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Apfelträume am Meer. Ein Kurzroman zu »Apfelkuchen am Meer«

hier erhältlich:

Als Merle erwacht, muss sie sofort an den vergangenen Abend denken. Es war wunderschön, gemeinsam mit Jannes in den warmen Wellen zu planschen, die vom Meeresleuchten beinahe gespenstisch in Szene gesetzt wurden. Wie kleine türkisblaue Glühwürmchen, die durch das Wasser schwirrten, hatte es ausgesehen. Und Merle war so glücklich gewesen wie noch nie. Doch als sie sich jetzt im Bett umdreht und sich an Jannes kuscheln will, merkt sie, dass sie allein ist. Stattdessen liegen auf Jannes Kopfkissen ein kleines hölzernes Kästchen und ein Brief …

Ein Kurzroman zu »Apfelkuchen am Meer« mit ca. 60 Seiten auf digitalen Lesegeräten.


  • Erscheinungstag: 01.08.2019
  • Seitenanzahl: 60
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745751048
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1.

Die Bank im Garten unter dem alten Apfelbaum gehört zu meinen absoluten Lieblingsplätzen. Hier sitze ich oft mit Oma. Wir trinken eine Tasse Kaffee oder einen Eistee und unterhalten uns. Oder wir blättern beide in einer von Omas geliebten Koch-Zeitschriften auf der Suche nach guten Rezepten. Im Moment habe ich die Bank nur für mich. Ich habe ein dickes Kissen zwischen Armlehne und meinen Rücken geschoben, die Beine lang ausgestreckt und beobachte einen Kleiber, der nach Insekten in der Rinde pickt. Die Äste des Baumes hängen voller grüner Früchte. Dieses Jahr wird die Ernte reichlich ausfallen. Anfang bis Ende Oktober pflücke ich gemeinsam mit Oma die knackigen rotgelben Äpfel, die wir dann zu leckeren Kuchen, Mus, Chutneys und Saft verarbeiten. Einen Teil lagert Oma ein, sodass wir noch bis ins Frühjahr Nachschub haben.

Ich atme tief die salzhaltige Luft ein, schließe für einen Moment die Augen und lausche dem Rauschen des Meeres, das sich gleich hinter den Dünen befindet. Für ein paar Sekunden halte ich mein Gesicht in Richtung der wärmenden Sonne, dann öffne ich die Augen wieder und lasse meinen Blick über die wunderschöne weißsandige Dünenlandschaft schweifen. Als plötzlich ein Fasan nur ein paar Meter von mir entfernt von der einen auf die andere Seite des Gartens läuft, halte ich für einen kurzen Moment die Luft an. Sein farbenprächtiges Gefieder und seine langen spitzen Schwanzfedern leuchten kupferfarben, der blaugrüne Kopf glänzt in der Sonne. Ich schaue ihm nach, bis er durch die Hecke verschwindet und auf die Dünen losstolziert. Im Gras haben sich die graubraunen, weit unauffälligeren Damen versteckt. Und außerdem jede Menge Kaninchen. Und sogar Rehe gibt es hier. Natur pur, denke ich. Und dass ich mich hier auf der Insel verdammt wohlfühle, besonders, wenn ich bei Oma bin und auf der Bank sitze, ganz in der Nähe des Meeres. Sehen kann ich es von hier nicht. Aber ich kann es hören, und allein der Gedanke daran, dass ich nur wenige Schritte gehen muss, um ans Wasser zu gelangen, erfüllt mich mit Freude.

Bisher habe ich keinen einzigen Tag bereut, dass ich von München nach Juist gezogen bin. Auch wenn ich die letzten Wochen so gut wie gar nicht dazu gekommen bin, die Insel zu genießen. Die Arbeit für das Café frisst meine Zeit auf – und mich auch. Für meine Beziehung ist das auch nicht gut. Seit Tagen kriselt es zwischen Jannes und mir, weil wir kaum noch Zeit für uns finden. Heute Morgen haben wir uns das erste Mal, seitdem wir uns kennen, richtig gestritten. Und mir geht es schlecht deswegen. Ich strecke meinen Nacken und bewege meinen Kopf vorsichtig hin und her. Die Verspannungen werden immer schlimmer. Eine Massage wäre jetzt nicht schlecht, überlege ich. Oder wenigstens ein kurzes Bad im Meer. Es ist Mitte August. Die letzten Wochen hat auch die Sonne Höchstarbeit geleistet. Heute hat das Thermometer die Siebenundzwanzig-Grad-Marke erreicht. So warm war es auf Juist schon seit Ewigkeiten nicht mehr, sagt Oma. In München war es die letzten Tage allerdings um die fünfunddreißig Grad heiß. Ganz Deutschland leidet unter der Hitze. Da haben wir es hier auf der Insel noch vergleichsweise gut. Die Nordsee sorgt für ausgeglichene Temperaturen. Im Sommer ist es kühler, im Winter etwas wärmer als auf dem Festland.

Noch einmal strecke ich mich, bevor ich nach meinem Handy greife, um nach der Uhrzeit zu schauen. Und um zu überprüfen, ob Jannes vielleicht doch auf meine Nachricht geantwortet hat und ich schlicht den Klingelton überhört habe. Aber das ist natürlich nicht der Fall. Jannes war um kurz nach zehn heute Morgen das letzte Mal online.

Ich liebe dich! habe ich geschrieben, aber er hat die Nachricht bisher noch nicht einmal gelesen. Jetzt ist es nach drei. Unser Streit ist jetzt fast fünf Stunden her. Und während ich ständig mein Handy checke, kommt Jannes noch nicht mal auf die Idee, nachzusehen, ob ich ihm geschrieben habe.

„Männer!“, schimpfe ich leise und stecke mein Handy zurück in meine Tasche.

Wahrscheinlich ist Jannes einfach schlicht zu beschäftigt, überlege ich. Wir haben Hochsaison, das Wetter ist gut, der Fahrradverleih brummt. Allerdings weiß ich ganz sicher, dass Jannes nie auf seine Mittagspause verzichtet. Spätestens dann hätte er eigentlich mal nach seinem Telefon greifen können. Ob er mich vielleicht absichtlich ignoriert? Ich schüttele unwillkürlich den Kopf. Ich muss aufhören, mir so viele Gedanken um Jannes zu machen. Während ich mir den Kopf zerbreche, denkt er wahrscheinlich gar nicht. Er arbeitet und hat anderes zu tun. Und auch ich stehe ab sechs Uhr heute Abend wieder in der Küche und backe, damit unsere Gäste morgen mit frischen Kuchenkreationen verwöhnt werden. Vorher wollte ich noch die Bestellungen für die nächsten Tage durchgehen. Das werden wieder ein paar stressige Stunden werden, in denen auch ich hoffentlich nicht mehr dazu komme, mir den Kopf zu zerbrechen.

„Zwei Monate, die schaffen wir auch noch“, sage ich leise zu mir selbst. Mitte Oktober ist die Saison vorbei. Dann habe ich genug Zeit, um mich auszuruhen. Und es läuft auch mit Jannes hoffentlich wieder besser. Ich setze mich auf und rolle meine Schultern. Da sehe ich Oma aus dem Haus kommen. Sie trägt ein ärmelloses blaues Frotteekleid. An ihrem linken Arm baumelt ein Korb, unter den rechten hat sie zwei Handtücher und den kleinen roten Sonnenschirm geklemmt, der bestimmt schon fünfundzwanzig Jahre alt ist, aber immer noch seine Dienste tut.

Sie kommt strammen Schrittes durch den Garten auf mich zu, bleibt vor mir stehen und sieht mich streng an. „Wir gehen jetzt zum Wasser, wir beide. Du brauchst eine kleine Auszeit. Widerrede ist zwecklos! Deinen Bikini habe ich eingepackt.“

„Gute Idee“, stimme ich sofort zu. Manchmal braucht man eben nur einen kleinen Schubs. Die Bestellung kann ich auch noch morgen erledigen. Ich habe die Sonne und das Meer bitter nötig. Ich springe auf, und Oma drückt mir den Korb in die Hand.

Kurz darauf gehe ich hinter Oma über den kleinen Trampelpfad durch die Dünen. Dabei bewundere ich wieder einmal ihren schlanken, hochgewachsenen Körper, den ich leider nicht geerbt habe. Meiner geht momentan noch etwas mehr auseinander, besonders um die Hüften herum. Normalerweise müsste ich bei dem Stress, den ich habe, ordentlich abnehmen. Aber bei mir passiert natürlich genau das Gegenteil: Merle Krüger nimmt zu! Dazu kommt, dass ich ein ganzes Stück kleiner bin und generell eher rundlich gebaut, weiblich, wie Oma immer so schön sagt, ganz Tamena. Ich komme nach der Familienseite meines Großvaters.

„Lass uns ein paar Meter weiter Richtung Westen gehen“, schlägt Oma vor, als wir durch die Dünen durch sind. „Hier ist mir zu viel los.“ Während der Hauptsaison tummeln sich an den bewachten Strandabschnitten die Touristen. Sie belagern die Strandkörbe und braten wie Ölsardinen in der Sonne.

„Okay.“

Nur fünf Minuten später breiten wir unsere Handtücher an einem ruhigen Plätzchen aus. Oma steckt den Sonnenschirm tief in den Sand und schiebt ihn auf. Ich schlüpfe aus meinen Shorts und dem T-Shirt, ziehe meinen Bikini an, atme tief durch und lege mich direkt in den Sand.

Oma lacht und setzt sich neben mich. „Wozu habe ich dir denn ein Handtuch mitgebracht?“

„Wärmetherapie“, erkläre ich. „Das tut gut.“ Ich seufze und drücke mich tief in den Sand hinein. Die feinen Körnchen sind von der Sonne aufgeheizt. Sie legen sich um meinen Körper und geben ihre Wärme an ihn ab.

„Auf Dauer ist das mit dem Café nicht gesund für dich, Merle. Aber das weißt du ja.“

Noch einmal seufze ich auf. „Dass es so hart werden würde, hätte ich nicht gedacht.“ Seit Anfang April stehe ich jeden Abend bis spät in die Nacht hinein in der Küche, um die Kuchen und Torten für das Café zu backen, das ich gemeinsam mit meiner Freundin hier auf Juist übernommen habe. Die Gäste der Strandrose sind verwöhnt. Jeden Tag gibt es neue Kuchenkreationen. Und natürlich muss immer alles frisch sein. Irgendwann, meistens erst nach drei Uhr in der Nacht, falle ich todmüde ins Bett und schlafe wie ein Stein – bis der schrille Ton meines Weckers mich viel zu früh und sehr unsanft aus dem Schlaf reißt, weil fehlende Zutaten besorgt werden müssen, ein Servicemitarbeiter krank geworden ist oder die Kaffeemaschine im Café streikt.

Ich drehe mich zur Seite, drücke meinen Ellbogen in den Sand, stütze mit der Hand meinen Kopf ab und schaue hoch zu meiner Oma.

„Das Saisongeschäft ist nicht einfach, daran sind schon viele gescheitert“, sagt sie. „Du musst dir zwischendurch öfter mal eine Auszeit gönnen, so wie heute, auch wenn es dir schwerfällt.“

„Ich weiß. Aber bisher habe ich noch niemanden gefunden, der mich in der Küche vertreten kann. Außerdem können wir uns das momentan noch nicht leisten. Conny hilft mir fast jeden Tag. Aber die ist auch am Limit. Vielleicht hätten wir das mit dem Frühstück doch lassen und die Öffnungszeit für das Café doch bei elf Uhr belassen sollen. Momentan fängt Conny jeden Morgen um sechs Uhr an und hört gegen sieben am Abend auf. Das schafft sie auf Dauer auch nicht. Wir haben schon überlegt, ob wir das ändern, haben uns aber dazu entschieden, es dieses Jahr noch so durchzuziehen und es im nächsten Jahr anders zu machen.“

„Klingt vernünftig.“ Oma greift neben sich in den Sand, hebt ein kleines Steinchen auf und hält es gegen die Sonne. „Bernstein, aber nicht sehr groß.“

Sofort suchen auch meine Augen den Sand ab, allerdings ohne Erfolg. „Wie macht ihr das immer, Undine und du?“ Irgendwie scheinen meine Tante und Oma die Steine magisch anzuziehen. Sie finden ständig welche.

„So hat eben jeder seine Qualitäten. Dafür schmeckst du Gewürze aus Speisen heraus, von denen ich noch nicht mal gehört habe.“ Oma hält mir das Steinchen hin. „Steckst du es ein?“ Mein Kleid hat keine Taschen.

Ich greife nach meinen Shorts, die neben mir im Sand liegen und schiebe den Bernstein ganz tief in eine der vorderen Hosentaschen.

Da fragt Oma: „Wie geht es Jannes? Ich habe ihn jetzt schon längere Zeit nicht gesehen.“

Mein Bauch zieht sich zusammen. Seit ich mich mit Oma auf den Weg zum Strand gemacht habe, ist es mir zum ersten Mal gelungen, nicht mehr an meinen Freund zu denken – und prompt erinnert sie mich an ihn.

Ich lasse mich wieder auf den Rücken fallen, verschränke die Arme hinter dem Kopf und schaue einen Moment in den wolkenlosen, strahlend blauen Himmel, bevor ich antworte: „Geht so. Irgendwie finden wir kaum noch Zeit füreinander. Er ist von morgens bis abends mit dem Radverleih beschäftigt. Danach schraubt er an irgendwelchen Ketten oder Gangschaltungen rum, flickt Reifen oder rückt Speichen gerade. Und wenn er völlig platt nach Hause kommt, bin ich schon in der Strandrose und schwinge den Kochlöffel.“ Außerdem stimmt irgendwas nicht, das habe ich im Gefühl. Seit Jannes sich letzte Woche mit seiner Exfrau auf dem Festland getroffen hat, verhält er sich anders als sonst. Er lacht kaum noch und wirkt nachdenklich. Und wenn ich ihn frage, was los ist, weicht er aus. Deswegen haben wir uns heute Morgen auch gestritten. Aber damit möchte ich Oma nicht belasten. Sie hat in den letzten Jahren einiges mitgemacht. Und ich bin froh, dass es ihr jetzt im Moment richtig gut geht.

„Tja“, sagt Oma. „Unser schönes Töwerland bietet nicht unbedingt beste Bedingungen für die Liebe. Während der Saison sieht man sich kaum, weil die Arbeit einen komplett einnimmt. Und nach der Saison muss man dann aufpassen, dass man sich nicht auf die Nerven geht, weil man von morgens bis abends aufeinandergluckt.“

„Danke, das macht mir echt Mut, Oma.“

„Das heißt nicht, dass es nicht funktionieren kann, Liebes.“ Oma lächelt schelmisch. „Die Zeit, die euch jetzt fehlt, habt ihr bald doppelt und dreifach. Und so wie ich das einschätze, werdet ihr das sehr genießen und all das nachholen, was ihr jetzt gerade verpasst.“

„Ich hoffe, wir halten bis zum Oktober durch“, sage ich und ärgere mich im gleichen Moment über mich selbst. So pessimistisch bin ich sonst nicht. Schließlich kommt es auch in der besten Beziehung vor, dass man sich mal streitet.

„Am Ende wird alles gut“, sagt Oma prompt und lächelt mich liebevoll an.

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