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Auf Schreckenstein gibt's täglich Spaß

hier erhältlich:

Könnte es einen besseren Ort zum Lernen und Leben geben als eine Raubritterburg? Nein, finden die Schüler und Lehrer der Jungenschule in Neustadt und ziehen kurzerhand in die geheimnisumwitterte Burg Schreckenstein. In dem uralten Gemäuer mit Folterkammer und Burgfried wird selbst der Unterricht zum Abenteuer! Außerdem befindet sich zur Freude der Jungs ganz in der Nähe das Mädcheninternat Schloss Rosenfels, dessen Schülerinnen willkommene Opfer für eine Menge lustiger Streiche sind. Und egal, was passiert, eins steht fest: Die jungen Ritter halten zusammen wie Pech und Schwefel!


  • Erscheinungstag: 17.10.2013
  • Aus der Serie: Burg Schreckenstein
  • Bandnummer: 03
  • Seitenanzahl: 160
  • Altersempfehlung: 10
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505132254

Leseprobe

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Ein kurzes Gastspiel

„Und jetzt erkläre mir mal, warum du mit Konrad so brutal umgegangen bist.“

Herr Schuster, der Leiter der Ebert-Schule, trat ans Fenster und sah in den Schulhof hinunter. Andi stand mitten im Zimmer und versuchte der Reihe nach zu berichten.

„Bei dem Handballspiel gegen die Schreckensteiner hat man mich ins Tor gestellt. Ich war sehr froh, dass ich in der Mannschaft spielen durfte als Neuer, und in der ersten Halbzeit ist auch alles gut gegangen, ich hab alles gehalten. Aber dann, als wir gegen die Sonne spielen mussten, hat der Konrad mich geblendet.“

Herr Schuster drehte sich um. „Wie denn? Womit?“

„Mit seiner Trompete“, antwortete Andi.

„Die hatte er dabei, um euch anzufeuern.“

„Aber sie hat mich geblendet. Dauernd. Ich hab keinen Ball mehr gesehen.“

„Dann sollen die zehn Tore, die wir schlucken mussten, alle auf Konrads Konto gehen?“, fragte Herr Schuster ungehalten. „Wieso haben die anderen davon nichts gemerkt?“

„Die haben ja gespielt. Nur der Torwart steht immer am selben Platz“, antwortete Andi.

„Und warum hast du dem Schiedsrichter nichts gesagt?“

„Nichts halten und dann einen Sündenbock dafür suchen – da hätten die mich doch alle ausgelacht“, verteidigte sich Andi.

Herr Schuster sah ihn eine Weile an, dann sagte er: „Wie dem auch sei. Du bist erst ein paar Wochen bei uns, das will ich dir zugutehalten. Am Anfang hat man’s nicht ganz leicht. Aber was du dann mit Konrad gemacht hast, das geht zu weit. Ihn an den Marterpfahl binden und vor seinen nackten Füßen ein Feuer anzünden! Dazu hast du ihm noch Moos und Erde in den Mund gestopft und ihn dann gekitzelt, dass er fast erstickt wäre.“

Ruhig sah ihn Andi an. „So machen es die Indianer. Ich wollte ja nur, dass er die Spiegelei endlich zugibt. Aber er war hart im Nehmen. Ich sei der blödeste Torwart aller Zeiten, hat er gesagt. Ich hätte die Schule blamiert …“

„Ich muss zugeben, so miserabel haben wir noch nie gegen die Schreckensteiner gespielt“, unterbrach ihn der Schulleiter. Andi senkte den Kopf und blieb die Antwort schuldig. Da fuhr Herr Schuster fort: „Du weißt, dass Konrad eine Gehirnerschütterung hat. Was sagst du dazu?“

Andi musste überlegen. „Ich weiß nur, dass ich ihm gleich nach dem Spiel eine geschwalbt habe. Er mir übrigens auch. Aber von einer Gehirnerschütterung hab ich nichts bemerkt.“

„Konrad dafür umso mehr“, sagte der Schulleiter barsch. „Sein Vater hat sich sehr aufgeregt. Er besteht darauf, dass du bestraft wirst.“

„Mir reichen die zehn Torre völlig“, brummte Andi.

Aber Herr Schuster hörte ihm gar nicht zu. „Ich muss auch sagen, so brutale Methoden gibt es bei uns nicht. Ich werde deinen Vater verständigen, um zu hören, was er dazu meint. Statt dich zu prügeln, solltest du dich lieber auf die Hosen setzen, damit du deinen Rückstand in der Klasse bald aufholst. Geh jetzt! Wir werden weitersehen.“

Andi verließ die Ebert-Schule, setzte sich auf sein Rad und fuhr aus Neustadt hinaus. Jetzt nur nicht nach Hause!, dachte er. Die Rennmaschine mit der 12-Gang-Schaltung – ein Geschenk seines Onkels – war im Augenblick seine einzige Freude. Aber schon musste er wieder an das denken, was Herr Schuster eben gesagt hatte. Er kam damit einfach nicht klar. Gehirnerschütterung von einer Ohrfeige? So stark bin ich doch gar nicht!

Und er trat ärgerlich in die Pedale. Ihn traf wirklich nicht alle Schuld. Konrad hatte sich von Anfang an feindselig verhalten, was zu verstehen war, denn Konrad wäre auch gern Handballtorwart geworden. Aber die Mannschaft hatte nach einem Probetraining mit mehreren Anwärtern ihn, den Neuen in der Schule, ausgesucht.

Gewiss, die Sache mit dem Marterpfahl war schlimm. Aber hatte nicht Max die Idee dazu gehabt, Max, der Konrad auch nicht leiden konnte, weil der ihm Tusche in seine Briefmarkensammlung gegossen hatte? Wenn er nur den Mund gehalten hätte, statt gleich nach dem Spiel die Schuld auf Konrad zu schieben! Trotzdem: Konrad hatte ihn absichtlich geblendet. Das stand fest.

Andi kam an eine kleine Steigung und stand in den Pedalen auf. Sonst war er immer besonders stolz, nicht aus dem Sattel zu müssen. Aber heute hatte er nicht einmal an seiner Gangschaltung Freude. Der Vater würde toben – das stand fest! Und was würde geschehen? Ach, wäre nur sein Vater nicht versetzt worden! Wäre er noch in Altenburg! Dort war er der beste Radrennfahrer und der listenreichste Indianer gewesen. Alle hatten ihn geachtet, seine Freundschaft gesucht. Das Davonfahren half nichts. Wie immer die Geschichte ausgehen mochte, er musste mit seinem Vater reden. Je eher, desto besser. Andi zog die Felgenbremsen, wendete und fuhr nach Hause.

Ruhe nach dem Sturm

Das Mittagessen verlief wie immer, nur hatte Andi keinen Appetit. Sein Vater erkundigte sich nach Aufgaben und Noten. Seit der Übersiedelung nach Neustadt gehörten diese Fragen zum täglichen Tischgespräch. Die Ebert-Schule war schon weiter im Stoff als die alte Schule in Altenburg.

„Der Junge muss zu viel lernen“, klagte die Mutter.

„Schulwechsel bringen das so mit sich“, sagte der Vater.

Andi schaute von seinem Teller auf, erst zum Vater, dann zur Mutter. Er konnte es einfach nicht glauben, dass sie noch nichts wussten. Bis ihm der alles erklärende Gedanke kam: „Wann kriegen wir unser Telefon?“, fragte er.

„Oh, das haben wir schon“, sagte die Mutter. „Heute Morgen waren die Männer von der Post da. Drüben im Wohnzimmer steht es.“

„Ich habe auch schon einen Anruf bekommen“, fügte der Vater hinzu. Doch es klang nicht so, als ob es Herr Schuster gewesen sei.

Dieses Warten auf die zweite Standpauke war unerträglich. Andi saß in seinem Zimmer und tat so, als mache er Schulaufgaben. Bei jedem Klingeln zuckte er zusammen. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und ging zu seinem Vater, der mittwochnachmittags immer zu Hause arbeitete.

„Vater“, begann er, „ich muss dir etwas sagen. Herr Schuster wird dich anrufen und sich über mich beschweren.“

Damit war die Wahrheit heraus. Andi atmete auf und erwartete das väterliche Donnerwetter.

„Ich weiß“, sagte der Vater, und seine Stimme klang ruhig. „Der Direktor hat mich angerufen. Ich hätte schon beim Mittagessen mit dir sprechen können, aber ich wollte, dass wir in Ruhe darüber reden.“

Andi glaubte nicht recht zu hören. Und da er sich verstanden fühlte, gab er seine Schuld, genauer seinen Anteil Schuld, an der ganzen unglückseligen Verkettung von Umständen ohne irgendwelche Beschönigungen zu.

„Ich kenne das“, sagte der Vater. „Da kommt man in eine neue Schule, weiß von nichts und ist im Nu der Sündenbock für allerlei Feindschaften, die schon bestanden haben, als man noch gar nicht da war. Mir ist es seinerzeit ähnlich gegangen.“

Nach dieser Eröffnung sah Andi seinen Vater an, als wäre er ein Klassenkamerad.

„Und was wird jetzt?“, fragte er.

„Die Sache mit dem Feuer ging zu weit. Ich kenne dich gar nicht von der Seite.“ Der Vater schüttelte den Kopf.

„Meinst du, ich fliege?“, fragte Andi.

Wie sich im weiteren Verlauf des Gespräches herausstellte, hatte er schon vorher mit Herrn Schuster gesprochen und dabei erwogen, ihn doch in eine andere Schule zu stecken. Das Nachholpensum auf der Ebert-Schule war zu umfangreich. Hätte es Andi nicht in einem halben Jahr bewältigt, wäre er unweigerlich sitzengeblieben.

„Somit haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen“, schloss der Vater. „Konrads Papa ist mit der Strafe zufrieden, und du musst die Klasse nicht wiederholen.“

„Und die Gehirnerschütterung von Konrad?“, fragte Andi ängstlich.

„Halb so schlimm“, antwortete sein Vater. „Da hat dieser Konrad reichlich übertrieben.“

Andi fiel ein Stein vom Herzen.

Aber ganz so glatt, wie das Gespräch zwischen Vater und Sohn verlief, war der Fall nun auch wieder nicht. Wo sollte Andi hin? Die Franz-Joseph-Schule hatte einen anderen Lehrplan Und die dritte Schule in Neustadt war wegen Mangels an Raum weggezogen. Auf die Burg Schreckenstein.

„Eigentlich bin ich ganz froh, dass es so gekommen ist“, fuhr der Vater fort. „Wir haben alles etwas übereilt gemacht, weil wir uns nicht auskannten. Inzwischen habe ich mich erkundigt und die, wie ich glaube, richtige Schule für dich gefunden: das Internat auf der Burg. Zwar kämst du nach dem Unterricht nicht mehr nach Hause, sondern müsstest dort wohnen, was deiner Mutter gar nicht recht sein wird. Aber nach allem, was wir bis jetzt über den Schreckenstein gehört haben, bin ich dafür.“

Andi war entsetzt. Nur nicht auf die Burg! Wo ich mich vor denen so blamiert habe. Unter keinen Umständen!, dachte er, sagte aber nichts. Wie er seinen Vater umstimmen sollte, wusste er noch nicht. Aber irgendwie musste es ihm gelingen. Denn was die Neustädter Buben über die Burg munkelten, klang wenig erfreulich. Die Schreckensteiner, so hieß es, fühlten sich in dem alten Gemäuer als Raubritter und benähmen sich entsprechend, die ganze Schule würde von einer Clique von Schlägern beherrscht, die keinen Widerspruch und keine anderen Interessen duldeten.

Vorsichtig gab Andi seinem Vater zu bedenken, was er gehört hatte. Es half nichts. So milde der Vater seinen Abgang von der Ebert-Schule hingenommen hatte, so fest schien er entschlossen, ihn in das Internat zu schicken. Vielleicht war auf der Burg gar kein Platz für einen neuen Schüler? Doch auf solche Hoffnungen wollte Andi sich nicht verlassen. Wenn überhaupt noch etwas zu machen war, dann nur über die Mutter. Um sie zu gewinnen, musste Andi besser Bescheid wissen. Und so beschloss er, zuerst einmal die Verhältnisse auf der Burg auszukundschaften. Nach Indianerart. Er hatte ja noch etwas Zeit.

Häuptling Felgenbremse

Ein richtiges Rennrad mit schmalen Schlauchreifen ist schon ein besonderes Fortbewegungsmittel. Wer einigermaßen trainiert ist, kommt damit weiter als andere Radfahrer mit normalen Rädern. Andi war trainiert; eine Fahrt zur Burg und zurück an einem Tag war eine Kleinigkeit für ihn. Gleich nach dem Frühstück hatte er sich aufgemacht; leichtfüßig kurbelte er durch den Wald, wie es in der Fachsprache heißt. Eifrig schaltend passte er sich den jeweiligen Straßenverhältnissen an, immer bedacht, einen „runden Tritt“ zu halten und sich nicht mit zu großen Übersetzungen müde zu strampeln. Diese Fahrweise hatte er aus Fernsehberichten von der Tour de France und der Italienrundfahrt gelernt.

Als die Serpentinen anfingen, schaltete er vorn auf das kleinere Kettenblatt, hinten auf ein größeres Rad des sechsfachen Zahnkranzes und blieb trotz der erheblichen Steigung im Sattel sitzen, woran man den wahren Kletterer erkennt. Die „Roller“ nämlich, die großen, athletischen Fahrer, die nur in der Ebene schnell sind, müssen meist schon bei kleinen Steigungen aus dem Sattel und sich in den Pedalen stehend hinaufplagen. À la danseuse – nach Tänzerinnenart, nennt man im Radsportland Frankreich diese kraftraubende Fahrweise.

Immer dichter wurde der Wald, immer enger die Kurven, immer steiler der Anstieg. Andi schaltete auf den kleinsten Gang und beobachtete die hinüberspringende Kette, als sein Rad plötzlich einen Stoß bekam, dass er glaubte, gegen eine Gehsteigkante gefahren zu sein. Sofort zog er die Felgenbremsen und sah auf.

Der Schreck, der ihn durchfuhr, war nicht umsonst: Er befand sich auf dem Schreckenstein. Genauer gesagt auf der hölzernen Zugbrücke vor dem Tor, durch das er in den gepflasterten Innenhof sehen konnte. So düster und verwunschen hatte er sich die Burg nicht vorgestellt. Was für eine Strafe, hier leben zu müssen! Grauenhaft! Zu weiteren Überlegungen blieb keine Zeit, wenn er nicht entdeckt werden wollte. Und das hätte ihm gerade noch gefehlt! Nach rückwärts rutschte er vom Sattel, nahm das Rad wie ein Querfeldeinfahrer über die Schulter, verkroch sich ins nächste Gebüsch und lauschte atemlos. Nichts war zu hören, niemand zu sehen. War das am Ende gar nicht der Schreckenstein?

Andi schob das Rad tiefer ins Unterholz, lehnte es an eine morsche Futterkrippe für Wild und schlich, ohne einen Zweig zu bewegen, zur Zugbrücke zurück. Wieder wartete er umsonst. Schließlich wurde es ihm zu dumm. Er ließ sein Rad, wo er es abgestellt hatte, und lief ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen durch das Dickicht um die Burg herum. Das Gelände fiel ab, immer steiler, der Wald wurde lichter und hörte dann ganz auf. Links unter ihm lag ein See, am Ufer ein Bootshaus mit Steg, rechts oben die Burg. Von dieser Seite sah sie etwas freundlicher aus. Andi kletterte im Schutz der Bäume den Hang hinauf und schlich an dem Gemäuer entlang.

Als er gerade wieder zweifeln wollte, dass dies die Burg Schreckenstein sei, hörte er über sich ein Geräusch. Es klang, als öffne jemand ein Fenster. Sofort presste er sich gegen die Mauer, und es war ihm, als höre er Stimmen. Dann war es wieder still. Nach einer Weile schlich er weiter bis zur nächsten Ecke. Wieder wartete er, schob dann vorsichtig den Kopf nach vorn. Hier sah es wesentlich freundlicher aus. Ein Park mit gestutzten Hecken, daneben Obstbäume und Gemüsebeete und dahinter ein wunderschöner Sportplatz mit Geräteschuppen, vor dem ein Dutzend Jungen in Jogginganzügen Lockerungsübungen machten.

Also doch der Schreckenstein, dachte Andi und fand es auf einmal gar nicht mehr so schrecklich. Er wurde immer neugieriger. Hätte ich mich nur nicht so blamiert im Tor! Wenn sie wirklich solche Rabauken sind, wie man in Neustadt sagt … Aber vielleicht sind sie gar nicht so schlimm? Um das feststellen zu können, musste er versuchen, näher an sie heranzukommen, sie zu belauschen. Er legte sich auf den Bauch und kroch zwischen Beeten und Mauer auf die Hecke der Parkanlage zu. Da der Sportplatz etwas tiefer lag, konnte er von dort nicht gesehen werden. Aber von einer anderen Seite: Die Burg hatte auch auf dieser Seite ein Tor, von dem aus ein Kiesweg zwischen dem Park und dem Nutzgarten zum Sportplatz hinunterführte. Andi hatte den Weg noch nicht erreicht, als plötzlich, wie aus der Mauer herausgezaubert, zwei braun-weiße Luxusschuhe dastanden. Direkt vor seiner Nase. Die Schuhe waren besetzt. Von zwei dünnen Beinen in dicken Wollstrümpfen.

„Warum kriechst du da herum?“, fragte eine näselnde Stimme. „Geh aufrecht, Junge, geh aufrecht!“

Andi richtete sich auf, nickte stumm, lief in den Torbogen und versteckte sich hinter dem rechten Torflügel. Vor Schreck noch ganz außer Atem, sah er durch den Spalt am Scharnier. Nein, er war keinem Schlossgespenst begegnet, sondern einem alten Herrn mit Bundhose und einer sehr großen Nase. Erschöpft lehnte er sich gegen die Mauer.

Da setzte ein schrilles Klingeln ein. Andi glaubte eine Alarmanlage ausgelöst zu haben und richtete sich wieder auf. Aber es klingelte weiter. Nur schnell weg von hier!, dachte er und war schon drauf und dran, aus seinem Versteck zur Parkhecke hinüberzurennen.

Doch da kamen Jungen in den Hof, liefen laut redend nach allen Richtungen durcheinander, immer mehr, immer mehr. Manche kamen direkt auf ihn zu, entdeckten ihn aber nicht, sondern liefen durch das Tor hinaus zum Sportplatz. Die Jungen in den Jogginganzügen kamen herein und zerstreuten sich im Hof. Ein weiteres Klingelzeichen ertönte, noch einmal lief alles durcheinander, dann war endlich Ruhe.

Das muss eine Pause gewesen sein, sagte sich Andi und verließ sein Versteck, aufrecht, als gehöre er dazu. Vor der Hecke legte er sich auf den Bauch und kroch in den Park. Endlich! Hier war er in Sicherheit. Er streifte die Erde von seinen Händen und wollte sich gerade aufrichten, da entdeckte er, keine zwanzig Meter entfernt, den alten Herrn. Er saß auf einer Bank und las in einem Buch. Glücklicherweise mit dem Rücken zu ihm. Nur leicht gebückt schlich Andi hinter ihm vorbei, die Hecke entlang, hinunter zum Sportplatz, wo er sich in einem kugelrund geschnittenen Busch niederließ. Hier war er wirklich in Sicherheit.

Die Jungen, die im Torbogen an ihm vorbeigelaufen waren, hatten sich im Geräteschuppen umgezogen und kamen jetzt zur Kugelstoßanlage – keine fünf Meter von seinem Versteck entfernt.

„Du fängst an, Mücke!“, sagte ein Großer zum Kleinsten, der eine Brille trug.

„Da hast du dich geschnitten“, antwortete der Kleine. „Ich höre bereits auf.“

Alle lachten. Ein dritter drängte sich vor und sagte: „Stephan soll anfangen. Dann sehen wir gleich, was wir noch lernen müssen.“

„Typisch Strehlau! Sogar beim Sport denkt er ans Lernen“, sagte einer, der Andi bekannt vorkam und der nun eine Kugel nahm, in den Ring trat, sich konzentrierte und eine Weite vorlegte, dass alle nur so staunten. Andi inbegriffen.

„Mensch, Stephan! Um ein Haar an der Traumgrenze!“, lobte Strehlau und holte die Kugel.

„Schade, dass Dampfwalze nicht da ist“, sagte der Kleine. „Er würde schön fluchen.“

„Lass mal, wenn Dampfwalze eine Wut hat, kommen die besten Leistungen raus.“

Andis Misstrauen legte sich zusehends. Wie dieser Stephan seinen abwesenden Rivalen verteidigte, das war gut. Das hätte in der Ebert-Schule keiner getan! Und während die Schreckensteiner ihre Kugelstoßübungen machten und sich gegenseitig auf den Arm nahmen, wurde ihm klar, warum sie in Neustadt einen so schlechten Ruf hatten: Man beneidete sie. Schon weil sie immer gewannen. Wie gut, dass er heraufgefahren war! Der Ton, der hier herrschte, gefiel ihm. Jetzt würde er sich gegen Schreckenstein nicht mehr wehren.

Stephan trat wieder in den Ring. Alle schauten ihn an, um seine Technik zu studieren. Nur Strehlau, offenbar der Beste in der Schule, lief zerstreut wie ein Professor nach einer Kugel, die mitten im Messfeld lag. Strehlau bückte sich, Stephan streckte sich und stieß … Ein Aufschrei – und haarscharf flog die schwere Eisenkugel am Kopf des Musterschülers vorbei.

Der Kleinste, den sie Mücke nannten, schüttelte den Kopf. „Jetzt hast du dagestanden wie der müde Torwart von der Ebert-Schule.“

Schallendes Gelächter war die Antwort. Nur Andi in seinem Versteck bekam schmale Lippen. Nein, hierher konnte er nicht. Sie lachten ihn jetzt noch aus, wo in Neustadt keiner mehr daran dachte. Was er erfahren hatte, reichte ihm.

Als er sich gerade davonschleichen wollte, hörte er plötzlich ein vertrautes Geräusch. Es klang wie das Surren des Zahnkranzes an einer Rennmaschine.

„Schaut mal!“, sagte eine Stimme, während er seinen alten Beobachtungsplatz wieder einnahm.

Andi stockte der Atem. Da saß ein Junge, der ihm ebenfalls bekannt vorkam, auf seinem kostbaren Rennrad und rollte zu der Kugelstoßanlage.

„Mann! Eine Rennmaschine!“, rief Mücke aufgeregt. „Hast du die von deiner Tante geerbt?“

„Nein, die hat mir der Nikolaus gebracht“, antwortete der Junge. „Ich will drüben die Futterkrippe reparieren, komme hin, denke, ich treffe ein liebes Rehlein, stattdessen lehnt da dieses Prachtstück!“

Die Kugelstoßer umringten ihn, zogen an den Felgenbremsen, nahmen Rennflasche und Zelluloidluftpumpe aus den Haltern und spielten mit der empfindlichen Gangschaltung. Die waren ja vollkommen verrückt! Am liebsten wäre Andi aufgesprungen, um das Rad ihren unkundigen Händen zu entreißen und davonzufahren. Aber er hielt sich zurück. Wenn er aus dem Gebüsch käme, würden sie sofort Verdacht schöpfen. Und sie waren in der Überzahl. Außerdem: Wie sollte er ihnen beweisen, dass es sich um sein Rad handelte? Hier konnte nur eine indianische Kriegslist helfen: Er musste aus einer anderen Richtung kommen, scheinbar suchend und schon von Weitem sichtbar.

So rasch, wie es die Vorsicht zuließ, kroch er aus dem kugelrunden Busch, schlich an der Hecke entlang hinter dem alten Herrn vorbei, kroch zum Tor, rannte gebückt bis zur Ecke zurück und kam, sich eifrig umsehend, scheinbar vom See hinter dem Geräteschuppen herum zum Sportplatz.

„Gut, dass ich euch treffe!“, rief er näher tretend. „Mir ist mein Rad gestohlen worden.“

Diese forsche Einleitung sollte die Schreckensteiner einschüchtern. Sie reagierten auch ziemlich verblüfft. Nur Mücke hatte gleich eine Antwort bereit. „Hier wird nicht gestohlen. Das verbitten wir uns!“

Aber Andi ließ sich nicht beirren. „Wie ihr das nennt, interessiert mich nicht. Jedenfalls ist das da mein Rad. Und hier habe ich es nicht abgestellt, sondern auf der anderen Seite im Wald.“ Entschlossen griff er nach dem Lenker, zog die Maschine quer vor sich und brachte die Hebel der Gangschaltung wieder in die richtige Stellung.

„So ein Rad stellt man auch nicht in den Wald“, sagte Kugelstoßer Stephan barsch. „Was machst du überhaupt hier oben bei uns?“

Jetzt musste Andi eine gute Antwort einfallen, wenn er sich nicht verraten wollte. „Ich hab mich beim Training verfahren“, antwortete er. „Außerdem kann es ja mal vorkommen, dass man sein Rad plötzlich in den Wald stellen muss.“

Mücke verstand sofort. „Ach, so meinst du das!“, sagte er und deutete auf die Trinkflasche. „Wenn du zum Training auch eine ganze Bar mitnimmst …“

Die anderen lachten, der kritische Punkt war überspielt.

„Sag mal“, fragte Stephan und sah Andi forschend an, „bist du nicht der komische Torwart von der Ebert-Schule?“

Es klang nicht, als ob er ihn damit kränken wollte. Andi blieb ruhig und antwortete mit einer Gegenfrage: „Dann bist du der Mittelstürmer, der mir vier Schüsse in den Kasten geknallt hat?“

Stephan nickte. „Ich heiße Stephan“, sagte er.

Auch Andi nannte seinen Namen. Als Letzter begrüßte ihn der Junge, der sein Rad gefunden hatte.

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