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Jakobs Ross

Als Buch hier erhältlich:

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Ein beeindruckender Roman über die Härte des Lebens und die Kraft der Musik

1869 träumt oberhalb des Zürichsees eine junge Magd, die nichts besitzt als eine wunderschöne Stimme, von einer Karriere als Musikerin. Aber um dieses Ziel zu erreichen, muss sie die festgefügte soziale Ordnung durchbrechen, ein Versuch, der sie fast das Leben kostet. Gefärbt in deftigem Dialekt erzählt Silvia Tschui von einer Welt an der Schwelle zur Moderne, in der Dämonen und Gewalt herrschen und eine junge Frau sich ihre Selbstbestimmung erkämpft.

Kommt Anfang 2024 in die Kinos – mit Luna Wedler, Valentin Postlmayr und Max Hubacher in den Hauptrollen


  • Erscheinungstag: 24.10.2023
  • Seitenanzahl: 256
  • ISBN/Artikelnummer: 9783312013227

Leseprobe

Das Elsie kriegt eine Flättere

Ja, wenn das Elsie das Lied vom Blüemlitaler Bauern, wo vor Heimweh in der Fremde verräblet, nur wieder einmal in einem Salong singen und fidlen könnte, anstatt in diesem Finsterseer Chuestall nur das Rösli und das Klärli mit je einer Hampflen Heu in der Schnörre als Publikum zu haben! All den feinen Herren würd ob der traurigen Geschichte das Augenwasser nur so heraussprützen. Und am Schluss täten alle klatschen, und das Elsie wüsste, sie wär jetzt eine gemachte Frau.

So wie das eben hätte sein sollen, denkt sie beim Melken, mit zwei feuerroten, vom Jakob links und rechts frisch geflättereten Backen. Wenn sie den Jakob trotz allem nicht gehüratet hätte, sondern halt auf eigene Faust nach Floränz gezogen wäre. Zu Fuess und villicht sogar mit der Kutsche und später villicht bis ans Meer.

Das hat das Elsie einmal auf einer gemalten Postkarte gesehen, die hat ihr ein Herrschaftsfrölein mit Bernsteinaugen und einem Herz wie aus Butter gezeigt. Da kann der Zürisee also einpacken. Und wenn der Fabrikdiräkter nicht so eine hinterfotzige Sau gewesen wäre, wär sie mitsamt dem Herrschaftsfrölein mit dem Butterherz und den Bernsteinaugen den ganzen Weg in der Kutsche nach Floränz gefahren.

Öppen acht Jahre vorher, da steht nämlich das Elsie im grössten von allen Herrenhäusern in Wädiswil in der Küche. Singen tuet sie auch, aber dermal eben als Chind. Und die roten Backen kommen von einer Gluet beim Chämi. Dort schmelzt das Elsie Wachs in einem grossen Topf. Das riecht derart nach Bienen und Honig, dem Elsie ist zuerst der Goifer im Maul zusammengeloffen, und jetzt ist es ihr schlecht ob dem ebigen Wachsgeruch, und der Arm gheit ihr fast ab vom Rüehren, und zum den Takt Halten singt sie: Vom Flügen und vom Tau. In den Wachs kommt nachher Asche, zwei Liter auf fünf, und am Schluss Regenwasser, acht Liter auf fünf, und das Elsie singt von Feuer und Wolken.

Dann kommt der Topf an einen Haken, ohne Gluet darunter, und das Rüehren wird noch strenger, weil das Elsie während dem Kallen die Wachsseife zusammenhalten muess, und sie kann nur hoffen, dass in dem Moment an keinem von den Glockensträngen, wo aus verschiedenen Zimmern in der Küche zusammenlaufen, das Glöggli schellt, weil dann das Elsie unterbrechen müesst und das Frölein Furrer suechen oder sonst ein Meitli, je nach dem.

Wenn alles fest ist, fängt der Chrampf erst an: Dann schabt das Elsie die Wachsseife in Tiegel, holt Lumpen, bindet Filzli um die Knie und fängt an zu bohneren. Wenn sie amigs fertig ist mit all den Zimmern, kann sie grad zuoberst wieder anfangen.

Das Elsie bohneret gern, das Holz von den Parkettböden glänzt goldig, als ob es da noch öppis Weiches gäbe hinter der schimmernden Oberfläche. Und wenn das Elsie poliert, werden die glatten Bretter unter dem Streichlen vom Elsie tatsächlich warm und fangen an, Geschichten zu verzellen, die wachsen durch den Lumpen duren bis in ihren Bauch und steigen in ihr Herz, und sind sie erst an Lunge und Zunge vorbei, sind die Geschichten wie von selbst zu Wörtern und Melodien geworden.

Im Studierzimmer vom Diräkter mit dem Eichenboden singt sie vom Sterben und davon, wie so ein Eichenast nach Saft schreit, wenn ein Strick um ihn geschlungen wird, und Glieder nach Luft, wenn so ein Hals am säbigen Strick hänkt. Öppendie handlen die Lieder aber auch nur vom Wachsen, vom Regen oder davon, was die Elstere Glänziges im Baum versteckt und warum in einem anderen Wald drum ein Mann an einer Eiche verräblet.

Dem Elsie ist in dem Herrschaftshaus wohl, ausser wegen dem Sticken und Flicken, wo die Mägde am Abig noch müessen. Das hasst das Elsie, ihr geraten immer die Hohlsäume durenand, und dann gibt es Chopfnüss, genauso wie wegen der Singerei. Öppendie schletzt nämlich das Frölein Furrer die Tür auf und zischt, sie heig dem Elsie schon hundertmal gesagt, sie solle mit der Singerei aufhören, die Herrschaft well sicher ihre Rueh.

Dann muess das Elsie die Handrücken ausstrecken und warten, bis ihr das Frölein Furrer mit einem tünnen Holz rechts und links eins über die Knöchel haut. Und amigs gibt es eben auch eine Chopfnuss, das ist, wenn das Elsie in einem Gang bohneret und vor sich hin singt und es für das Frölein Furrer keine Tür zum Schletzen gibt. Chopfnüss findet das Elsie fast besser als Tatzen, weil dann die Hände nicht weh tuen beim weiterbohneren.

Und Chopfnüss, findet das Elsie, wie sie dann öppen acht Jahre später beim Melken sitzt, sind vill besser gewesen, als wenn der Jakob amigs mit seinen Fäusten daherkommt.

Das Elsie ersingt sich eine Freundin

Wie das Frölein Furrer an einem Morgen dem Elsie wieder wegen der Singerei wüest sagt, geht oben an der Stege eine Tür auf. Das Herrschaftstöchterlein steht auf der Balustrade. Verhüehneret, nur im Nachtgwand mit einem seidigen Überwurf darüber. Bleich ist sie. Ihre Augen glänzen mit tunklen Ringen darunter, und die hellbraunen Haare sind ganz vertschuderet. Zwei Jahr älter ist sie ungefähr, weiss das Elsie, und von einer anderen Welt.

Das Frölein Furrer verschrickt und versuecht gleichzeitig: knicksen, das Elsie, wo auf dem Boden knienlet, an den Haaren reissen und sich derbei auch noch für die Singerei entschuldigen. Die heig sicher das kranke Frölein aus seinem Schlaf gerissen. Und sie bringe sofort Ochsenbrüeh hinauf. Für ihre Gripp’.

Aber das Meitli winkt ab mit einer schlappen Hand und sagt, sie sei nur herausgekommen, weil sie wissen well, wie das Lied weitergehe. So schön singe auch im Chor vom Pangsionat keine, und so lang wie die Magd da gesungen heig, habe sie vergessen, dass sie ja Fieber heig und Müeh mit dem Schnaufen. Die Magd solle die Bohnerbürste liggen lassen und in ihre Chammer kommen, und das Frölein Furrer solle tifig zwei Chacheln mit Brüeh heraufbringen, und Mark und Gmües grad derzue.

Und dann steht das Elsie in der Chammer vom Frölein, deren Boden hat sie schon tusigmal poliert, aber die Chammer ist jetzt, wo das Frölein daheim und nicht im Pangsionat ist, vill farbiger. Gwänder liggen umen und Büecher mit farbigen Einbänden. Der Spiegeltisch ist offen, daran gehänkt schimmeret eine Perlenkette, und Bürsten mit silbrigem Rücken liggen neben verchrugleten Spitzentüechli. Neben dem Bett ein Tischli, darauf blinkt ein silbriges Tablett, das hat das Elsie mehr als einmal mit Essig poliert und derbei von Eseln mit staubigen Lungen gesungen.

Das Frölein schlurpet wieder ins Bett, und einen Wimperenschlag lang stehen beide nebeneinander vor dem Spiegel, ein bernsteinfarbener Blick aus schwarzumringleten Augen trifft im Spiegel einen blitzblauen über rötschigen Backen, und keine Sekunde denkt das Elsie, blaublitzig und rötschig sei schöner als bernstein und bleich. Sie gseht auch nicht ein anderes Kind, wo vom Elsie seinerseits ganz verzauberet ist. Das Elsie ist stattdessen ganz stumm, wegen den Gwändern, wegen Kette, Silber und Spitze und nicht zuletzt wegen dem feinen Gesicht vom Frölein. Wo zu ihr!, zu ihr redt, als wär sie auch fast ein Frölein, nämlich: Es soll ihre Bohnerschürz abziehen und die Gwänder auf dem Polstersessel auf den Boden legen, das Frölein Furrer räume dann schon auf. Sie soll absitzen. Wie sie heisse und woher sie derart singen könne?

«Elsie», meint das Elsie und wird rot und bleibt stehen und brösmelet, sie wisse nicht woher, die Lieder, die kämen einfach, je nach dem, was sie grad am Machen seig, sie könne die nicht extra erfinden. Und wie das Frölein da recht enttäuscht luegt, meint das Elsie schnell, sie wisse sonst auch noch ein paar Chilenlieder.

Das Frölein lacht und meint, sie heisse Amalie-Sophie, aber das Elsie könne ihr einfach Frölein Sophie sagen, und ja, dann soll ihr das Elsie halt in Gottsnamen so ein Pfaffenlied singen.

Das Elsie hat kaum Luft geholt und angefangen, da schiesst das Frölein ganz unkränklig schon wieder aus dem Bett auf, packt das Elsie am Ärmel und meint, es müess! umbedingt! sofort mit ins Musigzimmer kommen! Schleikt das Elsie hinter sich her, schletzt die Tür hinter sich zue und im Musigzimmer den Teckel vom Flügel auf und sich selber auf den Klavierschemel.

Und dann muess das Elsie weitersingen, alle Lieder, wo sie kennt, und das Frölein haut derzue mal forsch in die Tasten oder streichlet sie ganz zart, je nach dem, was das Elsie grad wie singt, und das Elsie hat wiederum das Gefühl, aus ihren Rippli lösten sich lauter Schneeflocken, wo in den Morgensonnenstrahlen verglitzern. Und dem Elsie wird es derbei derart warm, dass sie sicher ist, sie heig ihrer Lebtag bis itzt gefroren und ständig nur draussen stehen müessen.

Hinter der Musigzimmertür steht schon eine ebige Länge das Frölein Furrer und lost wie von Tonner und Toria getroffen zue. Erst wie es im Zimmer drinnen einen Moment lang ganz still wird und dann ein zweistimmiges Gegigele losgeht, macht sie die Tür auf, und da meint das Frölein Amalie-Sophie, sie seig itzt schon sehr müed und müess wieder ins Bett. Das Elsie dürfe die zwei Portionen ganz allein essen. Und das Frölein Furrer solle luegen, dass das Elsie am nächsten Vormittag wieder ein Stündli oder zwei Zeit heig, selber müesse sie ja auch Klavier üeben, und so sei das eine weniger leidige Angelegenheit, als allein immer die ebiggleichen Etüden ufen- und abenzuklimperen.

Und so darf das Elsie ab da den ganzen Sommer lang jeden Tag eine Stund lang mit dem Frölein Sophie singen, auch wie die schon ebigs wieder gesund und butzmunter ist.

Was es mit dem Fidlen auf sich hat

Je mehr gegen den Herbst zue das Frölein Sophie davon verzellt, wieder ins Pangsionat abzureisen, desto gschmucher wird es dem Elsie. Am Tag, wo sich das Frölein zur Abreise parat macht, hockt das Elsie in der Küche, poliert Silberlöffel mit Essig und macht einen derartigen Stein, dass die Köchin – und so öppis ist noch nie passiert! – dem Elsie über die Haare streicht und ihr sogar ein Stück Zopf mit Honig hinstellt. Um das summen dann bald ein paar Flügen.

Wie das Frölein Furrer in der Küche erscheint und meint, das Frölein Sophie warte in ihrer Chammer, schleicht das Elsie mit lampigem Chopf die Stege hoch. Immerhin muess sie nicht in das Musigzimmer. Singen, das hätte das Elsie an dem Tag nicht können. Es ist ihr, als hätte sie rostige Nägel verschluckt.

Das Frölein Sophie sitzt am Spiegeltisch und gseht ganz anders aus: mit Locken und der Perlenkette und einem Reisegwand mit Schnüertallie und einem Dekolltee, obwohl das Frölein Sophie noch gar kein rechtes Dekolltee hat. Und dermal sind es rötschige Backen unter bernsteinfarbigen Augen und bleiche Haut und schwarze Ringe unter blauen, wo sich im Spiegel treffen, und das Elsie findet, sie gsehe aus wie ein Herdöpfelsack.

Aber dann springt das Frölein Sophie auf und packt das Elsie an der Hand. Sie solle nicht so einen Stein machen! Es heig eine Überraschung! Im Musigzimmer!

Das Frölein Sophie heisst das Elsie auf den Flügelhocker absitzen und packt einen schwarzen kleinen Kasten mit Messingbeschlägen aus dem Schrank. Das Elsie darf die goldigen Beschläge aufmachen und den Teckel zruggschlagen – und dann lacht das Frölein, weil es dem Elsie derart die Luft verschlägt.

«Ich han noch nie öppis Schöners gseh», meint das Elsie nach einer Pause und legt eine Hand süferlig auf den schimmrigen Holzkörper von der Fidle, wo sich in violetten Sammet schmiegt.

Das Frölein Sophie zeigt dem Elsie, wie man die Fidle unter das Kinn klemmt, wie man sie stimmt und die Töne truckt. Wie der Bogen geharzt sein will und dass am sächsi z’Abig die Chilenglocken läuten und man diese Saite nach der hellen Glocke stimmen muess. Weil sie das Elsie nicht an den Flügel lassen könne, wenn sie weg sei. Da hätt der Vatter sicher keine Freud. Aber die Fidle, die stehe sowieso nur umen, obwohl es eigentlich eine richtig guete Fidle sei, eine Jakob Stainer, und der seig also berüehmt für seine Fidlen. Item, wenn sie well, dürfe das Elsie sie auslehnen und am Abig amigs üeben, bis sie im Winter wiederkomme.

Und itzt warte die Kutsche!

An dem Abig, endlich in ihrer Chammer, nimmt das Elsie ein Flannelllümpli und fährt jeder Maserung nach. Goldgelb glimmt das Instrument, wie das Bernsteinkreuz, wo dem Frölein Sophie manchmal auf dem Dekolltee hängt, und ocker, wie wenn der Jakob, der Rosschnecht, den Falben frisch gestrieglet hat. Aber am meisten, findet das Elsie, hat die Fidle genau die braunrotgoldige Farbe von den Augen vom Elsie seiner Muetter. Bevor sie angefangen hat, Bluet zu huesten und ihr ein Schleier über die Augen gewachsen ist und sie ganz den Geist aufgegeben hat und das Elsie ins Herrenhaus gekommen ist.

Es dauert eine geschlagene Woche, wo das Elsie jeden Abig mit der Fidle im Arm einschläft, bis sie sich endlich getraut, sie an ihr Kinn zu klemmen und auf die Glocke zu warten.

Wie sie dann den Bogen ansetzt, gibt es einen eisigen Ton, und die Welt gefriert. Vor Schreck lässt das Elsie fast den Bogen gheien. Aber wie der Ton verklingt, fehlt ihr schon öppis, und so streicht sie einen zweiten, sonnigen, dermit der erste, wohin der auch verklungen ist, dort nicht so muetterseelenallein umenschwingt. Und dann schickt sie einen ganzen Regenbogen hinterher und lacht, wie die Töne miteinander forthüpfen, bis hoch in die Chammer vom Frölein Furrer. Der säbeln sie einen Riss in die Kruste, sie löst sich den Haarchnopf und bindet sich ein Seidentuech um den Hals. Und dann geht sie, vom Elsie ihren Tönen umflatteret, ganz allein ins Wirtshaus. Und redet dort sogar mit einem Mann!

Im Studierzimmer streichen die Töne dem Diräkter über das Gesicht, und der legt seine Feder neben all die Faktura auf die Filzunterlage vom Pult, stützt seinen Chopf in die Hand, stiert aus dem Fenster in die Bläue und lässt einen Seufzger fahren. An dem Abig hat er zum ersten Mal seit langem nicht das tumme Gefühl, da sei ein Loch in seinem Bauch, wo er am besten mit einem ganzen Kalbskarree füllen müess. Und so kommt das Gesinde zu einem rechten Festmahl.

Von da an kann das Elsie es kaum mehr erwarten, nach dem Tagwerk zu der Fidle heimzukommen und die Töne Ringelreihen und Fangis spielen zu lassen, und bald langen Fangis und Ringelreihen nümen, und so passt das Elsie an einem Nachmittag, wo sie draussen öppis zu tue hat, genau auf, wo der Rosschnecht Jakob seinen Schlüsselbund aufhänkt. Später stiehlt sie tuschüst unter dem Frölein Furrer ihrer Nase ein paar Kerzen und hat nur wegen dem Frölein Sophie ganz kurz einen Zwack im Bauch, dort wo eben das schlechte Gewissen hockt.

An dem Abig schleicht sie sich in der Nacht in das Kellergewölbe unter dem Fuehrpark vom Herrenhaus, wo oben Kutschen umenstehen und rechts davon dem Fabrikdiräkter seine Falben und Rappen, und lässt, versteckt neben den Weinfässern, Regimenter mit schartigen Säbeln aufeinander los. Einmal gumpt sogar der Tod höchstpersönlich mit gezückter Sense aus der Fidle, und jedesmal, wenn er die Sense schwingt, gheit ein Ratz im Keller tot um.

Der Jakob wunderet sich dann amigs am nächsten Tag, wieso die Rösser so bös miteinander sind und nacheinander schnappen und einmal hat eins sogar eine Kolik.

Aber dass es plötzlich keine Ratzen im Hafer mehr hat, merkt er weniger, und dass der Wein sauer wird, schon gar nicht: Der Jakob trinkt eben heimlich nur öppendie den Schnaps aus dem Lager und gseht dann aus seiner Chammere über der Remonte spät in der Nacht, wie das Elsie mitsamt der Fidle in der Hand zrugg ins Herrenhaus schleicht. Der Jakob denkt dann amigs zwischen zwei Schlucken: Vögeli. Wie ein pringes, feines Vögeli flatteret das Meitli, und dass er gegen so ein Vögeli in seiner Chammere nüt einzuwenden hätte.

Das Elsie ist ein paar Jahr lang froh

Ein paar Wochen später, an einem Dunschtigmittag, das Elsie hockt nach der Morgenarbeit in der Küche und löfflet Hafergrütz, steht das Frölein Furrer da und meint: «Wegstellen, Hände waschen, wieder absitzen!» Sie nestlet zwei Couverts aus ihrem Rockschoss. Derbei wechslet ihre Miene von säuerlich zu gewichtig.

Auf beiden Couverts steht öppis, nur die erste Zeile unterscheidet sich, sovill kann das Elsie erkennen. Lesen kann sie nämlich nicht. Ein Couvert ist tünn und offen, eines tick und zue. «Für dich», meint das Frölein Furrer und gibt dem Elsie das zuene, mitsamt einem silbrigen Brieföffner.

Blatt um Blatt gheit heraus, mit Zeichnungen, wo das Elsie nicht versteht, Linien und Punkte mit Schwänzchen daran, und eins mit Geschriebenem.

Und dann zieht das Frölein Furrer ein Blatt aus ihrem eigenen Couvert und liest vor:

 

Chère Gouvernante,

es ist mein Wunsch, Elisabeth, in Diensten meines Vaters stehend, in ihrer Education musicale zu fördern. Veuillez deshalb, täglich nach ihrer Arbeit, dreissig Minuten sie unterweisen, zu Ihro bestem Vermögen, in Notation.

Je vous remercie,

Amalie-Sophie

 

Das Elsie verschrickt vor Freud. Endlich muess sie keine Hohlsäume mehr sticken! Chopfnüss bekommt sie auch keine mehr, derart schnell ist das Elsie im Notenlesen, einetweg im Lesenlernen. Das Frölein Furrer macht nur an den ersten Abigen einen Stein und dann, je mehr das Elsie spielt, immer weniger, bis sie sagt, sie heig ihr itzt alles beigebracht, was sie könne, und das seig leider nicht vill.

Da schreibt das Elsie halt selber kleine Lieder auf. Einmal in der Woche sitzt sie zu der Köchin in die Küche und spielt ihr von gesponnenem Zucker vor und von feinen Teigböden, tusigfach gefaltet, und die Köchin hockt sich vor die Gluet und verschränkt die Hände über dem Bauch und schleckt sich die Maulecken ab. Zum Dank knappst sie von ihrem Haushaltsgält Räppler für Briefmarken ab und steckt dann amigs den Brief mit den neuen Liedern vom Elsie in ihre Brusttasche, zum ihn am nächsten Tag am Morgen in aller Herrgottsfrüeh dem Pöstler für das Frölein Sophie mitzugeben.

Immer am Mittwuch kann das Elsie fast nicht einschlafen und wacht am Dunschtigmorgen noch vor dem Güggel auf und kann kaum recht polieren, sondern schleicht sich ständig ans Fenster, zum luegen, ob nicht die Postkutsche endlich um die Ecke biegt.

Wenn der Brief mit neuen Noten endlich da ist, schiebt sich das Elsie den Brief ins Dekolltee und poliert den ganzen Tag mit der neuen Welt auf der Brust und stiehlt jeden Dunschtig eine Kerze für eine lange Nacht im Fuehrparkkeller. Und wenn sie Zabig endlich wieder in ihrer Chammer ist, streicht sie jedes Blatt vom Brief glatt und schreibt es ab und bündlet die Blätter mit einem aus dem Nähzimmer gestohlenen rosaroten Bändel und benützt dann nur noch die abgeschriebenen Blätter zum Spielen, dermit ja die Originale nicht zerflätteren.

Das Frölein Sophie wird fast noch religiös

Wie das Frölein Sophie an den Wiehnachten wieder daheim ist und dem Elsie rüeft und sich ans Klavier setzt, fidlet das Elsie ihr ein Wiehnachtslied, dass dem Frölein Sophie das Christkind samt Heiligenschein und Stall vor Augen steht. Die heilige Maria wischt mit der Hand eine Flüge vom neuen Kind, und der Esel lupft den Schwanz und lässt Äpfel gheien. Es schmöckt sogar. Dem Frölein Sophie wird es gschmuch ums Herz, und sie grüblet darüber nach, ob eine ungebildete Magd von geschätzten zehn Jahren sie öppen doch noch zur Religion bringe: ein Meitli, wo derart spielt, dass einem Mist und Weihrauch in die Nase stechen, das kann nicht mit rechten Dingen zue- und hergehen!

Am Wiehnachtsabig, wo das Frölein Sophie mit ihrem Vatter und illustren Gästen im Salong sitzt und dort auf dem extra in den Salong gerollten Flügel der Gesellschaft artig Weihnachtslieder vorklimperet, gseht jedenfalls niemert einen goldigen Heiligenschein oder einen Esel, das merkt das Frölein Sophie genau. Und da vermisst sie plötzlich das Elsie, als hätt sie einen Schnitt in der Brust. Derbei hockt das Elsie nur zwei Stöcke tiefer in der Küche und isst wohl in Gänseschmalz geröstetes Brot.

Bald nach dem Silvester muess das Frölein Sophie wieder zrugg ins Pangsionat, aber das stört das Elsie lang nicht so wie beim ersten Mal, schliesslich wächst ihr Bündel an Noten jede Woche, bis das Frölein Sophie im Sommer wieder kommt, im Herbst wieder geht und daraufhin im Winter wieder kommt, und eigentlich spielt das Elsie sowieso fast lieber im Fuehrparkkeller für sich allein als mit dem Frölein am Flügel. Das Frölein klebt ihre Melodien nämlich immer so schwer an dem Elsie ihre Töne, als würd sie ihnen Chlumpfüess verpassen.

Worauf sich das Elsie aber immer freut, zwei recht kurze Jahre lang, in denen das Frölein Sophie kommt und wieder geht, ist die Post. Zueverlässig jeden Dunschtig schickt das Frölein Sophie Noten, und jeden Dunschtig steckt das Elsie sich die Blätter ins Dekolltee und freut sich wieder auf die ganz neue Welt, wo sich dann am Abig auftuet. Mit der Zeit merkt sie, wie ihr, sobald sie die Fidle in der Hand hält, auch Eigenes und noch vill Fremderes aus den Fingern bricht. Aber trotzdem treit sie jeden einzelnen Brief immer noch den ganzen Tag am Herzen.

Das Frölein Sophie hingegen kommt in ihrem Pangsionat aus dem Staunen nicht heraus und freut sich jedes Mal mehr auf die Ferien, weil Lieder und Musig einfach so selber erfinden und ganze Regimenter und den Tod persönlich herausholen und das Christkind mitsamt Heiligenschein fürenzauberen, das kann das Frölein Sophie beim ganzen federleichthändigen Flügelstreichlen eben nicht.

Drum meint das Frölein Sophie von Jahr zu Jahr dringender, sie well jetzt dem Elsie öppis richtig Guets tuen. Aber weil dem Frölein Sophie noch nie öppis Böses passiert ist, ist ihr Herz leider so weich und sonniggelb wie öppen weiche Butter.

Ein Herz wie weiche Butter

So ein Herz wie weiche Butter langt aber noch nicht zum Gueten – was soll denn öpper nur mit weicher Butter anfangen? Da müesst noch öppis derzue gerüehrt werden, ein paar Eier oder Mehl, und das Ganze ein paar Mal auf den Tisch gehauen und in den Ofen geschoben. Nur so wird aus pflüderweicher Butter am Schluss öppis Nahrhafts, wo mehr Menschen Freude daran haben als einzig der, dem das Herz flüssigwarm in der Brust verläuft. Aber dermit so ein Herz zu ein paar Eiern kommt, müessten Schalen vertätschen, und von so Eiern hat ein Töchterli von einem Diräkter, wo von der weiten Welt nur das Töchterpangsionat gesehen hat, eben wenig Ahnung.

Bald hat das Frölein Sophie Geburtstag, es gibt einen Ball im Herrenhaus, noch vor dem offiziellen Debütantinnenball in Zürich, und der Teufel soll sie holen, wenn sie nicht an ihrem eigenen Ball dem Comme-il-faut eine lange Nase trüllen kann! Und so befiehlt das Frölein Sophie mitten am Ballabig, wo die Musig spielt und sich blanke Arme an Uniformen schmiegen, eine Pause. Geht die grosse Stege hinauf und kommt mit dem Elsie am Arm – die hat ihre Fidle in der Hand und ein blaues Kleid an, ein altes vom Frölein Sophie – wieder herunter und sitzt an den Flügel.

Ins Staunen hinein erkennt eine Connaissance vom Frölein Sophie das Elsie und fisplet: «Unerhört! Eine tumme Magd! Spielt da mit dem Frölein Sophie!»

Die Herren sagen derweil nichts. Die schielen dem Frölein Sophie auf die Arme.

Wie das Elsie aber anfängt und öppis Trauriges spielt, da gerinnen den Damen die Fispeleien in den feinen Hälsen zu Klumpen, und mehr als eine ringt nach Luft. Bis das Elsie öppis Friedlicheres spielt; da schweben die Klumpen wie durchsichtige Tauben aus den gepudereten Hälsen zum Fenster hinaus, und die feinen Damen wundern sich, wie leicht ihnen wird. Und flügen bald wie Saublateren, wo man aufgeblasen hat, auf dem Parkett umenand und bekommen rötschige Backen.

Nur die Dienstmeitli, die sind später in der Küche ganz verhüehneret. Die eine verzellt der Köchin, sie heig plötzlich in einem Fenster eine Strasse gesehen, die heig in eine Stadt gefüehrt aus weissem Marmor mit goldigen Tächern. Fast aus dem Fenster gesprungen seig sie, derart heig es sie zu dieser Stadt hingezogen. Unheimlich seig das, sie well nümen in die grosse Halle.

«Tumms Züüg verzellst du», meint eine andere. Ob sie öppen nicht gesehen habe, wie sich bei einem Ton plötzlich ein Schatten komisch bewegt habe, und dann seig hinter dem Elsie ein Mann aus dem Boden gewachsen, mit einer scharfen Nase und einem tunkelblauen Rock, und der habe hinter ihr gfürchig gegrinst, und derhinter nur tüsterer Wald, wo man nie mehr herauskomme, und es seig so kalt geworden, dass sie gemeint habe, die Suppe gefriere in der Terrine.

Bis die Köchin rüeft: «Rueh!», und die Meitli könnten sich vor Tächern und tüsteren Bäumen fürchten, so lang sie wellen, aber ihre Kelle schaffe auch schöne tüstere Flecken auf der Haut, sie müessten nur weiter so einen Chabis verzellen!

Was die Dienstmeitli auch chiflen, die feinen Herren halten sich derweil nicht mit Gespinsten auf, die luegen lieber, sobald sie sich ihren Saublaterendamen entwinden können, wie dem dreizehnjährigen Elsie beim Spielen das Dekolltee immer rötschiger wird und wie sie den Hals hält beim Fidlen.

Das Frölein Furrer luegt auch wie vom Blitz getroffen auf das Elsie: die Ähnlichkeit! Das ist doch nicht möglich!, und luegt zum Diräkter. Tatsächlich klebt dem sein Blick dem Elsie auf dem Gesicht, und er merkt dabei gar nicht, wie er auf seinem Polstersessel in der Ecke umenrutscht. Das kann jetzt richtig guet herauskommen oder richtig scheps, aber wahrscheinlich eher scheps, denkt das Frölein Furrer und langt schnell am nächsten Stuehl echli Holz an.

Wenn das Frölein Sophie das mit dem Diräkter gemerkt hätte, wär sie villicht am Tag vor ihrer letzten Abreise ins Pangsionat nicht in ihrer ganzen Buttergüeti zu ihrem Vatter gegangen, um bei ihm zu meinen, das Elsie seig ein Ausnahmetalänt und komponiere und seig derbei eine einfache Magd. Und ob der Vatter nicht dem Elsie einen Platz an der Musigakademie in Floränz würd finanzieren, das seig doch eine kleine Investition. Er könne sich dann später, wenn das Elsie berühmt seig – und das werde sie sicher –, rüehmen, er seig der Entdecker gewesen.

Mit dieser Bitte ist dem Frölein Sophie fast schon die gesamte Buttergüeti aus dem Herz geflossen. Und eben: Wenn so Butter schmilzt, ohne dass öppis derzue kommt, gibt es am Schluss halt nur ein paar schmierige Tolggen, und diese Tolggen, die kleben am Schluss dann sicher nicht am Frölein Sophie. Und am Herrn Fabrikdiräkter grad schon gar nicht.

Der Fabrikdiräkter

«Söll halt emal vorstellig werden», hat der Diräkter zum Frölein Sophie gemeint, und dieses ist mit flügenden Rockschössen zum Elsie gesprungen und hat mit ihr einen Ringeltanz aufgeführt. Nach Floränz! An die Musigakademie! Und das Frölein Sophie komme mit und gehe dort an die Universität! «Und wir reisen den ganzen Weg zu zweit in der Kutsche!»

Der Diräkter hingegen, der ist in seinem Studierzimmer sitzen geblieben und hat geseufzget und die Ledermappe «Papiers 1869» zu sich gezogen und noch einmal über das Billet geluegt, wo das mit den Seidenraupen in Cevennes drinsteht, und dass immer noch niemert weiss, warum die reihenweise verräbeln, und auch nicht, wie lange die Deutschen und die Franzosen wohl noch gegeneinander chriegen, und wie lange die Plage von dem dritten Napoleon noch dauern soll oder ob die Preussen endlich mit dem aufräumen und die Handelswege für Stoffe wieder frei werden. Und dann noch das Papier über den hundsverreckten Hilaire de Chardonnet – schon der Name! –, wo an einer billigen Seide ganz aus Holz gefertigt arbeitet.

Am Schluss hat er eine zweite Ledermappe, die mit den Bilanzen, aufgemacht und rot gesehen und grad wieder zuegeschlagen und noch eine Milchmeitlirechnung erstellt, wie das gehen könnte, wenn er villicht die Arbeitszeiten wieder auf fünfzehn Stunden heben würde, aber im Glarnischen hat der Gewerkschaftsbund schon den Zwölfstundentag durchgesetzt, und man muess froh sein, wenn die Weber nicht streiken, und hätte ihn doch nur die Clara heiraten wollen.

Studieren in Floränz, und grad noch für die Magd die Akademie, und derbei bringt schon das Pangsionat den Haushalt an seine Grenzen! Und das, wo der Diräkter endlich das Gesicht von der Clara wiedersehen kann, das junge, nicht das spätere tätschmeisterig festere, wo ihn immer nur «Direkterchen» nennt, endlich die Clara mit den blaublitzigen Augen wiedersehen, der Diräkter lütet nach dem Frölein Furrer. Die Magd könne jetzt kommen.

Und so steht das Elsie echli später vor der Tür zum Zimmer mit dem Eichenholzboden und schwitzt und hat die ganze Zeit kaum schnaufen können vor lauter sich die Zuekunft vorstellen: Wie sie im Italienischen nüt anders macht, als den lieben, langen Tag fidlen und singen, und wie alle klatschen, genau wie vor zwei Tagen am Ball, und wie sie derzue schöne Gwänder an hat.

Das Elsie zupft sich das weisse Chrägli zurecht, huestet einmal und klopft leise an die Tür zum Studierzimmer.

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