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Bevelstoke – Die Geheimnisse eines Gentlemans

hier erhältlich:

Von der Bestsellerautorin des Weltphänomens BRIDGERTON

Der finale Teil der Bevelstoke-Trilogie: voller Witz und Liebe!

Eigentlich sollte sich Annabel glücklich schätzen, denn ihre aristokratischen Großeltern ermöglichen ihr eine Saison in London. Allerdings gibt es auch einen Haken. Sie soll den vermögenden Earl of Newbury heiraten, um für ihre verarmte Familie zu sorgen – einen Mann, der alt genug ist, um ihr Großvater zu sein. Auf der Flucht vor dem Earl läuft sie am Abend eines Balles dem faszinierenden Sebastian Grey in die Arme. Jemanden wie ihn will sie heiraten! Aber als sie ihn zu einem offiziellen Rendezvous im Hyde Park trifft, muss sie feststellen: Ihr neuer Verehrer ist leider bitterarm. Wird es eine Zukunft für Annabel und Sebastian geben, oder muss Annabel den greisenhaften Earl of Newbury ehelichen?


  • Erscheinungstag: 28.01.2025
  • Aus der Serie: Bevelstoke
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 368
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749906833
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Zum Buch:

Eigentlich führt Sebastian Grey ein sorgenfreies Leben: Er ist jung, charmant, äußerst gut aussehend, und sein Ruf in der Londoner Gesellschaft ist seit Jahren vorzüglich ruiniert. Noch dazu ist er der einzige Erbe des Earl of Newbury, der sich gerade auf Brautschau befindet, damit sein Vermächtnis nicht dem verhassten Neffen zufällt. Sebastian selbst macht sich nichts aus dem Titel und den damit verbundenen Sorgen, bis ihm die Auserkorene seines Onkels eines Ballabends zufällig in die Arme stolpert und sich dort so goldrichtig anfühlt, dass er sie am liebsten nie wieder loslassen möchte …

Zur Autorin:

Julia Quinn wird als zeitgenössische Jane Austen bezeichnet. Sie studierte zunächst Kunstgeschichte an der Harvard-Universität, ehe sie die Liebe zum Schreiben entdeckte. Ihre überaus erfolgreichen historischen Romane präsentieren den Zauber einer vergangenen Epoche und begeistern durch ihre warmherzigen, humorvollen Schilderungen.

Lieferbare Titel:

Bevelstoke – Das geheime Tagebuch der Miss Miranda (Bevelstoke 1)

Bevelstoke – Die unergründlichen Wege einer Lady (Bevelstoke 2)

Bevelstoke – Die Geheimnisse eines Gentlemans (Bevelstoke 3)

Bridgerton – Der Duke und ich (Bridgerton 1)

Bridgerton – Wie bezaubert man einen Viscount? (Bridgerton 2)

Bridgerton – Wie verführt man einen Lord? (Bridgerton 3)

Bridgerton – Penelopes pikantes Geheimnis (Bridgerton 4)

Bridgerton – In Liebe, Ihre Eloise (Bridgerton 5)

Bridgerton – Ein hinreißend verruchter Gentleman (Bridgerton 6)

Bridgerton – Mitternachtsdiamanten (Bridgerton 7)

Bridgerton – Hochzeitsglocken für Lady Lucy (Bridgerton 8)

Bridgerton – Neues von Lady Whistledown (Bridgerton 9)

Queen Charlotte – Bevor es die Bridgertons gab, veränderte diese Liebe die Welt

Rokesby – Der Earl mit den eisblauen Augen (Rokesby 1)

Rokesby – Tollkühne Lügen, sinnliche Leidenschaft (Rokesby 2)

Rokesby – Miss Bridgerton und der geheimnisvolle Verführer (Rokesby 3)

Rokesby – Wie heiratet man eine Bridgerton? (Rokesby 4)

Smythe-Smith – Der Earl, der mir zu Füßen liegt (Smythe-Smith 1)

Smythe-Smith – Spiel mit dem Feuer (Smythe-Smith 2)

Smythe-Smith – Die gewiefte Lady Sarah (Smythe-Smith 3)

Smythe-Smith – Die Geheimnisse von Sir Richard (Smythe-Smith 4)

Für meine Leserinnen und Leser.
Wenn Sie nicht wären, hätte ich auch nicht den coolsten Job der Welt.

Auch von Paul,
aus genau demselben Grund.

Prolog

Vor ein paar Jahren

Er konnte nicht schlafen.

Das war nichts Neues. Man hätte meinen können, er hätte sich inzwischen daran gewöhnt.

Aber nein, Sebastian Grey schloss jede Nacht die Augen in der Erwartung, einschlafen zu können. Warum auch nicht? Er war geistig wie körperlich völlig gesund und munter. Es gab keinerlei Grund, warum er nicht schlafen können sollte.

Er konnte es aber nicht.

Allerdings nicht immer. Manchmal – er hatte keine Ahnung, woran es lag – entschlummerte er selig, sobald sein Kopf das Kissen berührte. Die übrige Zeit wälzte er sich im Bett herum, stand auf, um ein Weilchen zu lesen, trank Tee, wälzte sich wieder, setzte sich auf und sah aus dem Fenster, wälzte sich noch ein wenig, spielte mit den Wurfpfeilen, wälzte sich weiter, gab es schließlich auf und sah die Sonne aufgehen.

Er hatte schon viele Sonnenaufgänge gesehen. Inzwischen betrachtete Sebastian sich auf diesem Gebiet sogar als Experte. Was die Sonnenaufgänge der Britischen Inseln anging, konnte ihm keiner etwas vormachen.

Unweigerlich setzte dann die Erschöpfung ein, und irgendwann nach der Dämmerung schlief er endlich ein, auf dem Bett oder in seinem Sessel und ein paar unangenehme Male auch mit dem Gesicht an die Scheiben gepresst. Es kam nicht jeden Tag vor, aber doch so oft, dass es ihm den Ruf eines Langschläfers eingetragen hatte. Das amüsierte ihn, gab es für ihn doch kaum etwas Schöneres als einen frischen und energiegeladenen Morgen, und eine befriedigendere Mahlzeit als ein herzhaftes englisches Frühstück musste erst noch erfunden werden.

Und so übte er sich darin, mit seinem Problem so gut zu leben, wie er konnte. Er hatte es sich angewöhnt, bei seinem Vetter Harry zu frühstücken, teilweise deswegen, weil Harrys Haushälterin eine so hervorragende Morgenmahlzeit auftischte, aber auch, weil sein Vetter inzwischen mit seiner Anwesenheit rechnete. Was bedeutete, dass Sebastian in neun von zehn Fällen tatsächlich auftauchen musste. Was wiederum hieß, dass er es sich nicht mehr erlauben konnte, regelmäßig um halb acht Uhr morgens wegzusacken. Was bedeutete, dass er am folgenden Abend müder als sonst war. Und das wiederum hieß, dass er leichter einschlafen konnte, wenn er ins Bett kroch und die Augen schloss.

Theoretisch.

Nein, das ist nicht gerecht, dachte er. Es war nicht nötig, sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Sein großartiger Plan funktionierte nicht immer, aber manchmal. Er schlief insgesamt etwas besser. Nur eben nicht in dieser Nacht.

Sebastian stand auf, ging zum Fenster und lehnte die Stirn an die Scheibe. Draußen war es kalt, und die Kälte teilte sich ihm durch das Glas mit. Es fühlte sich gut an. Großartig. Ein lebhafter Gefühlseindruck, der ihn an seine Menschlichkeit erinnerte. Ihm war kalt, deswegen musste er am Leben sein. Ihm war kalt, daher brauchte er nicht unbesiegbar zu sein. Ihm war kalt, deswegen …

Er richtete sich auf und stieß angewidert die Luft aus. Ihm war kalt, deswegen war ihm kalt. Mehr war an dieser Sache nicht dran.

Überrascht stellte er fest, dass es nicht regnete. Als er an diesem Abend nach Hause gekommen war, hatte es nach Regen ausgesehen. In seiner Zeit auf dem Kontinent war er recht gut darin geworden, das Wetter vorherzusehen.

Wahrscheinlich würde es bald zu regnen anfangen.

Er trat in die Mitte des Zimmers und gähnte. Vielleicht sollte er ein wenig lesen. Davon wurde er manchmal müde. Natürlich war die Müdigkeit nicht das Problem. Manchmal war er sogar todmüde und konnte trotzdem nicht schlafen. Er schloss die Augen, klopfte sich das Kissen zurecht, und dann …

Nichts.

Er lag einfach da und wartete und wartete. Er versuchte, an nichts zu denken, überzeugt, dass dies der richtige Weg war. Eine leere Leinwand. Ein unbeschriebenes Blatt. Wenn er sich vom absoluten Nichts umfassen ließe, könnte er bestimmt einschlafen. Dessen war er sich sicher.

Aber es funktionierte nicht. Denn immer wenn Sebastian Grey versuchte, sich im Nichts zu verlieren, kamen die Erinnerungen an den Krieg zurück und überfluteten ihn.

Er sah ihn. Spürte ihn. Wieder. All die Dinge, die einmal zu erleben wahrhaftig mehr als einmal genug gewesen waren.

Und so schlug er die Augen auf. Denn alles, was er dann sah, war ein ziemlich gewöhnliches Schlafzimmer mit einem ziemlich gewöhnlichen Bett. Die Decke war grün, die Vorhänge waren golden. Sein Schreibtisch war aus Holz.

Ruhig war es auch. Tagsüber waren die normalen Geräusche der Stadt zu hören, doch nachts wurde es in diesem Viertel fast immer vollkommen ruhig. Eigentlich erstaunlich, wie er die Stille tatsächlich genießen konnte. Dem Wind zu lauschen und vielleicht dem einen oder anderen Vogel, ohne dabei mit einem Ohr auf Schritte zu horchen oder einen Gewehrschuss. Oder Schlimmeres.

Man hätte meinen sollen, dass er in einer derartig glücklichen Stille schlafen würde wie ein Baby.

Er gähnte noch einmal. Vielleicht würde er ein wenig lesen. Er hatte sich diesen Nachmittag ein paar Bücher aus Harrys Sammlung geschnappt. Die Auswahl war nicht besonders groß gewesen. Harry las gern Französisch und Russisch, und auch wenn Sebastian beide Sprachen ebenfalls beherrschte (ihre gemeinsame Großmutter mütterlicherseits hatte darauf bestanden), fiel es ihm nicht so leicht wie Harry. Etwas in einer anderen Sprache als Englisch zu lesen war anstrengend, und Sebastian wollte sich einfach nur unterhalten lassen.

War das denn zu viel verlangt von einem Buch?

Wenn er ein Buch schreiben würde, gäbe es darin viel Aufregung. Es würde ein paar Tote geben, aber nicht allzu viele. Und natürlich würde nie eine der Hauptfiguren sterben. Das wäre zu deprimierend.

Eine Liebesgeschichte sollte es auch geben. Und Gefahr. Gefahr war gut.

Vielleicht auch ein wenig Exotik, aber nicht zu viel. Sebastian hatte das Gefühl, dass die meisten Autoren nicht sorgfältig genug recherchierten. Kürzlich hatte er einen Roman gelesen, der in einem arabischen Harem gespielt hatte. Und so interessant Sebastian die Vorstellung von einem Harem auch fand …

Sehr interessant sogar!

… konnte er sich nicht vorstellen, dass der Autor auch nur irgendeine Einzelheit korrekt geschildert hatte. Sebastian hatte wirklich viel für Abenteuer übrig, aber selbst für ihn war es nicht recht glaubwürdig, dass der couragierten englischen Heldin die Flucht gelang, indem sie eine Schlange aus dem Fenster hängte und sich daran abseilte.

Und dann hatte der Autor noch nicht einmal verraten, um welche Schlange es sich dabei gehandelt hatte.

Wirklich, er könnte das besser.

Wenn er einen Roman schriebe, würde er in England spielen. Schlangen gäbe es keine.

Und der Held wäre bestimmt nicht irgendein schäbiger kleiner Dandy, der sich nur um den Schnitt seiner Westen sorgte. Wenn er ein Buch schriebe, wäre der Held verdammt heldenhaft.

Aber er hätte eine geheimnisvolle Vergangenheit. Damit die Sache interessant blieb.

Eine Heldin würde er auch brauchen. Er mochte Frauen. Er konnte auch über eine schreiben. Wie würde sie heißen? Er würde einen schlichten Namen wählen. Vielleicht Johanna. Nein, das klang zu kriegerisch. Mary? Anne?

Ja, Anne. Anne gefiel ihm. Das klang so hübsch klar. Aber niemand würde Anne zu ihr sagen. Wenn er einen Roman schriebe, wäre seine Heldin wurzellos, ohne Familie. Niemand würde sie mit Vornamen ansprechen. Er brauchte einen guten Nachnamen. Etwas, was leicht auszusprechen war. Etwas Angenehmes.

Sainsbury.

Er hielt inne, probierte den Namen im Geiste aus. Sainsbury. Aus irgendeinem Grund erinnerte ihn das an Käse.

Das war gut. Er mochte Käse.

Anne Sainsbury. Ein guter Name. Anne Sainsbury. Miss Sainsbury. Miss Sainsbury und …

Und was?

Was war mit dem Helden? Sollte er einen Beruf haben? Mit dem Adel kannte Sebastian sich weiß Gott gut genug aus, um das getreue Porträt eines faulen Lords zu zeichnen.

Aber er fand das langweilig. Wenn er einen Roman schriebe, hätte er eine umwerfend gute Geschichte.

Er könnte aus seinem Helden einen Soldaten machen. Damit kannte er sich schließlich aus. Vielleicht ein Major? Miss Sainsbury und der mysteriöse Major?

Lieber Himmel, bloß das nicht. Viel zu viel Alliteration. Selbst er fand das ein wenig affektiert.

Ein General? Nein, Generäle hatten zu viel zu tun. Und außerdem gab es davon nicht besonders viele. Wenn er derart auserlesene Figuren wählte, könnte er gleich noch ein, zwei Herzöge mit ins Spiel bringen.

Wie wäre es mit einem Oberst? Der wäre von hohem Rang, also würde er über Autorität und Macht verfügen. Er konnte einer guten Familie entstammen, Geld haben, aber nicht zu viel. Ein jüngerer Sohn. Jüngere Söhne mussten ihren eigenen Weg gehen.

Miss Sainsbury und der mysteriöse Oberst. Ja, wenn er einen Roman schriebe, wäre das der Titel, den er wählen würde.

Aber er würde ja keinen Roman schreiben. Er gähnte. Wann sollte er die Zeit dafür finden? Er blickte zu seinem kleinen Schreibtisch, auf dem sich außer einer Tasse kalten Tees rein gar nichts befand.

Die Sonne ging schon auf. Er sollte ins Bett zurückkriechen. Vermutlich würde er noch ein paar Stunden schlafen können, ehe er aufstehen musste, um zu Harry zum Frühstück zu gehen.

Er sah zum Fenster, wo das schräge Licht der Dämmerung durch das Glas drang.

Er hielt inne. Das klang gut.

Das schräge Licht der Dämmerung drang durch das Glas.

Nein, das war nicht eindeutig genug. Woher sollte man wissen, ob er nicht womöglich von einem Brandyglas redete?

Das schräge Licht der Dämmerung drang durch die Scheibe.

Viel besser. Aber es fehlte noch ein bisschen.

Das schräge Licht der Dämmerung drang durch die Scheibe und fiel auf Miss Anne Sainsbury, die sich unter ihrer dünnen Decke zusammenrollte und sich wie schon so oft fragte, woher sie das Geld für die nächste Mahlzeit nehmen sollte.

Das war wirklich gut. Selbst er wollte nun wissen, was aus Miss Sainsbury wurde, dabei hatte er sich das alles doch selbst ausgedacht.

Sebastian kaute auf seiner Unterlippe herum. Vielleicht sollte er es aufschreiben. Und ihr einen Hund zur Seite geben.

Er setzte sich an den Schreibtisch. Papier. Er brauchte Papier. Und Tinte. In den Schubladen musste er doch etwas davon haben.

Das schräge Licht der Dämmerung drang durch die Scheibe und fiel auf Miss Anne Sainsbury, die sich unter ihrer dünnen Decke zusammenrollte und sich wie schon so oft fragte, woher sie das Geld für die nächste Mahlzeit nehmen sollte. Sie blickte auf ihren treuen Collie hinab, der brav auf dem Teppich vor dem Bett lag. Die Zeit war gekommen, eine folgenschwere Entscheidung zu treffen. Das Leben ihrer Geschwister stand auf dem Spiel.

Na, sieh einer an. Er hatte einen ganzen Absatz geschrieben. Und das praktisch im Handumdrehen.

Sebastian schaute auf, sah zum Fenster. Das schräge Licht der Dämmerung drang noch immer durch die Scheibe.

Das schräge Licht der Dämmerung drang durch die Scheibe, und Sebastian Grey war glücklich.

1. Kapitel

Mayfair, London

Frühling 1822

»Das Geheimnis einer erfolgreichen Ehe«, salbaderte Lord Vickers, »besteht darin, seiner Frau aus dem Wege zu gehen.«

Normalerweise hätte eine solche Behauptung wenig bis gar nichts mit Miss Annabel Winslows Leben zu tun gehabt, aber es gab zehnerlei Dinge, warum sie Lord Vickers’ Bemerkung schmerzlich traf.

Erstens: Lord Vickers war ihr Großvater mütterlicherseits, was direkt zu zweitens führte: Die fragliche Frau war ihre Großmutter, die drittens kürzlich beschlossen hatte, Annabel aus ihrem glücklichen, ruhigen Leben in Gloucestershire herauszureißen und sie, wie sie es ausdrückte, »herauszuputzen und unter die Haube zu bringen«.

Von ebensolcher Bedeutung war viertens: Lord Vickers hatte seine Bemerkung an Lord Newbury gerichtet, der fünftens schon einmal verheiratet gewesen war, anscheinend auch erfolgreich, dessen Frau jedoch sechstens gestorben war, sodass er nun verwitwet war. Siebtens war sein Sohn im Vorjahr ebenfalls gestorben, und zwar ohne seinerseits einen Sohn gezeugt zu haben.

Was bedeutete, dass Lord Newbury siebtens nach einer neuen Frau suchte und achtens befand, eine Verbindung mit den Vickers sei genau das Richtige für ihn. Neuntens hatte er ein Auge auf Annabel geworfen, weil sie zehntens breite Hüften hatte.

Oh, verflixt. Hatte sie Punkt sieben tatsächlich zweimal aufgeführt?

Annabel seufzte, das Äußerste, was ihr an Unmutsbezeugung erlaubt war. Eigentlich spielte es keine Rolle, ob sie nun elf oder zehn Punkte aufgezählt hatte. Ihre Hüften waren ihre Hüften, und Lord Newbury entschied gerade, ob sein nächster Erbe neun Monate von ihnen umschlossen sein sollte.

»Die Älteste, von acht Kindern, sagen Sie«, murmelte Lord Newbury soeben und betrachtete sie nachdenklich.

Nachdenklich? Das war wohl kaum das richtige Adjektiv. Er sah aus, als wollte er sich jeden Augenblick die Lippen lecken.

Leicht angewidert sah Annabel zu ihrer Cousine Lady Louisa McCann hinüber. Louisa war zu einem nachmittäglichen Besuch gekommen, und vor Lord Newburys unerwartetem Erscheinen hatten sich die beiden jungen Frauen prächtig miteinander amüsiert. Louisas Miene war ruhig und gelassen, wie immer, wenn sie in Gesellschaft war, doch Annabel sah, wie ihre Augen sich vor Mitgefühl weiteten.

Wenn schon Louisa, deren Manieren und Haltung immer korrekt waren, egal zu welchem Anlass, ihren Schrecken nicht verbergen konnte, dann stand Annabel tatsächlich Schlimmes bevor.

»Und«, erklärte Lord Vickers soeben voll Stolz, »jedes von ihnen kam kräftig und gesund zur Welt.« Er hob das Glas in stillem Tribut an seine älteste Tochter, die fruchtbare Frances Vickers Winslow. Annabel kam nicht umhin, sich daran zu erinnern, dass er ihre Mutter normalerweise nur »einen Dummkopf, verheiratet mit diesem verdammten Dummkopf« nannte.

Lord Vickers war nicht erfreut gewesen, als seine Tochter einen Landedelmann von beschränkten Mitteln geehelicht hatte. Soweit Annabel wusste, hatte er diese Meinung nie infrage gestellt.

Louisas Mutter hingegen hatte den jüngeren Sohn des Duke of Fenniwick geheiratet, und das gerade einmal drei Monate bevor der ältere Sohn sich bei einem unglücklichen Sprung auf einem schlecht trainierten Pferd den edlen Hals gebrochen hatte. Es war, wie Lord Vickers es ausgedrückt hatte, »verdammt günstig gewesen«.

Für Louisas Mutter, meinte er damit, nicht für den toten Erben. Oder das Pferd.

Es war nicht weiter überraschend, dass sich Annabels und Louisas Wege vor diesem Frühling nur selten gekreuzt hatten. Die Winslows, eingepfercht mit ihrer zahlreichen Nachkommenschaft in einem viel zu kleinen Haus, hatten wenig gemeinsam mit den McCanns, die, wenn sie nicht in ihrem Londoner Prachthaus weilten, in einem uralten Schloss jenseits der schottischen Grenze residierten.

»Annabels Vater hatte neun Geschwister«, sagte Lord Vickers.

Annabel wandte den Kopf und betrachtete ihn aufmerksam. So nahe war ihr Großvater einem Kompliment an ihren Vater, er ruhe in Frieden, noch nie gekommen.

»Wirklich?«, meinte Lord Newbury und betrachtete Annabel funkelnden Auges. Annabel biss sich auf die Lippen, verschränkte die Hände im Schoß und überlegte, was sie wohl tun könnte, um einen unfruchtbaren Eindruck zu erwecken.

»Und wir haben ja auch sieben«, sagte Lord Vickers und winkte mit jener Art bescheidener Geste ab, die alles andere als Bescheidenheit signalisierte.

»Dann sind Sie Lady Vickers wohl nicht immer aus dem Weg gegangen, was?«, kommentierte Lord Newbury und ließ ein anzügliches Kichern hören.

Annabel schluckte. Wenn Lord Newbury kicherte oder sich überhaupt bewegte, wackelten und bebten seine Kinnbacken auf sehr unschöne Weise. Es erinnerte sie an die Kalbsfußsülze, die ihre Haushälterin ihr immer aufdrängte, wenn sie krank war. Wirklich, es konnte einer jungen Frau dabei schier den Appetit verderben.

Sie überlegte, wie lange man wohl ohne Nahrung auskommen müsste, bis die Hüften so schmal geworden waren, dass sie nicht mehr als gebärfähig angesehen wurden.

»Denken Sie darüber nach«, sagte Lord Vickers und klopfte seinem alten Bekannten leutselig auf die Schulter.

»Oh, ich denke darüber nach«, erwiderte Lord Newbury. Er drehte sich zu Annabel um; seine hellblauen Augen glitzerten interessiert. »Ich denke definitiv darüber nach.«

»Das Nachdenken wird überschätzt«, erklärte Lady Vickers. Sie hob ihr Glas mit Sherry, prostete unbestimmt in den Raum und trank es aus.

»Hab ganz vergessen, dass Sie auch da sind, Margaret«, sagte Lord Newbury.

»Ich vergesse das nie«, brummte Lord Vickers.

»Das gilt natürlich nur für Gentlemen«, fuhr Lady Vickers fort und hielt ihr Glas in die Runde, damit einer der Herren, egal welcher, es auffüllen konnte. »Eine Dame muss ständig nachdenken.«

»In diesem Punkt stimme ich Ihnen nicht zu«, sagte Newbury. »Meine Margaret hat ihre Gedanken für sich behalten. Wir hatten eine großartige Ehe.«

»Ist Ihnen aus dem Weg gegangen, was?«, meinte Lord Vickers.

»Wie gesagt, eine großartige Ehe.«

Annabel blickte zu Louisa, die züchtig neben ihr saß. Ihre Cousine war ein schmächtiges Ding, mit schmalen Schultern, hellbraunem Haar und hellgrünen Augen. Neben ihr wirkte sie selbst immer ein wenig wie ein Ungeheuer, fand Annabel. Ihr eigenes Haar war dunkel und wellig, ihr Teint bräunte, wenn sie sich zu lang in der Sonne aufhielt, und ihre Figur zog seit ihrem zwölften Lebensjahr unwillkommene Aufmerksamkeit auf sich.

Aber niemals – wirklich niemals – war ihr die Aufmerksamkeit derart unwillkommen gewesen als in diesem Augenblick, wo Lord Newbury sie anstarrte, als wäre sie zuckersüßes Naschwerk.

Annabel saß ganz still da, versuchte, sich ein Beispiel an Louisa zu nehmen und sich nicht anmerken zu lassen, was sie dachte. Ihre Großmutter schalt sie ständig dafür, dass ihre Miene zu ausdrucksvoll sei. »Um Himmels willen«, lautete ein vertrauter Refrain, »hör auf, so zu lächeln, als wüsstest du etwas. Die Herren wollen keine Dame, die weiß, wie es läuft. Zumindest nicht als Ehefrau.«

An diesem Punkt nahm Lady Vickers gern ein alkoholisches Getränk zu sich und fügte hinzu: »Wenn du erst einmal verheiratet bist, kannst du jede Menge Dinge am Laufen haben. Vorzugsweise mit einem Mann, der nicht dein Ehemann ist.«

Falls Annabel nicht schon gewusst hatte, wie die Dinge liefen, so wusste sie es jetzt. Zum Beispiel, dass mindestens drei der Vickers-Abkömmlinge vermutlich keine Vickers waren. Ihre Großmutter, ging Annabel allmählich auf, besaß nicht nur ein bemerkenswert blasphemisches Vokabular, sondern auch eine etwas großzügige Einstellung zur Moral.

Gloucestershire kam ihr wie ein Traum vor. Alles in London war so … glänzend. Das war natürlich nicht wörtlich zu nehmen. In Wirklichkeit war in London alles grau, von einer dünnen Schicht Schmutz und Ruß überzogen. Annabel war sich nicht ganz sicher, warum sie dennoch auf »glänzend« gekommen war. Vielleicht weil nichts einfach schien. Oder unkompliziert. Sondern eher abweisend und spiegelglatt.

Plötzlich sehnte sie sich nach einem großen Glas Milch, als könnte etwas so Frisches und Bekömmliches ihr inneres Gleichgewicht wiederherstellen. Eigentlich hielt sie sich nicht für sittsam, schließlich war sie die Winslow, die am ehesten in der Kirche einschlief, aber jeder neue Tag in der Hauptstadt brachte ein weiteres schockierendes Ereignis mit sich, einen weiteren Anlass, verwirrt und mit offenem Mund dazustehen.

Sie war nun seit einem Monat in London. Seit einem Monat! Und immer noch hatte sie das Gefühl, sich auf Zehenspitzen bewegen zu müssen, war sich nie sicher, ob das, was sie sagte oder tat, auch richtig war.

Das war ihr zutiefst zuwider.

Zu Hause war sie sich sicher. Zwar lag sie nicht immer richtig, aber sie war sich beinahe immer sicher. In London herrschten andere Regeln. Und, schlimmer noch, jeder kannte jeden. Und wenn nicht, dann wussten sie zumindest voneinander. Es war, als teilte der gesamte ton eine geheime Geschichte, in die Annabel nicht eingeweiht war. In jedem Gespräch schwang ein gewisser Unterton mit, eine tiefere, unausgesprochene Bedeutung. Und Annabel, die nicht nur diejenige der Winslows war, die am ehesten in der Kirche einschlief, sondern auch diejenige, die am ehesten freimütig sagte, was sie dachte, wagte nicht, etwas zu sagen, aus Angst, Anstoß zu erregen.

Oder sich in Verlegenheit zu bringen.

Oder jemand anderen in Verlegenheit zu bringen.

Sie ertrug es nicht. Sie konnte die Vorstellung einfach nicht ertragen, dass sie ihrem Großvater irgendwie Nahrung für die Ansicht geben könnte, dass ihre Mutter in der Tat ein Dummkopf, ihr Vater ein verdammter Dummkopf und sie selbst der allergrößte Dummkopf von allen war.

Es gab Aberhundert Möglichkeiten, sich zu blamieren, jeden Tag boten sich neue Gelegenheiten dazu. Es war anstrengend, sie alle zu umgehen.

Annabel stand auf und knickste, als der Earl of Newbury sich verabschiedete, und gab sich Mühe, nicht darauf zu achten, wie er ihr in den Ausschnitt stierte. Ihr Großvater begleitete ihn hinaus; sie blieb mit Louisa, ihrer Großmutter und einer Karaffe Sherry zurück.

»Da wird sich deine Mutter aber freuen«, verkündete Lady Vickers.

»Worüber denn, Großmutter?«, erkundigte sich Annabel.

Die alte Dame warf ihr einen ziemlich ermatteten Blick zu, gewürzt mit einer Prise Ungläubigkeit und einer Spur ennui. »Über den Earl. Als ich mich damals bereit erklärte, dich aufzunehmen, habe ich mir nicht träumen lassen, dass wir etwas Besseres als einen Baron an Land ziehen könnten. Was für ein Glück für dich, dass er wirklich verzweifelt ist.«

Annabel lächelte ironisch. Wie reizend, ein Objekt der Verzweiflung zu sein.

»Sherry?«, bot ihre Großmutter an.

Annabel schüttelte den Kopf.

»Louisa?« Lady Vickers nickte zu ihrer anderen Enkelin hinüber, die sofort abwehrend den Kopf schüttelte.

»Viel macht er nicht her, das stimmt schon«, meinte Lady Vickers. »Aber in seiner Jugend sah er ziemlich gut aus. Deine Kinder werden also nicht hässlich sein.«

»Wie nett«, sagte Annabel schwach.

»Einige meiner Freundinnen hatten es auf ihn abgesehen, aber er hatte ein Auge auf Margaret Kitson geworfen.«

»Deine Freundinnen«, murmelte Annabel. Ein paar Altersgenossinnen ihrer Großmutter hatten Lord Newbury heiraten wollen. Die Altersgenossinnen ihrer Großmutter hatten den Mann heiraten wollen, der höchstwahrscheinlich nun sie heiraten wollte.

Du lieber Himmel.

»Bald ist er ja tot«, fuhr ihre Großmutter fort. »Mehr kann man nicht verlangen.«

»Ich glaube, nun nehme ich doch einen Sherry«, kündigte Annabel an.

»Annabel«, protestierte Louisa entsetzt und warf ihrer Cousine einen fassungslosen Blick zu.

Lady Vickers nickte beifällig und goss ihr ein Glas ein. »Verrat es aber nicht deinem Großvater«, mahnte sie und reichte ihr das Glas. »Er hält nichts davon, wenn Damen unter dreißig zu geistigen Getränken greifen.«

Annabel nahm einen großen Schluck. Heiß rann er ihr die Kehle hinab, doch aus irgendeinem Grund brachte sie das nicht zum Husten. Zu Hause hatte sie nie Sherry bekommen, zumindest nicht vor dem Abendessen. Aber hier und jetzt brauchte sie ein wenig Stärkung.

»Lady Vickers«, ertönte die Stimme des Butlers, »Sie hatten mich gebeten, Sie daran zu erinnern, wenn es Zeit wird, zu Mrs. Marstons Zusammenkunft aufzubrechen.«

»Ach ja«, sagte Lady Vickers und kam stöhnend auf die Füße. »Eine schrecklich langweilige alte Schwätzerin, aber man tafelt bei ihr immer vortrefflich.«

Annabel und Louisa standen auf, als ihre Großmutter hinausging. Sobald sie draußen war, sanken sie wieder auf ihren Platz zurück, und Louisa fragte: »Was ist passiert, während ich weg war?«

Annabel seufzte schwach. »Ich nehme an, du meinst Lord Newbury?«

»Ich war nur vier Tage in Brighton.« Louisa warf einen raschen Blick zur Tür, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war, und fuhr dann in dringlichem Flüsterton fort: »Und jetzt will er dich heiraten

»Direkt gesagt hat er es noch nicht«, erwiderte Annabel, was eher ein frommer Wunsch war als die Wahrheit. Den Aufmerksamkeiten nach zu urteilen, die Lord Newbury ihr in diesen vier Tagen erwiesen hatte, würde er Ende der Woche nach Canterbury aufbrechen, um sich dort eine Sondergenehmigung zu holen.

»Kennst du seine Geschichte?«, fragte Louisa.

»Ich glaube schon«, erwiderte Annabel. »Teilweise zumindest.«

Gewiss nicht so gut wie Louisa. Louisa war in ihrer zweiten Saison, und vor allem war sie in diese Welt hineingeboren. In Annabels Stammbaum mochte zwar ein Großvater vertreten sein, der Viscount war, aber sie war durch und durch Tochter eines Landedelmannes. Louisa hingegen hatte jeden Frühling und Sommer ihres Lebens in London verbracht. Ihre Mutter – Annabels Tante Joan – war vor einigen Jahren gestorben, doch der Duke of Fenniwick hatte mehrere Schwestern, die alle eine führende Rolle in der Gesellschaft spielten. Louisa mochte schüchtern sein und die Letzte, von der man erwarten würde, dass sie Klatsch verbreitete, aber sie wusste einfach alles.

»Er braucht dringend eine Frau«, sagte Louisa.

Annabel zuckte mit den Schultern, selbstkritisch, wie sie hoffte. »Ich brauche ja auch dringend einen Mann.«

»So dringend wohl nicht.«

Annabel widersprach nicht, doch sie wusste, wenn sie sich nicht bald gut verheiratete, war nicht abzusehen, was aus ihrer Familie würde. Reich waren sie nie gewesen, aber zu Lebzeiten ihres Vaters waren sie immer zurechtgekommen. Sie war sich nicht sicher, wie sie es sich hatten leisten können, alle vier Brüder aufs Internat zu schicken, doch sie waren alle in Eton, um dort standesgemäß erzogen zu werden, genau, wie es sein sollte. Annabel wollte nicht schuld daran sein, dass sie das Internat verlassen mussten.

»Seine Frau starb vor einigen Jahren, wann genau, weiß ich nicht«, fuhr Louisa fort. »Aber das hatte nichts zu bedeuten, da er bereits einen vollkommen gesunden Sohn hatte. Und dieser Sohn hatte wiederum zwei Töchter, was bewies, dass die Frau nicht unfruchtbar war.«

Annabel nickte und fragte sich, warum immer die Frau diejenige sein sollte, die unfruchtbar war. Konnte ein Mann nicht auch zeugungsunfähig sein?

»Doch dann starb sein Sohn. An einem Fieber, glaube ich.«

Diesen Teil kannte Annabel bereits, doch war sie sicher, dass Louisa mehr als sie wusste, und so fragte sie: »Hat er denn keinen anderen Erben? Es muss schließlich irgendwo einen Bruder oder Vetter geben.«

»Er hat einen Neffen«, erklärte Louisa. »Sebastian Grey. Aber Lord Newbury hasst ihn.«

»Warum?«

»Weiß ich nicht«, meinte Louisa und zuckte mit den Schultern. »Keiner weiß, warum. Vielleicht Eifersucht? Mr. Grey ist furchtbar attraktiv. Die Frauen liegen ihm alle zu Füßen.«

»Das würde ich ja zu gern sehen«, murmelte Annabel und stellte sich die Szene bildlich vor. Sie hatte einen blonden Adonis vor Augen, dessen Weste sich über einer breiten, muskulösen Brust spannte, während er durch ein Meer bewusstloser Frauen watete. Am besten wäre es, wenn ein paar von ihnen noch halbwegs bei Sinnen wären, ihn am Bein zupften, bis er das Gleichgewicht verlor …

»Annabel!«

Annabel nahm sofort Haltung an. Louisa hatte sich mit ungewohnter Dringlichkeit an sie gewandt, da täte sie gut daran, zuzuhören.

»Annabel, das hier ist wichtig«, sagte Louisa.

Annabel nickte. Ein ungewohntes Gefühl überkam sie – vielleicht Dankbarkeit, Liebe gewiss. Sie hatte ihre Cousine gerade erst kennengelernt, doch sie waren einander bereits in tiefer Zuneigung verbunden. Louisa würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um Annabel vor einer unglücklichen Ehe zu bewahren.

Leider war Louisas Macht in diesem Fall beschränkt. Und sie konnte nicht nachvollziehen, wie sehr man als älteste Tochter einer verarmten Familie unter Druck stand.

»Hör zu«, bat Louisa. »Lord Newbury verlor seinen Sohn vor etwa einem Jahr. Und er hat angefangen, sich nach einer neuen Frau umzusehen, als sein Sohn noch nicht einmal ganz kalt war.«

»Hätte er dann inzwischen nicht schon fündig geworden sein müssen?«

Louisa schüttelte den Kopf. »Er hätte beinahe Mariel Willingham geheiratet.«

»Wen?« Annabel blinzelte und versuchte, den Namen einzuordnen.

»Genau. Du hast nie von ihr gehört. Sie ist tot.«

Annabel hob die Augenbrauen. Für eine derart tragische Nachricht zeigte sich ihre Cousine bemerkenswert emotionslos.

»Zwei Tage vor der Hochzeit bekam sie eine Erkältung.«

»Sie ist in nur zwei Tagen gestorben?«, fragte Annabel. Die Frage war ziemlich morbid, aber, nun ja, sie wollte es einfach wissen.

»Nein. Lord Newbury bestand darauf, die Zeremonie zu verschieben. Er sagte, es sei nur zu ihrem Besten, sie wäre zu krank, um vor den Traualtar zu treten, aber jeder wusste, dass er sich nur vergewissern wollte, ob sie gesund genug war, ihm einen Sohn zu schenken.«

»Und dann?«

»Nun ja, dann ist sie tatsächlich gestorben. An die vierzehn Tage hat es gedauert. Es war wirklich sehr traurig; sie war immer nett zu mir.« Louisa schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Lord Newbury war nur knapp davongekommen. Wenn er sie geheiratet hätte, hätte er Trauer tragen müssen. Es war ohnehin schon skandalös, wie schnell er nach dem Tod seines Sohnes auf Brautschau ging. Wenn Miss Willingham nicht bereits vor der Hochzeit gestorben wäre, hätte er ein weiteres Jahr Trauer tragen müssen.«

»Wie lang hat er denn abgewartet, ehe er sich auf die Suche nach einer anderen machte?«, fragte Annabel und fürchtete sich gleichzeitig vor der Antwort.

»Nicht länger als zwei Wochen. Ehrlich, wahrscheinlich hätte er nicht mal so lang gewartet, wenn er geglaubt hätte, damit durchzukommen.« Louisa sah sich im Raum um. Ihr Blick fiel auf Annabels Sherry. »Ich brauche Tee«, sagte sie.

Annabel erhob sich und betätigte den Klingelzug; sie wollte nicht, dass Louisa sich beim Erzählen unterbrach.

»Nach seiner Rückkehr nach London«, sagte Louisa, »begann er, Lady Frances Sefton den Hof zu machen.«

»Sefton«, murmelte Annabel. Sie hatte den Namen schon gehört, konnte ihn aber nicht recht zuordnen.

»Ja«, erklärte Louisa eifrig. »Genau. Ihr Vater ist der Earl of Brompton.« Sie beugte sich vor. »Lady Frances ist das dritte von neun Kindern.«

»Ach herrje.«

»Miss Willingham war die Älteste von vier, aber sie …« Louisa unterbrach sich, offenbar wusste sie nicht recht, wie sie es ausdrücken sollte.

»Hatte eine Figur wie ich?«, schlug Annabel vor.

Louisa nickte grimmig.

Annabel verzog ironisch das Gesicht. »Dich hat er vermutlich kein zweites Mal angesehen.«

Louisa sah an sich herunter, an ihrer schmächtigen Gestalt. »Nein, nie.« Und fügte mit untypisch gotteslästerlicher Heftigkeit hinzu: »Gott sei Dank.«

»Was ist mit Lady Frances passiert?«, fragte Annabel.

»Sie ist durchgebrannt. Mit einem Lakaien

»Lieber Himmel. Sicher war sie schon die ganze Zeit in ihn verliebt, meinst du nicht auch? Man würde doch nicht mit einem Lakaien durchbrennen, um eine Ehe mit einem Earl zu umgehen.«

»Glaubst du nicht?«

»Nein«, bekräftigte Annabel. »Das ist doch nicht vorteilhaft.«

»Kommt darauf an, was man unter einem Vorteil versteht. Vermutlich hielt sie es nicht für sehr vorteilhaft, eine Ehe mit einem so … einem so …«

»Ich flehe dich an, sprich es nicht aus.«

Louisa tat ihr netterweise den Gefallen.

»Wenn man einer Ehe mit Lord Newbury aus dem Weg gehen möchte«, fuhr Annabel fort, »gibt es doch sicher bessere Möglichkeiten, als einen Lakaien zu heiraten. Es sei denn, sie wäre in den Lakaien verliebt gewesen. Das ändert alles.«

»Nun, so oder so, es macht ja keinen Unterschied. Sie ist nach Schottland davongelaufen, und seither hat keiner mehr von ihr gehört. Inzwischen war die Saison jedoch vorüber. Ich bin mir sicher, dass Lord Newbury seither nach einer Frau Ausschau hält, aber während der Saison, wenn alle Welt beisammen ist, ist es bestimmt einfacher. Außerdem«, fügte Louisa gleichsam als nachträglichen Einfall hinzu, »hätte ich kaum davon gehört, wenn er einer anderen Dame den Hof gemacht hätte. Er wohnt in Hampshire.«

Während Louisa den ganzen Winter frierend auf ihrem Schloss in Schottland verbracht hatte.

»Und jetzt ist er wieder da«, stellte Annabel fest.

»Ja, und da er jetzt ein ganzes Jahr verloren hat, wird er wohl keine Zeit mehr verschwenden wollen.« Louisa betrachtete sie mit einer schrecklichen Miene – teils mitleidig, teils resigniert. »Wenn er sich für dich interessiert, wird er kaum Zeit dafür übrig haben, dir den Hof zu machen.«

Annabel wusste, dass das stimmte, und sie wusste auch, dass es sich für sie sehr schwierig gestalten würde, Lord Newbury abzuweisen, falls er ihr einen Antrag machte. Ihre Großeltern hatten ihr bereits zu verstehen gegeben, dass sie diese Ehe unterstützten. Ihre Mutter hätte ihr erlaubt, Lord Newbury einen Korb zu geben, doch ihre Mutter war beinahe hundert Meilen von ihr entfernt. Und Annabel wusste genau, welchen Ausdruck sie in den Augen ihrer Mutter sehen würde, während sie ihr versicherte, sie brauchte den Earl nicht zu heiraten.

Sie würde Liebe dort entdecken, aber auch Sorge. Das Gesicht ihrer Mutter war in letzter Zeit immer sorgenvoll. In dem Jahr, nachdem ihr Vater gestorben war, hatte sich dort meist Kummer gezeigt, doch nun malten sich dort nur noch Sorgen. Annabel neigte zu der Ansicht, dass ihre Mutter sich so große Sorgen machte, wie sie ihre Familie durchbringen sollte, dass für Kummer einfach kein Raum mehr war.

Falls Lord Newbury sie tatsächlich zu heiraten beabsichtigte, würde er ihrer Familie genug finanzielle Unterstützung bieten, um die Last von den Schultern ihrer Mutter zu nehmen. Er könnte für den Internatsaufenthalt ihrer Brüder aufkommen. Und ihre Schwestern mit einer Mitgift versorgen.

Annabel würde einer Ehe erst dann zustimmen, wenn er sich dazu bereit erklärt hatte. Schriftlich.

Aber sie tat den zweiten Schritt vor dem ersten. Bisher hatte er noch gar nicht um ihre Hand angehalten. Und sie hatte noch gar nicht entschieden, ob sie Ja sagen würde. Oder?

2. Kapitel

Am darauffolgenden Morgen

»Newbury hat eine Neue ins Auge gefasst.«

Sebastian öffnete ein Auge und linste zu seinem Vetter Edward, der ihm gegenübersaß und irgendeine teigartige Substanz aß, die sogar von der anderen Seite des Zimmers widerwärtig stank. Ihm dröhnte der Schädel – zu viel Champagner am Abend davor –, und außerdem hatte ihm der Raum dunkel besser gefallen.

Er schloss das Auge.

»Ich glaube, diesmal ist es ernst«, sagte Edward.

»Die letzten drei Male war es auch ernst«, erwiderte Sebastian, ohne sich die Mühe zu machen, ein Auge zu öffnen, geschweige denn beide.

»Hmm, ja«, ertönte Edwards Stimme. »Pech für ihn. Die eine gestorben, die Nächste durchgebrannt, und was war noch mal mit der Dritten?«

»Ist schwanger am Traualtar aufgetaucht.«

Edward lachte. »Vielleicht hätte er die nehmen sollen. Wenigstens konnte er sich bei ihr sicher sein, dass sie fruchtbar ist.«

»Sogar ich, könnte ich mir vorstellen«, begann Sebastian und wälzte sich auf dem Sofa herum, um seine langen Beine besser unterbringen zu können, »wäre dem Bastard eines anderen Mannes vorzuziehen.« Er gab den Versuch auf, es sich bequem zu machen, hievte die Beine über die Armlehne und ließ sie nach unten baumeln. »Auch wenn das schwer vorstellbar ist.«

Er dachte ein paar Augenblicke über seinen Onkel nach und versuchte dann, ihn aus seinen Gedanken zu verbannen. Der Earl of Newbury versetzte ihn immer in schlechte Laune, und sein Kopf tat ihm auch so schon weh genug. Sie hatten sich nie vertragen, sein Onkel und er, aber bis zum Tod von Sebastians Vetter Geoffrey vor eineinhalb Jahren hatte das keine große Rolle gespielt. Sobald klar war, dass Geoffreys Witwe nicht schwanger und Sebastian der zukünftige Erbe des Earltums war, begab sich Newbury eilends zur Brautschau nach London. Eher wolle er sterben, so erklärte er, als Sebastian alles erben zu lassen.

Der dieser Bemerkung innewohnende logische Haken war dem Earl anscheinend nicht aufgefallen.

Und so fand Sebastian sich in einer merkwürdigen und unsicheren Lage. Falls der Earl eine Frau fand und mit ihr einen weiteren Sohn zeugte – und dazu gab er sich weiß Gott alle Mühe –, dann war Sebastian nichts als ein fashionabler Gentleman ohne Titel, wie es sie in London zuhauf gab. Falls es Newbury allerdings nicht gelang, für Nachwuchs zu sorgen, oder er, schlimmer noch, nur Töchter zustande brachte, würde Sebastian vier Häuser erben, jede Menge Geld und das achtälteste Earltum des Landes.

All das hieß, dass niemand recht wusste, wie man sich ihm gegenüber verhalten sollte. War er die beste Partie auf dem gesamten Heiratsmarkt oder nur einer von vielen Glücksrittern? Man konnte es einfach nicht wissen.

Es war wirklich zu amüsant. Zumindest für Sebastian.

Niemand wollte darauf setzen, dass er nicht der nächste Earl wurde, und so wurde er überallhin eingeladen – ein günstiger Umstand für einen Mann, der gutes Essen, gute Musik und gute Gespräche zu schätzen wusste. Die Debütantinnen flatterten um ihn herum und sorgten für jede Menge Unterhaltung. Und was die reiferen Damen anging, diejenigen, die ihrem Vergnügen nachgehen konnten, wann und mit wem sie wollten …

Nun, ziemlich oft wollten sie das mit ihm. Dass er gut aussah, war vorteilhaft. Dass er ein hervorragender Liebhaber war, war köstlich. Dass er eventuell der nächste Earl of Newbury war …

Das machte ihn unwiderstehlich.

Im Moment jedoch, bei den Kopfschmerzen und der leisen Übelkeit, die ihn plagten, fühlte er sich alles andere als unwiderstehlich. Beziehungsweise würde er widerstehen, und zwar jeder Versuchung. Selbst wenn Aphrodite höchstpersönlich von der Decke geschwebt käme, auf ihrer Muschel und bis auf ein paar strategisch platzierte Blumen splitterfasernackt, hätte er ihr höchstwahrscheinlich nur vor die Füße gespien.

Nein, nein, sie hätte ganz nackt sein müssen. Wenn er schon die Existenz einer Göttin beweisen würde, hier in diesem Zimmer, konnte er schon verlangen, dass sie nackt wäre. Das wäre ja wohl das Mindeste.

Allerdings hätte er ihr wohl auch dann vor die Füße gespien.

Er gähnte, verlagerte das Gewicht ein Stück auf die linke Hüfte. Er fragte sich, ob er wohl einschlafen würde. Die Nacht davor hatte er nicht gut geschlafen (wegen des Champagners), die Nacht davor auch nicht (aus keinem speziellen Grund), und das Sofa seines Vetters eignete sich genauso gut wie jeder andere Ort. Im Zimmer war es nicht sehr hell, vorausgesetzt, er hielt die Augen geschlossen, und bis auf Edwards Kaugeräusche war alles still.

Die Kaugeräusche.

Bemerkenswert, wie laut sie waren, jetzt, wo er darauf aufmerksam geworden war.

Vom Gestank ganz zu schweigen. Fleischpastete. Wer aß denn Fleischpastete, wenn er bei jemandem in seinem Zustand saß?

Sebastian stöhnte auf.

»Wie bitte?«, fragte Edward.

»Dein Essen«, knurrte Sebastian.

»Möchtest du auch etwas?«

»Himmel, nein.«

Sebastian hatte die Augen immer noch geschlossen, konnte aber praktisch hören, wie sein Vetter mit den Schultern zuckte. An diesem Morgen würde anscheinend keinerlei zärtliche Rücksichtnahme auf ihn verschwendet werden.

Newbury hatte es also auf eine neue Zuchtstute abgesehen. Eigentlich sollte ihn das nicht überraschen. Nun ja, er war ja auch nicht überrascht. Es war nur …

Es war nur …

Ach, zum Teufel. Er wusste nicht, was es war. Nichts war es jedenfalls nicht.

»Wer ist es denn diesmal?«, erkundigte er sich, schließlich war es nicht so, als interessierte ihn die Sache überhaupt nicht.

Edward hielt kurz inne, vermutlich, um herunterzuschlucken, und sagte dann: »Vickers’ Enkelin.«

Sebastian ließ sich das durch den Kopf gehen. Lord Vickers hatte mehrere Enkelinnen. Was nicht verwunderlich war, schließlich hatte er mit Lady Vickers ungefähr fünfzehn Kinder. »Na, schön für sie«, brummte er.

»Hast du sie schon mal gesehen?«, fragte Edward.

»Du etwa?«, gab Sebastian zurück. Bei seiner Ankunft in London war die Saison schon weit fortgeschritten gewesen. Wenn das Mädchen dieses Jahr neu war, würde er es nicht kennen.

»Sie stammt vom Land, habe ich gehört, und ist so fruchtbar, dass die Vögel zu singen anfangen, wenn sie kommt.«

Das öffnete ihm dann doch die Augen. Alle beide. »Die Vögel«, wiederholte Sebastian ausdruckslos. »Tatsächlich.«

»Ich fand die Formulierung geistreich«, erklärte Edward eine Spur defensiv.

Mit leisem Stöhnen richtete Sebastian sich auf. Beinahe hätte er eine sitzende Position erreicht. »Wenn die junge Dame von so blütenreiner Unschuld ist, wie Newbury es sicher fordert, wie will er dann ihre Fruchtbarkeit beurteilen?«

Edward zuckte mit den Schultern. »Man sieht es einfach. Ihre Hüften …« Seine Hände beschrieben eine merkwürdige Bahn in der Luft, sein Blick wurde glasig. »Und ihre Brüste …« Bei dieser Bemerkung begann er förmlich zu zittern. Sebastian wäre nicht überrascht gewesen, wenn der arme Kerl angefangen hätte zu sabbern.

»Reiß dich zusammen, Edward«, mahnte Sebastian. »Du sitzt auf Olivias frisch gepolstertem Sofa, wenn ich dich daran erinnern dürfte.«

Edward warf ihm einen gereizten Blick zu und widmete sich wieder dem Essen auf seinem Teller. Sie saßen in Sir Harrys und Lady Olivia Valentines Salon. Die beiden Herren waren oft dort anzutreffen. Edward war Harrys Bruder und lebte im Haus. Sebastian hatte zum Frühstück vorbeigeschaut. Harrys Köchin hatte kürzlich ihr Rezept für pochierte Eier verändert, und das Ergebnis war einfach köstlich. (Vermutlich mehr Butter, glaubte Sebastian; alles schmeckte besser, wenn man mehr Butter verwendete.) In der letzten Woche hatte er in der Casa de Valentine kein einziges Frühstück ausgelassen.

Außerdem mochte er die Gesellschaft dort.

Harry und Olivia – die im Übrigen keineswegs Spanier waren, Sebastian sagte einfach gern »La Casa de Valentine« – waren für vierzehn Tage aufs Land gefahren, vermutlich ein Versuch, Sebastian und Edward aus dem Weg zu gehen. Die beiden Männer waren sofort wieder in ihren Junggesellenschlendrian verfallen, schliefen bis mittags, ließen sich den Lunch im Salon servieren und hängten im zweitbesten Gästezimmer eine Wurfscheibe an die Tür.

Sebastian lag augenblicklich vorn, es stand vierzehn zu drei Runden.

Eigentlich sogar sechzehn zu eins. Doch im Verlauf ihres Turniers hatte er Mitleid mit Edward bekommen, und außerdem hatte es die Sache interessanter gestaltet. Es war schwieriger, überzeugend zu verlieren, als einfach nur zu gewinnen. Aber es war ihm gelungen. Edward hatte keinen Verdacht geschöpft.

Die achtzehnte Runde sollte an diesem Abend stattfinden. Sebastian würde natürlich kommen. Eigentlich fühlte es sich fast schon so an, als wäre er dort eingezogen. Er sagte sich, dass irgendwer den jungen Edward ja wohl im Auge behalten müsse, aber in Wahrheit …

Sebastian schüttelte den Kopf. Das war genug an Wahrheit.

Er gähnte. Himmel, war er müde. Er wusste nicht, warum er am Abend davor so viel getrunken hatte. Das hatte er schon seit Ewigkeiten nicht mehr getan. Aber er war früh zu Bett gegangen, und dann hatte er nicht einschlafen können, worauf er wieder aufgestanden war, doch dann hatte er nicht schreiben können, weil …

Es gab keinen Grund. Das hatte ihn ziemlich irritiert. Er hatte einfach nicht schreiben können. Die Worte hatten sich nicht einstellen wollen, obwohl er seine arme Heldin versteckt unter einem Bett zurückgelassen hatte. Während der Held im Bett lag. Das war seine bisher gewagteste Szene. Man hätte eigentlich meinen sollen, dass es ihm leichtfallen würde, schon allein deswegen, weil es etwas Neues war.

Aber nein. Miss Spencer lag immer noch unter dem Bett, ihr Schotte immer noch darauf, und Sebastian war dem Ende des zwölften Kapitels nicht näher gekommen, als er schon letzte Woche war.

Nachdem er zwei Stunden an seinem Schreibtisch gesessen und auf ein leeres Stück Papier gestarrt hatte, musste er schließlich aufgeben. Er konnte nicht schlafen, er konnte nicht schreiben, und so war er, hauptsächlich aus reinem Trotz, aufgestanden, hatte sich angezogen und war in seinen Klub gegangen.

Dort war der Champagner in Strömen geflossen. Irgendwer hatte irgendetwas gefeiert, es wäre unhöflich gewesen, nicht mitzuhalten. Ein paar hübsche Mädchen waren auch da gewesen, obwohl Sebastian nicht recht wusste, wie sie in den Klub hineingekommen waren.

Vielleicht war er ja gar nicht im Klub gewesen. War er hinterher vielleicht noch irgendwo anders hingegangen?

Lieber Himmel, er wurde allmählich zu alt für diesen Unsinn.

»Vielleicht sagt sie ja Nein«, meinte Edward. Scheinbar aus heiterem Himmel.

»Hä?«

»Die kleine Vickers. Vielleicht weist sie Newbury ab.«

Sebastian lehnte sich zurück und presste die Finger an die Schläfen. »Sie wird ihn nicht abweisen.«

»Ich dachte, du kennst sie nicht.«

»Ich kenne sie ja auch nicht. Aber Vickers wird diese Ehe mit Newbury wollen. Die beiden sind Freunde, und Newbury hat Geld. Wenn die Gute nicht einen extrem nachsichtigen Vater hat, wird sie tun, was ihr Großvater sagt. Oh, Moment.« Er wölbte die Brauen, in der Hoffnung, dass das daraus resultierende Stirnrunzeln seinem momentan so trägen Verstand auf die Sprünge half. »Wenn es sich um die kleine Fenniwick handelt, wird sie doch Nein sagen.«

»Woher weißt du das alles?«

Sebastian zuckte mit den Schultern. »Ich kenne mich eben aus.« Meist war er ein aufmerksamer Beobachter. Es war erstaunlich, was man durch bloße Beobachtung über einen anderen Menschen in Erfahrung bringen konnte. Und durch Zuhören. Und indem man sich so verdammt charmant benahm, dass die Leute darüber vergaßen, dass man auch noch ein Gehirn besaß.

Sebastian wurde selten ernst genommen, und eigentlich gefiel ihm das ganz gut.

»Nein, noch einen Moment«, sagte er. Vor seinem inneren Auge war das Bild eines schmächtigen kleinen Dings erschienen, das so dünn war, dass es verschwand, wenn es sich zur Seite drehte. »Die kleine Fenniwick kann es nicht sein. Sie hat keine Brüste.«

Edward schluckte den letzten Bissen seiner Fleischpastete hinunter. Der Geruch hing leider weiterhin in der Luft. »Hoffentlich sprichst du nicht aus persönlicher Erfahrung.«

»Ich bin ein hervorragender Kenner der weiblichen Gestalt, selbst von Weitem.« Sebastian sah sich im Raum um, ob dort etwas Nichtalkoholisches zu trinken bereitstand. Tee. Tee würde ihm vielleicht helfen. Seine Großmutter hatte immer gesagt, Tee käme gleich nach Wodka.

»Nun«, sagte Edward und sah zu, wie Sebastian sich vom Sofa wälzte und nach dem Butler klingelte, »wenn sie seinen Antrag annimmt, hast du das Earltum so gut wie verloren.«

Sebastian ließ sich wieder auf das Sofa fallen. »Es hat mir ohnehin nicht gehört.«

»Aber es könnte dir zufallen«, meinte Edward und beugte sich vor. »Es könnte dir zufallen. Ich bin ungefähr der Neununddreißigste in der Erbfolge zu irgendetwas von Bedeutung, aber du … du könntest der Earl of Newbury werden.«

Sebastian schluckte den sauren Geschmack hinunter, der ihm die Kehle hinaufstieg. Der Earl of Newbury war sein Onkel, riesig und laut, mit üblem Atem und noch üblerer Wesensart. Er konnte sich kaum vorstellen, selbst einmal auf diesen Namen zu hören. »Ehrlich, Edward«, sagte er und sah seinen Vetter freimütig an, »mir ist das wirklich vollkommen egal.«

»Das kann doch nicht dein Ernst sein.«

»Doch, vollkommen«, murmelte Sebastian.

Edward starrte ihn an, als wäre er übergeschnappt. Sebastian entschied, dass er darauf am besten reagierte, indem er sich wieder hinlegte. Er schloss die Augen, fest entschlossen, sie erst wieder aufzumachen, wenn der Tee serviert wurde. »Ich will damit nicht sagen, dass ich die damit einhergehenden Annehmlichkeiten nicht zu schätzen wüsste«, erklärte er, »aber ich bin dreißig Jahre ohne sie ausgekommen, neunundzwanzig davon sogar ohne jede Aussicht darauf.«

»Annehmlichkeiten?«, wiederholte Edward erstaunt. »Darauf kommst auch nur du, das viele Geld als bloße Annehmlichkeit zu bezeichnen.«

Sebastian zuckte noch einmal mit den Schultern und versuchte einzudösen. Meist fand er auf diese Weise seinen Schlaf, hier und da ein rasches Nickerchen, gestohlene Minuten auf Sofas, Stühlen, an allen möglichen Orten, nur nicht in seinem Bett. Doch sein Geist erwies sich als störrisch, er wollte nicht ablassen von dem neuesten Klatsch über seinen Onkel.

Ihm war wirklich einerlei, ob er das Earltum erbte. Die Leute hatten oft Schwierigkeiten, ihm das zu glauben, aber es stimmte. Wenn sein Onkel das Vickers-Mädchen heiratete und mit ihr einen Sohn zeugte … na, prima für ihn. Dann würde er den Titel eben nicht bekommen. Sebastian mochte sich nicht über den Verlust von etwas aufregen, was ihm gar nie gehört hatte.

»Die meisten Leute«, sagte Sebastian laut, da sich nur Edward im Zimmer aufhielt und er sich demnach nach Herzenslust austoben durfte, »wissen, ob sie ein Earltum erben werden. Einer ist der rechtmäßige Erbe. Sein Anspruch steht fest. Wenn er nicht vorher umgebracht wird, erbt er.«

»Wie bitte?«

»Man könnte ihn auch umbenennen in offensichtlicher Erbe, weil das Rechtmäßige offensichtlich ist«, brummte Sebastian in sich hinein.

»Gibst du immer Vokabelunterricht, wenn du zu viel getrunken hast?«

»Frechdachs.« Das war Sebastians Lieblingsname für Edward, und solange es innerhalb der Familie blieb, schien es Edward nichts auszumachen.

Edward lachte.

»Ich sage nichts mehr«, sagte Sebastian und fuhr dann fort: »Beim mutmaßlichen Erben kann man eben nur mutmaßen.«

»Erzählst du mir etwas, was ich noch nicht weiß?«, fragte Edward, was offenbar nicht ironisch gemeint war. Er schien eher nachzufragen, ob sich das Zuhören lohnte.

Sebastian ignorierte ihn. »Man gilt als Erbe, es sei denn, et cetera pp., wie in meinem Fall, Newbury gelingt es, sich irgendeiner bedauernswerten jungen Frau mit gebärfreudigen Hüften und großen Brüsten an den Hals zu werfen.«

Edward seufzte noch einmal.

»Sei bloß ruhig«, sagte Sebastian.

»Wenn du sie gesehen hättest, wüsstest du, was ich meine.«

Er klang so lüstern, dass Sebastian die Augen öffnen und ihn ansehen musste. »Du brauchst eine Frau.«

Edward zuckte mit den Schultern. »Schick mir eine vorbei. Ich hab nichts dagegen, eine deiner abgelegten Geliebten zu übernehmen.«

Er hätte Besseres verdient, doch Sebastian hatte keine Lust, das Thema zu vertiefen, zumindest nicht ohne ausreichende Stärkung. »Ich brauche jetzt diesen Tee.«

»Ich könnte mir denken, dass du mehr brauchst als das.«

Sebastian hob eine Braue.

»Du scheinst doch recht verärgert über die Unsicherheit deiner Lage«, erklärte Edward.

Sebastian ließ sich das durch den Kopf gehen. »Nein, verärgert nicht. Ich würde sagen, nicht mehr als leicht verstimmt.«

Edward nahm die Zeitung auf, und dann herrschte einvernehmliches Schweigen. Sebastian ließ den Blick durch den Raum und aus dem Fenster schweifen. Er hatte schon immer hervorragende Augen gehabt, und so konnte er die hübschen Damen sehen, die auf der anderen Straßenseite promenierten. Eine Weile sah er ihnen zu und dachte dabei heiter an nichtige Dinge. Himmelblau schien die Modefarbe dieser Saison zu sein. Eine gute Wahl; dieser spezielle Blauton stand den meisten Menschen. Bei den Röcken war er sich nicht so sicher; sie wirkten etwas steifer und kegelförmiger als in den letzten Jahren. Schön waren sie ja, aber sehr viel schwieriger für einen Mann, der mit dem Gedanken spielte, sie hochzuschieben.

»Tee«, vermeldete Edward und riss ihn aus seinen Überlegungen. Ein Dienstmädchen stellte das Tablett auf dem Tisch zwischen ihnen ab, und einen Augenblick starrten sie es nur an, zwei große Männer mit großen Händen, vor sich eine zarte kleine Teekanne.

»Wo ist unsere liebe Olivia, wenn wir sie brauchen?«, fragte Sebastian.

Edward grinste. »Ich werde ihr erzählen, dass du sie wegen ihrer Einschenkqualitäten schätzt.«

»Möglich, dass dies der vernünftigste Grund ist, sich eine Frau zuzulegen.« Sebastian richtete sich auf und betrachtete das Tablett. »Möchtest du auch eine Tasse?«

Edward schüttelte den Kopf.

Sebastian goss sich etwas Milch in die Tasse, befand dann, dass er nicht abwarten konnte, bis der Tee ordentlich gezogen hatte, und goss sich ein. Genießerisch atmete er den Duft ein, der dampfend aus der Tasse aufstieg. Erstaunlicherweise reichte schon der Geruch, um seinen Magen zu beruhigen.

Vielleicht sollte er nach Indien gehen. Ein Land voll Verheißungen. Ein Land voll Tee.

Er nahm einen Schluck, und die heiße Flüssigkeit rann ihm di...

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