Nagel & Kimche E-Book
Herausgegeben von Peter von Matt
ELLA MAILLART
Im Land der Sherpas
Herausgegeben und mit Anmerkungen von Pierre-François Mettan
Aus dem Französischen von Andrea Spingler
Mit einem Vorwort von Denis Bertholet
und
einem Nachwort von Felicitas Hoppe
Nagel & Kimche
Der Verlag dankt
Dieses Buch erscheint mit Unterstützung der ch Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit dank der Beteiligung aller 26 Kantone.
Zudem:
Titel der Originalausgabe: Au pays des Sherpas
© Editions Zoé (Text) / Musée de l’Élysée (Bilder) / Rechtsnachfolge Ella Maillart
1. Auflage 2018
© 2018 Nagel & Kimche in der MG Medien Verlags GmbH, München
Satz: Der Buchmacher Arthur Lenner, Windach
Umschlag: Hauptmann & Kompanie, Zürich, unter Verwendung von Fotos von © Image Source/Getty Images und © plainpicture/Mato/Francesco Tremolada
ISBN 978-3-312-01092-9
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Inhalt
Pierre-François Mettan: Einführung
Felicitas Hoppe: Zwischen Himmel und Erde Hockey spielen
Namaste, tachi delek,
grüßen die Nepalesen und sogar die Sherpas. Doch untereinander und nur untereinander sagen die Sherpas des Khumbu-Tals thangbu.
Daran erkennt man die «echten» Sherpas im Unterschied zu denen, die sich als solche ausgeben, obgleich sie Tibeter sind oder einer anderen nepalesischen Ethnie angehören.
Liebe Ella,
du hast Nepal kennengelernt, sobald es für ausländische Touristen geöffnet wurde, vor allem das Melamchi-Tal nördlich von Kathmandu. Diejenigen, die ich die «echten» nenne, die sich in der ganzen Welt einen Namen gemacht haben, das sind die Sherpas, die Alpinisten auf die großen Gipfel des Himalaya begleiten. Und fast alle stammen aus dem Distrikt Solu-Khumbu.
Die Sherpas sind Osttibeter. «Osten» heißt im Tibetischen shar, was die Sherpas aber wie sher aussprechen. Ihre Sprache ist ein tibetischer Dialekt, wie Nepali ein Dialekt des Hindi ist, und variiert von einem Tal zum andern, von einer Ethnie zur andern. Die Sherpas sind fröhliche Leute und nehmen das Leben von der guten Seite, immer zu einem Scherz aufgelegt und zum Lachen, auch über Späße, die auf ihre Kosten gehen. Sie sind aber ebenso, Frauen wie Männer, ernsthafte Menschen, auf die man sich verlassen kann. Als Buddhisten glauben sie an die Wiedergeburt. Und um in einem besseren Leben wiedergeboren zu werden, muss man für die anderen da sein und Pluspunkte sammeln, indem man sein Mitgefühl zeigt.
1954 hatten alle Europäer einen Sherpa als persönlichen Diener zur Verfügung. In einem Sturm auf 7.300 m Höhe, der so heftig blies, dass es schon eine Leistung war, sich auf den Beinen zu halten, weigerte sich mein Sherpa Tzong, bei Raymond Lambert, unserem Expeditionsführer, zu bleiben, und sagte zu mir: «Mit dir will ich gern sterben, wenn du aufsteigen willst, aber nicht mit den andern.» Raymond war der Ansicht, dass wir warten und in der Höhle von Lager 4 Schutz suchen sollten, wo wir geschlafen hatten. Wir könnten versuchen, am nächsten Tag zu klettern, wenn der Wind nachließe. Ich war von Lager 2 in einer einzigen Etappe aufgestiegen und schlug vor, wieder hinabzusteigen, um Platz zu machen und Butangas und Vorräte zu sparen. Tzong, stets sehr ergeben, wollte mit mir absteigen. Mir kamen die Tränen bei seiner Bemerkung, und ich fragte mich, warum will er mit mir sterben und nicht mit den anderen Expeditionsmitgliedern? In Kathmandu war er nämlich erst in letzter Minute engagiert worden. Raymond hatte für mich als Fotografen keinen Sherpa-Helfer vorgesehen, und es gab nicht genug Kleidung für die große Höhe. Ich hatte also meine Ausrüstung mit Tzong geteilt, daher seine Ergebenheit. Außerdem war er, auf über 6.000 m Höhe, der stärkste der Sherpas. Er wohnte im Dorf Khumjung, 3.800 m hoch, und war erst vor kurzem nach Kathmandu gekommen. Die anderen Sherpas wohnten alle seit langen Jahren in Darjeeling und hatten mehr Mühe, sich der großen Höhe anzupassen.
Im Melamchi-Tal, Helambu genannt, waren die Häuser gepflegter und sauberer als in den Tälern von Solu-Khumbu. Der Grund dafür ist sicherlich die Nähe der drei Städte in der Ebene von Kathmandu. Außerdem unterscheidet sich der Dialekt dieser Region von dem der Dörfer im Distrikt Solu-Khumbu. All diese Dialekte sind eng verwandt, und je höher man steigt, desto mehr vermischen sie sich mit der tibetischen Sprache. Im Helambu liegen die Dörfer zwischen 2.000 und 3.000 m hoch, genauso im Solu und im Pharak. Aber im Sar-Khumbu befinden sich die Dörfer auf 3.400 m (Namche Bazar) bis 4.200 m Höhe (Dingboche oder Pheriche). Je höher man kommt, desto härter und mühseliger wird das Leben der Bergbauern. Aus diesem Grund sind die jungen Sherpas damals nach Darjeeling ausgewandert, als die Teeplantagen Arbeit boten. Später haben die Engländer und dann die Deutschen für die großen Expeditionen Träger engagiert, Tibeter und Sherpas, die sich als die besten erwiesen haben. Die Sherpas sind die gewandteren Bergsteiger und fürchten sich weniger vor steilen Hängen. Außerdem haben sie ein entspannteres Verhältnis zu den bösen Dämonen, den Schutzgeistern der Gottheiten, die auf den hohen Gipfeln wohnen.
Ella, wir beide haben eine große Abenteuerlust geteilt, diese Lust hat uns verbunden. Du wolltest anderen Menschen begegnen, die wir nicht kannten, ich wollte neue Berge entdecken. Dann liebte ich, wie du, die Menschen, die diese Berge bewohnten, und du die Berge und die Gläubigkeit, die in ihnen beheimatet waren.
Denis Bertholet
Orsières, September 2016
Denis Bertholet, geboren 1929, besuchte Nepal zum ersten Mal 1954 mit Raymond Lambert, der ihn für die Expedition zum Cho Oyu als Fotografen gewonnen hatte. Er machte Karriere als Führer und Fotograf und reiste wiederholt nach Nepal; er heiratete eine Sherpani und spricht ein wenig Nepali und Sherpa. Er ist der Autor mehrerer Bücher und Filme über Skifahren und Bergsteigen und der Gründer von Luklass, einem Verein zur Förderung des Schulunterrichts für Kinder und der nachhaltigen Entwicklung im Khumbu-Tal. Dank des Vereins gehen heute 700 Kinder in die Schule. Ella Maillart hat er gut gekannt und ist oft mit ihr Ski gefahren.
Sehenswert ist der Film von Jean-Henry Papilloud und Sophia Cantinotti: Denis Bertholet, des traces dans la montagne, Société d’histoire du Valais, 2013.
Die unbekannten Welten des inneren Lebens
«Ich bin überall auf der Suche nach dem Geheimnis solch aufrechter Menschen, für die ein klarer Himmel genügt, um sie glücklich zu machen. Nur eine Rückkehr zu ihrer Lebensweise kann uns aus der Sackgasse herausbringen, in der wir herumstolpern.»
(Ella Maillart, Des monts célestes aux sables rouges, 1934; dt. Turkestan Solo)
Auf der ersten Seite eines Notizbuchs schreibt Ella Maillart am 25. April 1947 in Lyon, auf dem Weg nach Marokko: