sie davon ausgegangen, dass Kyle in der großen Ausgabe einer Studentenbude lebte. Chaotisch, mit wild zusammengewürfelten Möbelstücken und einem Meer aus leeren Bierdosen. Doch das hier hatte rein gar nichts mit dieser Vorstellung zu tun.

Kyles Apartment war sauber und sehr aufgeräumt. Auf der Granitarbeitsplatte in der Küche stand außer einer Kaffeemaschine überhaupt nichts. Die Couch war schlicht und modern, auf einer Armlehne lag eine makellos gefaltete Decke. Die großen Fenster sorgten für viel Licht, und als Emma herabschaute, wurde ihr bewusst, dass sie mit schmutzigen Füßen auf dem glänzenden Boden stand. Nicht eine Staubfluse war zu entdecken. Sofort hatte sie das Gefühl, sich Taschentücher um die Füße binden zu müssen, bevor sie hier auch nur einen Schritt tun konnte.

„Schöne Wohnung“, sagte sie knapp.

„Danke, mir gefällt sie auch. Und vor allem kann ich von hier zu Fuß ins Büro gehen.“ Er lief ein paar Schritte weiter. „Das Badezimmer ist da drüben. Komm, ich bringe dir ein Handtuch.“

„Danke.“ Sie folgte ihm, wobei sie den Blick nur dann von seinem knackigen Hintern lösen konnte, wenn sie stattdessen seine strammen Oberschenkel betrachtete. Kyle war wirklich sehr muskulös – nicht so wie ein Bodybuilder, sondern eher athletisch, irgendwie natürlicher. Es kribbelte ihr in den Fingern, diese verlockenden Muskeln, die zum Greifen nahe waren, zu berühren und zu drücken. Da sie auf nichts anderes mehr achtete als auf seinen Hintern, fiel ihr nicht auf, dass er stehen geblieben war. Sie prallte gegen ihn, und ihre Hände streiften dabei seinen Oberschenkel.

„Oh, tut mir leid.“ Emma machte einen Satz nach hinten, als sie begriff, dass er vor einem Wäscheschrank angehalten hatte, um ein paar Handtücher herauszuholen.

Kyle drehte sich zu ihr um. Seine Augen waren dunkel und unergründlich. „Ich bin sehr gut darin, Geheimnisse für mich zu bewahren, musst du wissen.“

Ihr Herz schlug schneller, ihre Nippel richteten sich unwillkürlich auf, sie bekam eine Gänsehaut. „Tatsächlich? Ich kann mir vorstellen, dass so was für einen Journalisten eine gute Sache ist. Wenn man mal an Leute gerät, die einem etwas Vertrauliches erzählen, ist es wichtig, wenn die andere Seite weiß, dass man verschwiegen sein kann. Ich denke da an Deep Throat, der …“ Sie brach mitten im Satz ab und war einen Moment lang unfähig, irgendein Wort herauszubekommen.

Oh Gott, hatte sie etwa eben Deep Throat erwähnt?

Ihre Wangen begannen zu glühen, und sie konnte nur hoffen, dass die grüne Farbe ihre Verlegenheit tarnte. „Ich … Damit meinte ich diesen Watergate-Informanten. Das … das war ja sein Spitzname!“, ergänzte sie schnell.

Er schüttelte den Kopf. „Emma, du bringst mich um den Verstand, weißt du das?“

„Nein, ich hatte keine Ahnung.“ Was natürlich gelogen war. Sie hatte die sexuelle Spannung zwischen ihnen beiden längst bemerkt. Sie waren beide fast nackt, und Emma hatte gerade aus Versehen seine Oberschenkel berührt. Nur ein paar Zentimeter trennten sie voneinander. Emma müsste sich bloß leicht vorbeugen, um ihn zu küssen …

„Jedenfalls tust du das. Und ich kann wirklich ein Geheimnis bewahren. Wenn hier also irgendetwas passieren sollte, dann kannst du dir sicher sein, dass ich darüber im Büro kein Wort verlieren werde. Und auch nirgendwo anders, wenn du mir sagst, dass du das nicht willst.“

„Was könnte denn passieren?“ Ihr war klar, was er meinte, aber sie war jemand, der die Dinge von seinem Gegenüber genau erklärt bekommen wollte. Sie brauchte eine Bestätigung dafür, dass dieser Mann sich im gleichen Maß zu ihr hingezogen fühlte wie sie sich schon seit einiger Zeit zu ihm. Sie musste Gewissheit haben, dass er ihr tatsächlich ein nachmittägliches Vergnügen anbot.

„Zum Beispiel das hier.“ Mit diesen Worten kam er ihr noch näher. Die Handtücher, die er festhielt, drückten gegen ihre Brust, während er die andere Hand an ihren Hinterkopf legte.

Emma zögerte keine Sekunde, sondern schloss die Augen, als er ihren Mund mit einem innigen, verlockenden Kuss verschloss. Er küsste sie mit genau dem richtigen Maß an Druck und Geschick. Seine Berührung war selbstbewusst und sanft, dabei aber nicht arrogant; sie hatte etwas sehr Zartes und beinahe Ehrfürchtiges an sich.

Emma seufzte leise, als er sich von ihr löste.

Kyle hatte sie völlig überrascht.

Emma hatte ihn völlig überrascht. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war Kyle davon ausgegangen, dass ihr Kuss präzise und effektiv ausfallen würde. Oder dass er von kühner Leidenschaft geprägt sein würde. Er hatte nicht mit etwas so Verwundbarem und Weiblichem, mit etwas so Zartem gerechnet. Sie hatte seinen Kuss erwidert, aber ihn führen lassen, was er als ausgesprochen angenehm empfunden hatte. Sie schmeckte nach … Bereitwilligkeit.

„Dann wirst du darüber also schweigen?“, fragte sie und strich mit der Zungenspitze über ihre Unterlippe.

Die Botschaft war nicht zu überhören. Emma war bereit, zu spielen. Das hätte Kyle nicht erwartet. Andererseits war jedoch auch nicht vorauszusehen gewesen, dass sie beide in dieser Verfassung in seinem Apartment landen würden. Wäre ihre Kleidung nicht gestohlen worden, hätte er sich einfach nach dem Fotoshooting auf den Heimweg gemacht und geduscht. Jetzt dagegen ergab sich für ihn die Chance, mit Emma zusammen zu duschen.

Insgeheim dankte Kyle dem Dieb dafür, dass er nach seinem und Emmas Beutel gegriffen hatte.

„Das ist nur der Anfang der Geschichte, von der ich niemandem ein Wort verraten will.“

Sie schaute ihn mit großen Augen an, und ihre Nase zuckte. Ihm war bereits aufgefallen, dass das anscheinend immer dann passierte, wenn Emma nervös war oder über eine Antwort nachdenken musste. Er fand das niedlich – was eigentlich nicht zu den Worten gehörte, mit denen er die Frauen beschrieb, die er ins Bett kriegen wollte. Doch in Emmas Fall gab es für ihn absolut keine treffendere Bezeichnung: Sie war verdammt niedlich.

„Vielleicht hast du deswegen noch nie mit mir geflirtet“, meinte sie. „Mir fällt nichts Passendes ein, was ich dazu sagen könnte.“

„Ich habe nie mit dir geflirtet, weil ich dachte, du würdest mir dann die Eier abreißen.“ Und weil er dachte, er würde von ihr eine Abfuhr erteilt bekommen, die ihm wirklich wehtun würde. Wow, er war erstaunt, dass er es sich selbst gegenüber zugeben konnte. „Und du sagst einfach, was dir durch den Kopf geht.“

„Mir geht durch den Kopf, dass ich gern wissen würde, wie du ohne die grüne Farbe aussiehst. Und natürlich ohne Kleidung.“

Oh yeah, Baby. „Gut, ich hatte nämlich das Gleiche über dich gedacht.“ Er drückte kurz ihre Hand, dann trug er die Handtücher hinüber ins Badezimmer. „Du kannst als Erste duschen. Es sei denn, ich soll dir Gesellschaft leisten.“ Fragen kostete ja nichts. Man konnte schließlich nie wissen …

„Ähm … eher nicht.“ Sie griff nach einem Handtuch und hielt es vor sich, bevor sie die zweite Serviette von ihrer Brust zog und in den Abfalleimer warf.

Zwei Schritte vor, einer zurück. Kyle wollte sich in Geduld üben – jedenfalls für die nächsten zehn, fünfzehn Minuten. Dann würde er sich den nächsten Kuss holen. Und vielleicht noch ein bisschen mehr, wenn es nach ihm ging. Es gab eigentlich keinen Grund, Emma ins Badezimmer zu begleiten, aber er tat es unter dem Vorwand, für sie das Wasser aufzudrehen und ihr seine große Auswahl an Duschgelen zu zeigen.

„Hier hast du so ein Luffa-Dings, damit du dir das Zeug abschrubben kannst.“

Emma nahm den Schwamm an sich, betrachtete aber zweifelnd die Duschkabine. „Das wird eine richtige Schweinerei werden. Gott, ich kann nur hoffen, dass auf dem Marmor keine Farbe zurückbleibt. Wer verlegt überhaupt Marmor in einer Duschkabine?“

„Da bleibt keine Farbe zurück.“ Hoffte er jedenfalls. Doch eine andere Wahl blieb ihnen sowieso nicht. Sie waren grün, und daran würde sich nichts ändern, wenn sie nicht duschen gingen. Er zwinkerte ihr zu. „Viel Spaß da drin.“

Etwas an ihr machte ihn stutzig. Die Art, wie sie ihn ansah, wie sie anscheinend zum Reden ansetzen wollte, wie sich ihre Brüste gegen das Handtuch drückten, wie sie ihre Zehen auf dem Korkfußboden krumm machte. Wenn er das richtig deutete, wollte sie nicht, dass er wegging, aber sie würde es nicht aussprechen. Sie wartete. Sie wartete, dass er es sagte. Dass er derjenige war, der sich über die Grenzen hinwegsetzte, die im Büro zwischen ihnen existierten.

Tja, sie waren hier nicht im Büro, und er wollte eine richtige Beziehung zu ihr haben. Wenn sie wollte, dass er den ersten Schritt machte, dass er den Kerl ohne Anstand spielte, dann würde er das auch tun. Denn im Moment zählten für ihn nur zwei Dinge: eine angenehm heiße Dusche und Emma.

Also nahm Kyle den Schwamm wieder an sich, was sie ohne Protest geschehen ließ. Sie schnappte nach Luft, als er näher kam und eine Hand an ihr Kreuz legte. Dann küsste er sie, ließ dabei die Zunge zwischen ihre Lippen gleiten. Eine Welle aus sengend heißer Lust schlug über ihm zusammen und verriet ihm, dass er genau den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Als er ihr das Handtuch abnahm und es zu Boden fallen ließ, protestierte sie ebenfalls nicht. Sie war einverstanden, dass er sich an sie schmiegte. Kyle stöhnte, als ihre Nippel über seine nackte Brust strichen.

„Ich möchte deine Haut ganz ohne Farbe spüren“, sagte er zu ihr. „Ich will dich schmecken. Komm, lass mich mit dir zusammen duschen.“ Daraufhin schob er die Fingerspitzen unter den Bund ihres Slips, ertastete ihre sanfte Haut. Ihre Pobacke schien für die Größe seiner Hände wie geschaffen zu sein. Er warf den Schwamm in die Duschkabine, damit er auch die andere Hand frei hatte. So konnte er ihren Po umfassen und zudrücken, um sie an sich zu ziehen, damit sie das Ausmaß seiner Erregung zu spüren bekam.

Ihr leises Seufzen verriet ihm, dass sie sie spürte, was sich auch in dem Kuss äußerte, der nun von ihrer Seite inniger und stürmischer wurde.

„Okay“, murmelte sie.

Kyle unterbrach den Kuss. „Wirklich?“ Er hatte nicht geglaubt, dass sie darauf eingehen würde. Aber sie hatte es getan, und das machte es für ihn zu einer ziemlich dummen Taktik, wenn er nun ihre Entscheidung hinterfragte. Besser war es, sie in die Duschkabine zu dirigieren.

Ehe Emma etwas erwidern oder es sich anders überlegen konnte, ließ Kyle sie los und zog die Unterhose aus, die er achtlos zur Seite warf.

Sie riss die Augen auf. „Oh mein Gott!“

Zuerst glaubte er noch, sie sei von seiner Größe beeindruckt, denn immerhin war er nicht gerade klein gebaut. Doch dann bemerkte er, wie ihre Unterlippe zitterte, und ihm wurde klar, dass sie sich das Lachen zu verkneifen versuchte.

„Was zum Teufel gibt es denn jetzt zu lachen?“

„Da, wo du nicht mit Farbe besprüht worden bist, sieht deine Haut so weiß aus … und dazu deine Erektion …“ Sie kicherte und machte eine Geste, die etwas Abstehendes darzustellen schien.

Es war schon gut, dass mit seinem Ego alles in Ordnung war, sonst hätte ihn so eine Reaktion fürs Leben zeichnen können. Aber Kyle besaß Humor, und als er nach unten schaute, konnte er nicht leugnen, dass dieser Anblick recht … interessant war. „Ich schätze, von hinten sieht das noch alberner aus. Dreh dich mal um und zieh den Slip runter, damit ich deinen nackten Hintern sehen kann.“

„Von wegen!“ Lachend wich sie einen Schritt zurück. „Das könnte dir so passen. Ich werde so duschen, wie ich jetzt vor dir stehe.“

Und genau das tat sie: Sie stellte sich im Slip unter den Wasserstrahl. Grün verfärbtes Wasser rann an ihrem Körper hinab und lief in Richtung Abfluss, während sie lustvoll seufzte. „Das fühlt sich wunderbar an.“

„Wenn du so duschst, kannst du den Slip anschließend wegwerfen“, zog er sie auf. „Du solltest ihn echt besser ausziehen.“ Trotzdem gab er sich für den Moment damit zufrieden, dass sie ihn anbehielt. Lange würde sie ihn sowieso nicht mehr tragen. Kyle würde schon dafür sorgen, dass sie bald komplett nackt war.

Das sollte kein Problem darstellen.

„Haha!“ Sie hielt den Kopf direkt unter den Strahl und rieb mit beiden Händen über ihr Gesicht.

„Ich glaube, so leicht geht das nicht ab. Du wirst einen Waschlappen brauchen.“ Er schnappte sich gleich zwei davon, folgte ihr in die Duschkabine und schloss die Tür hinter sich. Obwohl nur grünes Wasser an Emma herabströmte, löste sich die Farbe bloß sehr oberflächlich. Zuallererst nahm Kyle einen der Waschlappen und rubbelte damit sein Gesicht ab. Es fühlte sich gut an, als sein Mund und seine Lider endlich von dem Zeug befreit waren. Er wollte Emmas Lippen und ihren ganzen Körper auf ganz natürliche Weise kosten können.

Sie ging ein kleines Stück nach vorn, als er sich hinter sie stellte, und drehte sich leicht zur Seite und damit weg von ihm. Ihre Nervosität war ihr deutlich anzumerken, aber Kyle wollte, dass sie sich entspannte. Also gab er etwas Duschgel auf den Waschlappen und begann, es auf ihren Schultern zu verreiben.

Emma zuckte zusammen. „Was machst du da?“

„Ich befreie dich von dieser Farbe. An diese Stellen hier kommst du beim Schrubben ja nicht so gut heran.“ Wenn er sich möglichst sachlich gab, würde sie vielleicht nicht widersprechen. Außerdem hatte er dadurch die Gelegenheit, sie zu massieren. Er konnte deutlich spüren, wie ein Teil der Anspannung bereits von ihr abfiel.

„Ich muss zugeben, das fühlt sich gut an“, sagte sie und seufzte wohlig.

Er drehte sie ein wenig nach rechts, damit sie nicht von seiner Erektion berührt wurde, und übte weiterhin sanften Druck auf ihre Nackenpartie aus, wobei er sich langsam an ihrem Rücken nach unten vorarbeitete. Das Wasser prasselte auf ihn herab, Dampf stieg auf, Emmas Haare fingen an, sich wegen der Feuchtigkeit zu kräuseln. Der Geruch des Duschgels und ihrer von der Farbe befreiten Haut wirkte auf Kyle berauschend und erregend zugleich. Dennoch hatte er es nicht eilig, ans Ziel zu gelangen. Immerhin befand er sich hier auf einer sinnlichen Reise, die ihm großen Spaß bereitete.

Seine Gelassenheit wurde gleich darauf jedoch auf die Probe gestellt, als Emma sich vorbeugte und sich mit beiden Händen an der Wand abstützte. Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an, als er sie so dastehen sah, den Rücken leicht durchgedrückt, die Beine ein wenig gespreizt. Wenn er ihre Beine noch ein bisschen weiter auseinanderdrückte, wäre das die ideale Haltung, um sie von hinten zu nehmen … Der Gedanke setzte sich in seinem Kopf fest und ließ sich nur schwer wieder vertreiben. Um sich abzulenken, küsste er ihre Schulter, die inzwischen völlig frei von grüner Farbe war.

Er griff nach der Shampooflasche. „Komm, ich wasche dir die Haare.“

„Nein!“, widersprach sie sofort. „Das ist zu unheimlich.“

„Zu unheimlich?“ Kyle musste lachen. „Emma, ich finde, in manchen Dingen hast du eine seltsame Einstellung.“ Ehrlich gesagt hatte er allmählich den Eindruck, dass sie Angst vor zu großer körperlicher Nähe hatte. Allerdings würde er ihr das nicht sagen. Dann würde sie nämlich garantiert wutentbrannt das Weite suchen – und er könnte ihr das nicht mal verübeln. Abgesehen davon wollte er sich schließlich auch von niemandem seine Charakterschwächen vorhalten lassen. Schon gar nicht, wenn er nackt war.

„Ist es aber“, beharrte sie. „Man wäscht seinem Kind die Haare. Und an so etwas möchte ich jetzt nicht denken.“

Das löste in ihm ebenfalls einen starken Widerwillen aus. Solche Vorstellungen waren eindeutig etwas, womit die Stimmung gründlich zunichtegemacht werden konnte. Er stieß sie mit seiner Erektion an, schob die Hände nach vorn und strich über ihre Nippel. „Honey, was wir hier machen, hat nicht mal im Entferntesten etwas damit zu tun, seinem Kind die Haare zu waschen. Also schlage ich vor, wir vergessen, dass du das überhaupt gesagt hast. Überleg doch mal. Wenn eine Friseurin dir die Haare wäscht, denkst du dann auch, das wäre deine Mutter oder dein Vater?“

„Nein“, gab sie zu. „Noch nie.“

Er knabberte an ihrem Ohr und genoss das Geräusch, als sie daraufhin scharf einatmete. „Dann lassen wir deine Eltern aus dem Spiel, okay?“

Bevor sie etwas erwidern konnte, gab Kyle ihr einen stürmischen Kuss. Ohne Vorwarnung ging er vor ihr in die Knie und zog ihren Slip nach unten. Ihrem erschrockenen Aufschrei schenkte er gar keine Beachtung.

Er würde Emma vergessen lassen, dass sie überhaupt Eltern hatte.

5. KAPITEL

Kyle wollte ihr den Slip ausziehen. Er kniete sich vor ihr hin, und Emma war sich sicher, dass er nicht bloß den Schwamm aufheben wollte. Sie zwang sich dazu, tief durchzuatmen, sagte sich dann aber, dass sie aufhören musste, sich ständig zu irgendetwas zu zwingen. Stattdessen sollte sie besser endlich damit anfangen, einfach die Augen zuzumachen und zu genießen.

Das ging viel leichter als gedacht. Nach dem ersten Schreck und der reflexartigen Verlegenheit – immerhin war sie völlig nackt und offenbarte Kyle ihre intimsten Hügel und Täler – entspannte sie sich und umklammerte Halt suchend seine Schultern. Einen Fuß nach dem anderen hob er an, um sie von ihrem in Farbe getränkten Slip zu befreien. Seine Hand glitt an ihrem Bein nach oben, während er sie dort küsste, wo ihre Hüfte in den Oberschenkel überging.

Nein, sie würde nicht lügen. Es fühlte sich gut an. Seine Berührung war sinnlich und bedächtig, und er ließ keine Eile dabei erkennen, als er seine Zunge Kurs auf ihre Klitoris nehmen ließ. Hätte er sie gegen die Wand gedrückt und sich über sie hergemacht, wäre das für sie wahrscheinlich kein Vergnügen gewesen. Sie brauchte jemanden, der sie nicht überrumpelte. Jemanden, dem es nicht darum ging, so schnell wie möglich sein Ziel zu erreichen. Jemanden, der vorausahnte, wie sie es haben wollte, und der dabei selbstbewusst die Richtung vorgab.

Und Kyle verstand es, genau das zu tun. Seine Zunge bahnte sich den Weg zu ihrem geheimsten Punkt, berührte ihn jedoch nur kurz. So kurz, dass Emma unwillig stöhnte, als er weiter nach unten wanderte.

„Stimmt was nicht?“, murmelte er.

„Nein, nein, alles okay.“ Sie würde ihn nicht bitten, ihre Klit zu lecken. Das würde sie nicht tun, und das konnte sie auch gar nicht tun. Sie würde sich dabei schwach vorkommen.

Das Wasser lief ihm in grünen Rinnsalen über den Rücken und ließ die nackte Haut unter der Farbe zum Vorschein kommen. Emma genoss den Anblick, wie sich sein Kopf zwischen ihren Beinen bewegte. Wie er vor ihr kniete. Wie er das für sie tat. Dampf stieg um sie herum auf, und mit einem Mal kam sie sich vor wie in den Tropen. Sie malte sich aus, wie sie mit dem Mann ihrer Träume unter einem Wasserfall stand. Was hier tatsächlich geschah, war für sie fast noch unwahrscheinlicher – sie wurde gerade vom heißesten Typen im Büro mit dem Mund verwöhnt. Das war doch völlig verrückt!

Es war purer Wahnsinn. An den Rand des Wahnsinns trieb Kyle sie wirklich, als er nun seine Zunge über ihre Schamlippen gleiten ließ – und das auch noch so gemächlich, als hätte er alle Zeit der Welt. Als könnte er das hier den ganzen Tag lang mit ihr machen. Es machte sie unglaublich scharf, dass es für ihn nichts Besseres zu geben schien, als ihre Oberschenkel festzuhalten und sich auf sie zu stürzen wie auf ein Festmahl. Dabei drückte sie die Fingernägel fester in seine Schultern. Mit dem gesamten Körper reagierte sie auf seine Berührungen: Sie spürte, wie sie immer feuchter wurde, wie sich ihre Muskeln anspannten, wie sich ihre Nippel aufrichteten, sodass es fast schon schmerzte.

Normalerweise erforderte es von einem Mann erheblichen Einsatz, um sie so zum Orgasmus zu bringen, da sie nicht in der Lage war, sich fallen zu lassen. Das war ihr Problem, das wusste sie. Sie hatte sogar versucht, sich anzutrainieren, sich im entscheidenden Moment völlig zu entspannen und tief durchzuatmen. In den meisten Fällen hatte das jedoch zu nichts geführt – außer zu Frust für sie und ihren Partner. Kyle dagegen ließ sie das alles total vergessen. Er schaffte es, dass sie sich gehen lassen konnte, ohne sich das erst bewusst vornehmen zu müssen. Es geschah einfach.

Da waren nicht wie sonst die verkrampften Schultern oder Oberschenkel, die zusammengepressten Lippen, wenn ein Mann ihr Lust bereitete – oder es zumindest probierte. Stattdessen fühlte Emma sich leicht und locker. Ihr Inneres schien wie Schokolade dahinzuschmelzen. Sie sank gegen die Wand der Duschkabine und strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht.

„Oh ja“, hauchte sie, ohne zu wissen, warum sie das sagte. Eigentlich redete sie nicht beim Sex, weil sie für gewöhnlich darauf konzentriert war, zum Orgasmus zu kommen. Dabei blieb nie Zeit für irgendwelche Äußerungen. Aber Kyle sorgte dafür, dass die Worte über ihre Lippen schwebten. Sie kam sich vor, als wäre sie durch ihn ein ganz anderer Mensch.

Emma ließ seine Schulter los und vergrub die Finger in seinem kurzen Haar. Sie genoss das Gefühl, Kyle zu berühren, während er mit ihr so wundervolle Dinge anstellte. Ihr entging nicht, dass ihr Stöhnen lauter wurde, doch es kümmerte sie nicht weiter. Das hier war es mehr als wert, mit einem Stöhnen kommentiert zu werden. Kyle tat mit seiner Zunge Dinge, die bestimmt in ein paar Bundesstaaten illegal sein mussten.

Anders als sonst erreichte sie auch nicht schlagartig den Höhepunkt. Diesmal kündigte er sich ganz allmählich an und steigerte sich zu immer größeren und eindringlicheren Wellen der Ekstase, die schließlich über sie hinwegrollten und sie so lange in ihrem Sog hielten, wie Emma es niemals für möglich gehalten hätte. Das Gefühl ebbte genauso langsam ab. Sie kniff die Augen zusammen, damit sich die Wassertropfen lösten, die sich dort gesammelt hatten. Völlig sprachlos starrte sie auf Kyles Kopf. Das war ungelogen der beste Oralsex, den sie je erlebt hatte. Es war lässig und ausgiebig und sehr befriedigend gewesen.

Vielleicht lag es am heißen Wasser, dass sie sich so durch und durch hatte entspannen können. Aber vielleicht besaß Kyle ja auch eine tantrische Zunge. Doch darüber würde sie sich jetzt keine Gedanken machen. Sie wollte nur den Moment genießen, um später noch davon träumen zu können.

„Hmm“, machte Kyle und küsste ihren Oberschenkel. „Das hat mir gefallen. Dir hoffentlich auch.“

Was denn sonst? „Oh ja.“ Es war unglaublich gewesen. Emma öffnete den Mund, wollte irgendetwas sagen, irgendetwas Anerkennendes, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Himmel, sie war erschreckend schlecht in solchen Dingen! Kein Wunder, dass sie sich zum Workaholic entwickelt hatte. Im Umgang mit anderen Leuten taugte sie nichts.

Auf einmal kehrte die Anspannung in ihre Schultern zurück, und sie biss sich auf die Unterlippe, als sie sah, wie Kyle sich erhob. Seine Brust war immer noch mit grünen Streifen überzogen, das Gesicht dagegen war fast sauber. Mit einer Hand wischte er das Wasser weg, und wenn sie sich nicht irrte, stammte einiges von der Nässe von ihr. Er lächelte sie verrucht an, was das Ziehen tief in ihrem Bauch erneut auflodern ließ. Dann kam er näher, packte sie an den Hüften und küsste sie voller Leidenschaft. Ihr war, als könnte sie ihren eigenen Geschmack auf seiner Zunge wahrnehmen. Der Kuss sorgte dafür, dass ihre Verspannung sich sofort wieder verflüchtigte, und sie ließ sich von ihm in eine Ecke der Kabine dirigieren.

Als er ihr Bein so anhob, dass sie den Fuß auf den Rand der Duschwanne stellen konnte, fragte sie atemlos: „Was hast du vor?“

Was er vorhatte, wurde ihr in der nächsten Sekunde klar, als er mit den Fingern in sie eindrang. In dieser Position würde sie ihn leicht in sich aufnehmen können.

„Ich will mich vergewissern, dass du für mich bereit bist.“ Er knabberte an ihrem Hals, küsste ihren Nippel und verfiel mit seinen Fingern in einen Rhythmus, der sie dazu veranlasste, sich an der Wand abzustützen, damit sie nicht den Halt verlor. „Aber ich merke, du bist es.“

„Oh ja, das bin ich“, bekräftigte sie und nickte. Sie wollte jetzt aus erster Hand seinen Penis erleben.

Doch in dem Moment wich Kyle plötzlich zurück. So konnte das nicht funktionieren.

Emma wurde ungeduldig. „Wo willst du hin?“

Kyle erfreute sich an Emmas Tonfall. Sie klang gereizt, was er mit einem Grinsen aufnahm. Offenbar wollte sie ihn genauso sehr wie er sie. „Keine Angst, Sweetheart. Ich muss bloß eine Sache erledigen.“

In der Schublade im Schrank neben dem Waschbecken befand sich ein Päckchen Kondome, an das er herankommen konnte, wenn er sich weit genug nach hinten lehnte. Es war ein Balanceakt, aber er wollte Emma nicht allein in der Dusche zurücklassen. Also hielt er sich mit einer Hand an ihrer Hüfte fest und beugte sich nach draußen. Wasser spritzte wegen der offenen Tür auf den Badezimmerboden, doch das konnte man ja wieder aufwischen. Schließlich hatte er Handtücher bereitliegen. Er streckte den Arm aus, zog die Schublade auf und bekam eine der Plastikverpackungen zu fassen. Keine sechzig Sekunden später hatte er das Kondom übergestreift und konnte dort weitermachen, wo er eben aufgehört hatte. Allerdings hatte Emma inzwischen den Fuß vom Wannenrand genommen, um sich vor seinen Blicken zu schützen. So etwas kam jedoch gar nicht infrage.

Plötzlich fiel ihm etwas ein. „Ist es hier überhaupt bequem genug?“, fragte er. „Oder sollen wir zum Bett rübergehen?“ Er wollte kein rücksichtsloser, sondern der beste Liebhaber ihres Lebens sein.

„Das ist okay. Mach nur bitte … bevor ich noch tot umfalle.“ Emmas Miene strahlte eine erregende Mischung aus Verlangen und gequälter Vorfreude aus.

Kyle merkte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Emma hatte etwas so Verwundbares an sich: Sie schien ihrer Lust regelrecht ausgeliefert zu sein, statt sie fest im Griff zu haben. Es gab ihm das Gefühl, dass sie ihm etwas Überwältigendes anvertraut hatte – nämlich ihre Befriedigung. Ihm war klar, sie war keine von den Frauen, die um etwas bitten würden, und trotzdem bat sie ihn in diesem Moment wortlos darum, ihr Begehren zu stillen und sie die süße Erlösung erleben zu lassen. Er wollte ihr das und noch viel mehr geben. Seine eigenen Bedürfnisse waren zweitrangig.

Also küsste er sie stürmisch, während er zugleich mit einer Hand ihr Knie zur Seite drückte. Mit dem Daumen fand er schließlich ihre Klitoris, massierte sie sanft und genoss dabei, wie sich ihr Atmen in ein lustvolles Seufzen verwandelte. Ohne den Kuss zu unterbrechen, schob er sich zwischen ihre Schenkel und reizte sie mit seinem Schwanz. Dabei hob er eine Hand, strich über ihren Nippel, liebkoste ihn. Dann drang er ein kleines Stück weit in sie ein, schloss die Augen und ließ die Hitze auf sich wirken, von der er umschlossen war. Trotzdem zog er sich gleich darauf zurück, wodurch sie beide unwillkürlich nach Luft schnappen mussten.

„Kyle …“, murmelte sie, und er fragte sich im Stillen, ob sie seinen Namen überhaupt schon einmal so ausgesprochen hatte.

Erneut tauchte er in sie ein. „Ja?“

„Schon gut.“

Bevor er ganz in ihr war, zog er sich wieder zurück.

„Kyle!“

„Ja?“

Er hatte die Augen halb geschlossen, das Wasser prasselte auf seine Schulter und seine Hüften. Ihr Haar war feucht, die Haut nass und rosig. Dunstschwaden stiegen um sie herum auf, während sie sich in eine Ecke der Duschkabine drückte. Das Ganze war so unwirklich und so unglaublich – und dennoch war es real.

Er wusste, was Emma wollte, und er wusste, dass mit jedem sanften Stoß seine eigene Beherrschung weiter nachzugeben drohte. Nichtsdestotrotz drang er immer wieder so tief ein, wie sie ihn aufnehmen konnte, jedes Mal begleitet von einem rauen, ekstatischen Keuchen. Emma fühlte sich einfach perfekt an. Er bewegte sich langsam und gleichmäßig, musste sich gegen den Drang wehren, schneller und heftig zuzustoßen. Ihm war jedoch klar, dass der bedächtige Rhythmus besser war als hektisches Rammeln und dass er so für seine Mühen belohnt werden würde. Gleich darauf schnappte Emma fast schon überrascht nach Luft, als sich bei ihr der nächste Orgasmus ankündigte.

Genau das hatte er gemeint. Dies war ein anderer Orgasmus als der, den er ihr vor einigen Minuten beschert hatte. Vielleicht kam es ihm auch bloß so vor, weil er ihn aus einer anderen Perspektive miterlebte. Doch auf jeden Fall schien dieser Höhepunkt größer und gewaltiger zu sein. Emma krallte die Finger in seine Arme, und Kyle kam zu dem Schluss, dass es nun keinen Grund mehr gab, die Belohnung für seine Anstrengungen noch länger hinauszuzögern. Es war ein so verdammt gutes Gefühl, zu spüren, wie sie sich mitreißen ließ und in seinen Armen zu vergehen schien. Mit einer Hand stützte er sich an der Wand hinter ihr ab und erreichte ebenfalls den Gipfel.

Als sie beide wieder zur Ruhe gekommen waren, legte Kyle seine Stirn an Emmas Gesicht. Er schnappte nach Luft, sein Hals tat ihm vom angestrengten Stöhnen und Keuchen weh. Seine Oberschenkel waren durch die ungünstige Haltung verkrampft, und mit einem Mal bemerkte er, dass er seine Zehen kaum noch fühlte, weil die sich am Rand der Fußmatte in der Duschwanne eingehakt hatten, um ihm Halt zu geben. Wasser tropfte ihm in den Mund, das mittlerweile nur noch lauwarm war. Er löste sich ein kleines bisschen von Emma und grinste sie an.

„Das war eine sehr entspannende Dusche“, sagte er zu ihr und zog das Kondom ab, um sich zu waschen.

„Als entspannend würde ich das nicht gerade bezeichnen“, konterte sie und strich sich die feuchten Haare aus dem Gesicht. Mit einem nassen Klatschen landeten sie an der Schulter.

„Ach nein? Und wie würdest du es bezeichnen?“ Er bückte sich und griff nach dem Duschgel. Nachdem er eine Portion davon in seine Hand gegeben hatte, machte er sich daran, sich von der Taille abwärts einzuseifen, um die Farbe und andere Reste wegzuschrubben.

Eine Weile lang beobachtete Emma aufmerksam, wie er seinen Schwanz einseifte. Dann erst hob sie den Kopf, lächelte ihn ironisch an und sagte: „Nass. So würde ich es bezeichnen.“

Er musste lachen. „Auf den Punkt genau. Das gefällt mir.“

„Na ja, immerhin sind wir Journalisten.“

Nun bückte sie sich, um den hingefallenen Waschlappen aufzuheben. Als sie ihm dabei ihren nackten Hintern präsentierte, stockte Kyle der Atem. Hätte sie ihm etwas mehr Zeit gegeben, hätte er die Gelegenheit sofort genutzt und sie von hinten genommen. Doch er brauchte einfach noch ein paar Minuten, um sich zu regenerieren. Und er brauchte etwas zu essen. Plötzlich fiel ihm ein, dass er sich schon vor dem Duschen halb verhungert gefühlt hatte. Allerdings konnte das Essen auch jetzt noch ein bisschen warten: Kyle wollte den Blick auf Emmas nackte Haut so lange genießen, wie er nur konnte. Es hatte etwas erstaunlich Erotisches an sich, ihr dabei zuzusehen, wie sie ihre Brüste mit Duschgel einrieb, um sie von den letzten Resten grüner Farbe zu befreien.

Das Beste daran war, dass sie anscheinend überhaupt nicht ahnte, wie verdammt sexy sie war. Sie war einfach nur Emma – die effiziente und stets sachliche Emma. Doch gerade das machte es für Kyle umso erregender, denn es war, als würde er sie durch ein Schlüsselloch beim Duschen beobachten. Dummerweise starrte er sie so fasziniert an, dass er darüber vergaß, mit dem Waschen weiterzumachen.

Emma fiel auf, dass er sich nicht bewegte, und musterte ihn mit einer Miene, die man nur als argwöhnisch bezeichnen konnte. „Was ist?“

Er schüttelte den Kopf und genoss ihr Unbehagen. Es amüsierte ihn. „Gar nichts. Ich habe mich nur an der Aussicht erfreut.“

Missbilligend schürzte sie die Lippen. „Die Aussicht wird sich bald verabschieden, weil das Wasser kalt wird.“

Vermutlich konnte er froh darüber sein, dass Emma sich ihm gegenüber überhaupt geöffnet hatte. Wenn ihm gestern jemand prophezeit hätte, dass er es mit Emma unter der Dusche treiben würde, hätte er sich totgelacht. Aber nachdem sie sich ihm jetzt so offen und so entspannt gezeigt hatte, wollte er mehr von dieser Seite erleben. Doch Emma hatte inzwischen wieder zu ihrer gezierten, unnahbaren Art gefunden, die er von ihr normalerweise zu sehen bekam.

Also gab er ihr kurz entschlossen einen Klaps auf den Po, als sie die Tür der Duschkabine aufmachte und an ihm vorbei nach draußen auf die Badematte trat.

„Hey!“ Sie zuckte zusammen und funkelte ihn für einen Moment finster an.

„Du hast da eine Stelle übersehen“, meinte er lachend.

Sie verdrehte daraufhin bloß die Augen. „Kann man mit so was bei Frauen landen? Im Ernst? Mit so einer Masche à la Matthew McConaughey?“

Eigentlich sollte er sich gekränkt fühlen. Er vermutete jedoch, dass Emma insgeheim ihren Spaß hatte. Sonst wäre sie doch längst gegangen, oder nicht? Also konnte sie sich so widerborstig und unbeeindruckt geben, wie sie wollte. Hauptsache, sie kam nicht auf die Idee, sich anzuziehen und nach Hause zu gehen.

Doch natürlich war er nicht so dumm, sie wissen zu lassen, dass er ihre Nummer durchschaut hatte. Er musste eine wahre Gratwanderung vollbringen, wenn er Emma dazu bewegen wollte, sich auf eine zweite Runde einzulassen. Sollte sie das nicht tun, würde er sehr wahrscheinlich einen Wutanfall bekommen.

„Bei gewöhnlichen Frauen kann ich damit immer landen“, antwortete er, während er ihr aus der Dusche folgte. „Aber du bist ja auch was Besonderes.“

Es war riskant, so unverhohlen sarkastisch zu sein. Wenn sie unsicherer war, als er glaubte, könnte sie beleidigt reagieren. Doch Emma schnaubte und zog einen Mundwinkel hoch.

„Und du bist ein Idiot.“

Kyle zuckte mit den Schultern. „Ich habe schon Schlimmeres zu hören bekommen.“

Voller Eifer rubbelte Emma sich ab.

„Willst du nicht wenigstens noch die letzte Hautschicht dranlassen?“, fragte er und trocknete sich die Haare ganz bewusst besonders langsam, damit er splitternackt vor ihr stehen bleiben konnte.

Sie wickelte ihr Handtuch so um sich, dass es sie von den Achseln bis zu den Knien bedeckte. Eben wollte er ihr sagen, wie grundverkehrt es von ihr war, sich so zu vermummen, als sie etwas tat, womit sie ihn völlig überrumpelte – und zwar auf die denkbar beste Weise.

Emma ging um ihn herum, strich mit den Händen über seinen Rücken und krallte schließlich ihre Finger in seine Pobacken. „Ich muss zugeben, dass ich das heute schon die ganze Zeit machen wollte.“

Verdammt! Hätte er das bloß früher gewusst! Er wünschte sich, er hätte in diesem Moment ihr Gesicht sehen können. Aber er begnügte sich nur zu gern mit dem, was sie mit ihm anstellte. Dieser Tag verlief wirklich sehr gut, das musste er zugeben. Die hochgeschlossene Emma Gideon hatte es mit ihm unter der Dusche getrieben, und jetzt stürzte sie sich auch noch auf seinen Hintern. Das war definitiv ein Tag für die Geschichtsbücher.

„Ich bin froh, dass du dich entschieden hast, selbst zur Tat zu schreiten“, sagte er.

„Na, ich dachte mir, wenn nichts davon am Montag zur Sprache kommen kann, dann sollte ich die Gelegenheit doch ausnutzen.“

„Sehr praktisch gedacht von dir“, stellte er fest und schnappte nach Luft, als sie ihre Finger an seinen Hüften entlang zu seiner Vorderseite wandern ließ und sie fast seinen mit einem Mal wieder zum Leben erwachten Schwanz berührte.

„Ich bin eben praktisch veranlagt“, erklärte sie. „Manche halten das für eine schlechte Eigenschaft.“

„Ich muss dir sagen, dass ich diese Eigenschaft sehr schätze. Praktisch betrachtet meine ich nämlich, wir sollten den heutigen Tag bis zum letzten Moment ausnutzen. Da wirst du mir sicher zustimmen. Immerhin müssen wir ab morgen so tun, als wäre nie etwas passiert.“ Kyle ergriff ihre Hand und führte sie an seine Erektion.

„Das entbehrt nicht einer gewissen Logik.“ Sie trat vor ihn und strich über seinen Körper. „Aber hattest du nicht davon gesprochen, dass du Hunger hast?“

„Ich kann ja dich vernaschen“, erwiderte er und knabberte an ihrer Schulter. „Mjam, mjam.“

Emma lachte. Sie konnte nicht anders. Schließlich gab es einen guten Grund dafür, dass jeder ihn für charmant hielt. Er hatte etwas an sich; seine Lässigkeit war geradezu ansteckend. Gleich nach dem Sex war sie für einen Moment in Panik geraten und hatte den dringenden Wunsch gespürt, von hier zu entkommen. Das war eine Folge davon, dass sie stets auf ihr Gewissen gehört hatte, das ihr vorgeschrieben hatte, nie irgendwelche Risiken einzugehen. Diese innere Stimme hatte sich auch heute wieder gemeldet und verkündet, dass Emma einen schweren Fehler begangen hatte, den sie nie wiedergutmachen konnte. Sie hatte gegen das Gebot verstoßen, niemals einen Kollegen zu vögeln. Ihr Großvater war nicht müde geworden, zu betonen, dass schon ihre Mutter sich der Leidenschaft hingegeben und damit ihrem Leben eine andere Richtung gegeben hatte – und zwar nicht im positiven Sinne.

Doch dann hatte Emma über ihre Situation nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass es dumm von ihr wäre, den Heimweg anzutreten, ohne diesen Tag bis zum letzten Augenblick genossen zu haben. Sie war keine achtzehn mehr, und außerdem hatten Kyle und sie bereits wie vernünftige Erwachsene über die Folgen ihres Handelns gesprochen. Was bedeutete, dass Emma mit Kyle und seinem Schwanz tun konnte, was sie wollte, ohne sich schuldig fühlen zu müssen. Das vorhin war nämlich zufällig der allerbeste Sex aller Zeiten gewesen. Was würden sie erst im Bett zustande bringen?

Es bedeutete allerdings auch, dass sie ihm deutlich mehr zu naschen bieten musste, wenn er bei dem Tempo mithalten sollte, das sie sich vorstellte. In Beziehungen mochte sie nicht viel Erfolg haben, doch sie verstand, wie Männer funktionierten. Wenn sie Hunger hatten, konnten Männer sich nicht konzentrieren. Das war eine Tatsache.

Also nahm sie die Hand weg und trat einen Schritt zurück. „Wir können was vom Chinesen kommen lassen.“

„Können wir rummachen, während wir auf das Essen warten?“

„Ja.“ Das war ein guter Kompromiss, und abgesehen davon hatte sie nichts dagegen einzuwenden, wenn sie ein bisschen rummachten.

„Dann bin ich dabei.“ Er war immer noch wunderbar nackt, als er durch den Flur ins Schlafzimmer ging und eine Schublade der Kommode aufzog. „Was ist dir lieber? Boxershorts oder Slip?“

Emma folgte ihm und war einmal mehr beeindruckt, wie sauber und aufgeräumt alles war. „Du kannst die Unterwäsche tragen, die dir am liebsten ist.“ Sie war ja nicht seine Freundin. Sie war eigentlich gar nichts. Plötzlich spürte sie, wie ihre Wangen zu glühen anfingen. Warum regte sie der Gedanke plötzlich so auf, ihm nichts zu bedeuten und immer so tun zu müssen, als wäre das hier alles nicht passiert?

Weil sie jämmerlich war. Einen anderen Schluss konnte sie daraus nicht ziehen.

„Nein, ich wollte wissen, ob du Boxershorts oder einen Slip von mir tragen willst“, stellte er klar. „Oder willst du einfach Jeans ohne was drunter anziehen?“

„Ich werde ganz bestimmt keinen von deinen Slips tragen.“ Bei ihren Hüften und ihrem Hintern wollte sie nicht das Risiko eingehen, dass seine Slips ihr nicht passten. „Ich lasse die Unterwäsche weg. Hast du eine Jogginghose oder so was in der Art?“

Fünf Minuten später dachte Emma, dass Kyle sich das mit dem Rummachen jetzt wahrscheinlich noch mal überlegen würde. Sie trug eine Jogginghose, die sie am Saum ein paarmal umgeschlagen hatte, weil sie ihr an den Beinen mindestens dreißig Zentimeter zu lang war. Im Schritt saß sie viel zu weit, doch über dem Po spannte sich der Stoff so, dass die Hose nicht ins Rutschen geriet. Dazu trug sie ein T-Shirt mit Brutus Buckeye darauf, dem Maskottchen der Ohio State. Einer ihrer Nippel drückte genau gegen die Stelle, an der das dämliche Grinsen von Brutus aufgedruckt war, was ihren ganzen Aufzug noch eigenartiger wirken ließ.

Sie sah wirklich alles andere als verführerisch aus. Andererseits hatte Kyle sie geküsst, als sie von Kopf bis Fuß grün gewesen war. Also gab es womöglich gar keinen Grund zur Sorge. Das wäre doch mal was ganz Neues für sie.

Gemeinsam gingen sie ins Wohnzimmer, wo er seinen Tablet-PC vom Küchentresen nahm, ehe er sich zu ihr auf die Couch setzte. „Wonach ist dir?“, fragte er. „Ich mag’s gern würzig.“

„Ich hab’s lieber so schlicht wie möglich. Gedämpfter Reis, gedämpftes Gemüse.“

„Igitt. Dann werden wir wohl nicht halbe-halbe machen.“ Er tippte auf das Display und wählte einen Lieferdienst aus.

„Ich brauche etwas Zeit, um mir meinen Artikel in groben Zügen zu überlegen“, sagte sie. „Außerdem sollten wir mal bei der Polizei nachfragen, ob unsere Kleidung bereits wiedergefunden wurde und ob es schon eine Spur gibt, wer der Dieb ist.“

Verwundert betrachtete er sie. „Ich dachte, wir wollten rummachen.“

Emma fühlte sich bedrängt, auch wenn das eine irrationale Reaktion war. Tatsache war, dass Spontaneität bei ihr nicht von Dauer war. Sie war längst wieder bei dem Gedanken angelangt, dass Kyle sich unmöglich zu ihr hingezogen fühlen konnte. Nicht zu dieser arbeitswütigen Gewürz-Hasserin, die nicht in seine Jogginghose passte. Nachdem ihr das durch den Kopf gegangen war, brauchte es nicht mehr viel, bis sie wieder in Sorge um ihren Artikel und ihre Karriere überhaupt war. Und das brachte sie dazu, sich möglichst bald ihrer Arbeit widmen zu wollen.

„Was denn?“, gab sie zurück. „Das muss erledigt werden. Wir können ja trotzdem noch rummachen. Später, wenn ich fertig bin.“ Sie hatte zumindest den Hauch einer Chance, ihren Artikel in eine Richtung zu lenken, die mehr war als die bloße Schilderung eines Fotoshootings mit halb nackten Leuten, und diese Gelegenheit wollte sie sich nicht entgehen lassen. Wieder einmal ärgerte sie sich darüber, dass ihn absolut gar nichts zu kümmern schien und dass sie selbst nicht in der Lage war, so eine gelassene Haltung wie er einzunehmen.

„Das kann auch noch zwanzig Minuten warten. Wir machen rum, dann essen wir, und danach können wir arbeiten. Versprochen.“ Seine Finger sausten über das iPad. „Die Bestellung ist raus, geliefert wird in einer halben Stunde. Also lass uns anfangen.“

„Mit dem Artikel?“, fragte sie hoffnungsvoll. Es würde sie ohne Ende stressen, wenn sie diesen Text nicht sofort schrieb. Dass sie sich wie ein Workaholic benahm, war ihr völlig klar. Was würde schon eine Stunde ausmachen? Es würde sie nicht umbringen, wenn sie sich ein bisschen vergnügte. Warum also war das so schmerzhaft für sie?

Weil sie jämmerlich war. Das schien auch hier wieder die einzige Erklärung zu sein. Es lief offenbar alles nach dem gleichen Schema ab. Sie war ausgerastet, als sie sich für das Shooting hatte ausziehen müssen. Sie war ausgerastet, nachdem sie mit Kyle geschlafen hatte. Und jetzt rastete sie wegen eines Artikels aus, den sie selbst mit Grippe und hohem Fieber in einer Dreiviertelstunde schreiben konnte. Warum fiel es ihr bloß so schwer, sich zu entspannen? Ja, es war eine rhetorische Frage.

„Nein“, antwortete er.

„Ich muss dir ein Geständnis machen“, platzte sie heraus. „Ich weiß, du hältst mich für verrückt und du denkst, ich wäre ein Workaholic. Aber du musst auch wissen, dass mein Dad uns verließ, als ich zwei war. Meine Mom hat verdammt hart arbeiten müssen, um uns beide zu ernähren und um mich großzuziehen. In der Woche hat sie am Bankschalter gestanden, und an den Wochenenden ging sie putzen. Mich hat sie dann mitgenommen, und dabei habe ich mitgekriegt, wie die Leute mit ihr geredet haben. So als wäre sie es nicht wert, die Zeit dieser Leute zu beanspruchen. Sie ist ein wunderbarer Mensch, sie ist großzügig und witzig, und sie kann kochen wie diese Chefköche, die im Fernsehen auftreten. Ich arbeite so viel, weil ich in der Lage sein will, ihr finanziell unter die Arme zu greifen und mich für das zu revanchieren, was sie für mich alles geopfert hat. Und weil ich nicht will, dass jemals irgendwer so mit mir redet, wie man es mit ihr gemacht hat.“ Sie atmete tief durch und schaute zu Kyle. Ihr Herz raste.

Vielleicht hatte sie zu viel von sich preisgegeben.

Sie hatte nicht die geringste Ahnung, warum sie ihm etwas so Persönliches anvertraut hatte. Vielleicht, weil Kyle ihr durch das Fotoshooting geholfen und er für sie eine negative Situation in etwas Positives umgekehrt hatte. Sie wusste es zu schätzen, dass sie diese andere Seite an ihm kennengelernt hatte, und im Gegenzug sollte er wissen, dass sie ebenfalls mehr zu bieten hatte, als man auf den ersten Blick sah. Im Büro hatte sie ihm ihr professionelles Ich präsentiert, unter der Dusche hatte er eine zweite Seite an ihr gesehen, und nun sollte er auch eine dritte kennenlernen.

Zu seinen Gunsten sprach, dass er bei ihrem Geständnis nicht mal mit der Wimper gezuckt hatte. Und jetzt erwiderte er: „Ich verstehe dich. Aber ich gehe das Leben anders an. Mein Dad ist mit dreiundvierzig an einem Herzinfarkt gestorben. Meine Brüder und ich haben ihn eigentlich kaum gekannt, weil er so viel gearbeitet hat. Sogar wenn er zu Hause war, hat er sich Sorgen ums Geld und um seinen Job als Versicherungsvertreter gemacht. Er starb einsam und allein in einem Hotelzimmer, als er zu einer Konferenz nach Chicago gereist war. Daraufhin habe ich einen Entschluss gefasst: Es ist egal, wie und wo ich Karriere mache – aber ich werde immer darauf achten, dass ich das Leben genießen kann. Ich lebe nicht, um zu arbeiten, sondern ich arbeite, um zu leben.“

Emma wurde blass. „Oh Gott, Kyle. Das mit deinem Dad tut mir so leid. Wie alt warst du da?“

„Fünfzehn. Und es war eine beschissene Zeit. Meine Mom musste drei Jungs im Teenageralter großziehen, mein älterer Bruder brach das College ab und kehrte heim. Darum gehe ich meine Arbeit nie so aggressiv an, wie ich es wohl tun könnte. Trotzdem liebe ich meinen Job, und ich mache meine Arbeit ganz gut. Könnte ich jemals Star-reporter fürs Wall Street Journal werden? Auf keinen Fall, denn ich bin nicht bereit, für so eine Karriere alles zu opfern, und damit habe ich auch kein Problem.“

„Schon klar.“ Emma rieb mit den Handflächen über die geborgte Jogginghose. „Ich schätze, das ist eine Frage, über die ich noch nie ernsthaft nachgedacht habe. Bin ich bereit, für den Erfolg alles zu opfern?“ Die Antwort darauf kannte sie bereits. Sie hatte keine Zeit für Freunde. Keine Zeit für Dinge, die ihr Spaß machten. Keine Zeit für Sport. Selbst für den Verein, der ihr so am Herzen lag, weil er mittellosen Frauen und alleinerziehenden Müttern eine Ausbildung finanzierte, hatte sie keine Zeit mehr. Stattdessen schickte sie jeden Monat eine Geldspende in Form eines Schecks hin. Und sie konnte sich nicht mal daran erinnern, wann sie das letzte Mal ihre Mutter besucht hatte. Drei Wochen mussten seitdem mindestens vergangen sein, und dabei brauchte sie bis zu ihr gerade einmal zwanzig Minuten.

Emmas Magen krampfte sich zusammen, und ihr wurde übel.

„Ich will dich nicht kritisieren“, sagte er. „Ich finde, weder das eine noch das andere ist grundsätzlich richtig oder falsch. Unsere Erfahrungen haben uns geprägt, und die haben dazu geführt, dass wir beide das Thema Karriere völlig gegensätzlich angehen. Aber wenn du damit glücklich bist, ist das okay. Nur das zählt, Emma.“

„Wer hat denn bitte behauptet, dass ich glücklich bin?“, rief sie. „Ich bin nicht im Entferntesten glücklich! Vor dem heutigen Tag hatte ich ein Jahr lang keinen Sex mehr. Da kann ich wohl kaum glücklich sein.“

Kyle starrte sie einen Moment lang an, dann musste er laut lachen. „Du machst mich verrückt. Warum schaltest du dann nicht mal einen Gang runter und baust dir ein Privatleben auf?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Weil meine Mom so stolz auf mich ist. Sie lebt stellvertretend durch meinen Erfolg, und sie soll sehen, dass ich es zu etwas gebracht habe. Damit sie weiß, dass all ihre Opfer auch einen Sinn hatten.“

„Wenn sie so wie meine Mom ist, will sie wahrscheinlich bloß, dass du glücklich bist.“

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