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Dates und andere Illusionen

Als Buch hier erhältlich:

hier erhältlich:

Kann man sich verlieben, wenn man immer nur so tut, als ob?

Die schon immer alleinstehende Sophie ist auf der Suche nach Liebe. Während ihre Freunde sich niederlassen und ihre Familie ihr Druck macht, endlich den Richtigen zu finden, scheint ihre anonyme Kolumne über Beziehungen erfolgreicher zu sein als ihr tatsächliches Liebesleben. Aber jetzt, da die Hochzeit ihrer Schwester bevorsteht, ist sie fest entschlossen, nicht allein zu erscheinen - und wenn sie ihren Seelenverwandten nicht rechtzeitig findet, muss sie ihn eben vortäuschen.


  • Erscheinungstag: 21.05.2024
  • Seitenanzahl: 416
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365005842

Leseprobe

Für Aimee – auf all die Frösche, die wir auf der Suche nach dem Traumprinzen schon geküsst haben

Profil ändern

Sophie, 25

Marketingassistentin bei lokaler Zeitung

Über mich

Mal ehrlich, du hast doch schon bei meinem ersten Foto entschieden, ob du nach rechts wischst oder nicht. Ich schwöre, es handelt sich um ein aktuelles Foto. Allerdings kann ich nicht schwören, dass ich direkt nach dem Aufwachen so aussehe, somit solltest du deine Erwartungen besser ein bisschen runterschrauben.

Meine Daten

Größe: 1,73

Aktiv: Manchmal

Sternzeichen: Waage

Hochschulabschluss

Trinke: Häufig

Rauche: Nie

Suche: Beziehung

Meine Interessen

Fotografie

Burlesque-Tanz

Museen und Galerien

Indie-Musik

Städtereisen

Das perfekte erste Date …

… sich als einheimische Touristen bei einem Picknick im Park treffen

Bewertung einer Freundin

Sophie, du hast eine einzige Burlesque-Tanzstunde besucht, das zählt wirklich nicht. Wenn überhaupt, dann tanzt du mal unter der Dusche, weil du versuchst, dir die Kniekehlen zu rasieren. Was soll das heißen? Hast du dir tatsächlich eine andere Bewertung von mir erhofft? – Meine beste Freundin.

Ich habe noch nie …

… eine Langzeitbeziehung geführt.

Single, Swipe, Repeat

Ich weiß ja, dass die ganze Sache reiner Kommerz ist … aber ich will einfach jemanden lieben.

Überlegungen zum Valentinstag von unserer Dating- und Beziehungskolumnistin
Veröffentlicht am Freitag, 26. Februar

Wie viele Singles auf der ganzen Welt habe ich dieses Jahr den Valentinstag mit den Menschen verbracht, die ich am meisten liebe: mit meinen Freunden.

Natürlich nicht von Angesicht zu Angesicht. Nicht einmal über Zoom oder FaceTime.

Nein, ich habe den Valentinstag damit verbracht, meine Freunde in den sozialen Medien zu stalken und mich über jeden einzelnen rosafarbenen, kitschig-romantisch klingenden Post aufzuregen, während meine Seele zusammenschrumpfte vor Neid und aus Angst, für immer allein zu bleiben.

Eine sehr reale Angst, die auch immer ganz schnell in mir aufkeimt, wenn ich meine in glücklichen Beziehungen lebenden Geschwister treffe.

Eine sehr reale Angst, an die mich meine ahnungslosen Freunde jedes Mal erinnern, wenn sie mich nach meinen Dates fragen und ich antworten muss, dass ich geghostet worden bin – wieder einmal.

Jedenfalls haben meine Freunde den Valentinstag allem Anschein nach spektakulär gefeiert. Eine bekam von ihrem Freund einen Hund geschenkt – einen Hund! Einer anderen wurde in dem Restaurant, in dem sie und ihr Liebster schon so manchen Jahrestag gefeiert haben, ein Heiratsantrag gemacht. Einige verbrachten einen gemütlichen Abend zu Hause, allerdings konnte man auf den Fotos mit Leichtigkeit Vasen voller Rosen und glitzernde Schmuckstücke erkennen. Andere machten einen spontanen Ausflug nach Cornwall, um dann Unmengen von zuckersüßen Urlaubsfotos des ach so glücklichen Paares hochzuladen.

Hier die vollständige Offenlegung, liebe LeserInnen: Ich liebe meine Freundinnen, und ich gönne ihnen ihr Glück. An jedem anderen Tag greift es mich nicht ganz so an, sie mit ihren Partnern in den sozialen Medien zu sehen – doch am Valentinstag bestellte ich Essen bei meinem Lieblingsimbiss, öffnete eine Flasche Wein und zerging in Selbstmitleid, gegen das nicht mal ein Serienmarathon mit den Gilmore Girls etwas ausrichten konnte.

An jedem Valentinstag werde ich mit erfolgreichen Liebesgeschichten zugeschüttet, die es mir unmöglich machen, die bittere Wahrheit zu ignorieren: dass ich vollkommen allein bin.

Und obwohl ich natürlich weiß, dass es sich bei diesem Tag um eine rein kommerzielle Veranstaltung handelt, eine Masche, um Schmuck, Pralinen und Two-For-One-Kinokarten zu verkaufen, muss ich mir jedes Mal Folgendes eingestehen: Ich möchte einfach jemanden lieben.

März

Lenas und Johnnys Verlobungsfeier

Liebe Sophie,

du bist herzlich eingeladen, mit uns die Verlobung von Helena Rose Shelton und Jonathan Edward Richards im Eden View Plaza Hotel am Sonntag, dem 14. März, um 11 Uhr, zu feiern.

Die Geschenkeliste findest du unter:

http://bit.ly/HandJwedding

Wir freuen uns darauf, dich zu sehen!

1. KAPITEL

»Allein hier?«

Ich bin versucht, mich überrascht umzublicken und ihr ins Gesicht zu sagen: »Also so was. Ha, scheint fast so«, allerdings bin ich gerade erst angekommen und will mich nicht schon in der ersten Sekunde zum Trottel machen.

Zumindest nicht, bevor ich ein paar Mimosas getrunken habe, auf die ich mein unhöfliches Verhalten schieben kann.

»Ja.« Ich lächle Lenas Mutter freundlich an. Bisher habe ich sie nur zweimal getroffen: einmal bei der Abschlussfeier der Uni und das zweite Mal vor ein paar Monaten, als ich Lena nach ihrer Herzoperation besuchte.

Ich schätze also, sie weiß über mich genauso Bescheid wie ich über sie: überwiegend aus zweiter Hand und weil wir ab und zu in Lenas sozialen Medien auftauchen. Ich frage mich, was genau sie über mich gehört hat, und beschließe, ihr die Frage, ob ich allein hier bin, zunächst einmal durchgehen zu lassen.

Doch nun schnalzt sie mit der Zunge und tätschelt mir mit einem Mitgefühl, um das sie niemand gebeten hat, den Arm.

»Helena erwähnte, dass du Probleme hast, jemanden kennenzulernen. Wie schade.«

Ein Muskel in meinem Gesicht zuckt, mein Lächeln wirkt angestrengt.

Ich habe Probleme, jemanden kennenzulernen? Hat meine Freundin das wirklich so gesagt, oder ist es etwas, das ihre Mutter aus dem Gespräch herausgehört hat? Nein, Lena wird sich bestimmt nicht so ausgedrückt haben, denn sie hört sich liebend gern Anekdoten über meine Dates an, die ich im Übrigen genauso gern erzähle.

»Im Gegensatz zu meiner Lena«, fährt Mrs. Shelton fort, mit diesem »Ich bin so eine stolze Mutter, aber wenn ich bescheiden genug lächle, können wir beide so tun, als würde ich nicht schrecklich angeben«-Lächeln.

»Meine Güte, sie hat so ein Glück mit Johnny, nicht wahr? Da lernen sich die beiden am ersten Tag an der Uni kennen, und jetzt sind sie verlobt! Einfach wunderbar, oder? Oh, ist das dein Geschenk?«

Ihr Blick fällt auf die Karte in meiner Hand, was mir kaum Zeit lässt, mich von meinem emotionalen Schleudertrauma zu erholen. Und weil Lenas Mutter so ist, wie sie ist, wirkt sie ein bisschen brüskiert darüber, dass ich nur eine Karte dabei habe und nicht etwa den Pizzaofen, der auf der Geschenkeliste stand.

(Jetzt mal ehrlich, eine Geschenkeliste für eine Verlobungsfeier! Macht man das heutzutage so? Ist das wirklich noch dieselbe Lena, die zu unseren einundzwanzigsten Geburtstagen zwei Esel adoptiert hat?)

Sie blinzelt, und dann, als sie mein Outfit sehr langsam und sehr kritisch unter die Lupe nimmt, wird ihr Gesichtsausdruck regelrecht verächtlich. Ich verlagere mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Obwohl ich den Raum noch nicht einmal richtig betreten habe, weiß ich bereits, dass ich falschliege: Mein schwingender grüner Midirock und das weiße T-Shirt sind viel zu leger verglichen mit den Cocktailkleidern und Anzügen der anderen; ich trage mein dunkles, schulterlanges Haar heute auch eher natürlich und frage mich, ob das ebenfalls ein Fehler war. Vielleicht hätte ich mir die Mühe machen sollen, es einzudrehen oder elegant hochzustecken? Mrs. Sheltons Blick verweilt kurz auf der Schramme an der Spitze meiner Stiefelette, und ich räuspere mich, um ihre Aufmerksamkeit davon abzulenken. Ich sollte jetzt besser mein Geschenk überreichen und die Sache hinter mich bringen.

Beharrlich weiter lächelnd gebe ich ihr die kleine Karte, die sie auf den Geschenktisch legt, den sie zu bewachen scheint.

Gut, »bewachen« mag ein bisschen übertrieben sein, doch Mrs. Shelton erinnert mich tatsächlich an einen Drachen, der seine Beute abschirmt, nicht zuletzt wegen des grellen burgunderroten Zweiteilers in Krokodillederoptik, den sie trägt.

»Das ist ein Geschenkgutschein für eine Maniküre«, erläutere ich unwillkürlich. »Ich fand, das wäre eine gute Idee für die Hochzeit. Oder auch für vorher, damit sie ihren Verlobungsring richtig zur Geltung bringen kann.«

»Oh!« Plötzlich beginnt sie breit zu lächeln. »Donnerwetter, das ist wirklich sehr aufmerksam! Gut gemacht! Oh, einen Moment, Sophie, da kommen gerade Johnnys Großtante und Onkel, ich muss mal eben …«

Sie ist weg, noch bevor sie ihren Satz zu Ende gesprochen hat. Ich atme erleichtert auf und schnappe mir einen Mimosa von einem vorbeikommenden Tablett.

Es fällt mir nicht leicht, das Glas nicht auf einen Zug zu leeren.

Stattdessen nehme ich einen zurückhaltenden (aber doch großen) Schluck und lasse den Blick durch den Raum schweifen.

Was für ein Veranstaltungsort! Beim Eden View Plaza handelt es sich um eines dieser schicken Boutiquehotels im Stadtzentrum mit einem schönen Wintergarten. Es gibt geschmackvoll arrangierte Blumensträuße, ein paar Tische und Stühle und Kellner, die mit Tabletts voller Canapés und Getränken herumlaufen. Es sieht edel und schön aus. Der einzige (echte) Dämpfer für die Party ist die Tatsache, dass sie nicht draußen stattfinden kann, weil es gerade in Strömen regnet.

Die Veranstaltung ist größer, als ich erwartet habe. Ich war noch nicht auf vielen Verlobungspartys – drei, glaube ich? Vielleicht auch zwei? – aber das hier wirkt schon ein bisschen überzogen. Eigentlich wirkt es sogar sehr überzogen. Als sich meine Stiefschwester Jessica letztes Jahr verlobt hat, haben wir einen Familienausflug in unser Lieblingsrestaurant gemacht. Und es gab definitiv keine Geschenkeliste zu diesem Anlass.

Vielleicht aber sind die beiden inzwischen ein Paar, das nun grundsätzlich überzogen lebt. Johnny hat Lena am Valentinstag zu einem spontanen Wochenendausflug eingeladen – und dabei hat Lena den Valentinstag bisher immer als Unsinn abgetan. Was sich wahrscheinlich ändert, wenn dein Freund ausgerechnet diesen Tag für den Heiratsantrag auswählt.

Wie es scheint, haben Lena und Johnny ihre Familien und zudem jede Menge Freunde zu der Verlobungsfeier eingeladen. Ich kenne ein paar Gesichter von ihren Instagram-Accounts und entdecke einige unserer gemeinsamen Freunde.

Und schließlich auch das glückliche Paar selbst.

Mit der freien Hand winkend, um die beiden auf mich aufmerksam zu machen, bevor jemand anderes es tut, bahne ich mir einen Weg zu ihnen.

»Lena!«, rufe ich.

Sie drehen sich um – genauso wie ein paar andere Leute –, und Lena grinst mich mit ihrer kleinen Zahnlücke an, hüpft auf die Zehenspitzen und wirft die Arme um mich, kaum dass ich dafür nahe genug bin.

»Ich bin so froh, dass du kommen konntest!«

Ich umarme auch Johnny und sage zu beiden: »Herzlichen Glückwunsch! Ich freue mich so sehr für euch. Und danke für die Einladung.«

Nun ist es ja nicht so, als hätte ich seit seinem Heiratsantrag vor einem Monat keinen Kontakt mit ihnen gehabt, und deswegen weiß ich nicht, was noch zu sagen wäre. Soll ich alles wiederholen, was ich bereits über WhatsApp und auf ihrer Instagram-Seite geschrieben habe?

Ich begnüge mich damit, nach Lenas Hand zu greifen und zu sagen: »Dann zeig mal her«, so wie ich es immer in Filmen sehe.

Sie kichert, lässt mich gewähren und dreht dann die Finger hin und her, um den funkelnden Diamanten an ihrer linken Hand besser zur Geltung zu bringen. Es ist wirklich ein wunderschöner Ring; Johnny kennt ihren Geschmack gut. Er strahlt so hell, dass die Fotos, die sie uns geschickt hat, dagegen vollkommen verblassen.

Johnny macht sich auf den Weg, um einige seiner Freunde zu begrüßen, während Lena mir alles über den Ring und das Valentinswochenende erzählt, vor allem, wie überrascht sie war, dann umarmt sie mich noch einmal ganz fest und sagt: »Oh, es ist so schön, dich zu sehen, Soph! Ich hoffe, du musstest nicht allzu früh aufstehen, um den Zug zu erreichen.«

»Ich wäre auch die ganze Nacht Zug gefahren, um rechtzeitig hier zu sein«, scherze ich, obwohl ich es eigentlich ernst meine. Seit wann ist es so schwierig und erfordert so viel Vorausplanung, sich mit seinen Freunden zu treffen? Wenn ich mich mit mehr als einer Freundin gleichzeitig verabreden will, brauchen wir ungelogen mindestens fünf Monate Vorlauf, um unsere Zeitpläne miteinander abzustimmen. Ich vermisse die spontanen Nachmittage unserer Studienzeit, an denen wir in den Geschäften herumgelungert haben, oder die Sommer, in denen es einfach hieß: »Hey, ich bin auf dem Weg zu dir! Lass uns was machen!«

Das sage ich Lena jetzt, und sie lacht.

»Vielleicht müssen wir uns alle öfter verloben, dann haben wir immer einen guten Grund, uns zu treffen!«

Obwohl ich mitlache, kribbelt etwas unangenehm über meine Haut und legt sich dann schwer auf meine Brust. Erst einen Moment später wird mir klar, was es ist: Panik; es ist die Erkenntnis, dass meine Freunde sich vielleicht nicht mehr die Mühe machen werden, mich zu besuchen, wenn es keinen guten Grund dafür gibt, wie zum Beispiel eine Verlobung – wonach es in nächster Zeit nicht aussieht.

Das spreche ich natürlich nicht laut aus, denn heute ist Lenas Tag, und ich werde sicher nicht diejenige sein, die alle anderen mit herunterziehen muss, nur weil sie keinen Freund hat.

Anscheinend spürt Lena, dass mit mir etwas nicht stimmt, denn sie wechselt schnell das Thema, packt mich am Arm und beugt sich schaudernd zu mir.

»Ich habe gesehen, wie meine Mutter dich belagert hat. Ich sage ihr immer wieder, dass sie nicht jeden verbal angreifen soll, der reinkommt, aber …« Sie verdreht die Augen. »Sie hat sich hoffentlich nicht über dein Outfit lustig gemacht, oder?«

Uff, autsch.

Aber ich weiß, dass Lena es nicht böse meint und dass ich auch in einem schäbigen alten Pyjama hätte erscheinen können, Hauptsache, ich bin hier, um mit ihr zu feiern, und deswegen lache ich und drücke ihre Hand. »Ehrlich, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Sie heißt nur die Leute auf der Feier willkommen. So kann sie wenigstens nichts Schlimmeres anstellen, stimmt’s?«

»Hmm.« Sie schürzt die Lippen lange genug, um mir einen ganz und gar nicht überzeugten Blick zuzuwerfen, beginnt dann aber wieder zu lachen und zu strahlen. Und sie strahlt wirklich: Sie leuchtet und funkelt auch ohne den Diamantring an ihrem Finger. Sie ist so offensichtlich glücklich, so verliebt, so zufrieden mit ihrem Leben, dass man es unmöglich übersehen kann.

Das will ich auch.

Es ist dieses kleine, vertraute Aufflackern von Neid, das Gleiche, das ich spüre, wenn jemand über seine Beförderung oder einen fabelhaften, sonnigen Urlaub postet, während ich im Büro festsitze.

Ich will, was du hast. Ich möchte auch dieses Gefühl spüren, alles zu haben.

Es ist einfach so verdammt erbärmlich, Single zu sein. Wenn ich sehe, wie meine Freunde sesshaft werden, sich verloben, eine Hypothek aufnehmen, sogar darüber nachdenken, Kinder zu bekommen oder sich ein Haustier anzuschaffen … Ich freue mich natürlich für sie, natürlich, aber jedes Mal, wenn sie mir irgendwelche guten Neuigkeiten mitteilen, fühle ich mich ein bisschen mehr von ihnen entfremdet. Beiseitegeschoben, vergessen, etwas weniger wichtig in ihrem Leben.

Ich bin einsam. Ich weiß genau, warum niemand Single sein will.

Ich wünschte, ich hätte, was sie alle haben. Ich wünsche mir einen Freund – und es ist wirklich nicht so, dass ich mich nicht bemühe. Und ich wünschte, dass die Leute, wenn sie mich fragen, wie es um mein Liebesleben steht und ob ich schon einen Partner gefunden habe, nicht immer so mitleidig schauen würden.

Als ob ich nicht schon genug Mitleid mit mir selbst hätte.

Lena blickt durch den Raum zu Johnny, der sich gerade mit ein paar älteren Familienmitgliedern unterhält, und ich denke: Und auch das will ich. Ich will dieses Gefühl, und ich will jemanden, mit dem ich es teilen kann. Es spielt keine Rolle, dass er sie in diesem Moment nicht wahrnimmt, denn er gehört zu ihr, und sie weiß, dass er da ist, wenn sie ihn braucht, ihre Leben sind inzwischen dermaßen miteinander verwoben, dass sie einander genauso gut kennen wie sich selbst.

Ich hasse das Gefühl, neidisch auf meine Freunde zu sein. Das will ich nicht.

»Ich freue mich so sehr für dich, Lena«, sage ich und meine es ernst. Mit meinem Mimosa stoße ich zart gegen ihr Sektglas und trinke einen Schluck.

»Danke. Aber …«

Aber? Es gibt ein Aber! Gott sei Dank. Sieht so aus, als ob das Gras auf der anderen Seite doch nicht immer grüner ist und …

»Aber würde es dir etwas ausmachen, mich nicht mehr Lena zu nennen? Es ist so, dass Johnnys Familie … sehr traditionell ist und Spitznamen nicht besonders mag.«

Fast hätte ich meinen Mimosa über sie gespuckt.

Doch in letzter Sekunde fange ich mich, schlage die Hand vor den Mund und versuche zu schlucken, huste dann jedoch so stark, dass mir etwas Mimosa übers Kinn läuft. Lena muss mir auf die Schulter klopfen, während alle Gäste mich anstarren, weil ich so eine Szene mache.

Sehr gut, Sophie. Du bist ein wahres Vorzeigemodell an Gelassenheit und Anmut.

Lena fördert ein paar Papierservietten zutage (so edel, dass ich zuerst denke, sie seien aus Stoff, aber wie sich herausstellt, sind sie lediglich zehnlagig und zum Wegwerfen), und tupft mein Kinn und meinen Hals ab, als wäre ich ein Kind. Irgendwie bringt mich das sehr in Verlegenheit, und das, obwohl ich ihr damals nach ihrer Operation beim Baden helfen musste, da Johnny eine Woche auf Geschäftsreise war und ihre Eltern Urlaub machten. Meine Wangen stehen in Flammen, als Dutzende Blicke sich in meine Haut brennen.

»Du hast hoffentlich nichts abgekriegt, oder?«

Lena schaut gar nicht auf ihr hübsches weißes Teekleid, um sich zu vergewissern, sondern winkt nur ab. Sie ruft einen Kellner herbei und tauscht die Servietten gegen ein Glas Wasser aus, das sie mir reicht. »Ist schon gut. Alles in Ordnung?«

»Ja, ja, es tut mir leid, du hast nur gerade … Ist das dein Ernst?«

»Was?«

»Dass ich dich nicht mehr ›Lena‹ nennen soll? Weil Johnnys Familie keine Spitznamen mag?«

Sie blinzelt mich aufgeschreckt an, zu überrascht, um überhaupt etwas zu sagen.

»Johnnys Familie«, wiederhole ich.

»Ja.«

»Johnnys

Sie schnaubt ein bisschen, auf ihrem Gesicht zeichnet sich eine Mischung aus Verlegenheit und Verärgerung ab, wobei ich nicht weiß, ob ich oder ihre künftigen Schwiegereltern das zu verantworten haben. »Es ist nur so, du weißt schon. Sie sind sehr … etepetete.«

Ja, ich weiß. Johnny kommt aus gutem Hause. Als Johnny studierte, hat ihn die Idee eines Überziehungskredits völlig verdutzt, denn seine Eltern besitzen Immobilien. Und zwar mehrere. Darunter auch Ferienhäuser – wieder im Plural. Es gibt Gerüchte, dass eine von Johnnys Tanten Prinz William und Kate kennt. Johnny hat ein Familienwappen mit einem lateinischen Motto drauf.

Das ist allerdings nicht der Grund für meine Verwirrung.

»Johnny ist ein verdammter Spitzname, Lena.«

Sie hält inne. »Oh. Da hast du irgendwie recht.«

Das kann doch nicht ihr Ernst sein. Es kann doch nicht das erste Mal sein, dass ihr dieser Gedanke kommt.

Was aber offensichtlich der Fall ist, was wiederum bedeutet, dass ich es nicht hätte sagen sollen.

Wenn ich schon mal dabei bin, könnte ich eigentlich auch gleich noch darauf hinweisen, dass der Link, den sie für ihre Geschenkeliste erstellt haben, »HandJ« lautet, was für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr nach »Handjob« klingt.

»Lena ist aber ein eher moderner Name, nehme ich an«, sagt sie, wobei ihr Ton etwas gereizt und defensiv klingt. »Und bei der Arbeit heiße ich Helena. Es ist ja nicht so, dass mich alle Lena nennen.«

»Oh ja. Ja, ich weiß.« Shit, shit, shit. Wo ist die Strg+Z-Taste für das echte Leben? »Nein, ich verstehe dich schon. Helena. Ich werde es mir merken.«

Helena lächelt mich an, aber es wirkt ein bisschen angestrengt, ein klares Zeichen dafür, dass es an der Zeit ist, mich zurückzuziehen, bevor ich sie und ihren Bräutigam versehentlich noch weiter beleidige. Ich umarme sie und gratuliere ihr noch einmal, denn auf diese Art sollte man ein Gespräch mit der künftigen Braut auf ihrer Verlobungsfeier beenden, und sie entschuldigt sich mit den Worten, dass gerade ihre Cousins gekommen wären und sie mit ihnen sprechen müsse, was mir nur recht ist.

Ich kann mich gar nicht schnell genug aus dem Staub machen.

2. KAPITEL

Die Ehrenwerte Lady Helena mag den Mimosa-Zwischenfall unbeschadet überstanden haben, aber ich nicht, wie ich auf der Damentoilette schnell bemerke. Mein Oberteil ist mit Orangensaft besudelt, und mein Gesicht, mein Hals und meine Hände sind klebrig. An dem Ärmel der Hand, mit der ich mir den Mund zugehalten habe, ist ein großer nasser Fleck zu sehen.

Ich verbringe eine Weile auf der Toilette damit, den Ärmel mit Wasser und Seife abzuschrubben und ihn dann unter den Händetrockner zu halten. Wenigstens habe ich einen guten Grund, mich für eine Weile zu verstecken.

Leider ist es so: Wenn meine Freunde in ihrem Leben all diese konventionellen Meilensteine erreichen, befürchte ich immer, das Falsche zu sagen. Ich habe schon jetzt Angst vor der ersten Freundin, die ein Baby bekommt, weil ich niemanden mit Kindern kenne und somit nicht weiß, was momentan »angesagt« ist. Ich weiß nicht, wie viel ich auf Hochzeiten trinken – oder nicht trinken – soll, und ob ich mich unter die Leute mischen oder mich an die halten soll, die ich kenne. Wenn jemand ein Haus kauft, schenkt man ihm dann Tassen und Kerzen – oder eben nicht, weil das alle machen, andererseits: Kann man jemals zu viele Tassen oder Kerzen besitzen? Und sollte man fragen, ob man das Haus besichtigen darf, oder ist das unhöflich? Ist nicht zu fragen womöglich noch unhöflicher, weil man völlig desinteressiert wirkt?

Ich habe auf die harte Tour gelernt, dass man niemals etwas Negatives über die Lebensgefährten seiner Freunde äußern darf. Zumindest nicht direkt. Magda beispielsweise, einer Arbeitskollegin in meinem ersten Job nach der Uni, wollte ich den Rücken stärken, als sie eine schwere Zeit mit ihrem Freund durchlebte, also schimpfte ich über ihn, doch dann kamen die beiden wieder zusammen, woraufhin sie fand, sie könne nicht mehr mit mir reden, weil ich so eine schlechte Meinung von ihm hätte, und das war das Ende unserer Freundschaft.

Ich mag Johnny, nur um das mal festzuhalten.

Aber bitte, es ist ihr Name! Wenn sie Lena heißen will, was kümmert es seine Familie? Und wenn die sich schon in so einfache Dinge einmischt, wie sieht es dann mit dem Rest ihres Lebens aus? Was hält eigentlich Johnny davon – lässt er sich von seiner Familie auf der Nase herumtanzen? Unterstützt er Lena in dem, was ihr wichtig ist? Denn das sollte er verdammt noch mal tun. Ob sie sich ihrer Sache wirklich sicher ist?

Nur kann man so etwas natürlich nicht sagen, nicht einmal einer seiner besten Freundinnen, und schon gar nicht auf deren Verlobungsfeier.

Andererseits geht es nur um einen Namen, und wenn es sie nicht stört, warum sollte es mich dann stören? Wer bin ich, dass ich hier Volksreden halte, obwohl man mich nicht einmal nach meiner Meinung gefragt hat?

Um mich abzulenken (und weil ich jemandem schreiben will, der nicht hier ist, damit ich meiner Empörung Luft machen kann), hole ich mein Handy hervor. Ablenkung wird mir genug geboten, ich habe einige Benachrichtigungen aufzuholen.

So wie es aussieht, explodiert gerade der Familien-Gruppen-Chat. Meine Stiefschwester Jessica war heute mit ihrer großen Schwester Nadine beim Blumenhändler, und da ihre Mutter – meine Ex-Stiefmutter Camilla – nicht dabei sein konnte, haben sie den Chat mit Fotos und Kommentaren geflutet. Dad hat sich auch ein paarmal zu Wort gemeldet, wobei er praktisch alles mit »Das ist hübsch« kommentiert hat. Leise schnaubend stelle ich mir vor, wie aufgeregt Jessica sein muss. Sie nimmt die Hochzeitsplanung sehr ernst. Ich glaube, so ernst habe ich sie seit dem Tag der Abiturprüfungen nicht mehr gesehen oder seit dem Morgen, an dem sie versucht hat, Karten für die Tour der Jonas Brothers zu bekommen.

Es sind so viele Nachrichten, dass ich sie nur überfliege. Mir fällt eine von Camilla auf, in der es um die Anprobe der Brautjungfernkleider am nächsten Wochenende geht, falls das für uns alle passe.

Und Nadine antwortete, dass sie dort anrufen wird, um den Termin zu vereinbaren, denn ich hätte ja auf jeden Fall Zeit.

Verärgert starre ich auf die Nachricht.

Ich meine, ich habe tatsächlich Zeit. Aber es kommt mir ein bisschen absurd vor, dass sie einfach davon ausgehen. Liegt es daran, dass ich keinen Freund habe, mit dem ich Pläne machen könnte? Schon gar keine Hochzeitspläne?

Ich könnte durchaus etwas vorhaben.

Doch dann gebe ich mich seufzend geschlagen. Wie es aussieht, habe ich ab sofort definitiv etwas vor.

Da ist auch eine Nachricht von Duncan, meinem besten Freund bei der Lokalzeitung, für die ich arbeite. Er ist ebenfalls bedauernswerter Dauersingle. Er hat mir einen Screenshot mit einigen begeisterten Kommentaren zu meinem anonymen (und zugegebenermaßen etwas bissigen) Valentinstagartikel geschickt, zusammen mit einer »Ich hab’s dir doch gesagt«-Nachricht, und er gratuliert mir noch einmal dazu, dass ich ab sofort eine regelmäßige monatliche Kolumne auf der Website der Zeitung schreibe. Ich verdrehe die Augen, kann mir aber ein Lächeln nicht verkneifen. Meine Angst, der Artikel könnte floppen, war so groß, dass ich niemandem außerhalb der Arbeit davon erzählt habe.

Jetzt befürchte ich allerdings, in der Kolumne ein bisschen zu ehrlich gewesen zu sein. Wenn meine Freunde und meine Familie davon erführen, müsste ich künftig vorsichtiger sein, doch genau das will mein Redakteur nicht. Ich habe bisher erst eine Kolumne veröffentlicht; ich kann es mir nicht leisten, schon an der ersten Hürde zu scheitern.

Ich bleibe lange genug auf der Toilette, um herauszufinden, dass keine noch so edle Hotelseife mein Outfit wieder in Ordnung bringen kann. Ich rieche lediglich sehr stark nach Pfingstrosen.

Als ich herauskomme, ist die Feier in vollem Gange. Lenas Mutter hat ihren Posten am inzwischen vollen Gabentisch verlassen, die Getränke fließen etwas schneller, und Johnnys Vater bittet um Ruhe, um einen Toast anzubringen. Sogar der Regen, der vorhin auf das Glasdach donnerte, hat ein wenig nachgelassen.

Da nun die Reden beginnen, ist nicht der richtige Moment, um nach meinen Freunden Ausschau zu halten. Alle versammeln sich in der Mitte des Wintergartens, um besser hören zu können, weshalb ich mir jetzt schlecht einen Weg durch die Gäste bahnen kann. Ich werde sie später suchen. Sie werden hier irgendwo sein.

Ich bleibe weiter hinten stehen und zappele unbeholfen herum. Ich muss den Hals recken, um Mr. Richards zu sehen, doch seine Stimme trägt weit genug, als er erzählt, wie sehr sich alle freuen, dass »Helena« nun zur Familie gehört, obwohl sie natürlich nach sieben Jahren Beziehung mit Johnny – ha-ha! – längst ein Mitglied der Familie ist. Und als Johnny vor ein paar Monaten zu ihm kam, um ihn um Rat wegen des Heiratsantrags zu fragen …

Da höre ich ein Räuspern neben meinem Ohr.

Ich schrecke zusammen und streife jemanden mit der rechten Schulter und meinem Arm. Gerade will ich dem Verwandten, mit dem ich zusammengestoßen bin, eine hastige Entschuldigung zuflüstern, da wird mir ein Glas Champagner in die Hand gedrückt, und ein braunhaariger Mann in einem grauen Anzug steht ganz dicht neben mir.

»Du wirkst ein bisschen verloren. Vielleicht bist du ja auf der falschen Feier, und falls das stimmt, ist es zu spät, um zu verschwinden – und diese Reden kann man ohne das hier nicht überstehen«, murmelt er und gestikuliert mit seinem eigenen Drink.

»Danke.«

Ich zerbreche mir den Kopf, wer er sein könnte. Er scheint ungefähr in meinem Alter zu sein, gehört aber definitiv nicht zu unserem Unifreundeskreis. Kennt Johnny ihn von der Arbeit? Oder ist er ein Cousin? Ich muss sein Gesicht ein- oder zweimal auf Instagram gesehen haben, kann ihn aber beim besten Willen nicht einordnen.

»Braut oder Bräutigam?«, flüstere ich ihm zu.

»Braut. Ich bin ein Freund von Hel. Ein Schulfreund. Entschuldigung, ich meinte …«

»Helena«, rufen wir gleichzeitig, so laut, dass uns ein älteres Ehepaar anschaut. Ich unterdrücke ein Kichern, und der Typ verdreht die Augen, weil er offensichtlich über den ganzen Unsinn mit dem Spitznamen genauso denkt wie ich.

Endlich jemand Vernünftiges auf dieser Party.

»Was ist mit dir?«

»Braut«, sage ich. »Wir haben während der Unizeit zusammengewohnt.«

»Ah! Ja, ich glaube, ich habe dich auf ihrem Facebook-Account und so gesehen. Du heißt, äh …?«

»Sophie.«

»Sophie. Ja, genau.«

Er lächelt mich an, und mein Magen vollführt diese seltsamen Umdrehungen, die immer Ärger bedeuten. Er trägt einen offensichtlich sehr teuren Anzug und wirkt, als hätte er zu viel Zeit mit seinen Haaren verbracht, aber er ist ziemlich attraktiv. Ein bisschen kleiner als ich mit meinen hohen Absätzen. Der Anzug muss maßgeschneidert sein, denn er bringt einen durchtrainierten Körper zur Geltung, der bestimmt viel Zeit im Fitnessstudio verbracht hat. Außerdem hat er dieses seltsame Halb-Lächeln, bei dem ein Mundwinkel nach oben gezogen ist und sich kleine Fältchen um seine Augen bilden, wobei er zugleich ein bisschen unnahbar und sehr lässig wirkt, und verdammt, es funktioniert.

»Mitch«, stellt er sich leise vor.

Die Menge vor uns beginnt über eine Anekdote zu lachen, die Johnnys Vater gerade erzählt hat.

Doch bei allem Respekt für Mr. Richards – bestimmt ist es eine tolle Rede – ist meine ganze Aufmerksamkeit momentan auf sexy Mitch und unser Flüstergespräch gerichtet.

Johnnys Vater beendet seine Rede, es wird geklatscht, und Mitch und ich rufen wie alle anderen: »Auf Johnny und Helena!«, nur um, als Lenas Vater mit seiner Rede beginnt, sofort wieder unser Gespräch aufzunehmen.

»Gott, das wird noch ewig so weitergehen, oder?«, flüstert Mitch, so nah, dass seine Lippen mein Ohr berühren. Ich erschaudere. Ein gewagter Schachzug, aber hey, ich will mich nicht beschweren. »Ihre Schwester hat auch eine vorbereitet.«

»Verdammter Mist«, sage ich, obwohl ich mich eigentlich darauf freue, wenn auch vor allem deshalb, weil sie Lena bestimmt ein bisschen in Verlegenheit bringen und es etwas zum Lachen geben wird.

Wir schweigen einen Moment lang, bis Mitch beiläufig murmelt: »Willst du schnell auf die Toilette gehen und vögeln?«

Traumprinz, endlich habe ich dich gefunden.

3. KAPITEL

Und dann tauchte er in meinen LinkedIn-DMs auf

Eine Alternative zu Dating-Apps von unserer Dating- und Beziehungskolumnistin

Lenas Verlobungsparty gestaltet sich nach einem leichten Mittagessen dann doch noch etwas lockerer und lustiger, es wird eine ausgewogene Mischung aus Popmusik und Ohrwürmern aus den Achtzigern gespielt, alle wippen mit dem Kopf, und die meisten tanzen.

Mitch musste noch vor dem Mittagessen gehen, was ich nicht bedauerte.

Mal im Ernst. Wer schlägt denn einen Quickie auf der Toilette vor?

Wenn das nicht eine tolle Geschichte für meine nächste Kolumne wäre, würde ich mich noch weitaus mehr ärgern. Doch so setze ich mich an einen der Tische und tippe Notizen in mein Handy, nur halbherzig einem Gespräch mit ein paar Leuten von der Uni lauschend.

Die Musik wechselt zu einem anderen Popsong, ein paar Frauen beginnen vor Lachen zu kreischen.

Ich bemerke zuerst nicht, um welches Lied es sich handelt.

Erst als Lena mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen herbeieilt und ruft: »Sophie! Soph, komm schon!«, erkenne ich den Song.

Es ist Beyoncé.

Lena greift mit ihren verschwitzten Händen nach meinen, legt mein Handy auf den Tisch und zieht mich auf die Beine. »Komm schon! Das ist dein Lied!«

Ja, richtig geraten, es handelt sich um »Single Ladies«! Hundert Punkte!

Scheiße.

Es ist mir egal, ob das hier ihre Verlobungsfeier ist. Selbst wenn sie gerade zur Königin gekrönt worden wäre, müsste ich ihr nicht gehorchen.

Aber Himmel, ich habe vergessen, wie verdammt stark sie ist.

Lena ignoriert meine verzweifelten, leisen Proteste und die Tatsache, dass ich meine Fersen in den Boden ramme. Meine andere beste Freundin Tally, die ich in dem ganzen Feierwahnsinn bisher kaum gesehen habe, ist plötzlich auch da – aber nicht, um mich zu retten, sondern um mich um die Taille zu fassen und auf die Tanzfläche zu schieben, sie und Lena lachen, ohne meine Panik zu bemerken.

Ein paar Meter vor mir hat sich ein Kreis gebildet, in dem sieben oder acht andere Frauen tanzen. Einige wirken verlegen, setzen aber ein tapferes Lächeln auf, als wollten sie sagen: »Ha-ha! Tolle Sache! Ich bin voll dabei! Das macht ja so viel Spaß!« Auch Lenas Urgroßmutter befindet sich auf der Tanzfläche, sie fuchtelt mit ihrem Gehstock in der Luft herum, als ob es kein Morgen gäbe, und amüsiert sich prächtig. Zwei Mädchen, die wie dreizehn aussehen, tragen einerseits einen unwilligen Gesichtsausdruck zur Schau, geben jedoch andererseits total an, indem sie einen super-koordinierten Tanz aufführen, den sie wahrscheinlich auf TikTok gelernt haben.

Ich dürfte mich nicht so überrumpelt fühlen.

Ich wusste doch, dass das irgendwann passieren würde.

Jeder liebt den Song »Single Ladies«, und es wäre gar keine Party, wenn nicht irgendetwas von Beyoncé gespielt würde. Außerdem habe ich oft davon gehört, dass genau das auf Hochzeiten und Ähnlichem eben passiert, aber …

Ich hätte niemals gedacht, dass meine Freundinnen mir das antun würden.

Tun sie aber.

Sie schieben mich nach vorne in diesen von mir neu entdeckten Höllenkreis, damit ich als eine der wenigen alleinstehenden Frauen auf der Hochzeit ebenfalls tanzen kann, während die anderen um uns herumstehen. Alle singen und strecken beim Refrain die Hände in die Luft, klatschen und jubeln.

Eine von Lenas Cousinen tanzt neben mir. Sie ist weder eine gute Tänzerin, noch ist sie enthusiastisch, aber sie wippt mit den Hüften, wirft ihr Haar hin und her und schaut mit zurückgelegtem Kopf ziemlich schmollend drein. Da einer von Johnnys Kumpeln sie aufmerksam beobachtet, kriegt sie es offenbar gut hin, sexy zu wirken.

Ich schiebe mich tanzend zu Lenas Urgroßmutter, um mit ihr ein paar Moves, die ich auf TikTok gelernt habe, auszuprobieren, und auch ein paar alte Lieblingsschritte aus meiner Zeit an der Uni anzuwenden – wahrscheinlich mache ich mich lächerlich, doch wenigstens mit Selbstbewusstsein. Granny lächelt mich an und versucht, mir nachzueifern, dann kommen die Teenager zu uns, um uns ein paar Armwackelbewegungen beizubringen, und ehe ich mich versehe, ist der DJ zu »Macarena« übergegangen. Jetzt ist die Tanzfläche voller Leute, die die Arme in die Luft strecken und neunzig Grad nach rechts springen. Der Albtraum ist vorbei.

Ich gebe Granny ein High-Five und überlasse es ihr, mit den Teenagern einen neuen Tanz zu lernen, dann stürme ich los, um meine Freundinnen, die gerade mit Begeisterung Macarena tanzen, an den Armen zu packen. Sie strahlen mich beide an, lachen und hören nicht auf zu tanzen.

»Genial!«, schreit Tally. »OMG, ich liebe es.«

»So lustig«, behauptet auch Lena.

Ich starre sie mit dem unbarmherzigsten, tödlichsten Blick an, den ich zustande bringe, und fasse sie an den Schultern: »Wenn du auf deiner Hochzeit ›Single Ladies‹ spielst, bringe ich dich mit bloßen Händen um.«

Als ich von der Feier nach Hause komme, noch immer perplex über die Anmache während der Reden und die Tatsache, dass mein Singlestatus derart zur Schau gestellt wurde, muss ich meinen Freunden im Gruppenchat tatsächlich auch noch versichern, dass ich nicht mit einem von Lenas alten Schulfreunden auf der Toilette Sex hatte, dass diese Behauptung einfach nicht stimmt.

Ja, ich bin mir sicher.

Nun, es ist ja wohl nicht meine Schuld, wenn mich niemand während der Reden gesehen hat, ich war da.

Lena jedenfalls findet es witzig. Sie weiß natürlich, dass es nicht stimmt und dass dieser zufällig von jemandem belauschte Teil unseres Gesprächs völlig aufgeblasen wird, schreibt aber, dass sie es mir nicht übelnehmen könnte, wenn es so wäre.

Ja, haha – sehr komisch!

Wenn du das Bedürfnis hast, durch mich indirekt etwas zu erleben, solltest du vielleicht nicht heiraten, Lena. Wie wäre das?

Stattdessen antworte ich im Gruppenchat mit einem Foto, das zeigt, wie ich meinen Sonntagabend verbringe, jetzt, wo ich wieder zu Hause bin: in einem verblichenen Fleece-Pyjama und mit flauschigen Socken, zusammengerollt auf dem Sofa, um alte Folgen von Call the Midwife zu sehen – eine der besten Serien der Welt.

Heißt das, du willst miterleben, wie überlangweilig es ist, scherze ich im Chat, weil es zu anstrengend wäre, einen Streit anzuzetteln. Doch als ich meine Nachricht noch einmal lese, zucke ich zusammen, weil sie doch etwas streitsüchtig klingt.

Ich sage mir, dass ich nicht böse auf Lena bin, es ist nur … Es ist schwierig. Alles wird sich ändern, wenn sie heiratet, das ist unvermeidlich, sie wird anfangen, über eine Familie nachzudenken, und das ändert ebenfalls alles, und ich vermisse es einfach, wie leicht und mühelos unsere Freundschaft früher war. Ich bin nicht sauer, weil sie verlobt ist; ich bin sauer, weil wir erwachsen werden müssen. Uns auseinanderentwickeln.

Ja, so würde eine reife Erwachsene es ausdrücken.

Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es stimmt, ich würde es mir aber gerne einreden.

Das Sahnehäubchen obendrauf ist dann folgende Benachrichtigung: Mitch hat mich … auf LinkedIn hinzugefügt.

Wie bitte?

Hat er mich gerade ernsthaft auf einer professionellen Networking-Plattform zu seinen Kontakten hinzugefügt, als hätte ich ihm nicht vor wenigen Stunden (ganz leise und gefasst) gedroht, meinen Drink über seine Wildlederschuhe zu schütten, wenn er sich nicht verdammt noch mal verzieht, damit ich mir in Ruhe die Rede von Lenas Schwester anhören kann?

Was für ein Blödmann.

Während sich auf dem Bildschirm die vertraute Dramatik einer Call-the-Midwife-Folge entwickelt, wechsle ich zwischen den Apps auf meinem Handy hin und her. Twitter, Instagram, zurück zu Twitter, keine neuen Nachrichten von irgendjemandem auf WhatsApp oder Messenger …

Dieses Hin-und-her-Switchen zwischen Apps, das gedankenlose Herumscrollen funktioniert ganz automatisch, es ist praktisch meine zweite Natur. Genauso automatisch füge ich meine Lieblings-Dating-App zu dem Mix hinzu, Hookd. Ich klicke auf das Symbol mit der roten Angelrute, an deren Ende sich ein Herz befindet, und die App explodiert auf meinem Bildschirm zum Leben.

Ich frage mich, ob mein neues – und hoffentlich verbessertes – Profil mir weitere Matches eingebracht hat. Nach meiner letzten Trennung kurz vor Weihnachten habe ich eine Zeit lang keine Dating-Apps mehr benutzt, doch vor ein paar Wochen haben Tally und ich beschlossen, mein Profil ein wenig zu überarbeiten: Fotos auszutauschen, einen neuen Lebenslauf zu schreiben, ein paar andere Anforderungen einzustellen.

Neuer Mann, neues Ich und das alles.

Nicht, dass die Trennung besonders schmerzhaft gewesen wäre. Wir trafen uns erst seit ein paar Wochen und befanden uns noch in der »Kennenlernphase«. Trotzdem ist es nicht gerade angenehm, ausgerechnet an Heiligabend sitzen gelassen zu werden, wenn man sich eigentlich verabredet hatte, um Geschenke auszutauschen.

Trotzdem – und trotz Mitchs ach so ritterlichem Angebot eines Quickies auf dem Klo – bin ich wieder dabei, was Verabredungen betrifft.

Wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich jemals ganz weg davon war.

Hi, mein Name ist Sophie, und ich bin seit … ewigen Zeiten Single.

Einsatz des griechischen Chors: »Hi, Sophie …« Denn seien wir ehrlich, mein Liebesleben muss für jeden wie eine Tragödie wirken.

Im Grunde genommen bin ich schon immer Single, von dem »Freund« abgesehen, den ich mit dreizehn hatte. Das Ausmaß unserer Beziehung bestand darin, auf einem Ausflug mit all unseren Freunden im Kino Händchen zu halten. Tja, und alles, was danach kam, war nie … nun ja, ernst.

Zum Teil ist das sicher meine eigene Schuld.

Zum anderen Teil jedoch nicht. Die Typen, die einen neun Wochen lang an der Nase herumführen und dann sagen: »Wir treffen uns ja nur. Wir sind kein Paar, stimmt’s?« oder, mein persönlicher Favorit, »Ich bin noch nicht bereit für eine feste Bindung«, um im nächsten Moment auf Facebook zu verkünden, dass sie ein Kind mit der Ex bekommen oder so was.

(Was ein einziges Mal passiert ist. Was jedoch einmal zu viel ist, richtig?)

Es handelt sich natürlich um eine lustige Geschichte, die ich meinen Freunden erzählen kann. So viele von ihnen stecken in festen Beziehungen und genießen meine Dating-Anekdoten – oder zumindest behaupten sie das, wie Lena vorhin – aber ganz ehrlich?

Es ist anstrengend.

Warum kann es für mich nicht auch so einfach sein wie für die anderen? Jemanden kennenlernen, eine Beziehung beginnen, eine Beziehung weiterführen und dann eines Tages heiraten. So, wie es alle meine Freundinnen machen.

Manchmal – oder, gut, eigentlich ständig – wünsche ich mir, wie sie zu sein. Zu haben, was sie haben. Nicht nur jemanden, dem ich einen Guten-Morgen-Kuss geben oder mit dem ich mich verabreden kann, sondern ihn. Der zu mir gehört und zu dem ich gehöre, mit dem ich ein »wir« bilde, mit dem es … schön und angenehm und bequem ist, und zwar für den Rest unseres Lebens.

Ich wünschte, ich hätte auch jemanden, mit dem zusammen ich eine Zukunft aufbauen kann. Stattdessen sehe ich mich ständig mit der Angst konfrontiert, eine Versagerin zu sein, weil ich allein bin. Ich kann keine großen Partys schmeißen, zu denen alle meine Freunde erscheinen müssen, ich werde kein Haus kaufen und ein Heim daraus machen können, und … Und ich werde nicht einmal jemanden haben, mit dem ich mir am Freitagabend eine Flasche Wein teilen kann!

Ich wünschte, ich würde mich nicht immer so einsam und verlassen fühlen.

Ich fange mich jetzt allerdings schnell wieder, denn dieser Gedankenspirale will ich nicht nachgeben, nicht heute. Es ist Sonntagabend, Himmel noch mal. Ich muss morgen arbeiten. Jetzt ist nicht der Moment für Selbstmitleid und diese Warum-kriege-ich-keinen-Freund-ab-Existenzkrise.

Mein Handy-Display leuchtet auf, als wüsste es, dass ich dringend Ablenkung brauche.

Diese winzige Fünf-Worte-Nachricht auf meinem Display löst einen kleinen Schauder in mir aus, den ich wie immer sehr genieße. Und zwar egal, ob mir der Typ gefällt oder ob ich ihn gleich wegwische, entweder aus Langeweile und/oder im betrunkenen Zustand – es geht um dieses rauschhafte Gefühl, dass ich jemandem gefalle. Da hält mich einer für attraktiv! Ich bin für würdig befunden worden!

Wie oberflächlich, ich weiß.

Ich öffne die App wieder, um einen Blick auf die gematchte Person zu werfen. Sein Name ist Joseph. Er hat drei Schwestern und reist gern. Auf seinem ersten Foto steht er braun gebrannt auf einem Felsen in der Nähe eines exotischen Wasserfalls und trägt Badeshorts mit Regenbogenmuster. Dann ist da ein Gruppenfoto mit Freunden vor einer Kneipe bei einem Junggesellenabschied und ein Foto mit seinen Schwestern – wie ich vermute – auf einer Hochzeit.

Er gibt in seinem Profil nur sehr wenig über sich preis, sodass ich nicht viele Anhaltspunkte habe, aber er sieht nett aus, und ich fühle mich geschmeichelt, also schreibe ich ihm eine Nachricht.

Die Antwort kommt fast augenblicklich, was mir einen weiteren Dopaminschub beschert.

Haha, das ist witzig! Mir geht’s gut, danke. Wie steht es bei dir?

Was schaust du?

Haha, klingt gut.

Hmm.

Vielleicht ist er nicht der gesprächige Typ, oder vielleicht ist er einfach ein bisschen schüchtern, und es dauert etwas, bis er aus sich herausgeht.

Egal. Er sieht süß und nett aus, und er hat mich geliked, also bin ich willens abzuwarten, wie es weitergeht.

Einen Großteil der nächsten Stunde verbringe ich damit, Joseph Nachrichten zu schicken, ihm mehr über seinen Job zu entlocken (technischer Ingenieur bei einer Firma, von der ich noch nie gehört habe), über seine Hobbys (Gewichtheben, Reisen, Horrorfilme), und jedes Mal schreibe ich meine eigenen Nachrichten im Kopf noch einmal um, bevor ich sie tippe, um mich seinen kurzen Sätzen anzupassen, damit unser Gespräch ausgeglichen wirkt.

Jetzt kommt der Moment der Wahrheit. Drei kleine Punkte erscheinen und verschwinden, tauchen wieder auf und verschwinden wieder, während er sorgfältig seine Antwort eintippt. Ich beobachte sie mit einem mulmigen Gefühl in der Brust und einem flauen Gefühl im Magen und wappne mich …

Sprechen wir morgen? Xx

Und er gibt mir seine Telefonnummer.

4. KAPITEL

»Was ist aus dem Typen geworden, mit dem du Kontakt hattest?«, fragt mich Tally eine Woche später, während sie bei Costa die Tafel studiert, als ob wir beide nicht wüssten, dass sie wie immer, wenn keine saisonalen Getränke im Angebot sind, einen mittelgroßen Karamell-Mokka nehmen wird. (Im Hochsommer ist es ein dünner Karamell-Frappé. Sie mag Veränderungen.)

Ich schaue von meinem Handy auf. »Regenbogen-Joe? Wir gehen heute Abend wieder etwas trinken.«

»Hm? Ach nein, dieser, ähm … Wie heißt der noch mal? Du weißt schon, wen ich meine. Charlie Weasley.«

»Charlie Weasley« – nicht die fiktive Figur, die in Rumänien Drachen erforscht, sondern der rothaarige Dreißigjährige, der im Zoo arbeitet und eine Echse als Haustier hat. Sein richtiger Name ist Daniel. Wir hatten ein Match, kurz nachdem ich mein Profil aktualisiert hatte, und ich habe ihn einmal zum Abendessen getroffen, vor etwa zwei Wochen.

Ich schüttle den Kopf. »Im Sande verlaufen.«

Tally wendet sich von der Tafel hinter dem Tresen ab, der Blick in ihren dunkelgrünen Augen wirkt ein bisschen zu mitleidig. »Hat er dich geghostet?«

Wenn sie nicht meine beste Freundin wäre, würde ich versuchen, nicht die Augen zu verdrehen. So aber verdrehe ich die Augen und schnaube zur Sicherheit auch noch ein wenig. »Nein. Es ist nur, du weißt schon, im Sande verlaufen. Gegenseitig.«

»Aber ich dachte, du magst ihn!«

»Ich – nun ja, das stimmt zwar, aber …«

Aber, ja, er hat mich geghostet. Schön, Tally hat gewonnen. Das zuzugeben, schmerzt, und ich finde es schrecklich, dass ich wieder einmal jedes Wort, jede meiner Handlungen infrage stelle. Was habe ich so Schlimmes getan? Warum kann er mir nicht wenigstens mitteilen, dass er nicht interessiert ist?

Tally verzieht das Gesicht noch etwas teilnahmsvoller. Ich hasse es, wenn sie Mitleid mit meinem Singledasein hat, genauso, wie ich es hasse, geghostet zu werden, also rede ich weiter. »Ich bin nicht, wonach er sucht. Er war sehr zurückhaltend und introvertiert, und wir hatten auch nicht denselben Sinn für Humor. Aber das ist okay. Es war einen Versuch wert.«

»Sein Pech«, sagt sie entschieden, und der mitleidige Gesichtsausdruck verschwindet. »Und was ist mit Regenbogen-Joe? Tut mir leid, ich verspreche, dass ich deine Nachrichten lese, es ist nur …«

Um fair zu sein, es ist nicht Tallys Schuld. Sie steckt mitten in einem riesigen Projekt, das kurz vor dem Abgabetermin steht, und ihre Firma hat gerade Massenentlassungen angekündigt. Außerdem will sie mit ihrem Freund Sam eine Wohnung kaufen, sie hat also eine Menge um die Ohren. Es war ihre Idee, sich vor der Arbeit auf halbem Weg zwischen unseren beiden Büros auf einen Kaffee zu treffen, damit wir uns einmal wieder richtig unterhalten können. Bei Lenas Verlobungsfeier ergab sich keine Gelegenheit, viel Zeit miteinander zu verbringen.

Nachdem wir bestellt haben, erzähle ich ihr von Regenbogen-Joe – Joseph mit der Regenbogen-Badehose. Seine Nachrichten sind sehr kurz, und er schickt nie zwei hintereinander, was unseren Austausch etwas steif macht, und das wiederum hat zur Folge, dass ich nicht wie sonst immer kleine Aufsätze schicke, um ihn nach seinem Leben zu fragen oder etwas über mich zu erzählen.

Aber ich glaube nicht, dass er absichtlich schroff ist.

Tally nickt weise. »Er ist eben einfach nur ein Kerl. Ja, ich verstehe dich.«

Ich erzähle ihr, wie viel besser die Unterhaltung verlief, als wir uns letzten Donnerstagabend, nachdem wir schon ein paar Tage miteinander gechattet hatten, auf einen Drink trafen; wie er mir Fragen stellte und dabei aufrichtig interessiert schien – er wollte sogar einige meiner Fotografien sehen, als ich erwähnte, dass das ein Hobby von mir ist; dass er einen trockenen Sinn für Humor hat und mich am Ende des Abends auf die Wange küsste, bevor ich in einem Uber nach Hause fuhr.

Tally verzieht das Gesicht. »Oh.«

»Was?«

»Nur ein Kuss auf die Wange?«

»Er ist erst seit Kurzem getrennt. Ich glaube, er will die Dinge etwas langsamer angehen. Das war jedenfalls mein Gefühl.«

»Und wie kurz ist seit Kurzem?«

»Seit etwa drei Monaten.«

Sie verzieht das Gesicht erneut und macht ein skeptisches Geräusch, lächelt mich aber schnell wieder an. »Wie gut, dass du ihn heute Abend wiedersiehst! Geht ihr essen?«

»Nein, nur wieder etwas trinken. Ganz zwanglos, denke ich. Und dann wieder nach Hause, weil ich morgen arbeiten muss.«

Sie gibt wieder dieses »Hnnnng«-Geräusch von sich, bevor sie sich beherrschen kann.

»Was?«

»Nichts.«

»Was?«

Seufzend fummelt sie an ihrer Serviette herum. »Das kommt mir einfach ein bisschen … unverbindlich vor. Ich weiß auch nicht. Was wäre so schlimm daran, auch mal essen zu gehen? Warum müssen es schon wieder Drinks sein?«

»Du machst dir zu viele Gedanken«, sage ich, obwohl ich mich genau dasselbe frage, was ich aber nicht will, denn wenn ich die ganze Sache zu sehr analysiere, ruiniere ich womöglich schon alles, bevor ich Joseph überhaupt eine echte Chance gegeben habe.

Was trinken zu gehen, ist nett, zwanglos. Zu zwanglos? Zumal unter der Woche, da können es ja höchstens zwei, drei Drinks werden, und danach geht jeder zu sich nach Hause. Hmmm. Das schränkt die gemeinsame Zeit doch ziemlich ein, außerdem wäre ein Abendessen irgendwie intimer. Andererseits kann man sich besser unterhalten als im Kino oder in einem Club, dafür zumindest gibt es Bonuspunkte. Will er wieder etwas mit mir trinken gehen, weil ich letzte Woche gesagt habe, wie viel Spaß es gemacht hat? Oder spart er sich lediglich Kosten und Mühen einer Dinnerverabredung am Wochenende für ein Mädchen auf, an dem er mehr Interesse hat, weil ich nur ein Ego-Boost in der Wochenmitte bin und er mit mir Zeit totschlagen kann?

Na bitte. Schon viel zu viel darüber nachgedacht.

Wenn Joseph am Dienstagabend etwas trinken gehen will, ist das in Ordnung. Ich bin froh, dass er mich überhaupt wiedersehen möchte.

»Du sollst einfach nicht verletzt werden.« Tally verzieht ihr herzförmiges Gesicht und macht einen Schmollmund.

Ich spüre einen Anflug von etwas, das ich nicht genau zuordnen kann – ist es Panik, weil sie irgendwie recht hat, oder Gekränktheit oder Traurigkeit; ich weiß nur, dass es sich nicht gut anfühlt, deswegen grunze ich abfällig. »Wahrscheinlich schaffe ich es sowieso nie, lange genug mit einem Mann zusammen zu sein, um wirklich verletzt zu werden.«

»Vielleicht nicht gerade ›verletzt‹. Aber du bist immer enttäuscht, wenn es nicht klappt. Und du hast eine Pause eingelegt«, sagt sie, »nach Gareth, dem Weihnachtsruinierer.«

Gareth, der Weihnachtsruinierer – das ist unser Codename für den guten alten Gareth, der an Heiligabend mit mir Schluss gemacht hat.

»Seinetwegen bist du mit einer Flasche Baileys vorbeigekommen und hast geweint. Du hast zwei deiner Notfallzigaretten geraucht.«

»Weil Heiligabend war! Die Zeit der Liebe! Kein Tag, an dem man mit jemandem Schluss macht! Das ist einer der fünf schlimmsten Tage des Jahres, um mit jemandem Schluss zu machen. Gleichauf mit Valentinstag und Geburtstag.«

»Und du sagtest: ›Tally, ich mache das nicht noch einmal. Ich werde meine Zeit und Energie nicht weiter an diese Verlierer verschwenden, die mich nur hinhalten.‹«

»Das war damals. Jetzt bin ich darüber hinweg.«

»Aber du hast solche Dinge schon öfter gesagt, Soph.«

»Und?«

Tally seufzt, es ist ein Seufzer, den ich nach zehn Jahren Freundschaft gut kenne. Sie ist nicht die einzige ehemalige Mitschülerin, mit der ich noch Kontakt habe, aber sie ist die Einzige, die ich zu meiner Hochzeit einladen würde (falls ich jemals einen Partner für eine solche finden sollte). Sie ist meine älteste Freundin und steht mir am nächsten – sowohl emotional als auch geografisch. Jedenfalls seufzt sie, wenn ihr etwas ganz offensichtlich erscheint und sie nicht weiß, wie sie es mir beibringen soll. Ein bisschen so wie damals, als sie mir beim Lernen für die Matheprüfung geholfen hat, oder als sie mir erklärt hat, wie man Spargel kocht.

»Warte«, sagt sie plötzlich und greift nach ihrem Handy. »Hier, ich glaube, das solltest du lesen … Moment, ich weiß, dass ich es auf Twitter geliked habe … Da!« Sie klickt auf einen Link und legt dann ihr Handy vor mich hin.

SINGLE, SWIPE, REPEAT: Ich weiß, es ist der reine Kommerz … aber ich will einfach jemanden lieben.

Mein eigener anonym geschriebener Artikel über das traurige Singledasein starrt mich von ihrem Handy aus an, und ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

Die Kolumne ist ganz zufällig entstanden. Ich hatte ein paarmal, um zusätzliche Aufgaben als Marketingassistentin zu bekommen, Texte für Anzeigen verfasst – vor allem, wenn die Kunden wollten, dass es sich wie ein organischer Teil der Zeitung las und nicht wie eine bezahlte Anzeige.

Lokalnachrichten sind in der Regel nicht besonders aufregend. Tag der offenen Tür im Tierheim, Schulfeste, ein Hausmann, der mit seinen Häkelkreationen auf Etsy viral gegangen ist … Einmal hatten wir tatsächlich eine große Drogenrazzia mit Scharfschützen und allem Drum und Dran, aber das ist jetzt zwei Jahre her.

Die Marketingabteilung ist nur unwesentlich aufregender, denn wir gehören zu einem großen Medienunternehmen mit einer Reihe Zeitungen im ganzen Land, sodass wir ziemlich anständige Affiliate-Links bekommen.

Zum Beispiel letzten Dezember, kurz vor Silvester: Uns wurde eine kostenlose Übernachtung in einem Wellness-Hotel angeboten, und ich flehte meine Chefin Jenny an, mich den Bericht schreiben zu lassen. Es sollte um romantische Aufenthalte für Paare gehen, und da Gareth mir gerade den Laufpass gegeben hatte und mein bester Freund Frankie meinte, dass seine Freundin ihn sicher nicht mitfahren lasse, nahm ich meinen Kollegen Duncan mit, der wie ein Bruder für mich ist. Wir betranken uns mit dem kostenlosen Champagner, und er schlief in der luxuriösen Badewanne mit Füßen – angeblich besser als jemals zuvor.

Wir bekamen kostenlose Paarmassagen, Champagner, ein Feinschmeckermenü und vieles mehr – und so schrieb ich den Artikel, als hätte es sich tatsächlich um einen romantischen Aufenthalt gehandelt. Niemand brauchte zu wissen, dass ich Single war, und so erfand ich einen romantischen Kuss mit meinem namenlosen »Freund«, über den Duncan und ich sehr gelacht haben, als ich ihm meinen Entwurf des Artikels schickte. Es war nur eine kleine Notlüge, um der Geschichte willen. Ich habe nicht über das Hotelangebot gelogen.

Es lief besser, als alle erwartet hatten. Die Leserresonanz auf der Website war so gut, dass es der Chefetage auffiel, und man bat mich, ab sofort eine monatliche Beziehungskolumne zu schreiben – natürlich musste ich Jenny versprechen, dass meine Arbeit in ihrem Team nicht darunter leiden würde.

Meine einzige Bedingung war, anonym zu bleiben, und sowohl Andy als auch die Rechtsabteilung ermutigten mich, Namen, Daten und alle weiteren erkennbaren Fakten zu ändern, was mir sehr entgegenkam: Meine Freunde oder Familie sollten nicht erfahren, dass ich hinter der Kolumne steckte.

Aber soll ich es jetzt Tally erzählen?

Irgendwie würde ich ihr schon gern beweisen, dass ich etwas aus meinem Leben mache – dass ich etwas wert und erfolgreich bin – vor allem, da es bei meinem eigentlichen Job leider gerade eher holprig läuft.

Bevor ich einen Entschluss fassen kann, spricht sie schon weiter.

»Ich glaube«, sagt Tally, »du machst dir zu viel Druck …«

Ihr Telefon klingelt. Es ist nicht ihr üblicher Klingelton, sondern der, den sie für Kollegen eingestellt hat.

Tally flucht leise, entreißt mir ihr Telefon und drückt es sich mit beiden Händen so ans Ohr, dass ihre Brille verrutscht. »Hallo? Was ist … Nein, ich habe nichts gesehen … Oh, Scheiße, wirklich? Blödsinn. Richtig, nein, ist schon gut, ich werde … Er ist was? Okay, nein. Okay, nein. Ja. Ich bin gleich da. Ich bin gleich da! Okay.«

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