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Mitten in sein Herz

hier erhältlich:

Liebe auf den ersten Blick: Früher hätte Madelyn darüber gelacht. Aber dann antwortet sie auf Ray Duncans Kontaktanzeige, und plötzlich steht sie dem Mann ihres Lebens gegenüber. Oder ihrem schlimmsten Feind? Denn Ray ist nicht nur faszinierend, sondern auch undurchschaubar. Madelyn muss herausfinden, warum seine erste Frau damals floh. Dann erst darf sie ihn lieben …


  • Erscheinungstag: 15.04.2016
  • Seitenanzahl: 150
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955766108
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war an der Zeit, dass Ray Duncan sich eine Ehefrau suchte, aber diesmal wollte er auf Liebe verzichten. Mittlerweile älter und erheblich klüger, hielt er “Liebe” nicht mehr für nötig, nicht einmal für erstrebenswert. Einmal hatte er sich zum Narren gemacht und beinahe alles verloren. Diesmal würde er seinen Verstand benutzen, wenn er sich für eine Frau entschied, und nicht auf körperliche Reize achten. Sie musste sich bereitfinden, auf einer abgeschiedenen Ranch zu leben, hart zu arbeiten und den künftigen Kindern eine gute Mutter zu sein – eine Frau, die das Familienleben wichtiger nahm als Mode und Zerstreuungen.

Einmal war er auf ein hübsches Gesicht hereingefallen. Aber jetzt interessierten ihn äußere Vorzüge nicht mehr. Er war ein gesunder Mann mit einem normalen Sexualtrieb, also konnte er so viele Kinder zeugen, wie er wollte. Leidenschaftliche Gefühle brauchte er nicht. Damals hatte ihn die Leidenschaft veranlasst, den schlimmsten Fehler seines Lebens zu begehen. Jetzt suchte er eine verlässliche, vernünftige Frau.

Doch da gab es ein Problem. Er hatte keine Zeit, um eine aufzuspüren. Sechzehn Stunden am Tag arbeitete er und versuchte, sich über Wasser zu halten. Er hatte sieben Jahre dazu gebraucht, aber in diesem Jahr sah es endlich so aus, als würde er in die schwarzen Zahlen kommen. Die Hälfte seines Landes hatte er verloren – ein Verlust, der Tag für Tag an seiner Seele fraß, doch was ihm noch blieb, wollte er um keinen Preis der Welt aufgeben. Einen Großteil seiner Rinder hatte er eingebüßt. Die riesigen Herden waren verschwunden, und er rackerte sich ab wie ein Sklave, um das restliche Vieh zu behalten. Auch die Rancharbeiter hatten ihn verlassen, weil er es sich nicht mehr leisten konnte, ihre Löhne zu zahlen. Seit drei Jahren hatte er sich keine Jeans mehr gekauft. Acht Jahre lang waren das Haus und die Nebengebäude nicht mehr gestrichen worden.

Aber Alana, seine Exfrau, bewohnte ihr schickes Apartment in Manhattan und besaß eine sündhaft teure Garderobe. Was kümmerte es sie, dass er gezwungen worden war, den Großteil seines Landes und seiner Herden zu verkaufen, um ihr die Hälfte seines Vermögens zu übergeben? Sie betrachtete das als ihr gutes Recht. Immerhin war sie zwei Jahre mit ihm verheiratet gewesen. Hatte sie nicht zwei Mal einen höllischen Montana-Winter ertragen, völlig von der Zivilisation abgeschnitten? Was spielte es schon für eine Rolle, dass die Ranch hundert Jahre im Besitz von Rays Familie gewesen war?

Zwei Ehejahre berechtigten sie dazu, die Hälfte seines Eigentums zu erhalten, und zwar in bar. Warum sollte er das Land nicht verkaufen? Er besaß doch genug und würde die paar Tausend Morgen nicht vermissen. Immerhin hatte ihr Vater, ein Geschäftsmann, gute Kontakte in Montana. Das erklärte, warum der Scheidungsrichter nicht bereit gewesen war, auf Rays Argument zu hören, Alanas Forderungen würden ihn in den Bankrott treiben.

Auch diesen Fehler würde er nie wieder machen. Wenn er diesmal heiratete, musste seine Frau vor der Hochzeit einen Vertrag unterschreiben, der die Ranch im Falle einer Scheidung schützen würde. Nicht einmal einen Quadratzentimeter von seinem Erbe wollte er aufs Spiel setzen und nichts von dem Geld, das er zur Erhaltung seines Grund und Bodens brauchte.

Nur zu gern würde er den Rest seines Lebens allein verbringen, aber er wünschte sich Kinder. Er wollte sie lehren, das Land zu lieben, und es ihnen später hinterlassen. Und er legte fast noch größeren Wert darauf, das leere alte Haus mit fröhlichen Kinderstimmen und Gelächter zu erfüllen.

Doch er suchte nicht nur die Mutter seiner künftigen Erben. Verfügbarer Sex hatte einiges für sich, vor allem, weil er keine Zeit damit vergeuden mochte, Bettgefährtinnen aufzustöbern. Deshalb brauchte er eine gesunde, anspruchslose Frau, die nachts neben ihm lag. Für alles Weitere würden dann seine Hormone sorgen.

Leider gab es in diesem Landesteil nur wenige ledige, heiratswillige Frauen. Die meisten packten ihre Sachen und übersiedelten in die Städte. Das Leben auf einer Ranch war hart und entbehrungsreich, und sie wünschten sich Abwechslung und ein bisschen Luxus. Natürlich hatte Ray weder Zeit noch Lust oder Geld, um eine Frau zu umwerben, und sich deshalb für eine bessere Möglichkeit entschieden.

In einer Zeitschrift hatte er gelesen, wie viele Farmer im Mittelwesten ihre Ehefrauen durch Annoncen fanden. Der Gedanke, eine Anzeige in die Zeitung zu setzen, gefiel ihm nicht besonders. Er war ein zurückhaltender Mann, insbesondere seit seiner katastrophalen Ehe. Andererseits kosteten solche Annoncen nicht viel, und die Frauen, die ihm nicht zusagten, musste er gar nicht erst sehen. Außerdem entsprach die Unpersönlichkeit einer Heiratsanzeige seinem Wesen, der harten Einsicht, die sein Herz umhüllte.

Nach der Mittagspause schlenderte Madelyn Sanger Patterson ins Büro zurück. Ihre Freundin Christine schaute ihr entgegen und überlegte, dass man niemals auf den Gedanken kommen könnte, Madelyn hätte es eilig oder käme jemals ins Schwitzen. Draußen herrschte eine Temperatur von über dreißig Grad, aber das weiße Leinenkleid zeigte keine feuchten Flecken oder Knitterfalten. An Madelyn sah alles gut aus, aber ihr besonderes Stil- und Farbgefühl verlieh ihr ein zusätzliches Flair, das die Frauen neidisch und die Männer sinnlich stimmte.

“Du bist einfach ein Ekel”, meinte Christine und lehnte sich in ihrem Sessel zurück, um die Freundin genauer zu mustern. “Es ist ungesund, bei dieser Hitze nicht zu schwitzen, und unnatürlich, das Kleid nicht zu zerdrücken, und geradezu unheimlich, keine strähnigen Haare zu kriegen.”

“Ich schwitze doch”, erwiderte Madelyn amüsiert.

“Wann?”

“Jeden Dienstag und Donnerstag um sieben Uhr abends.”

“Ich glaub’s einfach nicht. Hast du dann eine Verabredung mit deinen Schweißdrüsen?”

“Nein, ich spiele Tennis.”

“Das zählt nicht. Normale Leute schwitzen bei diesem Wetter auch dann schon, wenn sie keine verrückten körperlichen Anstrengungen unternehmen. Und knittern dann deine Kleider? Hängt dir das Haar ins Gesicht?”

“Natürlich.”

“Vor Zeugen?”

Madelyn lehnte sich an die Kante von Christines Schreibtisch und kreuzte die Fußknöchel – die Anmut in Person. Sie legte den Kopf schief, um in die Zeitung zu blicken, die Christine gerade las. “Steht was Interessantes drin?”

Christines Mutter schickte regelmäßig die Sonntagsausgabe ihrer Omaha-Zeitung, um ihre Tochter über die lokalen Neuigkeiten zu informieren. “Meine beste Freundin aus der Highschool heiratet. Gerade habe ich ihre Verlobungsanzeige gefunden. Eine Bekannte ist gestorben, ein alter Freund hat seine erste Million gemacht, und die Dürre treibt die Futterpreise in die Höhe. Das Übliche.”

“War deine Mom böse, weil du den alten Freund nicht geheiratet hast?”

“Nein, sie konnte ihn nicht leiden, als ich mit ihm ausging. Er war ein schrecklicher Besserwisser.”

“Offenbar hat er genau gewusst, wie man zu Geld kommt.”

“Leider.” Christine faltete die Zeitung zusammen und gab sie Madelyn. “Da gibt’s einen interessanten Bericht über eine Umzugsbeihilfe, die man beanspruchen kann, wenn man wegen eines Jobs in einen anderen Landesteil übersiedelt. Hätte ich das bloß gewusst, als ich aus Omaha weggegangen bin! Und wenn ich’s mir ganz genau überlege – eigentlich hätte ich dort bleiben sollen.”

“Hast du wirklich Heimweh? Oder bist du nur sauer, weil du letzte Woche mit diesem Wall-Street-Wunder Schluss gemacht und noch keinen Ersatz gefunden hast?”

Christine seufzte dramatisch. “So ist’s recht! Spotte nur über mein gebrochenes Herz!”

Sie lachten, und Madelyn kehrte in ihr eigenes Büro zurück, die Zeitung in der Hand. Die kleinen Wortgefechte mit ihrer Freundin genoss sie immer wieder. Nicht alle Menschen mochten diese Art von Humor. Während der Teenagerzeit waren viele ihrer Freunde über gewisse bissige Bemerkungen pikiert gewesen, und das hatte oft zum Ende zart aufkeimender Zuneigung geführt. Die jungen Männer vertrugen es nicht, wenn die eben erst erweckten maskulinen Elemente ihres Wesens verspottet wurden. Und gerade die hatte Madelyns treffsicherer Witz häufig aufs Korn genommen. Auch in ihrer späteren Entwicklung schienen die Männer so etwas übel zu nehmen.

Sie starrte auf ihren leeren Schreibtisch. Ob sie den Rest des Tages im Büro oder daheim verbrachte, würde keinen Unterschied machen. Und wenn sie jetzt ging, würde das kaum jemand merken. Es hatte einige Vorteile, die Stiefschwester des Besitzers zu sein. Doch die Langeweile gehörte nicht dazu. Sie hasste es, untätig herumzusitzen. Bald würde sie Robert für seinen Beistand danken und höflich erklären, sie habe die Absicht, diesen “Job” aufzugeben.

Vielleicht sollte sie woandershin ziehen, eventuell an die Westküste. Oder auf die Fidschi-Inseln. Dort hatte Robert zwar keine Geschäftsinteressen, aber trotzdem …

Madelyn faltete die Zeitung auseinander, lehnte sich in ihrem Sessel zurück und legte die Beine auf den Schreibtisch. Diese Entscheidung konnte warten. Mit dem Problem befasste sie sich schon seit einiger Zeit, und es würde immer noch existieren, wenn sie die Zeitung gelesen hatte.

Sie liebte Zeitungen aus anderen Städten, besonders die kleineren, wöchentlich erscheinenden, die praktisch nur aus Klatschspalten bestanden. Das Blatt aus Omaha war zwar zu auflagenstark für derlei gemütlichen Tratsch, strahlte aber ein Mittelwesten-Flair aus, das sie daran erinnerte, dass auch außerhalb von New York City Menschen lebten. Die Bewohner dieser riesigen Steinwüste neigten dazu, sich völlig von ihr verschlingen zu lassen. Madelyn hingegen interessierte sich auch für andere Lebensstile – nicht weil ihr New York missfiel, sondern weil sie von unbändiger Neugier erfüllt war.

Die weltpolitischen Ereignisse ließ sie links liegen – die wurden in Omaha auch nicht anders dargestellt als in New York. Und so informierte sie sich über Lokalneuigkeiten aus dem Mittelwesten. Sie erfuhr, dass die Dürre den Farmern und Ranchern zu schaffen machte, wer geheiratet hatte und wer heiraten wollte … Dann sah sie den Anzeigenteil durch, verglich die Grundstückspreise in Omaha mit denen in New York und staunte wie immer über die gewaltigen Unterschiede.

Schließlich fiel ihr Blick auf die Heiratsannoncen. Eine dieser Anzeigen erregte ihre Aufmerksamkeit.

“Gesucht: Ehefrau für Rancher. Muss charakterfest, arbeitswillig und bereit sein, Kinder zu bekommen. Alter: zwischen 25 und 35. Interessentinnen werden gebeten, sich per Postfach in Billings, Montana, zu melden.”

Madelyn wusste nicht, ob sie lachen oder sich ärgern sollte. Offenbar suchte der Mann eine Kombination von Zuchtstute und Rancharbeiterin. Andererseits zeigte er eine fast brutale Offenheit, was seine ‘Vorstellungen’ anging, und das war eine erfrischende Abwechslung im Vergleich zu den Heiratsanzeigen in New Yorker Zeitungen und Magazinen, die zum Beispiel lauteten: “Einfühlsamer Wassermann sucht New-Age-Frau, um mit ihr die Bedeutung des Universums zu ergründen.” Solche Annoncen verrieten überhaupt nichts über den Typ, der sie formuliert hatte.

Und was teilte ihr diese besondere Anzeige über den Rancher mit, abgesehen von seiner Ehrlichkeit? Da er sich Kinder wünschte, konnte er nicht allzu alt sein, wahrscheinlich um die vierzig. Und da er eine charakterfeste Frau suchte, war er vermutlich kein Partylöwe, sondern eher ein ernsthafter, hart arbeitender Mensch, der keine Zeit fand, um auf Brautschau zu gehen.

Vor einigen Wochen hatte Madelyn einen Artikel über Heiratsannoncen gelesen. Das Thema interessierte sie, aber das Unpersönliche solcher Anzeigen gefiel ihr nicht. Offenbar machten gewisse Leute gute Geschäfte mit Asiatinnen, für die sie Ehepartner in westlichen Nationen suchten. Aber neuerdings gaben auch Farmer und Rancher in schwach besiedelten US-Staaten solche Anzeigen auf, ganz einfach, weil in diesen Gegenden so wenige Frauen lebten. Es gab sogar ein Magazin, das sich ausschließlich dieser Art von Heiratsvermittlung widmete.

Wenn man auf eine solche Annonce antwortete, verpflichtete man sich zu nichts, nur zu einem Treffen. Dabei lernte man jemanden kennen, genauso, wie man diesem oder jenem Menschen auf andere Weise zum ersten Mal begegnete. Madelyn faltete die Zeitung zusammen und wünschte, sie hätte was anderes zu tun, als über Heiratsanzeigen nachzudenken.

Sie könnte nach oben gehen und mit der Faust auf Roberts Schreibtisch schlagen, aber das würde ihr nichts nutzen. Er schätzte es ganz und gar nicht, in die Enge getrieben zu werden, und wäre niemals bereit, die reibungslose Funktion seiner Büros zu stören, indem er Madelyn mit einer Aufgabe betraute. Nach dem Tod ihrer Großmutter und ihrer Mutter hatte er sie eingestellt, um ihrem Leben einen neuen Inhalt zu geben. Inzwischen wussten sie jedoch beide, dass der Job keinen Zweck mehr verfolgte. Nur Madelyns unheilbarer Optimismus hatte sie veranlasst, so lange bei der Stange zu bleiben – in der Hoffnung, eines Tages wirklich beschäftigt zu werden. Wenn sie mit der Faust auf den Schreibtisch ihres Stiefbruders schlug, würde er sich belustigt zurücklehnen, ein kühles Lächeln auf den Lippen, und sagen: “Ich hab dir eine Chance verschafft, Baby. Mach was draus oder geh nach Hause.”

Ja, es war höchste Zeit für einen neuen Beginn. Der Schock über den Verlust der beiden geliebten Menschen hatte sie in eine seltsame Trägheit versetzt. Sonst hätte sie schon vor zwei Jahren gekündigt.

“Gesucht: Ehefrau für Rancher.” Madelyn griff nach der Zeitung und las die Anzeige noch einmal. Nein, so verzweifelt war sie nun auch wieder nicht, oder? Sie brauchte einen Job, einen Tapetenwechsel, aber keinen Mann.

Andererseits war sie achtundzwanzig, alt genug, um zu wissen, dass ihr die Großstadthektik nicht zusagte – obwohl sie fast immer in Städten gelebt hatte. Während ihrer Kindheit in Richmond war sie so glücklich gewesen, wenn sie an den Wochenenden die kleine Farm ihrer Großmutter besucht hatte, in einer stillen, schönen Landschaft. Sie hatte die Ruhe und den Frieden dieses Hauses stets genossen und sich danach zurückgesehnt, als sie nach der Wiederverheiratung ihrer Mutter nach New York gezogen war.

Nein, so verzweifelt war sie nicht – aber neugierig, und sie brauchte dringend eine Ablenkung von ihren Problemen, während sie überlegte, welchen Job sie sich suchen sollte und wo. Es wäre wie ein erstes Rendezvous. Und wenn es klappte – okay. Sie hatte nichts gegen Montana. Und wäre es nicht lustig, wenn sie ihren Enkeln erzählen könnte, sie habe den Großvater mittels einer Heiratsanzeige kennengelernt? Und wenn – was wahrscheinlicher war – nichts dabei herauskam, würde es niemandem schaden. Wenn sie auf die Heiratsannonce eines Montana-Ranchers antwortete, würde sie sich viel sicherer fühlen als bei einer Verabredung mit dem Verfasser einer der hochgestochenen New Yorker Anzeigen.

Von plötzlicher Abenteuerlust gepackt, spannte sie ein Blatt Papier in ihre Schreibmaschine ein, tippte einen Antwortbrief, adressierte ein Kuvert, klebte eine Marke darauf und warf es in den Ablagebehälter für die Post. Danach verspürte sie ein flaues Gefühl im Magen, als hätte sie eine unglaubliche Dummheit gemacht. Aber genauso war ihr auch zumute gewesen, als sie das erste Mal am Steuer eines Autos gesessen hatte. Und als sie Achterbahn gefahren, aufs College gegangen, zum ersten Mal geflogen und zu ihrem ersten Rendezvous gegangen war. Dieses Gefühl hatte fast alle Premieren ihres Lebens begleitet, doch niemals eine Katastrophe angekündigt. Stattdessen hatte sie alle neuen Erfahrungen sehr genossen. Vielleicht war das ein gutes Zeichen.

Jedenfalls gab es nichts zu befürchten. Wahrscheinlich würde sich dieser Montana-Rancher gar nicht bei ihr melden. Was hatten sie schon für Gemeinsamkeiten?

Ray Duncan las den New Yorker Absender auf dem Kuvert und runzelte die Stirn. Er schlitzte es auf und zog ein mit Maschine beschriebenes Blatt heraus. Was wusste eine New Yorkerin vom Leben auf einer Ranch? Er war versucht, den Brief in den Mülleimer zu werfen. Sicher wäre es reine Zeitvergeudung, ihn zu lesen – ebenso wie die Fahrt nach Billings, wo er seine Post abgeholt hatte. Heute hatte er nur diese eine Antwort bekommen – ausgerechnet aus New York.

Da das Interesse an seiner Anzeige nicht gerade überwältigend war, beschloss er, den Brief zu lesen. Erst die dritte Antwort … Offenbar gab es nicht allzu viele Frauen, die auf einer Ranch in Montana leben wollten.

Das kurze Schreiben enthielt bemerkenswert spärliche Informationen. Sie hieß Madelyn S. Patterson, war achtundzwanzig, nie verheiratet gewesen, gesund, kräftig und arbeitswillig. Als einzige der drei Frauen hatte sie es versäumt, ein Foto beizulegen.

Sie war jünger als die beiden anderen. Die Lehrerin, etwa in seinem Alter, sah nicht übel aus. Die andere war sechsunddreißig, zwei Jahre älter als er, und nie berufstätig gewesen. Sie hatte ihre invalide Mutter gepflegt, die kürzlich gestorben war. Nach dem Foto zu schließen unscheinbar, aber nicht hässlich … Beide dürften realistischere Erwartungen an das harte Leben auf einer abgeschiedenen Ranch haben als diese Madelyn S. Patterson.

Andererseits könnte sie ein Kleinstadtmädchen sein, das nach New York gezogen war und dem die dortige Atmosphäre nicht gefiel. Sie musste die Heiratsanzeige in einer Zeitung aus dem Mittelwesten gelesen haben, die ihr geschickt worden war.

Jedenfalls hatte er zu wenige Antworten erhalten, als dass er sich’s leisten konnte, diesen Brief zu ignorieren. Er würde mit Madelyn S. Patterson die gleiche Vereinbarung treffen wie mit den beiden anderen – falls sie noch interessiert war, wenn er ihr schrieb.

Ray schlug mit dem zusammengefalteten Brief gegen seinen Schenkel, während er das Postamt verließ und zu seinem Pick-up ging. Die ganze Sache kostete ihn viel zu viel Zeit. Im Juli wollte er das alles geregelt haben, und jetzt war schon Mitte Mai. Innerhalb der nächsten sechs Wochen musste er eine Frau finden.

Madelyn ließ beinahe ihre Post fallen, als sie die Montana-Adresse auf dem Absender des schlichten weißen Umschlags las. Nur neun Tage waren verstrichen, seit sie die Annonce beantwortet hatte. Also musste der Rancher fast postwendend zurückgeschrieben haben. In diesen neun Tagen hatte sie sich eingeredet, sie würde nichts von ihm hören.

Sie setzte sich an ihren kleinen Esstisch, riss das Kuvert auf und begann, den kurzen Brief zu lesen.

“Sehr geehrte Miss Patterson,

mein Name ist Ray Duncan. Ich bin vierunddreißig Jahre alt, geschieden und kinderlos, und ich besitze eine Ranch in Zentral-Montana. Falls Sie immer noch interessiert sind, können wir uns am Samstag in zwei Wochen sehen. Geben Sie mir bitte Bescheid, dann schicke ich Ihnen eine Busfahrkarte nach Billings.”

Kein Gruß, nur die Unterschrift: “G. R. Duncan”. Was bedeutete das G? Die Handschrift war kantig und gut leserlich, und er hatte keine Rechtschreibfehler gemacht.

Nun kannte sie seinen Namen und sein Alter, und sie wusste, dass er geschieden war. Zuvor hatte sie ihn nicht als realen Menschen betrachtet, sondern als den anonymen Verfasser einer Zeitungsanzeige. Jetzt war er eine ganz bestimmte Person – und offenbar viel beschäftigt, wenn er erst am Samstag in zwei Wochen Zeit fand, um sie zu treffen. Bei diesem Gedanken lächelte Madelyn unwillkürlich. Eigentlich erweckte er nicht den Eindruck, dass er dringend eine Ehefrau brauchte, sonst müsste er es etwas eiliger haben, sie kennenzulernen. Vermutlich steckte er bis zum Hals in Arbeit. Wie sein Brief verriet, war er geschieden. Vielleicht hatte seine erste Frau ihn verlassen, weil die Ranch ihn völlig beanspruchte.

Madelyn klopfte mit den Fingernägeln auf den Brief und studierte die Handschrift. Sie war fasziniert, und ihre Neugier wuchs. Ja, sie wollte diesen Mann kennenlernen.

Madelyn S. Patterson antwortete prompt, im Gegensatz zu den beiden anderen Frauen. Die hatten sich noch nicht gemeldet. Er öffnete das Kuvert und las den Brief.

“Sehr geehrter Mr. Duncan,

ich werde an dem Tag, den Sie vorgeschlagen haben, in Billings eintreffen. Aber ich kann nicht erlauben, dass Sie die Reisekosten übernehmen, da wir uns fremd sind und unsere erste Begegnung möglicherweise keine Konsequenzen haben wird. Meine Maschine landet um 10 Uhr 39. Ich hoffe, das lässt sich mit Ihren Plänen vereinbaren. Ein Flugplan liegt bei. Bitte benachrichtigen Sie mich, wenn Sie einen anderen Ankunftstermin vorziehen.”

Er hob die Brauen. Hm … Also wollte sie nicht mit dem Bus fahren, sondern fliegen. Ein bitteres Lächeln erschien auf seinen Lippen. Auch er flog sehr gern. Früher hatte er sogar eine eigene Maschine besessen – vor der Scheidung von Alana. Seine Ehefrau sorgte dafür, dass er sich seit Jahren keine Flugtickets mehr leisten konnte, geschweige denn ein eigenes Flugzeug.

Einerseits wusste er es zu schätzen, dass Miss Patterson ihm die Spesen ersparte. Andererseits verletzte es seinen Stolz, dass er ihr kein Flugticket schicken konnte. Sogar die Busfahrkarte hätte sein Budget erheblich belastet. Wenn Miss Patterson herausfand, wie seine finanzielle Situation aussah, würde sie vermutlich gleich wieder kehrtmachen. Mit dieser Frau konnte es unmöglich klappen, aber er wollte sich vergewissern, denn es war keineswegs so, dass die Bewerberinnen ihm die Tür eintraten.

Madelyn lud Robert für den Donnerstag vor dem Samstag, an dem sie nach Montana fliegen würde, zum Dinner ein. Wie sie wusste, war er am Freitag verabredet, und sie wollte allein mit ihm reden.

Pünktlich um acht erschien er und ging zu ihrem kleinen Barschrank, wo er sich einen doppelten Scotch mit Wasser eingoss. Er prostete ihr zu.

Madelyn hob ihr Weinglas: “Auf ein Rätsel.”

Er zog die elegant geschwungenen Brauen hoch. “Meinst du dich selbst?”

“Nein, ich bin ein offenes Buch.”

“In einer unbekannten Sprache geschrieben?”

“Und wenn man deine Buchdeckel mal aufschlägt – welche Sprache würde man dazwischen finden?”

Er zuckte die Schultern. Seine Augen lächelten immer noch, aber er konnte der Anschuldigung, er würde sich vor den Menschen verschließen, nichts entgegensetzen. Madelyn stand ihm näher als sonst jemand. Sein Vater hatte ihre Mutter geheiratet, als sie zehn und er sechzehn gewesen war. Eigentlich ein zu großer Altersunterschied für echtes gegenseitiges Verständnis, aber Robert hatte ihr geholfen, sich in ihrem neuen Heim einzugewöhnen. In ihrer Trauer um den verstorbenen Vater hatten sie sich gegenseitig Trost gespendet, genau wie fünf Jahre später beim Tod der Mutter. Die meisten Stiefgeschwister hätten sich nach solchen Verlusten auseinandergelebt. Auf Madelyn und Robert traf das nicht zu, weil sie enge Freunde geworden waren.

Er war tatsächlich ein Rätsel – elegant, attraktiv, geradezu beängstigend intelligent, mit einem sehr privaten Wesenskern, den niemand berühren durfte. Nur Madelyn wusste, dass dieser verborgene Kern überhaupt existierte. Niemand anderer kannte ihn so gut. Seit dem Antritt seines Erbes hatte er die verschiedenen Unternehmen der Cannon Companies umgestaltet und den Umsatz erheblich gesteigert. In seinen schmalen Händen lag ungeheure Macht. Aber nicht einmal das Cannon-Imperium schien Roberts privates Zentrum zu erreichen. Das blieb eine uneinnehmbare Zitadelle.

Es sah so aus, als würde er alle Gefühle im Zaum halten. Die Frauen umschwärmten ihn, doch er war sehr wählerisch, was seine Bettgefährtinnen anging, und im Grunde monogam veranlagt. Wenn er sich eine Freundin ausgesucht hatte, war er mindestens ein Jahr lang mit ihr zusammen und während dieses Zeitraums auch treu. Eine seiner Verflossenen hatte sich kurz nach dem Ende der Affäre auf einer Party betrunken, an Madelyns Schulter geschluchzt und beteuert, sie würde niemals einen anderen lieben. Denn wer könne sich mit Robert vergleichen? Die Prophezeiung erfüllte sich. Nach ein paar kurzfristigen Abenteuern verzichtete sie nun darauf, sich mit Männern einzulassen.

Jetzt beobachtete er Madelyn amüsiert, und nach einer kleinen Weile beantwortete sie ihre Frage selbst. “Es wäre eine geheimnisvolle Sprache – natürlich eine tote Sprache, die du in einen selbst erfundenen Code übersetzt hast. Um Winston Churchill zu zitieren – du bist ein Rätsel, in einem Puzzle versteckt.”

Beinahe lächelte er. Zumindest zuckten seine Lippen, und er nickte, um Madelyns Einschätzung seiner Persönlichkeit zuzustimmen. Er kostete den Scotch, ließ den rauchigen Geschmack auf der Zunge zergehen und fragte: “Was gibt’s zum Dinner?”

“Konversation.”

“Essen wir nur unsere Worte?”

“Und Spaghetti.”

Er warf dem Scotch einen schmerzlichen Blick zu und stellte das Glas ab, weil er bezweifelte, dass dieses Getränk zu Nudeln passte. Madelyn schaute ihn mit einer Engelsmiene an, was die Belustigung in seinen Augen vertiefte. “Worum wird sich unsere Konversation drehen?”

“Nicht zuletzt um die Tatsache, dass ich einen neuen Job suche”, erwiderte sie auf dem Weg zur Küche.

Er folgte ihr und half ihr ohne Zögern, den Tisch zu decken und das Essen aufzutragen. “Es ist also an der Zeit? Was hat dich zu diesem Entschluss veranlasst?”

Madelyn hob die Schultern. “Mehrere Dinge. Den wichtigsten Grund hast du bereits genannt. Es ist an der Zeit.”

“Du sagtest: ‘Nicht zuletzt’. Was gibt’s sonst noch?”

Typisch Robert, hinter jedem kleinen Wort eine besondere Bedeutung zu sehen, dachte sie. Lächelnd sah sie zu, wie er die Gläser mit Wein füllte. “Am Samstag fliege ich nach Montana.”

Er kniff die Augen zusammen, ein Zeichen seines intensiven Interesses. “Was führt dich dorthin?”

“Nicht was – wer.”

“Also gut. Wer?”

“Ein Mann namens Ray Duncan. Vielleicht heirate ich ihn.”

Manchmal konnten Roberts hellgrüne Augen einen stählernen Glanz annehmen, so wie jetzt. “Das klingt wie ein Wetterbericht”, entgegnete er in gleichmütigem Ton. “Könntest du den Prozentsatz angeben? Ist die Chance einer Hochzeit vierzigprozentig? Oder fünfzigprozentig?”

“Das weiß ich erst, wenn ich den Mann kennengelernt habe.”

Er hatte Spaghetti auf seinen Teller gehäuft. Jetzt legte er das Vorlegebesteck bedächtig beiseite und holte tief Luft. Madelyn beobachtete ihn gespannt. Dies war einer der seltenen Momente, wo sie es geschafft hatte, ihren Stiefbruder zu verblüffen. Vorsichtig fragte er: “Soll das heißen, dass du ihn noch nicht kennst?”

“Wir haben zwar korrespondiert, sind uns aber noch nie begegnet. Vielleicht mögen wir uns gar nicht. Die Chance einer Ehe ist eher gering. Um im Jargon der Wetterprognosen zu sprechen – eine dichte Bewölkung ist nicht zu erwarten.”

“Aber die Möglichkeit besteht?”

“Ja. Ich wollte, dass du’s weißt.”

“Wie hast du ihn kennengelernt?”

“Ich kenne ihn nicht und weiß nur wenig über ihn.”

“Und wieso hast du angefangen, mit ihm zu korrespondieren?”

“Er hat eine Heiratsanzeige aufgeben.”

Nun schaute Robert noch verblüffter drein. Madelyn hatte Mitleid mit ihm und goss die dickflüssige, würzige Soße über seine Spaghetti, ehe sie kalt wurden. Es sah so aus, als hätte er das Essen völlig vergessen.

“Du hast auf eine Heiratsannonce geantwortet?”, fragte er mit belegter Stimme.

Sie nickte und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihren eigenen Teller.

“Großer Gott, weißt du denn nicht, wie riskant so was ist?”, rief er und erhob sich halb von seinem Stuhl.

“Ja, das weiß ich.” Beruhigend tätschelte sie seine Hand. “Bitte bleib sitzen und iss. Du würdest bestimmt nicht in Panik geraten, wenn ich dir erzählen würde, ich hätte in einer Single-Bar in Manhattan jemanden kennengelernt. Und das wäre viel riskanter als ein Treffen mit einem Rancher in Montana.”

“Selbstverständlich, wenn man’s von einem vernünftigen Standpunkt aus betrachtet. Aber es gibt andere Dinge zu bedenken. Wenn der Mann nun gewalttätig wird? Womöglich ist er schon straffällig geworden oder ein Betrüger. Was weißt du überhaupt von ihm?”

“Er ist in deinem Alter, vierunddreißig, und geschieden, keine Kinder. Und er besitzt eine Ranch in Montana. Ich habe an ein Postfach in Billings geschrieben.”

Madelyn entnahm dem scharfen Blick ihres Stiefbruders, dass er sich all diese Einzelheiten einprägte und nichts davon vergessen würde. Natürlich beabsichtigte er, Ray Duncan überprüfen zu lassen. Sie wollte protestieren, hielt es aber für sinnlos. Robert würde sich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen. Außerdem, wenn er den Bericht seines Detektivs bekam, würde sie Mr. Duncan bereits kennengelernt und sich eine eigene Meinung gebildet haben.

Sie verstand Roberts Sorge und sein Bedürfnis, sie zu beschützen, fand seine Skepsis aber überflüssig. Der geradlinige Stil von Ray Duncans Briefen hatte ihr verraten, dass dieser Mann nur die reine Wahrheit gelten ließ und sonst gar nichts – egal, welchen Eindruck er erweckte. Und es erschien ihr sehr angenehm, nicht überlegen zu müssen, ob dieses oder jenes Wort aufrichtig gemeint war.

“Könnte ich dir diese Reise ausreden?”, fragte Robert. “Oder dich wenigstens dazu bewegen, das Treffen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben?”

“Nein.” Sie lächelte, und aus ihren grauen Augen strahlte unverhohlene Vorfreude. “Ich bin so neugierig, dass ich’s kaum noch aushalte.”

Seufzend schüttelte er den Kopf. Madelyn war tatsächlich sehr neugierig, auf ihre eigene träge Art. Sie steckte zwar ihre Nase nicht in Dinge, die sie nichts angingen, aber sie erforschte alle Themen oder Situationen, die sie interessierten. Eine ungewöhnlich formulierte Heiratsanzeige musste faszinierend auf sie wirken. Nichts konnte sie daran hindern, den Mann kennenzulernen. Nun, wenn er ihre Pläne nicht durchkreuzen konnte, würde er wenigstens dafür sorgen, dass sie nicht in Gefahr geriet. Ehe sie ins Flugzeug stieg, würde er herausfinden, ob dieser Ray Duncan eine kriminelle Vergangenheit hatte – sogar, ob er einmal wegen Falschparkens bestraft worden war. Und sollte auch nur das Geringste auf irgendwelche Unannehmlichkeiten hinweisen, die sie behelligen könnten, würde er sie davon abhalten, an Bord dieser Maschine zu gehen, notfalls mit Gewalt.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, beugte sie sich vor. Nun zeigte ihr Gesicht wieder jenen engelsgleichen Ausdruck, der ihn stets misstrauisch machte. Wenn sie diese Miene aufsetzte, kochte sie vor Wut, oder sie führte irgendeinen Streich im Schilde. Was immer es sein mochte, er erfuhr es meistens erst dann, wenn es schon zu spät war.

“Da du dich in mein Privatleben einmischst, habe ich auch das Recht, in deine persönliche Sphäre einzudringen”, bemerkte sie in sanftem Ton. “Und ich glaube, du brauchst Hilfe, was deine Beziehungen zu den Frauen betrifft.”

Das meinte sie ernst. Sie bluffte nie und drohte nur, wenn sie entschlossen war, ihre Drohungen wahr zu machen. Wortlos zog er sein weißes Taschentuch hervor und schwenkte es durch die Luft, um seine Kapitulation zu bekunden.

Einander anlächelnd, machten sie sich endlich über die Spaghetti her.

2. KAPITEL

Die Maschine landete etwas früher in Billings. Aufmerksam musterte Madelyn die kleine Gruppe, die in der Ankunftshalle auf die Passagiere wartete, entdeckte aber keinen einzelnen Mann, der nach ihr Ausschau zu halten schien. Sie atmete erleichtert auf, froh über die kleine Galgenfrist, und nutzte die gewonnene Zeit, um in der Damentoilette zu verschwinden. Plötzlich war sie viel nervöser, als sie erwartet hatte.

Als sie die Toilette verließ, hörte sie, wie ihr Name mit blecherner Stimme ausgerufen wurde. “Miss Madelyn Patterson, kommen Sie bitte zum Informationsschalter.”

Ihr Herz schlug ein bisschen zu schnell, aber sie fand das keineswegs unangenehm. Dieses Gefühl der Erregung gefiel ihr. Nun war der große Augenblick gekommen, die Neugier kaum noch zu ertragen.

Trotz ihrer inneren Unruhe zwang sie sich, lässig zum Schalter zu schlendern. Ihre Augen glänzten vor Abenteuerlust. Der Billings Airport mit dem großen Brunnen war viel hübscher als die üblichen Flughäfen mit ihrer nüchternen Atmosphäre, und Madelyn ließ die angenehme Umgebung besänftigend auf sich einwirken. Ihre Nervosität ließ nach, und was davon noch übrig blieb, merkte man ihr nicht an.

Das musste er sein. Er lehnte am Informationsschalter und trug einen Hut, sodass sie sein Gesicht nur undeutlich sah. Doch sie stellte fest, dass er schlank und groß war. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Was für eine unmögliche Situation – ein sinnloses Unterfangen … Sie würden sich kennenlernen, einander höflich behandeln, einen Tag zusammen verbringen. Und morgen würde sie ihm die Hand schütteln, ihm sagen, sie habe den Besuch auf seiner Ranch sehr genossen. Und das wäre dann das Ende. Zivilisiert, emotionslos – genau wie sie es mochte.

Er richtete sich auf und wandte ihr den Kopf zu. Madelyn spürte seinen Blick, und ihre innere Anspannung wuchs wieder. Sie kannte die Bedeutung des Wortes “umwerfend”, hatte dieses Gefühl aber noch nie am eigenen Leib erlebt. Ihr lässiger Gang wurde unsicher, und dann blieb sie wie angewurzelt mitten in der Halle stehen – unfähig, noch einen einzigen Schritt zu tun. Noch nie war ihr so etwas passiert, dieser völlige Verlust ihrer Selbstkontrolle. Sie war hilflos, fast betäubt, als hätte sie einen wuchtigen Schlag bekommen. Jetzt schlug ihr Herz wie rasend, in einem wilden, schmerzhaften Rhythmus. Sie musste nach Atem ringen, die Henkel der Reisetasche glitten ihr aus den schlaffen Fingern. Mit einem sanften Aufprall landete das Gepäck auf dem Boden. Obwohl sie wusste, dass sie sich idiotisch benahm, konnte sie nicht aufhören, Ray Duncan anzustarren.

Es war nur altmodische Begierde, sonst nichts. Etwas anderes konnte es nicht sein, nicht bei der allerersten Begegnung. Bei dem Gedanken, es könnte etwas anderes sein, stieg Panik in ihr auf. Nein, es war nur sinnliche Faszination.

Dabei war er keineswegs der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. In New York wimmelte es von großartigen Männern. Aber in allem, was zählte – mochte man es Chemie, Biologie, Elektrizität oder sonst wie nennen –, erschien er ihr überwältigend. Ray Duncan strahlte puren Sex aus. Alle seine Bewegungen weckten die Vorstellung von erhitzter Haut, von zerwühlten Bettlaken. Du lieber Himmel, warum musste ein solcher Mann eine Heiratsannonce aufgeben?

Mindestens eins neunzig groß, mit vermutlich eisenharten Muskeln, erweckte er den Eindruck, dass er Tag für Tag schwere körperliche Arbeit verrichtete. Er war sonnengebräunt, das Haar unter dem Hut dunkel, fast schwarz, das Kinn kantig, der Mund klar gezeichnet, mit Grübchen zu beiden Seiten. Für dieses Treffen hatte er sich nicht besonders fein gemacht, trug ein schlichtes weißes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, alte Jeans und abgewetzte Stiefel. Angestrengt konzentrierte sich Madelyn auf Einzelheiten seiner äußeren Erscheinung, während sie versuchte, den Aufruhr ihrer Gefühle zu bewältigen. Obwohl er noch kein einziges Wort gesagt hatte, übte er eine verheerende Wirkung auf sie aus.

Nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hatte sie sich so etwas ausgemalt. Was sollte eine Frau tun, wenn sie endlich den Mann traf, der ihre schlummernden Sinne in ein loderndes Inferno verwandelte? Am liebsten wäre sie davongelaufen, aber sie konnte sich nicht rühren.

Ich würde gern mit ihr ins Bett gehen, war Rays erster Gedanke. Aber als Ehefrau kam sie nicht infrage. Sie sah genauso aus, wie er es befürchtet hatte – eine schlanke, kultivierte Städterin, die nichts von den Lebensbedingungen auf einer Ranch wusste. Das war offensichtlich, von ihrem blonden Kopf bis zu den Spitzen ihrer teuren Schuhe.

Sie trug Weiß, keine besonders praktische Farbe für unterwegs, aber es war kein bisschen zerknittert. Der schmale Rock reichte bis knapp über die Knie und lenkte den Blick auf sensationelle Beine. Ray spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Allein schon diese Beine … Mit einiger Mühe zwang er sich, in ihr Gesicht zu schauen, und wurde von ihren Augen verhext.

Unter der offenen weißen Jacke trug sie ein knappes T-Shirt in Blau, das ihren Augen einen blauen Schimmer verleihen müsste. Aber so war es nicht. Er glaubte in diesen Augen zu ertrinken. Grau, ohne eine Spur von Blau. Sanfte Augen, obwohl sie nun … bestürzt wirkten? Er wusste es nicht, stellte nur fest, dass sie ziemlich blass war. Und dass sie ihre Tasche hatte fallen lassen.

Er trat vor, nutzte die Gelegenheit, sie anzufassen, ergriff ihren Oberarm, der sich unter dem Jackenärmel erstaunlich kühl anfühlte. “Ist Ihnen nicht gut? Miss Patterson?”

Die Berührung ließ Madelyn beinahe erschauern. Sie spürte seine Körperwärme, und seine Nähe weckte den Wunsch, das Gesicht an seinen Hals zu pressen. Nun geriet sie erneut in Panik. Sie musste weg von hier. Mit alldem hatte sie nicht gerechnet. Aber statt zu fliehen, riss sie sich zusammen, brachte ein Lächeln zustande und streckte die Hand aus. “Mr. Duncan?”

Ihre Stimme hatte einen heiseren Unterton, der ihn faszinierte. Er ließ ihren Oberarm los und schüttelte ihr die Hand. Dabei merkte er, dass sie außer schlichten goldenen Ohrringen keinen Schmuck trug. Er mochte es nicht, wenn an jedem Finger einer Frau Ringe steckten, schon gar nicht, wenn sie so schmale Hände hatte wie Miss Patterson.

Während er ihre zarten Finger immer noch festhielt, wiederholte er seine Frage. “Ist Ihnen nicht gut?”

Verwirrt schluckte sie. “Doch, alles in Ordnung.” Sie machte sich nicht die Mühe, ihr eigenartiges Verhalten zu erklären. Was sollte sie auch sagen? Dass sie von plötzlichem Verlangen nach seinem Körper überwältigt worden war? Es stimmte zwar, aber so etwas durfte man nicht gestehen. Nun müsste sie ihren Charme sprühen lassen, um die peinliche Situation zu überspielen, doch irgendwie schaffte sie es nicht, belanglose Konversation zu machen.

Sie musterten einander wie verfeindete Revolverschützen in der Wüste, ohne den Trubel zu bemerken, der ihre einsame Insel umbrandete. Ray betrachtete Madelyn, nahm sich viel Zeit dafür und verbarg seine Gedanken.

Obwohl seine Augen von der Hutkrempe überschattet wurden, sah Madelyn, dass sie dunkel waren, grün und blau und braun, mit hellen, leuchtenden Punkten, von feinen Fältchen umgeben. Offenbar hatte er jahrelang in die Sonne geblinzelt, denn es sah nicht so aus, als wären diese Linien durch häufiges Lachen entstanden. Sein Gesicht wirkte streng und unnachgiebig. Sie sehnte sich nach einem Lächeln auf seinen Lippen und überlegte, ob er jemals unbeschwert gewesen war. Anscheinend hatte er harte Zeiten erlebt.

“Holen wir Ihr restliches Gepäck”, schlug er vor, um die stumme Konfrontation zu beenden. Die Rückfahrt zur Ranch würde lange dauern, und es drängte ihn, aufzubrechen. Immerhin hatte er noch eine ganze Menge zu tun.

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