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Rosa. Vom Zauber einer Farbe

Als Buch hier erhältlich:

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Ein Plädoyer für die Verzauberung der Welt in schwierigen Zeiten

Rosa eröffnet uns eine Welt voller Geschichten und niemand erzählt sie so gut wie Björn Vedder:

Maler sahen im Rosa die Fleischwerdung des Geistes. Yves Klein fand in seinem Ultramarineblau den Ausdruck für das Absolute, den Flug auf die andere Seite des Himmels, Rosa verkörperte für ihn die Farbe des Rückflugs.

Madame Pompadour machte die Farbe als Erste zum Symbol selbstbewusster Frauen. Die Modeschöpferin Elsa Schiaparelli erfand das Shocking Pink, Stuart Semple The World’s Pinkest Pink. Dichter hüllten Liebespaare in rosa Wolken, um sie vor der Grausamkeit der Welt zu schützen.

Später ging die Farbe vor die Hunde, wurde mit Mamie Eisenhower zur Chiffre konservativer Hausfrauen und spätestens mit Barbie zum Farbpigment des grenzenlosen Plastikkonsums. Die Industrie kennt mittlerweile 129 rosa Farbtöne: Von Bubblegum bis Thulian, von Blush bis Punch, von Lemonade bis Fuchsia, von Amaranth bis Carnation …Björn Vedder verzaubert in allen Facetten.

»Qu’est-ce que c’est la vie en rose? Es ist der Unwillen, sich im Gegräu des Lebens einzurichten bei gleichzeitig gesteigertem Bewusstsein, seiner Gravitation doch nicht zu entkommen. Es ist eine sentimentale Rakete, mit der wir kurz in den Himmel fliegen, um von dort aus zurückzublicken – nicht auf die Welt, die wir verlassen haben, sondern auf die, die sie hätte sein können. Dieser Abstand wird vielleicht in keinem Bereich unseres Lebens so spürbar wie in der Liebe, die das (immer schon) verlorene Paradies par excellence ist und die uns gleichwohl immer wieder motiviert, erneut zu starten und uns ungeplant und unrasiert – par hasard et pas rasé, wie es in einem Chanson von Serge Gainsbourg heißt – in ein neues Abenteuer zu stürzen.«


  • Erscheinungstag: 28.01.2025
  • Seitenanzahl: 160
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749906468
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für meine Töchter Clara, Marianne und Elisabeth.

Einleitung

Man lernt Sehen wie eine Sprache. Farben spielen dabei eine besondere Rolle. Denn Farben sehen heißt, die Welt zu interpretieren. Wie ich eine bestimmte Farbe zu sehen und die Welt in ihrem Licht zu verstehen gelernt habe, darum geht es in diesem Essay. Es ist die Farbe Rosa.

Rosa ist heute überall, nicht erst seit Greta Gerwigs Barbie-Film (2023) und der damit verbundenen Modewelle, sondern schon viel länger. Rosafarbene Dinge beherrschen unseren Alltag: Es gibt rosa Kleider und rosa Schuhe, rosa Wände und rosa Kissen, rosa Spielzeug und rosa Möbel, rosa Accessoires und rosa Kosmetik, rosa Geschirr, rosa Drinks und rosa Schokolade, rosa Autos, rosa Busse, rosa Fahrräder, rosa Flugzeuge. Und jeden Tag werden es der rosa Dinge mehr. Denn die Industrie bringt jeden Tag neue rosa Produkte auf den Markt und erfindet fortwährend weitere Rosatöne, um noch mehr rosa Zeug zu verkaufen. Inzwischen ist die Palette auf hundertneunundzwanzig Farben angewachsen – von Pink über Fuchsia und Lachs bis Magenta, von Pfirsich über Koralle und Bubblegum bis Erdbeerrot, von Cotton Candy über Pink Glow und Love Portion bis Tender Touch. Wenngleich jeder Rosaton ein bisschen anders aussieht, vereinten sie sich für mich lange Zeit zu einem Klischee, dem quietschenden Lack einer Hauruck- und Wegwerfgesellschaft, die, mit leichten Variationen, alles rosa färbt, was heiter, oberflächlich schön und niedlich sein sollte – wie die Top-Model-Bürsten meiner Töchter, die Sofakissen meiner Schwester oder das rosa Polohemd meines Kollegen. Die immer gleiche Leier des Süßen, Unbedarft-Heiteren, Fröhlich-Mädchenhaften und Naiv-Glücklichen.

Dieses Vorurteil brach jedoch auf, als ich in Wien eine Frau namens Rosa traf. Ich hatte gerade eine kleine Rede gehalten, um in eine Ausstellung einzuführen, und wollte nur schnell zur Bar, weil mein Mund schon ganz trocken war, als sie mir den Weg versperrte. Sie sah aus wie Campino in einem Barbiekostüm von Vivienne Westwood und war unglaublich charmant und nett und lustig und ganz in Rosa gekleidet. So kamen wir ins Plaudern. Sie war eine Freundin des Malers und selbst auch Künstlerin. Und sie plante eine Ausstellung in Berlin, in der es ausschließlich um die Farbe Rosa gehen sollte – und darum, wie uns ein rosaroter Blick auf die Welt helfen könnte, die allgegenwärtige Krisenstimmung zu meistern. »Rosa sehen statt untergehen!« Den Titel hatte sie aus einer amerikanischen Redewendung übersetzt, die die sprichwörtlich gewordene rosarote Brille mit der modernen Erfolgsideologie verbindet – Pink or Sink! Und sie fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, bei der Eröffnung etwas darüber zu sagen. Ich fand das eine sensationelle Idee, weil es ein überraschendes Licht auf die Farbe warf und weil auch ich den Eindruck hatte, dass uns etwas mehr Heiterkeit und Optimismus guttun könnten. Also stand ich drei Wochen später in einer Pop-up-Galerie am Berliner Hohenzollerndamm und erklärte, »dass es nicht die Krise ist, die uns niederstreckt, sondern unser Verhalten, wenn wir in der Bredouille sind«, und dass wir die Zukunft rosig oder eben heiter-optimistisch sehen müssten, wenn wir den Kopf über Wasser behalten wollten. 1

Das Argument hatte ich vom antiken Arzt Galen, der sich mit Lebenskrisen genauso auskannte wie mit kritischen Situationen bei seinen Patienten und der die Erfahrung gemacht hatte, dass derjenige, der aufgibt, wenn das Leben auf der Kippe steht, schon verloren hat. 2 Galens Lob der Unverdrossenheit verband ich mit der Morgenröte, die viele Menschen gleichfalls optimistisch stimmt, weil sie den Aufgang der Sonne und einen neuen Tag verkündet. Die »rosenfingrige Eos«, singt schon der griechische Dichter Homer, spannt den Himmel auf, damit ihr Bruder Helios den Sonnenwagen darüberführen kann. 3 Und so, wie das Morgenrot einen sonnigen Tag verspricht, sollte die rosarote Unverdrossenheit uns durch die Krise führen. Denn auch wir hatten damals, im Winter 22, das Gefühl, dass unser Leben auf der Kippe stand. Und wir begegneten diesem Gefühl mit einem rauschenden Fest – in rosa Kleidern, mit hundert Kisten Rosé und einer Palette rosa Macarons, die eine Wiener Feinbäckerei ganz frisch geliefert hatte. Alle waren da. Auch Erik, der Maler aus Wien, in einem hinreißenden rosafarbenen Anzug von Tom Ford oder Gucci (wie Ryan Gosling zwei Jahre später bei den Oscars), nur Peter Fox leider nicht, den ich eingeladen hatte, sein Lied Zukunft Pink bei uns zu singen, das damals ein Hit war.

»Alle malen schwarz, ich seh’ die Zukunft pink

Wenn du mich fragst, wird alles gut, mein Kind«. 4

Wir waren jedoch auch so in allerbester Stimmung und hörten eben andere Lieder über Rosa, es gibt ja genug – von Édith Piafs weltberühmter Liebesschnulze La vie en rose (1947) und Frank Sinatras Jazz Standard Looking at the World Through Rose Colored Glasses (1962) über Gilbert Bécauds Chanson Limportant cest la rose (1967) und Hildegard Knefs aggressiv-trotziger Selbstbehauptung Für mich solls rote Rosen regnen (1968) bis zu Aerosmiths witzigem Rocksong Pink (1997): »Yeah, pink, it’s like red but not quite«. 5

Als ich den Abend zu Hause noch einmal Revue passieren ließ, fragte ich mich jedoch, ob ich es mir nicht zu einfach gemacht hatte. Pink or Sink, heiter durch die Krise, das war ja schön und gut. Aber Rosa ist nicht nur die Farbe der verheißungsvollen Morgenröte, sondern auch des Abendrots, das den Tag beschließt und das Licht verschwinden lässt. Und oft leuchtet dieser Sonnenuntergang noch viel schöner als der -aufgang. Unser Motto hätte also auch ganz anders lauten können: Rosa sehen und untergehen! Denn vom Himmel her gesprochen, erfasst das Pink or Sink nur die halbe Verkündigung.

Diese Einseitigkeit rückte unsere Haltung in die Nähe der sprichwörtlich gewordenen rosaroten Brille, die im Ruf steht, eine naive, weltfremde Form der Träumerei zu sein, weshalb ihre Träger gemeinhin belächelt werden – außer, sie sind verliebt. Denn der Zustand, in dem der Geliebte in unseren von Amor geblendeten Augen funkelt, als wäre er mit tausend kleinen Kristallen überzogen, scheint eine der wenigen Ausnahmen zu sein, in der wir bereit sind, die rosarote Träumerei zu akzeptierten. 6 Liebende sind eben Verrückte. Amantes amentes, sagten die Römer. 7 Und manchmal ist es ja ganz schön, ein wenig verrückt zu sein – oder jemand, nach dem jemand anderes verrückt ist. Die Hymne dieser rosaroten Verrücktheit ist Piafs La vie en rose. Das Chanson beschreibt, wie die Verliebtheit einen Menschen das ganze Leben heiter und glücklich erscheinen lässt, und hat damit unser Verständnis der rosaroten Brille ganz wesentlich geprägt:

»Quand il me prend dans ses bras

Qu’il me parle tout bas

Je vois la vie en rose«. 8

Auf Deutsch: »Wenn er mich in seine Arme nimmt und sanft mit mir spricht, sehe ich das Leben in Rosa«.

Mich hat die einseitige und leicht abschätzige Auffassung der rosaroten Brille nie überzeugt. Deshalb fand ich es schön, dass die Berliner Ausstellung etwas dagegengesetzt hat, mit guten Argumenten. Denn ich glaube weder, dass Galen verrückt war, noch dass die unzähligen empirischen Untersuchungen über die positiven Effekte einer heiter-optimistischen Weltsicht für das Gelingen unserer Unternehmungen Unrecht haben. Ich glaube aber auch, dass die Lage nicht einfach besser wird, wenn man die Augen schließt und an etwas Schönes denkt. Und ich habe mich gefragt, ob sich nicht ein Verständnis der rosaroten Brille formulieren ließe, das auch die Sonnenuntergänge mit einbegreift und im Sinne der Verkündigung unserer wandernden Sonne vollständiger wäre? Eine rosarote Heiterkeit, die auch ernst ist. Dabei bin ich auf eine bis in die Antike zurückreichende Denktradition gestoßen, die ich hier den Optimismus der Morgenröte nennen möchte.

Das himmlische Rosa ist freilich nur ein Phänomen, das mich la vie en rose anders sehen ließ. Es gibt noch einige mehr. Das auffälligste ist vielleicht das Geschlechterklischee, nach dem Rosa eine Farbe für Mädchen ist. Ich hätte gedacht, dass das heute keine Rolle mehr spielt. Wie fest es jedoch noch immer in den Köpfen sitzt, zeigte nicht zuletzt die Empörung der Fans, als sich der DFB entschied, seine Fußballer bei der Europameisterschaft 2024 mit rosa Auswärtstrikots antreten zu lassen. »Ist das ein Frauen-Trikot?«; »Welche Farbe hat denn der Nagellack?« – Kommentare dieser Art (und auch bösartig homophobe) häuften sich derart, dass sich der Verband gezwungen sah, eine PR-Kampagne für das Trikot zu starten, die zeigen sollte, dass Männer Rosa nicht nur tragen, sondern darin auch siegreich sein können. 9

Dabei war genau das lange Zeit selbstverständlich gewesen. Denn ursprünglich war Rosa eine Farbe für Männer. Schon die Jäger der Jungsteinzeit benutzten Ocker, um ihre Lendenschurze rosa zu färben und »den Pfahle, der dir rot von den Hüften entspringt« (wie Goethe so hübsch sagte), halb zu verdecken und halb zu betonen. 10 Und bis zum Ende des alten Europas unter dem Schafott kleideten sich die Söhne der europäischen Adelshäuser in Rosa, um ihre jugendliche Männlichkeit und Virilität zu markieren. Von ihnen übernahm Madame Pompadour, die Mätresse Ludwigs XV., Rosa für ihre Garderobe, weil sie mit der Farbe der Höflinge ihre Emanzipation von der Geliebten zur einflussreichen Politikerin markieren konnte. Infolgedessen verlor die Farbe jedoch ihren vornehm-männlichen Charakter und degenerierte bald zur Modefarbe der Bohème und Nouveau riche. Nach dem Krieg verschaffte eine reaktionäre Ideologie Rosa jedoch wieder einen Platz in der Mitte der Gesellschaft – als Signalfarbe einer Rückkehr zu traditionellen Familienwerten und Rollenbildern im Pink Think, und als Kennzeichen der sexualisierten Hausfrau im Pin-up.

In der wechselhaften Rolle, die die Farbe im Verhältnis der Geschlechter gespielt hat, und in den damit verbundenen Vorstellungen darüber, wie Menschen sich verhalten oder besser nicht verhalten sollten, spiegelt sich die moderne Sitten- und Kultururgeschichte wie der Regenbogen in einem Wassertropfen. Dabei bringt Rosa die scheinbar ungleichartigsten Dinge und Personen zusammen: nicht nur Hausfrauen und Pin-ups, sondern auch Schnaps und Diamanten, Musicals und Schützengräben, den großen Gatsby und Frida Kahlo, Mamie Eisenhower und Jane Mansfield, Shocking Pink und Coco Chanel, Yves Saint Laurent und den rosaroten Panther.

Wenn es eine Moral aus dieser wechselhaften Geschichte gibt, dann vielleicht die, dass mit Rosa keine Identitätspolitik zu machen ist, weil die Farbe auf der einen Seite einschließt, was sie auf der anderen ausschließt. Das macht Rosa zur diversen Farbe par excellence.

Das betonen auch Aerosmith im Video zu Pink. Es ist ein Muster für Inklusion – fünfundzwanzig Jahre bevor sie Mode wurde. Der Sänger, Steven Tyler, tritt als rosa Häschen auf. Es gibt eine Domina, Schwule, Alte, Crossdresser und Transvestiten, Schwarze, Hispanos und Asiaten, ganz kleine und ganz große Menschen, ganz dicke und ganz dünne, Elfen und Sumoringer, Goths, Punks und Kinks, Schulmädchen und Balletttänzer. Die Figuren fließen (von einem Computer animiert) ineinander über; dabei tauchen immer wieder die Gesichter der Band auf (als dies und als das) und am Ende spielt ein Kentaur Gitarre.

Damit verweisen Aerosmith natürlich auch auf die enge Verbindung zwischen Rosa und der LGBT+-Community, auch wenn inzwischen die Regenbogenfahne wichtiger geworden ist. Im Grunde ist Rosa jedoch viel integrativer als der Regenbogen. Denn der Regenbogen enthält ja nur einen Teil des sichtbaren Lichts. Das sichtbare Licht aber, das nicht Teil des Regenbogens ist, ist rosa. Es kommt von den entgegengesetzten Enden des Spektrums und streift sowohl unsere Sehzapfen für rotes als auch die für blaues Licht. So macht es sichtbar, was der Regenbogen ausschließt. Es ist ein Licht der Gemeinschaft und der Vereinigung des Gegensätzlichen.

Diese Beziehung von Rosa und dem Regenbogen zur Gemeinschaft hat eine bemerkenswerte Parallele in der christlichen Religion und Malerei. Denn dort benutzten viele Maler Rosa, um auf den Heiligen Geist zu verweisen, der bekanntlich im Neuen Testament die Funktion hat, Gemeinschaft zu stiften. Im Alten Testament war das vereinigende Symbol der Regenbogen. 11

Die spirituelle Vorgeschichte von Rosa ist ein zweiter Schwerpunkt meiner Entdeckungen. Denn sie eröffnet einen anderen Blick auf Rosa als ihn die buntlackierte Konsumkultur anbietet, und sie reicht bis weit in die Gegenwart hinein. In diesem Zusammenhang war für mich vor allem die bildende Kunst wichtig. Sie zeigt uns Rosa nicht nur als Farbe des Heiligen Geistes, der spirituellen Erhebung oder der Materialisation dieses Geistes, sondern auch des rosenduftenden Flirts, der erotischen Ekstase, der Lebensfreude und des Glücks, in der Welt zu Hause zu sein.

Diese Illustrationen des rosa Gefühls machten es für mich überhaupt erst als Lebensgefühl greifbar. Denn sie zeigen, inwiefern Rosa nicht nur eine Farbe ist, sondern eine Einstellung zum Leben. »Pink isn’t just a color. It’s an attitude«, sagt Miley Cyrus. 12

Als Einstellung zum Leben betrachtet, ist Rosa die Komplementärfarbe von Grau, das, wie eine philosophische Farbenlehre unlängst erklärte, nicht nur die Farbe der Theorie ist, die uns die Welt erklärt, der Bürokratie, die unser Leben verwaltet, und der grauen Herren, die im Hintergrund die Strippen ziehen, sondern auch einer bedrohlichen Welt, in die wir mit der Geburt hineingeworfen worden sind und in der wir mit unseren Ängsten und Sorgen alleingelassen werden. 13

Das ist das graue Gefühl. Es ist das Resultat eines nach innen gewandten Blicks und einer gewissen Farbenblindheit, die womöglich auch habituelle Gründe hat. In Michael Endes Roman Momo (1973) heißt es: »Die grauen Herren machen das Leben so grau, wie sie selbst sind: Graue Anzüge, graue Hüte, graue Gesichter und graue Gedanken. Und niemand weiß, wie ihnen beizukommen ist.« Außer Momo selbst natürlich, denn die grauen Herren gibt es nur, »weil die Menschen ihnen die Möglichkeit geben zu entstehen«. 14

Dem steht das rosa Gefühl entgegen. Es ist das Gefühl, in Kontakt mit der Welt und anderen zu sein, sein Leben selbst gestalten zu können, und das Vertrauen, in der Welt geborgen zu sein. Rosa öffnet unseren Blick für »die glückselige Welt der Dinge und ihren Gott die Sonne«. 15 So lässt sich das Kommende mit frohem Mut erwarten. Frei von Angst und Sorge, ganz entspannt im Hier und Jetzt.

Das rosa Gefühl wäre indes nicht rosa, wenn in ihm nicht auch ein Graustich zu spüren wäre. Er zeigt sich als existentielles Zittern angesichts der Grausamkeiten und Widersprüche des Lebens, als Enttäuschung in der Liebe und als gleißende Ödnis in unserer Plastikwelt, in der das Rosa grau geworden ist. Die Geschichte der Farbe bietet jedoch genug an, um dieses Grau zu überwinden. Wir müssen Rosa nur wieder sehen lernen.

1.
Am Anfang war das Rosa

Ein Buch über eine Farbe, die unsere Augen für »die glückselige Welt der Dinge und ihren Gott die Sonne« öffnen soll, kann nicht in der Studierstube geschrieben werden. Es gilt vielmehr: »So wenig als möglich sitzen; keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung – in dem nicht auch die Muskeln ein Fest feiern.« 16 Also mache ich mich auf den Weg, mir die rosa Welt selbst anzuschauen. Ich beginne in Assisi. Denn Rosa steht nicht nur für eine profane Plastik, sondern unterhält eine besondere Beziehung zum Heiligen, und das wird in der Basilica di San Francesco besonders deutlich. Die Kirche wurde Ende des 13. Jahrhunderts für die Gebeine des Heiligen Franziskus errichtet und von Giotto di Bondone mit achtundzwanzig Fresken geschmückt, die die wichtigsten Stationen im Leben des Heiligen darstellen. Sie zeigen: Bevor Barbie ins rosa Schloss zog, lebte dort der liebe Gott.

Jedes Jahr kommen viele Tausend Pilger und Kunstinteressierte in den Wallfahrtsort nahe Perugia, den wichtigsten in ganz Italien, und ich bin einer von ihnen. Die mittelalterliche Stadt ist perfekt auf ihre Besucher eingerichtet. In den sanften Hügel, auf dem sie errichtet wurde, wurden Parkhäuser hineingefräst, von denen aus die Pilger mit Lifts und Rolltreppen in die pittoreske Stadt gebracht werden, damit auch »Lahme, Blinde und Verkrüppelte« (Mt 15, 30) zu Gott gelangen können, ohne dass jemand ein Wunder tun muss. Wer mit einem Fahrstuhl in eine mittelalterliche Stadt hochfährt, darf sich über die Kulissenhaftigkeit der Gebäude nicht wundern. Ich tue es dennoch. Vielleicht fehlt mir die Routine für Wallfahrtsorte. Außer mir scheint das aber niemanden zu stören. Die Menschen eilen auf die riesige Basilica di San Francesco zu, die auf dem nordwestlichen Rand des Hügels sitzt, zweistöckig und groß und schwer wie eine Festung. Ich folge ihnen und drehe mehrere Runden durch die weitläufige und opulent geschmückte Unterkirche, bis eine der Aufsichtspersonen, ein würdiger alter Pater mit römischem Gesicht, bemerkt, dass ich mich verlaufen habe, und mir eine kleine Treppe weist, die in die Oberkirche führt. An deren Ende finde ich endlich Giottos Fresken. Der Raum ist dunkel und schummerig, aber die Bilder leuchten, als wären sie frisch gemalt, und fast jedes ist rosa.

Die erste Arbeit zeigt, wie Franziskus, Sohn eines reichen Tuchhändlers, seine Mission erhält: Er kniet in einer verfallenen Kirche vor dem Kruzifix und betet zu Jesus Christus, der ihm befiehlt, seine Kirche wieder aufzurichten, die verwahrlost ist und sich aufzulösen droht. Heuchelei und Korruption haben sie »vom wahren Geist des Christentums« entfernt. Giotto malt die kaputte Institution als rosa Kirchenruine. Die Reste des Daches, die aufgebrochenen Wände und die Säulen – alles rosa.

Ein weiteres Fresko zeigt – und das ist eine sehr berühmte Szene, die auch andere Künstler immer wieder gemalt haben –, wie sich Franziskus von seinem reichen Vater lossagt, alle irdischen Güter hinter sich lässt und in die Kirche eintritt. Und diese Kirche ist ebenfalls rosa. Dass wir das Haus Gottes an seiner rosa Farbe erkennen, ist nicht nur bei Giotto so, sondern lässt sich auch bei vielen anderen Malern beobachten. Stefano di Giovanni di Consolo da Cortona, genannt Sassetta, hat z. B. gut hundertfünfzig Jahre später, um 1440, ein Altarbild für die Franziskanerkirche im toskanischen Borgo San Sepolcro gemalt, das Der Heilige Franziskus verzichtet auf seinen irdischen Vater genannt wird. Es zeigt ebenfalls, wie Franziskus sich von seinem Vater lossagt und in die Kirche eintritt. Anders als bei Giotto ist das Kirchengebäude hier nicht ohne Weiteres als Kirche zu erkennen. Es sieht mit seinen langen Rundbögen und offenen Galerien eher wie ein Palazzo aus. Die rosa Farbe verrät jedoch (neben dem Titel und den Figuren), dass dieses Gebäude das Haus Gottes ist.

Giottos Fresken zeigen außerdem, wie sich Franziskus so sehr in das Gebet vertieft, dass ihn eine rosa Wolke in den Himmel hebt. Oder wie sich Franziskus, nachdem er den Orden der Franziskaner gegründet hat, in eine rosa Hütte im Wald zurückzieht, um zu beten. Dort erscheint ihm ein gekreuzigter Christus mit Flügeln an Schultern und Lenden. Die Flügel des seraphischen Jesus (wie diese seltsamen Chimären genannt werden) sind ebenfalls rosa. Die Darstellung geht auf die Vision von Franziskus zurück, in der ihm Jesus erschienen ist und ihn warnte, nicht zu lange fortzubleiben, weil seine Mitbrüder ihn sonst vergessen könnten. Dabei erhielt Franziskus auch die Stigmata des Kreuzes.

Diese Stigmata sind auch in meinem Lieblingsfresko zu sehen. Es zeigt Franziskus, wie er andächtig neben dem Tod steht. Der Tod trägt eine Krone und grinst Franziskus mit schiefen Zähnen scheel an. Franziskus hält eine Hand zur Warnung hoch (bedenket, dass ihr sterblich seid!), und diese Hand zeigt die Wundmale Jesu Christi. Das Kleid, das Franziskus auf diesem Fresko trägt, ist selbstverständlich auch rosa. Denn rosa ist die Farbe des Heiligen Geistes, der ihn zu seinem Leben in der Nachfolge Christi inspiriert hat.

2.
Heimsuchung in Rosa

Die Dominanz von Rosa in Assisi ist keine Seltenheit. Auch in der Scrovegni-Kapelle in Padua, die Giotto 13041306 mit Fresken über das Leben des Heiligen Joachim und seiner Frau Anna (den Eltern Marias) schmückte, sehen wir Joachim in rosa Gewändern. Das ist überraschend, denn Rosa ist nicht die wichtigste Farbe in der christlichen Malerei. Die Heiligen wurden in der Regel in weißen Gewändern gezeigt, um ihre Heiligkeit und Reinheit anzuzeigen. Auch beim Heiligen Franziskus wäre Weiß zu erwarten gewesen. Aber Giotto ist bekannt dafür, dass er mit der mittelalterlichen Farbikonografie gebrochen hat und naturalistischere Farben wählte. Anscheinend haben er und eine Reihe späterer Maler Rosa als Farbe gesehen, die eine besondere Verbindung zum Heiligen hatte, aber nicht mit Jesus oder Maria verbunden war. Denn für diese beiden standen die Farben Rot und Blau.

Rot und Blau sind die zentralen Farben in der christlichen Ikonografie. Seit dem dritten Konzil von Ephesus (431) vertreten sie den Purpur des Kaisers und symbolisieren den Herrschaftsanspruch von Jesus Christus. Rot ist darüber hinaus die Farbe der Caritas, d. h. der christlichen Nächstenliebe und des Blutes, das auf Jesu Märtyrertod am Kreuz verweist. Jesus Christus ist so auf das Engste mit Rot verbunden. 17

Die Farbe steht als Farbe der Rosen, aber auch für Maria, die vielfach mit einer Rose verglichen worden ist. Der lateinische Dichter Ambrosius Sidelius nannte sie etwa eine unter Dornen entsprungene Rose, weil sie ohne Sünde (als Rose ohne Dornen) aus einer sündigen Welt (unter Dornen) geboren wurde. Das Blau ihres Mantels verweist auf den Himmel, dessen Königin sie ist, und auf ihre Reinheit.

Außerdem waren Rot und Blau die kostbarsten Farben, weil ihre Pigmente aus sehr seltenen Rohstoffen gewonnen wurden: Rot aus Pernambuco-Holz, das aus Indien, Sumatra und Ceylon importiert werden musste, Blau aus dem Edelstein Lapislazuli, den es nur im Hindukusch gab. Petrus wurde in der Regel blau und weiß gezeigt – Blau für den Himmel, an dessen Pforte er steht, und Weiß als Zeichen seiner Heiligkeit.

Vielleicht liegt darin ein Schlüssel dafür, dass Giotto Franziskus in Rosa zeigt. Denn Rosa entsteht auf der Palette des Malers aus der Mischung von Rot, der Farbe Jesu Christi und der Nächstenliebe, und Weiß, der Farbe der Heiligen. Franziskus wäre durch sein rosafarbenes Gewand als Heiliger und als kleiner Jesus erkennbar gewesen, und das ist, was er immer sein wollte.

Eine Arbeit, die die Verbindung zwischen Rosa und dem Heiligen mit besonderem Raffinement bezeugt, schaue ich mir auf dem Rückweg aus Assisi in der Toskana an. Es ist Jacopo da Pontormos Die Heimsuchung in Carmignano (15281530). Das Altarbild befindet sich in der Kirche San Michele e San Francesco daselbst und ist (so die geläufigste Interpretation) ein Doppelportrait von Elisabeth und Maria. Es zeigt die Frauen einmal im Profil und einmal frontal. Die Figur der Maria, die neben Elisabeth steht und uns frontal entgegentritt, trägt ein rosa Gewand und lächelt. Die andere Maria, die wir im Profil sehen, wie sie die Figur der Elisabeth umarmt, trägt jedoch ein blaues Gewand. Der Farbwechsel verrät eine wichtige Veränderung. Denn nun sehen wir nicht mehr nur eine junge Frau, beseelt von der Liebe zu Gott, sondern die Mutter Gottes, die unter ihrem blauen Gewand und Herzen das Jesuskind in sich trägt. Darauf spielt auch der Titel an. Die Heimsuchung Marias ist eine Szene aus dem Lukasevangelium: Die schwangere Maria besucht ihre ebenfalls schwangere Cousine Elisabeth in deren Heim (daher kommt auch der Name Heimsuchung). Maria sagte Elisabeth nicht, dass sie schwanger war, und sie trug auch kein blaues Kleid, an dem Elisabeth es hätte erkennen können, wie wir heute. Aber Elisabeth hat es sofort gespürt, weil ihr das Kind in ihrem Bauch ein Zeichen gab. Bei Lukas heißt es: »Und es geschah, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabeth vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, in dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib.« (Lk 1, 4145).

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