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My Favorite Mistake - Der beste Fehler meines Lebens

hier erhältlich:

Taylor Caldwell weiß nicht, was sie von ihrem neuen Mitbewohner halten soll. Auf der einen Seite hat Hunter Zaccadelli diese unglaublichen blauen Augen, mit denen er direkt in ihre Seele zu schauen scheint. Auf der anderen Seite ist er ein tätowierter, Gitarre spielender Bad Boy, der etwas verheimlicht. Doch wer ist Taylor, ihm das vorzuwerfen? Sie selber hält ihre Vergangenheit unter Verschluss. Aber als plötzlich der Mann, der beinahe ihr Leben zerstört hätte, wieder auftaucht, hat Taylor sich schon auf Hunter eingelassen. Jetzt muss sie ihm ihr größtes Geheimnis anvertrauen oder alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihn für immer aus ihrem Leben zu verbannen.


  • Erscheinungstag: 10.04.2014
  • Seitenanzahl: 416
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956493171
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Chelsea M. Cameron

My Favorite Mistake –
Der beste Fehler meines Lebens

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Sophie Schweitzer

image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

My Favorite Mistake

Copyright © 2013 by Chelsea Cameron

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Thorben Buttke

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

Illustration: Roland Pecher/pecher und soiron, Köln; Franziska Beckmann, Hamburg

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-317-1

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

 

 

Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

1. KAPITEL

Bei meinem ersten Zusammentreffen mit Hunter Zaccadelli knallte ich ihm eine. Er hatte es aber auch wirklich verdient, sogar regelrecht danach verlangt.

Als unsere vierte Mitbewohnerin uns drei Tage vor Collegebeginn sitzen ließ, dachten Darah, Renee und ich, die Zimmerverwaltung des Colleges würde sich schon darum kümmern und uns irgendeine unglückliche Seele zuweisen. Vermutlich ein armes Ding, das sich im letzten Moment entschlossen hatte, das College zu wechseln, um bei ihrem Freund sein zu können, oder dessen ursprüngliche Wohnungspläne sich zerschlagen hatten. Wir wussten nicht, was auf uns zukommen würde, doch die Person, der ich am Einzugstag die Tür öffnete, hatte ich ganz sicher nicht erwartet. Obwohl mir klar war, dass es auch gemischte Unterkünfte gab, hätte ich selbst in meinen wildesten Träumen nicht gedacht, dass uns das tatsächlich passieren würde.

Denn anstatt eines verzweifelten Mädchens, stand er auf einmal da, komplett mit Armeekiste, Rucksack und Gitarre. Das war so klischeehaft, dass ich die drei Sekunden lang, die ich brauchte, um ihn einzuordnen, nichts sagte. Sein Haar war so kurz rasiert, dass er beinahe eine Glatze hatte, dazu trug er einen Dreitagebart. Seine Augen waren von einem stechenden Blau und er war mindestens einen Kopf größer als ich mit meinen ein Meter fünfundfünfzig. All das wurde gekrönt durch ein großspuriges Lächeln. Genauso gut hätte er sich Ärger auf die Stirn tätowieren lassen können. Apropos Tattoos: Es war eines auf seinem Arm zu erkennen, doch ich konnte nicht sehen, was es darstellte. Und sein dünnes T-Shirt war so eng, dass es nicht viel der Fantasie überließ. Wahrscheinlich hatte er es sich von seinem kleinen Bruder geliehen.

„Bist du Darah, Renee oder Taylor? Siehst aus wie eine Taylor“, sagte er und musterte mich von Kopf bis Fuß.

Ich trug nicht gerade mein schönstes Outfit, sondern Kleidung, mit der man schwere Gegenstände tragen konnte: ein blaues T-Shirt mit University-of-Maine-Aufdruck und eine schwarze Fußballshorts. Mein hellbraunes Haar hatte ich zu einem unordentlichen Knoten im Nacken zusammengebunden. Er ließ seinen Blick zweimal an mir auf- und abwandern und aus irgendeinem Grund ließ mich die Art, wie er mich begutachtete, erröten und gleichzeitig den Wunsch in mir aufkeimen, ihm in die Weichteile zu treten.

„Mist, da muss ein Fehler passiert sein“, sagte ich.

Er verlagerte die Tasche auf seiner Schulter. „Das ist ein interessanter Name. Wie kürzt man das ab? Missy?“

„Das meinte ich nicht.“

Sein Grinsen wurde noch breiter. Entweder war sein Vater Zahnarzt, oder er war ein großer Fan von Zahnseide, denn sein Gebiss war so ziemlich perfekt. Seit meiner eigenen endlosen Leidensgeschichte – drei Jahre lang musste ich eine Zahnspange und nachts zusätzlich einen Außenbogen tragen – fielen mir solche Dinge auf. Ich musste den Retainer immer noch jede Nacht zur Stabilisierung tragen.

„Ist sie das?“, rief Darah aus ihrem Zimmer, wo sie ihre gerahmten Fotos so aufhängte, dass sie genau auf der gleichen Höhe waren. Sie war etwas neurotisch.

„Ich bin übrigens Hunter. Hunter Zaccadelli.“

Wie sollte er auch anders heißen. Der einzige Hunter, den ich je gekannt hatte, war ein totaler Mistkerl, und es sah so aus, als würde dieser Typ die Tradition fortführen.

Er deutete auf seine Kiste. „Also, kann ich jetzt meine Sachen reinbringen, oder …?“

Mein Gehirn arbeitete immer noch nicht richtig.

„Wer ist das?“ Darah kam endlich aus ihrem Zimmer. Meine andere Mitbewohnerin, Renee, war noch dabei, ihre Sachen aus dem Auto zu laden.

„Euer neuer Mitbewohner, hallo“, erwiderte er.

„Du willst hier einziehen?“ Sie zog die Augenbrauen so hoch, dass sie beinahe unter ihrem langen Pony verschwanden. Dann musterte sie ihn von oben bis unten, wie ich es getan hatte, doch er erwiderte ihren Blick nicht. Stattdessen sah er immer noch mich an.

„Ja, mit meiner Unterkunft ist im letzten Moment was schiefgelaufen. Ich sollte bei meinem Cousin einziehen, aber das hat doch nicht geklappt, und hier bin ich also. Was dagegen, wenn ich reinkomme?“

„Du kannst hier nicht wohnen“, sagte ich und verschränkte die Arme.

„Warum nicht? Das sind gemischte Unterkünfte, soweit ich weiß.“ Er grinste wieder und drängte sich ungerührt an mir vorbei in die Wohnung, wobei unsere Oberkörper sich leicht berührten und mir ein Hauch seines Eau de Toilette entgegenwehte. Es war nicht so ein billiges Zeug, von dem einem die Luft wegblieb. Es war würziger und roch ein wenig nach Zimt. Ich wich nicht von der Stelle, obwohl er mir einiges an Gewicht und Größe voraushatte. Doch ich hatte den Überraschungseffekt auf meiner Seite.

„Na ja, besser als bei meinem Cousin auf der Couch zu schlafen“, sagte er, ließ seine Tasche auf den Boden fallen und sah sich um. Der Gemeinschaftsbereich war klein und bestand aus einer Küche und einer winzigen Esstisch-Nische auf der einen Seite und einem kleinen Wohnzimmer mit Couch und Sessel auf der anderen. Am schlimmsten waren die Schlafzimmer, in denen zwei Betten im rechten Winkel zueinander an die Wand gequetscht standen, die Schreibtische direkt daneben, und in denen ansonsten nur noch Platz für jeweils zwei kleine Schränke und Kommoden war.

„Kannst du dich ausweisen?“, fragte Darah und stützte die Hände in die Hüften. „Woher sollen wir wissen, dass du nicht einfach irgendein Spanner bist?“

„Sehe ich etwa aus wie ein Spanner?“ Er breitete die Arme aus, sodass ich endlich sehen konnte, was das für ein Tattoo auf seinem Oberarm war: Die Zahl Sieben in schnörkeliger Schrift. Mein Blick wanderte zu seinem Gesicht.

„Woher sollen wir das wissen?“ Darah baute sich in voller Größe vor ihm auf. Sie waren beinahe gleich groß.

„Hört mal, ich hab einfach nur eine Anfrage an das College geschickt und eine Mail mit einer Zimmernummer und euren Namen bekommen. Hier, ich hab sie ausgedruckt. Behandelt ihr alle eure Gäste wie Kriminelle?“ Er zog ein mehrfach gefaltetes Blatt Papier aus der Tasche und reichte es Darah. Sie faltete es auseinander und warf einen Blick darauf. Dann seufzte sie und reichte es an mich weiter.

Da stand es, schwarz auf weiß. „Warum haben die uns nicht benachrichtigt?“, fragte ich, nachdem ich den Ausdruck gelesen hatte.

„Keine Ahnung“, sagte Darah, die Hunter immer noch misstrauisch beäugte.

„Oh Gott, ich schwöre, ich ziehe nie wieder um“, fluchte Renee, die gerade die Treppe hochkam, die Arme voller Kisten und die Schultern behängt mit zwei Taschen. „Wer hat denn hier seinen Kram mitten im Flur stehen lassen?“

Sie warf einen genervten Blick auf die Armeekiste und den Gitarrenkoffer, während sie darüberstieg. „Ist unsere neue Mitbewohnerin aufgetau… Oh, hallo.“ Als sie Hunter sah, wechselte ihr Tonfall schlagartig von verärgert zu zuckersüß. „Ich schätze mal, das ist deine Gitarre im Flur.“ Sie ließ ihre Sachen fallen und lehnte sich mit geziert in die Hüfte gestützter Hand in die Tür. Oh, Mann.

„Das“, sagte ich und zeigte auf Hunter, „ist unsere neue Mitbewohnerin. Jedenfalls laut Zimmerverwaltung.“

„Das kann doch nicht sein.“ Renee riss die Augen in ihrem winzigen Gesicht auf. Sie sah aus wie eine blonde, blauäugige Porzellanpuppe, die man in ein Trägerhemdchen von Victoria’s Secret gesteckt hatte. „Wollt ihr mich verarschen?“

„Was für ein Empfang“, sagte Hunter.

„Halt die Klappe“, erwiderte ich. Er lächelte nur wieder. Mann, wie gerne hätte ich ihm einfach sein Grinsen aus dem Gesicht gehauen.

„Ich sollte wohl mal meinen Krempel aus dem Flur entfernen“, sagte er, ging zu seiner Kiste und hob sie hoch, als würde sie nicht mehr wiegen als ein Schuhkarton. Angeber.

Er musste Kartons, herumfliegende Kissen und anderen Kram, mit denen die Räume vollstanden, umschiffen, was ihm leichtfüßig gelang. Er fand eine freie Stelle, setzte die Kiste ab und sah uns an.

„Also, mit wem schlafe ich?“, fragte er und lehnte sich in den Türrahmen meines Schlafzimmers.

Da Darah und Renee schon letztes Jahr zusammengewohnt hatten und ich die neue im Bunde war, hatten wir vereinbart, dass die neue Mitbewohnerin bei mir schlafen würde. Aber jetzt, da die neue Mitbewohnerin ein Mitbewohner war, kam das so was von nicht mehr in Frage.

„Hast du das gerade ernsthaft gesagt?“, fragte ich.

Im gleichen Moment sagte Darah: „Das einzige freie Bett steht in Taylors Zimmer.“

„Auf keinen Fall wohnt er bei mir“, blaffte ich und verschränkte die Arme noch enger, sodass sie meine Brüste besser bedeckten. Er hatte sie durchgehend angestarrt, seit der Frage, mit wem er schlafen würde. Nicht, dass da viel zu sehen gewesen wäre, aber das hielt seinen Blick nicht davon ab, dorthin zu wandern.

„Nein, wir rufen jetzt sofort die Verwaltung an und klären das“, sagte ich und zog mein Handy aus der Tasche.

„Tay, die hat montags geschlossen“, sagte Renee.

„Das ist mir egal. Es muss jemand da sein, heute ist doch Einzugstag.“

Ich schnappte mir das Campus-Telefonbuch, das wir bei unserer Ankunft auf der Fußmatte vorgefunden hatten, und blätterte es durch, bis ich die Nummer der Wohnungsverwaltung gefunden hatte.

„Ach, komm schon, Missy, du willst nicht mit mir zusammenwohnen?“ Für wen hielt sich dieser Typ? Wir kannten uns seit gerade mal zehn Minuten und er hatte mir bereits einen Spitznamen verpasst und mich angebaggert.

„Wenn du mich noch ein Mal so nennst …“ Anstatt den Satz zu beenden, tippte ich blindwütig die Nummer ein. Darah und Renee flüsterten Hunter etwas zu, jedoch nicht leise genug, als dass ich es nicht hören konnte.

„Wenn sie so ist, lässt man sie am besten in Ruhe“, zischelte Renee.

„Ich würde es nicht wagen, mich mit ihr anzulegen“, erwiderte er, während ich ein weiteres Mal das Freizeichen hörte.

Schließlich sprang ein Anrufbeantworter an, der mich über die Öffnungszeiten informierte und mir ein paar Durchwahlnummern gab, bei denen ich es probieren konnte. Ich hämmerte die erste in das Handy. Es ging keiner ran, aber es gab wieder einen Anrufbeantworter. Ich hinterließ eine kurze Nachricht, erklärte die Situation in all ihrer Dringlichkeit und wählte dann die zweite Durchwahl. Ich hörte nicht auf, bis ich bei allen fünf Verwaltungsstellen Nachrichten hinterlassen hatte. Dann knallte ich mein Handy auf die Küchentheke.

„Geht’s dir jetzt besser?“, fragte Hunter.

„Nein.“ Ich pfefferte das Telefonbuch auf die Couch. Darah und Renee sahen mich an, als befürchteten sie, ich würde explodieren. Ich war tatsächlich kurz davor. „Wärst du ein Gentleman, würdest du anbieten, auf der Couch zu schlafen“, fuhr ich ihn an.

„Nun ja, Missy, dann wirst du jetzt feststellen, dass ich kein Gentleman bin. Ich habe jedenfalls vor, die Situation voll auszunutzen.“ Vor Schreck blieb mir der Mund offen stehen. Noch nie hatte ein Typ so mit mir gesprochen.

„Findet ihr es auch so heiß hier drin? Ich glaub, ich mach mal das Fenster auf“, sagte Renee und eilte zu unserem einzigen Fenster, das sich hinter der Couch befand.

Darah sah zu mir, dann zu Hunter und wieder zu mir. „Na ja, wir können wohl gerade nichts daran ändern. Lasst uns seine Sachen reinholen, und dann können wir vielleicht mal nach unten gehen und sehen, ob wir jemanden von der Verwaltung finden“, sagte sie. Darah war schon immer die Friedensstifterin gewesen.

„Hört sich gut an“, sagte Hunter und ging geradewegs in mein Schlafzimmer, als würde es ihm gehören.

„Ich kann nicht fassen, was hier gerade passiert“, sagte ich und schloss entnervt die Augen. Dann hörte ich „Back in Black“ von AC/DC aus meinem Raum schallen. Hunters Klingelton.

„Hey, Alter. Nein, bin gerade erst angekommen. Raum 203. Ja, das wär cool …“ Er stieß die Tür zu und ich warf Renee und Darah einen Blick zu.

„Ich hätte nicht gedacht, dass das schon so früh nötig sein würde, aber ich glaube, wir brauchen ein WG-Meeting“, sagte ich. Wir hatten abgemacht, dass wir wöchentliche Treffen abhalten würden, bei denen wir unseren Kummer loswerden konnten. Ich war dafür, alles offen anzusprechen, damit wir uns nicht irgendwann hassten. Im Jahr zuvor hatte ich eine schreckliche Mitbewohnerin gehabt, und so etwas wollte ich nicht noch einmal durchmachen.

Ich lauschte, doch es klang so, als sei Hunter immer noch am Telefon. Ich hörte, wie er irgendwo herumwühlte und betete, dass er nichts kaputtmachte. Andernfalls würde ich ihn umbringen.

„Ich sehe das Problem nicht“, sagte Renee. „Ich meine, es ist doch dasselbe, als würde eine von uns ihren Freund hier übernachten lassen. Paul war die ganze Zeit bei uns, als Darah und ich letztes Jahr zusammengewohnt haben.“

„Aber das war, weil du mit ihm geschlafen hast“, sagte ich.

„Vielleicht schlafe ich ja auch mit Hunter“, gab sie zurück. Renee hatte sich erst vor Kurzem von Paul getrennt und war auf der Suche nach jemandem, mit dem sie sich an ihm rächen konnte. Wir wussten alle, dass sie und Paul füreinander bestimmt waren und dass sie das irgendwann auch selbst begreifen würden, doch Renee steckte noch immer in der Wut-Phase.

„Fühlst du dich unwohl bei dem Gedanken, mit ihm in einem Zimmer zu schlafen, Taylor? Das wäre völlig okay“, sagte Darah.

„Warum sollte ich mich unwohl dabei fühlen, ein extrem kleines Zimmer mit einem Typen zu teilen, den ich gerade mal eine halbe Stunde kenne und der die ganze Zeit schmierige Kommentare von sich gibt? Wieso sollte ich damit wohl ein Problem haben?“

„Wenn du willst, können wir tauschen. Ich kann bei ihm schlafen und du bei Renee“, sagte Darah.

„Warum kann er nicht bei mir schlafen?“, nörgelte Renee.

„Weil du ihn in seinem Schlaf vergewaltigen würdest“, sagte ich.

„Man kann niemanden vergewaltigen, der willig ist, Tay“, sagte sie und zwinkerte mir zu.

„Du bist krank.“

„Wie wäre es, wenn wir Streichhölzer ziehen?“, schlug Darah vor.

„Haben wir überhaupt welche?“, fragte Renee. „Wir könnten auch einfach Nummern ziehen oder so. Hier“, sagte sie und griff nach einem Notizblock, den jemand zusammen mit einem Kugelschreiber auf der Küchentheke liegengelassen hatte. „Ich schreibe unsere Namen auf und wir tun sie in …“ Sie schnappte sich das Baseballcap, das ich kurz zuvor abgenommen hatte. „Und Hunter zieht einen Zettel. Problem gelöst.“

Die Tür zu meinem Zimmer ging auf, und Hunter erschien, mit seinem üblichen Grinsen im Gesicht.

„Ihr habt doch nicht über mich gesprochen, oder?“

Als wüsste er das nicht ganz genau. Ich rollte mit den Augen, während Renee unsere Namen auf kleine Papierstücke schrieb, sie faltete und in mein Cap warf. Dann legte sie die Hand darüber und schüttelte sie durch.

„Zieh einen Zettel“, sagte sie und hielt Hunter die Kappe vor die Nase.

„Okay“, sagte er, griff hinein und zog ein Stück Papier heraus. Renee faltete es langsam auseinander. Wir warteten alle gespannt, während sie eine dramatische Pause einbaute.

„Taylor“, verkündete sie und drehte den Zettel herum, sodass wir alle meinen Namen schwarz auf weiß lesen konnten.

„Scheiße“, sagte ich.

2. KAPITEL

Was sollen denn die ganzen Pfauenfedern?“

Es war eine Stunde später und ich hatte Hunter immer noch am Hals. Ich war sogar zur Verwaltung runtergegangen, die sich ein Stück weiter die Straße runter befand, doch es war niemand da gewesen. Wahrscheinlich hatten sie alle Hände voll damit zu tun, aufzupassen, dass die ganzen Erstsemester nicht unter den Massen an Unterhaltungselektronik zusammenbrachen, die sie über die Flure schleppten.

Ich gab mir Mühe, Hunter zu ignorieren, doch er wollte einfach nicht still sein. Er war eindeutig einer dieser Typen, die sich gerne reden hören.

„Weißt du nicht, dass Pfauenfedern Unglück bringen?“ Im Augenwinkel sah ich, wie sein Bizeps mit der tätowierten Sieben darauf sich anspannte, während er ein paar Shirts aus seiner Armeekiste nahm.

Ja, ich wusste, dass die meisten Leute glaubten, sie würden Unglück bringen. Aber es ging ihn nichts an, warum ich sie überall im Raum verteilt hatte: in Bilderrahmen an der Wand, an den Traumfänger gebunden, den meine Schwester mir geschenkt hatte, und sogar als Aufdruck auf meiner Bettdecke. Das ging ihn so was von gar nichts an.

Ich wünschte, Tawny wäre hier. Meine Schwester hätte genau gewusst, was sie zu Hunter sagen sollte, damit er ging. Sie war Rechtsanwaltsgehilfin und konnte sich nicht einfach so freinehmen, und Mom musste auch arbeiten. Wahrscheinlich fanden sie, so ein Umzug sei für mich als Studentin im zweiten Jahr keine große Sache mehr. Trotzdem vermisste ich Tawny.

„Bist du sauer auf mich, Missy?“

Der Spitzname brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. Ich wirbelte herum und starrte ihn zornig an. „Hör mal, ich kenne dich nicht und du kennst mich nicht. Sobald es irgendwie geht, schmeiße ich dich hier raus, verstanden? Ich bin nicht dein Baby. Ich bin nicht eines dieser Mädchen, die du angrinsen und dann einfach so ins Bett zerren kannst. Kapiert? Halt dich verdammt nochmal fern von mir.“

Der Blick seiner blauen Augen bohrte sich in meine. Er schien zu den Leuten zu gehören, die Dinge sehen konnten, die andere nicht sahen – Dinge, die ich mich mein Leben lang bemüht hatte, zu verbergen. Bisher war es nur sehr wenigen Menschen gelungen, hinter meine sorgfältig gepflegte Fassade zu blicken; die meisten von denen hatte ich abgelegt wie eine schlechte Angewohnheit, bis auf einen. Ich musste diesem Typen einen Riegel vorschieben, bevor er auf die Idee kam herauszufinden, was die Welt mir so Schlimmes angetan hatte.

„Es ist nicht ganz einfach, mich von dir fernzuhalten, wenn wir im selben Zimmer wohnen“, sagte er.

„Das. Weiß. Ich.“, sagte ich durch meine zusammengepressten Zähne.

Er hielt abwehrend die Hände hoch. „Sei nicht sauer auf mich. Das Schicksal hat dir deinen Namen gegeben.“

„Ich glaube nicht an das Schicksal.“

Er lachte. „Ich auch nicht. Ich glaube nur an Glück.“ Er deutete auf die Sieben auf seinem Arm. „Man kann nie vorsichtig genug sein.“

„An Glück glaube ich auch nicht.“

„Das ist offensichtlich.“

In diesem Moment wurden wir von einer dröhnenden Stimme unterbrochen. Hunter stieg über das Chaos, das immer noch den Boden bedeckte, und streckte den Kopf aus der Tür.

„Mase, Alter, wo warst du so lange? Hast du dich verlaufen?“

Die männliche Stimme antwortete. „Nö, ich wurde nur aufgehalten. Das ist also deine Wohnung?“ Na klar, kommt doch alle rein.

„Nee, ich bin einfach irgendwo rein gelaufen und hab meinen Kram reingeschmissen … Ja, das ist meine Wohnung.“

Er ging ins Wohnzimmer und ich folgte ihm. Darah und Renee kamen ebenfalls aus ihrem Zimmer. Es war Gehämmer und Geschrei zu hören gewesen. Vermutlich hatten sie gerade Darahs Bilderrahmen ihren genauen Wünschen entsprechend aufgehängt.

In unserer Wohnungstür stand ein Typ, der Hunters Bruder hätte sein können. Er hatte etwas helleres Haar, dunklere Augen und war ein bisschen stämmiger, doch die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen.

„Und wer sind diese entzückenden Ladies?“, fragte der Neuankömmling.

„Das sind Taylor, Darah und Renee, meine Mitbewohnerinnen“, antwortete Hunter.

„Ernsthaft, Alter? Wie kannst du nur immer so ein Glück haben?“

„Ich bin eben ein Sonntagskind“, sagte Hunter. „Das ist mein Cousin Mase.“

„Freut mich sehr, Mase“, flötete Renee und stürzte auf ihn zu. Mase sah ein wenig benommen aus, als er ihre Hand nahm und schüttelte. „Ich bin Renee.“

„Schön, dich kennenzulernen, Renee. Dann musst du Darah sein“, sagte er und zeigte mit dem Finger auf Darah, die ihm zuwinkte. „Und du bist Taylor. Ich hab schon viel von dir gehört.“ Wie konnte das sein? Ich warf Hunter, der ein unschuldiges Gesicht machte, einen finsteren Blick zu. „Es ist total nett von euch, dass ihr meinen armen Cousin in seiner Not aufnehmt. Ich dachte, er würde bei uns auf der Couch schlafen können, aber einer meiner Mitbewohner hatte sie schon jemand anders versprochen, der dafür zahlen wollte, und damit war ich überstimmt. Tut mir leid, Alter.“

„Schon okay“, sagte Hunter.

Zum ersten Mal seit ich ihn kennengelernt hatte, konnte ich etwas anderes in ihm erkennen als einen eingebildeten Idioten. Jemand Echtes. Doch ehe ich mir diese Person genauer anschauen konnte, war sie schon wieder hinter dem großspurigen Grinsen verschwunden.

„Das sehe ich. Brauchst du irgendwie Hilfe?“

„Ich glaube nicht“, erwiderte Hunter.

Sogleich meldete sich Renee zu Wort. „Ich könnte ein Paar starke Arme gebrauchen. Mein Bett steht ein bisschen schief, und ich kann es alleine nicht verschieben. Würdest du mir helfen?“ Sie nahm eine sexy Pose ein, als wollte sie ihm zeigen, was er haben könnte, wenn er einwilligte. Gott, sie war so durchschaubar.

„Klar, kein Problem.“

Und so ließen wir einen weiteren seltsamen Typen in unser Apartment. Ich drehte dem Ganzen den Rücken zu und ging zurück in mein Zimmer, in der Hoffnung, dass nicht noch mehr Leute auftauchen würden. Hunter folgte mir.

„Hast du Hunger? Ich hab überlegt, was bei Pat’s Pizza zu holen. Die Lieferdienste sind bestimmt überlastet, deshalb geh ich lieber selbst. Bist auch eingeladen“, sagte er, während er ein paar weitere Shirts nahm und sie in seinen Schrank legte.

Versuchte er, nett zu mir zu sein? Tat ich ihm leid? Ich starrte ihn an und versuchte herauszufinden, was dahintersteckte.

„Magst du Salami?“ Seine Stimme klang jetzt weniger überheblich. Sie war sanfter und … Nein, er war immer noch der Gleiche. Er versuchte immer noch, mit mir zu spielen. Ich wusste, wie diese Art von Typen tickte: Sie waren nur so lange nett, bis sie bekommen hatten, was sie wollten. Und wenn sie es nicht bekamen, nahmen sie es sich einfach.

„Ich bin Vegetarierin“, sagte ich und ging ins Bad, einfach nur, um von ihm wegzukommen.

Als ich an Darahs und Renees Zimmer vorbeikam, hörte ich, wie Mase etwas sagte, das die beiden zum Lachen brachte. Großartig. Einfach nur großartig. Ich schloss die Tür des kleinen Badezimmers und stützte mich mit den Händen auf das Waschbecken; ich war dabei, die Kontrolle zu verlieren. Ich betrachtete mich im Spiegel. Das furchtbare Licht machte meinen Teint nicht gerade besser, aber das würde es wohl bei niemandem. Nachdem ich mir etwas Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, setzte ich mich auf das Waschbecken und lehnte den Rücken gegen den Spiegel. Innerhalb weniger Minuten war mein zweites Studienjahr völlig auf den Kopf gestellt worden.

Was sollte ich jetzt tun? Dieser merkwürdige Typ war gerade in mein Leben eingedrungen. Nicht nur in mein Leben, sondern auch in mein Zimmer. Unser Schlafzimmer war kleiner als ein Zweierzimmer im normalen Wohnheim; wir würden uns die ganze Zeit auf die Füße treten. Er würde mich sehen, wenn ich morgens aufwachte. Seine Stimme würde die letzte sein, die ich hörte, wenn ich ins Bett ging. Ich würde die ganze Zeit dieses verdammte Tattoo und sein dämliches Grinsen vor Augen haben. Hunter Zaccadelli würde das Letzte sein, was ich sah, wenn ich schlafen ging und das Erste, wenn ich aufwachte. Das konnte einfach nicht sein.

Ein Klopfen an der Tür ließ mich so zusammenfahren, dass ich mir den Hinterkopf am Spiegel stieß.

„Alles klar bei dir da drin?“ Es war Hunter.

„Herrgott nochmal, kannst du mich nicht mal fünf Minuten in Ruhe lassen?“ Ich sprang vom Waschbecken und riss die Tür auf.

„Ich schlag dir einen Deal vor, Missy.“

„Warum sollte ich einen Deal mit dir machen wollen?“

Er schmunzelte, als hätte er diese Antwort erwartet.

„Hör mir einfach zu: Wenn du mir beweisen kannst, dass du mich hasst, so richtig hasst, dann gehe ich und such mir eine Couch bei irgendwem anders.“

Ich schnaubte wütend. „Das sollte nicht schwer sein. Kannst schon mal deine Sachen packen.“

„Du hast den Rest des Deals noch nicht gehört. Wenn du mir beweisen kannst, dass du mich liebst, wirklich liebst, dann gehe ich auch.“ Zum ersten Mal sah er ernst aus.

„Willst du mich verarschen? Niemals würde ich einen Typen wie dich lieben.“ Ich würde niemals irgendwen lieben, aber darum ging es jetzt nicht.

„Beweis es. Wenn du bis zum Ende des Semesters eins von beidem beweisen kannst, werde ich gehen.“

„Du wirst schon lange vorher hier raus sein.“

Sein Lächeln wirkte ungezwungen. Er spielte mit mir.

„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Du siehst jedenfalls aus wie ein Mädchen, das die Herausforderung liebt.“

Das kleine Badezimmer wurde enger um uns herum, die Wände kamen immer näher. Er machte einen Schritt auf mich zu, und dann noch einen. Ich wich zurück, bis ich gegen die Toilette stieß.

„Beweis es mir. Zeig mir, dass du mich hasst.“ Seine Stimme war sanft, doch seine Augen fordernd. Mein Atem wurde immer schwerer, und ich sah nur noch seine blauen Augen. Dann setzte irgendwas bei mir aus und mein Kampfinstinkt brach durch.

Bevor er noch näher kommen konnte, verpasste ich ihm mit der Faust einen Schlag gegen den Kiefer und rammte ihm mein Knie in den Unterleib. Er krümmte sich und hielt sich mit der einen Hand das Gesicht und mit der anderen den Sack.

„Ich hasse dich. Bedränge mich nie wieder so, du verdammter Scheißkerl.“ Da er gerade andere Probleme hatte, gelang es mir, ihn zur Seite zu drängen und die Tür aufzubekommen, hinter der mich drei verdutzte Gesichter erwarteten.

„Was hast du mit ihm gemacht?“, fragte Renee.

„Nichts“, sagte ich und schob mich an ihnen vorbei. Dann rannte ich auf den Flur, die Treppe runter und aus dem Gebäude. Ich keuchte, als wäre ich mehrere Meilen im Sportunterricht gerannt und dürfte mich nun endlich ausruhen. Ich stützte die Hände auf die Knie und rang nach Luft. Es fühlte sich an, als würden meine Lungen sich nie wieder vollständig füllen können.

Ein paar Studenten sahen mich merkwürdig an, während sie Lampenschirme, Kissen und Bettkästen aus ihren Autos luden. Ich ignorierte sie und begann, auf dem Bürgersteig in Richtung Parkplatz zu gehen. Dann holte ich mein Handy aus der Tasche und wählte Tawnys Nummer, in der Hoffnung, dass sie gerade Mittagspause hatte.

„Hey, Kleine, wie läuft der Umzug?“ Tawnys Stimme und meinen alten Spitznamen zu hören, beruhigte mich auf der Stelle. In meiner Familie hatten mich schon immer alle „Kleine“ genannt.

„Du glaubst nicht, was ich für einen Tag hatte.“

„Erzähl“, sagte sie, ohne zu zögern.

Ich trug ihr meine Version der Ereignisse vor, auch, dass ich Hunter geschlagen hatte. Das Handy musste ich mit der linken Hand halten, da die rechte seit ihrer Begegnung mit Hunters Kiefer zusehends anschwoll. Bald würde ich etwas Eis zum Kühlen benötigen.

Ich war überrascht, dass niemand hinter mir her gerannt kam, doch Darah und Renee kannten meine Ausbrüche. Sie wussten, dass man mich in diesen Momenten allein lassen und mir Raum geben musste; es war nicht das erste Mal, dass sie mich so sahen. Meistens gelang es mir, meine Wut unter Kontrolle zu halten, doch Hunter hatte die falschen Knöpfe gedrückt. Niemand, der mich in einem kleinen Raum in die Enge trieb, kam ungeschoren davon.

„Oh, Kleine, warum hast du das getan?“

„Er hat mich bedrängt, was sollte ich denn tun?“ Die Farbe meiner Hand verwandelte sich langsam von einem dunklen Rot in ein hübsches Lila.

„Du hättest ihm sagen können, dass er dich in Ruhe lassen soll. Das wäre die logische Reaktion gewesen.“

„Du weißt doch, dass ich kein logischer Mensch bin.“

„Ach was.“ Sie seufzte und ich hörte sie kauen. „Meinst du nicht, du solltest dir nochmal jemanden zum Reden suchen?“ Das hatte sie mich schon mindestens tausend Mal gefragt.

„Weil das ja auch immer so viel gebracht hat. Nein, danke.“

Tawny seufzte wieder. Endlich hatte ich mein Auto, einen roten Dodge Charger, den ich auf den Namen „Sassy“ getauft hatte, auf dem Parkplatz gefunden und drückte auf den Türöffner. Ich setzte mich bei offener Tür auf den Fahrersitz und plauderte noch eine Weile mit Tawny über den Einzug und andere unwichtige Dinge. Nur nicht über Hunter.

Mit Tawny konnte ich jeden Tag stundenlang reden und immer noch etwas finden, was ich sagen wollte. Wir waren sechs Jahre auseinander, uns aber so nahe wie zwei Menschen es nur sein konnten, wenn sie nicht gerade auch noch Zwillinge waren. Nicht, dass wir uns so ähnlich gewesen wären: Tawny war schöner, schlauer und beliebter. Ich war kleiner, nicht so hübsch wie sie und wurde leicht wütend. Ich bemühte mich, weniger schnell wütend zu werden, und meistens gelang mir das auch, doch manchmal ging es eben einfach mit mir durch. So wie heute bei Hunter.

„Wann kommst du mich besuchen?“, fragte ich.

„Wahrscheinlich dieses Wochenende. Wie wär’s mit Mittagessen im Margaritas?“ Das war eines unserer mexikanischen Lieblingsrestaurants.

„Alles klar, schon im Kopfkalender eingetragen. Ach so, ich hab ganz vergessen, die hübsche Pyjamahose mit dem passenden Top mitzunehmen. Könntest du vielleicht zu Hause vorbeifahren und sie mir mitbringen?“

„Werd ich wohl müssen. Und lädst du mich dafür zum Essen ein?“

„Werd ich wohl müssen“, erwiderte ich.

„Du, ich muss Schluss machen. Aber ruf mich heute Abend an. Und ruf mich auf jeden Fall an, bevor du wieder jemanden schlägst, okay? Du wirst dich zügeln müssen, wenn du mit diesem Typen zusammenwohnst. Außerdem solltest du bald mal deine Hand kühlen.“

„Ich wohne nicht mit ihm zusammen.“

„Doch, Süße, irgendwie tust du was. Es sei denn, du gewinnst diese Wette. Wie zum Teufel willst du aus der Nummer wieder rauskommen?“

„Ich hab keine Ahnung. Eigentlich habe ich ja gar nicht eingewilligt.“

„Ich würde sagen, ihn zu schlagen und ihm in die Eier zu treten war eine Art Handschlag.“

„Wie auch immer. Ich ruf dich später an. Schreib mir eine SMS, wenn du magst.“

„Ciao, Kleine.“

„Ciao, Tawn.“ Ich legte auf und lehnte die Stirn gegen das Lenkrad. Was zum Teufel sollte ich bloß tun?

3. KAPITEL

Ich ging erst zurück, als meine Hand so sehr schmerzte, dass ich sie unbedingt kühlen musste. Im Wohnzimmer war es ruhig, als ich mich hineinschlich. Die meisten Kisten waren verschwunden, und Darah war dabei, ihre Töpfe und Pfannen in der Küche auszupacken.

„Hey, alles klar mit dir? Wir haben uns ein bisschen Sorgen gemacht. Hunter, Renee und Mase sind Pizza holen gegangen.“

„Ja, alles okay. Ich brauch nur ein bisschen Eis“, sagte ich und hielt meine Hand hoch, die an den Knöcheln bereits lila angelaufen war.

„Oh Gott“, sagte sie und lief zum Kühlschrank. Glücklicherweise hatte jemand einen Eisbeutel im Gefrierfach gelassen, den auch die Putzkolonne vergessen hatte zu entfernen. Sie wickelte ihn in ein Geschirrtuch, das sie aus einem der Kartons nahm, und reichte ihn mir.

„Und wie sieht sein Gesicht aus?“ Ein kleines bisschen wünschte ich mir ja, dass es genauso aussah wie meine Hand.

„Du hast ihn ganz schön erwischt. Er hat einen ziemlichen Bluterguss.“ Volltreffer.

„Und haben sich seine Eier erholt?“

„Ich glaube, er wird schon noch Kinder zeugen können“, sagte sie und betrachtete mich, als würde ich jeden Moment noch einmal ausrasten und um mich schlagen. Sie stützte sich auf die Küchentheke und vergaß das Einräumen für einen Moment. „Was ist denn passiert? Er hat nur erzählt, dass er etwas gesagt hat, das dich geärgert hat, und dass er es verdient hat.“

„Das hat er gesagt?“ Ich zuckte zusammen, als das kalte Eis meine brennende Hand berührte. Das überraschte mich. Ich hatte gedacht, er würde alles auf mich schieben und mich eine durchgeknallte Psycho-Bitch nennen. Tief in mir drin hatte ich sogar eine Spur Hoffnung gehabt, dass mein gewalttätiges Verhalten ihm solch einen Schrecken versetzt hatte, dass seine Sachen verschwunden wären, wenn ich zurückkam. Aber das Glück blieb mir verwehrt.

„Ja, hat er.“

„Hm.“

Stimmen drangen aus dem Flur – vertraute Stimmen. Ich drehte mich um, und als die anderen mich sahen, blieben sie stehen. Hunter hatte zwei Pizzaschachteln in den Händen und Renee zwei Tüten mit Chips und Cola. Mase trug eine Papiertüte unter dem Arm, die aussah, als enthielte sie geschickt verstecktes Bier.

„Hey“, sagte ich.

Sie kamen vorsichtig herein, auf eine Art, die beinahe komisch wirkte. Ich war zwar die kleinste und zugleich jüngste Person im Raum, doch sie schienen tatsächlich auf der Hut vor mir zu sein.

„Wie geht’s deiner Hand?“, fragte Renee, während sie die Tüten auf dem Esstisch abstellte.

„Gut“, sagte ich. Dennoch begutachtete sie sie, während ich zu Hunter sah. „Wie geht’s deinem Gesicht? Und deinen Eiern?“ Ich schenkte ihm ein Lächeln und hoffte, dass es nicht allzu durchgeknallt aussah.

Hunter grinste zurück. „Die werden sich wohl erholen, denk ich. Aber du hast einen ganz schönen rechten Haken, Missy“, sagte er und fasste sich an den Kiefer. Dort begann sich ein eindrucksvoller blauer Fleck zu bilden. Sehr schön.

„Ich hab dich wohl unterschätzt. Respekt“, sagte Mase, kam rüber und hielt mir die Faust hin. Ich schlug mit meiner linken dagegen und er zwinkerte mir zu. Das übergroße Selbstbewusstsein schien in der Familie zu liegen.

„Ich hab die mit dem ganzen Gemüse genommen. Wusste nicht genau, was du magst“, sagte Hunter und hielt mir eine der Pizzaschachteln hin. Das war mal ein verlockendes Friedensangebot.

„Ich hasse Oliven, alles andere geht klar“, sagte ich.

„Sollen wir dann mal essen?“, fragte Renee, nachdem nun das Eis gebrochen war.

„Klar“, sagte ich und klappte die Schachtel auf.

Der himmlische Duft von Pat’s Pizza stieg mir in die Nase. Seit es den Laden gab, wurde die Pizza nach dem gleichen Rezept gebacken und hatte über Jahrzehnte hungrige, verkaterte und bekiffte College-Studenten ernährt. Irgendwie war es ihnen gelungen, das perfekte Verhältnis zwischen Käse, Sauce, dünner Kruste und Belag zu finden. Das war wohl der Grund, weshalb sie so lange überlebt hatten in einer Stadt, in der es mindestens zwölf Pizzerien pro Student gab.

„Darah, hast du die Teller schon ausgepackt?“, fragte Renee.

Es folgte ein wildes Wühlen nach Tellern, Servietten und Gläsern, doch am Ende landeten wir alle mit Papptellern, Haushaltspapier und Plastikbechern, gefüllt mit Bier oder Limonade, auf dem Wohnzimmerboden. Ich mochte Bier nicht besonders und hielt mich daher an die Cola. Darah, Renee und Mase waren alle schon einundzwanzig und machten Witze über Hunter und mich, weil wir noch nicht trinken durften. Hunter war mit seinen zwanzig Jahren nur ein paar Monate älter als ich, die mit neunzehn das Küken war.

Es stellte sich heraus, dass Hunter BWL studierte; was für eine Überraschung. Das einzige andere Fach, das ich mir für ihn hätte vorstellen können, war Journalismus – damit er Sportreporter werden, so viele Spiele wie möglich sehen und sich dafür auch noch bezahlen lassen konnte. Mase war die größere Überraschung. Er studierte internationale Beziehungen im Hauptfach. Offenbar wollte er im Ausland arbeiten, als Diplomat oder so. Sein richtiger Name war Jonathan Mason III, was seinen Spitznamen erklärte.

„Was ist dein Hauptfach?“, fragte mich Mase, während er einen Käsefaden mit dem Finger aufwickelte.

„Sollen wir mal raten?“, fragte Hunter.

Hatte ich ihm nicht gerade erst eine reingehauen? Wollte er noch mehr davon? Ich warf ihm einen bösen Blick zu, doch er nahm sich noch ein Stück Salami-Pizza und kaute gedankenverloren.

„Pädagogik? Nein, das kann nicht sein. Auch nicht Marketing. Boxen? Krankenpflege? Wie wär’s mit E-Technik?“

Ich verdrehte nur die Augen.

„Okay, dann sag’s mir.“ Das großspurige Grinsen kehrte in sein Gesicht zurück, als wäre es nie fort gewesen.

„Frauenforschung“, sagte ich, pflückte eine weitere widerliche Olive von der Pizza und legte sie auf meinen Teller.

„Aha“, sagte Hunter.

„Keine Kommentare? Willst du mich nicht fragen, ob ich eine Lesbe bin?“

Mase schnaubte und Renee rollte mit den Augen. Ich sollte wirklich einen Gang zurückschalten.

„Bist du das?“ Hunter zog eine Augenbraue hoch. Es wurde immer gewitzelt, dass das Frauenforschungs-Institut aus einem Haufen männerhassender Lesben bestand. Ich hatte das Fach aus einem anderen Grund gewählt, doch den würde er nie erfahren.

„Was, wenn ich eine wäre?“, fragte ich langsam.

Mase verschluckte sich an seinem Bier. Darah klopfte ihm auf den Rücken. Ja, ich wollte immer noch, dass Hunter verschwand, doch vorher wollte ich es ihm noch heimzahlen und ihn ein wenig quälen.

„Das klingt verdammt sexy, wenn du es sagst. Selbst, wenn es stimmen sollte.“ Er lehnte sich vor und sah mich verwegen an. Im Raum schien es auf einmal heißer zu werden, und ich nahm einen Schluck von meiner Cola, damit ich ihn nicht mehr ansehen musste.

„Was ist das nur mit Männern und Lesben. Ich habe nie verstanden, was so interessant daran sein soll.“

„Machst du Witze? Zwei Frauen zusammen, das ist total heiß. Außer wenn sie Mannsweiber sind, dann eher nicht“, sagte Mase.

„Aber Lesben wollen normalerweise keine Männer. Warum fühlt ihr euch dann von ihnen angezogen?“, fragte Darah.

„Das wär mir egal. Mir reicht es, zuzuschauen“, erklärte Mase und stieß Darah mit der Schulter an. Sie verdrehte die Augen.

„Das liegt daran, dass der weibliche Körper so schön ist. Er ist ein Kunstwerk. So kurvig und weich. Wenn du zwei davon hast, hast du doppelt so viel Schönheit.“ Hunter sah mich geradewegs an, während er das sagte.

„Doppelt hält besser“, sagte Mase und wir lachten alle.

„Und, was hast du heute Abend noch vor? Die Xbox anschließen?“, fragte Mase Hunter.

„Du hast eine Xbox?“, fragte Renee. Sie war eine heimliche Gamerin und hielt schon seit Ewigkeiten auf der Campus-Pinnwand Ausschau nach einer gebrauchten Konsole.

„Ja, ich hab auch Kinect.“

„Bitte sag mir, dass du Skyrim hast. Bitte, bitte“, sagte Renee und faltete die Hände. Ich machte Paul für ihre Spielsucht verantwortlich.

Hunter ging die Spielkonsole holen, und sie verbrachten die nächste Stunde damit, sie anzuschließen und Skyrim zu spielen.

Mase sagte, er habe ein paar Sachen zu erledigen und verschwand, wollte aber bald wiederkommen. Na, toll.

Ich ging den Rest meiner Sachen auspacken und schickte eine SMS an Tawny.

Den verbleibenden Nachmittag verbrachte ich damit, alles in Schubladen zu verstauen, mein Bett zu machen und zu überlegen, wo ich die Massen an Büchern unterbringen konnte, die ich mitgebracht hatte. Am liebsten hätte ich mir eine Bleibe außerhalb des Campus gesucht, aber leider hatte ich ein Stipendium, das mir vorschrieb, auf dem Campus zu wohnen. Ich saß also fest. Und das mit Hunter, wie es aussah. Glücklicherweise war er draußen bei Renee und Darah geblieben. Jedes Mal, wenn ich seinen Kram aus dem Weg räumen musste, ärgerte ich mich, doch zugleich war ich auch neugierig, was er sonst noch so in seiner Armeekiste hatte. Vielleicht eine Leiche.

Darah klopfte an die Tür und fragte, ob ich den ersten Gang zum Supermarkt übernehmen könne, sie und Renee hätten noch so viel zu tun. Ich konnte es kaum abwarten, aus dem kleinen Zimmer rauszukommen, und so schnappte ich mir meine Schlüssel, sammelte von allen Geld ein und machte eine Liste.

„Brauchst du Hilfe?“, fragte Hunter.

„Sehe ich so aus?“

„Nicht wirklich, aber ich dachte, du hältst mich für einen Arsch, wenn ich nicht frage.“

„Das tue ich sowieso.“

Er nickte nur und wandte sich wieder dem Spiel zu. Anscheinend arbeitete er schon auf den nächsten Kinnhaken hin.

Schwer bepackt kam ich vom Einkaufen zurück in eine völlig chaotische Wohnung.

„Hey, wir gehen ins Blue Lagoon, kommst du mit?“ Darah steckte sich gerade lange Silberohrringe in ihre Ohrlöcher und hatte sich eine enge Jeans und ein Glitzertop angezogen.

„Ich kann nicht, noch nicht einundzwanzig“, sagte ich und zeigte auf mich selbst.

„Blue Lagoon“ war der aktuelle Name des Clubs gleich neben dem Campus. Immer wieder musste er schließen, weil Minderjährige eingelassen worden waren oder es zu viele Schlägereien gegeben hatte. Manchmal auch beides. Gerade hatte er mal wieder einen neuen Besitzer, aber ich war sicher, dass der sich auch nicht viel länger halten würde als der vorherige.

„Mist, das hab ich vergessen. Tut mir leid.“

Aus dem Bad waren Föhngeräusche zu hören. Oh, sie schienen es ernst zu meinen – wenn Renee sogar ihr Haar glättete.

„Wo ist Hunter?“ Ich hasste es, seinen Namen laut auszusprechen.

„Hunter? Keine Ahnung. Sein Cousin ist zurückgekommen und dann sind sie irgendwohin gegangen. Er hat gesagt, er ist zurück, bevor wir losgehen.“ Sie verzog leicht das Gesicht, als sie den zweiten Ohrring durch das Loch presste.

„Er ist auch noch keine Einundzwanzig.“

„Na ja, wahrscheinlich hat er einen gefälschten Ausweis.“ Ja, das hatte er sicher. „Vielleicht können wir dich auch irgendwie reinschmuggeln.“

„Nein, ist schon okay. Ich häng einfach hier ab. Vielleicht ruf ich Megan an und frag, ob sie vorbeikommen will.“

Ich kannte Megan aus den Frauenforschungs-Vorlesungen und wir hatten uns im letzten Jahr angefreundet. Neben Darah und Renee war sie die einzige weitere Person, die ich wirklich als Freundin bezeichnet hätte. Sie wohnte zusammen mit ihrem Freund außerhalb des Campus, doch da seine Freunde ständig bei ihnen abhingen, war sie immer für einen Mädelsabend zu haben.

In diesem Moment flog die Tür auf und Hunter und Mase kamen mit zwei anderen Typen im Schlepptau herein.

„Hey“, sagte er und nickte mir zu. „Das sind Dev und Sean. Jungs, das ist Taylor und das ist Darah.“

„Hi“, sagte ich und hob die Hand zum Gruß.

Darah tat es mir gleich.

Dev hatte wunderschöne dunkle Haut, in der Farbe von Tonerde, und dunkelbraune Augen und Haare. Dazu war er unglaublich groß und spindeldürr. Sean hingegen war quadratisch gebaut und hatte mehr die Figur eines Wrestlers. Er trug seine blonden Haare kurz und hatte braune Augen. Beide begutachteten Darah und mich von oben bis unten. Noch nie in meinem Leben war ich so oft abgecheckt worden.

„Und, gehst du mit uns aus, Missy?“ Wieder starrte er mir auf die Brüste.

Ich verschränkte die Arme. „Es gibt Leute, die verstoßen nicht gegen das Gesetz.“

„Das lässt sich ändern“, sagte er und hielt mir etwas hin. Es war ein gefälschter Ausweis, mit dem Bild eines Mädchens, das fast ich hätte sein können. Es hatte ein anderes Geburtsdatum als ich, war aber auf jeden Fall älter als einundzwanzig.

„Wo zum Teufel hast du den her?“

Er wechselte einen Blick mit seinen Jungs. „Ich hab so meine Quellen. Los, mach dich fertig. So kannst du nicht gehen.“

„Wieso nicht?“ Niemals würde ich in meinem momentanen Aufzug ausgehen, aber ich wollte ihn ein wenig nerven.

„Ich würde es ja mit dir tun, egal was du trägst, aber vielleicht willst du dich ja ein bisschen aufbrezeln, damit dich auch noch andere heiß finden“, sagte er.

„Fick dich“, sagte ich, schleuderte ihm den Ausweis ins Gesicht und verschwand in mein Zimmer. Während ich die Tür schloss, konnte ich noch hören, wie die anderen Jungs Hunter aufzogen.

Ich durchwühlte meinen Schrank und fand ein Paar schwarze Leggins, ein rotes Tunikakleid und schwarze Stiefel. Ich zerrte mein Haar aus dem Knoten und bürstete es blindwütig, bevor ich meine blaugrünen Augen hastig mit einem Lidstrich umrahmte und mir ein wenig Lipgloss auf die Lippen tupfte. Dann sprühte ich eine Wolke meines Lieblings-Grapefruit-Bodysprays in die Luft, ging hindurch und war fertig.

„Besser?“, fragte ich, an die Wand gelehnt.

„Fickbar. Lasst uns gehen.“

Darah und Renee plauderten bereits mit den anderen Jungs, als würden sie sich schon ewig kennen.

Ich hätte niemals zugegeben, dass ich Angst hatte, erwischt zu werden. Aber es war auch noch mehr als das. In einen Club zu gehen, bedeutete, gegen jede Menge fremder verschwitzter Körper gepresst zu werden – das war der Teil, der mir gar nicht gefiel. Doch auf keinen Fall würde ich mich von Hunter einen Angsthasen schimpfen lassen. Also schob ich den gefälschten Ausweis in die Tasche, steckte ein wenig Geld ein und folgte den anderen nach draußen.

Die Nacht war mild, der Sommer hatte Maine noch fest im Griff. Wir bewegten uns in einem einzigen großen Pulk, niemand ging so wirklich voraus. Zum Glück war der Club in Torkelnähe zum Campus.

„Du wirst heute Abend keinen einzigen Drink zahlen müssen“, sagte Hunter, während er sich umdrehte und mir im Rückwärtsgehen anzügliche Blicke zuwarf.

„Aha, und wieso?“

Er schüttelte den Kopf. „Weißt du das wirklich nicht? Mase, Alter. Würdest du mit Taylor vögeln?“

„Auf jeden Fall“, sagte Mase und hielt den Daumen hoch. „Ich meine, wenn sie es wollte.“

„Dev?“

„Ja, klar.“ Auch Sean bejahte.

„Ist das alles, woran du denken kannst? Sex?“

„Woran soll man denn sonst denken? Alle denken daran. Wir sind darauf programmiert, daran zu denken. Sogar du, Missy.“ Er blieb stehen und beinahe wäre ich mit ihm zusammengestoßen. Er packte mich am Arm, damit ich nicht das Gleichgewicht verlor.

„Lass mich los.“

„Es liegt nur an dir, Missy. Ich kann in fünf Sekunden weg sein. Beweis mir nur, dass du mich liebst oder hasst.“

„Liebe und Hass sind zwei völlig verschiedene Dinge.“

„Nicht wirklich. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Einmal mit dem Finger geschnippt, und schon bist du auf der anderen Seite. Zeig mir einfach nur eine von beiden.“

„Jetzt gerade hasse ich dich. Wie kann ich dir das beweisen?“

Er berührte den Bluterguss in seinem Gesicht, den ich im Dunkeln nicht sehen konnte. „Dir wird schon was einfallen.“ Dann drehte er sich um und sprang Mase auf den Rücken, wobei er ihn fast zu Fall brachte.

Die Jungs benahmen sich, als seien sie bereits betrunken, rangelten, lachten und waren viel zu laut. Ich hielt mich an Darah und Renee, die, im Gegensatz zu mir, schon mal in einem Club gewesen waren.

Je näher wir ihm kamen, desto nervöser wurde ich. Ich konnte regelrecht die Musik im Bürgersteig wummern spüren. Das Gebäude war klein und hatte keine Fenster. Mehrere Leute standen davor und rauchten, und ein paar Mädchen, die Kleidung trugen, die man kaum als solche bezeichnen konnte, taumelten aus der Tür, lachten und hielten sich aneinander fest.

Ich rieb mir die Arme, obwohl mir nicht kalt war. Wir bildeten eine Schlange, und Hunter stellte sich vor mich. Der Türsteher sah aus wie ein Football-Spieler und grüßte Mase wie einen verloren geglaubten Freund. Dann vollführten sie diese seltsame einarmige Umarmung mit Rückenklopfen, mit der Männer sich gerne begrüßen, wenn sie sich nicht richtig umarmen wollen. Er winkte die anderen Jungs rein und warf nur einen flüchtigen Blick auf die Ausweise von uns Mädchen.

„Jay, Mann, wie geht’s dir? Lang nicht gesehen. Das ist eine Freundin von mir, Taylor.“

„Noch eine Freundin? Du hast ja mehr Freundinnen als ich Socken. Freut mich, dich kennenzulernen. Pass auf dich auf“, sagte er lachend und winkte uns herein, bevor ich sagen konnte „Mich auch“.

Im Club war es dunkel, laut und heiß, genau wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Decke war niedrig und es gab zu viele Tische und zu viele Menschen. Zudem blendeten mich die blinkenden Lichter.

„Ich hol dir was zu trinken“, sagte Hunter zu mir heruntergebeugt.

Er musste schreien, da die Musik so laut war. Einen DJ konnte ich jedoch nirgends entdecken. Ich ließ den Blick schweifen und fand schließlich Darah, Renee und die anderen an einem Ecktisch. Sie hatten schon alle Getränke.

„Komm schon. Lass mich dir einen Drink besorgen.“

„Meinetwegen“, sagte ich und stellte mich zu Darah.

„Du bist also reingekommen“, sagte sie und formte dabei die Hand zu einem Trichter, damit ich sie hören konnte.

„Ja, er hat sich den Ausweis noch nicht mal richtig angeguckt“, sagte ich achselzuckend. Kein Wunder, dass der Laden immer wieder hochgenommen wurde.

„Glück gehabt“, schrie sie zurück und nippte an ihrem Drink.

Kurze Zeit später drängte sich Hunter durch die Menge zu uns zurück. Er hatte so eine gelassene Art zu gehen, als hätte er alle Zeit der Welt.

„Du siehst aus wie ein Cuba-Libre-Mädchen“, sagte er und reichte mir ein Glas. Ich drückte das Stück Limette, das am Rand steckte, über dem Getränk aus und rührte es um, bevor ich einen Schluck nahm. Hunter trank ein Bier. Typisch.

Vorsichtig nippte ich an dem Drink. Ich traute Hunter nicht.

„Ich schwöre, ich hab nichts reingetan. Ich bräuchte keine Drogen, um dich ins Bett zu kriegen“, schrie er mir ins Ohr. Er strich mir mit der Hand über den nackten Arm, und ich musste mich zusammenreißen, um ihm nicht das Getränk in sein blödes Grinsen zu schütten. „Komm schon, kipp ihn mir ins Gesicht. Du willst es doch“, sagte er.

Auf der Tanzfläche wimmelte es nur so von Körpern, die umeinander kreisten und sich immer wieder berührten. Es gab bessere und schlechtere Tänzer; einige hatten fast schon Sex.

Statt Hunter wieder tätlich anzugreifen, nahm ich einen Schluck. Erst prickelte die Cola auf der Zunge, dann kam der Rum mit seinem dunklen, feurigen und warmen Geschmack hinterher. Er schmeckte großartig. Woher wusste Hunter, dass ich den Drink mögen würde?

„Ist er gut? Ich hab ihm gesagt, er soll den scharfen Rum nehmen. Dachte, du hast es sicher gern ein bisschen scharf.“ Oh Mann, du kannst mich mal.

Darah und Renee nippten an ihren Drinks und plauderten mit den Jungs, die wiederum die Tanzfläche beobachteten. Mase begegnete Hunters Blick.

„Alter, das sind alles Anfänger. Sollen wir denen mal zeigen wie’s geht?“

„Bin dabei. Dev?“

„Aber so was von“, sagte Dev, woraufhin sie sich auf den Weg zur Tanzfläche machten.

„Was haben die denn vor?“, fragte Renee.

„Keine Ahnung“, sagte ich.

„Wirst schon sehen“, sagte Sean und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

Mase ging in nach hinten, wo ich endlich den DJ entdeckte. Sie sprachen kurz miteinander, und dann ging der Song über in „Party Rock Anthem“ von LMFAO. Oh Gott, was sollte das werden?

Hunter und Dev gelang es irgendwie, sich etwas Platz zu verschaffen und sobald der Song in Fahrt kam, fingen sie an zu tanzen. Nur, dass sie nicht einfach tanzten. Sie breakten. Mase kam dazu und gemeinsam rockten sie die Tanzfläche.

Die Leute um sie herum bildeten einen Kreis und fingen an zu klatschen. Mase und Hunter tanzten eine vollkommen synchrone Choreographie und hatten all die „Moves“ drauf, die ich bisher nur aus Musikvideos kannte. Dev machte vor ihnen den Moonwalk mit den dazugehörigen geschmeidigen Drehungen.

Für einen weißen Typen konnte Hunter sich echt gut bewegen. Ich meine, so richtig bewegen. Hätte ich ihn nicht mit jeder Faser meines Körpers gehasst, hätte ich gesagt, dass es verdammt sexy war. Es ging nichts über einen Mann, der tanzen konnte.

Er vollführte eine Drehung, blieb abrupt stehen und sah mich geradewegs an. In den wirbelnden Lichtern konnte ich es nicht genau erkennen, doch ich hätte schwören können, dass er mir zuzwinkerte. Idiot.

Der ganze Club flippte völlig aus, alle feuerten sie an. Dann packte Hunter Mase am Fuß und katapultierte ihn in einen Rückwärtssalto. Die Masse jubelte und brüllte. Sie tanzten weiter, bis der Song zu Ende war, und ernteten tosenden Applaus. Danach klatschten sie sich gegenseitig ab und gingen zurück zu unserem Tisch, wobei ihnen in einer Tour auf die Schulter geklopft wurde.

„Das. War. Der. Hammer!“, rief Renee, während die Jungs sich ihre Getränke schnappten und sie runterkippten. Sie waren alle etwas außer Atem und hatten einen glänzenden Schweißfilm auf der Haut.

„Wie fandst du’s?“, fragte Hunter mich.

„Na ja“, sagte ich und zuckte mit einer Schulter. „Ich hab schon Besseres gesehen.“ Ich nippte an meinem Drink und ließ ihn mir auf der Zunge zergehen.

Er grinste mich einfach nur an und hob das Bier an die Lippen. „Klar, Baby.“

Jetzt nannte er mich auch noch Baby? Ich ignorierte es und trank mein Glas aus.

„Willst du tanzen?“, fragte mich Renee. Der Alkohol begann sich in meinem Körper zu verteilen, brachte meine Wangen zum Glühen und machte mir den Kopf leicht.

„Ja, warum nicht“, sagte ich, obwohl ich immer noch ein wenig Bedenken hatte, mich in das Gewirr aus fremden Körpern zu stürzen.

Renee griff nach meiner einen Hand und Darah nach der anderen, und wir machten uns auf in die Menge. Ich musste mir ein paarmal sagen, dass es mir gut ging, dass niemand mich verfolgte und ich Spaß haben würde. Auch der Alkohol half. Normalerweise hätte ich mich nie in eine wilde Tanzhorde gestürzt, aber man muss mit den Wölfen heulen.

Ich hatte nicht viele Talente, doch Tanzen war eins davon. Ich gab mich der Musik hin und es war mir egal, wer mir dabei zusah.

Von einem Paar Augen wusste ich, dass es auf mich gerichtet war: Hunters. Einmal drehte ich mich um, kreiste mit den Hüften abwärts, bis ich fast den Boden berührte, und kam wieder hoch. Vielleicht war es Einbildung, dass er schluckte und seine Augen sich ein wenig weiteten. Ich würde jedenfalls den Ausdruck, der kurz über sein Gesicht huschte, als verblüfft bezeichnen. Nimm das, du Arsch. Ich lächelte und griff nach Darahs Arm, wirbelte sie herum und stieß mit den Hüften gegen ihre. Wir tanzten drei weitere Songs lang, bis wir zu sehr schwitzten und an die frische Luft mussten. Ich war erleichtert, dem Gedränge zu entkommen. Trotz allem hatte ich ein paar Momente gehabt, in denen mich die Panik fast erwischt hätte, doch ich hatte es geschafft, ihr die Tür vor der Nase zuzuschlagen und weiter zu tanzen.

Die Jungs folgten uns nach draußen, wahrscheinlich um uns vor betrunkenen Grapschern zu beschützen; im letzten Jahr war in der Campus-Zeitung über mehrere Fälle von ungewünschten intimen Berührungen berichtet worden. Hunter legte mir die Hand auf den Rücken, doch ich ließ es zu, da es sonst vielleicht eine fremde Hand gewesen wäre, und ich, trotz allem, eine Hand, die ich kannte, einer unbekannten vorzog. Nicht, dass ich Hunter wirklich kennen würde. Mein Gott, ich hatte ihn heute Morgen zum ersten Mal gesehen.

Draußen standen wir in einer Wolke aus Zigarettenrauch, aber die frische Luft fühlte sich gut an auf meiner erhitzten Haut.

„Ich hab schon Besseres gesehen“, flüsterte mir Hunter ins Ohr. Sein warmer Atem kitzelte mir im Nacken, und ich schüttelte das Haar, um mein Erschauern zu verbergen.

In diesem Augenblick vibrierte mein Handy in der Tasche. Ich zog es heraus. Mom. Sie schickte mir ihre SMS immer zu den komischsten Zeiten.

„War das dein Freund? Macht er sich Sorgen, weil du so spät mit fremden Männern unterwegs bist?“, fragte Hunter und versuchte, die Nachrichten über meine Schulter zu lesen.

„Nö.“ Ich würde seine Neugier nicht stillen. Ich schaute aufs Display. Es war beinahe Mitternacht und ich war ganz schön geschlaucht vom frühen Aufstehen, der Fahrt vom Haus meiner Mutter in Waterville hoch nach Orono und dem Ausladen meiner Sachen. Und dem Sich-Rumschlagen mit Idioten.

„Wollt ihr auch los? Ich hab morgen früh Makroökonomie“, sagte Darah und tat so, als würde sie sich in den Kopf schießen. Sie studierte Rechnungswesen im Hauptfach, hasste VWL jedoch mit glühender Leidenschaft.

„Bist du auch bei Wesley in Raum DPC 100?“, fragte Mase.

„Ja.“

„Ich auch. Dann sehen wir uns wohl da“, sagte er. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber es kam mir vor, als würde sie bei dem Gedanken, ihn so bald wiederzusehen, lächeln.

Wir gingen alle zurück zu Mases Auto und verabschiedeten uns von Sean und Dev. Mase wünschte Darah eine besonders gute Nacht. Oh Mann, da bahnte sich irgendwas an.

Als wir zurück in die Wohnung kamen, wurden mir zwei Dinge klar. Erstens, ich brauchte definitiv eine Dusche, und zweitens, Hunter und ich würden im selben Zimmer schlafen.

Darah und Renee wünschten uns eine gute Nacht und schlurften in ihr Zimmer.

„Tja, da wären wir“, sagte Hunter.

„Ich geh mal duschen“, sagte ich und machte mich auf den Kommentar gefasst, von dem ich genau wusste, dass er kommen würde.

„Du weißt doch, was man sagt: Spar Wasser und dusch mit einem Freund.“

Ich ging an ihm vorbei, um meinen Pyjama zu holen, und gab keine Antwort. Bevor ich in die Dusche stieg, stellte ich sicher, dass die Tür abgeschlossen war. Ich würde es ihm durchaus zutrauen, dass er mich nackt überraschen würde. Typen wie er waren doch alle gleich. Sie nahmen sich, was sie wollten und ließen dich mit nichts zurück.

4. KAPITEL

Als ich nach der Dusche zurück ins Zimmer kam, saß Hunter mit nacktem Oberkörper und in Boxershorts auf seinem Bett. Den Rücken an die Wand gelehnt, die Gitarre auf dem Schoß. Es war ein Anblick, bei dem die meisten Mädchen sicher ins Schwärmen geraten wären. Mit seinem Tanztalent und der Gitarre konnte er schon einiges an Attraktivitätspunkten einheimsen. Er zupfte ein paar Akkorde bevor er mich bemerkte – für den Bruchteil einer Sekunde sah ich einen verträumten Ausdruck auf seinem Gesicht. Schnell versteckte er ihn hinter einem Grinsen.

„Du bist ganz feucht.“

Die Doppeldeutigkeit entging mir nicht. Ich warf meine zusammengeknüllten Klamotten in den Wäschekorb und drehte mein Haar im Handtuch ein, um das Wasser herauszudrücken.

„Das ist nicht die Art von Nachtbekleidung, die ich mir vorgestellt hatte, aber es wird es wohl auch tun.“

Ich sah herab auf das überdimensionale T-Shirt und die Shorts, die ich trug. Ich hatte mich dagegen entschieden, ein Trägerhemdchen und eine Panty anzuziehen, wie ich es bei diesen Temperaturen normalerweise gemacht hätte. Auch meinen BH hatte ich angelassen, damit meine Brustwarzen sich nicht unter dem dünnen Baumwollstoff abzeichneten.

„Bist du nur einer dieser Deppen mit Gitarre oder kannst du auch spielen?“ Ich versuchte, meinen Blick auf die Gitarre zu richten und nicht auf seinen nackten Oberkörper. Auf seiner linken Brust war noch ein Tattoo. Ein vierblättriges Kleeblatt.

„Ich spiele nur für zahlende Gäste. Allerdings würde ich mich auch auf einen Handel einlassen.“

Warum hatte ich überhaupt gefragt? Es war ein Versuch gewesen, das Eis zu brechen, doch er schien nicht interessiert daran. Ich ging zu meinem Schrank und fand eine Münze, die ich ihm hinschmiss.

„Hier. Jetzt spiel, Musikus.“ Ich setzte mich auf mein Bett und sah in auffordernd an.

„Was willst du hören?“

Ich überlegte. Ich wollte einen Song finden, den er auf keinen Fall kannte. Daher schloss ich alles aus, was unter Hardrock oder Folk fiel. Er sah aus wie einer dieser Typen, die auf Bob Dylan stehen.

„‚C’est la Mort‘ von The Civil Wars.“

Er warf mir einen erstaunten Blick zu, als hätte er damit nicht gerechnet.

„Was, kennst du nicht? Nicht hip genug für dich?“ Er wandte den Blick von mir ab, richtete ihn auf seine Gitarre und zupfte probeweise ein paar Töne. Ich wartete.

Dann floss plötzlich der Song aus seinen Fingern, langsam und eindringlich. Ich lehnte mich in meine Kissen zurück und verlor mich in der Musik. Ich gab es ungern zu, aber er spielte sehr gut. Es klang nicht so, als hätte er erst letzte Woche begonnen, Unterricht zu nehmen; er musste seit Jahren spielen. Schließlich ließ er das Stück mit einer Improvisation ausklingen und schaute zu mir auf. Sein verträumter Ausdruck war wieder da, und diesmal dauerte es länger, bis er wieder verschwand.

„Singen kostet extra“, sagte er.

„Du kannst tanzen, du kannst Gitarre spielen. Mann, Hunter, gibt es irgendwas, das du nicht kannst?“

„Ich bin in vielen Sachen gut. Wenn du rüberkommen willst, zeig ich dir noch ein paar mehr“, sagte er, während er die Gitarre in den Koffer zurücklegte. Meine Kehle wurde plötzlich ganz trocken und ich musste schlucken. Seine Kommentare hatten anders gewirkt, als wir vollständig angezogen und Leute um uns gewesen waren. In diesem dunklen, stillen Raum bekamen sie eine größere Bedeutung, jedenfalls für mich. Ich interpretierte zu viel hinein.

Ich setzte mich auf. Im Liegen fühlte ich mich angreifbarer.

„Es tut mir nicht leid, dass ich dich geschlagen habe“, sagte ich ohne ersichtlichen Grund. Meine Hand war noch immer geschwollen und schmerzte, und ich hoffte, sein Gesicht würde ebenfalls noch lange wehtun.

„Ich weiß. Mir tut es auch nicht leid, dass du es getan hast. Die meisten Mädchen langweilen mich. Aber du, Taylor, du langweilst mich nicht.“

„Gott sei Dank, dann kann ich ja als glückliche Frau sterben.“

„Ich werde mich nicht an dich ranmachen, falls du das glaubst.“

Das hatte ich zwar tatsächlich geglaubt, aber das musste er ja nicht wissen.

„Ich vögel nie mit Mädchen, die ich mag.“

„Das ergibt keinen Sinn.“ Moment mal, er mochte mich?

„Doch, klar. Alle Beziehungen enden irgendwann, stimmt’s? Warum sie also nicht beenden, bevor sie überhaupt anfangen, und sich den ganzen Ärger so sparen?“

„Das ist ganz schön kaputt, Hunter. Was haben dir deine Eltern angetan?“ Meiner Erfahrung nach hatten Typen wie Hunter normalerweise einen tiefsitzenden Mutterkomplex. Deshalb konnten sie nie enge Beziehungen zu Frauen eingehen.

„Das wüsstest du wohl gerne.“

Ich stand auf und schloss mein Handy ans Ladegerät an, hauptsächlich, um keinen Augenkontakt mehr mit ihm haben zu müssen. Normalerweise gehörte es zu meiner Abendroutine, meinen Retainer einzusetzen, Gesichtscreme aufzutragen und eine Schlafbrille aufzusetzen, doch um nichts in der Welt würde ich Hunter diesen Anblick gönnen.

Es war zu intim, zu persönlich. Vielleicht konnte ich morgen jemanden von der Verwaltung finden und ihm ein neues Zimmer besorgen. Ich würde ihnen einfach sagen, dass ich mich nicht wohl dabei fühlte, mit Hunter ein Zimmer zu teilen, und redete mir ein, dass ich den Mut dazu haben würde, ihn rauszuschmeißen. Es wäre alles so viel einfacher gewesen, wenn wir die Sache schon vor Stunden hätten regeln können. Und wenn er diesen dummen Song nicht gespielt hätte. Warum hatte ich ihn mir bloß ausgesucht? Ich hätte mir irgendwas Idiotisches wie „I Am the Walrus“ wünschen sollen.

Er knipste seine Lampe aus, sodass wir jetzt beinahe in völliger Dunkelheit waren. Das einzige Licht kam von der kleinen Lampe auf meiner Kommode, die ich noch nicht ausgemacht hatte.

„Nur damit du’s weißt, ich rede im Schlaf.“ Er rutschte ein wenig hin und her und warf etwas auf den Boden. Das konnte nur eins sein. „Außerdem schlafe ich nackt.“

Ich schnaubte angewidert. Jetzt würde ich definitiv in meinem BH schlafen, auch wenn ich am nächsten Morgen unangenehme Abdrücke haben würde. Ich stieg ins Bett und zog die Decke bis zur Nase hoch. Diejenige, die sich nackt fühlte, war ich. Ich hätte schwören können, dass ich hörte, wie die Decke an seiner Haut rieb. Verdammt, ich hätte mir ein paar Ohrstöpsel besorgen sollen.

Ich würde kein Auge zukriegen.

Auch ich redete im Schlaf, aber das würde ich ihm nicht erzählen.

„Also, gute Nacht. Fühl dich frei, von meinem nackten Körper zu träumen, und sei dabei so laut, wie du willst. Ich werd nicht aufwachen.“

Am liebsten hätte ich einen schweren Gegenstand nach ihm geschmissen. Leise griff ich nach meinen Kontaktlinsen und legte sie ein. Die Dose versteckte ich unter der Matratze. Ich hätte gern so getan, als wäre es mir scheißegal, was er von mir dachte, aber das war es leider nicht.

Da ich es unhöflich gefunden hätte, ihm keine gute Nacht zu wünschen, tat ich es. Als Antwort erhielt ich lediglich ein Murmeln. Ich lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Selbst mit meiner Memory-Schaum-Matratze war das Wohnheimbett ungefähr so bequem wie ein Strohsack.

Hunter atmete ruhig; trotzdem brachte er Unruhe in den Raum. Ich weiß nicht, warum, aber Jungs atmen anders als Mädchen. Irgendwie lauter. Jedes Mal, wenn er sich bewegte oder auch nur zuckte, hörte ich es. Als sich seine Atmung verlangsamte und er sich nicht mehr so viel bewegte, wusste ich, dass er endlich eingeschlafen war. Ich versuchte, die Augen zu schließen, doch es wollte nicht funktionieren.

Schließlich nahm ich meinen MP3-Player und stellte ihn auf Shuffle. Da ich jede Menge schneller Songs darauf hatte, musste ich immer wieder welche überspringen. Normalerweise machte mich Alkohol müde, aber die Cola im Drink war keine so gute Idee gewesen, und es war schon zu spät, um mein Schlafmittel zu nehmen, daher konnte ich nichts machen. Zum Glück hatte ich am nächsten Tag nur zwei Seminare und keines davon vor elf. Ich hoffte, Darah und Renee würden morgens nicht so laut sein. Und vor allem hoffte ich, Hunter würde es gelingen, leise zu sein.

Als „C’est la Mort“ kam, schaltete ich auf Repeat und dämmerte endlich weg.

„Taylor, Taylor!“

Eine Hand hatte mich an der Schulter gepackt und schüttelte mich.

„Was zum Teufel?“, fragte ich und versuchte, mich zu wehren und sie loszuwerden. „Fass mich nicht an!“ Während ich um mich schlug, berührte ich etwas Warmes und Weiches. Einen Oberkörper.

„Herrgott nochmal, hör auf!“

Schließlich öffnete ich die Augen und erfasste die Situation. Ich lag im Bett und ein Junge mit nacktem Oberkörper hielt meinen Arm fest. Ich hielt still und er ließ mich los.

„Was machst du denn da?“, fuhr ich ihn an, doch es klang undeutlich wegen des Retainers. Ich spuckte sie in meine Hand.

„Du hast im Schlaf geschrien und bist total ausgerastet. Ich bin davon aufgewacht.“ Mist. Wenn ich mein Schlafmittel nahm, hatte ich normalerweise keine nächtlichen Angstattacken, aber heute Nacht hatte ich es nicht nehmen können. Großartig, einfach nur großartig.

„Tut mir leid. Geh wieder ins Bett, mir geht’s gut.“

„Brauchst du … ähm … vielleicht irgendwas?“

Er stand da, als wüsste er nicht, was er sagen sollte. Mein Blick wanderte von seinem Brustkorb abwärts und ich sah, dass er sich ein Handtuch um die Hüften geschlungen hatte. Immerhin verdeckte es das Allernötigste.

„Nein, mir geht’s gut. Gute Nacht.“ Ich drehte mich auf die andere Seite und hoffte, dass er es dabei belassen würde. Ich hörte, wie er seufzte und wieder in sein Bett kroch.

„Gute Nacht“, sagte er und drehte sich ebenfalls zur Wand.

5. KAPITEL

Als ich am nächsten Morgen um neun aufwachte, war Hunter verschwunden, ebenso Renee. Aber Darah saß mit einer Schüssel Cornflakes am Esstisch.

„Wie war deine Nacht mit dem Typen?“

„Fantastisch“, sagte ich, streckte die Arme über den Kopf und hörte meine Wirbelsäule knacken. Ich schlurfte zur Kaffeekanne und sah, dass gerade noch genug für eine Tasse darin war. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er schon da stand, aber das war mir egal. Kaffee wurde erst nach vier Stunden so richtig ungenießbar. Ich schenkte mir eine Tasse ein und setzte mich zu Darah. Sie sah genauso schlecht aus, wie ich mich fühlte.

„Ist es okay, dass er hier ist? Wirklich?“, fragte sie.

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