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Rosa Fröhlich – Der Tod wird kalt serviert

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Kommen Se rin, hier war‘n schon Schlimmere!

Rosa ist leidenschaftliche Berliner Gastronomin mit Kodderschnauze und eigentlich froh, nichts mit den Kriminalfällen zu tun zu haben, in denen ihre Tochter bei der Mordkommission ermittelt. Als aber ihr Bio-Fleischlieferant tot im Kühlhaus aufgefunden wird und Rosas bärbeißiger Vater, seines Zeichens pensionierter Kripo-Hauptkommissar anfängt, sich umzuhören, steckt Rosa plötzlich mitten drin in dem Fall. Selten um eine Antwort verlegen und mit der untrüglichen Menschenkenntnis einer Urberliner Wirtin kommt Rosa dem Täter auf die Spur ...


  • Erscheinungstag: 22.10.2024
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749907335
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kapitel 1

Dit jeht runter wie Öl

Die Ellbogen auf die Theke gestützt, atmete Rosa tief ein und genoss einen Moment lang, dem regen Treiben um sich herum lediglich zuzusehen. Der herrliche Duft nach Rindergulasch zog von der Küche durch den Gastraum. Am Rande nahm sie auch den Geruch nach schalem Bier wahr, das störte Rosa jedoch nicht weiter, gehörte eben auch dazu. Manchmal, wenn so wie jetzt das Stimmengewirr und das Klappern vom Geschirr um sie herum sie einlullten, sah sie Theos Gesicht so klar vor sich, als wäre er eben erst aus der Tür gegangen. Seinen verwuschelten dunklen Haarschopf, seine blitzenden Augen, seinen Schnurrbart, der stets ein bisschen auf und ab gewippt hatte, wenn er sprach, und sein ansteckendes Lachen. Und das, obwohl ihr Mann jetzt schon seit acht Jahren tot war. Doch ihre Erinnerungen an ihn waren derart stark mit dem Restaurant verknüpft, dass sie manchmal das Gefühl hatte, er würde jeden Moment mit einem Stapel schmutziger Teller um die Ecke biegen und ihr auf seine typisch schelmische Art zuzwinkern.

Mannomann. Seufzend schüttelte Rosa den Kopf und fuhr dann damit fort, das Sektglas in ihrer Hand zu polieren. Währenddessen schaute sie auf, ihr Blick huschte hin und her, damit ihr kein Wunsch der Gäste entging.

Von ihrem Platz hinter dem massiven Tresen aus poliertem Mahagoni hatte sie den Eingang gut im Blick. Die Gäste an den drei Tischen gegenüber der Theke waren bereits versorgt. Die Einrichtung war schon in die Jahre gekommen, aber das sah man nur, wenn man genau hinschaute. In letzter Zeit hatte sie öfter über eine Renovierung nachgedacht. Seit Theos Eltern das Restaurant vor gut sechzig Jahren eröffnet hatten, hatte sich nicht viel verändert. Doch beim Blick auf die dunkelrote Barocktapete mit goldenen Ornamenten, die in all der Zeit verblasst war, und auf die Deckenverkleidung aus quadratischen Holzpaneelen wurden nostalgische Gefühle in ihr wach und ihr Herz schwer. Das urige Ambiente kam gut bei den Gästen an und der Laden hätte durch eine Modernisierung sicherlich einiges an Charme und heimeliger Atmosphäre eingebüßt. Selbst von den Bierkrügen und dem fröhlichen Sammelsurium von aus der Mode gekommenen Gläsern konnte sie sich nicht trennen. Wenn sie ehrlich war, dienten sie nur als Staubfänger, die schnellstens entsorgt werden mussten. Andererseits gehörten sie zum Onkel Theo genau wie Eisbein zu Erbspüree oder Kassler zu Sauerkraut. Also verdrängte Rosa den Gedanken schnell wieder.

Ihr Blick fiel auf Helmchen, einen ihrer Stammgäste, der friedlich vor ihr auf einem Barhocker an der Theke saß. Er fixierte seinen halb leer getrunkenen Bierkrug, als versuchte er, ihn zu hypnotisieren oder durch reine Willenskraft aufzufüllen.

Gelächter drang vom zweiten Gastraum herüber, Rosa blickte nach links. Über ausbleibende Gäste konnte sie sich wirklich nicht beklagen. Alles lief wie am Schnürchen.

Rosa liebte solche Tage, an denen ohne großes Zutun alles wie von selbst ging. Na ja, wenn sie ehrlich war, stimmte das nur halb. Zugegebenermaßen wünschte sie sich schon ab und an, etwas Aufregendes würde passieren und ein wenig Schwung in die Bude bringen.

Das genießerische Ausatmen eines Gastes nach dem letzten Schluck Bier riss Rosa aus den Gedanken. Geräuschvoll stellte er den leeren Bierhumpen auf dem Tresen ab und strich sich mit dem Handrücken den Schaum vom Schnauzer.

Rosa hob die Augenbrauen und wandte sich ihm zu. »Na, noch ’n Pils, Günter?«

»Nee, lass mal, Rosa, ich muss los. Hannelore macht mir sonst wieder die Hölle heiß.« Er rutschte vom Barhocker, zog einen Zehneuroschein aus seiner Brieftasche und schob ihn über die Theke. »Stimmt so.« Zum Abschied klopfte er mit den Fingerknöcheln auf den Tresen. »Mach’s jut, man sieht sich.«

»Du auch, mein Lieber. Halt die Ohren steif.« Rosa stellte das leere Bierglas in die Spüle und wischte mit dem Lappen energisch über die Theke.

Marion trat heran und stellte ein Tablett mit leeren Gläsern auf die noch feuchte Fläche. In vertraulicher Geste lehnte sie sich zu Rosa hinüber. »Der Gast an Tisch vier möchte sich persönlich von dir verabschieden«, sagte sie und riss die Augen dabei so übertrieben auf, wie es ihre Art war, wenn ihr etwas nicht in den Kram passte.

Marion gehörte zum Inventar, Theo hatte sie eingestellt, als er den Laden von seinen Eltern übernommen hatte. Dass sie bereits stramm auf die sechzig zuging, sah man ihr nicht an. Sie hatte noch immer eine jugendliche Ausstrahlung und flitzte flink von einem Tisch zum anderen. Wenn Rosa mal ausfiel, war Marion als Vertretung die erste Wahl. Sie zeigte stets vollen Einsatz und man sah ihr an, dass Kellnern nicht nur ein Job für sie war, sondern auch ihre Passion, weshalb die Gäste an Trinkgeld bei ihr nicht sparten.

»Bin schon unterwegs.« Rosa legte den Lappen zur Seite und eilte in den Gastraum nebenan. Langsam gehen konnte sie nämlich nicht. Das war so eine Marotte von ihr, die sie der Arbeit im Onkel Theo zu verdanken hatte. In ihrer Anfangszeit als Kellnerin war sie permanent auf dem Sprung gewesen, war von einem zum anderen gefegt und immer auf Zack gewesen. Heute fiel es ihr durch ihre korpulente Figur jedoch zunehmend schwer, weil sie schnell aus der Puste geriet.

»Es war mal wieder ein Fest, Rosa«, empfing der grau melierte Herr an Tisch vier sie und seine Frau pflichtete ihm kopfnickend bei.

»Na, dit is doch, wat ick hören will. Ihr könnt wiederkommen.« Rosa grinste und zwinkerte dem Mann zu. Beide Gäste mussten schmunzeln. Sie wusste, dass viele es schätzten, wenn sie von ihr persönlich bedient wurden. Sie wollten sich die Wirtin mit der Berliner Schnauze nicht entgehen lassen, denn Rosa eilte ihr Ruf voraus. Sie galt als typisches Berliner Unikum, das ihre Gäste stets mit einem launigen Spruch erheiterte. Dabei war sie im Norden von Berlin aufgewachsen, wo das Deutsch nur wenig durch Berliner Dialekt verfärbt wurde. Doch mit ihrer Statur entsprach sie perfekt den Vorstellungen einer Berliner Pflanze. Und da Rosa eine gute Gastgeberin war, gab sie sich so, wie man sie haben wollte. Der Gast war König. Durch Theo hatte sie in eine Altberliner Familie eingeheiratet, bei der das Berlinern nicht nur zum guten Ton gehörte, sondern auch notwendig war, um den akut gefährdeten Dialekt zu retten. Heute war es ihr ein Leichtes, in den Dialekt zu wechseln, und es bereitete ihr immer noch großes Vergnügen.

»In ganz Berlin habe ich kein besseres Eisbein gegessen«, fuhr der ältere Herr fort. »Und dann dieses urige Ambiente.« Seine Stimme hatte einen schwärmerischen Klang angenommen, während er den Blick über die Heinrich-Zille-Kunstdrucke und die rustikalen Wandleuchten aus dunklem Messing gleiten ließ. »Onkel Theo ist Berlin, wie es leibt und lebt. Eine echte Bereicherung für den Bezirk Charlottenburg.«

»Dit jeht runter wie Öl. Dann kann ick nur wünschen, det Se uns bald wieder beehren.«

Der ältere Gast nickte schmunzelnd. »Aber klar, so bald wie möglich.«

»Na denn … Bis dahin allet Jute, und bleiben Se jesund!«, verabschiedete Rosa sich mit einem Lächeln auf den Lippen.

»Machste noch zwei Guinness für Tisch zwei?«, fragte ihre Kellnerin Celine, als Rosa an die Bar zurückkam.

Rosa nickte und stellte sich hinter den Zapfhahn. Ihr Blick blieb an Helmchen hängen. »Wat kieksten so? Hab ick irjendwat uf der Nase, oder wat?«

»Hat dir schon mal jemand jesacht, dass de schöne Oogen hast?«, gab er die Frage mit verwaschener Aussprache zurück. »Dieses himm…himmlisch… Blau passt jut zu denen dunklen Haarn …«

»Lass jut sein, Helmchen«, erstickte Rosa seine Charmeoffensive im Keim. »Für heute is Feierabend. Du hast jenuch jetankt. Kiekst schon mit dem rechten Ooge in die linke Westentasche.« Rosa seufzte. Sie hätte besser aufpassen und ihn schon vorher in die Schranken weisen müssen. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie schnell er durch das letzte Bier abgebaut hatte. Nun hatte sie den Salat.

»Find ick nich nett von dir.« Helmuts Stimme nahm einen weinerlichen Klang an. »Jar nich nett.«

»Bin och nich imma nett, dit sollteste langsam wissen.« Rosa füllte ein Glas mit Leitungswasser und stellte es vor Helmut ab. »Trink dit aus, eh se dich noch vom Bürgersteig auflesen müssen. Ick ruf dir ’n Taxi.« Rosa griff nach ihrem Handy und wählte die Nummer des Würfel-Funks. »Ein Taxi nach Charlottenburg zum Onkel Theo, bitte. Und schnell, wenn’s geht.« Danach verschwand sie in die Küche. »Macht mal bitte eine große Portion Bratkartoffeln, damit Helmchen wieder geradeaus gucken kann«, rief sie in die Runde.

Matze, einer ihrer Köche, nickte. »Wird erledigt, Chefin.«

Helmchen sah Rosa mit treuherziger Miene an, als sie wieder hinter den Zapfhahn trat. Sein rechtes Auge driftete dabei ab, das andere fixierte sie. »Sei ma keen Unmensch und mach ma wenigstens noch ’n Kurzen.«

Rosa warf einen Blick auf sein Wasserglas. Bisher hatte er es noch nicht angerührt. »Ick wer dir wat husten. Dit zieht bei mir nich. Da kannste ma noch so schöne Oogen machen.«

»Jib deinem Herzen ma ’n Stoß«, bettelte er.

»Nüscht für unjut, Helmchen, aber guck dich ma an. Du kannst dich kaum jrade halten und kippst ma gleich vom Hocker.«

»Ollet Brummeisen«, grummelte er. »So ’n Saftladen hier.«

»Dit hab ick jehört. Hör uff zu stänkern, sonst fliejste raus«, ermahnte Rosa ihn in strengem Tonfall.

»Pass uff, sonst verlierstenochdeentreusten Jast«, hielt Helmut lallend dagegen.

Ach du liebe Güte! Rosas Mundwinkel zuckten, obwohl ihr gar nicht nach Lachen zumute war. Helmut tat ihr leid. Seit seine Frau vor einem halben Jahr gestorben war, kreuzte er fast jeden Abend im Onkel Theo auf und ertränkte seinen Kummer im Alkohol. »Is schon jut.« Sie tätschelte seine Hand und nickte ihm beschwichtigend zu.

»Der hat ja schon wieder seinen Panoramablick drauf«, sagte Marion kopfschüttelnd, als sie sich hinter Rosa an die Essensausgabe stellte. »Langsam ist der nicht mehr tragbar. Verscheucht uns die gut zahlenden Gäste.«

»Tut er doch gar nicht«, nahm Rosa ihn in Schutz.

Marion ignorierte ihren Einwand. »Dies ist ein gutbürgerliches Restaurant und keine Kneipe, in der man sich jeden Abend volllaufen lassen kann.«

»Wo soll er denn sonst hin? Hat doch niemanden, der arme Teufel.« In Rosa regte sich langsam Unmut über Marions Kaltschnäuzigkeit. Helmut tat keiner Fliege etwas zuleide. Und wenn er wieder nüchtern war, bezahlte er auch jedes Mal seine Zeche. »Lass das mal meine Sorge sein.« Das ist immer noch mein Restaurant, ergänzte Rosa in Gedanken. Und ich bestimme, wen ich als Gast haben will und wen nicht.

Marion zuckte mit den Schultern. »Musst du wissen«, erwiderte sie in leicht beleidigtem Tonfall. »Einen Gefallen tust du ihm jedenfalls damit nicht.«

»Wenn er nicht hier säuft, säuft er woanders. Mir ist es lieber, ich hab ihn im Blick.« Als Wirtin hatte man schließlich auch eine gewisse Verantwortung zu tragen, fand Rosa.

Marion ging nicht weiter auf ihre Worte ein, sondern reichte ihr stattdessen die Bratkartoffeln, die Matze gerade durch die Durchreiche geschoben hatte.

Helmut machte große Augen, als Rosa den Teller vor ihm abstellte.

»Hier, iss. Dit Fett saugt allet uff. Danach wird’s dir besser jehn. Du brauchst mal wieder wat Ordentlichet uf de Rippen.«

Helmut verzog das Gesicht, nahm Rosa dann aber doch die Gabel aus der Hand und stocherte missmutig in den dampfenden Bratkartoffeln mit Speck herum. Nach ein paar zögerlichen Bissen kam er offenbar auf den Geschmack.

Rosa musste schmunzeln, als sie sah, wie gierig er plötzlich das Essen in sich reinschaufelte. »Schmeckt’s? Haust ja janz schön rin!«

»Hab lang nich mehr so jut jespeist«, sagte er mit vollem Mund und ohne vom Teller aufzusehen.

Rosa nickte. »Jeht aufs Haus, meen Lieba.« Nach einer kurzen Pause beugte sie sich zu ihm hinüber und legte eine Hand auf seinen Unterarm. »Du solltest mit dem Trinken kürzertreten. Das bringt Gretel auch nich zurück. Sie hätte nich jewollt, dass du dich zu Tode säufst, sondern dem Leben auch noch etwas Schönes abjewinnst.«

Helmut schob brüsk den halb leeren Teller von sich. Das Thema schien ihm den Appetit verschlagen zu haben. »Ohne sie is meen Leben sowieso nischt wert.« Seine Aussprache war jetzt klar und deutlich, seine Stimme klang rau und tat Rosa in der Seele weh.

Sie seufzte tief. »Ick kann dir jut verstehen. Nach Theos Tod jing es mir ähnlich. Aber irgendwann muss dit Leben wieder weiterjehn.«

»Du hattest wenigstens deene Tochter. Da blieb dir nich viel anderet übrich, als dit Stehufmännchen zu spieln. Ick hinjegen …«

Rosa schwieg ertappt, denn mit dem Hinweis auf Marie hatte ihr langjähriger Stammgast ins Schwarze getroffen.

»Taxi ist da!«

Rosas Blick schweifte zur Tür, wo der Fahrer sich durch Winken bemerkbar machte.

Helmut rutschte vom Hocker und geriet kurz ins Schwanken.

Himmel! Rosa schnappte nach Luft und eilte um die Theke. »Mann, Helmchen, mach keene Fisimatenten!«, sagte sie und stützte ihn am Arm. »Bezahlen kannste dit nächste Mal. Soll ick dir die Bratkartoffeln einpacken?«

Helmut schüttelte den Kopf. »Bringst’ ma noch zur Tür?«

Rosa musste unwillkürlich lächeln. »Na klar, hak dich bei mir unter.«

Als Rosa ihren Gast wohlbehalten ins Taxi befördert hatte, sah sie bei ihren Jungs nach dem Rechten. Wenn Not am Mann war, griff sie ihnen in der Küche unter die Arme oder half auch mal im Service. Ansonsten stand sie die meiste Zeit hinter der Theke und war Gastgeberin, Kummerkasten und Ratgeberin in einer Person.

»Kommt ihr klar oder braucht ihr Hilfe?«, richtete sie das Wort an Freddy, ihren Küchenchef.

Während er sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn wischte, briet er Schnitzel in der Pfanne. Matze, der zweite Mann in der Küche, kam meist nur abends zum Arbeiten und war heute fürs Anrichten zuständig. Gerade bestückte er vier Teller mit Petersilienkartoffeln und Salat.

»Wir schwimmen ein bisschen«, sagte Freddy, ohne aufzublicken, während das Fleisch in der Pfanne zischte. »Haben gerade noch eine Bestellung reinbekommen. Drei Eisbein und vier Schnitzel. Und das ausgerechnet vor Küchenschluss.«

Rosa warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war kurz vor zehn. »Nicht zu ändern. Sag mir, was ich machen soll.«

»Pommes, bitte. Das würde uns schon helfen.«

Rosa band sich ihre Schürze um und holte die gefrorenen Pommes aus dem Kühlfach. Als Nächstes machte sie sich daran, sie in den Korb der Fritteuse zu füllen. Im Hintergrund klapperte ihr Spüler Han mit dem Geschirr, das er in die Kästen der Spülmaschine ordnete.

Während die Pommes im heißen Fett brutzelten, drifteten Rosas Gedanken ab. Ihre Füße taten weh vom langen Stehen und sie freute sich schon auf ihr Bett. Wieder einmal war sie froh, dass sie es bis nach Hause nicht weit hatte, denn ihre Wohnung lag genau über dem Restaurant. Nach dem Tod ihrer Schwiegermutter hatten Theo und sie deren 3-Zimmer-Wohnung geerbt und waren direkt dort eingezogen. Eine glückliche Fügung, wie Rosa nach wie vor fand. Im Notfall musste sie nur die Treppe runterlaufen und war im Restaurant.

Es lag am Savignyplatz, um den das Leben nur so pulsierte. Ein blühendes Kleinod im Großstadttrubel. Rosa liebte ihren Kiez, wo man einander kannte, gemeinsam alt wurde und nicht gleichgültig dem Leben des anderen gegenüberstand. Die facettenreiche Gastronomie, die idyllischen Grünflächen und die Nähe zum Ku’damm gefielen ihr ebenfalls gut. Vieles war noch so wie vor hundert Jahren, zum Beispiel der kleine ovale Kiosk mit dem kupfernen Kegeldach. Eingerahmt von alteingesessenen Geschäften wie dem Bücherbogen war der Platz ein allabendlicher Treffpunkt für Jung und Alt. In milden Sommernächten fühlte man sich fast wie nach Paris versetzt.

Morgen war ihr freier Tag, denn das Onkel Theo hatte geschlossen. Sie hatte noch keine Pläne, aber faulenzen war auch nicht ihr Ding. Ausschlafen konnte sie sowieso nicht, dafür war sie viel zu umtriebig. Obwohl Rosa vor Mitternacht nie ins Bett kam, liebte sie die frühen Morgenstunden, in denen sie die Welt ganz allein für sich hatte. Abgesehen von den Vögeln, die sie mit lautem Zwitschern begleiteten. Oft ging sie spazieren oder setzte sich am Savignyplatz auf eine Bank und sah der Sonne beim Aufgehen zu.

Sie nahm sich vor, über den Wochenmarkt in Wilmersdorf zu schlendern, der hatte montags geöffnet. Ein bisschen frisches Gemüse kaufen … Ihre Gedanken wanderten zu Artus. Von dem hatte sie schon seit ein paar Tagen nichts gehört. Nein, den Wochenmarkt konnte sie vergessen. Morgen musste sie ihrem Vater einen Besuch abstatten.

Kapitel 2

Alter Miesepeter

Wo steckt der alte Griesgram denn nur wieder? Ein beunruhigendes Gefühl machte sich in Rosas Brust breit. Auch nach fünfmaligem Klingeln hörte sie noch keine Geräusche von drinnen. Und wenn ihm etwas passiert ist …? Nein, sie sollte nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen.

Trotzdem … wir sind doch verabredet!

Na gut, sie waren vielleicht nicht direkt verabredet. Aber sie hatte ihrem Vater ihren Besuch durch einen kurzen Anruf in der Früh angekündigt, so wie immer. Sie klappte den Deckel ihrer antiken Taschenuhr auf, die sie an einer langen Kette um den Hals trug. Das vergoldete Medaillon hatte sie zum zwanzigsten Hochzeitstag von Theo geschenkt bekommen. Er hatte in die Innenseite des Deckels In Liebe, Theo eingravieren lassen. Rosa liebte es heiß und innig und nahm es nur zum Schlafen ab.

Kurz vor drei, nur zehn Minuten zu früh. Es war doch gar nicht seine Art, so knapp vor einer Verabredung aus dem Haus zu gehen.

Rosa seufzte aus tiefster Seele und stellte das mitgebrachte Kuchenpaket vor der Haustür auf dem Boden ab. Umständlich kramte sie in ihrem Jutebeutel nach dem Ersatzschlüssel, den Artus ihr vor einiger Zeit zähneknirschend ausgehändigt hatte. Für seine einundachtzig Jahre wirkte ihr Vater zwar noch relativ rüstig, war aber nicht mehr in der Lage, das große Haus alleine instand zu halten. Ständig ging etwas kaputt, das Dach war undicht oder die Heizung fiel aus. Wie oft hatte sie sich schon den Mund fusselig geredet? Doch Artus wollte einfach nicht einsehen, dass es besser war, das Haus zu verkaufen, um sich mit dem Geld einen bequemen Lebensabend in einem Seniorenheim zu ermöglichen.

Mit ihren vierundfünfzig Jahren fühlte Rosa sich trotz aller Aktivitäten manchmal schon so antriebslos wie ein ausgewrungener Waschlappen, nach einem langen Tag im Onkel Theo erst recht. Wie sollte es ihrem Vater da erst gehen?

So ein Käse aber auch … Das Schloss klemmte, Rosa zog und rüttelte an der Tür, doch der Schlüssel bewegte sich weder vor noch zurück. Es hätte schon längst mal geölt werden müssen, doch ihr Vater hatte seinen eigenen Kopf und ließ sich ungern ins Handwerk pfuschen. Gut gemeinte Ratschläge prallten an ihm ab wie Projektile auf dickem Stahl.

»Na endlich!«, murmelte Rosa vor sich hin und atmete erleichtert durch, als das Schloss ächzte und sie es geschafft hatte, den Schlüssel herumzudrehen. Die rostigen Scharniere knarzten, während sie die Tür öffnete.

Sie betrat den Flur. Und sogleich stieg ihr der vertraute Geruch von altem Holz, Staub und Bienenwachs in die Nase. Unzählige Erinnerungen wurden lebendig, und so etwas wie Geborgenheit überkam sie. Doch seit einiger Zeit war alles anders … Rosa musste schlucken. Rasch versuchte sie das beklemmende Gefühl zu verdrängen, das jedes Mal von ihr Besitz ergriff, wenn sie dieses Haus betrat. Es erzählte von der Einsamkeit eines alten Mannes und schnürte ihr die Kehle zu.

Sie hätte ihn zu sich genommen. Er hätte in Theos Arbeitszimmer ziehen können. »Einen alten Baum verpflanzt man nicht«, hatte Artus nur lapidar zu ihrem Angebot gesagt. Damit war das Thema vom Tisch gefegt. Rosa schnaubte bei der Erinnerung daran. Das Argument hätte ihr vielleicht eingeleuchtet, wenn von einem Umzug nach Shanghai die Rede gewesen wäre. Aber was an Charlottenburg auszusetzen war, erschloss sich ihr nicht ganz. Schließlich gab es dort genauso viele grüne Ecken wie in seinem heiß geliebten Frohnau. Irgendwann konnte er nicht mehr mit seinem Fahrrad den Zeltinger Platz unsicher machen. Und wie wollte er dann seine Einkäufe erledigen? Wenn er sich wenigstens eine Haushaltshilfe geleistet hätte, die so etwas für ihn übernehmen würde. Aber nein, dazu war der alte Knochen zu geizig, und fremde Leute ließ er sowieso nicht gerne in seine heiligen Gemächer. Bei ihm war wirklich Hopfen und Malz verloren.

»Vati, ich bin’s, Rosa«, rief sie laut durch den Flur, von dem eine Treppe in den ersten Stock führte. »Wo bist du denn?«

Das alte Haus antwortete mit leisem Knacken. Als Kind hatten ihr die Geräusche oft Angst bereitet, besonders nachts, wenn alles schlief. Sie hatte sich dann jedes Mal vorgestellt, es würde atmen wie ein asthmakranker alter Mann, und war schnell unter Muttis Bettdecke geschlüpft. Dabei war es nur das Holz, das arbeitete, wenn nicht sogar die Würmer, die sich durch das alte Gebälk fraßen.

Über die ausgetretenen Stufen hinweg schaute Rosa nach oben. Mmh … Vielleicht ist der alte Miesepeter im Schlafzimmer und hört mich nicht? Seit dem Hörsturz vor einem Jahr war er etwas schwerhörig. Doch zuerst wollte sie in der unteren Etage nach ihm sehen und lief in den Flur des Wohnbereichs. Im Vorbeigehen warf sie einen flüchtigen Blick in den Garderobenspiegel und hielt inne. Blitzblaue Augen, umrahmt von unzähligen Lachfältchen, blickten ihr aus einem pausbäckigen Gesicht entgegen. Fahrig klemmte sie sich eine verirrte Strähne ihres dunkelbraun gefärbten Haares zurück, das sie nachlässig mit einem Haargummi zurückgebunden hatte. Dann ging sie weiter.

Rosa rümpfte die Nase. Ein süßlicher Geruch nach überreifen Früchten und Bratfett hing in der Luft. Ihr Blick schweifte in die Küche und blieb an der Pfanne auf dem Herd haften, in der ausgelassener Speck zu Schmalz ausgekühlt war. Ihre Mutter hatte darauf geschworen, es half gegen Falten und trockene Haut. Ihr Vater schmierte es sich lieber ordentlich dick aufs Brot, den Warnungen seines Hausarztes zum Trotz. Aber das war typisch für ihn.

Schmutziges Geschirr türmte sich im Spülbecken, über der Obstschale mit Aprikosen und Pfirsichen schwirrten Fruchtfliegen so ausgelassen, als gäbe es was zu feiern. »Mann, Mann, Mann …«, murmelte Rosa vor sich hin und schüttelte seufzend den Kopf. Wenn er bei der Hausarbeit mal so eine Sorgfalt an den Tag legen würde wie bei seiner Japanischen Zierkirsche, wäre hier alles blitzblank, ging es ihr durch den Kopf. Am liebsten hätte sie sich gleich über den Abwasch hergemacht, aber erst musste sie wissen, wo ihr Vater sich herumtrieb.

Rasch schlüpfte sie aus ihrer Strickjacke und hängte sie am Garderobenständer auf. Die Tür zum Wohnzimmer war geschlossen. Behutsam drückte Rosa die Klinke hinunter, kühl und glatt fühlte sie sich unter ihren Fingern an, und öffnete die Tür.

Ihr Blick glitt durch den Raum. Durch das vordere Fenster fiel fahles Licht auf die rustikale Eckbank. Einige Staubkörner schwebten umher, etliche lagen auf dem Esstisch. Die Luft war abgestanden, es musste dringend gelüftet werden.

Die uralten Holzdielen knarrten unter ihren Sandalen, als sie schnurstracks durchs Wohnzimmer lief. Sie nahm den üppigen Bubikopf von der Fensterbank, der schon einigen Staub angesetzt hatte, aber wacker die Stellung hielt, und stellte ihn auf dem Esstisch ab. Gerade als sie das Fenster aufziehen wollte, entdeckte sie ihren Vater.

Eine Hand an den Stamm gestützt, stand er unter der Japanischen Zierkirsche im Garten und führte Selbstgespräche. Die herabhängenden Zweige wogten sanft im Wind, der Baum stand in voller Blüte und war wunderschön.

Sie hob den Arm, um mit den Handknöcheln an die Scheibe zu klopfen, ließ ihn aber direkt wieder sinken. Sein Anblick rührte sie zutiefst. Ein schweres Gefühl legte sich auf ihre Brust und verengte ihre Kehle. Nach einem Jahr ist er noch immer nicht über Muttis Tod hinweg. Nur mit Mühe würgte sie den Kloß in ihrem Hals hinunter, als er die Augen schloss und seine Wange an den herabhängenden rosa Kirschblütenzweig schmiegte.

Seufzend lehnte sie die Stirn ans Fenster, spürte das kühle Glas auf der Haut, während ihr Atem die Scheibe beschlug. Nicht nur ihm fehlte sie. Ihre fröhliche Art und die Fähigkeit, jeder Situation etwas Gutes abzugewinnen. Selbst auf dem Sterbebett hatte sie noch versucht, alle aufzumuntern. Rosa löste die Stirn von der Scheibe und ertappte sich dabei, wie sie an einem Fingernagel kaute. Rasch schüttelte sie die traurigen Gedanken ab und ließ den Blick über das Grundstück wandern.

Der Mai zeigte sich dieses Jahr von Beginn an von seiner großmütigen Seite und sorgte bereits für sommerliche Temperaturen. Die Sonne stand hoch am Himmel und tauchte den Garten in warmes Licht. Der war mittlerweile so verwildert, dass man sich den Weg zum hinteren Gartenzaun mit einer Machete freischlagen musste. Das Unkraut wucherte in voller Pracht und hatte sich sein ganz eigenes Paradies erschaffen. Die Zierkirsche hingegen wirkte wie aus dem Katalog, so viel Liebe steckte darin.

Rosas Blick fiel auf das Baumhaus, das nach all den Jahren nach wie vor erhaben zwischen den Ästen der alten Linde thronte, und bei der Erinnerung musste sie lächeln. Artus hatte es selbst entworfen, um seiner Enkelin eine Freude zu machen. Das musste über zwanzig Jahre her sein, damals war Marie acht Jahre alt gewesen.

Seit ihr Vater alleine lebte, war er unausstehlich. Keiner hielt es längere Zeit mit ihm aus. Nur Rosa kannte sein Geheimnis und wusste, warum er so sehr an diesem Kirschbaum hing und lange Gespräche mit ihm führte.

Im Gegensatz zu ihrem jüngeren Bruder hatte sie auch nicht vergessen, wie Artus früher gewesen war. In ihrer Erinnerung sah sie ihren Vater lachen und wie er die kleine juchzende Marie unermüdlich in die Höhe geworfen hatte. Oft hatten die beiden sich mit allerlei Proviant ins Baumhaus zurückgezogen. Auf bunt durcheinandergewürfelten Kissen, die allesamt nach nassem Hund rochen, machten sie es sich damals oft gemütlich. Jack, der kleine schwarze Pudel, war immer mit dabei gewesen und hatte sie durch seine freche Art zum Lachen gebracht. Ihr Vater erzählte Geschichten und zeigte Marie, wie man Pfeil und Bogen schnitzte. Einmal brachte er ihr bei, wie man Feuer machte. Marie hatte eine Ewigkeit gebraucht, bis es ihr ebenfalls gelungen war.

All diese Erinnerungen bewahrte Rosa wie einen kostbaren Schatz in ihrem Herzen auf. Er war ein besserer Opa als Vater gewesen. Als sie ein Kind gewesen war, hatte er nie Zeit für sie gehabt. Als Kriminalhauptkommissar hatte es ständig einen Mord gegeben, den es aufzuklären galt, und einen Tatort, an den er gerufen worden war und der ihn davon abgehalten hatte, mit seinen Kindern herumzutollen. Irgendein Fall war immer wichtiger gewesen.

Als habe er gespürt, dass ihn jemand beobachtete, blickte ihr Vater auf und sah zu ihr. Tiefe Falten gruben sich in seine Stirn, ehe er zögerlich die Hand zum Gruß erhob. Natürlich trug er auch heute wieder sein Standardoutfit: eine abgewetzte braune Cordhose mit einem hellgrauen Hemd, unter dem sich ein geripptes Unterhemd abzeichnete, und seine verdrießliche Miene.

Um Heiterkeit bemüht, winkte Rosa lächelnd zurück.

Artus’ Brust hob und senkte sich unter einem tiefen Atemzug, ehe er sein Haar zurückstrich und widerwillig auf die Terrasse zulief. Wie immer gab er ihr das Gefühl, ihr Besuch könnte nicht unpassender sein.

Nachdem er seine Schuhe kräftig auf dem Vorleger ausgetreten und abgestreift hatte, schlüpfte er in seine Filzpantoffeln und schlurfte an Rosa vorbei. »Du bist schon da?« Er ließ die Terrassentür hinter sich offen stehen und Rosa sog erleichtert die frische Luft ein, die den Raum flutete.

Eine Begrüßung, wie sie herzlicher nicht sein könnte, ging es Rosa durch den Kopf. »Hallo, Vati. Ja, ich bin heute gut durchgekommen, es gab zur Abwechslung mal keinen Pendelverkehr bei der S-Bahn.« Die Frage, wie es ihm ging, verkniff sie sich. Begleitet von einem verbitterten Zug um die Lippen war die Antwort ohnehin stets dieselbe: Wie soll’s mir schon gehen. »Ich habe Bienenstich und Mohnkuchen mitgebracht, den magst du doch so gerne.«

»Ich bin doch noch kein Pflegefall, den man mit Kuchen bei Laune hält«, brummte er.

Rosa unterdrückte ein Seufzen. Heute war also einer seiner ganz schlechten Tage. »Ich mach dann mal Kaffee«, ging sie über seine Bemerkung hinweg, nahm den Bubikopf vom Esstisch und stellte ihn zurück auf die Fensterbank.

Er nickte. »Ich geh mir mal die Hände waschen.« Erneut strich er sich die silbergrauen Haare nach hinten, die ihm lang und glatt ins Gesicht hingen und einen ordentlichen Schnitt vertragen würden. Eine Rasur schien er ebenfalls nicht für nötig zu befinden. Durch die noch dunklen Bartstoppeln, die unterschiedlich stark sprossen, sah er vernachlässigt aus. Ihr Vater war immer eine stattliche Erscheinung gewesen, von großer Statur und dichtem Haar, sogar heute noch. Doch bei seinem Äußeren ließ er sich genauso gehen wie bei seinem Haushalt.

Fünf Minuten später schenkte Rosa Kaffee in die zierlichen Rosenthal-Tassen, die ihre Mutter nur bei besonderen Anlässen hervorgeholt hatte. Artus scherte sich nicht um deren Wert, einige von ihnen waren kaputtgegangen, angeschlagen oder hatten mindestens einen Sprung an den Rändern.

Unauffällig hatte Rosa vorher mit einem Lappen über den Wohnzimmertisch gewischt, um den Staub zu entfernen. Sie wollte ihm nicht das Gefühl geben, er käme nicht mehr alleine zurecht. Das nämlich war sein wunder Punkt, auf den er besonders empfindlich reagierte und sie vermied es, darauf zu sprechen zu kommen.

Der Duft des Kaffeearomas erfüllte den Raum, während ihr Vater Kondensmilch in seine dampfende Tasse füllte und zwei großzügig gehäufte Teelöffel Zucker hineinschaufelte. Mit geräuschvollem Schlürfen nahm er einen Schluck, dann fielen seine von Natur aus gutmütigen braunen Augen auf Rosa, als würde er sie erst jetzt richtig wahrnehmen. »Siehst abgekämpft aus.«

»Momentan ist viel zu tun im Lokal.« Eine längere Pause entstand, denn ihr Vater fragte nicht weiter nach. Die sich ausdehnende Stille wurde untermalt von seinen Kaugeräuschen.

»Den habe ich bei deinem Lieblingsbäcker gekauft. Schmeckt gut, nicht?«

Er nickte knapp, ehe er seine Kuchengabel erneut in den Bienenstich stach und in den Mund schob. Dabei fielen Rosa die dunklen Ränder unter seinen Fingernägeln auf. Offenbar hatte er wieder in der Erde gewühlt, seine momentane Lieblingsbeschäftigung. Genau genommen war es seine einzige. Seit er das kleine Gewächshaus hatte, verbrachte er die meiste Zeit mit dem Anbauen von Gemüse. Rosa hätte es nicht gewundert, wenn er sich ein Nachtlager darin eingerichtet hätte.

»Welche Sommerkulturen hast du dieses Jahr gepflanzt?«, wollte Rosa wissen, um endlich ein Gespräch in Gang zu bringen.

»Aubergine, Bohnen und Paprika«, erwiderte ihr Vater wortkarg und ohne von seinem Teller aufzublicken.

»Toll, ich freue mich schon auf die Ernte. Dann mache ich uns ein leckeres Ratatouille, wenn du magst.«

»Ich vermisse ihren Bohneneintopf.« Artus sah auf, sein Blick verlor sich in der Ferne. »Es gab nichts Besseres.«

»Da hast du wohl recht«, stimmte Rosa ihm zu und stellte gleich die nächste Frage, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, weg von Mutti, das machte ihn nur traurig. »Was machen deine Tomaten?«

»Es hat sich gelohnt, die Hummelkästen aufzustellen. Die kleinen Brummer haben die Tomatenpflanzen bestäubt und sie gedeihen nun prächtig.« Ein leicht verunglücktes Lächeln hob seine Mundwinkel, das er sogleich durch ein Räuspern zunichtemachte und einen weiteren Schluck von seinem Kaffee nahm.

»Das freut mich, dadurch tust du noch zusätzlich was für die Umwelt und hilfst den gefährdeten Arten beim Nisten.«

Artus stellte geräuschvoll seine Tasse auf der Untertasse ab und zog die Nase hoch. Ein sicheres Zeichen, dass das Thema für ihn beendet war.

»Bist du mal wieder unter Leute gegangen?«, versuchte Rosa das Gespräch am Leben zu halten.

Artus runzelte die Stirn und sah sie an, als hätte Rosa ihn gefragt, ob er ihr ein Fieberzäpfchen in den Po schieben und danach eine Runde Samba tanzen wolle. »Wozu?«

Um nicht vollkommen zu vereinsamen, lag ihr auf der Zunge, doch stattdessen sagte sie: »Um soziale Kontakte zu pflegen.«

Er brummte etwas Unverständliches. Und nach einer kurzen Pause: »Eberhart ist auf ein Bier vorbeigekommen.«

Erfreut hob Rosa die Augenbrauen. »Das ist der, der im Krematorium arbeitet und Muttis Urne vor der Beisetzung entwendet hat, nicht?«

»Ach, Unsinn.« Unwirsch winkte ihr Vater ab. »Er hat nur die Asche umgefüllt. Die Urne ist in der Erde vergraben, da, wo sie hingehört. Wen interessiert schon, was mit der Asche einer Verstorbenen passiert. Bei mir ist sie in besten Händen.«

Rosa musste lächeln und sparte sich die Bemerkung, dass eine eigenmächtige Naturbestattung nach wie vor verboten war. Artus hatte das damals einfach selbst in die Hand genommen, indem er die Asche ihrer Mutter in der Erde unter diesem wunderschönen Kirschbaum beigesetzt hatte – Muttis Lieblingsbaum und ganzer Stolz –, damit seine Wurzeln die Asche absorbierten und sie so dem ewigen Kreislauf des Lebens zugeführt wurde.

Rosa hatte ihn mal gefragt, ob er glaubte, dass ein Teil ihrer Seele in den Baum übergegangen war. Er hatte leise gelächelt und gesagt, dass er es nicht nur glaubte, sondern wüsste. Aber woher?, hatte sie gefragt. Weil der Baum mir kleine Zeichen gibt, wenn ich mit ihm spreche, hatte er geantwortet.

Die Vorstellung rührte Rosa jedes Mal aufs Neue. Etwas kauzig war es schon, aber wenn ihm das half, seine Trauer besser zu bewältigen, sollte ihr das nur recht sein.

»Wann warst du mich das letzte Mal besuchen?«

»Mmh, da muss ich überlegen.« Ihr Vater strich sich müde über eine seiner dicht gewachsenen Augenbrauen, nachdenklich wanderte sein Blick zur Decke, ehe er mit gerunzelter Stirn wieder zu ihr sah. »Wieso fragst du?«

»Na ja, ich könnte mir vorstellen, es würde dir guttun, mal einige Zeit hier rauszukommen«, tastete Rosa sich vorsichtig vor.

»Und wozu soll das gut sein?« Die Falte zwischen seinen Augenbrauen vertiefte sich.

»Es würde dich vielleicht auf andere Gedanken bringen.« Und bei mir wirst du nicht ständig mit Muttis Tod konfrontiert, fügte sie im Stillen hinzu.

»Was für Gedanken?«, fragte er angriffslustig. »Ich kann doch mein Gewächshaus nicht einfach alleine lassen. Wer soll sich denn bitte schön um das Gemüse kümmern?«

Meine Güte … Heute ist er in etwa so umgänglich wie ein gereiztes Flusspferd, dachte Rosa resigniert. Um Gleichmut bemüht, zuckte sie mit den Achseln. »Nur für ein Wochenende. In der Zeit könnte Paul einen Blick drauf w…«

»Pah!«, fiel Artus ihr unwirsch ins Wort und schob demonstrativ seinen vollgekrümelten Teller von sich weg. »Dein Bruder hat doch keine Ahnung. Wenn der hier aufkreuzt, wählt mein Gemüse lieber den Freitod, als dass es elendig durch ihn verkümmert.«

Rosa presste die Lippen aufeinander, dennoch entwich ihr ein leises Prusten. Auch wenn sein beißender Sarkasmus manchmal verletzend war, entlockte er ihr diesmal ein Lächeln. Ihren Bruder, der in Waidmannslust fast um die Ecke wohnte, hatte Artus mit seiner grantigen Art schon lange vergrault. Nur selten ließ er sich noch blicken, und wenn, nur um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.

Die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte ihr Vater sich zurück und streckte seine langen Beine aus. »Lass mal, mich muss keiner auf andere Gedanken bringen, ich komme gut allein zurecht.«

Kapitel 3

Kommse rin, könnense rauskieken

Herrlich, diese Ruhe! Nichts als das Klicken von Rosas Stricknadeln und das leise Ticken der Standuhr erfüllten den Raum. Sie hatte es sich in ihrem gelben Ohrensessel bequem gemacht und ließ gedankenverloren den Blick durch das Wohnzimmer wandern.

Rosa liebte ihre gemütliche Altbauwohnung mit den hohen, stuckverzierten Wänden, ihr Refugium, in das sie sich gerne zurückzog. Die bunten Kissen auf der grünen Samtcouch und der gerahmte Kunstdruck mit der Mohnblume, der die helle Wand darüber zierte, setzten lebendige Akzente. Drei tropische Zimmerpflanzen mit fächerartigen Blättern rundeten das Bild noch ab. Einen Moment lang hielt sie inne und ließ das Strickzeug in ihren Schoß sinken. Den cremefarbenen Teppich mit orientalischem Muster hatte sie damals mit Theo auf der Übersee-Messe gekauft. Er bedeckte den hellen Parkettboden, der bei jedem Schritt knarrte und Behaglichkeit verströmte. Vor dem Sofa stand ein runder Biedermeier-Couchtisch und gegenüber an der Wand befanden sich zwei antike Kommoden, alles Möbelstücke, die sie mit Theo auf einem ihrer Streifzüge über den Flohmarkt aufgestöbert hatte. Nichts passte wirklich zusammen, ergab aber dennoch ein harmonisches Gesamtbild.

Rosa seufzte zufrieden. Ihre freien Montage genoss sie in vollen Zügen. Einfach mal fünf gerade sein zu lassen und an nichts denken zu müssen. Na ja, das mit dem Nichts-Denken stimmte nicht wirklich. Ihr Gehirn ratterte wie die alte Registrierkasse im Onkel Theo. Es gab einfach zu viel, über das sie sich Sorgen machen musste. Allem voran über ihren Vater. Wenn er weiter so trauerte, würde er noch an gebrochenem Herzen sterben. Er musste unter Leute, wieder am Leben teilhaben! Sein Gemüse war ihm da auch keine große Hilfe. Ihr Blick fiel auf die Jugendstil-Standuhr aus Eiche. Eigentlich passte sie gar nicht zu den restlichen Möbeln, sie war zu dunkel und zu wuchtig. Aber Rosa brachte es nicht übers Herz, sie wegzugeben. Schließlich war sie ein altes Erbstück von Theos Familie, an der viele Erinnerungen hingen. Es war gleich fünf. Artus hatte es gerade mal eine halbe Stunde mit ihr ausgehalten. Dann hatte er geräuschvoll den Stuhl nach hinten geschoben und in seiner gewohnt brummigen Art gesagt: Muss wieder raus ins Gewächshaus.

Rosa gähnte herzhaft und senkte die Arme mit den Stricknadeln in ihren Schoß. Ihre Gedanken waren auf einmal bleischwer. Nur mal kurz die Augen schließen und …

Ein Geräusch ließ Rosa hochschrecken. Ihr Herz machte einen schmerzhaften Satz und wummerte ein paarmal kräftig in ihrer Brust. Sie musste wohl kurz weggedöst sein.

Schlüssel klimperten, die Wohnungstür wurde geöffnet.

»Mama, bist du da?« Die Tür schlug zu, Schritte näherten sich.

Rosa keuchte auf. Marie! Und sie hat offenbar Besuch mitgebracht. Hastig legte sie das Strickzeug beiseite und fuhr sich durchs Haar, einige Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und hingen ihr wirr ins Gesicht.

»Wo soll ich denn sonst sein, wenn die Tür nicht abgeschlossen ist?«, antwortete Rosa mit vom Schlaf angerauter Stimme. Schnell räusperte sie sich.

Marie steckte den Kopf durch die angelehnte Wohnzimmertür, ein unverschämtes Grinsen spielte um ihre Lippen. »Na ja, so vertüddelt, wie du manchmal bist …«

»Nicht frech werden, junge Dame, sonst gibt es was hinter die Ohren.« Rosa wackelte gespielt drohend mit dem Zeigefinger.

Marie schmunzelte, ehe sie ihren typisch investigativen Blick aufsetzte. Den benutzte sie immer, wenn sie meinte, etwas herausgefunden zu haben. Musste wohl eine Berufskrankheit sein, denn sie war Ermittlerin bei der Mordkommission. »Hast du etwa geschlafen?«

Das amüsierte Blitzen in Maries Augen stachelte Rosas Stolz an. »Ach, Unsinn, hab nur kurz die Augen zugemacht«, winkte sie unwirsch ab und setzte sich aufrecht hin, bemüht, einen wachen Eindruck abzugeben. Was ihr zugegebenermaßen äußerst schwer gelang.

Mit hochgezogener Augenbraue sah Marie sie ungläubig an. Das konnte sie besonders gut. Eine kleine Falte grub sich in ihre sonst so glatte Stirn.

Rosa seufzte. Ihre Tochter konnte sehr kritisch sein. Nicht nur ihr, sondern auch allen anderen gegenüber. Marie hatte nichts von ihrer Gutmütigkeit geerbt, schon als Kind wollte sie andauernd ihren Kopf durchsetzen. Nicht zum ersten Mal fragte Rosa sich, ob Marie nach der Geburt vielleicht vertauscht worden war. Nein, dazu ist sie Theo zu ähnlich. Die dunklen, glatten Haare, die fast schwarzen Augen und die zierliche Figur.

»Das ist Rico«, unterbrach Marie ihren Gedankenstrom. »Aus der Ballistik.«

Rosa betrachtete den rotbärtigen Mann, der durch die Tür linste und salopp die Hand zum Gruß hob.

Aus der Ballistik? Wie sagt man so schön: Man scheißt nicht, wo man isst – aber dieses Sprichwort hatte für Marie noch nie einen Wert gehabt. Ihr letzter Freund – ein Forensiker – war gerade mal vor einem Monat forschen Schrittes und mit vorgestrecktem Arm auf Rosa zugekommen. Der ist also schon wieder Geschichte. Es wunderte sie nicht, denn für Marie war er viel zu dominant gewesen. Ihre Tochter bevorzugte Männer, die ihr nicht das Wasser reichen konnten. Ihre Beziehungen – wenn man sie überhaupt so nennen konnte – hielten nicht länger als ein paar Wochen, ehe es Marie zu langweilig wurde und ein neuer hermusste. Lieber eine gute Affäre als eine schlechte Beziehung, hatte Marie sich zur Devise gemacht. Dabei wünschte Rosa sich doch so sehr Enkelkinder, die sie verwöhnen konnte. Aber offenbar war ihr das nicht vergönnt.

Rosa nickte dem jungen Mann lächelnd entgegen. »Kommse rin, könnense rauskieken!«, scherzte sie im Berliner Jargon, erntete dafür aber nur einen irritierten Blick. Die Arme auf die Sessellehnen gestützt, hievte sie sich hoch. »Wollt ihr was trinken?« Hatte sie überhaupt Kekse da? Sie lüpfte den Deckel der Porzellandose und sah hinein. Darin herrschte gähnende Leere, abgesehen von ein paar übrig gebliebenen Krümeln.

»Lass nur, Mama, wir sind gleich wieder weg. Wollte mir nur Hans-Gustav leihen und mit Rico um den Schlachtensee laufen. Dort war er nämlich noch nie.«

Rosa ging durchs Wohnzimmer und auf Marie zu. »Lass dich erst mal drücken.« Sie zog ihre Tochter in eine kurze Umarmung und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Na, dann wird’s aber Zeit, junger Mann«, sagte sie an ihren Begleiter gewandt, nachdem sie Marie wieder freigegeben hatte. Beim Vorbeigehen wackelte sie mit dem Zeigefinger vor Ricos Gesicht, der ihr leicht verstört entgegensah. »Ist dein Passat noch in der Werkstatt?« Sie bog nach rechts in den Flur und steuerte die Kommode an. Marie und ihr Begleiter folgten ihr.

»Ja, die Ersatzteile sind schwer zu beschaffen. Der Kotflügel muss komplett ersetzt werden. Bei dem Crash wurde der total verbeult.«

»Gütiger Himmel, Kind, dann kann man ja nur von Glück sagen, dass dir nichts passiert ist! Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was gewesen wäre, wenn der Airbag nicht ausgelöst hätte. Du hast das Ganze natürlich wieder so verharmlost.« Rosa hatte sich nach all den Jahren noch immer nicht damit abgefunden, dass Marie in die Fußstapfen ihres Großvaters getreten und zur Kripo gegangen war. »Warum musstest auch gerade du die Verfolgungsjagd aufnehmen? Konnte das nicht einer deiner Kollegen an deiner Stelle übernehmen?«

Marie rollte mit den Augen. »Na klar, Mama.« Der Sarkasmus in ihrer Stimme war kaum zu überhören. »Wenn ich erst jemand angefunkt hätte, wäre der Typ längst über alle Berge gewesen. Wäre ich nicht an ihm drangeblieben, hätte ihn niemand dingfest machen können.«

»Ich hätte mir wirklich einen weniger gefährlichen Job für dich gewünscht«, sagte Rosa eher zu sich selbst.

Marie quittierte den Einwurf mit einem kurzen Seufzer. Diese Diskussion hatten sie schon zu oft geführt. »Gibst du uns jetzt deinen Wagen oder nicht?«

»Natürlich gebe ich ihn dir. Aber Wiedersehen macht Freude. Spätestens morgen früh brauche ich ihn zurück.«

»Klar, Mama, wird gemacht. Heute Abend steht er wieder vor deiner Tür.«

Rosa hielt in der Bewegung inne und runzelte die Stirn. »Wie kommst du eigentlich momentan zur Arbeit? Fährst du etwa mit den Öffentlichen? Na ja, wenn ich es genau bedenke … Bei dem Verkehr gelangt man manchmal schneller an sein Ziel als mit dem Auto. Nach Frohnau fahre ich auch meistens mit der S-Bahn, das geht schneller.«

»Wäre ich auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen, wäre ich wohl erst um die Mittagszeit im Präsidium, so oft, wie da munter gependelt wird in letzter Zeit.« Ein Lächeln zupfte an Maries Mundwinkel. »Nee, denn ein Gutes hatte der Crash: Erik holt mich jetzt jeden Morgen vor der Haustür ab und drückt mir einen dampfenden Coffee to go in die Hand. Den Service will ich so schnell nicht missen.«

Rosa warf ihrer Tochter einen liebevollen Blick zu und lächelte. »Freut mich, dass ihr beide so gut klarkommt. Dein Kollege und du, ihr scheint ja wirklich ein gutes Team zu sein.«

»Wäre auch schlimm, wenn nicht, so viel Zeit, wie wir miteinander verbringen müssen.«

Rosa nickte, ehe ihr Blick zu Maries Begleiter hinüberwanderte. Steht da wie Falschgeld mit den hochgezogenen Schultern und dem unsteten Blick, schoss es ihr durch den Kopf. »Nun will ich euch mal nicht länger aufhalten«, beeilte sie sich zu sagen, um den jungen Mann aus der unbehaglichen Situation zu erlösen. Wie hieß er noch gleich? Ach, schnuppe, es lohnte sich sowieso nicht, sich seinen Namen zu merken. »Macht, dass ihr loskommt, solange es noch hell ist. Das schöne Wetter muss man ausnutzen.« Rosa zog die rechte Schublade der Kommode auf und nahm den Autoschlüssel ihres alten Käfers heraus. Klimpernd ließ sie ihn vor Maries Nase baumeln.

Die nahm ihn entgegen, ihr neuer Freund zupfte sich am Bart und trottete etwas verloren hinter ihr her.

Rosa fragte sich, ob er überhaupt der deutschen Sprache mächtig war. Bisher hatte er kein einziges Wort von sich gegeben. Vielleicht war er ein Praktikant aus England? Den roten Haaren und dem blassen Teint nach zu urteilen, wäre das gar nicht so abwegig.

Rosa nahm den Jutebeutel, den sie vorhin getragen hatte, vom Garderobenhaken, kramte darin nach ihrem Portemonnaie und reichte Marie einen Hunderteuroschein. »Hans-Gustav steht auf Reserve, kannst ihn gleich volltanken. Vom Rest geht ihr Kaffee trinken und esst ein leckeres Stück Kuchen für mich mit.«

Marie zog eine Schnute. »Ach, Mama, das ist doch nicht nötig, ich hab doch mein eigenes Geld.«

»Nun nimm schon. Ich will das jetzt so und basta. Macht euch einen schönen Tag und seht zu, dass ihr Land gewinnt, ehe die Dämmerung einbricht.«

Mit halbseitigem Lächeln zupfte Marie ihrer Mutter den Schein aus der Hand und schob ihn sich in die Gesäßtasche ihrer Jeans. Gegen die bemutternde Art kam selbst sie nicht an. »Danke, Mama.« Sie beugte sich hinunter und drückte Rosa einen dicken Schmatzer auf die Wange. »Und jetzt wollen wir dich nicht weiter von deinem Nickerchen abhalten.« Marie unterdrückte ein Grinsen, die kleine Stichelei hatte sie sich wohl einfach nicht verkneifen können.

Rosa winkte ab. »Ach was, Nickerchen … Dazu geht mir zu viel im Kopf herum. Onkel Theo, Opa, du …«

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