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You Are My Hurricane

Als Buch hier erhältlich:

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»Wir befanden uns in diesem flüchtigen Moment im Auge des Sturms. Wenn alles ruhig war und nur die Welt um uns herum aufgewirbelt wurde.«

Maeve will ihr Gesicht lieber hinter der Kamera verstecken, während sie die College-Footballspieler der Fairview Hurricanes in Szene setzt. Als sie jedoch von Star-Quarterback Carter McCoy am Spielfeldrand umgerissen wird, geht ein Video ihres Aufpralls viral. Maeve versucht verzweifelt, der Aufmerksamkeit zu entkommen, hat aber ein Problem: Beim Zusammenprall wurde ihre Kamera zerstört. Carter ist auf Maeves Aufnahmen angewiesen, um die NFL auf sich aufmerksam zu machen. Er bietet an, den viralen Moment zu nutzen, um Spenden für eine neue Kamera zu sammeln, doch für Maeve gibt es wohl nichts Schlimmeres, als an der Universität mit Hurricane Carter gesehen zu werden. Dabei hätte keiner der beiden mit den Gefühlen gerechnet, die langsam aber sicher zwischen ihnen aufziehen. Doch manchmal braucht es einen Hurricane, um alte Mauern einzureißen.


  • Erscheinungstag: 19.11.2024
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745704525

Leseprobe

Liebe Leserinnen und Leser

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr am Romanende eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler enthalten kann.

Wir wünschen euch das bestmögliche Erlebnis beim Lesen der Geschichte.

Euer Team von reverie und eure Emily

Playlist

Style – Taylor Swift

Can’t Stop – Red Hot Chili Peppers

run for the hills – Tate McRae

Close To Me – Ellie Goulding, Diplo, Swae Lee

Something In The Way You Move – Ellie Goulding

Sleepless – Dutch Melrose

Never Be Like You – Flume, kai

that way – Tate McRae

Rock Bottom – Hailee Steinfeld, DNCE

more than friends – Isabel LaRosa

Powerful – Major Lazer, Ellie Goulding, Tarrus Riley

Sure Thing – Miguel

Seeds – Yoke Lore

Wish on an Eyelash – Mallrat

New Romantics – Taylor Swift

Again – Noah Cyrus, XXXTENTACION

Hurricane – The Fray

Ein Hurricane war im Sonnenstaat Florida keine Seltenheit, doch dieser kam ohne Vorwarnung und stürzte meine Welt ins Chaos.
Aber manchmal braucht es einen Sturm, um alte Mauern einzureißen und etwas Neuem Platz zu machen.

Kapitel 1

Maeve

Das Trommeln der Marschkapelle wurde mit jeder Sekunde hypnotisierender. Die Menschenmassen auf den Tribünen des Sunrise Stadiums jubelten und grölten, viele von ihnen schwangen ihre himmelblauen Pompons in der Nachmittagssonne. In den leuchtend blauen Trikots wirkten die Fans wie ein schimmerndes Meer, das Wellen schlug. Lediglich in ein paar Reihen konnte man die dunkelgrünen Shirts der gegnerischen Mannschaft aufblitzen sehen, ehe sie sofort wieder von dem strahlenden Blau der Fairview-Fans verschluckt wurden. Als die Pauken und Bläser im Gleichtakt spielten und die Stimmung sich durch einen immer schneller werdenden Trommelwirbel weiter aufbaute, setzte ich meine Kamera an. Ich legte den Finger auf den Auslöser und linste durch den Viewfinder. Um das Bild nicht zu verwackeln und den Einmarsch unserer Mannschaft richtig einfangen zu können, atmete ich kontrolliert.

Plötzlich wurde das Gegröle der Fans noch lauter, als die hellblauen Luftballons losgelassen wurden und Quarterback Carter McCoy durch sie hindurchbrach. Er reckte seinen goldenen Helm in die Höhe und jubelte, während seine Mannschaft hinter ihm das Footballfeld betrat. Das Nachmittagslicht, das durch das offene Dach des Stadions schien, hinterließ feine Reflexionen auf seinem dunklen Haar. Schnell drückte ich ein paarmal den Auslöser. Carter gut in Szene zu setzen, war ein Kinderspiel. Die Kamera liebte ihn.

Das Team rannte aufs Feld und ich bemühte mich, Schritt zu halten, ohne über meine eigenen Füße zu stolpern. Mit meiner Zweitausend-Dollar-Kamera in der Hand den Boden zu küssen, wäre so ziemlich das Letzte, was ich gebrauchen konnte.

Obwohl ich Mühe hatte, hinterherzukommen, schaffte ich es, rechtzeitig zum Münzwurf die Linse auf die Quarterbacks zu richten. Mit mehreren Schüssen fing ich den Moment ein, als der goldene Taler zwischen Carter und dem Gesicht des gegnerischen Quarterbacks in der Luft schwebte. Das Sonnenlicht hüllte die Männer in einen goldenen Schein und Carters entschlossener und zugleich einschüchternder Gesichtsausdruck rundete die Aufnahme ab.

Ich atmete erleichtert auf. Dieser Schuss würde sich sicherlich gut auf der Website der Fairview University machen.

Sobald die Münze gefallen war, machte Carter schwungvoll auf dem Absatz kehrt, sodass ich flink zur Seite huschen musste, um mein Objektiv vor seinem Helm zu schützen. Dabei streifte sein kühler Blick den meinen, als sei es meine Schuld, dass er mich beinahe getroffen hätte.

Empört blies ich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und umfasste meine Kamera. Sobald ich die Coaches brüllen und die Musik durch die Lautsprecher schallen hörte, bemühte ich mich, schnellstmöglich zurück an den Spielfeldrand zu gelangen.

Einen guten Schuss einzufangen, war eine sportliche Meisterleistung. Das gesamte erste Quarter über rannte ich von einer Seite des Feldes zur anderen, hielt die Kamera auf unser Team gerichtet und versuchte, die besten Momente festzuhalten.

Carters Teamkollege und bester Freund Isaac hechtete über das Feld, sobald der Ball über den Rasen flog. Er war so schnell, dass ihn keiner der gegnerischen Defense zu Boden reißen konnte, und rannte geradewegs in die Endzone, wo er den Ball in Empfang nahm. Die Fans sprangen auf, riefen ekstatisch den Namen ihrer Mannschaft und Isaac führte seinen charakteristischen Freudentanz auf. Er schwang die Arme rhythmisch, als würde er einen unsichtbaren Ball hin - und herwerfen, während er die Hüften kreisen lies. Die Mannschaft stürmte auf ihn zu und schon bald war der schlanke Kerl unter einer Masse aus Helmen und Schonern begraben. Ich hielt die Kamera auf den tobenden Klumpen Footballspieler. Kurz darauf machten sich die Hurricanes für ihren nächsten Spielzug bereit und ich ging in die Knie, um zu fotografieren, wie die Teams aufeinander zu stürmten.

»Down! Set! HUT!«, rief Carter und nahm den Ball entgegen.

Das Krachen der Schutzkleidung hallte in meinen Ohren wider. Sobald Carter selbst versuchte, durch die gegnerische Verteidigung zu brechen, richtete ich mich auf. Er wich einem Spieler aus, der ihn zu Boden ringen wollte, sah daraufhin jedoch keinen seiner Mitspieler frei stehen, weshalb er sich den Ball unter den Arm klemmte und auf den Spielfeldrand zurannte. Sofort drückte ich mehrfach den Auslöser und hielt fest, wie unser Quarterback in einem Mordstempo über den Rasen fegte, hinter sich die Grashalme aufwirbelte und in die Endzone sprang.

Ich bemerkte erst, wie gefährlich nahe er mir kann, als einer der Spieler des gegnerischen Teams in meiner Linse auftauchte und Carter in meine Richtung tackelte.

Die Wucht, mit der Carter gegen mich prallte, fühlte sich an, als würde man von einem Zug überrollt werden. Instinktiv legte ich schützend die Hände um meine Kamera und drückte sie eng gegen meinen Bauch, als mir jegliche Luft aus der Lunge gepresst wurde.

Im nächsten Augenblick nahm ich die Geräusche um mich herum nur gedämpft wahr. Lediglich ein stockendes Keuchen über mir konnte ich hören.

Als endlich die Last von meinem Oberkörper gehoben wurde, blinzelte ich gegen die goldgelben Sonnenstrahlen und erkannte Carter über mir. Durch das Gitter seines Helmes konnte ich sehen, wie er sein Gesicht schmerzhaft verzogen hatte und flach atmete. Auch ich konnte noch immer kaum den Sauerstoff in meine Lungen ziehen.

Eine Sekunde später drückte er sich vom Boden ab, wurde von einem gegnerischen Teammitglied am Arm gepackt und hochgezogen. Carters Augen scannten mich flüchtig. Ich konnte mich nur auf die Unterarme stemmen und verwirrt den Kopf schütteln. Was zur Hölle war gerade passiert? Ich beobachtete, wie sich Carter und der andere Spieler auf die Schulter klopften und dann, begleitet von dem Jubeln der Fans, zurück aufs Spielfeld spurteten.

Ich war von dem plötzlich einsetzenden Brennen unter meinem Rippenbogen so abgelenkt, dass ich den Schiedsrichter neben mir zunächst nicht wahrnahm. Erst als er mich sachte an der Schulter berührte und dann fragte »Alles okay?«, wurde ich aus meiner Benommenheit gerissen. Schlagartig wurde mir bewusst, was soeben passiert war: Carter McCoy hatte mich zu Boden getackelt.

»Ja, alles gut«, brachte ich hervor, ehe ich das Blut an meinen Ellbogen wahrnahm. Die rote Flüssigkeit tropfte über meine Unterarme, meine Hände hinunter und sickerte dann in den Rasen.

»Fuck«, stöhnte ich, während ich meine mit Blut verschmierten Finger betrachtete. Der Schmerz pulsierte durch meinen Körper und breitete sich in stechenden Schlägen bis zu meinen Rippen weiter aus.

Der Schiedsrichter half mir auf und pfiff dann einen der Sanitäter in unsere Richtung, welcher augenblicklich zu uns joggte. Ich ließ meinen Blick über das Spielfeld gleiten, als mir Carters stechende Augen begegneten. Er wandte sich jedoch so schnell ab, dass ich mir nicht sicher war, ob seine Aufmerksamkeit überhaupt mir gegolten hatte.

Obwohl es ein Stechen durch meinen Körper beförderte, nuschelte ich: »Verfluchtes Arschloch.«

»Ganz ruhig«, redete der Sanitäter sanft auf mich ein, während er meine blutigen Ellbogen näher betrachtete. Er legte mir seine weiß behandschuhte Hand auf den Rücken und stützte mich, während wir auf den unteren Teil des Stadions zuliefen.

»Moment«, keuchte ich auf, als ich mich vorbeugte, um den Boden nach meiner Kamera abzusuchen. Sobald ich sie zersplittert auf dem Rasen fand, sackte mein Herz in meinen Magen. Selbst die Schmerzen rückten in den Hintergrund, als ich auf die Knie ging und das abgebrochene Objektiv sowie das zerschmetterte Gehäuse zwischen meinen Fingern hielt. Sofort stiegen mir heiße Tränen in die Augen. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein.

»Du blutest. Ich muss dich ärztlich versorgen.« Der Sanitäter wollte mich ins Stadion hineinführen, doch seine beruhigende Stimme war unter der aufbrausenden Wut in meinem Inneren nur ein kaum wahrnehmbares Geräusch. Ich umklammerte meine kaputte Kamera, riss meinen Kopf herum und beobachtete Carter, der sich seelenruhig auf einem Bildschirm am Feldrand ein paar Spielzüge ansah. Er unterhielt sich mit Headcoach Anderson und ich wusste, dass hier und jetzt ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für eine Konfrontation war. Doch der Zorn, den ich verspürte, war wie ein Sog, der mich auf Carter zuhumpeln ließ. Schnaubend und ächzend arbeitete ich mich durch die Masse an Menschen, die am Spielfeldrand standen, als einer der Coaches mich aufhielt.

»Woah, zurückbleiben.« Er hielt mich an der Schulter zurück, als ich einen weiteren Schritt auf Carter zu machen wollte. Dieser beachtete mich jedoch gar nicht, sondern fokussierte sich auf den flimmernden Bildschirm vor ihm. Immer wieder murmelte er etwas vor sich hin, wie ein Mantra, und schien vollkommen in Gedanken versunken zu sein.

»Ich muss mit Carter sprechen!«, rief ich und hielt meine zerbrochene Kamera in die Höhe. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Coach und der Sanitäter ein paar vielsagende Blicke tauschten.

»Du hast ganz schön was auf den Schädel bekommen. Ich werde mich darum kümmern, und dann kannst du nach dem Spiel mit Carter sprechen. Okay?«, versuchte mich der Sanitäter abermals zum Gehen zu bewegen. Wenn ich mich nicht an den Coaches vorbeikämpfen wollte, musste ich mir wohl oder übel eingestehen, dass ich Carter während des Spiels nicht stören konnte.

Der Coach nickte dem Sanitäter dankend zu, als dieser mich am Arm zurückzog und die Treppe hinunter in die Räume unterhalb der Tribünen führte. Bis wir außer Sichtweite waren, behielt ich Carter fest im Blick. Das Arschloch konnte sich auf etwas gefasst machen. So einfach würde er mir nicht davonkommen.

Kapitel 2

Maeve

Ich schlängelte mich durch das nach Schweiß und Alkohol stinkende Verbindungsgebäude und versuchte, den betrunkenen Menschen und ihren überschwappenden Bierbechern auszuweichen. Ich hasste die Tailgate-Partys nach den Footballspielen sowie alle anderen Feiern in der Studentenverbindung der Mannschaft.

Die Bruderschaft Alpha Phi bestand zu neunzig Prozent aus den Mitgliedern der Fairview Hurricanes, deren Verbindungshaus auf dem gesamten Campus als gesetzlose Zone bekannt war. Nur weil sie erfolgreiche Sportler waren, drückte die Verwaltung anscheinend ein Auge zu, wenn es um Minderjährige ging, die Alkohol tranken. Die von der Bruderschaft organisierten Nächte waren legendär und gipfelten nach jedem großen Spiel in wilden Saufgelagen und skandalträchtigem Benehmen. Es galt als studentisches Ritual, sich innerhalb der herrschaftlichen Backsteinmauern volllaufen zu lassen, Drogen zu nehmen und mit irgendwelchen Leuten Sex zu haben. Das letzte Jahr über hatte ich mich gekonnt aus den Angelegenheiten abseits des Footballfeldes herausgehalten, doch jetzt blieb mir nichts anderes übrig.

Als ich zu Beginn meines Fotografie-Studiums den Job vom Social-Media-Team der Universität bekommen hatte, die Footballmannschaft abzulichten, war ich zunächst überglücklich gewesen. Ich hatte gehofft, Anschluss zu finden und endlich an der Fairview University anzukommen, doch es trat genau das Gegenteil ein. Als ich das erste Mal mit zu den Pre-Game-Partys gekommen war, hatte ich die ganze Zeit über allein auf dem Parkplatz vor dem Sunrise Stadium gestanden und auf meine Schnürsenkel geblinzelt. Die Studierenden um mich herum hatten das Homecoming-Spiel gefeiert, ehe es überhaupt angefangen hatte, während ich hilflos in einer Ecke verharrt hatte. Es hatte nicht geholfen, dass ich keiner Schwesternschaft angehörte und nicht einmal Kontakt zu den Studentinnen aus meinem Dorm, meinem Wohnheim, hielt. Ich hatte den gesamten Nachmittag über nur darauf gewartet, meinen Job machen zu können und mich danach sofort zurück in mein Zimmer zu verziehen. Allein bei der Vorstellung, auf einen anderen Menschen, den ich nicht kannte, zuzugehen, war mir der kalte Schweiß ausgebrochen. Was wäre, wenn man mich abgewiesen hätte? Unsichtbar fühlte ich mich wohler. Wenn ich auch wieder in den Schatten verschwinden konnte. Also hatte ich lieber nichts getan. Doch meine geliebte Kamera war kaputt, also war nichts zu tun keine Option mehr.

Das gigantische Wohnzimmer der Bruderschaft war voll mit Partygästen. Sie tanzten zum schrillen Klang der Red Hot Chili Peppers, der über den Holzboden bis in die letzte Ecke des Hauses transportiert wurde. Sogar auf der Treppe, die in die oberen Stockwerke führte, hatten es sich ein paar Studenten gemütlich gemacht. Eine brünette Schönheit wurde von ihrem Partner beim Knutschen so eng an das Geländer gedrückt, dass ich Sorge hatte, sie würde jeden Moment hinunterkrachen und auf dem Bierfass darunter landen.

In dem Raum war es dermaßen heiß, dass mir das Atmen schwerfiel, und mein Zusammenstoß mit Carter heute Nachmittag machte die Situation nicht besser. Meine Ellbogen taten weh, obwohl der Sanitäter dicke Verbände darumgewickelt hatte, und meine Rippen schmerzten zunehmend. Immerhin war ein massiger Kerl, samt Footballuniform und Helm, wie ein Hochgeschwindigkeitszug in mich gerast. Nur schien ihn das nicht interessiert zu haben.

Ich schnaubte. Eine Entschuldigung wäre das Mindeste gewesen.

Ich arbeitete mich weiter vor ins Wohnzimmer und hielt nach dem dunkelhaarigen Kerl Ausschau. Ich hatte ihn so oft für die Website fotografieren müssen, dass sich jeder Pixel seines Aussehens in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Leider verhinderten die wild tanzenden Körper, dass ich den gesamten Raum überblicken konnte. Ich pustete mir eine verirrte Haarsträhne aus den Augen, bevor sie sich durch den Schweiß auf meiner Haut festkleben konnte.

»Geiles Spiel, Jungs!«, rief einer der Gäste und mein Kopf ruckte instinktiv herum. Ein bereits sehr betrunken wirkender Student wankte in Richtung des Beerpong-Tisches und klopfte Carter freundschaftlich auf die Schulter. Dieser war gerade dabei, mit seinen Jungs eine Beerpong-Strategie auszutüfteln. Sofort setzte ich mich in Bewegung und kämpfte mich zwischen den schwitzenden Körpern hindurch. Als ich bei den Jungs ankam, beachteten sie mich nicht einmal.

»Entschuldigung!« Das dröhnende Gitarrenriff, das aus den Boxen schallte, verschluckte meine Stimme beinahe. Carters Blick löste sich nicht von dem Tischtennisball in seiner Hand. Er peilte seelenruhig den gegnerischen Becher an und lochte elegant ein. Erst dann schweifte seine Aufmerksamkeit zu mir. Das Blau seiner Augen erstrahlte wie die seichten Wellen am Strand von Fairview. »Kann ich dir irgendwie helfen?«

Empört riss ich die Brauen nach oben. Das war doch nicht sein Ernst? Tat er grade so, als würde er mich nicht erkennen? »Ja, eigentlich kannst du das.«

Sofort kramte ich meine zerschmetterte Kamera aus meinem Rucksack und hielt Carter die zerbrochenen Teile unter die Nase. Irritiert blickte er von den Scherben in meiner Hand zu mir auf, bis ich ihm schließlich doch eine Reaktion entlocken konnte. Er hob seine buschigen Augenbrauen und ein schräges Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Er erinnerte sich also doch.

»Ach, du bist die Fotofee. Ich wusste gar nicht, dass du so hübsch bist. Versteckst dein Gesicht ja sonst gerne hinter der Linse.« Frech zwinkerte er mir zu.

Irritiert runzelte ich die Stirn, ehe ich nach Luft schnappte und über die wummernden Bässe hinweg rief: »Du hast meine Kamera zerstört!«

Gelassen überreichte er Isaac den Tischtennisball und machte einen Schritt auf mich zu. »Ist das so?«

Er verschränkte die Arme vor der breiten Brust. Jetzt, da er mir so nah war, realisierte ich erst, wie gigantisch Carter war. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um ihn ansehen zu können. Beinahe hätte ich mein Gewicht auf meine Zehenspitzen verlagert, um größer zu wirken. Aber dann hätte es nur einen kleinen Stupser gebraucht, um mich zu Fall zu bringen. Er sollte nicht das Gefühl bekommen, er könnte mich einschüchtern.

Ich versuchte aus seinen Gesichtszügen herauszulesen, was genau er dachte, doch Carter war nicht leicht zu durchschauen. Er musterte die zerbrochene Linse mit kühlem Blick und zuckte dann mit den breiten Schultern. »Und wer beweist mir, dass ich schuld bin? Vielleicht war sie vorher schon kaputt und du willst es mir nur anhängen.«

Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein? Jeder hatte gesehen, wie er in mich hineingerast war und meine Kamera unter seinem massigen Körper zerdrückt hatte.

Als ich nicht antwortete, sondern ihn empört anstarrte, veränderte sich sein Ausdruck. Hatte ich doch sein Mitgefühl erweckt? Sein Blick wurde eindringlicher. Er drückte die zerschmetterte Linse in meiner Hand hinunter, ehe er sanft einen Daumen an mein Kinn legte und es anhob.

»Wirklich schade, dass der Fotoapparat ständig dein hübsches Gesicht verdeckt hat. Vielleicht war es Schicksal, dass er kaputtgegangen ist«, raunte er und legte den Kopf schräg.

Vermutlich hoffte er, dass ich jetzt einfach in seinen Armen zerfloss. Doch ich räusperte mich und entzog ihm mein Gesicht. Eigentlich wollte ich nur eine Entschuldigung bekommen, aber wie es aussah, würde ich die nicht kriegen. Sein Ego schien noch aufgeblasener, als ich vermutet hatte. »Was fällt dir eigentlich ein, mich einfach anzufassen.«

Sofort ließ Carter seine Hand sinken und ein süffisantes Lachen legte sich auf seine vollen Lippen.

»Jeder hat gesehen, dass du meine Kamera kaputt gemacht hast. Du hast Glück, dass ich nicht unter deinem Gewicht ums Leben gekommen bin.« Die Worte sprudelten in meiner Wut förmlich aus mir heraus, bevor ich sie überdenken konnte. »Ich habe noch nicht einmal eine verdammte Entschuldigung aus deinem Mund gehört!«

Auch Isaac neben ihm wurde hellhörig und überließ den anderen das Beerpong-Spiel.

Carter jedoch schien unberührt. Sein Brustkorb hob sich unter dem weißen T-Shirt, als er tief einatmete, ehe er schlagartig die Luft durch seine halb geöffneten Lippen entweichen ließ. Sein Bieratem waberte mir entgegen. Wie angetrunken war er? »Ich wurde von einem anderen Spieler aus dem Feld getackelt und du standest wohl einfach im Weg. Mach hier also keine Szene.«

Empört funkelte ich ihn an. »Pass bloß auf, Carter. Ich werde nicht akzeptieren, dass du meine Sachen zerstörst und dich nicht einmal entschuldigst.« Ich zeigte anklagend mit dem Finger auf ihn und musste mich zusammenreißen, ihm diesen nicht in die Brust zu bohren, um meinen Standpunkt deutlich zu machen.

Carter verdrehte die Augen und hauchte: »Ohhh, da habe ich aber Angst.«

Wie alt war der Kerl? Zwölf?

Isaac legte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. »Lass gut sein, Carter. Du hast Glück, dass ihr nichts Schlimmes passiert ist.«

Ich nickte zustimmend. »Wenigstens einer in dieser Mannschaft hat noch genug Gehirnzellen, um klar zu denken. Kein Wunder, dass da im Oberstübchen nicht mehr viel los ist, wenn dein Dickschädel immer so viel abbekommt.« Ich deutete mehrmals mit dem Zeigefinger an meine Schläfe.

Schlagartig veränderte sich die Stimmung. Sein entspannter, aber arroganter Gesichtsausdruck war verflogen und wich einem verärgerten. Selbst in dem gedimmten Licht konnte ich erkennen, wie sich seine Gesichtszüge verhärteten und sich jeder Muskel in seinem Körper anspannte. »Noch ein Wort und ich schnapp mir deinen Hintern und werfe dich in hohem Bogen von der Veranda.«

Betont lässig zuckte ich nur mit den Schultern. »Versuch‘s doch.«

Nicht mal Isaac konnte schnell genug reagieren, als Carter plötzlich in die Hocke ging, meine Oberschenkel umfasste und mich über seine Schulter schmiss, ehe er durch die Masse an Studierenden schritt. Seine Schultern bohrten sich in meinen ohnehin schon verletzten Rippenbogen, was mich automatisch aufkeuchen ließ. Während ich mich vorhin mühsam durch die Menge hatte kämpfen müssen, machten die Leute Carter sofort Platz, sodass er mühelos in die imposante Eingangshalle des dunklen Backsteingebäudes spazieren und die schwere Tür öffnen konnte. Ich hatte schon Sorge, er würde mich einfach die Treppenstufen hinunterwerfen, doch er besaß zumindest genug Anstand, um mich ruckartig von seiner Schulter zu nehmen und auf die Beine zu stellen.

Bereits im nächsten Augenblick kehrte er mir den Rücken zu und ließ die Tür wortlos hinter sich ins Schloss fallen.

Irritiert schüttelte ich den Kopf. Mein Gehirn brauchte eine Weile, um zu verarbeiten, was gerade passiert war.

»Verdammte Scheiße!«, fluchte ich in die Nacht hinein, während die Party im Inneren unbeirrt ihren Lauf nahm. Ich konnte das Gelächter, den süßlichen Geruch des Alkohols und den wummernden Bass bis nach draußen wahrnehmen.

»Ganz toll gemacht, Maeve«, raunte ich mir selbst zu und trat frustriert einen verlorenen Kieselstein von der Veranda.

Kapitel 3

Carter

»Hast du schon Instagram gecheckt?«, fragte mich Isaac aus dem Nichts, während er sich gerade eine ganze Packung Cornflakes in eine Popcornschale füllte und Milch darübergoss. Eines unserer Teammitglieder warf ihm einen bösen Seitenblick zu. Vermutlich hätte er gern auch noch was davon zum Frühstück gehabt.

»Wieso? Ist etwa einer meiner Spielzüge von gestern viral gegangen?«

Isaac lachte. »Nicht ganz. Dein kleiner Zusammenprall mit der Fotofee hat ganz schön für Aufmerksamkeit gesorgt.«

Nun wurde ich doch hellhörig und starrte auf Isaacs Handydisplay, als er mir das Video zeigte. Einer der Fans hatte den Moment, in dem ich in sie gekracht war, perfekt eingefangen. Wobei man eher von Stolpern sprechen musste; schließlich war ich nicht schuld daran, dass ich von unserem Gegner umgemäht wurde.

Die Fotofee, wie wir sie im Team liebevoll nannten, war leider zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Der Spitzname war entstanden, weil sie wie eine kleine Fee an der Seitenlinie herumschwebte. Sie glich einem Fabelwesen, das nur am Gameday auftauchte. Bisher hatte ich auch nie ein Gesicht vor Augen gehabt, doch seit unserer gestrigen Auseinandersetzung blitzten ihre vor Wut funkelnden Augen immer wieder in meinen Gedanken auf.

Isaac scrollte weiter, und sobald ich das bearbeitete Video, unterlegt mit einem WWE-Soundtrack, hörte, musste ich ein Lachen unterdrücken. Selbst mir war bewusst, wie gemein das war. An der Fairview war das Video bereits zu einer Art Meme geworden, zu dem jeder seinen Beitrag abgab.

»Sie tut mir schon ein bisschen leid«, murmelte ich, als Isaac sich das Handy in die Hosentasche stopfte. Mit hochgezogener Augenbraue musterte er mich.

»Das wirkte gestern Abend aber noch ganz anders.«

»Ich wollte sie lediglich etwas aufziehen«, verteidigte ich mich. Das war die halbe Wahrheit. Ich war sehr angetrunken gewesen und ließ mich nicht gerne herumkommandieren.

Außerdem hatte sie mit ihrem Spruch einen wunden Punkt getroffen. Er ließ plötzlich jeden rationalen Gedanken verschwinden und hinterließ nur dieses benommene Gefühl, was ich noch immer nicht ganz hatte abschütteln können.

»Was kann ich denn dafür, wenn ich in sie hineingeschubst werde? Ich hätte mich ja sogar entschuldigt, wenn sie nicht einfach hineingestürmt wäre und Forderungen gestellt hätte. Sie hat nicht einmal meine Sicht der Dinge in Betracht gezogen.«

»Carter, hab mal ein bisschen Empathie für die Fotofee. Wahrscheinlich war sie noch unter Schock, weil du sie beinahe zerdrückt hast.«

»Weiß eigentlich jemand, wie sie wirklich heißt?«, fragte ich in die Runde.

Einige aus dem Team saßen rings um die Kücheninsel verteilt und stopften sich Sandwiches, Cornflakes oder Eiweißshakes in den Mund. Da aber alle mit den Schultern zuckten, schien keiner eine Antwort auf meine Frage zu haben.

»Wir wissen es spätestens, wenn sie auf die Videos reagiert«, seufzte ich und schnappte mir meine Sporttasche. Wenn sie gestern schon sauer war, konnte ich mich jetzt wohl auf einen tosenden Sturm gefasst machen.

»Und jetzt komm schon, Isaac. Wir müssen los.«

Er nickte eifrig und führte die Schüssel an seine Lippen, um auch den letzten Rest herauszubekommen, bevor er ebenfalls seine Sachen schulterte.

Ich war bereits auf dem Gebäude gejoggt, hörte aber seine Schritte auf der hölzernen Veranda und dann auf dem Asphalt. Wir liefen von unserem Verbindungshaus ins Recreation Center, in dem sich auch das Fitnessstudio der Universität befand.

»Wirst du ihr eine neue Kamera kaufen?«, durchbrach Isaac schlagartig die friedliche Stille des frühen Morgens, die nur von dem Geräusch unserer Schritte auf dem Asphalt durchbrochen wurde. Ich schüttelte den Kopf, während ich meinen Blick stetig auf meine Schritte gerichtet hielt.

»Keine Chance. Oder hast du plötzlich im Lotto gewonnen und könntest mir etwas Geld leihen?«

Isaac lachte. »Nein, ich bin immer noch ein armer Student. Du könntest aber zumindest etwas dazu beisteuern. Immerhin bist du wie eine Walze auf sie gekracht. Man könnte sagen, du warst der Hurricane, der sie umgeweht hat.«

Bei seinem Wortspiel mit dem Namen unserer Mannschaft musste ich schmunzeln. »Ich wüsste beim besten Willen nicht, wie. Dann müsste ich mich den Rest des Semesters von Instant-Ramen ernähren.«

Sofort verdrehte mein bester Freund die Augen. »Hoffentlich kommt sie nicht auf die Idee, dich zu verklagen. Das könnte noch teurer werden. Sei besser nett zu ihr.«

»Meinst du wirklich, sie würde mich verklagen? Du weißt genauso gut wie ich, dass es bei einem hitzigen Spiel nicht unüblich ist, dass wir über das Spielfeld hinaus getackelt werden.«

»Sie schien gestern ziemlich sauer, und nachdem das Video über Nacht viral gegangen ist, würde ich ihr so einiges zutrauen.«

Ich nickte. Vielleicht musste ich doch etwas Schadensbegrenzung betreiben. Obwohl sie auf den ersten Blick wie eine unscheinbare Studentin gewirkt hatte, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen, ob sie Probleme bereiten konnte.

Ich war es nicht gewohnt, dass sich Mädchen mir gegenüber so verhielten. Die meisten verfielen ohnehin in eine Schockstarre, sobald sie vor mir standen. Und keine von ihnen war jemals so wütend geworden. Nicht einmal, wenn ich ihnen das Herz gebrochen hatte.

Ein kleines schlechtes Gewissen machte sich bemerkbar. Ich hätte mich vielleicht wirklich entschuldigen sollen. Ihre Kamera schien ihr sehr wichtig zu sein. Aber wie sollte ich die Fotofee überhaupt ausfindig machen?

Wir bogen in die Straße, die zum Recreation Center führte. Obwohl das eigentliche Training noch bevorstand, war ich allein durch die hohe Luftfeuchtigkeit nass geschwitzt. Mein helles Shirt klebte an meinem Oberkörper. Der Herbst war zwar bereits angebrochen, doch im Sonnenstaat Florida merkte man davon recht wenig. Die Jahreszeit erinnerte mich lediglich daran, dass die Uhr tickte. Es waren nur noch wenige Monate bis zu den Playoffs und dem damit wichtigsten Spiel der Saison. Der Sieg gestern hatte uns weiter vorangebracht, doch die Championships waren die größte Chance, um Aufmerksamkeit zu generieren und sich als Spieler hervorzutun. Die NFL, das ultimative Ziel aller College– Footballer, hatte ihre Augen auf uns gerichtet und würde nur die Besten in die Profi-Liga aufsteigen lassen.

Im Gym wurden wir bereits von Coach Anderson erwartet. Wie jeden Morgen begannen wir mit einer harten Trainingssession. Angefangen mit Bankdrücken und weiteren funktionellen Übungen wie Clean and Jerk, um die Explosivkraft zu trainieren. Wir mussten nicht nur stark sein, sondern auch in der Lage, möglichst schnell viel Kraft aufzubauen. Einige der Jungs wurden zwischenzeitlich ziemlich blass und hin und wieder schien ihnen beinahe das Frühstück hochzukommen. Obwohl wir letzte Nacht gefeiert hatten, gab es keine Ausnahmen. Ganz nach dem Motto: Wer feiern kann, der kann auch arbeiten.

Als ich mit zitternden Beinen aus dem Fitnessstudio wankte, hatte ich schon Sorge, heute Nachmittag nicht fit zum Football-Training erscheinen zu können, doch das gehörte dazu. Wir waren Athleten. Neben unserem Körper trainierten wir auch stetig unseren Geist, indem wir bis an unsere Grenzen und teilweise darüber hinaus gingen.

»Wir sehen uns nach den Vorlesungen. Ich muss erst mal kotzen gehen«, murmelte Isaac, ehe er in Richtung Toiletten taumelte.

Während der gesamten Vorlesungen war ich am Handy und checkte regelmäßig Social Media, um die Reaktionen unserer Fans im Blick zu behalten. Schon jetzt hatten die Leute unheimlich viele Beiträge zum gestrigen Spiel gepostet und die besten Momente zusammengeschnitten. Natürlich war das Video von der Fotofee und mir überall. Ein Kommentar von einem Fan fiel mir besonders ins Auge: »Erfasst von Hurricane Carter. Ich hoffe, dem armen Mädchen geht es gut.«

Aus dieser Perspektive konnte man erkennen, dass mich der gegnerische Spieler so umgerissen hatte, dass ich keine andere Wahl hatte, als auf sie zu stürzen. Ein Richtungswechsel wäre definitiv nicht mehr möglich gewesen. Normalerweise achtete ich darauf, dass ich niemanden am Spielfeldrand umnietete, doch die Fotofee stand unglücklicherweise genau in meinem Kollisionsbereich. Leider konnte ich keinen einzigen Kommentar unter dem Beitrag entdecken, der von ihr stammen könnte.

Ich verbrachte den halben Tag damit, das vergangene Spiel zu analysieren, um beim nächsten Mal besser vorbereitet zu sein. Meine Konzentration ließ jedoch zu wünschen übrig, weil mich immer wieder ihr verletzter und zugleich wütender Gesichtsausdruck heimsuchte.

Als ich am Nachmittag im Sunrise Stadium eintraf, empfing mich bereits der Headcoach. »Carter! Klasse Spiel gestern, aber es gibt da einige Dinge, die ich noch mit dir besprechen möchte.«

Ich nickte. »Ich weiß schon genau, was Sie sagen wollen, Coach. Ich hab mir das Spiel angesehen und werde die Fehler nachher noch mal mit den anderen durchgehen.«

Sofort zierte ein seltenes Lächeln seine faltigen Lippen, ehe er mir stolz eine Hand auf den Oberarm legte. »Sehr gut, so will ich das sehen.«

In der Umkleidekabine traf ich auf Isaac, der sich gerade sein Jersey über die gepolsterten Schultern zog. »Hast du herausgefunden, wer sie ist?«

Ich schüttelte den Kopf und legte meine schwere Tasche auf einer der Bänke ab. »Nein, ich hab online nichts gefunden. Entweder ignoriert sie den Vorfall oder sie lebt hinterm Mond.«

Er zückte sein Handy und deutete auf das Instagram-Profil der Mannschaft. »Ich habe ein bisschen recherchiert. Unter den Fotos der letzten Saison steht nie, wer sie gemacht hat. Aber sie war ja bei den Spielen. Also müssten sie alle von ihr sein.«

Ich ließ meinen Blick über die unzähligen Beiträge schweifen. Ich war immer so in das Spiel vertieft gewesen, dass ich ihr nie wirklich Beachtung geschenkt hatte. Zumindest bis gestern.

Im letzten Jahr war auch unsere Internetpräsenz durch die Decke gegangen. Langsam dämmerte mir, dass mein kleiner Streit mit der Fotofee wohl weitreichende Folgen haben konnte. Um den Scouts der NFL aufzufallen, war meine Internetpräsenz äußerst wichtig. Und wie es aussah, hatte ich einen großen Teil dieser Präsenz ihr zu verdanken.

»Ohne eine gute Kamera wird sie keine Fotos mehr von uns machen können«, seufzte ich und sah Isaac an. Auch ihm schien klar zu werden, dass wir ohne die Fotofee und ihre Kamera ein Problem bekommen könnten.

Natürlich waren unsere Leistungen das Wichtigste, um es in die NFL zu schaffen, aber die Scouts waren eben an Gesamtpaketen interessiert. Sie wollten Spieler, die Menschen in die Stadien brachten und das Team bereicherten.

»Dann sollten wir uns überlegen, wie ihr euer Kriegsbeil begraben könnt.«

»Und wie soll ich ihr mein Friedensangebot überbringen, wenn sie nicht auffindbar ist?«

Isaac schien einen Moment zu überlegen und fummelte an dem Verschluss seines goldglänzenden Helms herum.

»Nutzen wir doch die Aufmerksamkeit, die das Video von eurem Zusammenprall generiert hat. Irgendjemand am Campus wird sie schon kennen. Wenn du auf deinem Instagram-Profil nach ihr fragst, wird das sicherlich die Runde machen. Und wegen der Kamera wird uns Genies sicherlich auch noch etwas einfallen.« Er zwinkerte verschwörerisch und klopfte mir aufmunternd auf die Brust.

Es war zwar riskant, immerhin hatte ich sie gestern schon genug verärgert, aber vielleicht war es meine Chance, der Fotofee einen Deal vorzuschlagen, der uns beiden nutzen würde. Vorausgesetzt, sie würde überhaupt auftauchen.

Kapitel 4

Maeve

Mit pochendem Schädel und schmerzenden Gliedmaßen versuchte ich, es von meiner weichen Matratze zu schaffen. Doch mein Körper schien in den Federn unterzugehen. Als mein verschlafener Dämmerzustand endlich abebbte und mich die Erinnerungen an den gestrigen Tag einholten, saß ich jedoch fast augenblicklich aufrecht im Bett.

Sofort glitt mein Blick zu meinem Schreibtisch, um zu kontrollieren, ob meine Kamera weiterhin zerstört war oder ich das alles nur geträumt hatte. Zu meinem Bedauern war es kein Traum gewesen.

Bisher hatte ich mir nur ein einziges Mal gewünscht, dass etwas, das mir passiert war, nur Einbildung gewesen war. Mein Zusammenstoß mit Carter war nun Nummer zwei auf der Liste. So gerne ich den Zwischenfall als Illusion abgetan hätte, bewiesen die Scherben auf dem Schreibtisch und meine blutigen, schmerzenden Gliedmaßen, dass der gestrige Tag bittere Realität war.

Ächzend stieg ich aus dem Bett. Als mein Blick auf die Uhr fiel, war ich schlagartig wach. Das Social-Media-Team traf sich in einer halben Stunde, um meine Fotos zu checken, und ich wusste nicht einmal, ob meine Speicherkarte bei dem Zusammenstoß verschont geblieben war. Sofort spurtete ich auf nackten Sohlen zu meinem Schreibtisch und fummelte mit zittrigen Fingern die SD-Karte aus dem zerbeulten Gehäuse.

Als ich sie in den Slot in meinem Laptop steckte, stieß ich ein ängstliches Stoßgebet aus. Sobald sich ein Fenster auf dem Display öffnete, atmete ich erleichtert auf. Zumindest waren die Fotos nicht verloren gegangen.

Hektisch schnappte ich mir einen Cardigan und tauschte meine fleckige Jogginghose gegen eine Jeans, bevor ich samt Laptop und kaputter Kamera aus dem Wohnheim spurtete. Während ich über den gepflasterten Weg lief, achtete ich penibel darauf, nicht über meine eigenen Füße zu fallen. Jetzt auch noch meinen Computer zu schrotten, wäre eine finanzielle Vollkatastrophe.

Ich schaffte es glücklicherweise ohne weitere Vorfälle in das moderne Community Building. Die verglaste Fensterfront ließ so viel Tageslicht in den Neubau, dass jede Ecke ausgeleuchtet war und wunderbare Gelegenheiten bot, sich hinzusetzen, zu lernen oder mit Freunden zu entspannen. Jedes Mal beobachtete ich die kleinen Grüppchen neidvoll und malte mir aus, wie es wäre, wenn auch ich an der Universität Anschluss gefunden hätte.

Ich huschte die breiten Metalltreppen hinauf bis in den ersten Stock, wo ich scharf links abbog und in das Büro des Social-Media-Teams platzte. Sobald ich völlig außer Atem durch die Tür trat, drehten sich mehrere Gesichter in meine Richtung.

»Ich hab die Fotos retten können«, keuchte ich und reckte den Arm mit meinem Laptop in die Höhe. Sofort wandte der Großteil des Teams desinteressiert den Blick ab. Sie alle waren viel zu sehr in ihre Aufgaben vertieft, nur ein paar Mädchen musterten mich einen Moment länger und begannen dann wild zu tuscheln. Sie dachten wahrscheinlich, es würde mir nicht auffallen, aber wenn man das letzte Jahr über unsichtbar gewesen war, fiel einem die plötzliche Aufmerksamkeit umso mehr auf.

Nur Oliver, einer der Texter des Teams, stand von seinem Platz auf und kam auf mich zu. Er war der Einzige, mit dem ich jemals mehr als nur ein paar Worte gewechselt hatte. Er war zur selben Zeit ins Team gekommen wie ich, aber ich hatte mich nie getraut, ihn zu fragen, ob wir auch außerhalb der Arbeit etwas unternehmen wollten. Nicht, weil er einschüchternd wirkte, ganz im Gegenteil. Durch seine langen Gliedmaßen und die krumme Haltung wirkte er unbeholfen. Sein strahlendes Lächeln, welches sich auf seiner braunen Haut abzeichnete, hatte mir immer das Gefühl gegeben, dass er ein netter Kerl war, aber meine eigenen Unsicherheiten standen mir im Weg. Jetzt hatte ich das Gefühl, den Zeitpunkt verpasst zu haben, in dem wir uns hätten anfreunden können.

Sobald er näher kam, erkannte ich die Sorge in seinen haselnussbraunen Augen.

»Geht’s dir gut?«, fragte er mit gedämpfter Stimme. Dann hatte sich mein Zusammenprall mit Carter anscheinend bereits herumgesprochen. Das erklärte auch das Tuscheln der Mädels, deren Blicke ich noch immer auf mir spüren konnte.

»Alles bestens, nur meine Kamera hat gelitten«, antwortete ich und öffnete meinen Rucksack.

Oliver blickte hinein und verzog mitleidig das Gesicht. »Komm mit. Wir erwarten dich schon hinten im Konferenzzimmer.«

Er führte mich durch das große Büro bis zu einer weiteren Tür, hinter der ein kleinerer Raum war, den das Team für Konferenzen nutzte. Die Blicke der Teamvorsitzenden klebten unverändert an ihren Handydisplays, als ich eintrat. Wie zu erwarten, saßen sie in Reih und Glied an dem langen Glastisch und schienen sich nicht daran zu stören, dass ich sie hatte warten lassen.

»Maeve ist da«, rief Oliver, woraufhin sofort alle Köpfe in die Höhe schossen.

»Maeve«, begann Savannah, die Leiterin des Teams. »Wir haben gesehen, was passiert ist. Geht es dir gut?«

Irritiert musterte ich sie. Gesehen?

Savannah war gar nicht bei dem Spiel gewesen, das wusste ich, weil sie es groß angekündigt hatte. Sie hatte einen wichtigen Werbedeal an Land gezogen und war dafür in den letzten Tagen in einem anderen Bundesstaat gewesen.

»Mir geht’s gut«, entgegnete ich misstrauisch. Savannahs Tonfall verhieß nichts Gutes, also entschied ich, schnell das Thema zu wechseln. »Wollt ihr die Fotos sehen?«

Ich ließ meinen Rucksack auf den Parkettboden sinken, bevor ich mich auf einen der Stühle setzte und meinen Laptop aufklappte. Ich spürte förmlich, wie die anderen um mich herum bedeutsame Blicke austauschten, während ich die Bilder heraussuchte, die ich gestern noch schießen konnte. Leider war es mir nicht möglich gewesen, den Sieg einzufangen, doch der Einlauf und der Münzwurf würden sich sicherlich gut auf der Homepage der Universität machen. Ich verband meinen Laptop per Bluetooth mit dem Fernseher, der gegenüber an der Wand hing, und scrollte durch die Bilder.

»Ich denke, die hier würden sich sehr gut eignen«, begann ich, stockte jedoch, als ich zu einer der letzten Aufnahmen kam. Darauf zu sehen war der Moment, kurz bevor Carter auf mich gestürzt war.

Sofort kicherte eines der Mädchen, das sich gemeinsam mit Savannah um den Instagram-Account der Uni kümmerte. Ich räusperte mich und wollte meine Einschätzungen zu den Bildern abgeben, wurde dann jedoch von ihr unterbrochen. »Riecht er so gut, wie alle immer sagen?«

Irritiert blickte ich auf und versuchte in den Blicken der anderen zu erkennen, was hier vor sich ging, doch sie starrten mich ebenso interessiert an. »Bitte was?«

»Na, Carter«, ergänzte Savannah. »Alle, die mit ihm schlafen, sagen immer, er riecht so toll. Tut er das wirklich?«

Ich seufzte und klappte den Laptop zu, ehe ich mich ihr in dem Drehstuhl zuwandte. »Ehrlich gesagt hab ich nicht darauf geachtet, wie er riecht, weil er mich wie eine Walze überrollt hat. Ich war eher damit beschäftigt, wieder Luft zu bekommen.«

Sofort veränderte sich etwas in Savannahs Miene. Erst dachte ich, sie würde mir beistehen, doch dann fing sie an zu lachen. »Das haben wir gesehen.«

Die anderen stimmten ein. Hilfe suchend sah ich zu Oliver. Er war der Einzige, der ernst geblieben war und mich nur mitleidig ansah.

»Savannah, ich dachte, du warst in Washington, D.C.? Wie kommt's, dass du es auch gesehen hast?« Ich versuchte, an hilfreiche Informationen zu kommen, doch sie prustete nur noch lauter los. Ich erhaschte Olivers Kopfschütteln. Er versuchte, mir zu bedeuten, es dabei zu belassen, doch ich wollte wissen, was hier los war.

»Du hast es nicht gesehen? Die ganze Uni weiß davon.« Savannah schien plötzlich zu merken, dass ich diesen Vorfall überhaupt nicht witzig fand, und hatte den Anstand, sich ein bisschen zusammenzureißen. Nun war ich noch verwirrter als zuvor. Statt zu einer großen Erklärung auszuholen, verband Savannah ihr Handy mit dem Fernseher und öffnete das Instagram-Profil von Campus Klatsch. Die Klatsch- und Tratsch-Seite der Universität. Hier tauschte man sich über die neuesten Themen aus, seien es Doping-Skandale, eine Made im Essen in der Cafeteria oder die heißesten Pärchen des Campus.

Sie spielte ein Video ab. Es zeigte den Moment, in dem Carter in mich stürzte und mich zu Boden riss. Nur dass da nicht mehr die entsetzten Laute der Menschen um mich herum, sondern der John-Cena-Soundtrack zu hören war.

Wie betäubt starrte ich auf den Bildschirm. Das konnte nicht wahr sein. Nicht schon wieder. Die Universität sollte der Ort sein, an dem mich keiner kennen würde. Ich wollte nicht mehr sein als das unsichtbare Mädchen hinter der Kamera, dessen Gesicht versteckt blieb.

Doch nun war ich mit meinem Gesicht doch wieder im Netz gelandet.

»Wie viele?«, keuchte ich, während sich meine Hand um die Tischplatte vor mir krampfte und ganz schwitzig wurde.

»Was?« Savannah klang fast schon besorgt, als sie meinen Gesichtsausdruck erhaschte.

»Wie viele haben es gesehen?«, wiederholte ich. Sofort spürte ich, wie sich die Energie im Raum anspannte. Savannah klickte auf Carter McCoys Instagram-Profil und spielte seine Story ab. Er hatte das Video gerepostet. Mit der Caption: »Liebe Fotofee, ich will dir einen Deal unterbreiten. Komm heute Nachmittag zum Sunrise Stadium :)«

»Der ganze Campus weiß davon, Maeve.«

Am liebsten hätte ich losgeschrien, stattdessen stopfte ich meinen Computer in meinen Rucksack und stürmte aus dem Raum.

»Maeve!«, hörte ich hinter mir Oliver rufen, beachtete ihn jedoch nicht weiter.

Ich bereute, heute Morgen keinen Hoodie angezogen zu haben. Jetzt hätte ich mir gern eine Kapuze ins Gesicht gezogen, während ich über den Campus spurtete. Immer wieder spielte sich das Video unseres Zusammenpralls vor meinem inneren Auge ab und ich wollte tiefer im Erdboden versinken. Wieso passierte so etwas immer mir? Ich hatte mir nichts sehnlicher gewünscht, als einfach unsichtbar zu bleiben. Stattdessen hatte Carter McCoy nichts Besseres zu tun, als mich vor der ganzen Universität bloßzustellen. Ich wurde zu einem Meme gemacht. Zu einer Witzfigur.

Zu einer Zielscheibe.

Kapitel 5

Maeve

Die Zeit bis zum Footballtraining versteckte ich mich in meinem Dorm und zog die Vorhänge zu. Ich war froh, kein Social Media zu besitzen, sonst hätte ich vermutlich jeden einzelnen Kommentar unter dem Video gelesen. Ich war ein paarmal versucht gewesen, die Apps herunterzuladen, hatte mich dann aber an die Geschehnisse vor vier Jahren erinnert und mich dagegen entschieden. Ich würde das nicht so nah an mich heranlassen. Ich würde die Geschichte sich nicht wiederholen lassen.

Als ich mich am Nachmittag schließlich vor die Tür traute, hatte ich mir vorher eine Baseballcap übergezogen und die blonden Haare darunter versteckt. Meine Augen verbarg ich zusätzlich unter einer dicken Sonnenbrille. Ich sah zwar aus wie ein Möchtegernverbrecher, doch das war immer noch um einiges besser, als auf dem Campus angegafft und ausgelacht zu werden.

Mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Blick machte ich mich auf den Weg ins Sunrise Stadium. Auch wenn sich alles in mir dagegen sträubte, Carter McCoy ein weiteres Mal unter die Augen zu treten, musste ich dafür sorgen, dass er die Story löschte und mich nie wieder erwähnte, um die Welle, die das Video auf Social Media schlug, einzudämmen. Sonst konnte ich nur abwarten, bis der Sturm abebbte und jeder auf dem Campus unseren Zusammenprall vergessen hatte.

Das Internet vergisst nie, sagte eine mahnende Stimme in meinem Hinterkopf. Eine Lektion, die ich schmerzlich hatte lernen müssen.

Seit dem Meeting zerbrach ich mir den Kopf darüber, was er mit dem Deal gemeint haben könnte. Doch ich ermahnte mich, dass es mir egal sein konnte. Ich würde ihn auf die Story ansprechen und dann sofort wieder verschwinden.

»Nicht so schnell, Kleine«, hielt mich der Security-Mann vor dem Stadion auf, als ich gerade mit gesenktem Blick an ihm vorbeistürmen wollte. Ich stockte und seufzte, als er mich genauer unter die Lupe nahm. Wer konnte es ihm verübeln? Noch zwielichtiger hätte mein Erscheinungsbild eigentlich nicht ausfallen können. Als er mich weiterhin argwöhnisch musterte, nahm ich die dunkle Sonnenbrille ab.

»Ich muss mit einem aus dem Footballteam sprechen«, erklärte ich und hoffte auf sein Verständnis. Doch statt mich durchzulassen, sagte er: »Du bist doch die Fotofee, oder?«

Ich verdrehte die Augen. »Ist das so offensichtlich? Ich habe einen Termin mit der Walze.«

Der Wachmann lachte und deutete in Richtung Eingang. »Du gefällst mir, Kleine.«

Ich bedankte mich mit einem müden Lächeln und stapfte an ihm vorbei. Es war ungewohnt, in ein beinahe leeres Stadion zu treten, das gestern bis zum Bersten mit Fans gefüllt gewesen war. Jetzt erfüllten lediglich die Schreie des Coaches die Ränge. Er pfiff, schrie und pfiff wieder, während die Spieler in Dauerschleife über den Rasen rollten, aufsprangen, auf der Stelle rannten, ehe sie sich wieder auf den Boden warfen. Ihre Bewegungen waren so schnell, dass ich Mühe hatte, ihnen zu folgen.

Sobald mich einer von ihnen entdeckte, rief er: »Die Fotofee!«

Reflexartig setzte ich einen Schritt zurück. Carters Blick streifte den meinen. Sein überraschter Gesichtsausdruck wich einem amüsierten, was meine Wut auf ihn nur weiter schürte. Ich handelte, ohne nachzudenken, und stapfte über das Feld.

Die Rufe des Coaches ignorierend, hielt ich direkt auf Carter zu, der mich mit verschwitzten Haaren und einem schiefen Grinsen empfing.

»Hast du etwa noch nicht genug von mir?«, neckte er mich.

Ich reagierte mit einem ironischen Lachen. »Ich bin viel eher hier, um dir zu sagen, dass du mich in Ruhe lassen sollst. Lösch deine verdammte Story und erwähne mich nie wieder irgendwo!«

Der Coach kam sichtlich verärgert auf uns zu – vermutlich, um mich höchstpersönlich vom Feld zu werfen –, da hatte mich Carter schon am Handgelenk gepackt und schleifte mich über den Rasen.

»Was fällt dir ein!«, rief ich, was mir einen mahnenden Blick seinerseits einbrachte.

»Mecker weiter so rum und ich trag dich wieder.«

Daraufhin war ich still. Niemals hätte ich diese Blöße abermals über mich ergehen lassen.

»Willst du dir nicht erst mal anhören, was mein Deal beinhaltet, bevor du wieder ausfallend wirst, Fotofee?«, fragte er gelassen und stemmte die Hände in seine schlanke Hüfte, sobald er mich losgelassen und wir abseits des Feldes stehen geblieben waren.

»Nenn mich nicht so«, entgegnete ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Wir mussten uns etwas einfallen lassen. Ich habe keine Ahnung, wie du heißt.«

»Und genau dabei sollte es bleiben«, zischte ich. »Niemand sollte wissen, wer ich bin, aber du und dein bescheuerter Instagram-Beitrag haben alles kaputt gemacht.«

Er lachte. »Ich dachte, ich würde dir damit einen Gefallen tun.«

Ich zog fragend eine Braue nach oben. »Und inwiefern soll das ein Gefallen sein?«

Er seufzte und wischte sich die verschwitzten Haare aus seiner glänzenden Stirn. »Hör zu. Ich sehe ein, dass mein Tackle dich deine Kamera gekostet hat, also möchte ich dir helfen, an eine neue zu kommen. Deswegen auch der Insta-Beitrag. Aber ich habe nicht so viel Geld.«

Verdutzt musterte ich ihn. Damit hätte ich nicht gerechnet. Bevor ich etwas entgegnen konnte, fuhr er fort: »Aber ich hab einen Plan. Für eine kleine Gefälligkeit …«

Mein Herz raste und das mulmige Gefühl in meinem Magen breitete sich weiter aus. Ich wollte davonrennen. Mich wieder in meinem Dorm verstecken, wie ich es vorgehabt hatte. Doch dann dachte ich an meine zertrümmerte Kamera und an mein leeres Bankkonto. An meinen Traum, Fotografin zu werden. Und dass er ohne Kamera in fast unerreichbare Ferne rückte.

Und blieb an der Stelle stehen.

Vielleicht würde mich Carters Deal nur weiter in meine Misere stoßen, aber vielleicht war es auch meine einzige Chance auf eine neue Kamera.

Kapitel 6

Carter

Die Fotofee war noch aufgekratzter, als ich sie von der Party gestern in vernebelter Erinnerung hatte. Ständig wippte sie aufgeregt mit ihrem Fuß auf und ab, während sie ihre rosa Unterlippe zwischen die Zähne zog. Ich konnte es kaum ertragen, ihr dabei zuzusehen, wie sie sich förmlich selbst verschlang.

»Sag mal, bist du ein Kannibale?«, konnte ich mir nicht verkneifen, zu fragen.

Sofort zog sie verwirrt die hellen Augenbrauen zusammen. »Was?«

»Na, mit deiner Lippe.« Ich ahmte ihre Kaubewegungen nach. »Das macht einen ja wahnsinnig.«

Sofort verschwand die gesamte Unterlippe zwischen ihren weißen Zähnen und sie senkte den Blick.

Ich atmete tief durch, bevor ich ihr weiter meinen Plan erörterte. »Wir können die Aufmerksamkeit, die das Video bekommt, nutzen.«

Ihr Blick schoss zu mir hoch. Ich konnte es förmlich in ihrem Gehirn rattern hören. »Wie soll mir das helfen?«

Schon nagte sie wieder an ihrer Unterlippe, was mir dieses Mal ein Lachen entlockte.

»Verdammt, Mädchen. Bevor wir das weiter bereden, musst du erst mal was zu essen bekommen, bevor dir deine Lippe zum Opfer fällt.«

Ich merkte, dass sie gegen ihren Willen schmunzeln musste. Sie versuchte, es zu verstecken, indem sie ihren Kopf senkte und mir mit ihrer Baseballcap den Blick versperrte, doch das Zucken ihrer Mundwinkel entging mir nicht.

»Folgender Vorschlag: Ich beende das Training und du wartest hier. Danach gehen wir was zusammen essen und ich lösche die Story, wenn du dir meinen Vorschlag angehört hast. Deal?« Ich hielt ihr meine Hand hin.

Sie zögerte kurz, schlug dann jedoch ein. Erst da fielen mir die feinen Goldringe und Armbänder auf, die sie an ihren Fingern und ihrem Handgelenk trug. Sie klimperten sanft gegen ihre blasse Haut, sobald sie sich wieder zurückzog.

Das gesamte Training über saß sie auf der Tribüne und beobachtete uns, oder wohl eher mich. Was sie wohl dachte? Hasste sie mich dafür, dass ich das Video auf meinem Account geteilt hatte? Immerhin folgte mir beinahe der halbe Campus. Sicherlich hatte das Video so noch wesentlich mehr Views bekommen als ohnehin schon. Gleichzeitig hatte es seinen Zweck erfüllt. Sie war hergekommen.

Wie sonst hätte ich ihr ein weiteres Mal begegnen sollen? Sie war ein Geist. Kein auffindbarer Instagram-Account, nicht einmal die Fotos auf der Website waren mit ihrem Namen versehen.

»Die Kleine konnte ja ihre Augen nicht von dir losreißen«, stichelte mein bester Freund, als er nach Ende des Trainings an mir vorbei zu den Duschen schlenderte. Sofort handelte er sich einen Schlag mit dem Handtuch auf den nackten Hintern ein.

»Sie sah eher so aus, als hätte sie Mordgedanken«, entgegnete ich. Sie war offensichtlich noch immer sauer, aber vielleicht änderte sich das, wenn sie etwas Warmes im Magen hatte und sich meinen Vorschlag anhörte.

Ich folgte Isaac in den gefliesten Raum. Der Wasserdampf war so dicht, dass ich meine eigene Hand kaum vor Augen sehen konnte.

Der eiskalte Strahl entspannte meine überhitzten Muskeln und brachte meinen erschöpften Kreislauf wieder in Gang.

»Meine Güte, Carter. Dass du dir nicht die Nippel abfrierst, grenzt an ein Wunder«, rief Isaac, nachdem ich ihn mit ein paar kalten Tropfen geärgert hatte.

»Ich bin halt nicht so ein Warmduscher wie du«, witzelte ich und drehte das Wasser ab. Ich verzichtete darauf, mir die Haare zu föhnen, weil mein knurrender Magen mir keine Ruhe mehr ließ.

Die Fotofee wartete am Ausgang des Stadions und unterhielt sich mit dem Sicherheitsbeamten Harold, der rund um die Uhr in seinem kleinen Häuschen darauf achtete, dass niemand Unbefugtes das Gelände betrat. Er begrüßte uns jeden Tag zum Training und war selbst begeisterter Football-Fan. Der sympathische Mann mittleren Alters hatte sich nach und nach auch in das kälteste Herz der Mannschaft geschlichen.

»Da ist er ja«, rief er, als ich auf die beiden zukam. »Ich hoffe, Maeve hat dir ordentlich die Leviten gelesen. Also wirklich, Carter. Wie kannst du nur so ein hübsches Mädchen über den Haufen rennen?«

Maeve. Das war also ihr echter Name. Er passte zu ihr. Er spiegelte ihre feinen Züge wider und war doch kraftvoll, so wie ich ihr Temperament kennengelernt hatte.

»Keine Ahnung, Harold. Vielleicht brauchte ich nur einen Vorwand, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen«, gab ich ebenso spielerisch zurück.

Maeve verdrehte die Augen so weit, dass ich Sorge hatte, sie würden gleich in ihrem Schädel verschwinden.

»Wollen wir? Ich hab einen Bärenhunger«, fragte ich und rückte die Sporttasche auf meiner Schulter zurecht.

»Wohin möchtest du denn?« Sie schob sich eine blonde Strähne hinters Ohr und enthüllte damit die goldfunkelnden Piercings an ihren Ohren.

Ich deutete als Antwort die asphaltierte Straße hinunter. »Die Dining Hall ist wohl am nächsten.«

Sie nickte nur, und als sie kein Widerwort erhob, bekam ich das erste Mal das Gefühl, dass sie mir nicht im nächsten Moment den Kopf abreißen wollte.

Der Wind, welcher den Geruch des Meeres mit sich trug, wirbelte in ihrem Haar, während sie neben mir die Straße hinunterschlenderte.

»Du heißt also Maeve. Ein ungewöhnlicher Name«, durchbrach ich die aufkommende Stille.

Die Sonne stand bereits so tief, dass ich mir schützend eine Hand vor die Augen halten musste, als ich ihrem Blick begegnete. Die Palmen, welche die Straße in Richtung der Dining Hall säumten, zogen lange Schatten über ihre vollen Wangen und verdunkelten ihre grauen Augen. Sie schien zunächst misstrauisch, woher mein plötzliches Interesse kam, antwortete dann jedoch: »Maeve kommt aus dem Keltischen und bedeutet ‚mitreißend‘. Meine Familie hat irische Wurzeln, daher haben sie ihn gewählt.«

Ihr Name kam so sanft über ihre Lippen, dass der Ton beinahe vom Wind davongetragen wurde, bevor er an mein Gehör dringen konnte. Also lehnte ich mich ein Stück vor und hauchte: »Wieso sprichst du denn plötzlich so leise? Gestern Abend hattest du auch kein Problem damit, mich anzuschreien. Wo ist die große Klappe plötzlich hin?« Ein Lachen durchzuckte meine Brust. »Oder mach ich dich etwa nervös, wenn wir allein sind?«

Sofort legte sich Empörung in ihren Ausdruck und ihre Wangen nahmen eine rosa Farbe an. »Ich will nur nicht, dass der ganze Campus auch noch meinen echten Namen kennt. Dass ich jetzt deinetwegen als die Fotofee bekannt bin, reicht mir. Komm ja nicht auf die Idee, meinen echten Namen auch noch in der Instagram-Story zu teilen.«

Ich ließ meinen Blick über die gähnend leere Allee wandern, die das Campusinnere mit dem Stadion verband. Sie war lediglich an Spieltagen gefüllt. »Hier ist niemand außer uns beiden.«

Maeve schaute sich um, ehe sie weiterlief. »Du hast trotzdem kein Recht, mich so bloßzustellen. Seit ich an dieser Uni bin, habe ich versucht, nicht aufzufallen, und du hast alles innerhalb von wenigen Stunden kaputt gemacht.«

»Warum ist es für dich denn so ein Problem, auf Social Media aufzutauchen?«

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