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Boston Nights - Wahres Verlangen

Als Buch hier erhältlich:

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Der neue Roman der "Dublin Street"-Spiegel-Bestsellerautorin Samantha Young

Nicht nur die Welt, sondern das gesamte Universum hat sich gegen sie verschworen. Auf jeden Fall kommt es Ava so vor. Denn ihr Sitznachbar ist der arrogante Schotte, der sie am Flughafen fast über den Haufen gerannt hat. Während des Fluges wünscht sie sich noch Abstand, doch abends im Hotelzimmer kann sie Caleb nicht nah genug sein. Dennoch ist sein Angebot, eine lockere Affäre zu beginnen, mehr als unverschämt. Empört lässt Ava ihn abblitzen. Als sie ihm erneut über den Weg läuft, muss sie immer noch an den besten One-Night-Stand ihres Lebens denken. Warum also nicht Calebs Vorschlag zustimmen und unverbindlichen Spaß haben. Immerhin besteht nicht die Gefahr, ihr Herz zu verlieren, oder?!

Es wird turbulent und sexy...

  • »[Youngs] Romane haben einfach alles – umwerfend geschrieben, sexy Charaktere, Herzschmerz – ich bin süchtig danach.«SPIEGEL-Bestsellerautorin Vi Keeland
  • »Lustig, herzzerreißend, darmatisch und leidenschaftlich«The Reading Cafe
  • »Es wird dich umhauen - eine unvergessliche Liebesgeschichte.«Romantic Times Book Reviews

  • Erscheinungstag: 06.12.2019
  • Seitenanzahl: 352
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745750478
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kapitel 1

Sky Harbor Airport, Arizona

März 2018

Essen. Essen und Kaffee. Daran führte jetzt kein Weg mehr vorbei. Mein knurrender Magen sprach eine deutliche Sprache. Ich war auf dem Weg durch den Terminal und kurz davor, irgendjemandem die Augen auszukratzen. Kein Wunder, wenn man bedachte, warum ich ursprünglich nach Phoenix gereist war und dass ich dann auch noch die Durchsuchung meines Gepäcks in der Sicherheitsschleuse hatte ertragen müssen. Ich brauchte jetzt dringend einen Koffein-Kick.

Doch obwohl meine Stimmung vor Hunger auf dem Nullpunkt war, wollte ich zuerst mein Ticket für den Heimflug nach Boston auf die erste Klasse umbuchen lassen. Egal, wie sehr mir der Magen in den Kniekehlen hing, war ich nun mal leicht klaustrophobisch, sodass die Vorstellung, in der Touristenklasse zu fliegen – und dazu bei meinem Glück, womöglich auch noch neben jemandem sitzen zu müssen, der während des Fluges Schuhe und Socken auszog –, Millionen Mal schlimmer war als meine schlechte Hungerlaune. Das konnte ich nicht riskieren. Viereinhalb Stunden lang ein paar verschwitzte, muffelnde, nackte Füße neben mir zu haben? Nein, für diese Art von Hölle war ich in meinem momentanen Zustand nicht geschaffen. Eine Gänsehaut überkam mich, während ich auf den Schalter meines Gates zumarschierte. Unter einem Bildschirm hatten sich ein paar Leute versammelt, und ich fragte mich, was da wohl so interessant sein mochte. Ich stockte, als ich sah, wie riesige Rauchwolken aus einem megagroßen Berg hervorquollen, und blieb neugierig ebenfalls stehen.

Innerhalb weniger Sekunden verkündeten mir die Nachrichten, dass ein isländischer Vulkan mit unaussprechlichem Namen ausgebrochen war und eine gigantische Aschewolke produzierte, die in Europa für Ausfälle sorgte. Flüge waren gecancelt worden, und die Folge war ein absolutes Verkehrschaos.

Die Vorstellung, stundenlang auf einem Airport festzusitzen – vielleicht sogar für mehrere Tage –, ließ mich vor Mitleid mit den anderen Passagieren erschauern.

Nach der Woche, die ich hinter mir hatte, wollte ich mir gar nicht ausmalen, dass mir so etwas auch noch passiert wäre. Ich hielt mich eigentlich für ziemlich cool und beherrscht, aber seit Neuestem hatte ich meine Gefühle so wenig im Griff, dass ich beinahe schon Angst vor ihnen hatte. Dankbar, dass ich nicht zu den Leuten gehörte, die heute nicht nach Hause kommen würden, bat ich das Universum, mir meinen Egoismus zu verzeihen, und setzte meinen Weg zum Schalter fort. Dort stand niemand vor mir, und der Mann, der hinter dem Tresen saß, lächelte mir zur Begrüßung zu.

»Hi, ich habe mich gefragt – uff!« Ich zuckte zusammen, als der Laptoprucksack eines großen Typen gegen meine rechte Schulter knallte, sodass ich auf meinen Heels ins Taumeln geriet. Der große Kerl hatte nicht mal gemerkt, dass er mich getroffen hatte, ging geradewegs an mir vorbei und drängte sich vor.

Dieser Grobian!

»Ich will ein Upgrade für die erste Klasse«, sagte er mit einer tiefen, lauten Stimme und in einem sehr attraktiven Akzent, der meinen Ärger darüber, dass er sich vorgedrängelt hatte, allerdings keineswegs besänftigte.

»Natürlich, Sir«, antwortete der Servicemitarbeiter so seidenweich, dass ich, wäre ich groß genug gewesen, um dem Hünen über die Schulter zu sehen, sicher mitbekommen hätte, wie er kokett die Wimpern niederschlug. »Okay, Flug DL180 nach Boston. Sie haben Glück, Mr. Scott. Wir haben noch einen einzigen Platz in der ersten Klasse frei.«

Oh, zum Teufel, nein!

»Was?« Ich drängte mich an Mr. Grobian vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Der Servicemitarbeiter witterte Ärger, verengte die Augen und kniff die Lippen zusammen.

»Ich wollte mich ebenfalls erkundigen, ob ich in die erste Klasse wechseln kann, und der da ….« Ich deutete nach rechts. »… hat sich einfach vorgedrängelt. Das haben Sie doch gesehen!«

»Miss, ich möchte Sie bitten, sich zu beruhigen und zu warten, bis Sie an der Reihe sind. Für heute ist die erste Klasse voll, doch ich könnte Sie auf die Warteliste setzen. Sobald doch noch ein Platz frei wird, werden wir uns bei Ihnen melden.«

Klar, nach der Woche, die ich hinter mir hatte, war das ausgesprochen wahrscheinlich.

»Ich war als Erste dran«, beharrte ich und wurde ganz rot im Gesicht, so heiß war mir vor Zorn über diese Ungerechtigkeit. »Er hat mich mit seiner Laptoptasche umgenietet und sich dann an mir vorbeigeschoben, um vor mir dranzukommen.«

»Können wir bitte diese winzige, wütende Person ignorieren und mit meinem Ticket weitermachen?«, sagte die tiefe Stimme mit dem besonderen Akzent von rechts über meinen Kopf hinweg.

Seine herablassende Art veranlasste mich nun doch, ihn anzuschauen.

Und plötzlich verstand ich.

Ein moderner Wikinger überragte mich. Er wandte den Blick von dem Servicemitarbeiter ab und mir zu. Seine Augen waren die schönsten, die ich je gesehen hatte. Ein durchdringendes Eisblau, das sich von seiner sonnengebräunten, wettergegerbten Haut abhob. Die Pupillen wie blassblaues Glas, das in der durch die Flughafenfenster hereinströmenden Sonne leuchtete. Sein Haar war dunkelblond, an den Seiten kurz geschnitten und am Oberkopf länger. Und obwohl er absolut nicht mein Typ war, musste ich zugeben, dass er mit seinem gestutzten, dunkelblonden Bart verdammt maskulin und attraktiv aussah. Wobei es weniger ein Bart war, was er da trug, als eine dichte Stoppelmatte. Der Kerl hatte einen wunderschönen Mund mit einer vollen, sinnlichen Unterlippe, die ihn wie einen grübelnden, schmollenden kleinen Jungen wirken ließ, was im Widerspruch zu seinem eher markanten Erscheinungsbild stand. Aber so umwerfend sein Mund auch sein mochte, momentan verzog er ihn nur missfallend.

Ach, und hatte ich schon erwähnt, dass er ziemlich muskulös war?

Der verdammte Laptop hing über Schultern, die so breit waren, dass ein Footballtrainer vor Freude geweint hätte. Vermutlich war er nur etwas über eins achtzig groß, doch durch seine Statur wirkte er größer. Ich maß nur eins dreiundfünfzig, trug aber immerhin zehn Zentimeter hohe Absätze. Dennoch kam ich mir neben diesem Typen wie Tinkerbell vor.

Tattoos, die ich nicht näher betrachtete, blitzten unter den aufgerollten Ärmeln seines Henleyshirts hervor. Das Shirt brachte die Art von Muskeln zur Geltung, die man nur bekam, wenn man regelmäßig ins Fitnessstudio ging.

Ein erlesenes Exemplar der männlichen Spezies.

Ich verdrehte die Augen und warf dem Schaltermitarbeiter einen wissenden und wütenden Blick zu.

»Echt jetzt?« Offensichtlich wurde dieser Motorradgang-Wikinger-Typ hier bevorzugt behandelt.

»Beruhigen Sie sich, Miss. Sonst rufe ich die Security.«

Vor Schreck blieb mir der Mund offen stehen.

»Warum so melodramatisch?«

»Sie!« Als ich das streitlustige Grollen in der Stimme des Wikingers hörte, wäre ich beinahe wieder in die Luft gegangen.

Ich sah zu ihm auf.

Höhnisch grinste er. »Mach die Fliege, Wee yin.«

»Ich spreche keine skandinavischen Sprachen«, erwiderte ich bewusst begriffsstutzig.

»Ich bin Schotte.«

»Wieso sollte mich das interessieren?«

Er murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und wandte sich dann wieder dem Mann am Schalter zu.

»Sind wir fertig?«

Der Typ schenkte ihm ein laszives Lächeln und reichte ihm Ticket und Ausweis. »Wir haben für Sie umgebucht, Mr. Scott.«

»Warten Sie, was …?«

Aber der Wikinger hatte Pass und Ticket bereits wieder an sich genommen und schritt davon.

Aufgrund seiner langen Beine kam er schnell voran, doch ich stand jetzt vollends unter Strom und konnte in meinen Heels durchaus rennen. Und das tat ich. Wobei mein Trolley mir immer wieder gegen die Fersen schlug.

»Warten Sie kurz!« Ich packte den Mann am Arm, und er wirbelte so schnell herum, dass ich taumelte.

Aber schnell fand ich mein Gleichgewicht und zog mir – eine Grimasse ziehend – meinen Blazer wieder richtig über. »Haben Sie ein bisschen Anstand und überlassen Sie mir diesen Platz.« Keine Ahnung, warum ich nicht lockerließ. Vielleicht weil Ungerechtigkeiten mich schon immer auf die Palme gebracht haben. Oder vielleicht war ich es nach der vergangenen Woche auch einfach nur leid, herumgeschubst zu werden.

Ungläubig sah er mich an. »Machen Sie Witze?« Ich versuchte nicht einmal, gelassen zu bleiben. Diesem Kerl nahm ich schon seine bloße Existenz übel.

»Sie.« Ich deutete mit dem Finger auf ihn und sprach langsam, damit sein winziges Hirn Gelegenheit hatte, die Worte zu verarbeiten. »Haben. Mir. Den. Platz. Gestohlen.«

»Sie.« Nun deutete er seinerseits von oben auf mich herab. »Sind. Total. Durchgeknallt.«

Ich schnappte entsetzt nach Luft. »Zum einen, das ist nicht wahr. Ich habe Hunger und daher schlechte Laune. Das ist was anderes. Und zum anderen ist dieses Wort eine Frechheit.«

Für einen Augenblick schaute er über meinen Kopf hinweg in die Ferne, als müsse er sich zusammenreißen. Oder vielleicht einfach nur um Geduld ringen. Wahrscheinlich eher Letzteres, denn schließlich blickte er mit diesen Wahnsinnsaugen auf mich herab und seufzte. »Wenn Sie nicht so vollkommen von der Rolle wären, könnte ich fast schon über Sie lachen. Aber nachdem ich von Glasgow nach London, von London nach Phoenix und von Phoenix nach Boston fliegen musste, statt direkt von London nach Boston, und das alles nur, weil meine Sekretärin eine nutzlose Idiotin ist, die noch nie was von Direktflügen gehört hat, bin ich sowieso nicht in der Stimmung, irgendwas lustig zu finden. Also tun Sie uns beide einen Gefallen, bevor ich noch irgendwas sage oder tue, was ich hinterher bereue … und machen Sie die Fliege. Sofort.«

»Es tut Ihnen also nicht leid, mich durchgeknallt genannt zu haben?«

Als Antwort wandte er sich nur ab und ging davon.

Geschlagen sackte ich zusammen und starrte ihm hinterher, wie er mit dem Erste-Klasse-Ticket, das eigentlich mir gehören sollte, verschwand.

Ich beschloss, dass Essen und Kaffee warten mussten und ich mich erst mal etwas frisch machen musste – und mit frisch machen meinte ich, mich wieder einzukriegen –, also begab ich mich auf die Suche nach der nächsten Damentoilette. Ich sah zum Flughafenfenster hinaus auf den Camelback Mountain und wünschte mir, so weit und so schnell wie möglich aus Phoenix wegzukommen. Das war der eigentliche Grund für meinen Frust, und als ich den Waschraum betrat, schämte ich mich sogar ein bisschen wegen meines Verhaltens. Ich hatte mein Gefühlschaos gerade vor einem unbekannten Schotten ausgebreitet. Zugegeben, der Kerl war unfassbar unhöflich, aber ausgeufert war die ganze Geschichte nur meinetwegen. Normalerweise hätte ich den Servicemitarbeiter nach dem nächsten Flug nach Boston gefragt und versucht, dort noch einen Platz in der ersten Klasse zu bekommen.

Aber ich wollte unbedingt nach Hause.

Nachdem ich die Toilette benutzt hatte, wusch ich mir die Hände und betrachtete mich dann lang und eingehend im Spiegel. Ich sehnte mich danach, mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen, doch damit hätte ich das Make-up ruiniert, das ich am Morgen so sorgfältig aufgetragen hatte.

Ich betrachtete mich kritisch und strich mit den Fingern durch die Wellen, die ich mit meinem Lockenstab in mein langes, blondes Haar gezaubert hatte. Zufrieden mit meiner Frisur, inspizierte ich mein restliches Outfit. Das rote Kostüm gehörte zu den hübschesten aus meinem Kleiderschrank. Ein zweireihiges Schößchenjackett und ein dazu passender, knielanger Bleistiftrock. Da das Jackett geschlossen am besten aussah, trug ich darunter nur ein dünnes, elfenbeinfarbenes Top aus Seide. Keine Ahnung, warum ich das Kostüm überhaupt eingepackt hatte, denn während der letzten paar Tage hatte ich vornehmlich Schwarz getragen, sodass mir das Rot nun regelrecht wie eine Trotzreaktion erschien. Oder wie ein Hilfeschrei. Oder, was noch wahrscheinlicher war, wie ein Akt der Verleugnung.

Ich hatte zwar einen gut bezahlten Job als Designerin bei einem exklusiven Innenausstatter, aber das Leben in Boston war teuer. Das Tennisarmband an meinem Handgelenk hatte mir mein Exfreund zu meinem achtzehnten Geburtstag geschenkt. Eine ganze Weile hatte ich es gar nicht getragen, doch es war wichtig, bei meinen absurd reichen und bedeutenden Kunden einen erfolgreichen Eindruck zu hinterlassen, also hatte ich das diamantene Schmuckstück irgendwann wieder hervorgekramt, hatte es reinigen lassen, und seither zierte es mein Handgelenk.

Aber seit Kurzem versetzte mir allein schon sein Anblick einen schmerzhaften Stich.

Ich schüttelte mich, riss den Blick von dem im Licht funkelnden Accessoire an meinem Arm los und blickte auf mein rechtes Handgelenk, an dem ich meine Gucci-Uhr trug. Sie war ein Bonusgeschenk meiner Chefin Stella nach meinem ersten Berufsjahr gewesen.

Und was die schwarzen Jimmy Choos aus Wildleder mit ihren sexy Absätzen und den süßen Fesselriemen an meinen Füßen anging: Sie gehörten zu den vielen Schuhen, derentwegen ich meine Kreditkarte überzogen hatte. Wenn ich nicht gerade in Boston gewohnt hätte, hätte ich mir von meinem sechsstelligen Gehalt so viele Choos leisten können, wie ich wollte. So allerdings wurde mein Geld von meiner happigen monatlichen Miete aufgefressen.

Ich wohnte in einem hübschen fünfundfünfzig Quadratmeter großen Apartment, das allerdings in Beacon Hill lag. Genauer gesagt in der Mount Vernon Street, nur wenige Fußminuten vom Boston-Common-Park entfernt. Und es kostete mich über viertausend Dollar Miete im Monat. Von meinen übrigen Ausgaben ganz zu schweigen. Ich hatte zwar genug, um noch etwas zurückzulegen, nachdem die Steuerbehörde sich ihren Anteil gesichert hatte, doch ich konnte mir nun mal nicht so viele Choos leisten, wie ich wollte.

Also ja, ich war jetzt dreißig und hatte meine Kreditkarte überzogen.

Aber wahrscheinlich ging es mir damit doch genauso wie all meinen Landsleuten? Ich starrte mein makelloses Spiegelbild an und ignorierte die leise Stimme in meinem Kopf, die mir zuflüsterte, dass viele dieser Menschen Schulden hatten, weil sie Arztrechnungen begleichen oder ihren Kindern etwas zu essen kaufen mussten.

Sie konnten es sich wohl kaum leisten, in einer lächerlich überteuerten Gegend Bostons zu wohnen (egal, wie sehr es mir dort gefiel) oder Designerschuhe zu tragen, nur damit ihre Kunden das Gefühl hatten, es mit jemandem zu tun zu haben, der optimal auf ihre Bedürfnisse eingehen konnte, weil er sie verstand.

Ich drängte den Gedanken beiseite. Schließlich musste ich mir nicht noch mehr Vorwürfe machen, als ich es ohnehin schon tat, seit ich wieder in Phoenix gelandet war. Immerhin war ich vor meinem Abstecher in die Heimat mit meinem Leben vollauf zufrieden gewesen.

Absolut glücklich mit meinem perfekten Apartment, meiner perfekten Frisur und meinen perfekten Schuhen!

Perfekt war gut.

Ich strich mir das Jackett glatt und griff nach meinem Trolley.

Perfekt hieß Kontrolle.

Ich betrachtete das hübsche Bild, das ich im Spiegel abgab, und spürte, wie ich mich entspannte. Wenn dieser Servicemitarbeiter auf Frauen gestanden hätte, hätte ich ganz bestimmt dieses Erste-Klasse-Ticket bekommen.

»Ach, vergiss es«, sagte ich leise zu mir. Vorbei war vorbei.

Ich würde nun wieder nach draußen gehen und mir einen längst überfälligen, köstlichen, mediterranen Salat und ein Sandwich in einem meiner Lieblingsrestaurants in Phoenix gönnen, nämlich bei Olive & Ivy. Schon allein bei dem Gedanken daran fühlte ich mich besser und entspannte mich noch mehr.

Sobald mein Hunger gestillt war, fühlte ich mich bestimmt besser.

Kapitel 2

Anscheinend hasste mich das Universum ja doch nicht, denn im Olive & Ivy war tatsächlich noch ein Platz frei. Allerdings war es nur ein einziger Hocker an der Theke in dem kleinen Raum, was mich nicht überraschte, denn das Lokal war sehr beliebt. Die junge, etwa zwanzigjährige Frau daneben sah auf, als ich näher kam, und musterte mich mit ihren dunklen Augen von Kopf bis Fuß und wieder zurück. Ein kokettes Begrüßungslächeln erhellte ihre Züge. Hmm. Vielleicht würde sie mir den Platz frei halten, während ich mein Essen bestellte. Ich ging um sie herum und spürte, wie sie mir mit den Blicken folgte. Ich wollte sie in diesem Moment um den Gefallen bitten, als ein Laptoprucksack auf die Theke vor den Hocker geknallt wurde und mich zusammenzucken ließ.

»Hier ist besetzt.«

Ich schloss die Augen ganz fest, sowie ich die bekannte Stimme vernahm.

Auf keinen Fall.

Nee!

Nein!

Ich wirbelte herum und starrte das Ärgernis an, das kürzlich in mein Leben getreten war. »Ja, genau. Und zwar von mir.«

Der Blick des Schotten war ruhig, stur, nervtötend stur. »Haben Sie sich denn schon was zu essen gekauft? Ich nämlich schon. Als zahlender Kunde habe ich ja wohl Vorrang vor einem winzigen, anmaßenden, verrückten Huhn mit einem Stock im Arsch.«

Grimmig blickte ich zur Decke alias zum Universum hinauf. »Das kann nicht wahr sein.«

»Aye, aber anscheinend sind Sie doch kein verrücktes Huhn, denn immerhin führen Sie Selbstgespräche.«

Wütend funkelte ich ihn an. »Schon wieder diese unverschämte Ausdrucksweise.«

»Baby, schauen Sie mich doch an.« Er schürzte die Lippen. »Ich bin total unverschämt.«

»Nennen Sie mich nicht Baby. Auf Ihre frechen Vertraulichkeiten kann ich verzichten.«

Er beugte sich zu mir vor, und sein eisblauer Blick schien mich förmlich festzunageln. »Und ich lasse mich nicht auf eine weitere, öffentliche Auseinandersetzung mit Ihnen ein. Und jetzt verdammt noch mal husch, husch!«

Hatte er gerade husch, husch gesagt?

Zu mir!

Der Schotte zog energisch den Hocker zu sich heran, sodass ich zurückweichen musste, um nicht dagegenzustoßen. Er musterte mein überraschtes Gesicht, und verwirrt stellte ich fest, dass er jetzt nicht mehr verärgert, sondern zutiefst verächtlich dreinblickte. »Wahrscheinlich sind Sie daran gewöhnt, dass Ihnen die Männer zu Füßen liegen, deshalb lasse ich Ihnen zwei Sekunden, um Ihr Entsetzen auszukosten. Aber wenn Sie nicht in fünf Sekunden verschwunden sind, sorge ich dafür, dass Sie sich vor Verlegenheit in die Hose machen.«

»Sie sind ganz schön vulgär« war das Einzige, was ich angesichts seines geballten Widerwillens mir gegenüber herausbringen konnte.

Seine Miene verfinsterte sich. »Fünf. Vier. Drei …«

Mit einem angewiderten Schnauben schnitt ich ihm das Wort ab und wollte mich schon abwenden, als die etwa Zwanzigjährige neben uns mir die Hand auf den Arm legte, um mich aufzuhalten. »Ich habe gerade fertig gegessen. Wenn Sie also hier sitzen wollen …«

Ich schenkte ihr ein warmherziges Lächeln. »Das ist sehr freundlich, aber …« Meine Stimme wurde lauter. »Lieber würde ich mir die Augenlider mit Cocktailspießen zunähen, als neben einem schlecht erzogenen Schwanzloch zu sitzen, einem Typen, der das Gerücht, dass Schotten die nettesten Menschen der Welt sind, Lügen straft.« Triumphierend wirbelte ich herum, sodass mein Haar dramatisch durch die Luft peitschte. Und ich hätte mich auch weiterhin als die ungeschlagene Siegerin eines Wortgefechts gefühlt, hätte ich hinter mir kein wildes, allzu anziehendes Lachen vernommen, das eindeutig aus dem Mund des Schotten kam.

Ich stolperte.

Nicht mal einen stilechten Abgang konnte er mir gönnen.

An der Kühltheke erstand ich ein Sandwich, das ich statt des Salats aß, obwohl es nach nichts schmeckte. Währenddessen saß ich an einem anderen Gate als meinem und starrte auf die Berge hinaus. Nutzte die Zeit, um wieder herunterzukommen, während mich die Erinnerungen an das Wochenende quälten und gleichzeitig dabei halfen, das Erlebnis mit dem Schotten ins rechte Licht zu rücken. Schließlich hatte ich mich wieder gefangen und genug Selbstvertrauen, um loszuziehen und mir einen Kaffee von einem der Barrista-Wagen zu holen. Am nächsten Stand dieser Art hatte sich bereits eine Schlange gebildet, und ich beeilte mich, um dorthin zu gelangen, bevor sich noch mehr Leute anstellten.

Beim Anblick des imposanten schottischen Mistkerls, der sich eben von der anderen Seite her dem Wagen näherte, legte ich an Tempo zu und rannte beinahe. Schlitternd kam ich hinter einem Mann im Anzug zum Stehen, wobei ich versehentlich mit meinem Koffer an seinen stieß. Er warf mir einen ärgerlichen Blick über die Schulter hinweg zu, und ich lächelte entschuldigend, ehe ich dem Schotten ein hämisches Grinsen zuwarf, während dieser sich hinter mir anstellte.

»Wer rastet, der rostet«, sagte ich über meine Schulter hinweg zu ihm. Es war mir egal, wie kindisch ich klang.

»Sie benehmen sich wie eine Vierjährige, wissen Sie das eigentlich?«

»Ich stehe endlich mal vor Ihnen – mehr interessiert mich nicht.«

»Verrücktes Huhn.«

»Ignorant.«

»Xanthippe.«

Ich runzelte die Stirn, denn diese Beschimpfung war noch schlimmer als »verrücktes Huhn«.

»Schwanzgesteuerter Idiot.«

»Sie scheinen ja von meinem Schwanz richtig fasziniert zu sein.«

Ich wirbelte herum. »Wie bitte?«

»Schwanzloch. Schwanzgesteuerter Idiot.«

»Das waren Beleidigungen.«

»Mit spezifischem Fokus.«

Zu meinem eigenen Entsetzen wanderte mein Blick wie von selbst in seinen Schritt. Ach du lieber Gott! Mein Gesicht glühte, und schnell schaute ich an seiner dunkelblauen Jeans hinab bis zu den lose gebundenen, schwarzen, ledernen Bikerboots an seinen Füßen.

Zu seinen großen Füßen.

Wie sagt man doch so schön. Ach, halt den Mund! Wen kümmert es schon, was man sagt?

»Ganz schön verletzend, wenn man so auf eine Sache reduziert wird.«

Mittlerweile waren meine Wangen mit Sicherheit tomatenrot. Ruckartig schoss mein Kopf in die Höhe, und ich blickte ihm ins Gesicht mit diesem selbstgerechten Ausdruck.

»Also, sosehr ich unsere Wortgefechte auch genieße, brauche ich jetzt erst mal einen Kaffee.« Und einfach so drängelte sich der schottische Mistkerl in der Schlange vor mich.

Zum Teufel, nein!

Ich folgte ihm, so wütend, dass mein Trolley auf seinen Rädern hinter mir herholperte.

»Ich muss gleich an Bord«, hörte ich ihn zu der Frau sagen, die als Nächstes dran gewesen wäre. »Hätten Sie was dagegen, mich vorzulassen?« Er war beinahe schon charmant zu ihr.

Das fand sie offenbar auch. »Natürlich nicht.« Sie fiel beinahe in Ohnmacht. »Woher kommen Sie? Ihr Akzent ist faszinierend.«

»Schottland«, antwortete er kurz angebunden und trat vor sie hin, ohne sich auch nur zu bedanken. Der Typ hatte tatsächlich keine Manieren. Ich hingegen schon.

»Hey.« Ich lächelte sie an. »Ich nehme den gleichen Flug wie er. Hätten Sie was dagegen?«

Beim Klang meiner Stimme drehte sich der Schotte leicht zu mir um.

Sie warf ihm einen enttäuschten Blick zu. »Sind Sie beide zusammen?«

Offenbar wurde ihm schon allein bei dem Gedanken übel. »Ich habe sie noch nie gesehen.«

Die Frau zog die Augenbraue hoch und musterte mich unbeeindruckt. »Netter Versuch. Stellen Sie sich wieder hinten an.«

Noch nie hatte ich den Impuls verspürt, jemandem das Gesicht zu zerkratzen, aber bei dem schottischen Mistkerl hätte ich definitiv eine Ausnahme gemacht.

»Sie sind eine Schande für Ihre Nation«, sagte ich zu seinem Rücken.

Ungläubig beobachtete ich, wie seine Schultern zu beben begannen. Lachte er etwa schon wieder? Ich blickte zur Espressomaschine hinüber und entdeckte auf ihrer schimmernden Oberfläche sein verzerrtes, grinsendes, Zähne zeigendes Spiegelbild.

Igitt, was für ein ungehobelter Kerl!

Ich wirbelte herum, war verschwitzt, durcheinander und so weit von perfekt entfernt, dass es schon nicht mehr witzig war. Ich ignorierte die wütenden Blicke der Anstehenden und begab mich wieder ans Ende der Schlange, die um weitere fünf Leute angewachsen war.

Zwei Minuten später schlenderte der schottische Mistkerl an mir vorüber, warf mir ein provozierendes, selbstzufriedenes Lächeln zu und hob grüßend seinen Kaffeebecher.

»Zum Teufel mit Ihnen!«, rief ich ihm hinterher.

Der Mann vor mir beäugte mich misstrauisch und trat so dicht an die Frau vor ihm heran, dass sie sich beinahe berührten.

»Er ist ein Arschloch«, versuchte ich ihm zu erklären.

Aber der Blick des Fremden sagte mir, dass er mich für das Arschloch hielt. Und tatsächlich: Sobald dieser Schotte in der Nähe war, verhielt ich mich auch so. Oder vielleicht lag das auch an meiner schlechten Laune. Keine Ahnung. Mein Gott, ich musste unbedingt nach Hause. Und so unfair es auch sein mochte, ein ganzes Land wegen eines einzigen Mannes zu verdammen, niemals wieder wollte ich etwas mit einem Schotten zu tun haben.

Eine Schottlandreise war so ziemlich das Letzte, was ich mir nun noch vorstellen konnte.

Plötzlich erregte eine Ankündigung aus dem Lautsprecher meine Aufmerksamkeit. »Moment mal, wie bitte?« Ich erstarrte, hörte zu.

»… Flug DL180 nach Boston fällt aus. Bitte erkundigen Sie sich am Gate nach Alternativflügen.«

Ich gab meine Jagd nach Kaffee auf (schon wieder!) und rannte durch den Terminal zu meinem Gate. Ich kam gerade noch rechtzeitig dort an, um zu hören, wie der Servicemitarbeiter von vorhin der kleinen Menge, die sich dort schon versammelt hatte, erklärte, warum unser Flug gecancelt worden war. Anscheinend hatte der Vulkanausbruch und die damit einhergehende Aschewolke, die zum Ausfall von Flügen in Europa geführt hatte, auch Auswirkungen auf Flüge innerhalb der USA. »Wir sind momentan unterbesetzt, weil zahlreiche Crewmitglieder auf Überseeflügen in Europa festsitzen. Deshalb stehen uns bedauerlicherweise weder Crew noch Maschine für den geplanten Flug nach Boston zur Verfügung. Bitte stellen Sie sich hier in der Schlange an, damit wir neue Arrangements für Sie treffen können.«

Ich hörte, wie sich ein paar Leute darüber beklagten, erst so spät informiert worden zu sein, denn »bestimmt wussten die doch schon vorher, dass sie weder Mannschaft noch Flieger haben«. Außerdem bekam ich mit, dass sich viele Leute ein Zimmer im Airporthotel sicherten und die nächstmögliche Maschine nach Boston buchen wollten, wann immer der Flug auch sein würde. Je mehr Menschen sich dafür entschieden, umso nervöser wurde ich.

Auf keinen Fall wollte ich eine weitere Nacht in Phoenix bleiben.

Zwei Tage waren mehr als genug gewesen.

Ich musste nach Hause. So schnell wie möglich. Sonst war ich bald nichts weiter als ein Häufchen Elend, das nur noch zu lautem, unkontrollierbarem Schluchzen fähig war.

Meine Finger zitterten, während ich dem Servicemitarbeiter meinen Ausweis und mein Ticket reichte. Er erkannte mich wieder, denn er presste die Lippen aufeinander.

»Gibt es eine Ausweichroute nach Boston? Einen Flug zu einem anderen Airport, von wo aus ich eine Maschine nach Boston nehmen kann?«

Er entspannte sich bei meinem Ton sichtlich und schenkte mir ein mitfühlendes Lächeln. Wahrscheinlich hatte er bemerkt, dass meine Stimme zitterte. »Morgen früh fliegt eine Maschine von Chicago nach Boston, sodass Sie vor Mittag dort eintreffen. Und in einer Stunde geht der Flug von hier aus nach Chicago.« Er sah im Computer nach und schenkte mir ein schiefes Lächeln. »Und auf beiden Flügen sind noch Plätze in der ersten Klasse frei.«

Vor Erleichterung sackte ich gegen den Tresen. Ich machte mir noch nicht mal mehr Gedanken um die Kosten, sondern reichte ihm einfach nur meine Kreditkarte. »Danke.«

Dann warf ich erneut einen Blick an die Decke. Danke, Universum.

Kapitel 3

Ich starrte erst auf meine Platznummer, dann auf meinen Sitz.

Und funkelte anschließend den Menschen an, der neben mir in der ersten Klasse saß.

»Das soll wohl ein Witz sein.« Verdammt, Universum. Wir beide sind fertig miteinander.

Der schottische Mistkerl blickte von seiner Zeitung auf und schüttelte leicht den Kopf. »Sie wollen mir doch jetzt nicht allen Ernstes sagen, dass wir auf einem Dreieinhalb-Stunden-Flug nebeneinandersitzen.«

»Mich nervt das genauso sehr wie Sie«, antwortete ich und öffnete die Klappe über unseren Köpfen. Als ich den Trolley hochhievte, der bestimmt eine Tonne wog (ernsthaft, es war ein Wunder, dass ich ihn überhaupt hatte schließen können), taumelte ich leicht. Der Koffer rutschte mir aus den Händen und traf den Schotten am Kopf. Als ich sein Grunzen hörte, lächelte ich. »Sorry! Was für ein glückliches Missgeschick.«

»Hier, ich helfe Ihnen.« Ein Typ etwa in meinem Alter in maßgeschneidertem Businessanzug trat vor, um mir zur Hand zu gehen, wurde allerdings brüsk von dem Schotten beiseitegeschoben. Er war aufgestanden, und der andere Passagier und ich wirkten wie Zwerge neben ihm.

»Schon erledigt.« Er nahm mir den Trolley aus den Händen. »Das mache jetzt besser ich, sonst erreiche ich Chicago noch mit einer Gehirnerschütterung.«

»Wäre wirklich eine Schande.« Ich lief um ihn herum, um zu meinem Sitz zu gelangen, und er konnte so ungestört mit meinem Gepäck hantieren.

Für den Flug hatte ich bereits meinen E-Reader aus dem Trolley genommen, der hochgefahren war, noch bevor der schottische Mistkerl neben mir Platz nehmen konnte. Und obwohl wir von doppelten Armstützen mit Becherhaltern getrennt waren, überwältigte mich seine Größe immer noch.

Ich hatte vorgehabt, mich sofort in ein gutes Buch zu vertiefen und den unzivilisierten Typen, der attraktiver war, als ihm guttat, und definitiv Wikingerblut in den Adern hatte, nicht weiter zu beachten. Ich würde ihn ignorieren, denn ganz sicher würde er gleich eine unhöfliche Bemerkung über das Gewicht meines Trolleys machen. Allerdings hatte ich gar keine Chance, ihn mit Geringschätzung zu strafen, denn er kam mir zuvor. Er klappte den Tisch an seiner Seite auf, stellte einen Laptop darauf und tat, als ob ich gar nicht existierte.

»Mr. Scott.« Die Stewardess, die mich begrüßt hatte, als ich die Maschine bestiegen hatte, tauchte mit einem Tablett voller Getränke vor uns auf. »Darf ich Ihnen vor dem Flug einen Drink anbieten? Champagner?«

»Wasser.« Mr. Scott – der schottische Mistkerl – antwortete mal wieder auf seine typische Art.

Die Flugbegleiterin reichte ihm ein Glas Wasser, dann lächelte sie mich an. »Miss Breevort?«

»Champagner, bitte«, antwortete ich auf der Stelle und warf meinem Sitznachbarn wegen seiner unhöflichen Art einen bösen Blick zu. »Danke schön.« Keine Ahnung, warum, doch als ich den Arm vor seinem Gesicht ausstreckte, um ein Glas von der perlenden Flüssigkeit entgegenzunehmen, hätte ich fast irgendeinen Kommentar des schottischen Mistkerls erwartet. Aber er schwieg.

Meine Zehen zuckten vor Wut, und ich umklammerte das Glas fester, als ich an dem Champagner nippte. Ich warf Mr. Scott einen Blick aus dem Augenwinkel zu, während der mit der einen Hand sein Wasser zum Mund führte und mit der anderen seinen Computer bearbeitete.

Eigentlich hätte ich doch froh darüber sein müssen, dass er mich ignorierte, aber aus irgendeinem Grund fühlte ich mich dadurch genauso beleidigt wie durch sein Verhalten am Flughafen.

Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, allerdings setzte mir seine Gleichgültigkeit zu. Immerhin hatte ich die letzten paar Tage damit verbracht, mich von den Menschen in meiner Heimat Arcadia ignorieren zu lassen. Sie hatten mich wie Luft behandelt.

Sooft ich mir auch sagte, dass es mir egal war, es tat weh.

Und zu allem Überfluss wurde ich jetzt auch noch von einem vollkommenen Fremden, der sich offensichtlich ein vorschnelles Urteil über mich gebildet hatte, ebenso behandelt. Das hätte mich nicht weiter kümmern sollen, doch ich war müde, hatte eine harte Woche hinter mir, und so fand ich es einfach nur megabeschissen.

Aus dem Augenwinkel warf ich ihm weitere wütende Blicke zu, wobei ich den Bildschirm musterte, auf den er starrte, und war erstaunt. Er klickte zwischen Tabellen mit Zahlen, komplizierten Zeichnungen, die wie technische Entwürfe anmuteten, dicht beschriebenen Dokumenten und E-Mails hin und her. Das alles legte nahe, dass der schottische Mistkerl eher Geschäftsmann war als Mitglied einer Motorradgang.

»Planen Sie einen größeren Bankraub?«, rutschte es mir unwillkürlich heraus, ohne dass ich mich auf einen weiteren Schlagabtausch mit ihm einlassen wollte.

Verblüfft schaute er mich an. In seinen außergewöhnlichen Augen spiegelte sich eine Mischung aus Verwirrung und Ärger.

Ich deutete auf seinen Laptop, um seine unausgesprochene Frage zu beantworten.

Er blickte auf den Monitor, dann wieder zu mir. Die Verwirrung wich und machte dem Verdruss Platz, der sich in ausgewachsene Verärgerung verwandelte. »Stecken Sie Ihre Nase immer in Dinge, die Sie nichts angehen?«

»Na ja, wenn Sie wollen, dass niemand was von Ihrem Banküberfall mitkriegt, sollten Sie die Pläne vielleicht etwas besser verbergen.«

»Das ist Arbeit«, stieß er hervor.

»Sie sind Geschäftsmann?«

Irgendwie schaffte er es, Sarkasmus zu versprühen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Ich fasste sein Schweigen als Ja auf.

»Sie sehen gar nicht so aus.«

»Aye, überrascht mich nicht, dass jemand wie Sie Menschen nach ihrem Aussehen beurteilt.« Er grinste höhnisch. »Er ist voller Tattoos, trägt keinen Anzug, deshalb muss er natürlich ein Krimineller sein und kein Geschäftsmann, stimmt’s?«

»Merken Sie eigentlich, dass Sie genau das machen, dessen Sie mich beschuldigen? Sie beurteilen mich aufgrund meines Äußeren. Wenn man es genau bedenkt, tun Sie das eigentlich, seitdem wir uns zum ersten Mal auf dem Flughafen über den Weg gelaufen sind. Außerdem … wenn Sie es sich schon leisten können, erster Klasse zu fliegen, könnten Sie sich bestimmt auch einen gewissen Sinn für Humor leisten. Und das würde ich Ihnen auch dringend raten. Er würde Ihnen gut zu Gesicht stehen.«

»Inwiefern habe ich Sie aufgrund Ihres Aussehens abgestempelt?«

»Jemand wie Sie, das waren doch Ihre Worte, oder?« Ich neigte den Kopf zur Seite und musterte sein wettergegerbtes und gerade mürrisches Gesicht.

Er nickte knapp.

»Sie kennen mich nicht. Sie haben mich vor ein paar Stunden auf dem Flughafen getroffen, wo Menschen sich zugegebenermaßen nicht wie sie selbst verhalten, weil sie über die Maßen gestresst oder übermüdet sind oder unter Flugangst leiden. Wenn Sie also nicht wissen, was für ein Mensch ich bin, kann ich nur die Schlussfolgerung ziehen, dass Sie mich aufgrund meines Äußeren beurteilt haben und nicht aufgrund meines Charakters.«

Der schottische Mistkerl dachte einen Moment lang nach. »Stimmt«, gab er schließlich zu. »Zumindest in etwa. Aber man kann einen Menschen oft nach seinem Erscheinungsbild einschätzen. Man muss einfach nur die richtigen Schlüsse ziehen – ist ’ne Sache der Einfühlsamkeit. Sie haben Tattoos gesehen und gedacht … Was? … Motorradgang?«

Ich hatte meine liebe Not, nicht rot zu werden, und wand mich unbehaglich, weil er richtig geraten hatte.

»Doch da haben Sie sich geirrt. Und Sie haben recht, ich kenne Sie nicht, aber ich kann anhand der Zeit, die Sie auf Ihre Frisur und Ihr Make-up verwenden, und des Geldes, das Sie für Ihr Kostüm und Ihre Designerschuhe ausgegeben haben, anhand der Diamanten in Ihren Ohren und an Ihrem Handgelenk abschätzen, dass Sie – aus welchem Grund auch immer, und ich hab keine Ahnung, was für Gründe das sind – Wert auf die Meinung anderer Leute legen. Dem Gewicht Ihres Trolleys nach zu schließen, den ich vorhin ins Handgepäckfach gewuchtet habe, haben Sie auch eindeutig zu viel eingepackt, was zusammen mit Ihrem Aussehen ebenfalls den Schluss nahelegt, dass Sie Aufmerksamkeit suchen. Und ich wäre sehr, sehr überrascht, wenn ich mich bei Ihnen geirrt hätte.«

Meine Wangen wurden ganz heiß. Mehr noch als seine Worte verletzte mich sein Ton. »Sie halten sich also für überlegen, weil Ihnen Ihr Äußeres gleichgültig ist?«

»Ich hab nicht gesagt, dass mir mein Aussehen egal ist. Ist es nämlich nicht. Meine ganzen Tattoos zeigen doch, dass es mir wichtig ist. Ich kümmere mich nur nicht darum, was alle anderen von meinem Äußeren halten.«

»Vielleicht sehe ich das ja genauso. Ich mag es eben, gepflegt und elegant zu erscheinen. Das hat nichts mit anderen Leuten zu tun.«

Er zog ein ungläubiges Gesicht, und es nervte mich, wie nahe mir das ging. »Ist mir doch egal, was Sie von mir halten«, erwiderte ich schnaubend.

»Natürlich ist es Ihnen nicht egal. Ich bin wahrscheinlich der erste Mann, dem Sie je begegnet sind, der Ihnen nicht zu Füßen liegt.« Er musterte mein Gesicht und ließ den Blick dann an meinem Körper hinabwandern, und zwar auf eine Weise, bei der ich unwillkürlich erschauerte.

Das machte seine Worte nur umso provozierender. Sie ließen die alte Wunde schmerzen, die in dieser Woche ohnehin wieder aufgebrochen war. Doch ich war entschlossen, den Schmerz dorthin zu verbannen, wo er hingehörte, und dabei konnte ich keinen Fremden brauchen, der meine Bemühungen untergrub. »Sie beschuldigen mich, voreingenommen zu sein, dabei sind Sie viel voreingenommener als ich.«

Er zuckte mit den Schultern. »Hab ich nie bestritten. Ich hab nur meistens recht. Und bei Ihnen hab ich das ganz sicher.«

Ich hätte ihm so gern das Gegenteil bewiesen, aber das hätte lediglich gezeigt, dass er sich tatsächlich nicht irrte. Mir war viel zu wichtig, was andere von mir hielten. Und so kam ich zu dem Schluss, dass es das Beste war, ihn nicht weiter zu beachten, so wie ich es ursprünglich geplant hatte.

Ich trank den restlichen Champagner und stellte das leere Glas in den Becherhalter neben mir. Der schottische Mistkerl wandte sich wieder seinem Laptop zu, als hätte er mich nicht gerade beleidigt. Schon wieder.

Um die Wahrheit zu sagen: Noch nie im Leben hatte ich einen unhöflicheren, ungehobelteren, unverschämteren Mann getroffen.

Ich versuchte, seine Existenz einfach zu ignorieren, und öffnete das Buch, das ich gerade las, auf meinem E-Reader, doch mein Körper vibrierte, so bewusst war ich mir seiner Gegenwart, und das machte mich mit jeder Minute wütender. Ich fand es ätzend, dass mir immer wieder ein Hauch seines Eau de Cologne in die Nase stieg – ein eindeutig köstlicher, moschusartiger Duft, der viel zu gut zu dem Mistkerl passte. Nachdem ich den gleichen Abschnitt schon zum fünften Mal gelesen hatte, durchflutete mich Erleichterung, als mein Handy in meinem Jackett zu vibrieren begann.

»Soll man eigentlich ausschalten«, sagte er brummend neben mir.

Ich schnaubte verächtlich und zog das Handy aus der Tasche. »Einer, der mit allen Mitteln beweisen will, dass es ihm egal ist, was andere von ihm halten, hält sich pedantisch an Regeln? Einfach unglaublich.«

Verärgert presste er die Lippen aufeinander, und der Anblick freute mich mehr, als er es hätte tun sollen. Doch meine selbstgerechte Freude verwandelte sich sogleich in Zärtlichkeit beim Anblick des Namens auf meinem Display. »Hey, Sweetie«, meldete ich mich.

»Sorry, ich habe gar nicht mitbekommen, dass du angerufen hast. Mittagszeit, weißt du.« Beim Klang von Harpers Stimme entspannte ich mich sofort. Immerhin hatte ich es ihr zu verdanken, dass ich in den letzten paar Tagen nicht durchgedreht war.

»Ich habe nur angerufen, um dir zu sagen, dass mein Flug gecancelt wurde. Jetzt sitze ich in einer Maschine nach Chicago, aber ich muss am O’Hare Airport übernachten. Nach Hause geht es erst morgen früh.«

»Weshalb das denn?«

»Irgend so ein Vulkan in Island.«

»Ich dachte, das betrifft nur innereuropäische Flüge?«

»Anscheinend nicht.«

»Hm. Wie dämlich. Alles klar bei dir?«

Ich war mir des Mannes neben mir allzu bewusst, also wandte ich mich zum Fenster und senkte die Stimme. »Ich will einfach nur noch nach Hause.«

»Ich hätte doch mitkommen sollen.« Harpers Stimme klang bedauernd.

»Nein, Sweetie. Ich musste es allein schaffen. Das wissen wir doch beide.«

»Das wissen wir überhaupt nicht beide. Du bist schließlich immer für mich da. Da hättest du mich jetzt mal das Gleiche für dich tun lassen können.«

Vielleicht hatte sie recht. Aber wenn ich ehrlich war, wollte ich vermeiden, dass die Art und Weise, wie ich in Phoenix behandelt worden war, Harpers Bild von mir beeinflusste. Sie kannte natürlich meine Version der Geschichte, aber ich fürchtete mich davor, dass die anderen Leute sie irgendwie davon überzeugen könnten, dass alles nur meine Schuld war, auch wenn das nicht stimmte. Meine Angst war lächerlich, denn Harper liebte mich, dennoch konnte ich mich nicht davon freimachen. »Du musstest nicht mit mir dort sein, um für mich da zu sein.«

Harper seufzte. »Okay, Baby. Ruf einfach an oder schreib mir, wenn du in Chicago gelandet bist, und sag Bescheid, wenn du morgen in Logan landest. Ich schau mal, ob ich früher Feierabend machen kann, um dich abzuholen.«

»Das musst du doch nicht.«

»Na ja, ich will es aber, also halt die Klappe.«

Leise lachte ich. »Okay. Ich ruf dich an. Ciao, Sweetie.«

»Ciao, Baby.«

Nachdem ich aufgelegt und mein Handy ausgeschaltet hatte, hätte ich schwören können, die Blicke des schottischen Mistkerls auf mir zu spüren. Aber als ich ihn ansah, starrte er nur stirnrunzelnd auf seinen Computerbildschirm.

Die Ankündigung »Ready for Takeoff« ertönte über den Lautsprecher, und wir wurden gebeten, größere Gegenstände wie Laptops wegzupacken. Verstohlen beobachtete ich meinen unausstehlichen Sitznachbarn dabei, wie er seinen Computer verstaute und sich in seinem Sitz zurücklehnte.

Er schloss die Augen, und ich nutzte die Gelegenheit, um ihn zu mustern. Die Ärmel seines Henleyshirts waren immer noch aufgerollt, sodass ich die Tattoos auf seinem linken Arm aus der Nähe betrachten konnte. Durch eine Wolke aus Rauch, Staub und vermutlich Gebäudetrümmern rannte ein moderner Soldat mit seinem Gewehr. Über ihm schwebte etwas, das wie der Fuß eines anderen Menschen aussah, aber das restliche Motiv wurde durch das Shirt verdeckt. Mein Blick glitt unwillkürlich hinauf zu dem interessanten Gesicht des Schotten. Seine Wimpern waren hell und goldbraun, sodass mir bis jetzt entgangen war, wie lang sie waren. Seine volle, mürrische Unterlippe, die von einem kurzen Bart umgeben war, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Bartstoppeln fand ich normalerweise total abstoßend, allerdings musste ich zugeben, dass diese Scheußlichkeit zu ihm passte.

Ich fragte mich, ob der Bart kratzte oder kitzelte, wenn er eine Frau küsste.

Allein der Gedanke rief ein Kribbeln zwischen meinen Beinen hervor, das mich schockierte.

Ich errötete und riss mich von seinem Gesicht los, wollte ihn ab sofort ignorieren, ebenso wie die körperliche Reaktion, die er in mir hervorrief. Doch da fiel mein Blick auf seine große Hand, mit der er die Armlehne festhielt.

Nicht festhielt.

Mit der er sich an ihr festkrallte.

Ganz fest.

Sodass die Knöchel weiß hervortraten.

Ich schaute ihm wieder ins Gesicht und entdeckte die steile Stirnfalte und die leicht geweiteten Nasenflügel.

Hatte dieser knallharte Schotte etwa Flugangst?

Sofort fühlte ich mich wieder an Harper erinnert. Auch sie hatte panische Angst vor dem Fliegen. Wir hatten ein paarmal miteinander Urlaub in Europa gemacht, und jedes Mal hatte ich mich ganz hilflos gefühlt. Sie war ein einziges Nervenbündel gewesen, kaum dass wir die Maschine bestiegen hatten, bleich und zitternd, bis wir in der Luft waren. Aber auch danach blieb sie angespannt, der ganze Körper verkrampft vor Angst. Auf langen Flügen begleitete ich sie zur Toilette und wartete dann vor der Tür auf sie, quasi als ständig präsenter Ruhepol. Trotzdem war mir ihre Angst verhasst. Ich hatte sie deshalb sogar schon zu überreden versucht, Urlaub in den Staaten mit mir zu machen, an Orten, die man mit dem Wagen erreichen konnte. Doch Harper wollte sich von ihrer Angst nun mal nicht kleinkriegen lassen. Das gehörte zu den Dingen, die ich am meisten an ihr bewunderte.

Die Erinnerung an meine Freundin sorgte dafür, dass mich mit einem Mal ebenso unerwünschtes wie unangebrachtes Mitgefühl durchflutete.

»Entschuldigen Sie«, rief ich dem Flugbegleiter zu, der gerade vorbeikam. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Schotte ruckartig die Lider hob. »Kann ich noch ein Glas Champagner haben?«

»Wir heben gleich ab, Miss Breevort.«

»Ich beeile mich. Versprochen.«

Er wirkte nicht glücklich, kehrte aber schnell mit einem Glas für mich zurück. Ich lächelte dankbar, dann wandte ich mich dem Schotten zu, dessen Augen nun wieder geschlossen waren. »Trinken Sie das aus.« Ich hielt ihm das Glas hin.

Er riss erneut die eisblauen Augen auf. »Was?«

Ich schob ihm das Glas vor die Nase. »Das hilft.«

Er hob den Kopf und verzog das Gesicht. »Was meinen Sie?«

»Ist es eine grundsätzliche Flugangst oder nur Angst vor dem Start?«

Statt zu antworten, warf er mir einen weiteren Unheil verkündenden Blick zu. »Ich trinke keinen Champagner.«

»Den hier schon. Ist zwar kein Whiskey, entspannt aber trotzdem.«

Als er mich ignorierte, seufzte ich. »Mein Gott, nur weil Sie Flugangst haben, werde ich Sie nicht gleich für ein weniger dominantes Alphamännchen halten.«

Bei diesen Worten schnappte er mir das Glas aus der Hand und kippte es in einem Zug herunter. Er wischte sich die Tropfen von den Lippen, dann funkelte er mich finster an. »Zum Glück nur Start und Landung.«

Er stieß die Worte hervor, und ich unterdrückte mühsam ein Lächeln. »Das überrascht mich nicht. Ein Flugzeug ist eben kein Langschiff.«

Um seine Lippen zuckte es. »Schotte. Nicht Skandinavier.«

»Wollen Sie mir allen Ernstes weismachen, dass in Ihren Adern nicht doch zumindest ein Tropfen skandinavisches Blut fließt?«

Der Flugbegleiter tauchte auf, um mir das leere Glas aus der Hand zu nehmen, doch mein Sitznachbar schien es gar nicht zu bemerken, so sehr war er damit beschäftigt, mich anzustarren, als sei ich ein Rätsel, das er nicht lösen konnte. »Schwedisch.«

»Was?«

»Mein Urgroßvater war Schwede.«

»Wusste ich es doch. Und dabei haben Sie so gereizt reagiert, als ich Sie als Skandinavier bezeichnet habe. Im Grunde hatte ich also recht.«

»Im Grunde sind Sie ziemlich nervig.«

»Na ja, mit nervig sollten Sie klarkommen. Schließlich sind Sie der Obernervigste. Obwohl ich mich langsam frage, ob diese Gemeiner-Kerl-Show, die Sie abziehen, eher mit Ihrer Flugangst zusammenhängt und Sie vielleicht gar nicht so gemein sind.«

Er kniff die Augen zusammen. »Gemeiner Kerl?«

»Äh, ja. Sie waren vom ersten Augenblick an gemein zu mir.«

»Sehe ich anders. Sie sind vom ersten Augenblick an auf mich losgegangen. Wie sollte ich sonst darauf reagieren?«

»Sie haben mich fast umgerannt, als Sie mich auf dem Weg zum Check-in-Schalter angerempelt haben.«

»Habe Sie nicht gesehen.«

»Ernsthaft?«

»Mit Ihren eins fünfzig sind Sie ein Winzling. Wirklich.«

»Ich bin eins dreiundfünfzig. Und in Heels eins siebenundfünfzig.«

Sein Blick wanderte wieder an meinem Körper hinab und blieb an meinen Beinen hängen. »So sehen Sie gar nicht aus.«

Ich runzelte die Stirn. »Wollen Sie damit sagen, dass ich kurze Beine habe?«

»Nein, das schließe ich aus Ihrer Größe.«

»Ich habe überraschend lange Beine für eine kleine Frau.«

»Sie können auch über alles streiten. Das ist echt eine Begabung.«

»Sie lenken vom Thema ab. Nämlich, dass Sie sich offensichtlich danebenbenommen haben, weil Sie sich vor dem Fliegen fürchten, genauso wie ich nicht ich selbst war, weil ich erschöpft bin.«

Wenn ich mich nicht irrte, leuchtete ein Fünkchen Neugier in seiner Miene auf. »Erschöpft?«

Ich zuckte mit den Schultern. »War eine harte Woche.«

»Getrennt von Ihrem Freund?«

Hä? »Von welchem Freund?«

»Dem ,Sweetie‘ am anderen Ende der Leitung.«

Ich lächelte. »Das war Harper. Sie ist meine beste Freundin.«

»Überrascht mich, dass jemand so Nerviges wie Sie eine beste Freundin hat.«

»Die meisten Menschen mögen mich. Und wenn Sie sich momentan mehr im Griff hätten, würden auch Sie mich vielleicht sogar mögen.«

»Schauen Sie, das hat mit meiner Flugangst überhaupt nichts zu tun. Ich habe Sie eben auf dem Airport nicht gesehen, habe gar nicht mitgekriegt, dass ich Sie mit meiner Laptoptasche angerempelt habe. Aber wenn Sie sich nicht wie eine Winz-Furie auf mich gestürzt hätten, hätte ich mich vielleicht sogar entschuldigt.«

»Das bezweifle ich. Sie haben keine Manieren. Ich meine, wie wollen Sie erklären, dass Sie mich im Olive & Ivy vorgeführt haben? Dass Sie am Barrista-Wagen so ein Rowdy gewesen sind? Hm?«

Plötzlich grinste er, und seine Zähne blitzten sexy auf, was ein lustvolles Kribbeln tief in meinem Bauch auslöste. Meine körperliche Reaktion auf sein Lächeln verblüffte mich. »Weil’s Spaß gemacht hat. Es ist so leicht, Sie so richtig auf die Palme zu bringen.«

Ich schnaubte in dem Versuch, das Gefühl der körperlichen Anziehung abzuschütteln. Aber selbst in meinen Ohren klang meine Antwort hochmütiger als beabsichtigt. »Sie sind ein ziemlich komischer, streitsüchtiger Kauz.«

»Und Sie sollten mal drüber nachdenken, sich den riesigen Stock, der in Ihrem knackigen Winzhintern steckt, operativ entfernen zu lassen.«

»Tut mir leid. Ich fürchte, Sie irren sich, wenn Sie glauben, dass es mich kümmert, was Sie denken.«

Er schnaubte spöttisch. »Baby, ich sagte doch schon, dass Sie sich ganz offensichtlich viel zu sehr um das scheren, was andere denken.«

Wütend, dass er immer wieder darauf herumritt, aber fest entschlossen, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mir das zusetzte, begann ich in aller Ruhe, meine Jackentaschen abzuklopfen, und blätterte dann die Zeitschriften im Sitz vor mir durch.

»Was tun Sie denn da?«

Ich wandte ihm den Kopf zu. Er musterte mich stirnrunzelnd. »Ich suche nach Papier und Stift.«

Fragend zog er die Augenbraue in die Höhe.

»Ich dachte, ich mache mir Notizen zu Ihren weisen Ratschlägen … und dann können Sie das Blatt nehmen und es sich in den Hintern schieben.«

»Wollen Sie nicht endlich die Klappe halten, damit ich den Start hinter mich bringen kann?«

Mein Lächeln war zugegebenermaßen hochmütig. »Das haben Sie fast.«

Er runzelte die Stirn und schaute sich um. Erst jetzt bemerkte er, dass wir in der Luft waren. Die Maschine hatte sich noch nicht ausbalanciert, aber schon vor ein paar Minuten abgehoben. Der Wikinger/Schotte hatte sogar lauter gesprochen, um das Motorengeräusch zu übertönen, aber er hatte sich so auf mich konzentriert, dass er auf den Start gar nicht geachtet hatte.

Er sah mich wieder an und wirkte ehrlich verblüfft.

»Gern geschehen.«

Kapitel 4

Anscheinend konnte ich vor lauter Erschöpfung nicht mehr klar denken, denn eine Sekunde lang glaubte ich fast, der Schotte würde mir danken, weil ich ihn vom Start abgelenkt hatte.

Doch sein überraschter Gesichtsausdruck verschwand so schnell, wie er gekommen war, und er verzog säuerlich die Lippen. »Sie erwarten hoffentlich nicht, dass ich Ihnen danke.«

Seine Stimme klang so kalt, dass ich fast eine Gänsehaut bekam. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mich während unseres Gesprächs zu ihm vorgebeugt hatte. Ich wich zurück, drückte mich in meinen Sitz und setzte ebenfalls eine finstere Miene auf. »Wie dumm von mir, das auch nur eine Sekunde lang anzunehmen.«

»Aye, genau. Mich so lange zu nerven, bis ich abgelenkt bin, kann man wohl kaum als Hilfe bezeichnen.«

Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem E-Reader zu, um die Existenz des Schotten nun wirklich auszublenden. »Sie sind ein erbärmlicher Mistkerl, wissen Sie das eigentlich?«

»Baby, wenn ich anfange, mich darum zu kümmern, was verhätschelte Prinzessinnen von mir halten, weiß ich, dass mein Leben nicht mehr lebenswert ist.«

Das saß. Eine heiße und höchst unwillkommene Röte überzog meine Wangen. Was für ein grässlicher Kerl. Einfach grässlich! Selbst schuld, dass ich Mitleid mit ihm gehabt hatte und fälschlicherweise davon ausgegangen war, dass sein Verhalten eine Folge von Flugangst war. Ein solcher Fehler würde mir nicht noch einmal unterlaufen. »Nennen Sie mich nicht dauernd ,Baby‘. Ich heiße Ava.«

Er gab keine Antwort, und ich hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen.

Als verkündet wurde, dass wir größere Geräte jetzt wieder benutzen dürften, holte mein schrecklicher Sitznachbar wieder seinen Laptop hervor und fuhr fort, mir keinerlei Beachtung zu schenken – was ich mittlerweile für einen Segen hielt. Dass er meine Existenz einfach leugnete, kränkte mich nicht länger. Für mein Selbstwertgefühl war es offenbar besser so.

Doch entweder lag es an meiner Lektüre, oder er ging mir stärker unter die Haut, als mir lieb war, denn von der Geschichte bekam ich nicht allzu viel mit. Ich hätte auch zeichnen können, entweder Entwürfe für die Arbeit oder zufällige Skizzen zum eigenen Vergnügen. Aber Stella hatte mir untersagt, meinen Laptop mitzunehmen, und mir geraten, eine Abwesenheitsnotiz in meine E-Mails zu setzen, damit ich nicht von der Arbeit abgelenkt wurde. Auf meinen Skizzenblock hatte ich dann ebenfalls verzichtet. Meine Chefin würde die nächsten paar Tage für mich einspringen, denn sie war nicht einfach nur mein Boss, sondern auch meine Freundin. Wir waren nur zu viert bei Stella Larson Designs: Stella, ich, Paul und unser Juniordesigner Gabe. Wir hatten es mit Projekten auf der ganzen Welt zu tun, nicht nur in den Staaten. Deshalb war ich es gewohnt, zu den Projekten zu fliegen, Daten zu sammeln, Maß zu nehmen, eine Fülle von Fotos zu machen, um die entsprechenden Räumlichkeiten dann später von unserem Büro in Boston aus zu designen. Je nach Größe des Projekts flog ich sogar mehrfach zum Kunden.

Wir arbeiteten mit mittleren sechsstelligen bis hin zu Millionenbudgets. Und wir waren mit Leib und Seele für Stellas Firma tätig. Sie machte es uns leicht, verlangte hervorragende Leistungen und eine professionelle Herangehensweise, behandelte uns aber nicht wie Angestellte, sondern wie Freunde, die sich mit Problemen an sie wenden konnten. Arbeitgeber wie Stella gab es nicht viele, und mit ihrer Loyalität hatte sie auch unsere gewonnen. Der Tag, an dem sie mich ansprach, nachdem sie das Ergebnis meines ersten großen Soloprojekts nach dem College gesehen hatte (ich hatte meinen Onkel überredet, dass er mich sein Büro neu ausstatten ließ, und er war zufällig Stellas Steuerberater), war ein echter Glückstag gewesen.

Aber in diesem Moment verfluchte ich Stella dafür, dass sie so eine nette Chefin war. Ich wünschte mir, sie hätte verlangt, dass ich immer auf dem neuesten Stand blieb, denn dann hätte ich jetzt ein paar Mails beantworten können. Sicherlich hatte sich eine Flut von Nachrichten zu den beiden Projekten angesammelt, an denen ich momentan arbeitete. Manchmal hatte ich Kunden, die mir vollkommen freie Hand ließen, doch meistens hatten meine Kunden wenigstens eine grobe Vorstellung von dem, was sie wollten. Manche jedoch wollten bei jeglicher Entscheidung, die ich in Bezug auf Stoffe und Farben traf, mitmischen. Diese Art von Kunden war besonders anstrengend, und im Augenblick hatte ich mit einem solchen Exemplar zu kämpfen.

Ich vermutete, dass Stella schon ganz kribbelig darauf wartete, dass ich endlich wieder an die Arbeit ging.

Nun, dieses Gefühl kannte ich.

Neidisch beobachtete ich, wie mein Sitznachbar an seinem Laptop vor sich hin arbeitete.

Der einzige Lichtblick war der leichte Lunch, den uns die Flugbegleiter servierten, und dass ich endlich die Tasse Kaffee bekam, nach der ich mich gesehnt hatte. Es war Instantkaffee, er schmeckte also alles andere als toll, aber er enthielt Koffein, und so konnte ich ein leises, genüssliches Seufzen nicht unterdrücken, das mir nach dem ersten Schluck über die Lippen kam.

Erst glaubte ich, dass der Schotte bei diesem Laut aufhorchte, aber als ich ihm einen Seitenblick zuwarf, schaufelte er gerade sein Essen in sich hinein und ignorierte mich.

Mein Lunch hingegen konnte warten. Erst wollte ich meinen Kaffee genießen.

»Wenn Sie das nicht essen, mach ich’s«, verkündete er in genervtem Ton.

Keine Ahnung, wieso es ihm gegen den Strich ging, dass ich einfach nur dasaß.

»Ich werde schon noch essen. Ich genieße nur zuerst meinen Kaffee.«

»Ich hab schon befürchtet, Sie gehören zu den Frauen, die nichts essen.« Er zuckte mit den Schultern und kippte seinen restlichen Kaffee hinunter.

»Wir haben ja schon festgestellt, dass Sie eine voreingenommene Nervensäge sind.« Ich lächelte liebreizend, bevor ich mich meinem Lunch widmete. Ich spürte, dass er mich beobachtete, und aß langsam und bewusst, denn ich hatte so eine Ahnung, dass ihn das ärgern würde. Und es war bestimmt keine Einbildung, als die Spannung zwischen uns wuchs, während ich im Schneckentempo meinen Schinkensalat Bissen für Bissen zum Mund führte.

»Nehmen Sie das mit«, meinte er missmutig, und ich wandte den Kopf und sah, dass er das leere Tablett dem Flugbegleiter hinhielt. Dieser starrte es einen Augenblick lang verblüfft an.

»Natürlich, Sir«, erwiderte er dann ruhig und professionell, nahm es und ging davon.

Vor Zorn über sein Verhalten konnte ich einfach nicht an mich halten. »Sagen Sie eigentlich niemals Bitte oder Danke?«

Er warf mir einen düsteren Blick zu. »Was?«

Ich deutete mit meiner Plastikgabel auf die Stelle, wo eben noch der Flugbegleiter gestanden hatte. »Andere Leute sind nicht Ihre Diener. Die Flugbegleiter sind nicht Ihre Diener. Sie machen nur ihre Arbeit und versuchen, Ihnen den Flug so angenehm wie möglich zu machen. Ihr barsches und distanziertes Verhalten und die Tatsache, dass Sie ungewollt andere Leute beleidigen, weil Sie Flugangst haben, lässt sich ja noch entschuldigen. Das sage ich mir schon die ganze Zeit. Aber die Art, wie Sie mit den Dienstleistern reden, macht Sie zu einem arroganten, unerzogenen Mistkerl.«

»Wenn ich Sie wäre, würde ich die Klappe halten und mich um meinen eigenen Kram kümmern.«

»Ja? Und wenn ich Sie wäre, würde ich mal tief in meiner dunklen Seele wühlen und nachsehen, ob ich nicht hin und wieder ein Dankeschön aus meinem Innersten hervorzaubern kann.«

Keine Ahnung, ob es die aufrichtige Entrüstung war, die in meinen Worten mitschwang, aber die Augen des Schotten weiteten sich ganz leicht, bevor er wieder eine düstere Miene aufsetzte und seinen Laptop erneut laut und vernehmlich auf das Klapptischchen knallte.

Was für ein widerlicher, widerlicher Kerl.

Nun fiel es mir erheblich leichter, ihn zu ignorieren. Tatsächlich konnte ich mich nach dem Lunch (und einem weiteren Kaffee) endlich auf mein Buch konzentrieren. Doch eine Viertelstunde vor unserer mutmaßlichen Landung wurde der Drang, die Toilette zu benutzen, so groß, dass ich meinen Sitznachbarn unmöglich weiter mit Missachtung strafen konnte. Ich würde ihn bitten müssen aufzustehen. Außerdem war mir viel zu warm, und ich wollte mir unbedingt die Jacke ausziehen.

»Könnten Sie mich bitte durchlassen?«, fragte ich und achtete auf einen neutralen Ton.

Mit gleichmütiger Miene hob er seinen Laptop hoch, schob seinen Tisch zurück und bedeutete mir, mich an ihm vorbeizuschlängeln.

Ich starrte den kaum vorhandenen Platz zwischen seinen Knien und dem Sitz vor ihm an. Sollte das ein Witz sein? Er wollte noch nicht mal aufstehen? Ich sah ihm ins Gesicht, richtete den Blick aber dann entschlossen nach vorn.

Na gut!

Wenn ich ihm zufällig auf den Fuß treten und ihm meinen Absatz in die Zehen bohren würde, war das seine Schuld. Ich schnaubte, stand auf und hielt mich an der Sitzlehne vor ihm fest, wobei ich mich bemühte, nicht den Kopf der darin sitzenden Frau zu berühren. Dann schob ich mein rechtes Bein in die winzige Lücke, die er frei gelassen hatte. Wäre er normal groß gewesen, hätte ich mich zwischen den geräumigen Erste-Klasse-Plätzen problemlos an ihm vorbeiquetschen können.

Aber er war nicht normal groß.

Mein Bein stieß gegen seins, und ich krallte die Fingernägel in die Kopfstütze vor mir. Als ich mein linkes Bein nachzog und mein Absatz seinen Fuß traf, hörte ich ihn fluchen. Ein Gefühl der Befriedigung durchrieselte mich, und ich schob mich weiter vor. Ich spürte, wie er die Beine anspannte, und plötzlich war ich mir der Tatsache bewusst, dass sich mein Hintern genau vor seinem Gesicht befand. Gott sei Dank wurde dieser von meinem Jackettschößchen bedeckt.

Endlich stolperte ich in den Mittelgang und warf ihm noch einen, wie ich hoffte, vernichtenden Blick zu.

Aber der Mistkerl beugte sich schon wieder über seinen Laptop.

Wie war es nur möglich, dass dieser ungehobelte Typ nicht längst von seinem Karma eingeholt worden war? Mit diesem Gedanken marschierte ich den kurzen Gang hinab und auf die Toilette am Eingang der Bordküche zu.

In der Kabine zerrte ich mir anschließend das Jackett vom Leib. Mir war unerträglich heiß. Gott sei Dank war das Seidenshirt darunter an den Armen weit genug ausgeschnitten, sodass sich keine feuchten Flecken auf dem Stoff gebildet hatten. Ich schnüffelte an mir, um zu checken, ob ich verschwitzt roch. Das war zwar nicht der Fall, aber ich würde mich trotzdem frisch machen, damit es auch nicht dazu kommen würde. Nicht, dass es mir etwas ausgemacht hätte zu riechen, solange ich neben diesem Arschloch saß. Ich hätte alles getan, um ihm den restlichen Flug so unangenehm wie möglich zu gestalten.

Mir war klar, dass ich nicht länger auf dem WC ausharren konnte. Ich schlüpfte hinaus und prallte beinahe mit der Frau zusammen, die auf dem Sitz vor dem Schotten gesessen hatte.

»Tut mir leid.« Ich lächelte entschuldigend. »Warten Sie schon lange?«

Sie schüttelte den Kopf, und ich konnte mir zuerst keinen Reim auf ihr mitfühlendes Gesicht machen, bis sie sagte: »Ist schon gut. Wenn ich neben diesem Vollidioten säße, würde ich auch eine Ewigkeit auf der Toilette bleiben wollen.«

Natürlich hatten die Leute um uns herum unseren Schlagabtausch mitbekommen. Seltsamerweise hatte ich während des Gesprächs mit diesem miesen Flegel alles um mich herum vergessen und nur noch ihn im Kopf gehabt. Diese Erkenntnis war mir unangenehm. »Ja«, antwortete ich leise.

»Aber ein Punkt für Sie. Sie wissen, wie man mit ihm umgehen muss. Ich glaube, ich wäre schon vor dem Start aus dem Flugzeug geworfen worden, weil ich ihm einen Kinnhaken versetzt hätte.«

Ich lachte und dankte ihr, und während ich zu meinem Sitz zurückkehrte, war ich erleichtert, dass unser Flug beinahe vorüber war. Als ich mich dem Schotten näherte, sah er auf. Dann wanderte sein Blick wieder zu seinem Computer, aber nur für eine Millisekunde, bevor er wieder zu mir nach oben schoss. Mit seinen arktisblauen Augen schaute er mich an und ließ den Blick über mein Dekolleté und das dünne Top, das ich mir in den hohen Bund des Bleistiftrocks gesteckt hatte, gleiten.

Zu meinem Ärger lief mir ein Schauer über den Rücken, weil ich jetzt so relativ freizügig gekleidet war.

Seine Augen lagen nun wieder auf meinem Gesicht, und er schien nicht mehr durch mich hindurchzusehen.

Mürrisch verzog er das Gesicht.

Ich kniff die Augen zusammen und fragte mich, was zum Teufel ich jetzt schon wieder falsch gemacht hatte. Dann deutete ich auf meinen Sitz. »Können Sie mich wieder durchlassen?«

Er knallte seinen Laptop zu und den Tisch wieder herunter. »Aufmerksamkeitsgeil«, murmelte er leise.

Ich umklammerte den mittlerweile leeren Sitz vor ihm und drehte ihm den Rücken zu, während ich mich an ihm vorbeischob. »Ja, natürlich: Wer pinkeln muss, ist eigentlich nur auf Aufmerksamkeit aus.«

Wieder trat ich mit dem Fuß versehentlich auf seinen, und er presste die Knie fester gegen die Rückseite meiner Oberschenkel, sodass ich mich nicht weiterbewegen konnte.

Ich sah über die Schulter und wollte ihn gerade anblaffen, als ich ihn dabei ertappte, wie er meinen Hintern anstarrte. In seinen Augen loderte eine ganz neue Hitze. Diesen Blick hatten Typen normalerweise, wenn sie mich am liebsten aufs nächstbeste Bett werfen wollten.

Plötzlich brannte sich das Bild, wie er über mir emporragte, sein Körper zwischen meinen Beinen, wie eine Feuerwolke durch meinen Körper, die mich gleichermaßen schockierte wie ärgerte.

Hmm.

Abrupt wandte ich das Gesicht wieder ab, denn auf solche Gedanken wollte ich mich gar nicht erst einlassen. »Würden Sie bitte Platz machen?«, stieß ich hervor.

Er zog seine Knie so plötzlich zurück, dass ich das Gleichgewicht verlor und mit weniger Grazie, als mir lieb war, zurück auf meinen Sitz plumpste.

Ich spürte seine Augen auf mir und warf ihm den bestimmt hundertsten bösen Blick an diesem Tag zu. »Was?«

Statt zu antworten, wandte er sich um, beugte sich in den Gang und richtete sich mit meiner Jacke in der Hand wieder auf. Ich hatte nicht mal bemerkt, dass ich sie fallen gelassen hatte. Er hielt sie mir hin, und ich riss sie ihm aus der Hand.

»Was? Kein Dankeschön?«, spottete er.

»Ich werde Ihnen wohl kaum dafür danken, dass Sie nicht mal aufgestanden sind, um mich durchzulassen, wie es sich eigentlich gehört hätte.«

Er schnaubte und wandte sich erneut seinem Laptop zu.

»Ladys und Gentlemen, wir nähern uns jetzt Chicago O’Hare«, verkündete die erste Flugbegleiterin über das Intercom. »Bitte verstauen Sie größere Gepäckstücke und Laptops in den Fächern über Ihren Köpfen, klappen Sie die Tische ein, und stellen Sie Ihre Sitze zur Landung in eine aufrechte Position …« Ihre Stimme schien zu verstummen, während ich den Schotten unwillkürlich dabei beobachtete, wie er seinen Laptop zusammenpackte. Er klappte den Tisch ein und stand von seinem Sitz auf, reckte sich zu voller Größe auf. Mit Leichtigkeit gelangte er an die Gepäckfächer über den Köpfen der Passagiere, wo er den Laptop in eine Tasche schob. Ich ließ die Augen an seinem langen Körper hinabwandern und wünschte mir, dass Menschen mit miesem Innenleben auch äußerlich wie Monster aussehen sollten. Und da ich schon beim Wünschen war, dann bitte auch, dass mein Körper nicht dermaßen inkonsequent reagierte, dass er sich über die Höhlenfrau hinausentwickelt hätte, dass es ihn nicht nach dieser Art von purer Männlichkeit gelüstete, von der ich nicht mal gewusst hatte, dass es sie überhaupt noch gab.

Verlangen durchzuckte mein Innerstes, und mein Schoß krampfte sich vor Begierde zusammen, gefolgt von unmissverständlichem Kribbeln. Ich errötete, riss den Blick von dem Schotten los und begann, mir meine Jacke wieder überzuziehen.

Mein Gott, wie ich den Mann hasste.

Unsere Sitze hüpften ein wenig, als er sich wieder in den seinen warf. Sofort schnallte er sich an, und wieder musterte ich ihn aus den Augenwinkeln. Erneut verkrampften sich seine Finger über den Armlehnen zwischen uns.

Okay, wenn ich mir tatsächlich irgendetwas wünschen könnte, dann, dass ich nicht so weichherzig war, denn er tat mir immer noch ein wenig leid. Obwohl ich diesen Mann wirklich verabscheute, war mir die Vorstellung zuwider, dass jemand, der sein Leben durchaus im Griff zu haben schien, dermaßen von Angst gepackt wurde. Ich hatte das Gefühl, dass die Angst diesem Typen deutlich mehr zu schaffen machte als den meisten anderen Leuten.

Wir saßen in angespanntem Schweigen da, als das Flugzeug sich langsam senkte und zur Landung ansetzte.

»Ich spüre, dass Sie da neben mir vor sich hin brüten.«

Ich hätte mich nicht mehr auf ein Gespräch mit ihm einlassen sollen, aber im Gegensatz zu ihm hatte ich eben ein Herz, und mir war klar, dass er jetzt nur redete, um sich abzulenken. Er war wie ein kleines Kind und hätte niemals zugegeben, dass er mich brauchte, damit ich ihn auf andere Gedanken brachte. Also antwortete ich und gab mich dabei genauso verärgert, wie er es sich wünschte. »Ich brüte nicht.«

»Sie brüten.«

»Sie kennen mich doch gar nicht gut genug, um zu wissen, ob ich brüte.«

Er seufzte. »Baby, dafür muss man Sie nicht kennen. Sie tragen Ihre Gefühle deutlich auf dem Gesicht.«

»Gar nicht. Ich wette, Sie haben keine Ahnung, was ich im Augenblick fühle.«

»Sie wollen mich am liebsten umbringen und haben gleichzeitig eine Spur Mitgefühl.«

Mir blieb vor Erstaunen über seinen klaren Blick der Mund offen stehen.

Er verdrehte die Augen. »Mordlust ist in Ordnung. Aber zur Hölle mit Ihrem Mitgefühl.«

»Sie sind schrecklich. Das ist Ihnen doch klar, oder? Und zwar richtig schrecklich. Gibt es auf dieser Welt überhaupt irgendjemanden, der das nicht so sieht?«

»Meine komplette Familie. Kollegen. Freunde. Die Frauen, mit denen ich geschlafen habe.«

Bei diesen unverblümten Worten und den Bildern, die sie heraufbeschworen, wurden meine Wangen wieder ganz heiß. »Bei Letzterer machen Sie sich wahrscheinlich etwas vor.«

»Glaube ich eher nicht.« Wieder glitt sein Blick kalt über mich hinweg, dann wandte er abrupt den Kopf ab. »Verklemmte Prinzessinnen kapieren das nur einfach nicht. Sie fallen immer auf die falschen Typen rein, die keine Ahnung haben, wie sie ihnen Lust verschaffen können, schreiben deshalb Sex ab und glauben, dass Frauen, die ihn genießen, sowieso nur Lügenmärchen erzählen.«

Das dachte er vielleicht. »Ich hatte guten Sex. Tollen Sex.« Doch das war Jahre her, und der darauffolgende Betrug hatte mir das Herz gebrochen, aber es war guter Sex gewesen.

Er starrte mich an, wahrscheinlich, um festzustellen, ob ich aufrichtig war.

»Überraschend.«

Ich fühlte mich unbehaglich unter seinem forschenden Blick, weshalb ich beschloss, dass es jetzt definitiv Zeit für einen Themenwechsel war. »Also Ihre Familie … wissen die, dass Sie ein unhöflicher Fiesling sind?«

»Warum sollten sie? Zu denen bin ich ja nett.«

»Oh, Sie geben also zu, mich gemein zu behandeln?«

»Vielleicht. Vielleicht muss ich das ja.«

Diese rätselhafte Antwort machte mich noch wütender als alles andere, was er bislang gesagt hatte. »Was soll das heißen?«

Die Eiseskälte in seinen Augen wich plötzlich einer gewissen Wärme. »Das bedeutet …« Seine tiefe Stimme vibrierte etwas, als die Maschine auf dem Rollfeld aufsetzte. »… es ist wichtig für mich, dass Sie mich hassen.«

Ich zog eine Grimasse. »Was ist das denn nun wieder für ein Mist?«

Seine Lippen zuckten, und er musterte mich. »Die Art von Mist, der sich daraus ergibt, dass Sie wahrscheinlich nicht für die Idee empfänglich sind, mit mir zu schlafen.«

Ich war starr vor Überraschung. »Wie bitte?«

»Sie wollen nicht mit mir schlafen, oder?«

»Nein!«, antwortete ich energisch, denn sosehr ich mich auch von ihm angezogen fühlte, mochte ich ihn wirklich so gar nicht. Mehr als das: Ich hatte nicht einen Funken Respekt für ihn.

Ich glaubte, angesichts meiner ehrlichen Antwort eine Spur von Enttäuschung in seinen Augen zu erkennen. »Gut«, stieß er hervor und wandte den Kopf ab. Offensichtlich war ihm in diesem Augenblick klar geworden, dass wir gelandet waren, denn schon sah er wieder zu mir hin. Sein Gesichtsausdruck wurde eine Spur weicher. Mit seinem Blick signalisierte er mir, was er offenbar nicht laut aussprechen konnte.

Ich glaubte schon, mir das wortlose Danke nur eingebildet zu haben, bis er mir kurz zunickte.

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