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Der Mörder ist immer der Esel. Stella Honeycut ermittelt

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Stella Honeycut ermittelt zum zweiten Mal!

Das Dorf der Esel feiert: Der alte Brunnen, der laut einer Legende mit der Artussage verflochten ist, wurde endlich restauriert und soll mit einem Fest neu eingeweiht werden. Doch ausgerechnet Lennard Waxflatter macht dem freudigen Anlass einen Strich durch die Rechnung. Der allseits verhasste Geschäftsführer der Gin-Destillerie liegt mausetot und mit schweren Kopfverletzungen in dem flachen Brunnen unter einer Eselskulptur begraben.
Stella, die zum zweiten Mal als Detektivin gefordert wird, steht vor einer echten Herausforderung: Beinahe jeder im Dorf hatte ein Motiv, und auch über die Ortsgrenzen hinaus lassen sich bald zahlreiche Verdächtige ausmachen. Gemeinsam mit ihren Freunden, einem emotional lädierten Chief Inspector und einer Schar sturer Esel durchforstet Stella die Vergangenheit des Toten und entdeckt einen Sumpf aus Lügen und Verbrechen.


  • Erscheinungstag: 24.09.2024
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365008737

Leseprobe

Für die wunderbare Katharina Thalbach, die wie kein anderer Hercule Poirot zum Leben zu erwecken vermag.

Die handelnden Personen

Stella Honeycut, Agatha-Christie-Expertin und Detektivin

Jane Huffkins, Stellas Tante und Heilerin im Dorf

Chief Inspector Joseph Clapperton, Kriminalbeamter

Lennard Waxflatter, Geschäftsführer der lokalen Gin-Destillerie

Alice Waxflatter, Lennards Ehefrau

Craigory Valentine, Historiker und TV-Moderator

Ernest Tattlebrook, Buchhändler und Dorfchronist

Lionel Crabtree, Vikar

Tiberius Liskard, pensionierter Militärarzt

Audrey Morelli, Bäckerin, betreibt Audreys Pasteten-Paradies und das Café Zum singenden Kessel

Massimo Morelli, Audreys Ehemann, Besitzer eines Wassertaxiunternehmens

Jack Whitley, Angestellter von Morellis Wassertaxiunternehmen

Gavin Duddman, Audreys Bruder, betreibt Pub Zum betrunkenen Esel

Daniel Pyne, Gemischtwarenhändler

Lord Archibald Edgecombe, Hausherr von Limestone Manor

Roderick Edgecombe, Enkel des Lords

Detective Sergeant Navin Chakraborty, Kriminalbeamter

Superintendent Warren McQueen, Joseph Clappertons Vorgesetzter

Abigaile Clapperton, Tochter des Chief Inspectors

Bobby Clapperton, Sohn des Chief Inspectors

Lucas Wilder, Angestellter der Gin-Destillerie

Margery Chapel, Haushälterin des Vikars

Die Esel

Miss Marple, Gandalf, Galadriel, Merlin, Joker, Poseidon, Hubble, Edison, Oscar, Ferrari, Gilgamesch und viele mehr.

Kapitel 1

Chief Inspector Joseph Clapperton saß auf einem wackligen Stuhl im Rektorat der Mary Debbenham Middle School und grübelte über sein Leben nach. Egal, wie er es auch drehte und wendete, er kam immer zu dem gleichen Schluss: Er war an einem absoluten Tiefpunkt angelangt.

Niedergeschlagen dachte er an die vergangenen neun Monate, die sich vor ihm wie eine einzige Chronik des Scheiterns entblätterten.

Die Frau war ihm weggelaufen, die Kinder mutierten zu Ungeheuern, und beruflich hatte er auch schon bessere Zeiten erlebt. Von seinem körperlichen und seelischen Zustand ganz zu schweigen. Er fühlte sich kraftlos, ausgelaugt und verbraucht. Als ob ein Vampir ihm das Blut ausgesaugt und ihn dann wie ein leeres Trinkpäckchen in den Müll geworfen hätte. Bestimmt litt er an Eisenarmut. Und das war nicht der einzige Mangel, den er hatte.

Er atmete geräuschvoll aus. Am liebsten hätte er sich in sein Bett verkrochen und sich die Decke über den Kopf gezogen. Einfach mal schlafen und an nichts denken. An gar nichts. Eine Woche lang. Oder einen Monat. So lange, bis alles endlich wieder gut war und sich die trüben Wolken verzogen hätten. Doch so einfach war es leider nicht.

An Flucht war nicht zu denken. Geschweige denn an Schlaf. Seine Kinder Bobby und Abigaile, beide mitten in der Pubertät, nahmen den größten Teil seiner Aufmerksamkeit in Beschlag. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, ihren Mitmenschen Streiche zu spielen, trieben sie sich in der Gegend herum und dachten sich eine Dummheit nach der anderen aus. Nur mit Mühe unterdrückte Clapperton ein Seufzen. Die beiden machten eine besonders hartnäckige rebellische Phase durch, und das war auch der Grund, warum er schon zum zweiten Mal in dieser Woche in das Rektorat der Schule zitiert worden war.

Gegenüber saß ihm die Rektorin Mrs. Miller, eine energische, drahtige Frau um die fünfzig. Seit gestrichenen zehn Minuten redete sie ohne Punkt und Komma auf ihn ein und überschüttete ihn mit Vorwürfen – so harsch, dass er nur noch auf Durchzug hatte schalten können, um die Situation einigermaßen zu ertragen. Nun prallten die Worte an ihm ab wie an einer Wand.

Nichtsdestotrotz bemühte sich Joseph Clapperton um einen einigermaßen aufmerksamen Gesichtsausdruck. Er hatte in letzter Zeit schon genug Kritik einstecken müssen. Von Linda, seiner Noch-Ehefrau. Von den Kindern. Von seinem Vorgesetzten und den Kollegen. Im Grunde von jedem, der ihm begegnet war. Alle trampelten permanent auf ihm herum.

Er kam sich vor wie ein Fußabtreter. Von niemandem gewollt und gemocht. Das konnte so nicht mehr weitergehen.

Frustriert dachte er an Linda, die sich nach über einundzwanzig Jahren Ehe von ihm getrennt und ihn mit den Kindern hatte sitzen lassen. Von einem Tag auf den anderen hatte sie ihr gesamtes gemeinsames Leben zuerst infrage und dann auf den Kopf gestellt. Nun war sie auf einem Selbstfindungstrip in Indien, und niemand wusste, ob oder wann sie zurückkehren würde.

Zugegeben, dachte Clapperton, er hatte in ihrer Beziehung bestimmt auch nicht alles richtig gemacht. Er hätte aufmerksamer sein und sich mehr Zeit für Linda nehmen müssen. Doch das war noch lange kein Grund, alles einfach hinzuwerfen. Zu so einem radikalen Schritt wäre er niemals fähig gewesen. Schon allein der Kinder wegen nicht.

Ein lautes Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Er zuckte zusammen und sah, wie die Rektorin mit der flachen Hand auf den Schreibtisch schlug.

»Hören Sie überhaupt, was ich sage?«

Clapperton blinzelte. »Wie?«

»Es ist bereits das zweite Mal, dass Ihre Tochter derart auffällig geworden ist!« Die Stimme der Rektorin überschlug sich fast. »In einer einzigen Woche, wohlgemerkt!«

»Ja, ich weiß.«

»Erst die Sache mit der toten Ratte, mit der sie Miss Atkins beinahe zu Tode erschreckt hat. Und nun Sekundenkleber auf dem Lehrerstuhl.« Am Hals der Rektorin waren rötliche Flecken zu erkennen. »Die arme Miss Atkins musste mit einem Stuhl an ihrem Hintern durch das gesamte Schulhaus rennen!«

Der Anflug eines Schmunzelns huschte über Joseph Clappertons Gesicht.

»Das finde ich gar nicht komisch!« Mrs. Millers Nasenflügel bebten.

»Ich auch nicht«, flunkerte Clapperton, denn er musste stark an sich halten, um nicht laut loszulachen. Er dachte an eine Comedy-Serie, die er in seiner Jugend oft geschaut hatte und in der die Schüler ihren Lehrern am laufenden Band genau solche Streiche gespielt hatten. Er hatte die Schauspieler damals wie Helden verehrt.

Die Rektorin schnaubte verärgert. »Miss Atkins’ Hose ist völlig ruiniert.«

Clappertons Mundwinkel zuckten. Die unerwartete Erinnerung an die Idole seiner Sturm-und-Drang-Zeit setzte Endorphine frei. »Das bedauere ich zutiefst«, sagte er, während seine Miene zunehmend verriet, dass ihn das Bild amüsierte. »Ich werde den Schaden selbstverständlich ersetzen.«

»Das ist das Mindeste.« Die Rektorin faltete die Hände und zog eine Augenbraue hoch. »Außerdem erwarte ich, dass sich Ihre Tochter bei Miss Atkins entschuldigt.«

Clapperton entwich ein leises Glucksen, was Mrs. Miller mit einem Ausdruck absoluter Missbilligung quittierte.

»Die Hose ist eine Sache«, bemerkte sie. »Der seelische Schock, den Miss Atkins durch dieses Vorkommnis erlitten hat, ist eine andere.«

Er nickte rasch. »Natürlich!«

Die Rektorin verengte die Augen zu Schlitzen. »Und sollte es noch ein weiteres Mal zu einem Regelverstoß kommen – egal, wie klein er auch sein sollte –, droht Abigaile der Schulverweis!«

Die negativen Emotionen holten Clapperton im Nu wieder ein. Der Anflug von Heiterkeit, der ihn so unvermittelt ereilt hatte, zerplatzte wie eine Seifenblase. »Ich verspreche Ihnen, ich rede mit ihr.«

Mrs. Miller verschränkte die Arme vor der Brust. »Das haben Sie auch schon beim letzten Mal gesagt.«

Joseph Clapperton verlagerte sein Gewicht, woraufhin der Stuhl hin und her wackelte. »Bitte geben Sie ihr eine Chance. Sie hat es im Moment nicht leicht.«

»Da geht es ihr wie uns allen!«, entgegnete die Rektorin ungerührt.

»Es ist wahrlich keine einfache Situation für sie«, beharrte Clapperton. Wollte oder konnte diese Frau ihn denn nicht verstehen?

Für einen Moment betrachtete Mrs. Miller ihn schweigend. Dann beugte sie sich ein wenig vor. »Ihr Mitgefühl in allen Ehren. Aber Abigaile ist nicht das einzige Kind, dessen Eltern sich getrennt haben. Beinahe einem Drittel ihrer Klassenkameraden geht es ganz ähnlich, und die müssen auch damit klarkommen.« Sie zog nachdenklich die Stirn kraus. »Das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert. Abigaile muss lernen, sich anzupassen. Die Welt dreht sich nicht nur um sie. Je eher sie das begreift, desto besser. Meinen Sie nicht auch?«

Clapperton seufzte. »Ich bitte Sie doch nur, dass Sie ein wenig Verständnis für uns haben.«

»Es tut mir leid, aber für Eskapaden solcher Art gibt es keine Rechtfertigung.« Mrs. Millers Mund war nun so schmal wie ein Strich. »Ihre Tochter muss ihr Verhalten grundlegend ändern, sonst wird sie an dieser Schule keine Zukunft haben.« Sie nickte in Richtung der Tür. »Das wäre alles für heute.«

Clapperton, der ebenfalls spürte, dass vorerst alles gesagt war, verließ das Rektorat. Vielleicht gelang es ihm ja in den bevorstehenden Sommerferien, seine Familie zu kitten? Irgendetwas musste er jedenfalls tun.

Er trat aus dem Schulgebäude ins Freie hinaus und atmete tief durch. Zum Glück war Bobby etwas pflegeleichter als seine große Schwester. Der Junge dachte sich zwar auch allerhand Blödsinn aus, doch er ließ sich wenigstens nicht andauernd dabei erwischen.

Erschöpft lief Clapperton über das Schulgelände bis zu einem kleinen Teich und setzte sich in den Schatten eines großen Ginkgobaumes, dessen leuchtend grüne Blätter geheimnisvoll raschelten.

Er lehnte sich an den Baumstamm und schloss die Augen. Jetzt bloß nicht einschlafen! Wenn er jetzt einschlief, wachte er so schnell nicht wieder auf. Er hatte noch knapp eine halbe Stunde, bis die Kinder aus der Schule kommen würden. Bestimmt würden sie ihn wieder wie Luft behandeln – daran war er schon gewöhnt. Undank ist der Väter Lohn.

Entschlossen kämpfte Clapperton gegen die Müdigkeit an. Sosehr er das Verhalten seiner Kinder auch bemängelte, er konnte es ihnen nicht verübeln. Sie rebellierten, weil Linda, ihre Mutter, sie alle im Stich gelassen hatte.

Er selbst weinte Linda keine Träne nach. Er kam klar, auch ohne sie – zumindest redete er sich das ein. Aber den Kindern hatte sie mit ihrer egoistischen Entscheidung das Herz gebrochen – und das würde er ihr niemals verzeihen. Sollte sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Alles, was jetzt zählte, war, dass Bobby und Abigaile wieder zurück zur Normalität fanden. Er wollte und musste ihnen das Gefühl von Sicherheit und Stabilität vermitteln, selbst wenn er dadurch seine Arbeit als Detective Chief Inspector vernachlässigen musste. Bobby und Abigaile waren wichtiger als alles andere. Wichtiger als sein eigenes Seelenheil. Und ganz bestimmt wichtiger als seine Arbeit und sein nerviger, egozentrischer Chef.

Er dachte an Superintendent McQueen, dem er nie etwas recht machen konnte. Ganz anders als sein Kollege, der übereifrige Detective Sergeant Chakraborty, der seine Aufgaben bereits erledigt hatte, bevor sie ihm überhaupt gestellt wurden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der junge aufstrebende Mann, der die gesamte Polizeidienststelle regelmäßig mit den kulinarischen Curry-Kreationen seiner Mutter beglückte, die nächste Beförderung erhalten würde.

Joseph Clapperton seufzte leise, während er über seine eigene berufliche Zukunft grübelte. Superintendent McQueen suchte nur nach einer Gelegenheit, ihn endlich in die Pampa schicken zu können. Der alte Sturkopf wartete doch bloß darauf, ihn endlich loszuwerden. Möglich, dass man ihn versetzte. Oder er wurde degradiert. Wenn es nach McQueen ging, passierte sicher beides gleichzeitig.

Aber all das war Clapperton mittlerweile völlig gleichgültig – er würde auch am anderen Ende der Welt als einfacher Streifenpolizist seinen Dienst verrichten, solange es seinen Kindern nur wieder gut ging.

Im Grunde hatte er beruflich nur den einen Wunsch, dass er nicht noch mal nach Hillbrush gerufen werden würde. Das Dorf der Esel war die Wurzel allen Übels. Dort hatte seine Frau eine verhängnisvolle Begegnung mit einem Einheimischen gehabt, die alles aus dem Lot gebracht hatte. Waxflatter hieß der Mann. Lennard Waxflatter. Clapperton knirschte mit den Zähnen, und eine unbändige Wut kochte in ihm hoch. Normalerweise waren ihm Mordgedanken völlig fremd. Aber bei diesem Typ hätte er sehr gerne mal eine Ausnahme gemacht.

Auch der Rest der Dorfbevölkerung, inklusive der starrsinnigen Hobbydetektivin Stella Honeycut, ging ihm gewaltig auf die Nerven. Das konnte er jetzt alles nicht gebrauchen. Von Eseln und Frauen hatte er die Nase gestrichen voll.

Zum Glück hatte er die Einladung zur Einweihung des Eselbrunnens rechtzeitig ausgeschlagen. All die Leute und das stundenlange Palaver – das hätte er nicht ertragen.

Ein leises klingelndes Geräusch ließ ihn aufhorchen. Es war sein Handy. Er zog es aus der Hosentasche und betrachtete das Display. Na klasse! Der Superintendent. Der hatte ihm gerade noch gefehlt.

Widerwillig nahm er das Gespräch an. »Joseph Clapperton.«

»McQueen hier.« Die tiefe Stimme seines Vorgesetzten klang gereizt. »Wann haben Sie denn vor, sich mal wieder an Ihrem Arbeitsplatz blicken zu lassen?«

»Sobald ich meine Kinder von der Schule abgeholt habe«, erwiderte Clapperton, ohne mit der Wimper zu zucken.

Am anderen Ende der Leitung schnappte der Superintendent nach Luft. »Das hätte ich mir denken können. Sie sind mal wieder um keine Ausrede verlegen, was?«

Joseph Clapperton wollte etwas erwidern, doch McQueen kam ihm zuvor.

»Ich habe einen Auftrag für Sie, und ich rate Ihnen, dass Sie es diesmal nicht vermasseln.«

Ein flaues Gefühl machte sich in Clappertons Eingeweiden breit. Was war denn nun schon wieder passiert? Hoffentlich nicht wieder ein Mord.

»Sie fahren nach Hillbrush!«, verkündete McQueen.

Clapperton zuckte unwillkürlich zusammen. Nein. Er hatte jetzt nicht wirklich Hillbrush gesagt.

»Sind Sie noch dran?« Jetzt klang der Superintendent ungeduldig.

Joseph Clapperton überlegte, ob er das Handy nicht besser im hohen Bogen in den nahegelegenen Teich befördern sollte. Doch damit wäre es auch nicht getan. Er räusperte sich. »Ich habe den Namen des Ortes nicht ganz verstanden, Sir.«

»Hill-brush!«, donnerte McQueen nun so laut, dass Clapperton das Handy auf Abstand halten musste. »Haben Sie Bohnen in den Ohren, Mann?«

»Gewiss nicht.« Clapperton konnte es nicht fassen. »Also Hillbrush.« Das Dorf der Esel und aller, die es werden wollten, fügte er in Gedanken hinzu.

»Dort findet morgen Vormittag die Einweihung des legendenumwobenen Eselbrunnens statt«, sagte McQueen.

»Davon habe ich gehört.«

»Ausgezeichnet.« Sein Vorgesetzter klang beschwingt. »Dann muss ich Ihnen ja nicht mehr viel erklären.«

Clapperton rieb sich die Stirn. »Warum?«

»Wie?«

»Weshalb soll ich nach Hillbrush fahren?«

»Das kann ich Ihnen sagen.« Der Superintendent schnaufte ungeduldig. »Da es in letzter Zeit in dieser Gegend immer wieder zu unvorhergesehenen Zwischenfällen gekommen ist, möchte ich, dass Sie für die Dauer der Feierlichkeit für Sicherheit sorgen. Haben Sie verstanden?«

Clapperton holte tief Luft. »Aber ich …«

Der Superintendent schnitt ihm das Wort ab. »Es ist mir egal, wie Sie es machen, aber machen Sie es! Kinder hin oder her. Ich werde keine Ausreden dulden!«

Ein Klicken verriet Clapperton, dass sein Vorgesetzter aufgelegt hatte.

Verdrossen schob er das Handy in die Tasche zurück.

Hillbrush! Schon wieder! Ihm blieb aber auch gar nichts erspart!

Er dachte an die sogenannten unvorhergesehenen Zwischenfälle, auf die sein Vorgesetzter angespielt hatte. Eiskalter Mord wäre eine treffendere Bezeichnung gewesen. Das kam in der Gegend tatsächlich gehäuft vor. Zuletzt hatte Edna Inglethorpe, die Haushälterin des Vikars, dran glauben müssen. Konnte dieser narzisstische Waxflatter nicht der Nächste sein?

Na gut, er würde dem Dorf der Esel einen weiteren Besuch abstatten. Die Einweihung eines Brunnens konnte ja auch nicht ewig dauern. Ein, zwei Stunden. Allerhöchstens. In der Zeit würde schon nichts passieren.

Clapperton schüttelte stöhnend den Kopf. Er hatte es so was von satt, von McQueen herumgeschubst und wie ein Domestik behandelt zu werden. Aber was konnte man schon von einem Mann erwarten, der mit der Maxime Die Arbeit muss immer an erster Stelle stehen durchs Leben schritt? So was von bescheuert!

Family first!, war Joseph Clappertons Credo. Schon immer gewesen. Daran würde auch der Superintendent nichts ändern.

Kapitel 2

»Ich werde ihn umbringen!« Alice Waxflatter hockte mit geröteten Wangen auf dem Sofa in Janes Wohnzimmer und klammerte sich an einer Teetasse fest. »Ich werde ihn kaltmachen! Aus dem Weg räumen! Töten!«

Stella, die sich in einen Sessel gesetzt hatte, fuhr bei diesen Worten der Schreck durch alle Glieder. Sie sah zu ihrer Tante Jane, die neben der aufgebrachten Besucherin saß und ihr eine Hand auf die Schulter legte.

»Aber meine Liebe!« Jane betrachtete Alice mit kummervoller Miene. »Das meinst du doch sicher nicht ernst!«

»Todernst sogar!«, entgegnete Alice trotzig. Sie knallte die Tasse auf den Beistelltisch, so heftig, dass etwas Tee auf die Tischplatte schwappte. »Der Mistkerl muss ein für alle Mal weg!« Sie ballte die Hände zu Fäusten und bebte am ganzen Körper. »Fort ohne Wiederkehr!«

Jane seufzte. »Dann setz ihn vor die Tür. Jeder hier im Ort würde es verstehen.«

»Genau«, stimmte Stella ihr zu. »Trenn dich von ihm. Lass dich von ihm scheiden.«

Alice schüttelte energisch den Kopf.

»Wir unterstützen dich auch«, fügte Jane rasch hinzu. »Wir alle hier.«

Stella lächelte Alice aufmunternd zu. »Zusammen werden wir eine Lösung finden.«

»Nein, er muss sterben!«, beharrte Alice und raufte sich die Haare. »Es gibt keine andere Möglichkeit.«

Stella und Jane tauschten besorgte Blicke. Die Aufregung um die Ermordung von Edna Inglethorpe vor knapp drei Monaten war ihnen beiden noch gut im Gedächtnis. Bahnte sich nun bereits die nächste Tragödie an?

Alice sprang vom Sofa hoch und begann, im Raum auf und ab zu gehen. »Ich ertrage es nicht länger!«

Nervös rutschte Stella im Sessel hin und her. So aufgewühlt hatte sie Alice noch nie erlebt. Die Frau schien völlig verändert. Ihre hübschen dunkelbraunen Locken waren zerzaust und standen in alle Richtungen ab. Das sonst so blasse Gesicht glühte förmlich, und ihr schmaler, fast schmächtiger Körper war bis in die letzte Faser angespannt. Am unheimlichsten war jedoch der fieberhafte, mörderische Ausdruck in ihren Augen.

»Betrügt er dich schon wieder?«, wollte Jane wissen.

»Ach, wenn es nur das wäre!« Alice zitterte vor Zorn. »Seine ständigen Affären sind mir mittlerweile so was von egal. Genau wie seine andauernden Gemeinheiten und Sticheleien.« Sie fuchtelte mit den Händen theatralisch in der Luft herum. »Aber mit seinen bescheuerten Geschäftsaktionen treibt er uns bald alle noch in den Ruin!«

Jane neigte den Kopf zur Seite. »Dann gibt es Probleme mit der Destillerie?«

Alice schnaubte und tigerte weiter auf und ab. »Wir schreiben rote Zahlen. Seit Monaten schon. Alle paar Tage kommt er mit einer neuen hirnrissigen Idee, um, wie er sagt, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Er verändert willkürlich Rezepturen, bestellt minderwertige Zutaten und zieht die Preise an. Dadurch kaufen natürlich noch weniger Leute unseren Gin.« Sie stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Egal, was er anfasst, er macht es nur noch schlimmer – und er merkt es nicht einmal.«

»Das ist zwar nicht schön, aber es ist auch kein Weltuntergang«, entgegnete Jane und klopfte auf das Sofapolster. »Bitte setz dich. Du machst mich ganz nervös.«

Alice schnappte nach Luft. »Kein Weltuntergang? Es geht um das Lebenswerk meines Vaters!« Ein Ausdruck der Verzweiflung trat in ihr Gesicht. »Er hat die Destillerie sicher nicht aufgebaut, damit sein unfähiger Schwiegersohn sie in Rekordzeit herunterwirtschaftet.« Sie ließ sich neben Jane auf das Sofa fallen und verbarg das Gesicht in ihren Händen.

»Warum berufst du nicht eine Anteilseigner-Konferenz ein?«, schlug Jane vor. »Ihr könntet Lennard feuern und einen eigenen Geschäftsführer benennen.«

Stella erinnerte sich, einmal gehört zu haben, dass Alices verstorbener Vater die Anteile unter dem Vikar und anderen Dorfbewohnern aufgeteilt hatte. Damit hatte er sowohl seine Tochter als auch die Destillerie vor Lennards Bosheit beschützen wollen.

Alice schaute Jane irritiert an. »Kannst du vielleicht so jemanden aus dem Hut zaubern?«

Jane griff nach ihrer Hand. »Du könntest selber den Posten übernehmen.«

Ein schwaches, bitteres Lachen entwand sich Alices Kehle. »Möglicherweise gibt es in einem Paralleluniversum eine Alice, die damit fertigwerden würde. Aber ich bin definitiv nicht gemacht für diesen Job.«

»Da unterschätzt du dich aber«, entgegnete Jane. »Du musst es nur wollen.«

Stella hingegen war anderer Meinung. Sie hatte Alice als zurückgezogene Tagträumerin kennengelernt, die die meiste Zeit in ihrer eigenen Welt lebte.

»Ich will aber nicht!«, rief Alice.

»Auch kein Problem«, meinte Jane und zuckte mit den Schultern. »Schreib die Stelle aus.«

Alice sah sie aus großen Augen an. »Wer soll sich denn da bewerben? In dieses abgelegene Dorf will doch keiner.«

Ein tadelnder Ausdruck trat in Janes Gesicht. »Wenn ich dich daran erinnern darf, meine Liebe, bin ich selbst vor einigen Jahren hierhergezogen, gerade weil es so schön abgelegen ist. Genau wie auch Daniel und Massimo.« Sie zwinkerte ihrer Nichte zu. »Und Stella würde bestimmt auch am liebsten hierbleiben.«

Alice sah zu Stella, die etwas verhalten nickte.

»Es ist toll hier, keine Frage.« Stella hob abwehrend die Hände. »Aber nach meinem Freisemester muss ich dann wirklich wieder nach Australien zurück.« Ursprünglich hatte sie ja nur über die Semesterferien bleiben wollen, so lange, bis Janes gebrochenes Bein verheilt war. Nun sprang ihre Tante schon längst wieder wie ein junges Reh durch die Gegend, und sie war immer noch hier.

Das hing in erster Linie mit dem spannenden Forschungsprojekt zusammen, das sich während ihres Aufenthaltes ergeben hatte. Es ging um niemand Geringeren als ihre Lieblingsschriftstellerin Agatha Christie, die laut dem Buchhändler Ernest Tattlebrook zum Zeitraum ihres Verschwindens im Dezember 1926 im Dorf der Esel gewesen war. Nach dem Freisemester würde sie jedoch an die University of Queensland zurückkehren, um weiter Literaturwissenschaften zu lehren, da war Stella nach wie vor fest entschlossen.

»Schade«, murmelte Alice. »Ich habe mich schon richtig an dich gewöhnt.«

»Zurück zur Destillerie«, wechselte Stella das Thema. »Was ist denn mit eurem Mitarbeiter Lucas? Würde er sich nicht auch als Geschäftsführer eignen?«

»Ich weiß nicht.« Alice zuckte mit den Schultern. »Kann schon sein. Aber das ist jedenfalls nicht der Grund, warum ich hier bin!«

Jane runzelte die Stirn. »Ja, das hast du bereits deutlich gemacht.«

»In erster Linie will ich meinen fiesen Ehemann loswerden!«, sagte Alice mit so viel Nachdruck, dass Stella fröstelte.

Erneut tauschten Stella und Jane Blicke.

»Bitte, Jane! Gegen diesen Schuft muss doch ein Kraut gewachsen sein.« Alice faltete die Hände wie zu einem Gebet. »Du bist meine letzte Hoffnung! Hast du nicht etwas, das mir helfen kann?« Ein unheilvolles Grinsen trat in ihr Gesicht. »Am besten etwas, das sich hinterher nicht nachweisen lässt. Du weißt schon.« Sie klimperte mit den Wimpern, so wie sie es immer tat, wenn sie etwas haben wollte.

Jane atmete schwer. »Das geht nicht. Ich kann und werde dir nicht helfen, einen Mord zu begehen.« Sie fasste nach Alices Hand. »Wenn du willst, jagen wir Lennard Waxflatter gemeinsam aus dem Dorf hinaus.«

Alice entwand sich dem Griff und ließ enttäuscht die Schultern hängen. Sie schaute erst Stella, dann Jane an. Etwas abgrundtief Dunkles lag in ihren Augen. »Du verstehst mich nicht.« Ihre Stimme war nun voller Hass. »Ich will ihn nicht bloß davonjagen. Ich will ihn leiden und krepieren sehen!«

»Das ist der falsche Weg«, sagte Jane sanft. »Das würde auch dein Vater nicht wollen.«

»Lass meinen Vater da raus!«, rief Alice völlig außer sich. »Er war der Einzige, der immer zu mir gehalten hat.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Bis ihn irgendjemand von der Klippe gestoßen hat.«

»Er ist gesprungen, Alice«, sagte Jane, um Fassung bemüht. »Das wurde damals bei der Untersuchung festgestellt.«

»Schwachsinn!« Alices Gesicht war feuerrot. Sie sah aus, als ob sie gleich explodieren würde. »Mein Vater hat sich nicht umgebracht!«

»Warte kurz.« Jane erhob sich. »Ich glaube, ich habe etwas für dich.« Sie wieselte aus dem Zimmer hinaus.

Während Stella ihrer Tante irritiert nachsah, wischte Alice die Tränen fort, und ein Hauch von Hoffnung mischte sich in ihre finstere Miene.

Nur wenige Augenblicke später kehrte Jane zurück. Sie hielt ein kleines Fläschchen mit einer dunklen Flüssigkeit in der Hand und reichte es Alice.

Stella hielt den Atem an.

»Tausend Dank.« Alice fiel Jane um den Hals. »Ich wusste, dass du mich nicht im Stich lassen würdest.« Sie betrachtete das Fläschchen voll unverhohlener Vorfreude. »Ich werde es Lennard in den Kaffee mischen.«

»Das ist nicht für deinen Mann«, sagte Jane lächelnd und nahm wieder auf dem Sofa Platz. »Das ist für dich. Eine beruhigende Mischung aus Lavendel, Hopfen und Baldrian. Nimm dreimal täglich zwanzig Tropfen davon, und es wird dir bestimmt schnell besser gehen.«

Alices heitere Miene gefror zu Eis. »Mehr hast du nicht?«

»Nein, meine Liebe.« Jane seufzte. »Das ist alles, was ich dir geben kann.«

»Schade, Jane. Ich hätte mehr von dir erwartet. Ich dachte, wir sind Freundinnen.« Alice knallte das Fläschchen auf den Beistelltisch und marschierte ohne sich noch einmal umzublicken zur Tür hinaus.

Stella holte sich eine Tasse Tee aus der Küche. Darjeeling, heiß und so stark, dass man damit Tote aufwecken konnte. »Das war ja ein schräger Auftritt.«

»Alice eben«, meinte Jane bloß. »Na, sie beruhigt sich auch wieder.«

Manchmal beneidete Stella ihre Tante um ihre unerschütterliche Zuversicht. Ganz besonders in Momenten wie diesem. Ihr selbst war nach diesen sehr offenherzig vorgetragenen Mordgedanken ziemlich mulmig zumute. »Aber was, wenn sie ihren Mann tatsächlich umbringt?«

»Aber nein!« Jane schüttelte den Kopf. »Ich kenne Alice schon seit vielen Jahren. Sie kann keiner Fliege etwas zuleide tun.«

»Auf mich hat sie sehr entschlossen gewirkt«, konterte Stella. »Zu allem bereit, könnte man sagen.«

»Ach was!« Jane vollführte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie redet schon seit Jahren davon, dass sie Lennard am liebsten umbringen will – und er andersherum übrigens auch. Aber das ist nur heiße Luft. Diese momentane Wut verebbt auch wieder, du wirst schon sehen.«

Stella nippte an ihrem Tee. »Hoffentlich hast du recht.«

»Klar.« Jane lächelte ihr aufmunternd zu. »Außerdem habe ich nicht vor, sie mit ihrer angestauten Wut alleine zu lassen. Ich gehe ihr gleich hinterher und kümmere mich um sie.«

Erleichtert breitete Stella die Arme aus. »Ach Jane, du bist einfach die Beste!«

Sie umarmten sich herzlich. Die gemeinsame Zeit hatte ihnen beiden gutgetan, und Stella verspürte Wehmut bei dem Gedanken, ihrer Tante bald wieder Lebewohl sagen zu müssen. Überhaupt würde sie das Dorf der Esel samt seiner menschlichen wie tierischen Bewohner bestimmt sehr vermissen. Die letzten Wochen, die sie sehr genossen hatte, waren wie im Flug vergangen.

Jane tätschelte Stellas Schulter. »Da fällt mir ein, könntest du mir einen Gefallen tun?«

Stella nickte. »Selbstverständlich! Was liegt denn an?«

»Könntest du bitte mal nach Ernest sehen?« Jane massierte sich die Schläfen. »Der Gute kränkelt seit gestern wieder, und ich mache mir Sorgen um ihn.«

»Na klar, Jane«, sagte Stella. »Ich mache mich gleich auf den Weg.« Sie warf ihrer Tante eine Kusshand zu. »Treffen wir uns nachher beim Brunnen?«

»Das hängt davon ab, wie es Alice geht«, meinte Jane. »Versprechen kann ich es nicht, aber ich schaue mal, was ich machen kann.«

Kapitel 3

Beschwingt verließ Stella das behagliche, mit gelben Kletterrosen überwucherte Cottage ihrer Tante. Der Weg zu Ernests kleinem verwinkelten Buchladen war ihr mittlerweile so vertraut, dass sie sich selbst im Schlaf mühelos zurechtgefunden hätte. Auch das steile Gefälle brachte sie schon längst nicht mehr aus dem Gleichgewicht. Im Gegenteil – sie bewegte sich auf dem abschüssigen Gelände so sicher, als ob sie ihr Leben lang nichts anderes getan hätte.

Mit schnellen Schritten marschierte sie die schmale Gasse entlang und bog in die breite, gepflasterte Hauptstraße ein, der sie eine Weile bergab folgte. Vor ihr erstreckte sich das kobaltblaue Meer, das heute ungewöhnlich ruhig, wie ein seidig schimmernder Teppich, zu Füßen des Dorfes lag. Ihr Blick wanderte zum Horizont, wo sie mehrere große Containerschiffe erkennen konnte. Möwen zogen am Himmel ihre Kreise, und von irgendwo ertönte der fröhliche Ruf eines Esels. Ein salziger Geruch, der vom Hafen herkam, vermischte sich mit den Aromen von Sägespänen, Heu und frisch gekochter Orangenmarmelade.

Stella bog erneut ab und lief leichtfüßig auf Ernest Tattlebrooks Buchhandlung zu. Der kleine Laden gehörte zu ihren absoluten Lieblingsplätzen im Dorf, was nicht nur an den vielen Agatha-Christie-Romanen lag, die Ernest besaß. Sie mochte auch besonders den vanilleartigen Duft, den die Bücher verströmten. Und Ernest, der von den meisten seiner Freunde Hemingway genannt wurde, wusste auch immer irgendeine spannende oder herzerwärmende Geschichte zu erzählen. Schon allein deswegen kam sie fast täglich hier vorbei.

Voller Erwartung auf das Seemannsgarn, das der freundliche Buchhändler wie kein anderer zu spinnen vermochte, griff Stella nach der Türklinke und drückte sie nach unten. Seltsamerweise rührte sich die Tür keinen Zentimeter.

Merkwürdig. Normalerweise war Ernest doch immer um diese Uhrzeit in seinem Laden anzutreffen. Er war ein Mann mit Gewohnheiten. Spontane Ausflüge waren eher nicht sein Ding.

Ein leises Schnauben ließ Stella aufhorchen. Sie drehte sich um. Vor ihr stand Miss Marple, Lord Edgecombes zierliche blaugraue Eselstute, die regelmäßig durch das Dorf stromerte. Sie war Stella bereits sehr ans Herz gewachsen.

»Hallo, meine Hübsche!« Stella kraulte die langen weichen Eselsohren. »Weißt du vielleicht, wo unser Freund Hemingway gerade steckt?«

Zu ihrer Überraschung setzte sich Miss Marple umgehend in Bewegung. Nicht zum ersten Mal kam Stella der Gedanke in den Sinn, dass die Esel in diesem Dorf äußerst pfiffig waren und jedes Wort verstanden.

Sie folgte Miss Marple auf verschlungenen Wegen steil bergauf, bis sie vor dem Pfarrhaus stand. Die kleine Eselstute machte vor der Tür halt und blickte sie mit ihren großen treuen Augen an.

Stella tätschelte Miss Marples Hals. Ein ungutes Gefühl keimte in ihr auf, als die Erinnerung an Edna Inglethorpe sie einholte. Die frühere Haushälterin des Vikars war hier im Pfarrhaus vor knapp drei Monaten vor Stellas Augen vergiftet worden. Obwohl sie den Fall gemeinsam mit ihren Freunden aufgeklärt und dadurch einen weiteren Mord verhindert hatte, steckte ihr die Aufregung um die schreckliche Tat noch immer tief in den Knochen.

Die blaugraue Eselstute stupste sanft gegen ihren Arm und brachte sie ins Hier und Jetzt zurück.

Rasch schob Stella die düstere Erinnerung beiseite, machte noch einen Schritt auf die Tür zu und klingelte.

Nur ein paar Sekunden später wurde ein Fenster im Erdgeschoss geöffnet, und Margery Chapel, die dem Vikar seit ein paar Wochen den Haushalt führte, streckte den Kopf heraus. Margery war Ende vierzig, rund wie ein Sahnebaiser und immer gut gelaunt. Und sie war, wie der Vikar stets zu betonen pflegte, ein Hausdrachen mit Herz.

»Hallo, Stella«, rief sie fröhlich. »Prima, dass du vorbeikommst. Da kannst du gleich von meinem Birnenkuchen kosten, den ich gebacken habe.« Sie verschwand und tauchte gleich darauf wieder im Türrahmen auf. Auf ihrer himmelblauen Schürze fanden sich Spuren von Zucker und Mehl, und in ihren blonden Korkenzieherlocken klebten winzige Krümel Kuchenteig.

»Hallo, Margery«, grüßte Stella. »Ich hoffe, ich störe nicht, aber kann es sein, dass Ernest hier ist?«

Die Haushälterin gluckste. »Da liegst du goldrichtig. Lionel und er spielen gerade eine Partie Bridge.« Sie musterte Stella mit unverhohlener Neugierde. »Hat dir das etwa deine Spürnase verraten?«

Stella deutete auf ihre tierische Begleiterin, die das Geschehen noch immer interessiert beobachtete. »Wenn hier einer eine Spürnase hat, dann Miss Marple.«

»Ein Esel als Detektivin.« Margery klopfte sich lachend auf die Oberschenkel. »Nein, die Idee ist doch zu drollig!«

Miss Marple stieß ein lautes I-ah aus, das ganz ähnlich wie Margerys Lachen klang.

»Dann komm mal herein«, rief die Haushälterin beschwingt. »Oder willst du da draußen Wurzeln schlagen?«

Stella trat ein und folgte Margery in das gemütliche Wohnzimmer, das sie immer ein wenig an die Behausung von Sherlock Holmes in der Londoner Baker Street 221B erinnerte.

Ernest und der Vikar, die in zwei gepolsterten Ohrensesseln saßen, waren ganz in ihr Kartenspiel vertieft.

»Lionel! Ernest!« Margerys Stimme donnerte wie Drachengebrüll durch den Raum. »Schaut mal, wer uns besuchen kommt.«

Die beiden Männer blickten auf.

»Stella!«, rief Ernest mit einem breiten Lächeln. »Das ist aber eine Überraschung.«

Der Vikar schaute über den Rand seiner halbmondförmigen Brillengläser hinweg. »Bitte, nimm dir einen Stuhl, und setz dich zu uns.«

Rasch kam Stella der Aufforderung nach.

»Ich bringe dir ein Stück von meinem Birnenkuchen«, säuselte Margery. »Und dazu eine schöne Tasse Tee.« Sie huschte aus dem Zimmer.

»Ich wollte nur kurz Hallo sagen und schauen, wie es euch geht«, sagte Stella und musterte den Buchhändler, der tatsächlich recht blass um die Nase war. Er hatte dunkle Schatten unter den Augen und sah aus, als ob er schon mehrere Nächte schlecht geschlafen hatte. Tante Janes Befürchtungen, dass er kränkelte, waren also durchaus begründet.

»Das ist aber lieb von dir«, entgegnete Lionel, der seine Aufmerksamkeit wieder auf das Kartenspiel richtete.

Ernest hingegen war ganz auf Stella konzentriert. »Jane macht sich mal wieder Sorgen, nicht wahr?«

»Da ist sie nicht allein«, gestand Stella mit besorgter Miene. »Geht es dir gut?«

»Aber sicher geht es mir gut.« Der Buchhändler lächelte. »Ein paar Zipperlein hier und da, doch das ist in meinem Alter völlig normal.«

»Warte noch mal zwanzig Jahre«, murmelte Lionel, der auf die achtzig zuging und damit ein ganzes Stück älter als Ernest war. »Da tun dir plötzlich Knochen weh, von denen du bis dahin noch nie etwas gehört hast.« Er ließ kurz die Schultern kreisen, und seine Knochen knackten wie morsches Holz. »Von der senilen Bettflucht ganz zu schweigen.«

»Also wirklich, Lionel«, rief Margery, die soeben mit einem Tablett in den Händen zurückkehrte. »Stella ist bestimmt nicht hergekommen, um sich eure geriatrischen Schauergeschichten anzuhören.« Sie stellte eine Tasse mit dampfend heißem Tee und einen Teller mit einem großen quadratischen Kuchenstück auf einem kleinen Beistelltisch ab. »Hier, meine Liebe! Ich habe dir noch eine schöne Portion Sahne auf den Kuchen gemacht.« Sie schmunzelte und zwinkerte Stella zu. »Du kannst ein paar Extrapfunde gut gebrauchen.«

Stella zog eine Augenbraue hoch. So unterernährt war sie ja nun auch nicht. Und Margery war nicht die Einzige im Dorf, die es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht hatte, sie nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen. Vielleicht erhofften sie sich damit ja, dass Stella so viel zunahm, dass jede Fluggesellschaft ihre Beförderung ablehnen würde und sie in England würde bleiben müssen. Vielleicht waren sie aber auch einfach nur gastfreundlich.

»Danke«, erwiderte Stella mit einem Lächeln. »Es sieht köstlich aus.« Sie nahm den Teller und probierte ein Stück des himmlisch duftenden Gebäcks. Es schmeckte hervorragend.

Derweil holte Margery sich einen Stuhl und setzte sich zu ihnen. Zufrieden beobachtete sie, wie Stella genüsslich den Kuchen vertilgte. »Du bist zu einer ziemlich turbulenten Zeit zu uns ins Dorf gekommen.« In ihrer Stimme schwang Bewunderung mit. »All die Aufregung, und die Gefahr, in die du dich begeben hast, um den Mord an Edna aufzuklären.«

»Das habe ich ja nicht alleine gemacht«, sagte Stella rasch. »Tiberius, Jane und viele weitere Leute haben mir dabei sehr geholfen.«

Die Haushälterin grinste. »Umso mehr freut es uns, dass du dich entschlossen hast, zu bleiben.«

»Nur vorrübergehend«, erwiderte Stella. Warum gingen eigentlich alle immer davon aus, dass sie sich dauerhaft im Dorf der Esel niederlassen würde?

»Jaja.«

»Es ist mein Ernst.«

Margery nickte. »Da habe ich nicht den geringsten Zweifel.«

»Auf jeden Fall haben wir den Eindruck, dass dir der Aufenthalt hier bei uns guttut«, warf Ernest ein.

Der Vikar fächelte sich mit seinem Spielkartenfächer Luft zu. »Es ist immer schön, mal die Seele baumeln zu lassen.«

»Ich habe ein Freisemester genommen, um Agatha Christies Aufenthalt hier in Hillbrush weiter erforschen zu können«, sagte Stella und trank einen Schluck Tee.

Lionel runzelte die Stirn. »Und ich dachte, du bist geblieben, um Mordfälle zu lösen.«

Welche Mordfälle?, dachte Stella, doch bevor sie die Frage laut aussprechen konnte, ergriff Ernest das Wort.

»Sie kann ja auch beides machen.« Er lächelte. »Da spricht doch nichts dagegen.«

Der Vikar wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Ein bisschen viel Arbeit, findest du nicht? Wo bleibt denn da der Spaß?«

»Das ergibt sich von allein«, meinte Ernest. »Außerdem kann auch die Arbeit Freude bereiten.«

»Ich bitte dich!« Lionel legte die Karten auf den Tisch zurück. »Mörder zu fangen, hört sich für mich nicht nach einem Vergnügen an. Geschweige denn über alten Schriftstücken zu brüten.« Er seufzte. »Das ist doch nun wirklich nicht die richtige Beschäftigung. Besonders nicht für eine Frau. Eine junge Frau in ihrem Alter.«

Ernest hob mahnend den Zeigefinger. »Vorsicht, jetzt setzt du dich aber in die Nesseln.«

»Nein, sei unbesorgt«, erklärte der Vikar lächelnd. »Ich sitze hervorragend.«

»Also wirklich, Lionel.« Margery schüttelte den Kopf. »Deine Vorstellungen über Frauen stammen anscheinend noch aus dem Mittelalter.«

Lionel setzte eine gleichgültige Miene auf. »In dieser Hinsicht sind die Menschen sehr verschieden.«

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