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Minecraft - Die Zuflucht

hier erhältlich:

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Willkommen zur härtesten Prüfungder Minecraft-Welt

Sowohl im echten Leben als auch in der Minecraft-Welt sind Cece und Therese unzertrennlich. Als Therese mit ihrer Familie aus Nigeria in die USA zieht, schickt sie Cece eine Einladung zu einem neuen Server. Um mitzuspielen, muss Cece allerdings eine bizarre Eröffnungszeremonie bestehen. Wird sie es schaffen, die Zufluchts-Prüfung zu bestehen?

Ein neues packendes Abenteuer in der Minecraft-Welt

Der 10. Band der Erfolgsserie rund umdasbeliebteste Game unserer Zeit


  • Erscheinungstag: 25.10.2022
  • Aus der Serie: Minecraft Romane
  • Bandnummer: 10
  • Seitenanzahl: 240
  • Altersempfehlung: 12
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505150623

Leseprobe

Für die Freunde, die wir auf den tückischsten Reisen unseres Lebens gewinnen, und die Lektionen, die sie uns unterwegs beibringen.

TEIL 1

PLÖTZLICH WEG

KAPITEL 1

WIR ZIEHEN UM.

Die Nachricht kam nachts, um genau 0:01 Uhr.

Cecilia las sie gerade zum zweiten Mal auf dem flimmernden Tablet-PC, der von ihrer ganzen Familie benutzt wurde, und fragte sich, warum Therese mit dem Abschicken gewartet hatte, bis alle schlafen.

Cece liebte ihre beste Freundin von Herzen … und bei einer Sache war sie sich ganz sicher: Sie würde sie niemals im Stich lassen.

Und doch stand sie da, eine einzelne Zeile mit enormem Enttäuschungspotenzial: Wir ziehen um.

Cece sprang aus dem Bett und lief zum Schlafzimmer ihrer Eltern.

»Sie ziehen um, sie ziehen um!« Sie polterte durch die Tür.

Es war Samstag, weshalb Iya und Baba um diese Zeit noch in ihren Schlafanzügen im Bett lagen. Erschrocken fuhren sie hoch.

»Hey, hey«, sagte Baba, der auch »Daddy« war, aber darauf bestand, dass Cece ihre Eltern mit den traditionellen Begriffen der Yoruba-Sprache anredete. »Wozu der Aufruhr so früh am Morgen?«

»Und was haben wir übers Anklopfen gesagt?«, ergänzte Iya, auch bekannt als »Mummy«.

»Ja, ja, ihr könnt später mit mir schimpfen«, erwiderte Cece. »Jetzt müssen wir los.«

»Wieso das?«

»Weil Reesa und ihre Familie schon unterwegs sind und ich mich nicht verabschieden kann, wenn wir nicht auf der Stelle losgehen!«

Es dauerte ein wenig, bis sie in die Gänge kamen – wie altersschwache Computer, die ewig zum Hochfahren brauchen. Ceces Eltern waren sich einig, dass es zu früh war, ihre Tochter allein rausgehen zu lassen, aber immerhin war es ihr gelungen, sie zum Mitkommen zu bewegen. Sie hatten gerade ihre Morgenmäntel angezogen, als Cece sie buchstäblich aus dem Haus in den kalten Morgen hinauszerrte. Sie selbst trug auch nur Schlappen, aber das war jetzt unwichtig. Therese würde bald für immer weg sein, und Cece konnte an nichts anderes denken, als zu ihr zu kommen, ehe es zu spät war.

Die Bewohner von Gemshore Estate, ihrem Viertel auf dem Inselteil von Lagos, wachten gerade erst auf. Bis auf die Leute von der Straßenreinigung waren die Bürgersteige menschenleer. Das Wischen der Besen und der Gesang der Vögel waren kilometerweit die einzigen Geräusche. Ceces Eltern hielten an, um einen der Straßenfeger mit einem Lächeln und den klingenden Worten »È kàáro. oh!« zu begrüßen. Der Mann antwortete mit einem zuckersüßen »Guten Morgen!« in Ceces Richtung. Aber das Mädchen war bereits außer Hörweite und hatte ihre Eltern weit hinter sich gelassen, um zu Therese zu rennen.

Das Haus der Njingas, Thereses Eltern, war nur sechs Häuser von Cecilias entfernt, aber befand sich hinter einer Kurve. Gerade als sie um die Ecke bog, holten sie ihre Eltern wieder ein. Eigentlich hatte Cece Umzugswagen und allgemeines Chaos bei den Njingas erwartet, aber die Doppelhaushälfte lag still und verlassen da. Das Garagentor war geschlossen, auf dem Grundstück stand kein einziges Auto, und alle Fenster waren zu.

Hier war niemand.

»Was ist los? Wo sind denn alle?« Cece drehte sich zu ihren Eltern um und sah sie flehend an. »Wo ist Therese?«

»Ach, Schatz«, erwiderte Iya und tätschelte ihr die Schulter. »Ich vermute, wir sind einfach zu spät.«

***

Zu Hause angekommen saß Cece am Esstisch und versuchte zu verarbeiten, was gerade passiert war. Wie konnte Reesa mir das antun? fragte sie sich. Wie konnte ihre einzige Freundin auf der ganzen Welt einfach verschwinden, ohne ihr die Gelegenheit zu geben, sich von ihr zu verabschieden?

Während Baba am Telefon hing und versuchte, Mr. Njinga zu erreichen, um ihn zum plötzlichen Verschwinden der Familie zu befragen, machte Iya Cece ihr Lieblingsgetränk – heißen Kakao mit Honig und Marshmallows. Obwohl, eigentlich war es früher einmal Ceces Lieblingsgetränk gewesen, aber Iya schien vorübergehend entfallen zu sein, dass ihre Tochter nicht mehr fünf war. Außerdem brauchte sie jetzt ein wenig Wärme und beschloss, dass heißer Kakao gar keine üble Idee war. Aber als das dampfende Getränk vor ihr stand, war sie zu niedergeschlagen, um etwas davon zu trinken, und ließ es abkühlen.

Montag wären wir zusammen in die Gemshore Secondary gekommen. Der Gedanke machte Cece nervös, und sie fing an, an den Fingern zu pulen. Wie soll ich an der neuen Schule ganz allein zurechtkommen?

Während Iya mit dem Frühstückmachen beschäftigt war, beendete Baba seinen Anruf.

»Sie sind schon am Flughafen«, informierte er sie, nachdem er aufgelegt hatte. »Steigen gleich ins Flugzeug. Er sagt, sie ziehen nach Scottsdale. Das liegt in den USA

»Warum hat sie mir nicht gesagt, dass es so schnell geht?«, fragte Cece in den Raum hinein. »Wieso hat sie bis gestern Nacht gewartet?«

»Mr. Njinga hat gesagt, alles sei so plötzlich geschehen, dass sie kaum Zeit zum Planen hatten. Keins der Kinder wusste, dass sie so schnell wegziehen würden – weder Therese noch ihre Brüder.«

»Trotzdem …«

»Ach, Schatz«, warf Iya ein. »Ich weiß, es ist schrecklich, deine beste Freundin zu verlieren, aber ich bin mir sicher, sie hätte dir Bescheid gesagt, wenn sie gekonnt hätte. Mach dir keine Gedanken – du kannst über Babas Telefon mit ihr reden, sobald sie gelandet sind.«

Cece beendete ihr Frühstück ungewöhnlich still. Ihre Mahlzeit aus Toast mit Mayo und Würstchen war halb aufgegessen, als das Tablet wieder piepte. Iya nahm es zur Hand, setzte die Brille auf und kniff die Augen zusammen.

»Ich glaube, es ist deine Freundin«, sagte sie und übergab das iPad an Cece.

Tut mir leid, dass ich dir nichts gesagt habe, stand in Thereses Nachricht. Es ging alles superschnell.

Cece legte das Tablet weg und aß schweigend auf. Dann ging sie ins Nebenzimmer – das einzige mit Fernseher, außer dem Wohnzimmer –, wo ihre Spielkonsole stand. Sie zerrte einen Sitzsack in Position, ließ sich vor dem Fernseher nieder, schaltete alles ein, setzte die Kopfhörer auf und nahm sich den Controller.

Nach dem Frühstück waren an Wochenenden eigentlich zuerst Hausarbeit und dann Hausaufgaben angesagt, ehe sie sich dem Fernseher zuwenden durfte – entweder zum Spielen oder Fernsehen. Aber gestern war wegen eines Feiertags die Haushaltshilfe früher als üblich vorbeigekommen und hatte Cece beim Falten ihrer Klamotten, Aufstellen ihrer Bücher und Sockenwaschen geholfen. Und weil jetzt Wochenende war und sie gestern frei gehabt hatte, waren auch die Hausaufgaben bereits erledigt. Cece hatte also massig Freizeit und konnte tun, was immer sie wollte.

Erst als sie in die Spielwelt eintauchte, erinnerte sie sich daran, dass ohne Therese keiner da war, mit dem sie hätte Minecraft spielen können.

***

Ich spawne genau im Herzen von Silver Oaks Park.

So haben Reesa und ich unser Reich genannt. Eigentlich gibt’s hier weder Silber noch Eichen. Der Name fiel uns einfach ein, kurz nachdem wir gelernt hatten, wie man aus Brettern und Stöcken Schilder herstellt. Wir stellten eins auf den Boden und beschrifteten es mit dem Namen unserer eigenen kleinen Ecke in der riesigen Welt von Minecraft.

Was ich als das Herz bezeichnet habe, ist eigentlich das Haus, das Reesa und ich vor drei Jahren gebaut haben – heute das Zentrum von Silver Oaks. Damals spielte ich noch auf einem öffentlichen Server für Spieler aus unserem Viertel und hatte mich gerade in einer winzigen Holzhütte versteckt. Aber anstatt eines Zombies spawnte eine Person namens i_am_therese neben mir, lugte in mein Versteck und fragte, ob sie sich zu mir gesellen dürfe.

Sie erklärte mir, dass es friedliche Welten gab, wo keine Monster existierten. Nur Geschöpfe wie Eisbären und Eisengolems, die einen in Ruhe lassen, wenn man ihnen nichts tut. Sie erzählte mir von ihrem privaten Minecraft-«Realm«, dessen Schwierigkeitsgrad auf »friedlich« stand, und lud mich dorthin ein. Später erfuhr ich, dass ihr Vater aus demselben Grund für dieses Realm bezahlte, aus dem ich mich entschieden hatte, Minecraft nirgendwo anders zu spielen – weil ich mich vor der großen weiten Welt aus öffentlichen Servern im Internet scheute.

An diesem Abend wurden wir Freundinnen und blieben es auch. Sie erzählte mir, dass ihr Name eigentlich Teresa war, aber dass ihre Großeltern, die ursprünglich aus Congo-Brazzaville stammten, sie lieber beim Namen einer in ihrer Heimat einst beliebten französischen Prinzessin Thérèse nannten. Der Name hatte sich gehalten, und inzwischen nannte sie jeder Therese. Trotzdem bat sie mich, ihren Spitznamen Reesa zu verwenden, und das erlaubte sie nur ihren besten Freunden.

Ich laufe durch das Haus, das wir gemeinsam gebaut haben. Es ist kein winziges Versteck mehr, sondern ein richtiges Anwesen mit mehr Räumen, als wir eigentlich brauchen. Wir haben Betten, Bücher, Regale, Teppiche, Banner, Zäune und Tore. Es gibt auch einen kleinen Keller aus Bruchstein, in dem wir die meisten Schätze aufbewahren. Unser großes Wohnzimmer hat hohe Fenster aus gefärbtem Glas, die vom Boden bis zur Decke reichen. Und überall im Haus hängen Gemälde.

Aber das Anwesen in Silver Oaks ist nicht das Einzige, womit wir in dieser Welt unseren Fußabdruck hinterlassen haben. Ich trete hinaus auf den Balkon im ersten Stock und betrachte die Felder, die wir angelegt haben. Weizen, rote Bete, Kakaobohnen, Melonen, Kürbisse, Pilze, Zuckerrohr – all das wächst um mich herum. Es gibt auch eine Scheune, in der wir Schafe halten, wenn wir Zeit für sie haben.

Jetzt, wo ich hier stehe, erinnere ich mich sogar an Dinge, die wir früher einmal hatten, aber inzwischen entfernt haben. Zum Beispiel das eine Mal, als wir Eier versteckt und eine Art Osterjagd veranstaltet haben. Ich hatte meins hoch oben in einem Baum versteckt, und Therese hat versucht, hinaufzuklettern, aber fiel immer wieder hinunter. Die Erinnerung daran bringt mich zum Lachen.

Silver Oaks Park ist unser Paradies. Besser gesagt, war es. Denn zum ersten Mal in der Geschichte dieses Orts begrüßen mich hier keine lustigen, freundlichen Worte, sondern nur einsame Stille. Und überall, wo ich hinsehe, sehe ich nichts als die eine Tatsache, die sich hier für lange Zeit nicht ändern wird: i_am_therese ist offline.

KAPITEL 2

Montag würde furchtbar werden, das wusste Cece jetzt schon.

Der Tag begann mit einem grauen, missmutigen Himmel, der bestens zu Ceces mieser Stimmung passte. Das Frühstück schmeckte nach der Traurigkeit, die sich in ihrer Brust breitgemacht hatte. Es regnete zwar nicht, als Iya sie zu ihrem ersten Tag an der neuen Schule fuhr, aber der Wind rauschte am Auto vorbei und machte Geräusche wie ein Fernseher ohne Empfang.

Als sie auf dem Schulparkplatz ankamen, küsste Iya Ceces Stirn.

»Ich weiß, du bist jetzt niedergeschlagen, Liebes«, sagte sie. »Aber du bist erst zehn und …«

»Zehneinhalb«, korrigierte Cece.

»Okay, zehneinhalb«, erwiderte Iya. »Aber vergiss bitte nicht, dass dein ganzes Leben noch vor dir liegt. Ich verstehe, dass Therese in der Grundschule deine beste Freundin war, und nun ist sie fort.« Sie zeigte auf das vor ihnen liegende Schulgebäude. »Aber vielleicht ist das die Gelegenheit, neue Freunde zu finden. Du bist freundlich, lieb und witzig. Ich bin mir sicher, da drin gibt es viele Kinder, die es gar nicht abwarten können, dich kennenzulernen.«

Damit verabschiedete sie sich und fuhr davon. Cece verharrte eine Weile mit der Tasche in der Hand auf dem Bürgersteig und starrte die Fassade der Gemshore Private Secondary School an.

Eigentlich war ihr die Schule gar nicht so neu. Sie waren oft daran vorbeigefahren, weil sie im Viertel lag und die weiterführende Schule war, die zur Gemshore Primary gehörte, auf die Cece bisher gegangen war. Die Hälfte der neuen Schüler waren alte Klassenkameraden von der Grundschule, gemischt mit ein paar neuen von außerhalb. Trotzdem war heute erst das zweite Mal, dass Cece das Gebäude betrat. Davor war sie nur einmal mit ihrer Mutter hier gewesen, vor Monaten, als sie sie angemeldet hatten.

Aber heute würde sie das Haus zum ersten Mal allein betreten.

»Therese, du Verrückte«, murmelte Cece. »Wir hätten das eigentlich gemeinsam machen sollen. Aber jetzt muss ich da allein durch.«

Der Gang zum Versammlungsplatz war kurz und verlief ohne Zwischenfälle. Die Anweisungen am Haupttor waren eindeutig: Alle neuen Schüler folgen bitte den grünen Pfeilen zum Versammlungsplatz, verkündete ein auffälliges Schild. Also folgte Cece den Pfeilen und mischte sich unter die anderen Schülerinnen und Schüler, die allesamt schicke neue Uniformen trugen, genau wie sie.

Sie hatte schon viele Filme über erste Schultage gesehen und auch Bücher darüber gelesen. In diesen Geschichten ging immer irgendetwas schief. Sie rechnete jeden Moment damit, dass sie irgendein Unruhestifter anrempelte und nach prüfendem Blick zur Außenseiterin oder zum Nerd erklärte. Die Geschichten hatten ihr beigebracht, dass man an einer neuen Schule immer sofort in seine Schranken gewiesen wurde, wenn man nicht zu den coolsten Kids zählte.

Cece gab es nur ungern zu, aber sie war sich sicher, dass sie zu den weniger coolen Kindern gehörte. Sie besaß weder besondere Talente noch andere Eigenschaften, die die anderen dazu bringen würden, sie zu mögen. Eigentlich interessierte sie sich nur für Fantasybücher und Minecraft – und nicht einmal das anspruchsvolle Minecraft, sondern nur das leichte, das man zum Spaß spielte.

Sie wünschte sich, Therese wäre hier, so wie es geplant war. Gemeinsam hatten sie sich geschworen, aufeinander aufzupassen, einander den Rücken zu stärken und sich zu beschützen. Cece hatte Gerüchte gehört – Klatsch und Tratsch von ihren Klassenkameraden an der Gemshore Primary –, dass die älteren Schüler an der Gemshore Secondary gemein waren. Sie hatte gehört, dass man Neulinge triezte, indem man ihnen unmögliche Aufgaben zu erledigen gab – zum Beispiel, fülle diesen Korb mit Wasser, aber du darfst nur einen Löffel benutzen.

Aber bald erkannte Cece, dass das wahre Leben anders war als die Filmwelt. Es gab weder gemeine Schüler noch unlösbare Aufgaben … genau genommen geschah gar nichts. Die höheren Jahrgänge ignorierten sowohl sie als auch die anderen Neuen. Selbst diejenigen, deren Gesichter sie aus dem Viertel kannte – alte wie neue Schüler – taten so, als würden sie sich nicht kennen.

Die Versammlung verlief genauso schnell wie ereignislos – Nationalhymne, gefolgt vom Gebet und ein paar Ankündigungen. Dann wurden die neuen Schüler in eine Ecke geführt, während alle anderen sich zerstreuten. Lehrer kamen und lasen Namenslisten vor, und die aufgerufenen Schülerinnen und Schüler folgten ihnen in ihre neuen Klassenräume. Ein großer Mann mit Weste trat vor und sagte laut »Cecilia Alao«, woraufhin Cece die Hand hob und ihm gemeinsam mit ein paar anderen Neulingen folgte.

Dann wurden die Schreibtische zugewiesen. Ceces stand mitten im Raum, und sie seufzte erleichtert. Ein Platz mittendrin war genau der Grad von Unsichtbarkeit, den sie bevorzugte – weder zu auffällig noch zu verborgen. Außerdem kam es ihr gerade recht, dass sie sich nicht mit Revierstreitigkeiten in der Klasse abgeben musste.

Cece verglich die Klassenraumzonen gern mit den Monstern in Minecraft. Es gab vier davon – da waren zum einen die Fensterlinge an den Seiten, dann die Lehrerlieblinge in der vorderen Reihe, die Hinterbänkler ganz hinten im Raum und die Unsichtbaren wie sie, die in der Mitte saßen und so unsichtbar waren, dass sie nicht einmal Namen hatten. Zu einer dieser Fraktionen zu gehören, hieß, ein jeweils passendes Etikett zu tragen und einen gewissen Ruf zu haben, manche einen besseren, manche einen schlechteren. Aber es ging auch mit Privilegien einher.

Die Lehrerlieblinge waren für Cece mit Dorfbewohnern vergleichbar, die von einem Eisengolem beschützt wurden. Wer diese Fraktion gegen sich aufbrachte, war selbst schuld, denn wenn sie dich, warum auch immer, beim Lehrer anschwärzten, warst du in Schwierigkeiten. Selbst die ältesten Schüler legten sich deshalb lieber nicht mit ihnen an.

Fensterlinge waren wie neutrale Minecraft-Kreaturen: Sie lassen dich in Ruhe, solange du dasselbe mit ihnen tust. Aber sie waren auch unberechenbar und deshalb nicht vertrauenswürdig. Sie waren die Wölfe im Klassenraum, ließen sich in keine Gussform zwängen und machten nur dann Ärger, wenn sie belästigt oder in ihren Augen ungerecht behandelt wurden. Aber meistens waren sie wie ein Schutzschild für all jene, auf die es die Fieslinge abgesehen hatten, weil sie sich nicht scheuten, notfalls auch zum Angriff überzugehen.

Die Hinterbänkler entsprachen den Minecraft-Monstern – Creepern, Zombies, Skeletten, Endermen. Sie waren ständig auf der Suche nach Ärger und stifteten Chaos, wann immer sich die Gelegenheit bot. Und da die Lehrerlieblinge tabu waren, suchten sie ihre Opfer meist in den Reihen der Fensterlinge und der Unsichtbaren, die nicht unsichtbar genug waren.

Cece wusste natürlich, dass die Sitzordnung nicht exakt den vier Fraktionen entsprach. Dennoch besaßen Gruppen immer einen gewissen Zauber, und Cece war aufgefallen, dass selbst die fröhlichsten Kinder irgendwann zu Fieslingen wurden, wenn sie in einer Gruppe aus Fieslingen landeten – weshalb sie es stets vermieden hatte, Freundschaften zu schließen – bis auf die mit Therese.

Eine Entscheidung, die sich jetzt als falsch herausstellte, denn Therese war fort und Cece wieder allein. Vielleicht war jetzt ein guter Zeitpunkt, ihre bisherige Strategie zu überdenken.

Sie beäugte die neuen Uniformen um sie herum, während sich alle an ihren neuen Tischen häuslich einrichteten. Ein Junge stapelte seine coolen neuen Notizblöcke fein säuberlich übereinander und strahlte, wahrscheinlich in der Hoffnung, jemand würde ihn dafür loben. Ein Mädchen mit aufwendigen Zöpfen, in die farbige Perlen eingeflochten waren, lächelte alle an, die an ihr vorbeikamen, und begrüßte sie mit einem fröhlichen Guten Morgen!

Die anderen versuchen schon, Freunde zu finden, dachte sich Cece. Vielleicht sollte ich aufhören, Trübsal zu blasen, und es auch probieren.

Also begrüßte Cece spontan das nächste Mädchen, das an ihr vorbeikam.

Sie war ein bisschen größer als Cece und genauso schmal. Ihre ohnehin schon kleinen Augen wurden noch winziger, als sie Cece von oben bis unten musterte, während sie überlegte, ob sie auf die Begrüßung antworten sollte.

»Coole Tasche«, fügte Cece hinzu, obwohl sie gar nicht so genau hingesehen hatte. Und jetzt, da sie es tat, fiel ihr auf, dass sie eigentlich ziemlich zerfranst und wie ein Secondhand-Stück aussah. Das Mädchen wohnte wahrscheinlich nicht im Viertel – die anderen Kinder hier würden sich nie mit so einer Tasche sehen lassen. Deshalb kam sie Cece wahrscheinlich auch nicht bekannt vor.

Das Mädchen betrachtete ihren Rucksack und dann Ceces.

»Was ist das?«, fragte sie und zeigte auf einen Aufkleber, der ein Creepergesicht darstellte.

»Ein Creeper«, antwortete Cece. Der Gesichtsausdruck des Mädchens blieb fragend. »Aus Minecraft – dem Videospiel? Eine Welt aus Blöcken und mit Dorfbewohnern?« Das Mädchen schüttelte den Kopf, also fuhr Cece fort: »Ich kann dir davon erzählen. Meine Freundin Reesa, die gerade weggezogen ist … Wir haben die gleichen Aufkleber, und früher haben wir …«

»Ist mir egal«, unterbrach das Mädchen. »Ich weiß, was Minecraft ist. Aber es ist mir einfach egal. Genau wie allen anderen.«

Damit rauschte sie an Cece vorbei und setzte sich auf ihren neuen Platz – ganz hinten im Raum.

Eine Hinterbänklerin, dachte Cece bei sich und biss sich auf die Lippe, um die verletzenden Worte zu verarbeiten. Das kommt davon, wenn du dich zu nahe an einen Creeper heranwagst, Cece. Er explodiert.

Sie legte ihre Tasche unter den Schreibtisch. Dann besann sie sich, holte sie wieder hervor, riss den Aufkleber ab und warf ihn in den Papierkorb.

Iya hatte sich geirrt. Neue Freunde zu finden, würde viel, viel schwerer werden, als sie gedacht hatte.

KAPITEL 3

»Dein erster Tag an der neuen Schule, hm, Liebling?«, sagte Iya auf dem Nachhauseweg. »Wie war es? Fühlst du dich schon wie ein großes Mädchen?«

»Es war blöd«, grollte Cece und bog die Lehne des Beifahrersitzes nach hinten, sodass sie beinahe flach auf dem Rücken lag. »Total blöd. Und ich fühle gar nichts. Ich will einfach nur nach Hause und schlafen.«

»Ach, komm, sei nicht so«, wandte Iya ein. »Mindestens eine gute Sache muss heute doch passiert sein.«

Cece ließ den Tag Revue passieren. Nach dem Vorfall mit der Hinterbänklerin und dem Aufkleber hatte sie kaum ein Wort mit jemandem gewechselt. Ein Lehrer oder zwei waren vorbeigekommen, aber die hatten nur ihre Pflicht getan und waren dann weitergegangen. In der Pause hatte sie still und allein mitten in der Cafeteria zu Mittag gegessen. Wobei, die meisten anderen auch. Sie hatte Schüler gesehen, die zu ängstlich waren, um den ersten Schritt zu machen und aus ihrer Isolation heraus Freundschaften zu schließen. Und nach der schlechten Erfahrung mit dem gemeinen Mädchen hatte auch Cece der Versuchung widerstanden. Stattdessen hatte sie viel Zeit damit verbracht, an Therese zu denken – und daran, dass sie so schnell wie möglich mit ihrer echten Freundin reden wollte.

»Nein«, beschied Cece letztendlich. »Es ist überhaupt nichts Gutes passiert.« Sie lehnte sich vor. »Hat Therese schon angerufen?«

Iya schüttelte den Kopf und lächelte schief. Bedrückt ließ Cece sich in den Sitz zurücksinken.

»Es kann schon eine Weile dauern, ehe sie alles eingerichtet haben«, gab Iya zu bedenken. »Ihr könntet doch eine Art Pyjamaparty veranstalten. Nur eben virtuell – ihr könntet einen Videocall übers Telefon oder Tablet machen. Und du könntest dabei deinen Schlafanzug tragen, wie bei einer richtigen Pyjamaparty.«

Cece grunzte nur, obwohl sie die Idee gar nicht übel fand. Sie speicherte sie für einen späteren Zeitpunkt im Hinterkopf ab.

Nachdem sie zu Hause angekommen waren und Cece sich umgezogen hatte, beschloss sie, das Angebot ihrer Mutter anzunehmen und eine Nachricht an die Telefonnummer zu schicken, die im Tablet unter »Mr. Njinga« stand.

Wie weit seid ihr?, tippte sie. Hast du dich schon eingelebt? Mein erster Tag an der Gemshore Secondary war Mist. Du feeeehlst miiiir! Sie hielt einen Moment inne. Sie wollte nicht zu verzweifelt klingen. Iya hat vorgeschlagen, dass wir eine Online-Pyjamaparty machen. Im Schlafanzug, aber als Videochat. Irgendwie blöd, ich weiß, aber was meinst du?

Sie ließ das Tablet liegen und machte sich daran, ein paar Hausarbeiten zu erledigen, wie zum Beispiel, ihr Bett neu zu beziehen und frische Wäsche zusammenzulegen. Als sie fertig war und zum Tablet zurückkehrte, wartete dort eine Nachricht von Therese auf sie, die aus nur einem einzigen Wort bestand.

Okay.

***

Cece hätte wissen müssen, dass die Sache nicht gut laufen würde, als ihr WLAN ganze fünf Minuten vor der Pyjamaparty anfing, zu spinnen.

Aufgeregt saß sie im Schlafanzug bereit. Iya und Baba hatten ihr das Tablet ganz allein in ihrem Zimmer überlassen – das taten sie fast nie. Aber lange würde sie es offenbar ohnehin nicht brauchen, denn sie und Therese hatten abgemacht, dass sie kurz reden und danach Minecraft spielen würden. Sie wollten wie in alten Zeiten in ihrem Haus abhängen, solange es ihre Eltern erlaubten. Das letzte Mal war Wochen her, und Cece fieberte dem Termin entgegen.

»Babaaa!« Cece saß im Schneidersitz auf einer Decke in ihrem Zimmer, steckte den Kopf durch die Tür und spähte in den Flur. »Das Internet geht nicht!«

»Hast du es schon aus- und wieder eingeschaltet?«

Cece rollte mit den Augen. Das war Babas Lösung für fast alles – aus- und wieder einschalten.

»Schon tausendmal«, gab sie zurück.

»Okay, tausendmal ist ziemlich schwer zu glauben, weil …« Ihr Vater tauchte im Flur auf, ebenfalls im Schlafanzug, warf seiner Tochter einen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Gib schon her.«

Er nahm ihr das Tablet ab und tippte ein paarmal darauf herum. Dann gab er es ihr zurück. »Hier.«

Der verabredete Zeitpunkt war schon seit ein paar Minuten vorbei, aber nach drei Versuchen antwortete Therese.

»Cece!«, rief sie, kaum dass sie auf dem Bildschirm aufgetaucht war.

»Reesa!« Cece konnte kaum an sich halten. »Aah!«

»Oh Mann, ich wünschte, ich könnte dich jetzt umarmen«, sagte Therese. »Du siehst super aus!«

»Und du erst!«, erwiderte Cece und hielt dann inne. »Warte, warum hast du keinen Schlafanzug an?«

Und nicht nur das, sie war sogar draußen. Hinter ihr ragten hohe Berge in den Himmel. Und Palmen. Die Sonne schien ihr grell ins Gesicht.

Therese lachte. »Ich kann doch jetzt noch keinen Schlafanzug anziehen. Hier ist erst Nachmittag.«

»Oh, wow. Ist das der Zeitunterschied, von dem meine Eltern ständig reden? Wie viele Stunden sind es?«

»Acht – und zwar vor dir«, antwortete Therese. »Du musst von deiner Uhrzeit acht Stunden abziehen – dann weißt du meine.«

»Wow.« Cece beugte sich vor. »Du siehst aus, als wärst du im Urlaub!«

Es stimmte wirklich. Eine Sonnenbrille steckte in Thereses Haaren, die jetzt zu einem langen Zopf geflochten waren – was ihre Eltern ihr zu Hause in Lagos nie erlaubt hatten. Und selbst wenn doch, hätten es die Schulregeln nicht gestattet. An der Gemshore Secondary waren nämlich nur eng am Hinterkopf anliegende kurze Cornrows oder Kurzhaarschnitte erlaubt. Außerdem trug Therese Lipgloss – noch so etwas, das ihre Eltern hier nie zugelassen hätten. Ihre Haut schien zu glänzen, und kurz überlegte Cece, ob die Sonne in Scottsdale sich von der in Lagos unterschied. Ihre eigene Haut glänzte nie so, egal in welchem Winkel sie die Kamera beim Selfie hielt.

Das zweite böse Anzeichen, das bei Cece die Alarmglocken hätte auslösen müssen.

»Hey, das ist viel zu anstrengend für Urlaub«, sagte sie. »Erst der Umzug, und jetzt das Zimmer einrichten … puh. Außerdem muss ich auf eine neue Schule. Toll ist anders.«

»Ja, mir geht’s ähnlich«, erwiderte Cece. »Heute war mein erster Tag an der Gemshore Sec

»Ohh, wie lief es?«

»Es war schrecklich. Ich habe mir die ganze Zeit gewünscht, du wärst hier.«

Therese kicherte. »Ja, kann ich mir vorstellen. Hast du schon Freunde gefunden?«

»Hab’s versucht. Aber ein Mädchen war gemein zu mir.«

»O Mann, tut mir leid«, sagte Therese. »Ich versuch’s hier auch.«

»Oh, gut. Und wir läuft’s bei dir?«

»Ganz gut, schätze ich.« Therese wandte den Blick von der Kamera ab. »So schwer wird’s schon nicht werden.«

»Das ist schön«, meinte Cece. »Ich kann’s kaum erwarten, dir alles zu erzählen – erster Schultag, Gerüchte aus dem Viertel, meine neuen Playlists. Und die Sachen, die ich in Silver Oaks gebaut habe. Ich zeig sie dir, wenn wir spielen. Hier ist so viel passiert, seit du weg bist!«

»Ah, ja«, meinte Therese. »Deshalb wollte ich noch mit dir reden. Ich muss schon wieder los.«

»Was? Wieso?«

»Ich habe gleich etwas vor«, antwortete sie und sah wieder von der Kamera weg. »Ich …«

»Reesa?«

»Tut mir echt leid, Cece – können wir später weiterreden?« Jetzt sah sie gar nicht mehr in die Kamera, und ihre Stimme klang leiser, je weiter sie sich vom Mikrofon entfernte. »Ich glaube, wegen des Zeitunterschieds können wir keine Pyjamaparty machen, aber … wir überlegen uns was, okay?«

Cece öffnete den Mund, um nach dem Wie und Wann zu fragen, aber Therese hatte schon aufgelegt.

***

Was an Silver Oaks Park ist eigentlich silbern?

Dieser Gedanke überkommt mich, als ich wieder in unserer Welt spawne. Es ist Abend, genauso wie in der realen Welt. Ich stehe da, sehe mich um und mustere die graue Benachrichtigung über meinem Namen: i_am_therese ist offline.

»Offline hier, offline da draußen, überall offline«, sage ich laut zu mir selbst.

Eine Pixel-Kuh in der Nähe schnauft, als würde sie mir antworten.

Ich beschließe, dass ich diesmal keine Lust habe, deswegen Trübsal zu blasen, sondern lieber spielen und ein paar Dinge erledigen will. Wenn ich mich recht erinnere, waren unsere Kohlevorräte aufgebraucht, als Reesa und ich das letzte Mal hier waren, und ein paar Räume im Haus sind noch nicht beleuchtet. Da es ohnehin gerade dunkel wird, könnte ich die Zeit nutzen, um Kohle zu sammeln und ein paar Fackeln daraus zu machen.

Ich gehe zum nächstbesten Berg, den wir »Kohleberg« getauft haben, weil er die erste verlässliche Quelle für Erze war, die wir fanden, als wir hier unsere Basis errichteten.

Ich komme ziemlich weit, ehe es superfinster wird – so finster, dass ich meine eigenen Hände nicht mehr erkenne. Mir fällt ein, dass ich vergessen habe, eine Fackel für mich selbst mitzunehmen. Inzwischen ist es zu dunkel, um allein zurückzufinden, also beschließe ich, eine herzustellen.

Von der letzten Holzsammelaktion habe ich noch ein paar Bretter dabei. Ich mache Stöcke und füge sie mit dem letzten Klumpen Kohle, den ich noch besitze, zu vier Fackeln zusammen. Dann baue ich die Werkbank ab und mache mich wieder auf den Weg.

Ich komme an einem Wolf vorbei, aber der ignoriert mich völlig.

Der Weg zum Berg ist kurz. Die meiste Kohle ist schon weg – Therese und ich haben bereits alle sichtbaren Kohleadern abgebaut. An manchen Stellen sind wir sogar bis zum Grundgestein vorgedrungen und haben Diamanten gefunden. Es gibt nicht mehr viele Stellen, an denen ich nach einer Erzader suchen kann, und ich finde kaum etwas, obwohl ich emsig hacke. Bald bin ich zu weit von den Fackeln entfernt – ich muss wieder hochsteigen, um sie zu holen und neu aufzustellen, ehe ich weitergraben kann.

Mit einem Mal fühlt Minecraft sich wie harte Arbeit an. Zu harte Arbeit.

Ich grabe hier und dort weiter, aber da ich kein bisschen Kohle finde, gebe ich auf. Doch ich habe mich so weit vorgearbeitet, dass es mir furchtbar anstrengend vorkommt, herauszuklettern und den ganzen Weg zurückzulaufen.

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