×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Barrie – Wie ich eine Hündin rettete – und sie mich«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Barrie – Wie ich eine Hündin rettete – und sie mich« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Barrie – Wie ich eine Hündin rettete – und sie mich

Als Buch hier erhältlich:

hier erhältlich:

Tierliebe kennt keine Grenzen. Eine Mischlingshündin berührt die Herzen der härtesten Soldaten … und schenkt einem Mann neuen Lebensmut

Seán Laidlaw entschärft Bomben im kriegsversehrten Syrien, als er ein Wimmern aus den Trümmern einer zerstörten Schule hört. Er folgt dem Geräusch und stößt auf einen einsamen Welpen. Verlassen – genau wie Seán sich fühlt, dem seine Arbeit in Syrien schwer zugesetzt hat. Doch in den Augen des kleinen Vierbeiners Barrie sieht er, was echte Freundschaft auszurichten vermag.

Langsam fasst die Hündin Vertrauen und gibt Seán neuen Lebensmut … ehe er in die Heimat zurückgerufen wird – ohne Barrie. Schon nach seinem ersten Einsatz in Afghanistan hat die Rückkehr in die Normalität Seán in ein tiefes Loch gestürzt. Wie soll er seine dunklen Erlebnisse diesmal bewältigen? Und wird seine Gefährtin überleben? Mithilfe zahlloser Unterstützer aus der ganzen Welt macht er die Einreise der Hündin möglich. Doch Barrie steht ein gefährlicher Weg bevor …

Es ist die Geschichte einer einzigartigen Schicksalsgemeinschaft zwischen Menschen und Hund. Der berührende Bestseller aus Großbritannien.


  • Erscheinungstag: 27.10.2020
  • Seitenanzahl: 272
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749950133
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Andy

1

Das erste Mal begegnete mir Barry an einem ganz normalen Montagnachmittag. Der Himmel war bedeckt, und es war ein wenig kühl, nicht ungewöhnlich für Syrien im Februar. Er hatte sich in den Haufen Schutt eines nahe gelegenen Schulgebäudes verkrochen, wo er stur die Stellung hielt und aussah, als würde er sich dort verstecken. Winselnd kauerte er unter einer Betonplatte von der Größe einer Tür.

Barry war winzig und sichtlich verängstigt. Tiefe Traurigkeit überkam mich, als ich diesen kleinen wimmernden Hund betrachtete, inmitten der Überreste einer Schule, die nun überall verstreut lagen. Er war ein Bild der Unschuld, und ich fragte mich, was ihn dorthin gebracht hatte.

Ich konnte es nicht gut erkennen, aber trotz der Verwüstung um ihn herum wirkte er einigermaßen unversehrt, wobei die Betonung hier auf einigermaßen liegt.

Die meiste Zeit meines Erwachsenenlebens bin ich Soldat gewesen und habe erlebt, wie gewaltig sich ein Krieg auf alles auswirkt, was seinen Weg kreuzt. Unsere morgendlichen Fahrten durch die Stadt Rakka boten eine Diashow all dieser Schrecken. Wir fuhren kilometerweit an ausgebombten Gebäuden vorbei, an Häusern, deren Wände mit Einschusslöchern übersät waren. Der Krieg ist gnadenlos, und Barry war im Bauch dieses Monsters geboren worden.

Barrys Ohren waren einen Hauch dunkler als der Rest seines Körpers, der bis auf den schwarz und braun gefleckten Kopf weiß war. Sie standen seitlich von seinem runden Köpfchen ab. Er war von einer Staubschicht umhüllt wie von einer Decke, ich konnte sie auf seinem Fell zittern sehen.

»Ich habe auch Angst«, sagte ich zu dem Kleinen, der natürlich nicht wissen konnte, dass mich im Alter von fünf Jahren ein Rhodesian Ridgeback angegriffen hatte – ein fieser alter Hund, der unseren Nachbarn gehörte. Dieses Erlebnis war hängen geblieben, weshalb mir jetzt, gelinde gesagt, ein klein wenig beklommen zumute war.

Aber ich dachte mir: Ach, zur Hölle, was soll’s! Im schlimmsten Fall beißt er mich, dann erzähle ich allen, eine Bestie von Hund hätte sich auf mich gestürzt.

»Hi, ich bin Seán. Wie heißt du?«, fragte ich vielleicht eine Spur zu optimistisch.

Natürlich antwortete er mir nicht direkt – wie auch, er war schließlich ein Hund –, aber er würdigte mich keines Blickes, hielt den Kopf nur starr in derselben Position. Irgendwann bemerkte ich, wie er mich vorwitzig aus den Augenwinkeln ansah. Freches Kerlchen, dachte ich.

»Du brauchst einen stolzen, würdevollen Namen«, sagte ich zu ihm. Ich wollte, dass er einen coolen Namen bekam, keins dieser süßen Kosewörter wie Schnuffel oder Marshmallow. Oder Flecki – um Himmels willen nicht Flecki. Das passt nicht zu dir. Ich besah ihn mir näher, und da kam mir eine Idee.

»Barry. Ich nenne dich Barry!«

Eines meiner Teammitglieder – wir waren neun Leute und hießen Team 1 – hieß Barry, und auch wenn er sich immer wieder einredet, ich hätte den Hund nach ihm benannt, ist das nicht der Fall.

Ab jetzt war Barry meine Mission. Obwohl er wie ein kleiner Frechdachs wirkte, brauchte es nicht mehr als diesen einen flüchtigen Seitenblick von ihm, und es war um mich geschehen. Ich war hin und weg.

Es war ein Glück, dass ich Barry gefunden habe, nicht zuletzt, weil ich ihn, dem Wimmern nach zu schließen, zuerst für ein syrisches Kind hielt, das irgendwo eingeschlossen und womöglich verletzt war.

IMAGE

Hinter uns lag ein langer Arbeitstag in Rakka, der ehemaligen Hauptstadt des sogenannten Islamischen Staats. Mein Team hatte die Aufgabe, eine Green Zone zu schaffen, ein Gebiet, das frei von Sprengfallen und sicher für Zivilisten war, und an diesem Tag hatten wir Tonnen von dem Scheiß in die Luft gejagt. Der IS war eine gnadenlose, heimtückische Truppe, die uns bergeweise Fallen und Bomben hinterlassen hatte. Gegen drei Uhr nachmittags hatten wir die letzte Sprengfalle in einem Regierungsgebäude am Ufer des Euphrat im Süden der Stadt beseitigt. Wir waren müde und froren. Die Sonne verbarg sich hinter gewaltigen weißen Wolken. Am anderen Ufer des Flusses standen unsere Fahrzeuge an einer Tankstelle. Dorthin gingen wir nun zurück und wärmten uns an einer Tasse Chai.

Wenn ich sage, dass wir tonnenweise Scheiß in die Luft gejagt hatten, dann meine ich wirklich eine Menge. Ich war Spezialist für Bombenentschärfungen in der am heftigsten bombardierten Stadt der Welt; die Kakophonie der Explosionen und Schießereien brach nie ab, bis wir sie irgendwann nur noch als ein Hintergrundrauschen wahrnahmen. Man gewöhnt sich einfach daran. Ohrenbetäubende Explosionen waren in Syrien nicht ungewöhnlich, aber an jenem Tag war es, als befänden wir uns in einem leeren Raum, in dem nur das Echo von Barrys Wimmern zu hören war.

Das Entschärfen von Bomben folgt einem festgelegten Protokoll von dem Moment an, in dem wir die Sprengfalle finden, bis wir sie entschärfen oder in die Luft jagen – in der Regel geschieht Letzteres. Nachdem ein Sprengsatz identifiziert wurde, folgt immer ein Moment der Stille, ehe das Entschärfungsverfahren in Gang gesetzt wird. Oder kurz gesagt: Bevor sich die Gefahrenzone in das Set eines Katastrophenfilms verwandelt, informieren wir alle über Funk über unsere nächsten Schritte.

Das ist wichtig, sehr wichtig sogar, denn die Sicherheit jedes Einzelnen geht absolut vor. Wer da draußen überleben will, muss gut organisiert sein. Schließlich möchte niemand inmitten eines Kriegsgebiets plötzlich eine Explosion erleben, mit der man nicht gerechnet hat. Denn glaubt mir, das ist wirklich kein Vergnügen.

Wenn etwas nicht nach Plan läuft, wartet man einige qualvolle Minuten, in denen einem das Herz bis zum Hals schlägt, auf eine Bestätigung des anderen Teams. Man wartet darauf, dass das Funkgerät Informationen über Opfer preisgibt, hofft, dass diese furchtbare Stille bald unterbrochen wird.

Es wirkt vielleicht selbstverständlich, ist aber fundamental: Wir müssen hundertprozentig sicher sein, dass wir die Einzigen sind, die irgendetwas in die Luft jagen.

Plötzlich und heftig durchbrach ein Jaulen die unheimliche Stille, und sofort rannte ich zu der Stelle, von der das Geräusch kam. Als Soldat hat man vielleicht eine Sekunde Zeit für seine Emotionen, aber dann muss man sich zusammenreißen und handeln. Ich dachte, das könnte eine Rettungsmission werden.

Rakka ist nicht so verlassen, wie man vielleicht denkt – in gewisser Weise ist es sogar eine trubelige Stadt. Zumindest fühlte es sich so an. Morgens waren wir nicht die Einzigen, die mit Fahrzeugen unterwegs waren, es gab Märkte, und Kinder spielten in den Straßen. Viel zu oft fanden wir die leblosen Körper von Kindern, die einen falschen Schritt getan und dafür mit ihrem Leben bezahlt hatten.

Bei dem Gedanken an ein gefährdetes Kind entsteht im Kopf kurz eine Panik, die man unmöglich verhindern kann, aber sie wird fast unmittelbar danach von der Erkenntnis überlagert, dass es noch gerettet werden kann. Und dann blendet man alles andere aus. Es ist deine Mission, es ist das, wofür du ausgebildet wurdest.

Ich hatte einen Dolmetscher, damit ich mit meinen syrischen Jungs kommunizieren konnte, aber in diesem Augenblick brauchten wir ihn nicht. Wir alle scannten sofort die Umgebung und lauschten auf ein weiteres Wimmern.

Das Geräusch war von einer Stelle wenige Hundert Meter von dort entfernt gekommen, wo unsere Fahrzeuge parkten, aus dieser Schule, deren Mauern komplett nach innen eingestürzt waren. Rakka war in keiner guten Verfassung: Schutt und Staub, so weit das Auge reichte. Wind strich durch die Risse und Spalten seiner Gebäude und fegte grauen Staub durch die Stadt, was so unheimlich klang wie ein lang gezogenes Flüstern.

Heute glaube ich, Barry wollte uns mitteilen, wo er sich befand, denn er heulte noch einmal auf wie eine Sirene.

»Da lang!«, brüllte ich und zeigte auf eine Ansammlung von Steinbrocken. Sie waren kaskadenartig vom zweiten Stock des Schulgebäudes heruntergefallen und bildeten eine Art Treppe, die wir hinaufsteigen konnten.

Wir mussten uns dem Geräusch vorsichtig nähern, da wir das Gebiet noch nicht nach versteckten Sprengsätzen abgesucht hatten. Obwohl er nicht weit weg war, konnten wir nicht so schnell bei ihm sein, wie man sich das unter normalen Umständen vielleicht vorstellt. Es war nicht wie im Film, wo man wie ein Irrer auf das Opfer zurennt. Es dauerte. Auf unserem Weg suchten wir die Umgebung nach der Quelle des Wimmerns ab, aber auch nach Anzeichen für Sprengfallen oder Drähten.

Es war eine ziemlich gebräuchliche Taktik des IS, ein Kind weinen zu lassen, um Ersthelfer anzulocken. So war die Realität da draußen, und es macht mich immer noch krank. Jeder einzelne Schritt zählt in Syrien, das durften wir nie vergessen.

Nachdem ich mir meinen Weg durch noch mehr Schutt gebahnt hatte, fand ich ihn endlich, zitternd unter der massiven Betonplatte. Ich schob die Arme darunter, um die Platte hochzuwuchten, und drei meiner syrischen Jungs eilten mir zu Hilfe.

Ein weiterer kam dazu, um unter die Platte zu schauen und sicherzustellen, dass uns dort keine Drähte, insbesondere Stolperdrähte, Druckschalter oder Bewegungsmelder überraschten. Vorsichtig ging er auf den Boden und sah sich gründlich um. Alles sauber.

»Auf drei. Eins … zwei …« Bei drei hoben wir die Platte an und warfen sie über den Schutthaufen. Sie war schwer, bestimmt hundert Kilogramm.

Ein paar Sonnenstrahlen strichen trotz des ansonsten bedeckten Himmels darüber, und es stellte sich heraus, dass dort kein syrisches Kind gefangen gewesen war, sondern ein verängstigter Welpe.

Es war eine grausige Szene: Der Welpe war umgeben von drei anderen und einem großen Hund, seiner Mutter, wie ich annahm. Der Kleine war der einzige Überlebende des unbeschreiblichen Grauens, das ihn umgab. Ich sah ihn an, und ihm stand die Einsamkeit ins Gesicht geschrieben. Im Rückblick kann ich wohl sagen, dass ich insgeheim die gleiche Einsamkeit empfand. Wir vergessen häufig, dass der Krieg nicht nur Menschenleben zerstört, sondern alle Formen des Lebens. Der Hund gilt als der beste Freund des Menschen, aber diese Liebe und dieses Mitgefühl wird ihm selbst selten zuteil. Hier kennt er allein die Angst.

Ich hatte einen Keks dabei, den ich nun hervorholte, um zu verhandeln. Er hat bestimmt Hunger, dachte ich. Wer würde da einen leckeren Keks verschmähen? Aber meine Bemühungen, ihn damit aus der Reserve zu locken, waren vergeblich. Stattdessen versuchte er mich sogar drei oder vier Mal zu beißen. Wilder kleiner Racker.

Ich wollte ihn nicht zu sehr bedrängen – schließlich war er allem Anschein nach durch die Hölle gegangen und sollte sich nicht bedroht fühlen. Nicht, dass ich mich vor ihm gefürchtet hätte; er war ein fußballgroßer Welpe, was konnte er mir schon tun? Trotzdem trug ich zur Sicherheit meine Einsatzhandschuhe, die besonders dicke Variante, und schob ihm den Keks langsam mithilfe einer chirurgischen Klemme hin.

Nein, ich hatte keine Angst, aber in einem Kriegsgebiet ist es immer gut, so vorsichtig wie möglich zu sein. Okay, ein bisschen Angst hatte ich vielleicht doch, aber nur ganz wenig.

Nachdem sich der Welpe zuerst zurückgezogen hatte, änderte er seine Meinung, schob die Schnauze Richtung Keks und knabberte ganz vorsichtig daran. Gute Entscheidung. Ganz sachte legte ich meine Hand – immer noch in den Schutzhandschuhen – auf seinen Kopf und streichelte ihn. Es war pures Glück.

»Hallo, Barry!«, sagte ich ganz begeistert. »Bist ein braver Hund!«

Er hatte einen drolligen verwirrten Gesichtsausdruck, als ich diesen Satz ungefähr elf Mal wiederholte. Was soll ich sagen? Ich war nicht sicher, ob er wusste, wer mit dem besagten braven Hund gemeint war. Im Nachhinein denke ich, ich war für ihn wahrscheinlich nur irgendeine merkwürdige große Gestalt, die ihm unverständliche Dinge zurief, und er hatte Angst vor dem Krach, den ich dabei verursachte.

Er ignorierte mich weiterhin, obwohl er nun meinen Snack verspeiste, auf den ich mich eigentlich selbst gefreut hatte. Nachdem er erst einmal auf den Geschmack gekommen war, verschlang er den Keks mit wenigen Happen.

Erst kurz darauf bemerkte ich, dass mein ganzes Team sich krümmte vor Lachen.

Ich bin ein ziemlich großer Typ mit Vollbart und am ganzen Körper tätowiert, weshalb sie wahrscheinlich nicht mit einer derartigen Reaktion rechneten. Sie wunderten sich offenbar, dass ich der Babysprache überhaupt mächtig war.

Alle nacheinander warfen wir einen Blick auf ihn, und die kurze Zeit, die wir an diesem Tag mit ihm verbrachten, brachte eine Menschlichkeit in uns zum Vorschein, die in diesem Teil der Welt sonst selten Platz hat.

Die guten Tage in Syrien waren langweilig, die schlechten tödlich. Aber dieser war anders. Meine Jungs zeigten grinsend die Zähne wie in der Colgate-Werbung. »Barry! Barry!«, riefen sie. An diesem Nachmittag vergaßen wir für einen Moment, wo wir waren. Verrückterweise vermisse ich diese Augenblicke. Obwohl wir uns an einem der feindseligsten Orte befanden, die man sich vorstellen kann, sind mir ausgerechnet diese Gefühle noch gut in Erinnerung geblieben.

Als es dunkel wurde, mussten wir zurück zum Lager fahren. Ich musste den Welpen in Rakka zurücklassen, aber ich versprach ihm, wiederzukommen.

»Bis bald, Barry. Ich bin bald wieder da.« Ich wünschte mir so sehr, dass meine Worte der Wahrheit entsprachen. Ich wusste nicht, was Barry und mich verbinden würde, ob wir überhaupt jemals irgendeine Beziehung zueinander aufbauen würden, aber er stand für Hoffnung an diesem Ort, und ich wollte sie gerne bewahren.

Ich streckte die Hand aus, um ihn noch einmal zu streicheln, ihn meine Liebe und Wärme spüren zu lassen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass er in seinem jungen Leben viel Zuneigung erfahren hatte, und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn wiederfinden würde. Ja, ich würde mein Versprechen vermutlich nicht halten können, aber manchmal ist so eine Notlüge schon in Ordnung.

Wir ließen ihm etwas Wasser da und machten uns auf den Rückweg. Tabka lag westlich von Rakka, etwa eine Stunde Fahrt entfernt, ich hatte also viel Zeit, von einer Zukunft mit Barry zu träumen. Ich versuche nicht, mich hier als hoffnungslosen Romantiker darzustellen, das bin ich nicht, aber ich fuhr der untergehenden Sonne entgegen, und meine Gedanken waren bei ihm.

IMAGE

Am Stützpunkt musste ich unbedingt allen von Barry erzählen.

»Er war unter einem Schutthaufen versteckt!«, rief ich, immer noch ehrlich verblüfft darüber, dass ich den Hund gefunden hatte. Andy und Digger, die in gewisser Weise seine Patenonkel werden würden, waren genauso begeistert wie ich.

»Wie heißt er?«, fragte Andy.

»Barry!«, antwortete ich. »Morgen versuche ich ihn wiederzufinden.«

»Du hast den Hund nach Barry benannt?«, fragte ein etwas verwirrter Digger dazwischen. »Nach unserem Teamkollegen Barry?«

Es war ein lustiger Abend mit den Jungs. Ich verbrachte ihn wie üblich größtenteils im Fitnessstudio, aber ich konnte nicht aufhören, an den Hund zu denken. Wenn er morgen noch da ist, nehme ich ihn mit ins Lager.

Ich hatte an dem Tag ein paar Videos aufgenommen. In Syrien dokumentierte ich immer alles, was ich tat. Ich postete ein kurzes Video von Barrys Entdeckung auf Instagram, und als die Menschen in Großbritannien morgens aufstanden, war er bereits ein echter Superstar. Das Video eines verlassenen Welpen aus Syrien verbreitete sich, und bald trudelten die ersten Reaktionen aus Essex ein.

Meine liebe Familie war völlig aus dem Häuschen. Fragen ohne Ende und Wellen von Liebe machten mich fast ein wenig eifersüchtig, muss ich zugeben. Plötzlich wollten alle Barry-Videos sehen, und meine gute Freundin Netty sagte, ich dürfe ihn auf keinen Fall dort lassen.

Das war der Beginn von Barry Watch und der Beginn eines neuen Lebens für uns beide.

2

Bevor ich zum Militär ging, war ich völlig verloren. Ein junger Kerl aus Essex, der versuchte, mit allem klarzukommen, was das Leben ihm vor die Füße warf. Es war das Jahr 2005. Ich trug die Haare mit Gel im Stachel-Look wie ein Mitglied einer Neunzigerjahre-Boyband, war in immer zu große Hemden gekleidet und besaß – meinen Lehrern zufolge – keinerlei besondere Fähigkeiten.

Es ist wahnsinnig berauschend, wenn deine Lehrer dir die Fähigkeit absprechen, dein Leben auf die Reihe zu kriegen. Ein großartiges Gefühl. Ein wonniger Stachel, der nie ganz verschwindet.

Ich will nicht unfair sein. Mein Versagen in der Schule war größtenteils meine eigene Schuld. Ich kam einfach nicht klar im Unterricht. Wenn man mir eine praktische Aufgabe stellte, gab ich mir Mühe. »Seán ist immer sehr gut in der Praxis, hat jedoch Schwächen in der Theorie.« Worte, die meine Eltern regelmäßig von meinen Lehrern hörten.

In den Klassenzimmern fühlte ich mich eingesperrt, und Lehrbücher und ich passten einfach nicht zusammen. Ich wollte Dinge anpacken, nicht nur darüber lesen, wie man sie tat. Ich wollte erfahren, was die große, weite Welt für mich auf Lager hatte.

Das Leben hält bekanntlich viele wertvolle Lektionen bereit, und eine, die ich als Siebzehnjähriger lernte, war: Wenn man die Schule auf der Prioritätenliste ganz unten einordnet, schränkt das die eigenen Möglichkeiten später enorm ein. Überraschung!

Während meine Kumpel ihr Leben nach dem Schulabschluss planten, entschied ich mich dafür, die Schule zu verlassen und arbeiten zu gehen. Entscheiden ist vielleicht nicht das richtige Wort, denn damals waren meine Optionen ziemlich dünn gesät. Diejenigen, die aufs College und an die Universität gehen wollten, erwartete eine aufregende Zukunft. Aber was würde ich wohl mit meinem Studienkredit anfangen, fragte ich mich. Vermutlich fluoreszierende Shots nicht identifizierbaren Alkohols kaufen. Eine Menge davon.

Der Milliardär Richard Branson hat mit fünfzehn die Schule abgebrochen, und aus ihm ist schließlich auch etwas geworden. Also war ich der Meinung, mich würde ein ähnliches Schicksal erwarten.

Nachdem ich von der Schule gegangen war, suchte ich mir einen Job. Bei der Arbeit dachte ich unentwegt darüber nach, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Damals war es mir sinnvoll erschienen. Schließlich soll man lieben, was man tut, und tun, was man liebt. Ich hasste die Schule. Und wenn ich nicht ganz falschliege, ist Hass das Gegenteil von Liebe … Also lag in meiner Entscheidung zumindest eine gewisse Logik. Eine etwas verdrehte zwar, aber immerhin. Ich erinnere mich heute noch an eine Lehrerin in der Oberstufe, die sagte, aus mir würde nie etwas. Der werde ich es zeigen, dachte ich bei mir. Ich werde es ihr verdammt noch mal zeigen.

Die Vergeltungsszene, die sich vor meinem inneren Auge wie ein wunderbarer Kurzfilm abgespielt hatte, wurde grob unterbrochen vom Lärm und Geschrei herumrennender Kinder. Man kann es nur als konzertierte Anstrengung bezeichnen, die Schallmauer zu durchbrechen. Auch wenn sie es nicht geschafft haben – sie waren nah dran.

Da war ich also, siebzehn Jahre alt, hatte die Schule geschmissen und konnte mir von einem Platz in der ersten Reihe aus die Folgen meiner Entscheidung anschauen. Für magere fünf Pfund in der Stunde hatte ich das Vergnügen, Kinder im Alter von eins bis zwölf zu unterhalten. Ein Job, in dem einem vor allem eines klar wird: Jeden einzelnen Tag haben Kinder Geburtstag.

Ich denke, wir sind uns einig, dass kein Jugendlicher in Großbritannien – oder in irgendeinem Land – davon träumt, eines Tages für Mindestlohn in einem Kinderbetreuungscenter in Essex zu arbeiten und mit einer dicken und schlecht aufgetragenen Schicht Clownsschminke im wenig begeisterten Gesicht Zaubertricks vorzuführen.

Wer einen Satz Spielkarten in einer Hand hält und in der anderen Ballons, deren Formen vage an Tiere erinnern, denkt früher oder später ernsthaft darüber nach, welche Lebensentscheidungen einen an diesen Punkt gebracht haben, und tut sofort alles in der eigenen Macht Stehende, um von dort zu verschwinden.

Lieben, was man tut, und tun, was man liebt …

Ich hatte eine ziemlich normale Kindheit in Dagenham, im Osten Londons. Mein Vater Ian war Datenanalyst. Er arbeitete hart und war ein pragmatischer Mensch, ein Charakterzug, den ich vermutlich von ihm geerbt habe. Von ihm habe ich außerdem die Augen und das Lächeln. Hat man mir jedenfalls gesagt. Meine Mutter Karen arbeitete in unserer Schulkantine und tat ihr Bestes, um mich von Ärger fernzuhalten. Meine kleine Schwester Rachel war so nervig und liebenswert, wie Geschwister nur sein können. Zuerst konnten wir uns nicht ausstehen, dann doch. Meine große Schwester Gemma kümmerte sich immer um mich und achtete meist darauf, die Weisheit an mich weiterzugeben, die sie dadurch erlangt hatte, dass sie vier Jahre älter war als ich. Tat sie es nicht, sagte sie meinen Eltern, sie sollten mich gefälligst in einer Gasse beim Zeitungskiosk aussetzen. Sie kam nicht so gut damit klar, kein Einzelkind mehr zu sein. Wir hatten außerdem einen Hund, Toby, einen neugierigen kleinen Yorkshireterrier.

Wir lebten in einem staatlich geförderten kleinen Haus in einer heruntergekommenen, eintönigen Straße. Als ich noch klein war, wurde mehrere Male bei uns eingebrochen. Es gab keine Parks oder irgendetwas, was Ähnlichkeit mit einem Park gehabt hätte, also taten wir so, als wären die Schlaglöcher in unserer Straße der frisch geschnittene Rasen von Wembley, und kickten zerbeulte Fußbälle hin und her.

Als ich in der Oberstufe war, zogen wir nach Romford.

Ich war ein chronischer Schulversager. Ich war pummelig, hatte eine Zahnspange, wegen der ich nicht viel lächelte, und war absonderlich und dabei nicht einmal besonders clever.

Nach ein paar katastrophalen Jobs hier und da beschloss ich Ende 2007 zur British Army zu gehen. Meinem Vater gefiel das – er war Offiziersschüler gewesen und hatte als Jugendlicher davon geträumt, als Pilot für die Royal Air Force zu fliegen –, aber meine Mutter fand es nicht so toll, dass ihr Junge Soldat werden wollte. Ich weiß noch, wie ich nach sechsmonatiger Jobsuche ins Wohnzimmer kam, um die große Neuigkeit zu verkünden.

»Ich gehe zum Militär«, sagte ich. Guter Anfang, dachte ich. Auf den Punkt. Effektvoll.

Das Nein meiner Mutter schlug mir in Kaskaden entgegen.

»Nein … Nein, nein, nein, nein, nein!«

Sie war also nicht besonders angetan von der Idee. Man kann es ihr nicht verdenken. Damals befand sich der Afghanistankrieg auf seinem Höhepunkt, und sie sah es wohl lieber, wenn ihrem Sohn bei der Arbeit ab und zu mal ein Luftballon zerplatzte als eine Bombe im Nahen Osten.

Mein Vater schaute mir auf die für unsere Familie Laidlaw typische Art und Weise einfach in die Augen und sagte: »Wenn du das willst, dann mach es.«

Und das tat ich.

In der Armee hatte ich endlich eine Identität. Ich hatte etwas gefunden, worin ich wirklich gut war. »Das ist mein Job«, konnte ich plötzlich verkünden – ein vollkommen neues Gefühl für mich.

Ich mochte die Ausbildung, und das machte sich bemerkbar. Ich war fokussiert. Ich war auf einmal gut in Form, das schenkte mir Selbstvertrauen. Während meiner Zeit im Army Training Centre in Pirbright, Surrey, und den Gibraltar Barracks in Minley war ich in allen drei Ausbildungsstufen der Beste. Ich liebte es. Ich liebte die Struktur, ich liebte es, tatsächlich einmal talentiert zu sein. Bei der Armee konnte niemand sagen, aus mir würde nichts werden, und ich hörte auf, mich für einen Nichtsnutz zu halten.

Im Jahr 2009 hatte ich meine Ausbildung als Pionier erfolgreich abgeschlossen. Danach qualifizierte ich mich als Spezialist für Kommunikations- und Informationssysteme beim 101. Regiment der Royal Engineers. Wir waren auf Bombenentschärfung spezialisiert, auf Kampfmittelbeseitigung, um es technisch korrekt auszudrücken.

Es war eine abwechslungsreiche Zeit. Ich verbrachte zwei aufreibende Einsätze in Afghanistan, hatte aber auch das Glück, Regionen und Länder wie Belize, Mittelamerika, Zypern, Deutschland oder Jordanien sehen zu dürfen. Wir waren außerdem an der Operation Olympics beteiligt und suchten während der Olympischen Spiele 2012 in London nach Bomben. Es fühlte sich gut an, dazuzugehören, und vor allem fühlte es sich gut an, wertgeschätzt zu werden für das, was wir taten.

Unser Stützpunkt war Carver Barracks in Saffron Walden, Nordessex. Das war für mich ideal, da es praktisch bei meinen Eltern um die Ecke lag. Das Heimatgefühl verstärkte sich noch, als ich herausfand, dass Carver Barracks, bevor es eine Trainingseinrichtung für die 101 Royal Engineers wurde, ein Luftwaffenstützpunkt gewesen war, an dem mein Vater als Offiziersschüler seine Pilotenausbildung absolviert hatte.

Im Jahr 2011 wurde ich das erste Mal auf Station ins Ausland geschickt.

Afghanistan.

All die Jahre der Ausbildung können einen nicht auf diesen Moment vorbereiten, an dem man diese Nachricht erhält. Um nicht missverstanden zu werden, ich wusste ungefähr, was auf mich zukommen würde, und war mental und körperlich bereit, aber zum ersten Mal davon zu erfahren ist ein seltsames Gefühl.

In jenem Sommer flog ich nach Camp Bastion in der Provinz Helmand im südlichen Afghanistan für die Operation Herrick XIV – Operation Herrick war der Codename für alle britischen Einsätze in Afghanistan.

Auf der Reise stellte ich mir die meiste Zeit vor, wie es dort sein würde, in einem echten Kriegsgebiet, rief mir immer wieder das Training der vergangenen drei Jahre in Erinnerung, jedes einzelne Detail, das mir vom ersten Tag an eingebläut worden war. Es ist meine Bestimmung, sagte ich mir wieder und wieder. Kein Drama.

Wer zum ersten Mal in Afghanistan landet und die Stiefel auf afghanischen Boden setzt, fühlt ihr Gewicht auf einmal stärker, als würde man durch Treibsand gehen. Am Anfang kommt es dir so vor, als hättest du vergessen, wie man läuft. Unser Team – die C-IED Task Force – bestand aus sieben Mann. Tustain (mit Vornamen Jack) und Deidre (der in Wirklichkeit Rory heißt) waren meine besten Kumpel.

Ich war ein Pionier, ein einfacher Soldat. Wir waren damit beauftragt, auf dem Schlachtfeld Minen zu suchen und zu räumen sowie Straßen und Brücken zu reparieren. Offenbar bestand einer der liebsten Zeitvertreibe der Taliban darin, Brücken zu sprengen, um uns die Fahrt von A nach B zur Hölle zur machen. Diese Typen waren das Böse in Person, aber sie waren clever und gut organisiert. Vor allem waren sie skrupellos.

Unser Stützpunkt, Camp Bastion, war gigantisch. Er glich eher einer großen Stadt als einem Militärstützpunkt – einfach mitten im Nirgendwo. Eine riesige Wüste und mittendrin eine komplett funktionierende Stadt mit dreißigtausend Einwohnern aus aller Welt.

Es gab Straßen und Bewässerungsgräben; wir hatten warmes Wasser und Internet. Und es gab so etwas wie ein kleines Wirtschaftssystem, denn wir mussten für alle Dienste in US-Dollar bezahlen. Internet und Telefonate waren sehr teuer. Wenn ich dich also 2011 angerufen habe, heißt das, dass du mir viel bedeutest.

Jedes Team verfügte über ein eigenes Fahrzeug. Bei meinem zweiten Einsatz fuhren wir einen aufgemotzten Mitsubishi. Er besaß kein eingebautes Radio, also bestellten wir eines im Internet – ja, die lieferten dorthin, allerdings dauerte es einen Monat, bis man seine Bestellung bekam, denn einen Expressversand gab es in der Region leider nicht – und banden es an der Mittelkonsole fest, damit wir auf unseren Fahrten Radio hören konnten. Weil wir so lange unterwegs waren, konnten wir überhaupt erst erfassen, wie groß der Stützpunkt war. Wir benötigten eine Karte und nutzten GPS, um uns zu orientieren, und es dauerte ewig, von Ort zu Ort zu fahren, um die Ausrüstung einzusammeln.

Ich erinnere mich, dass es auf der amerikanischen Seite ein Pizza Hut in einem Container gab, ein Luxus, der uns Briten fehlte, dafür konnten wir eine Art Bistro besuchen, das von einer älteren Dame geführt wurde.

Die ersten drei oder vier Wochen verliefen ziemlich ereignislos. Ich glaube, ich hatte erwartet, auf einem chaotischen Schlachtfeld abgesetzt zu werden und in der beängstigenden Welt zu landen, die man aus Kriegsfilmen kennt, aber damit hatte es keinerlei Ähnlichkeit. Die meiste Zeit verbrachte ich damit, die Leute im Lager kennenzulernen: Gespräche, Warten und Waffenreinigen. Unsere Waffen waren immer sauber.

Die meisten Tage waren mit Laufen gefüllt – einer Menge Laufen – in schwerer Ausrüstung. Entweder war es heiß und nass oder kalt und nass. Ach ja, und man hatte immer irgendwelche Schmerzen. Hitze, Nässe, Kälte, Schmerzen.

Im Lager war es sehr laut, es wurde geschossen, es gab Explosionen, in einem fort starteten und landeten Helikopter und Flugzeuge. Wir schrien uns also häufig an. Dort mit den Jungs zu reden war in etwa so wie in einem Nachtklub in Essex.

Ich verbrachte nicht viel Zeit in Camp Bastion, sondern war auf dreißig oder vierzig verschiedenen kleineren strategischen Stützpunkten stationiert, die in der Provinz Helmand verteilt waren. Ziemlich karge Lager; es waren keine Städte mit allerlei Annehmlichkeiten sondern eher kleine Festungen, die von vier Mauern mit Stacheldraht umgeben waren.

Zuerst war ich einer Gruppe zugeteilt, die schnell eingreifen konnte und mit Hubschraubern unterwegs war. Wir hatten einen Pager, und wenn er piepte, hatten wir zehn Minuten, um in einen Helikopter zu steigen und in unbekannte Weiten zu fliegen.

Als ich nach zwei Wochen Heimaturlaub nach Afghanistan zurückkehrte, wurde ich in die Einsatzzentrale gerufen, wo man mir mitteilte, dass ich der maritimen Spezialeinheit zugeteilt werden würde. Das war eine ziemlich krasse Truppe, vergleichbar mit den Typen, die in Filmen aus ihren Booten oder Helikoptern springen, um die Welt zu retten.

An diesem Punkt nahm mein erster Einsatz eine plötzliche Wendung. Auf einmal wurde es ernst. Du bist da draußen, und da tobt ein echter Krieg.

Unsere Patrouillen in der Provinz Helmand, einer Hochburg der Taliban, lehrten mich das Fürchten. Wir wussten, wie heimtückisch die Taliban waren, dass wir mit jedem Schritt eine Explosion auslösen konnten, die uns auf der Stelle tötete.

Da draußen waren wir praktisch wandelnde Zielscheiben, und sie legten sich ins Zeug, um uns zu kriegen. Selbst gebastelte Bomben, versteckte Auslöser, Maschinengewehre, Heckenschützen, Frauen und Kinder, die zu Selbstmordattentätern erzogen wurden. Es war die Hölle auf Erden. Ich hatte bereits zwei Freunde verloren. Jeder von uns da draußen kämpfte für etwas Größeres, aber wir kämpften auch füreinander weil wir der Feigheit der Taliban mutig entgegentreten mussten.

Wir führten in Afghanistan unzählige Aufgaben und Missionen durch, aber nichts glich dem, was wir für diese Spezialeinheit taten. Würde ich die Situation dort mit dem Ersten Weltkrieg vergleichen, war ich vorher an der Front gewesen, musste dieser Linie nun aber Kilometer weit voraus sein, um unter dem Radar agieren zu können. Von meinem ersten Helikopterflug nach dort draußen habe ich noch das Geräusch der Rotorblätter im Kopf, die wie eine Trommel dröhnten, die uns in die Schlacht begleitete.

Um ehrlich zu sein, realisierten wir gar nicht, wo wir waren und welchen Gefahren wir uns aussetzten, es war einfach ein Auftrag, der erledigt wurde. So gingen wir an die Sache heran. Ich glaube, keiner dachte großartig darüber nach.

Ich erinnere mich kaum an die erste Sprengfalle, die wir fanden. Wahrscheinlich war sie unter Felsen verborgen – ein falscher Schritt und einer von uns wäre nicht mehr da gewesen. Ich glaube, wir – Thorpey, Deidre und ich – unterhielten uns darüber, als wir wieder im Lager waren. »Mann, das haben wir tatsächlich getan.« Einen Augenblick lang war es ein erhebendes Gefühl – und im nächsten schon fast vergessen.

Das ist alles ein wenig absurd. Man ist an diesem wahnsinnigen Ort, läuft aber fröhlich herum wie bei einem Spaziergang durch den Park. Es gibt Zeiten, in denen das Gefühl der Normalität einen regelrecht einlullt, in denen im Grunde nichts passiert, und dann kommen da Zeiten extremer Vorsicht – und an besonders harten Tagen herrscht das reine Chaos.

Die Beseitigung von Kampfmitteln ist wie ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen uns und dem Feind. Sie stellen mit der kreativsten Bösartigkeit Fallen auf, und wir müssen versuchen, klüger zu sein als sie. Der Sprengstoff ist nur die Spitze des Eisbergs, und selbst dieser ist verdammt schwer auszumachen. Der Zünder oder Auslöser ist das eigentlich Vertrackte. Oft sucht man nach einem unter Schutt verborgenen Draht, der fadendünn ist. Manchmal handelt es sich auch um einen Infrarotsensor – das ist dann die nächste Stufe der Bösartigkeit. Das Wetter steht nie auf deiner Seite, und das Gelände bietet die beste Tarnung für alles, was sie verstecken wollen.

Meine Kompanie war immer an vorderster Front. Man könnte meinen, das sei keine besonders angenehme Position, aber wir mussten furchtlos sein, und wir wollten vorangehen. Ich glaube, wir waren stolz darauf. Viele von uns hatten die meiste Zeit ihres Lebens gehört, sie seien nicht gut genug, dass aus uns nichts werden würde, aber hier kam es uns so vor, als würden wir die Welt retten. Und wir wollten die Leute beschützen, die uns vertrauten.

Ich verwendete einen Horn-Detektor. Das ist ein schweres Gerät an einem langen Teleskopstab, das vibriert, wenn es Teile einer Sprengladung entdeckt, während man es hin und her schwingt, um im Boden verborgene Minen zu finden. Abgesehen von dem Detektor verließen wir uns auf unsere Instinkte und auf das, was wir gelernt hatten. Entdeckte jemand einen unnatürlich aufgeschichteten Steinhaufen, versetzte es einen sofort in Alarmbereitschaft, da dort möglicherweise ein Sprengsatz versteckt war. Fühlte sich irgendetwas nicht ganz richtig an – manchmal war es nur ein Bauchgefühl –, blieb man stehen. Das Leben birgt so manche Risiken, und hin und wieder ist es vielleicht angebracht, darauf einzugehen. Für versteckte Sprengladungen galt das praktisch nie.

Zu dieser Truppe zu gehören war, als sei man in ein Geheimnis eingeweiht, das nur wenige je erfahren. Sie hatten mich wegen der Qualitäten ausgewählt, die ich in der Ausbildung und im Feld gezeigt hatte, und bei all den Gräueln, die unsere Zeit in Afghanistan begleiteten, konnte ich auch stolz sein auf das, was ich hier tat, und auf die Menschen, mit denen ich zusammenarbeitete.

Sich mit der Umgebung vertraut zu machen, in der man arbeitet, und sich an die Abläufe zu gewöhnen, ist für jeden Soldaten alltäglich. Eine Methode, um da draußen klarzukommen und zu überleben. Aber es gab Tage, an denen es sich nicht bloß wie ein Job anfühlte, Tage, an denen einem schmerzlich bewusst wurde, dass nichts von alldem normal war und viel mehr auf dem Spiel stand, als man sich vielleicht eingestehen wollte.

Es gibt da draußen Dinge, die man sieht, Dinge, die man riecht, und Dinge, die man spürt. Als Soldaten verdrängen wir diese Eindrücke. Täten wir das nicht, würden wir mit dem Bewusstsein leben müssen, dass wir in zwei verschiedenen Welten existierten. In der normalen Welt, in der die anderen waren, in der Menschen aufwachen und zur Arbeit gehen, danach zu ihren Familien zurückkehren und irgendwann zu Bett gehen. Und dann in unserer Welt, in der der Tod ständig präsent war. Jeder einzelne Schritt, den wir taten, war ein Gang über den Friedhof. Ich glaube, das war mir damals nicht bis ins Letzte klar. Ich konnte mir diese Klarheit nicht erlauben, keiner von uns konnte das, aber es gab Nächte, in denen ich zitterte, bis ich einschlief. Es gab Nächte, in denen ich mich fragte, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, zum Militär zu gehen, ob all das wirklich einem übergeordneten Zweck diente oder ob es bloß ein Fehler war, den ich als verwirrter, einsamer Teenager gemacht hatte.

Um zu überleben, mussten wir in einer Blase leben. Wir schützten uns vor der Realität um uns herum, denn sonst hätten wir es nicht überstanden.

Eines Morgens waren wir auf dem Weg zu einem Dorf. Wir hatten die Information, dass sich dort ein Anführer der Taliban aufhielt, den wir festnehmen wollten. Als einfache Soldaten bekamen wir viele Informationen nicht, die den Spezialkräften vorbehalten waren. Hierdurch sollten Details geschützt wurden, die für den Erfolg der Mission wesentlich waren.

Auf der Fahrt stoppten unsere Wagen plötzlich. Unsere Teamführer erhielten einen Anruf von unseren Chefs, und ihr spontanes Entsetzen sagte mir alles, was ich wissen musste. Irgendetwas war furchtbar schiefgelaufen.

Dann versammelten unsere Teamführer uns und berichteten: Ein Soldat – mehr wussten wir nicht über ihn – hatte sein Lager verlassen und war in eine kleine afghanische Stadt gegangen, wo er von den Taliban gefangen genommen worden war. Wenn jemand aus der eigenen Truppe von der wohl miesesten, bösartigsten Terrorgruppe gefangen genommen wurde, verspürt man einen besonderen Drang, ihn zu retten.

Die Taliban schlachteten regelmäßig ihre eigenen Leute ab. Sinnloser Mord an afghanischen Männern, Frauen und Kindern. Sie bildeten Kinder zu Selbstmordattentätern aus. Und das waren ihre eigenen Leute, dachte ich. Ich mochte mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, was sie feindlichen Soldaten antaten.

Bei der Einsatzbesprechung an jenem Morgen standen wir stumm herum. Uns wurde mitgeteilt, dass alle anderen Aktivitäten pausieren würden und der Fokus darauf lag, ihn zu finden, koste es, was es wolle. Wir bekamen Informationen über seinen Aufenthaltsort, und kurz darauf saßen wir mit unserer Ausrüstung in unseren Wagen.

Bei so einer Sache herrschen alle möglichen Gefühle im Team. Zum einen ein Gefühl der Verpflichtung, begleitet von Selbstvertrauen und Wagemut, als könnte einen nichts aufhalten. Und dann ist da die Furcht, die gottverdammte Furcht. Als würde einem Gift durch das Gehirn schießen, spielt man alle möglichen Ergebnisse durch, eines schlimmer als das andere. Man schüttelt es ab, lacht es weg. Es ist, wie eine wichtige Rede vor dem Spiegel zu üben – man versucht, sich groß zu machen. Du packst das, Seán, du packst das.

Nicht lange nachdem wir in der Stadt angekommen waren, fanden wir ihn – oder vielmehr das, was von ihm übrig war. Er kniete an einem Flussufer. Er war nackt und wirkte teilnahmslos. Seine Augen waren leer. Er hatte Splitter in den Fingern und keinen einzigen Nagel mehr. Überall am Körper waren Schnitte. Es sah aus, als hätten sie bloß aufgehört, weil sie keine Stelle mehr gefunden hatten, in die sie hätten schneiden können. Er hatte mehrere Schusswunden im Kopf. Ich fand nie heraus, wie er hieß.

Ich blendete diesen Mist aus. Es war nie passiert. Erst Jahre später kam mir der Gedanke, über ihn zu recherchieren. Bis dahin hatte ich diese Episode völlig verdrängt. Ich beschäftigte mich nicht damit, ich wollte es nicht. Ich erhielt den Befehl, nicht mit den anderen Soldaten darüber zu sprechen, wenn ich ins Lager zurückkehrte. Dadurch verfestigte sich die Überzeugung, dass ich das Erlebnis komplett aus meinem Gedächtnis radieren musste.

Wir flogen zurück. Der Einsatz war ein Erfolg. Aber ein Soldat lernt ziemlich schnell, dass Erfolg im Krieg ein relativer Begriff ist.

Autor