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MUTIG

Als Buch hier erhältlich:

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MUTIG sein heißt, ein Leben ohne Skript zu führen: angstfrei, siegesgewiss, wütend, smart, scharfsinnig, hemmungslos, kontrovers und real as f*ck.

MUTIG ist das unverstellte, ehrliche und schlagfertige Enthüllungsbuch einer Ikone der Millennium-Generation, einer angstfreien Aktivistin, die für den gesellschaftlichen Wandel einsteht und kein Blatt vor den Mund nimmt, um die Missstände der Unterhaltungsindustrie aufzudecken und gängige Klischees von Ruhm und Erfolg bloßzustellen. Rose McGowan bringt Licht in die dunkelsten Ecken der Traumfabrik Hollywood, die systematisch auf Sexismus aufgebaut wurde. Jetzt will sie Menschen auf der ganzen Welt dazu ermutigen, endlich aufzuwachen und MUTIG zu sein.

»Hallo, ihr Mitmenschen, wie schön, dass wir uns treffen. Mein Name ist Rose McGowan, und ich bin MUTIG. Und ihr sollt es auch sein.«
Rose McGowan

»Ihr werdet lesen, wie mein Leben mich von einer Sekte in die nächste, in die größte Sekte von allen getrieben hat: Hollywood. In MUTIG erzähle ich, wie ich mich aus diesen Sekten befreien und mein Leben zurückerobern konnte. Und ihr könnt das auch.«
Rose McGowan

»Näher als in diesem Buch wird man dem heißen Kern von #MeToo kaum kommen. Allein das macht es schon zu einem historischen Dokument der unmittelbaren Gegenwart.«
Vogue

» Der Tonfall von MUTIG (…) ist konfrontativ und unversöhnlich. Man fühlt sich drangsaliert und gleichzeitig beschämt …]. Mit anderen Worten: Dieses Buch war lange überfällig. (…) Es ist gut, dass kein Lektor und keine Lektorin, kein Verleger und keine Verlegerin versucht haben, die rohe Sprache McGowans zu bändigen. Sie gefälliger zu machen oder im Tonfall differenzierter. Die Wut zu kanalisieren oder McGowan in manchen Passagen, in denen das Pathos überhandnimmt (…) zu bremsen. MUTIG will keine schöne Literatur sein (…).«
Der Tagesspiegel

"Ihre Autobiografie heißt, wie sie ist: Mutig!" EMMA


  • Erscheinungstag: 03.04.2018
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959672535

Leseprobe

All den Überlebenden gewidmet.

VORWORT

»Hast du dich getrennt?«

Die Frage machte mich zuerst wütend. Ich fand sie sexistisch, klischeehaft, lähmend. Es gab kein Beziehungsaus, das mich zu einem so gewaltigen Freiheitsdrang und einer so rigorosen Veränderung getrieben hätte. Doch je öfter ich die Frage zu hören bekam, desto mehr dachte ich über meine Motive nach. Ja, doch, ich hatte mich getrennt. Von allen und jedem. Vom kollektiven Ganzen, vom gesellschaftlichen Wir. Vom Hollywood-Ideal, bei dem ich selbst mitgespielt hatte. Vom Idealbild der »Frau«, welches uns durch jede Schauspielerin in jedem Werbeclip für glänzende Haare laut schreiend verkauft wird – »Schaut her, hierin liegt das Geheimnis der Verführung, das Geheimnis, die Männer zu betören, damit sie uns begehren.« Lange, Kardashian-gleiche Haare, die da rufen »Fick mich, Big Boy«. Als wäre das alles, was wir Frauen sind, alles, was wir je sein können. Haare. Ja, davon hatte ich mich getrennt, von meinen Haaren. Es war ein jahrelanger Prozess, und es brauchte einiges, um mich nach dieser Gehirnwäsche aus meinem Dämmerzustand zu holen. Dabei hatte ich mich mit meinen langen Haaren nie wohlgefühlt. Sie lenkten die Blicke der Männer auf mich, während mein wirkliches Ich dahinter verschwand. Ich nutzte meine Haare, um mein Gesicht zu verdecken, mich auszuklinken, zu schlafen. Und ja, geschlafen, das habe ich in der Tat. Die wahre Rose schlief, während die falsche Rose ein zweites skurriles Leben führte, in eine andere Haut schlüpfte und Rollen spielte.

Die meiste Zeit meines Lebens trug ich kurzes Haar. Ich mochte es lieber so. Die klassischen Filmstars und Punkmusikerinnen, die ich am meisten verehrte, hatten alle kurze Haare. Es gefiel mir ausgesprochen gut, mich abzuheben, individuell zu sein. Ich mochte es, weder weiblich noch männlich auszusehen, sondern mich irgendwo dazwischen zu bewegen. Die zwei Phasen in meinem Leben, in denen ich lange Haare trug, waren die schlimmsten. Es waren die Zeiten, in denen ich mich selbst ziemlich verloren hatte – einmal im Teenageralter, als ich an einer furchtbaren Essstörung litt, und später noch einmal, als mir eine psychische Erkrankung namens Hollywood schwer zusetzte. Die Hollywood-Erkrankung hielt deutlich länger an. Beide Male aber hatten damit zu tun, dass ich mein eigenes Selbst verloren hatte. Und beide Male waren angeschoben von der gesellschaftlichen Propaganda-Maschine Nummer eins – von Hollywood. Ich müsse lange Haare haben, hieß es, andernfalls würden die Männer, die in Hollywood Filmrollen vergeben, nicht mit mir schlafen wollen, und wenn sie nicht mit mir schlafen wollen, würden sie mir auch keine Rollen geben. Dass ich dies ausgerechnet von einer Frau zu hören bekam, von meiner Agentin, ist in doppelter Hinsicht tragisch. So bösartig und traurig zugleich. Bösartig, weil sie als ältere Frau als Sprachrohr fungierte für das, was in Hollywood gewollt ist. Und traurig, weil sie so sehr recht damit hatte. Die Botschaft kommt bei allen Frauen und Mädchen an: Du musst lange Haare haben, damit auch du sexy sein kannst. Ich hatte die Botschaft verstanden, wie von einer Hotline aus dem Call-Center »Was Männer wollen«.

Fuck Hollywood. Fuck Botschaft. Fuck Propaganda. Fuck Klischees.

Frauen vom Typ America’s Sweetheart wie Jennifer Lawrence haben weich fallende blonde Haare zu haben. Frauen vom Typ sexy Vamp hingegen lange, dunkle Mähnen. So sind die Regeln, und damit basta. Meine langen Haare waren wunderschön, so wie bei Schönheitsköniginnen. Meine Friseure waren schwule Männer, und ich war ihre lebendig gewordene Barbie – erzählten sie mir zumindest. Ich selbst fand gar nicht, dass ich aussah wie eine Barbie. Eher wie eine aufblasbare Sexpuppe, so eine mit einem Loch als Mund. Die Hollywood-Maschinerie hatte mich in ein perfektes Spielzeug feuchter Männerfantasien verwandelt. All die Männer und Frauen, die beordert waren, mich optisch dahingehend zu verwandeln, erledigten einen guten Job, gar keine Frage. Innerlich aber starb ich, und nach außen hin war mir mein Aussehen nur peinlich. Aber ich wusste nicht, wie ich das, was hier falsch lief, ändern könnte, wo doch so vieles in meinem Leben falsch lief.

Ich begegne zahlreichen Frauen und Mädchen, die mir erzählen, dass ihre Haare für sie ein Sicherheitsvorhang sind und was sie dahinter verbergen. Ich finde das nicht nur vielsagend, es zerreißt mir auch das Herz. Natürlich darfst du lange Haare haben, wenn es dir so gefällt, aber hinterfrage bitte auch deine Motive. Inwiefern gibt die Gesellschaft vor, wie eine Frau auszusehen hat? Inwiefern diktieren die Medien, was eine Frau verkörpern soll? Warum versteckst du dich hinter deinen Haaren? Warum willst du ein Leben hinter einem Vorhang führen? Und wovor versteckst du dich überhaupt?

Als ich mir den Kopf kahl rasieren ließ, war dies ein Kampfschrei. Aber mehr als das gab mir dieser Schritt eine Antwort auf die Frage, die ich so sehr hasste:

Habe ich mich getrennt?

Ja, das habe ich. Von der Welt des schönen Scheins.

Und du kannst das auch.

Mein Name ist Rose McGowan, und ich bin MUTIG.

EINFÜHRUNG

Es war einmal eine berühmte Schauspielerin namens Frances Farmer. Ihr künstliches Leben war ihr verhasst. Frances wollte frei sein. Sie versuchte, dem Ruhm und dem Gift der männerdominierten Welt von Hollywood zu entfliehen, doch die Filmstudios hielten sie gefangen. Ließen sie in die Psychiatrie einweisen. Sperrten sie ein. Sie war nicht irre, sie wollte nur einfach nicht berühmt sein. Sie schrie, bettelte um ihr Leben. Doch sie nahmen es ihr. Sie fixierten sie am Bett und verpassten ihrem Gehirn eine Reihe von Elektroschocks. Schock. Schock. Schock. Immer wieder. Die männlichen Kräfte, die da in Hollywood walteten, wollten, dass Frances das fügsame, brave, kleine Mädchen ist und tunlichst auch bleibt. Was sie von ihr übrig ließen, war eine leere Hülle, die bloße Schale einer Frau. Frances war danach nie wieder sie selbst. Und alles nur, weil sie nicht als Unterhaltungsnummer verkauft werden wollte.

Sehr wenige Sexsymbole entkommen Hollywood mit unversehrtem Verstand, wenn sie es überhaupt schaffen, am Leben zu bleiben. Unter dem Pflaster Hollywoods liegen viele gebrochene Seelen – verwundbare, durchgefickte, belogene, verletzte. Ich muss es wissen, denn fast wäre ich eine von ihnen geworden. Nun werdet ihr vielleicht denken, dass das, was in Hollywood passiert, euch persönlich gar nicht betrifft. Falsch gedacht. Meine Lieben, wer glaubt ihr denn beherrscht eure Realität? Wer führt euch denn vor, wer und was ihr sein wollt?

Ich will offen sprechen über eine innere Krankheit, die, wenn überhaupt, nur wenige thematisieren: Wie und warum kreiert Hollywood einen so miesen Zerrspiegel der Realität, in den wir alle bereitwillig hineinblicken – mit den eigenen Augen zwar, aber wohl kaum mit dem eigenen Verstand. Hollywood beeinflusst unser Leben auf Arten und Weisen, die uns vielleicht gar nicht mal bewusst sind.

Als ich mich in meiner Vergangenheit als Produkt vermarkten ließ, habe auch ich bei dieser kranken Hirnmassage mitgemacht. Geschickt schlängelte ich mich in eure Köpfe hinein. Ich war die Zigarette auf Werbeplakaten, die euch zuruft, dass ihr genau die jetzt braucht. Ich stand aber auch auf der anderen Seite des Spiegels. Beobachtete euch. Studierte euch. Gab mich als eine von euch aus. So läuft das bei uns in Hollywood, in der Medienwelt und Werbebranche. Und wisst ihr was? Wir sind wirklich gut darin. Wir sind darauf gedrillt, uns bestmöglich an euch zu vermarkten, bestmöglich an euch zu verkaufen, und in eure Köpfe, eure Gedanken und euren Geldbeutel das einzupflanzen, was »wir« wollen. Und es funktioniert. Ihr bekommt eine falsche Wirklichkeit verkauft, das ganze Paket zum absoluten Tiefstpreis – mit 14 Dollar pro Kinokarte seid ihr dabei.

Die Männer, die glaubten, mich zu besitzen, glauben auch, euch zu besitzen. Sie sind die letzten in einer langen Reihe von Märchenverkäufern, vom Bibelerzähler anno dazumal bis zum Urheber heute. Es sind zumeist selbstherrliche Egomanen, die ihre Machtpositionen missbrauchen und heute gefährlicher sind denn je. Kaum jemand in Hollywood, auch keine Schauspielerin, von der ich wüsste, hat dagegen rebelliert. Hollywood operiert wie die Mafia, wenn es um den Schutz seiner Selbst geht. Insbesondere, wenn dieses »Selbst« ein reicher, weißer Mann ist. Ja, jetzt ist es raus. Aber es ist die Wahrheit. Das ist nicht meine Schuld. Es ist einfach eine Tatsache, genauso wie der Himmel nun mal blau ist.

Mit meiner Geschichte will ich Licht ins Dunkel bringen. Und all jenen, die glauben, Hollywood sei eine harmlose Traumfabrik, sage ich … nein, ist es nicht. Es ist ein todernstes Geschäft, eines, das skrupellos in die eigenen Taschen wirtschaftet. Na ja, mögt ihr meinen, wir blättern unser sauer verdientes Geld doch gerne für einen Kinoabend hin oder zahlen unseren Kabelnetzbetreiber, um uns unterhalten zu lassen. Aber so einfach ist das Ganze nicht.

Ich bin hier, um euch zu sagen, dass der Preis, den ihr bezahlt, weit höher ist, als euch bewusst ist. Ihr bezahlt mit eurem Verstand, euren Verhaltensweisen und – mustern. Mit Dingen, für die es gar kein Preisschild geben dürfte. In unserer fernsehdominierten Gesellschaft ist es eine schlichte Tatsache, dass alle Bilder, die wir von klein auf konsumieren, uns geprägt haben und weiterhin prägen. Selbst wer dieser Welt des schönen Scheins bewusst entsagt, muss wachsam sein, um gegen all die schädlichen Lügen und Märchen gefeit zu bleiben. Denn sie entfalten ihre Wirkung schleichend, und sie sind überall.

Mein Leben hat mich, wie ihr gleich erfahren werdet, von einer gefährlichen Sekte zur nächsten geführt, zu einer der größten aller Sekten: nach Hollywood. Und »größte« sage ich nicht von ungefähr, denn Hollywood hat eine gigantische Reichweite. MUTIG erzählt, wie ich mich aus den Fängen dieser Sekte befreien und mein Leben zurückgewinnen konnte.

Und ihr könnt das auch. Ich helfe euch dabei.

Ihr könnt sagen: »Es reicht!«

Ihr könnt »Ja« sagen zu einem freieren Selbst.

Ihr könnt euch frei machen von den Fallen, die da überall auf euch lauern. Und glaubt mir, diese Fallen sind gelegt.

Ich schreibe dieses Buch, weil ich einen echten Dialog mit der Öffentlichkeit und insbesondere mit euch will. Ich fühle mich geehrt, dass meine Worte Eingang in euer Bewusstsein und Gewissen finden, dass meine Gedanken für immer in euren Herzen bleiben. Ich nehme diese Verantwortung sehr ernst.

Nennt, was ich tue, Dienst an der Öffentlichkeit. Völlig korrekt, genau das ist es.

Hollywood ist eine schmutzige Stadt und zu allerlei schmutzigen Tricks bereit.

Dies ist kein Enthüllungsbuch.

Dies ist Hollywood-im-Klartext.

KIND GOTTES

Die Sache bei Sekten ist die: Ich sehe sie überall.

Wenn du gierig alles über die Kardashians aufsaugst, bist du Mitglied einer Sekte. Wenn du im Fernsehen deine Lieblingsserie schaust, dich danach in Internet-Chatrooms mit anderen Serienjunkies triffst, um dich Folge für Folge mit ihnen darüber auszutauschen, bist du Mitglied einer Sekte. Wenn du dich exzessiv und einseitig aus nur einer Quelle informierst, statt auch andere Quellen zu nutzen, insbesondere wenn diese ein faires und ausgewogenes Informationsangebot bieten, bist du Mitglied einer Sekte. Du lebst dein Leben durch andere Menschen. Wenn du blind irgendwem hinterherläufst, bist du Mitglied einer Sekte. Wenn du der Propagandamaschine der Mainstream-Medien Beifall trommelst, bist du Mitglied einer Sekte. Schau dich nur mal um, Sekten finden sich überall. Überall gibt es Gruppendenken und Gruppenmentalität: Du bist Mitglied einer Sekte, du bist Mitglied einer Sekte, du bist Mitglied einer Sekte.

Um sich zu entprogrammieren, sprich, die mentalen Programmierungen durch die Sekte zu löschen, muss man zunächst realisieren, dass man in einer Sekte ist – das ist der erste Schritt. Und ich weiß, wovon ich rede, denn ich bin zwei der einflussreichsten Sekten aller Zeiten entkommen.

Wer mich als Schauspielerin kennt, muss wissen, dass ich nie die Person war, die ich gerade verkörperte. Ich spielte Rollen von Personen, die ihrerseits Rollen spielten. Ich war gefangen in gesellschaftlichen Idealen und geschlechterspezifischen Rollenerwartungen, in die ich hineingedrängt wurde von Leuten, die niemals in meiner Nähe hätten sein dürfen (und auch nicht in deiner), die mein Gehirn durch den Fleischwolf drehten. Gehirnwäsche total. In jungen Jahren konnte ich sie abschütteln, doch nun, Jahre später, hatte mich die »Kultdoktrin« Hollywoods in ihren Fängen.

Mein Leben änderte sich endgültig an jenem Tag, an dem ich mich in ein Pixel verwandelte, das man auf einen erdumkreisenden Satelliten hinauf und wieder hinunter beamte, das durch Wohnzimmer, Schlafzimmer und anderer Leute Leben flimmerte. Mein Job war es, dich für eine Weile aus deinem anstrengenden Alltag zu entführen, dich Gefühle erleben zu lassen, dich überhaupt fühlen zu lassen. Ich nahm meinen Job sehr ernst. Doch wie in den meisten Sekten wurde ich, weil ich eine Frau war, zum Objekt degradiert. Ich wurde zum Vergnügen des Publikums verkauft. Profitgeile Männer (und auch Frauen) machten Geld, indem sie meine Brüste, meine Haare, meine Gefühle, meine Gesundheit, mein Leben verkauften. Ich wurde weder ernst genommen noch respektiert. Nicht von der Mehrheit der Gesellschaft und schon gar nicht von der Hollywood-Sekte mit ihrem massiv industrialisierten Madonna-Huren-Komplex (der den inneren Konflikt vieler Männer beschreibt, die gerne eine »Hure« im Bett, aber eine Madonna bzw. eine »Heilige« im richtigen Leben hätten).

Stell dir einmal vor, die Firma, für die du arbeitest, bemisst deinen Wert danach, wie viel Samen du aus einer anonymen Masse von Männern herausbekommen kannst. Und wenn du es schaffst, dass fremde Männer zu deinen Filmen onanieren, dann muss dein Wert entsprechend hoch sein. Klingt nach einer Sexarbeiterin? Ja, da liegst du gar nicht mal so verkehrt.

Stell dir vor, jedes Wort, das seit fast siebzehn Jahren aus deinem Mund kommt, Tag für Tag, Monat für Monat, Einstellung für Einstellung, Aufnahme für Aufnahme, hätte dir irgend so ein beschränkter Kleingeist vorgetextet. Das ist krass und extrem abartig.

Ich habe lange gebraucht, bis mir klar wurde, dass ich in einer weiteren Sekte gelandet war, denn ich war viel zu beschäftigt damit, immer eine andere Person zu sein, nie ich selbst. Indem ich meine Lebensgeschichte erzähle, lasse ich sie noch einmal Revue passieren.

Aber der Reihe nach.

In der winzigen Ortschaft Certaldo in Italien, in einem einfachen Schuppen aus Stein, erblickte ich mit Hilfe einer blinden Hebamme das Licht der Welt. So beginnt meine Geschichte. Es gibt diese Redensart: »Habt ihr denn zu Hause Säcke vor den Türen?!« Ja, das habe ich wohl, und daher muss ich keine Tür hinter mir schließen, wenn ich das nicht will. Ich habe dieses Privileg. Ich schätze, manche Menschen zeichnen sich von Geburt an durch Andersartigkeit aus, und so ist es auch bei mir.

Eigentümer des Schuppens war der Herzog von Zoagli, bekannt als Herzog Emanuele, der mit seinem Beitritt in die Sekte der »Kinder Gottes« (Children of God) sein gesamtes Vermögen und Land der Sekte vermacht hatte. Seine Schwester Rosa Arianna lebte mit auf diesem Land, konnte uns Sektenmitglieder dort aber von Anfang an nicht ausstehen. Meine Eltern haben mich nach ihr benannt, Rosa Marianna – ich denke mal, um sich bei ihr einzuschmeicheln. Hat nicht geklappt.

Dort, vor den Toren von Florenz, inmitten der sanften Hügel, der dunkelgrünen Zypressen und silbergrünen Olivenbäume, der Weinberge und Obstgärten, der uralten, mit roten Geranien bepflanzten Terracotta-Kübel, war es wunderschön. Ein wirklich hübscher Ort, wie ich finde, aber in Anbetracht der Tatsache, dass man sich in einer Sekte befand, lebte es sich dort wie an jedem anderen Ort auch.

Nein, was sage ich, der Ort war mehr als hübsch. Bereits in jungen Jahren erkannte ich seine außerordentliche Schönheit. Ich verband mich mit seiner Natur als Flucht vor der Realität, in die ich hineingeboren war. Dadurch wurde mir meine Liebe zu Formen, Farben und Lichtmustern geschenkt. Die ländliche Idylle Italiens hat mich in einer sehr positiven Weise mein Leben lang nie losgelassen.

Aus meiner frühesten Kindheit erinnere ich mich an viele Geschichten über einen furchterregenden alten Mann namens »Moses« David Berg, den autoritären Sektenführer der Kinder Gottes. Seine direkten Weisungen verbreitete er durch die sogenannten »Mo Letters«, die Mo-Briefe, Broschüren im Comic-Stil. Was immer Moses David schrieb, es wurde befolgt. Jedes Mal, wenn ein neuer »Mo-Brief« kam, war es, als hätte der Herrscher des Universums gesprochen (in etwa so wie später die Studioleiter in Hollywood). Als selbst ernannter Prophet, der er war, entpuppte sich Moses David als der König aller Widerlinge. Doch das war den anderen damals offenbar nicht klar. Manch einem ist es das bis heute nicht.

Zu meinen Kindheitserinnerungen gehören jede Menge haarige Beine, von Männern ebenso wie von Frauen, so wie in den Comicstrips, in denen oft nur die Beine der Erwachsenen abgebildet sind, da sie aus der Kinderperspektive gezeichnet werden. Ich erinnere mich an viel Gesang, Gebet, Geklatsche und Geschnipse. Jawohl, Geschnipse. Man sagte mir, ich müsse mich auf den Hosenboden setzen und lernen, wie man mit den Fingern schnipst, andernfalls würde mir Gott nicht das Autofahren beibringen, wenn ich sechzehn werde. Ich wusste zwar überhaupt nicht, was das heißen soll, »sechzehn« und »Autofahren«, dass es aber völlig absurd ist, zu glauben, mit Fingerschnipsen irgendetwas bewirken zu können, war mir schon damals klar.

Eines Abends kam eine Frau in weißer Robe in das Zimmer, in dem ich mich gerade befand – wie ein Gespenst sah sie aus, wie ein geisterhafter Schatten, in der Hand eine brennende Kerze. Strom gab es keinen. Draußen stürmte es, und ich erinnere mich, wie die Holzklappläden gegen die alten Glasfenster schlugen. Ich hatte Angst, dass sie bersten würden, doch ich war abgelenkt von dieser Frau in Weiß, die sich zu meinen Füßen setzte. Der Wind pfiff durch die Mauerritzen, und ich konnte kaum verstehen, was sie sagte.

Der Wind legte sich, sie schaute mir tief in die Augen und fragte: »Hast du Gott in dein Herz gelassen?«

Ich straffte die Schultern, sah sie an, überlegte sorgfältig und schüttelte dann den Kopf.

Die Frau kneift mir in den Fuß, zieht an der Haut und dreht sie, bis sie brennt. Nein, bloß nicht schreien, denn ich weiß, dass sie nur darauf wartet. Auf diesen Ungehorsam folgt Strafe, körperliche Strafe, Ohrfeigen und Prügel, getreu dem Motto »Wer mit der Rute spart, verzieht sein Kind«. Sie dreht fester. Ich beiße mir auf die Lippen, um ja nicht zu schreien vor Schmerz. Ich halte ihrem Blick stand, stumm, trotzig.

Die Frau wiederholt ihre Frage, diesmal auf Deutsch: »Hast du Gott in dein Herz gelassen?«

Ich überlege noch einmal. »Nein. Heute nicht. Morgen vielleicht.«

Sie schlägt mir ins Gesicht. Hart.

Schon damals sagte mir mein kindliches Gemüt, dass, wenn ich ihn in mein Herz lassen würde, es allein deren Gott wäre, dem ich Zugang gewährte. Es wäre nicht mehr meiner, den ich so sehr hütete. Deren Gott war grausam. Was sie predigten, ergab für mich keinerlei Sinn, und ihre Taten stimmten nicht überein mit ihren Worten. Nein, in dieser Realität wollte ich nicht leben.

Später drängte mich meine jüngere Schwester Daisy, doch einfach klein beizugeben, um mir das Leben leichter zu machen, doch ich nahm die züchtigenden Strafen weiterhin in Kauf. Wie mein Name Rose es schon sagt, war ich sehr dornig, während meine Schwester ein kleiner goldblonder Engel war. Ich starrte sie an, fragte mich, wie sie so werden konnte und überhaupt nicht sah, was vor sich ging. Es war ein merkwürdiges Gefühl, hinter diesen Mauern groß zu werden, eingebläut zu bekommen, dass man nicht zur Welt dort draußen gehörte, doch gleichzeitig auch zu wissen, dass ich auch zu der Welt hier drinnen nicht gehörte.

Als diese Frau – oder eine andere Person, es waren allesamt Fremde – am folgenden Abend und auch am Abend danach wiederkam, gab ich immer die gleiche Antwort auf ihre immer gleiche Frage: »Nein. Nein, ich habe Gott nicht in mein Herz gelassen.«

Klatsch. Ein Schlag ins Gesicht.

Eines Abends konnte ich hören, wie die Frau auf Deutsch vor sich hin raunte und leise stampfend mit den Füßen scharrte. Ich wusste, das bedeutete, sie würde mir wieder wehtun.

»Nein.«

Klatsch.

Als sie gegangen war, sah ich, dass sie ihre Bibel auf meiner Schlafmatte hatte liegen lassen – alle Kinder schliefen auf dünnen orangenen oder blauen Plastikmatten. Ich versteckte die Bibel hinter einem Schrank. Jeden Tag riss ich eine neue Seite heraus, zupfte ein kleines Eckchen ab, steckte es mir in den Mund, kaute darauf herum, schob einen weiteren Schnipsel hinterher, spuckte die matschige Pampe aus und drehte kleine Kügelchen daraus. Aus den »Bibel-Kügelchen« bastelte ich mir kleine Tierchen, die ich ebenfalls hinter dem Schrank versteckte und in unbemerkten Minuten heimlich besuchte. Sie waren meine Spielzeuge, ein Teil Spucke, ein Teil Jesus.

Nun, da ich mir ihren Gott buchstäblich einverleibt hatte, so stellte ich mir vor, könnte ich vielleicht doch irgendwann mit »Ja, ich habe ihn hereingelassen« antworten. Und vielleicht würden sie dann aufhören, mich zu bestrafen.

Unvollkommen und fehlerhaft zu sein, war nicht erlaubt, und die Schläge verliehen dieser Botschaft Nachdruck. Als ich etwa vier Jahre alt war, hatte ich am Daumen eine Warze. Ich tapste den langen Korridor hinunter, als plötzlich eine Tür aufging. Ich erinnere mich noch an den Lichtstrahl und die Staubkörnchen, die darin tanzten. Ein Mann mit zotteligem blondem Schopf hob mich hoch, setzte mich auf seinen Schoß, inspizierte meine Hand und sagte: »Perfektion in allen Dingen.« Er nahm ein Rasiermesser, zog es in einem Ratsch über meine Hand und blinzelte mir verschwörerisch zu, während er mich wieder von seinem Schoß hinunter auf die Beine stellte. »Perfektion in allen Dingen«, sagte er noch einmal, bevor er die Tür hinter mir schloss und ich mich wieder allein im Korridor fand. Ich weinte nicht, ich war viel zu benommen. Das Blut rann über meine Hand, tropfte an meinen Fingern hinunter, saute den ganzen Korridor ein, alles war rot – ein seltsam schönes Rot. Ich war wie betäubt, genau wie meine Hand. Ich wusste, dass ich keinerlei Reaktion zeigen durfte, zum einen, weil sie nur darauf warteten, und zum anderen, weil ich dachte, dass es mit diesem »Perfektionsding« irgendeine Bewandtnis hätte. Also lief ich einfach weiter.

Seit jenem tätlichen Übergriff in diesem Korridor hat sich ein völlig verqueres Bild in meinem Kopf festgesetzt, ein Bild von Perfektion als Selbstschutz, das mich über Jahre hinweg verfolgte. Wenn ich nur perfekt genug wäre, so sagte ich mir, dann wäre ich okay. Wenn ich nur perfekt genug wäre, dann würden sie mich in Ruhe lassen, und niemand würde mir mehr wehtun.

Von da an zwang ich mich, in allem so perfekt wie möglich zu sein, weil ich nicht wusste, was anderenfalls mit mir geschehen würde. Mit der kleinsten Abweichung, in welcher Form auch immer, wäre die Perfektion dahin, und davor hatte ich eine Heidenangst. Ich war sicher, dass jedweder Makel meinen Untergang bedeuten würde. Doch dafür musste ich erst einmal all meine Fehler und Makel herausfinden. Und so gewöhnte ich mir an, mir selbst gegenüber extrem streng zu sein, mich selbst von außen zu betrachten. Ich begann, täglich meine Hände und Füße zu inspizieren, um sicherzugehen, dass sich auch ja nirgendwo irgendwelche Pusteln oder Flecken bildeten. Soweit ich mich erinnern kann, hatten wir keine Spiegel. Als ich später nach Amerika und Hollywood kam, und damit in eine extrem nach außen fokussierte Kultur, verursachte dieser Umstand einen Riss in meinem Selbstbild.

Der Witz daran war, dass mein Vater mir und meinen Geschwistern immer gepredigt hatte, bloß niemals ein Ego zu entwickeln, was so ziemlich in direktem Widerspruch mit eben jener Botschaft stand, welche die Sekte uns in Sachen Perfektion predigte. Wir waren angehalten, uns auf unsere innere Entwicklung zu konzentrieren, die Entwicklung unserer Seele und unseres Geistes. Wir sollten körperlich perfekt sein, gleichzeitig aber demütig und bescheiden, aller Perfektion zum Trotz – wie sollte das gehen? Ich habe es nie verstanden. Nur eins wusste ich: Positive Gedanken in Bezug auf mich selbst zu haben, war nicht gestattet. Gott würde mich dafür bestrafen, wenn ich glaubte, großartig zu sein.

In meiner ganzen Kindheit und Jugend habe ich niemals auch nur ein einziges Mal gehört, dass ich intelligent, aufgeweckt oder schön bin. Ich weiß nicht, wie sich das anfühlt. Nie bekam ich zu hören, dass ich alles schaffen und erreichen kann, wenn ich nur wirklich will. Im Gegenteil, sie erzählten mir, dass ich in den Augen Gottes nichts wert sei. Dass ich als Hure enden würde. Dass ich schmutzig sei. Das Verrückte daran war, dass ich genau wusste, dass sie unrecht hatten, trotzdem verletzten mich ihre Worte tief.

Als kleines Mädchen schon machte es mich fuchsteufelswild, dass niemand mir zuhörte, nur weil ich ein Kind war. Das war so dermaßen ungerecht. Ich hasste es, klein und machtlos zu sein. Beim Betrachten der Sektenmitglieder dachte ich stumm: Die ganzen Dinge, über die ihr Erwachsenen sprecht, könnte ich im Handumdrehen klären, wenn ihr mir nur ein Mal zuhören würdet – aber niemand wollte mir zuhören. Weil ich ein Mädchen war. Und damit wurde eine entscheidende Weiche für mein Leben gestellt. Ich war eine geborene Rebellin – und zwar nicht aus Widerspenstigkeit, sondern weil ich gegen eine Wand lief. Denn wie konnte es sein, dass sie die Dinge nicht als das sahen, was sie sind, dass sie nicht erkannten, wo die Ursache eines Problems lag, um es dann zu beheben? Aber es hörte mir ja keiner zu. Mein Platz war am Kindertisch. Später in Hollywood war es nicht anders. Ich war eben nur ein Mädchen, nichts weiter.

Meine einzigen Freunde in meiner Zeit bei den Kindern Gottes war mein älterer Bruder Nat, mein Lieblingslämmchen Agnello sowie ein alter grauhaariger Bauer namens Stinky Fernando. Der »stinkende« Fernando war ein absolut wasserscheuer Bademuffel. Sein Gestank stand förmlich in der Luft. Wann immer ich in seiner Nähe war, musste ich durch den Mund atmen. Eines Tages hörte ich Stinky Fernando laut schreien. Mein Vater und ein paar andere Sektenmitglieder hatten ihn an Armen und Beinen gepackt und ihn in einen Bach geworfen. Zu seiner großen Überraschung verätzte ihm das Wasser nicht die Haut.

Stinky Fernando nahm Nat und mich mit in eine alte Scheune, wo er uns verblichene Playboy-Hefte zeigte und muffige Schokoriegel zu essen gab. Lecker! Ich staunte über die Frauen in den Heften. Sie hatten gar keine haarigen Beine. Es war verwirrend. Immerhin, es gab ranzige Schokoriegel, und die aß ich für mein Leben gern! Ich liebte diese Nascherei, weit mehr als diesen Gott, ihren Gott.

Meinen kleinen Freund, das Lämmchen Agnello, päppelte ich mit der Flasche groß und kümmerte mich ständig um es. Es war mein erstes Haustier. Eines Abends saßen wir an der langen Tafel beim Abendessen. Ich aß, was auf dem Teller war, als eine dürre Frau mit fiesem Gesicht und mittelgescheiteltem Haar plötzlich laut anfing zu lachen. Auch die anderen prusteten los, und bald lachte die ganze versammelte Gesellschaft. Ich verstand gar nicht, was denn so lustig sein sollte, bis sie mir sagten, dass es Agnello war, der da vor mir auf dem Teller lag. Ich realisierte, dass sie mir mein Haustier zum Abendessen aufgetischt hatten. Wie gelähmt saß ich da, während sich alle anderen vor Lachen kugelten. Ich kämpfte mit den Tränen, fühlte die kalte Mauer um mein Herz, hinter der ich mich vor diesen Unmenschen verschanzte, fühlte, wie sich ein Stein in meiner Brust zu einem schweren Brocken aus blankem Hass kristallisierte, während ich in ihre Fratzen blickte. Sie hatten eine absonderlich grausame Ader, liebten es, jüngere Sektenmitglieder zu schockieren. Und das sollten liebende Kinder Gottes sein? Bis zum heutigen Tag habe ich nie wieder Lamm gegessen.

Mich überkam eine Mordswut. Eine Wut auf all die Ungerechtigkeiten, die sich türmten. Eine Wut auf all die Regeln, die so willkürlich schienen und es auch waren. Und so beschloss ich, dass es das Beste wäre, meine Wut über die erlittenen Qualen in Rauch aufgehen zu lassen. Eines Tages dann kam mein älterer Bruder auf die Idee, einen der Ställe anzuzünden. Auch er hatte eine riesige Wut im Bauch. Natürlich wollte ich dabei sein und zusehen, also rannte ich ihm nach. Im Stall angekommen, zückte er ein Streichholzheftchen, fing an, es zu entfachen, und schmiss es in hohem Bogen ins Heu, das am Stallboden aufgeschichtet lag. Zzzisch! Die Flammen züngelten an den Wänden empor. Das Dach, ein Reetdach, platzte mit einem lauten Knall über uns auf. Ich versuchte, die Brandstücke am Boden mit den Füßen auszustampfen, aber ich war zu klein, und es war zu spät. Ich stampfte und stampfte, aber ich konnte sie nicht austreten. Wenn ich gewusst hätte, wie man flucht, hätte ich es bestimmt getan. Das Dach ließ ein immer lauteres Knacken vernehmen, und ringsum wurde es brandheiß. Doch eins war klar: Wenn wir nach draußen ins Freie rannten und die Erwachsenen uns erwischten, dann Gnade uns Gott. Aber alles stand in Flammen.

Also rannten wir los.

An dieser Stelle müsste ich euch eigentlich erzählen, wie es weiterging, wie hart und grausam unsere Strafe für diese Brandlegung ausfiel, aber ich kann mich partout nicht daran erinnern. Woran ich mich erinnere, ist der schreckliche Moment, als sie uns auf die Schliche kamen. Es fühlte sich an, als würde meine Haut vor Angst von mir abfallen. Die entsprechende Filmszene dazu sähe ungefähr so aus:

Ein kräftiger blonder Junge und ein elfengleiches Mädchen verstecken sich vor ihrem Vater. Plötzlich werden sie von vier Händen am Kragen gepackt, mitgeschleift und wie beim Spießrutenlauf durch ein Spalier hämisch grinsender Sektenmitglieder getrieben, bis sie am Ende des Spaliers vor dem Obersten Richter stehen. Der Oberste Richter sitzt auf einem ornamentalen Thron aus Weichholz. Auf Knien neben ihm junge nackte Frauen, vollbusig, mit rund geformten Pobacken, die huldvoll und ehrerbietig zu ihrem wahrlich furchterregenden Führer aufblicken. Der Führer neigt den Kopf nach hinten und hält die Augen geschlossen. Er wird angebetet. Er ist im Himmel auf Erden. Die Frauen salben seine Haut mit Öl und Balsam ein, führen mit ihren Händen hauchfeine, streichelnde Berührungen aus, während sie ihn mit Lobgesang preisen. Dann schlägt der Sektenführer und Oberste Richter in Personalunion die Augen auf und zeigt mit ausgestrecktem Finger auf den Jungen und das Mädchen. Das öffentliche Bloßstellen beginnt.

Klingt wie ein Hollywood-Film, stimmt’s? Gar nicht mal so weit hergeholt. Genau genommen begann mein Leben als Schauspielerin damals in der Sekte. In kleinen Gruppen wurden wir losgeschickt, um in örtlichen Waisenhäusern und Hospitälern oder auch auf der Straße von Jesus zu singen. Und so sang ich, mit einem Hut vor meinen Füßen, in den Straßen von Rom Jesuslieder. Straßenmusik. Die Münzen klingelten im Hut, doch jedes Mal wenn er ordentlich voll war, langte mir eine Hand von hinten über die Schulter und nahm all das Geld, das ich verdient hatte, heraus. Den leeren Hut durfte ich dann brav nach Hause tragen. Toll, vielen Dank! Es war meine Arbeit, ich hatte das Geld verdient, und ich war stocksauer über die Ungerechtigkeit, es abgeben zu müssen. Ich sah normale Familien, normale Kinder mit Eis und Süßigkeiten und fragte mich, wie sie zu Hause wohl so lebten. Ob sie ein Bett hatten? Wir schliefen auf Plastikmatten, und mir war oft kalt in der Nacht. Andere Mädchen hatten hübsche Kleider an. Ich hingegen trug verwaschene braune Latzhosen und Jesussandalen. Oft hatte ich schmutzige Hände und Füße, die ich zu verstecken versuchte, wenn mich andere, saubere Kinder anschauten. Stundenlang standen wir uns die Füße in den Bauch und sangen diese verdammten Lieder, ob in sengender Sonne oder kaltem Regen – ganz egal. Ungefähr fünf war ich damals. Ich stand mir die kleinen Füße wund, doch Hinsetzen kam nicht infrage, denn ich wusste, dass mir dann mächtig Ärger blühte.

Wir mussten unbedingt mit Geld nach Hause kommen, andernfalls drohten Sanktionen und Strafen. Die Anspannung der Erwachsenen konnte ich förmlich spüren, wenn sich die »Systemiten« (wie sie die Leute aus dem »alten System« außerhalb der Sekte nannten) abwandten und die Flugblätter, die wir verkauften, ignorierten. Wenige Einnahmen hieß wenig Essen. Kein Wunder, dass wir oft Hunger litten. Das Essen war streng rationiert. Wenn wir nicht genug Geld nach Hause brachten, wurde unsere Essensration zur Strafe an eine andere Familie gegeben. Wenn sich Besuch ankündigte, potenzielle neue Mitglieder oder Pressevertreter, wurden wir Kinder vorab mit reichlich gezuckertem Milchreis gemästet. Wir schlugen uns die Bäuche damit voll, bis zum Erbrechen, aber ich liebte diesen Brei, denn immerhin machte er pappsatt. Und er war süß. Herrlich! Ich liebte Zucker.

Manchmal gaben wir Einladungen an die Presse heraus, damit sie über unsere guten Werke berichtete: »Sehen Sie selbst, was wir Großartiges bei den Kindern Gottes vollbringen, kommen Sie zu uns.« … Seht her, wir sind kein Haufen von irren Hippies … als könnten irgendwelche Spinner so schön von Jesus singen.

Hin und wieder wurde ich in Krankenhäuser geschickt, um kranke Kinder aufzumuntern. Ich weiß noch, wie ich dachte: Du armes Ding, nun wirst du an deinem vielleicht letzten Tag auf Erden auch noch genötigt, mir zuzuhören, wie ich von Jesus singe, das tut mir wirklich leid. Ich wäre am liebsten gar nicht hier, genau wie du. Bitte entschuldige.

Doch so unangenehm mir diese Auftritte waren – und das mag jetzt komisch klingen –, ich wusste von klein auf, dass ich eines Tages berühmt sein würde, noch ehe ich das Wort »berühmt« überhaupt verstanden hatte. Es stand irgendwie immer fest. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll.

Eines Tages, ich war noch ein Kind, nahm mich irgendwer zu einer Filmvorführung mit. Ich war enorm beeindruckt. Wie er hieß, weiß ich nicht mehr, es war ein italienischer Film. Die Hauptdarstellerin hatte kurzes rabenschwarzes Haar und war Krankenschwester. Sie trug strahlend weiße Schwesternkleidung und eine kleine weiße Haube. Sie stand in einer Telefonzelle, heulte und schrie ihren Liebhaber an, einen verheirateten Arzt, der sie von sich stieß. Mit dem Handrücken fuhr sie sich über den Mund, verschmierte dabei ihren Lippenstift im ganzen Gesicht und riss sich die Bluse auf, sodass die Knöpfe abplatzten. Sie stand da, mit entblößter Brust, zog einen Lippenstift aus ihrer Handtasche und malte damit wie wild geworden über ihre Brüste. Ich war wie gebannt. Es war fantastisch. Ich wollte auch so einen Lippenstift und auch solche Haare haben. Endlich strahlte etwas Glanz und Glamour in mein junges Leben hinein, und ich wusste, das war meine Welt. Das Gefühl, im falschen Leben gefangen zu sein, verstärkte sich.

Irgendwann kam mein Vater mit einer alten Kodak Brownie an, einer alten Kastenkamera. Die wenigen Fotos von mir aus Kindertagen, fast alle in Schwarz-Weiß, sehen daher alle aus, als wären sie uralt. Ich sah meinem Vater gerne zu, wenn er mit der Kamera Fotos von Dingen und Menschen machte. Und ich durfte sie sogar selbst ausprobieren. Ich lernte, die Dinge durch einen Rahmen zu sehen. Wann immer ich durch diese mickrige Kameralinse blickte, hatte ich das Gefühl, als könnte ich plötzlich viel mehr sehen, als würde alles, was ich betrachtete, eine Geschichte erzählen. So oft es ging nahm ich damit den Blick von außen ein, beobachtete, knipste und dokumentierte alles, was ich vor die Linse bekam, sog alles in mich ein: Gerüche, Geräusche, Düfte, Situationen, Menschen. Erst heute kann ich erkennen, dass dies eine frühe Loslösung war, um meine Traumata zu bewältigen. Die Welt durch eine Linse zu betrachten, war ein Abwehrmechanismus, eine Strategie, von der ich auch in meinem späteren Leben immer wieder Gebrauch machen sollte. Meine Liebe zur Fotografie war ein Silberstreif am Horizont. Überdies hielt ich mit einer Kamera etwas in der Hand, das ich zwischen mich und die Welt schieben konnte und mir ermöglichte, sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Jedes Detail wie durch eine Linse. Denn die Realität ist nicht wirklich so, wenn ich mich erst einmal davon distanziert habe, nicht wahr?

Auch Bücher dienten mir als Flucht vor der Realität. Worte waren und sind mir bis heute Trost und Retter. Worte, die von anderen Leben erzählten, von anderen Jahrhunderten, halfen mir zu überleben.

Bücher schulten mich zudem in meiner Entwicklung als Schauspielerin, denn ich nahm stets die Identität der jeweiligen Charaktere an, über die ich gerade las. Mal war ich Leibeigene, mal Königin. Ich imitierte Gestik und Körperhaltung, alles, was die Figur, deren Geschichte ich gerade las, ausmachte. Wenn ich ein Buch ausgelesen hatte, verlor ich mich in Trauer um diese Figur, denn damit fand sie ihren Tod. Ich nahm Bücher sehr ernst. Allerdings nicht die Bücher der Kinder Gottes. Es war mir unbegreiflich, wie irgendwer daran glauben konnte. Diese »Mo-Briefe« waren … ja, sie waren einfach nur dumm. Es ist wirklich schwer zu verstehen, wie so viele Menschen ihren Befehlen blindlings folgen konnten.

Die Glaubensinhalte und Praktiken der Kinder Gottes nahmen indes immer gefährlichere Formen an. So rief unser Führer Moses David seine blutjungen Anhängerinnen, halbe Kinder noch, zum sogenannten »flirty fishing« auf. Sie sollten losziehen, um »neue Seelen für Gott zu angeln«, sprich, in Bars und Cafés Männer zu verführen. Und die wachten nicht selten am nächsten Morgen in der Sekte auf. »Prostituierte im Dienste Jesu« nannte Moses David diese Mädchen. Prostituierte im Dienste Jesu? Fick dich, Moses David, du mieses Stück Scheiße. Fick dich für all die Leiden, die du verursacht hast. Im Endeffekt ging es immer um männliche Dominanz und darum, Sex als eine Waffe einzusetzen, um Bewusstseinskontrolle auszuüben. Zielobjekte waren vor allem schöne Frauen, nicht anders, als ich es später in Hollywood erleben würde. Und – auch das nicht anders als später in Hollywood – es gab Frauen, die Moses David auch noch dabei halfen, seine verbrecherischen Schandtaten zu begehen.

Die Sekte war eine hochsexualisierte Gemeinschaft, geführt von Männern, zum Wohl und Vorteil der Männer. Mein Vater liebte das, na klar! Ich weiß noch, wie ich ihm einmal von einer dunklen Ecke aus beim Predigen zusah, während er auf einem hohen Rattanstuhl thronte. Frauen, besser gesagt, junge Mädchen, knieten zu seinen Füßen und schauten mit entrückten Blicken zu ihm auf. Sie vergötterten ihn förmlich. Ich weiß noch, wie ich diese Frauen auf ihren Knien betrachtete. Und dann meinen Vater auf seinem Thron. Niemals werde ich so sein wie diese Frauen, dachte ich. Niemals. Ihr Anblick widerte mich an. Im Rückblick kann ich sagen, dass mein Vater damals im Zenit seines Lebens stand. Daher war ein Machtmissbrauch vorprogrammiert, und er missbrauchte seine Position definitiv.

Eines Tages sagte mein Vater zu meiner sehr viel jüngeren Mutter: »Saffron (so der Name meiner Mutter in der Sekte), es gibt da noch eine Frau, mit der ich gerne verheiratet wäre.« Unfassbar! Es muss sie tief getroffen haben. Wie oft habe ich mir gewünscht, eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit zu machen und meinem Vater dafür so richtig in den Arsch zu treten. Die Mutter meiner Mutter, Sharon, war gerade erst auf tragische Weise gestorben. Auch der Vater meiner Mutter war schon tot. Sie war allein in einer Sekte in einem fremden Land mit einem Haufen Kinder, die sie gefälligst zu haben hatte. Und jetzt das! Es muss ihr den Boden unter den Füßen weggezogen haben. Doch sie hatte keine Wahl. Er nahm sich eine zweite Frau. Dies erklärt, warum meine vier jüngsten Geschwister – zwei Vollgeschwister und zwei Halbgeschwister – altersmäßig so dicht beieinander sind.

Wie gesagt, die Praktiken der Kinder Gottes nahmen immer gefährlichere Formen an. Durch weitere Mo-Briefe wurde abgesegnet und gebilligt, dass Erwachsene Sex mit Kindern hatten, um auf diese Weise das »Law of Love«, das Gebot der Liebe, zu praktizieren. Das ist mehr als widerlich und kriminell. Ich habe ein elfjähriges Mädchen gesehen, das man gezwungen hatte, sich zu Füßen eines nackten Mannes zu setzen, dessen schlaffes Glied auf seinem Schenkel lag. Sie musste sich zwischen seine Beine setzen, sodass er ihren Rücken »massieren« konnte. Ich sah ihre Tränen. Schon damals war mir klar, dass all dies nicht »normal« war, was auch immer »normal« bedeuten mochte. Und wahrscheinlich gibt es so etwas wie »normal« auch gar nicht. Aber ich wusste, dass etwas daran grundfalsch war, dass das, was da vor sich ging, nie und nimmer sein durfte.

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