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Die wilden Robbins (Band 1)

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Schick, penibelst gerade, energetisch und effizient – das ist der Stadtteil Sommerrode. Und genau hier herrscht ein erbitterter Kampf zwischen zwei Kinderbanden: den wilden Robbins und den Rittern auf Rädern. Beide beanspruchen das letzte unbebaute Stück Grün für sich. Bis der ehrgeizige Bürgermeister dort einen hochmodernen Spielplatz errichten will. Einen Spielplatz, auf den keines der Kinder Bock hat. Nur gut, dass die Robins, angeführt von der furchtlosen und schlauen Rieke, schon einen Plan haben, das zu verhindern. Doch dafür brauchen sie ausgerechnet die Hilfe der Ritter. Zähneknirschend muss ein Friedenspakt her, denn jetzt gilt es, ein gemeinsames Übel zu bezwingen: die Erwachsenen.


  • Erscheinungstag: 20.08.2024
  • Aus der Serie: Die Wilden Robbins
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 208
  • Altersempfehlung: 8
  • Format: Hardcover
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505151989

Leseprobe

Für Lasse,
der mich auf die Idee mit Sommerrode gebracht hat und
für Kehlani,
die mir ihren Namen geborgt hat.
Willkommen auf dieser Welt!

RIEKE

ist der glühendste Robin-Hood-Fan der Welt. Als Anführerin der »wilden Robins« fragt sie sich bei jeder wichtigen Entscheidung: Was hätte Robin getan? Außerdem hat sie die coolste Werkzeugtasche in ganz Sommerrode.

BRETTI

heißt nicht nur so, weil sein Nachname Bretthauer lautet, sondern weil alles an ihm so dünn wie ein Brett ist. Sogar seine Haare. Bretti ist manchmal ein kleiner Schisser, aber wenn es drauf ankommt, ein echter Robin!

MURKEL

ist Riekes und Minnas Hund, der argwöhnisch von der Nachbarin Frau Krone-Essig beäugt wird, die aufpasst, dass alle Hundewürste bloß in den entsprechenden Eimern entsorgt werden. Murkel ist stets dabei und bellt meist im richtigen Moment.

STRICK-LIESEL

weiß alles über Seile, Knoten und Fäden. Liesel motzt gern und viel und schreckt vor nichts zurück.

MINNA

ist Riekes kleine Schwester und darf nur ausnahmsweise bei den Robins mitmachen, schließlich ist sie gerade mal halb so alt wie die anderen. Dabei hat Minna echt Mumm in den Knochen, da hätte selbst Robin Hood Augen gemacht.

Kapitel 1
Sommerrode

Ganz am Rand der Stadt, da, wo die Ruhe beginnt und die Buslinie Nummer 7 endet, steht ein glänzendes, weißes Hinweisschild: Sommerrode.

Wenn du hier abbiegst und einen kleinen Bogen um das Einkaufszentrum mit Bio-Supermarkt, Apotheke und Fahrradladen machst, findest du den hübschesten und aufgeräumtesten kleinen Stadtteil, den du dir vorstellen kannst. Alle Straßen sind so gerade, als wären sie mit einem Lineal gezogen. Rechts und links sind sie von spiddeligen, dürren Bäumchen gesäumt. Um jedes dürre Bäumchen steht ein Holzgestell, an das man keine Fahrräder lehnen darf. Aber das ist auch gar nicht nötig: Denn die Radwege sind so wunderbar breit, dass man gar nicht aufhören möchte zu radeln. Es gibt eine große Insektenwiese, auf der bunte Blumen und duftende Kräuter wachsen. Sie ist natürlich nur für Mücken, Bienen und Käfer – nicht für Menschen. Jedes Haus hat einen Garten mit fluffigem Rasen in lustigen Streifen wie die Felder bei den Fußballspielen im Fernsehen. Alle Häuser haben zwei Sorten von Fenstern: An der Vorderseite sind sie hoch und schmal, wie Schießscharten in einer Ritterburg, nach hinten sind sie riesig und quadratisch. Es scheint so viel Sonne hinein, dass man fast nie die Heizung andrehen muss. Vor den Häusern ist viel Platz. Ganz bequem können dort ein großes Auto und ein Lastenfahrrad parken. Jede Auffahrt ist mit weißen Kieseln gefüllt. Es macht ein herrlich knartschendes Geräusch, wenn man darüberläuft. Alles, wirklich alles ist sehr sauber und sehr, sehr gerade. Ja, Sommerrode ist so wunderhübsch, so fabelhaft und perfekt, dass man es kaum aushalten kann.

Aber jetzt ist die Hauptstraße von Sommerrode versperrt. Mitten auf der Lupinenallee türmt sich ein riesiger Berg Modder auf. Gekrönt mit einem dicken Haufen frischer Hundekacke. Der Matsch quillt schon rechts und links auf den Radweg. Und der Gestank kriecht durch die Schießscharten-Fenster der umliegenden Häuser.

Wie das passieren konnte? Tja, das Ganze hat vor einer Woche begonnen, mit der Kletten-Keilerei. Und der Ameisen-Attacke. Und dann kam der Wettbewerb, bei dem ein Drache unbedingt den ersten Preis gewinnen wollte. Aber besser der Reihe nach.

Kapitel 2
Die Robbins mit einem b

Los ging alles an einem ganz normalen sonnigen Samstagmorgen. Rieke stand in ihrem Zimmer und packte gerade ihr Werkzeug zusammen, als das Walkie-Talkie, ihr schwarzes Funkgerät, einen Krischelton von sich gab.

»Bretti an Hood – kannst du mich hören?«

Rieke wühlte das Funkgerät unter einem Berg grüner T-Shirts hervor. »Höre!«

»Strick-Liesel hat einen Fund gemacht!« Und nun überschlug sich Brettis Stimme vor Aufregung. »Auf der neuen Baustelle bei der Tulpenstraße. Ein …« Jetzt machte er es extraspannend.

»Ja?!«

»Ein superlanges Kabel. So eins, wie wir schon ewig suchen.«

Rieke blieb für einen Moment die Luft weg. Dann flüsterte sie: »Für die Hängebrücke!«

»Genau!«

»Ich komme!«

Sie warf den Hammer in ihre Werkzeugtasche und sauste aus dem Zimmer, über den Flur und die Treppe hinunter. Eine Hängebrücke wollte Rieke schon immer haben. Eine wie Robin Hood sie hatte, ihr absoluter-ultra-mega-unübertroffener Super-Lieblingsheld. Der König der Diebe. Der von den Reichen nahm und den Armen gab. Der mit seiner Bande im Sherwood Forest lebte, in Baumhäusern, die mit Seilbrücken verbunden waren. Genau von so einer Brücke zwischen den Bäumen hatte Rieke geträumt, und nun hatte Liesel das nötige Material entdeckt.

»Frühstück!«

Rieke stöhnte. Das Tolle und das Blöde an den Sommerroder-Häusern war, dass die Treppe vom ersten Stock mit den Kinderzimmern und dem Eltern-Schlafzimmer direkt ins große Wohn-Ess-Küchenzimmer führte. Und genau dort saßen um den weißen Esstisch Riekes Eltern, ihre kleine Schwester Minna und Murkel. Das heißt, Murkel lag unter dem Tisch. Er war nämlich ein Hund.

»Ich bin nicht hungrig. Und Bretti wartet.«

»Du musst etwas essen«, sagte ihr Papa. Und das bedeutete, dass sie sich jetzt an den Tisch setzen musste. Ob sie hungrig war oder nicht.

Mama schob den Brotkorb herüber. »Wir haben dir extra ein Rosinenbrötchen mitgebracht.«

»Super«, sagte Rieke und meinte natürlich das Gegenteil. Aber dann schnappte sie sich lieber schnell das Brötchen und aß. Umso eher konnte sie nämlich gehen.

»Was habt ihr denn vor?«, fragte Mama und schüttete sich Hafermilch in den Kaffee.

»Wir wollen etwas bauen«, antwortete Rieke und schob zügig hinterher: »Mit Liesel.«

Bretti wohnte nämlich im Haus nebenan, und da hätten ihre Eltern ganz leicht hören können, dass sie eben nicht in Brettis Garten etwas bauten. Aber Liesel wohnte eine Straße weiter. Und da konnten ihre Eltern nicht merken, ob sie wirklich hinter dem hohen Zaun waren – oder eben ganz woanders. Auf einer Baustelle. Oder im Sommerwood Forest. Ihrem geheimen Lager, von dem niemand etwas wusste außer den wilden Robins. Die man mit einem b schrieb. Wie ROBIN Hood. Auch wenn es wie ›Robbin‹ klang, wenn man es sagte. Und wie Bretti es aus Versehen auf ihr Schild geschrieben hatte.

»Ich komme mit«, sagte Minna, als wenn sie das beschließen könnte.

»Nee«, nuschelte Rieke mit vollem Mund, und eine Rosine plumpste auf ihren Teller zurück. Schließlich war Minna fünf. Und sie war fast doppelt so alt. Und eine halb so alte Schwester konnte sie heute wirklich nicht gebrauchen.

»Murkel war auch noch nicht draußen«, stellte ihre Mutter fest. Als wenn das eine mit dem anderen etwas zu tun hätte.

»Er kann ja schlecht in Liesels Garten machen«, erklärte Rieke und stopfte den Rest des Rosinenbrötchens in den Mund. Jetzt sah sie wie ein Hamster mit Zahnschmerzen aus.

»Wir müssen das neue Regal aufbauen. Es wäre wirklich schön, wenn ihr alle gemeinsam etwas unternehmen könntet«, sagte Papa.

Alle gemeinsam hieß, dass Minna und Murkel jetzt an Riekes Hacken klebten wie Kaugummi unter einem Turnschuh. Und man wurde sie genauso schwer wieder los.

Rieke schaute bedauernd zu ihrer kleinen Schwester. »Okay, du kannst mitkommen, aber dann sitzt du den ganzen Tag nur in der Ecke und musst zugucken. Bist du sicher, dass du das willst?«

»Ja!«, rief Minna begeistert.

Ihre Mutter stand auf und legte einen grünen Plastikbeutel neben Riekes Teller. »Für Murkel.«

»Lecker«, sagte Rieke und schnappte sich den Beutel. »Dann los.«

Minna sprang von ihrem Stuhl, und Murkel kam schwanzwedelnd unter dem Tisch hervor.

Während sie im Flur ihre Schuhe anzogen, sagte Rieke leise: »Du kannst ein bisschen mitmachen, aber nur, wenn du Murkels Haufen einsammelst.«

»Okay«, versprach Minna.

Bretti wartete mit seinem Bollerwagen schon vor der Haustür und trat ungeduldig von einem Spaghettibein auf das andere. Bretti hieß nicht nur Bretti, weil sein Nachname Bretthauer lautete, sondern auch, weil alles an ihm so dünn wie ein Brett war: der Hintern, die Arme, die Beine, ja sogar Brettis Haare waren dünn. »Wieso hat das so lang gedauert?«

»Rieke musste erst etwas essen«, erklärte Minna.

Bretti sah auf Minna und Murkel hinunter. »Denkst du, es ist eine gute Idee, die beiden mitzunehmen?«

»Nee«, sagte Rieke. »Wollen wir?«

Und dann marschierten sie los, den Rosenweg hinunter, am Ende links, auf die Lupinenallee und von da aus noch einmal links in den Margeritenpfad. Und genau an dieser Ecke blieb Murkel stehen und machte die Hinterbeine krumm.

»Ich glaube, er muss mal«, sagte Minna.

Sie drehten sich um und guckten alle in eine andere Richtung. Murkel konnte es nämlich nicht leiden, wenn ihm jemand beim Kacken zuguckte. Rieke konnte das gut verstehen. Wer wollte dabei schon beobachtet werden? Auf der anderen Straßenseite blieb jedoch eine Frau stehen und guckte ganz genau. Das war Frau Krone-Essig, die Mutter von Ari. Die kontrollierte nämlich immer, ob die Leute die Haufen von ihren Hunden auch einsammelten und in den grünen Tonnen entsorgten. Für die hatte sie extra Unterschriften gesammelt.

»Tonnen für Hundehaufen?!«, hatte Bretti auf dem Schulhof gerufen, als er das gehört hatte. »Ist das ihr Hobby?« Und das hatte er ganz ernst gemeint. Und dann einen Tritt in seinen dünnen Hintern bekommen. Von Ari. Der es gar nicht lustig fand, dass die anderen Kinder daüber gelacht hatten.

Als Murkel fertig war, hockte sich Minna hin und sammelte die Wurst mit der Tüte ein.

»Und schön in den nächsten Mülleimer!«, rief Frau Krone-Essig über die Straße.

»Wohin denn sonst?«, rief Rieke und fügte leise hinzu: »Vielleicht auf Ihre olle Fußmatte?«

Bretti gluckste. Minna winkte Frau Krone-Essig noch einmal mit der Kacktüte zu, und dann liefen sie weiter.

Strick-Liesel stand mit den Händen in den Hüften auf dem Gehweg und verdrehte genervt die Augen.

So wie Bretti hatte auch Strick-Liesel ihren Namen nicht zufällig. Sie konnte nämlich alles mit Seilen und Fäden: knoten, wickeln, verbinden und eben stricken. Liesel hatte, bevor sie nach Sommerrode gezogen war, an einem See gewohnt, und da lernten alle Kinder segeln. »Und wenn man segelt, muss man etwas von Knoten und Seilen verstehen«, hatte sie erklärt. Und das tat sie.

»Frag nicht, warum das so lange gedauert hat«, begrüßte Rieke Liesel.

Liesel zog die linke Augenbraue hoch. So hoch, dass sie über den Rand ihrer roten Brille reichte, und sah auf Minna und Murkel.

»Und frag auch nicht, ob das eine gute Idee ist«, sagte Rieke.

»Okidoki«, antwortete Liesel, und sie marschierten los.

Die wilden Robins gingen bis ganz zum Ende des Margeritenpfads und bogen dann scharf ab in die sehr staubige und noch nicht asphaltierte Tulpenstraße. Die Planierraupe hatte erst vor ein paar Tagen die gerade Schneise in den Acker gewalzt. Hier sollten neue Schießscharten-Häuser gebaut werden. So war das immer in Sommerrode: Erst wurde ein großes Schild aufgestellt mit einem Bild, dann kamen die Planierraupen und die Lastwagen, ruckzuck wuchsen die Häuser in die Höhe, der Rasen wurde von der Rolle gewickelt, Kies in die Auffahrt geschüttet – fertig. Und dann sah es original so aus wie auf dem Bild.

Am besten aber war die Zeit dazwischen. Wenn alles nur so halb fertig war. Da fand man auf den Baustellen die tollsten Sachen, die man unbedingt für ein echtes Robin-Hood-Sherwood-Forest-Lager brauchte: Bretter, Kabel (statt Seile), Eisenhaken, Winkel.

Sie mussten nur am Wochenende, wenn keiner da war, mit dem Bollerwagen vorbeifahren und alles einsammeln. Brettis Ohren schienen dann immer ganz rot zwischen den dünnen Haaren hindurch. Und jedes Mal fragte er: »Seid ihr sicher, dass das nicht verboten ist?«

»Wir sind Robins«, erklärte Rieke dann immer. »Wir müssen von den Reichen nehmen und den Armen geben. Und wir sind ja wohl ganz eindeutig die Armen hier. Die haben Häuser und wir nicht mal ein fertiges Baumhaus. Außerdem nehmen wir nur, was auf dem Boden liegt.«

»Stimmt genau«, sagte Liesel. »Und alles, was auf dem Boden liegt, schmeißen die früher oder später sowieso in den Müllcontainer.«

Rieke nickte. »Und da kommen wir nicht mehr ran.«

Bretti holte dann immer ganz tief Luft, sodass man die Rippen unter seinem T-Shirt zählen konnte, und pustete lang aus. »Überzeugt«, sagte er, obwohl er überhaupt nicht so klang.

Liesel deutete hinter den Bauzaun, der nicht ganz verschlossen war – und da lag es: ein langes schwarzes, dickes Kabel. Perfekt für eine Hängebrücke. Sie schoben die Bauzaunteile noch ein bisschen weiter auseinander und fuhren mit dem Bollerwagen hindurch.

Das Kabel war schwer. So schwer, dass Rieke, Bretti und Liesel mit aller Kraft ziehen, heben und zerren mussten. Sie ächzten und stöhnten, aber die blöde Kabelrolle wollte einfach nicht über den Rand des Bollerwagens! Da warf Minna die Hundekacktüte in hohem Bogen in den Container und fasste mit an. Tja, und ob es Rieke passte oder nicht: Es war genau das bisschen Kraft aus Minnas kleinen speckigen Ärmchen, das gefehlt hatte, um die Kabelrolle in den Wagen zu wuchten.

»Wie gut, dass ich dabei bin«, verkündete Minna, und Murkel kläffte, als wollte er sagen: »Richtig.«

Rieke presste kurz die Lippen zusammen und ordnete dann entschieden an: »Wir nehmen auch noch die beiden Bretter. Und das Stück Draht.«

Anschließend zogen sie immer abwechselnd den Bollerwagen die staubige Tulpenstraße hinunter. Bis zu der Kante, wo die Planierraupe gewendet hatte und riesige Büsche die Grenze von Sommerrode markierten. Das Gestrüpp wuchs hier so dicht, dass man nicht hindurchschauen konnte. Es war wie eine grüne Wand. Und dahinter lag eine unbekannte Welt.

Und niemand – bis auf Rieke und die Robins – kannte das geheime Schlupfloch hinein. In die Wildnis. Dorthin, wo der Wind in den Baumkronen rauschte und ein kleiner Bach plätscherte. Wo Hasen und Marder ihre Löcher gruben und Zecken in den Büschen lauerten. Wo nichts gerade war. Und nichts sauber. Genau hier, im wunderbaren Dickicht hinter Sommerrode, befand sich das versteckte Lager der Robins: Sommerwood Forest. Und der ganze undurchdringliche Urwald drum herum gehörte ihnen allein: Rieke, Bretti, Strick-Liesel – und ein bisschen auch Minna und Murkel.

Dachten sie jedenfalls. Denn das sollte sich ganz schnell ändern. Und zwar schneller, als man eine Seilbrücke von einem Baum zum anderen spannen konnte.

Kapitel 3
Die Ritter auf Rädern

Genau in dem Moment, als Rieke und die Robins an ihrem Geheimeingang in der Buschwand ankamen, setzte das laute Knattern und Rattern ein. Das war nichts Besonderes. Jeden Samstag nach einem gemütlichen Frühstück schmissen die Sommerroder ihre Rasenmäher an und schnitten bis Punkt ein Uhr das Gras in ihren Gärten.

»Jetzt ist der ideale Zeitpunkt zum Bauen«, erklärte Rieke, während sie alle zusammen den Bollerwagen unter den tief hängenden Zweigen hindurchschoben. »Bei dem Lärm hört niemand unser Hämmern und Sägen. Und dann kann auch keiner misstrauisch werden.«

Das war heute ganz besonders wichtig, denn sie würden richtig viel hämmern und sägen müssen. An der Leiter zum Baumhaus fehlten noch die letzten Streben, ganz oben. Und die brauchten sie unbedingt, wenn sie das dicke Kabel auf die Veranda hochkriegen wollten.

Bester Laune zogen sie den Bollerwagen durch das Dickicht, bis sich ein kleiner Freiraum auftat. Hier war der Dorfplatz von Sommerwood Forest, ihrem Hauptquartier. Rundherum war er von großen Bäumen, saftigen Knallerbsenbüschen und knorrigen Fliederbeersträuchern umgeben. Und in zwei Metern Höhe, eingebettet in der Astgabel einer alten Buche, befand sich ihr erstes Baumhaus. Bis jetzt hatte die Hütte einen etwas schiefen Fußboden, dreieinhalb Wände und ein halbes Dach. Rechts und links waren schon Fenster gebaut. Also nicht wirklich gebaut, denn die Fenster waren ja einfach nur Löcher.

»Was machen wir nur im Winter?«, hatte Bretti ganz besorgt gefragt, als Rieke und Liesel die Öffnungen ausgesägt hatten. Liesel hatte gegrinst und dann gegluckst: »Da frieren wir uns den Hintern ab. Aber das ist ja nicht so schlimm bei dir. Denn du hast ja gar keinen.«

»Hahaha«, hatte Bretti etwas beleidigt geantwortet.

Aber bis zum Winter war ja auch noch ein bisschen Zeit. Trotzdem mussten sie das Haus jetzt zügig fertigstellen. Auf die andere Seite der Hängebrücke sollte ja auch noch eine Hütte. Irgendwann sollte jeder Robin ein eigenes Zuhause oben in den Bäumen haben.

Darum legten sie auch sofort los: Liesel sägte Äste in die richtige Länge, Bretti reichte sie an, und Rieke befestigte die Streben mit dicken, langen Nägeln am oberen Ende der Leiter. Dann umwickelte sie die Stellen zur Sicherheit auch noch mit dem Paketband, das sie in der Küchenschublade bei Bretti gefunden hatten. Minna durfte die Nägel aus der Packung nehmen. Ausnahmsweise.

Alles lief rund. Bis drei Minuten vor ein Uhr.

Es ging damit los, dass ein Rasenmäher nach dem anderen verstummte, bis nur noch einer übrig blieb.

»Das ist bestimmt die Mutter von Cosmo Cramer«, vermutete Bretti, während Rieke sich beeilte, den letzten dicken Nagel in das Holz zu schlagen. »Mein Vater sagt, die schert sich einen Dreck um die Mittagsruhe. Und dass Frau Krone-Essig schon geklingelt hat, weil sie Unterschriften dagegen sammeln will.«

Rieke holte zum letzten Schlag aus und versenkte den Nagel im Holz. Genau da ging auch der Rasenmäher von Frau Cramer aus. Für einen superkurzen Augenblick lag eine wunderbare Stille über Sommerwood Forest. Dann hörten sie es plötzlich: ein ekeliges Quietschen und Schaben.

Es kam ganz eindeutig nicht aus den Gärten oder Straßen von Sommerrode. Es kam von der anderen Seite. Aus Richtung des Bachs. Wo normalerweise nichts und niemand war. Rieke sah die anderen alarmiert an.

»Klingt ein bisschen wie die Sprungfeder von meinem Rad«, flüsterte Liesel.

»Hört sich an wie mein Fahrradreifen, wenn ich mich hinpacke«, hauchte Bretti.

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