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Amari und das Spiel der Magier

Als Buch hier erhältlich:

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Die Zukunft der Magier liegt in Amaris Händen

Nachdem Amari ihren Bruder Quinton gefunden und nebenbei die gesamte magische Welt gerettet hat, sehnt sie sich nach einer Pause. Doch sie gerät prompt in den nächsten Konflikt: Der Übernatürliche Weltkongress betreibt eine noch strengere Anti-Magier Politik und lässt Amari beschatten, und gleichzeitig bittet die geheime Internationale Magierallianz sie darum, sie anzuführen. Amari lehnt überfordert ab, muss aber bald feststellen, dass sie einen Fehler begangen hat: Denn daraufhin wird ausgerechnet Dylan nominiert, um mit ihr im Großen Spiel um die Nachfolge der Nachtbrüder zu wetteifern. Amari muss Dylan besiegen, doch sie ist auch auf seine Hilfe angewiesen – denn Dylan ist der Einzige, der Quinton von seinem Fluch befreien kann.

Amaris zweites Abenteuer in der Übernatürlichen Welt hat alles, was Kinder lesen wollen: eine starke Heldin, kuriose Kreaturen und ganz viel Magie

»Ein bezauberndes Fantasy-Abenteuer voller Herz und Seele. AMARI ist magisch!« - Angie Thomas, New York Times-Bestseller-Autorin von The Hate U Give

»Ein sozialkritischer und sehr spannender Fantasyroman.« - Daniela Martens,Der Tagesspiegel, 28.05.2021

»Harry Potter war gestern! Lasst euch von Amari in eine neue, magische Welt entführen.« Afrokids Germany, 29.03.2021

»Amari und die Nachtbrüder ist ein längst überfälliges Buch voller Abenteuer und Magie mit einer starken und nicht nur in einer Hinsicht magischen afroamerikanischen Protagonistin.« Alexandra Fichtler-Laube, Kinderbuch-Couch.de, April 2021

»Spannend, magisch und teilweise wunderbar verrückt fesselt dieses Buch bis zur – leider unvermeidbaren – letzten Seite.« Alexandra Fichtler-Laube, Kinderbuch-Couch.de, April 2021


  • Erscheinungstag: 27.12.2022
  • Aus der Serie: Amari
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 400
  • Altersempfehlung: 10
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783748801948

Leseprobe

Für meine Mom Songa,
die mir beigebracht hat,
dass ich alles erreichen kann

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1

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Ich sprinte über den Bürgersteig, vorbei an Designerboutiquen, Luxusläden und einer schicken Kunstgalerie. Ein paar Straßen weiter liegt das weitläufige Gelände der Whitman-Privatakademie. Die Glasfassade des Hauptgebäudes glitzert in der Morgensonne, und um den großen Brunnen davor windet sich eine lange Autoschlange, um Kinder abzuliefern, die es – im Gegensatz zu mir – vielleicht noch pünktlich in ihre Klassenzimmer schaffen.

Auch wenn ich spät dran bin, sollte ich mich ebenfalls auf direktem Weg zur Schule begeben. Stattdessen halte ich vor einer heruntergekommenen Bruchbude an, die zwischen zwei höhere, sehr viel schönere Gebäude gezwängt ist. Auf dem verblassten Schild über der Tür steht Marcos Minimarkt.

Während ich kurz verschnaufe, hole ich mein Handy raus und höre mir noch einmal die Nachricht auf meiner Mailbox an.

»Sie haben eine gespeicherte Nachricht von Elsie:

Treffen vor der Schule bei Marco. Dringlich!«

Wenn ich eins gelernt habe, seit wir zusammen in einer Klasse sind, dann, dass Elsie Rodriguez gern übertreibt. Ich benutze das Wort »dringlich« nur in Notfällen. Da muss schon irgendetwas Krasses passiert sein. Bei Elsie sieht das ganz anders aus. Für sie ist es auch ein Notfall, wenn die Roboterteile für ihr neuestes Tüftelprojekt zu spät geliefert werden.

Aber beste Freundinnen sind füreinander da, egal, was los ist – auch wenn ich dafür ein unentschuldigtes Fehlen riskiere. Dabei hätte ich meine Null-Fehltage-Urkunde eigentlich schon am Freitag bekommen sollen, aber wir mussten ja diesen einen Schultag im Januar nachholen, der wegen Schnee ausgefallen ist.

Ich betrete das Geschäft, das von draußen schon zwielichtig wirkt. Drinnen ist es noch schlimmer. Das schummrige Licht ist gerade hell genug, dass man die großflächig abgeplatzte Farbe an den Wänden erkennen kann. Eigentlich soll das hier ein Kiosk sein, in dem man Getränke und Snacks kriegt, aber wenn ich mal irgendwas gekauft habe, war es längst abgelaufen. Der Kühlschrank für die Getränke hat auch noch nie funktioniert, glaube ich.

Und habe ich schon erwähnt, dass es immer leicht nach vergammelten Eiern stinkt? Also, wirklich immer?

Ich rümpfe die Nase und gehe zwischen den Süßigkeitenregalen durch. Der arme Kerl vor den Chips wirkt ziemlich ernüchtert von der Auswahl. Kenn ich, Kumpel! Ich haste an ihm vorbei und steuere auf die Kasse zu.

Hinter der Theke steht ein großer, glatzköpfiger Kraftprotz in einem Shirt mit der Aufschrift Muskeln machen Leute. Als er mich entdeckt, verengt er die Augen.

Ich schaue ihn ebenfalls verkniffen an. Plötzlich wachsen knallrote Pelzbüschel aus seinem Kopf und Hals, und zwei gebogene Hauer ragen ihm aus dem Mund.

Ein Wimpernschlag, und er sieht wieder aus wie ein Mensch. Das ist der Vorteil an den teureren Tarnungen – selbst meine Wahrsicht-Augentropfen wirken nur für ein paar Sekunden, ehe der Verschleierungszauber wieder einsetzt. Die hier stammt garantiert aus der City-Kollektion »Cool Camouflage« von Vivi LaBoom.

Ich räuspere mich und frage höflich: »Könnte ich bitte den Schlüssel für die Toilette kriegen?«

Er verschränkt die breiten Arme und mustert mich von oben bis unten, bevor er brummt: »Warum sollte ich dir geben?«

Ich verdrehe grinsend die Augen. »Ach, komm, Winz, ich bin jetzt schon zu spät für die Schule.«

Langsam heben sich Winz’ Mundwinkel, und er lacht bellend. »Nix ›Hallo‹ … Nix ›Wie geht’s?‹ … Bloß ›Schlüssel her!‹.«

»Bitte, bitte?«

»Na gut. Für meine Mitmenschin …«

Ich beuge mich vor und senke die Stimme zu einem Flüstern. »Nur zur Info, normalerweise nennen wir einander nicht Mitmenschen.«

Winz kratzt sich die Glatze, und seine verwirrten Augen blitzen kurz leuchtend gelb auf, ehe sie sich zurückverwandeln. »Warum? Ihr seid Menschen, ja?«

Ich nicke. »Ja, aber … wir gehen einfach davon aus, dass alle anderen auch Menschen sind, deswegen gibt es keinen Grund, das extra zu erwähnen.«

Er lässt theatralisch die Schultern hängen. »So viel man muss sich merken, um in Menschenwelt zu passen.«

Ich tätschle ihm beruhigend den Arm. »Du kriegst den Bogen schon noch raus.«

Winz nickt und greift unter die Theke. Kurz darauf lässt er den Toilettenschlüssel in meine ausgestreckte Hand fallen.

»Ähm, Entschuldigung?« Der Typ von vorhin streckt den Kopf hinter dem Chipsregal hervor. »Als ich eben zur Toilette wollte, haben Sie gesagt, sie wäre kaputt.«

Winz’ Miene wird finster. »Kaputt für dich. Nicht kaputt für sie. Noch Fragen?«

Der Mann wirkt, als wollte er protestieren, aber nach einem unmenschlichen Knurren von Winz scheint er es sich noch einmal anders zu überlegen.

»Vorsicht«, raunt Winz mir leise zu. »Der da sieht aus wie von den Wachen.«

Ich beiße mir auf die Lippen. Die Wachen sind überzeugt davon, dass es auf dieser Welt mehr gibt, als man auf Anhieb erkennt. Dass übernatürliche Wesen aus Märchen und Legenden wirklich existieren und im Geheimen unter uns leben. Und dass das alles auf perfide Art und Weise verschleiert wird.

Diese Leute haben Websites und Chatrooms und Anhänger überall. Sie suchen verzweifelt nach Beweisen, um dem ganzen Planeten zu zeigen, dass sie recht haben. Weshalb der Wachentyp wahrscheinlich auch in einem Kiosk rumhängt, der ganz offensichtlich kein echter Kiosk ist.

Die allermeisten tun die Storys der Wachen einfach als Hirngespinste ab und beachten sie nicht weiter. Aber ich muss sie schon irgendwie ernst nehmen – immerhin gehöre ich einer Organisation an, deren Aufgabe es ist, sicherzustellen, dass besagte Beweise niemals nie ans Licht kommen: der Oberbehörde für Übernatürliches.

Als ich über die Schulter schaue, hat der Wachentyp mich tatsächlich fest im Blick. Er kramt in seiner Tasche nach einem Handy … und besitzt dann sogar die Dreistigkeit, uns zu filmen!

»Kannst du ihn irgendwie ablenken?«, flüstere ich Winz zu.

Der tritt grinsend hinter der Theke hervor. »Darin ich bin Spitzenklasse.« Schwungvoll breitet er die Arme aus und ruft: »Herzlichen Glückwunsch, Sir! Sie sind großer Gewinner heute!«

Der Mann runzelt die Stirn, als Winz ihm einen dicken Arm um die Schultern legt und ihn in Richtung Kasse schiebt. »A-aber ich habe doch überhaupt nirgends mitgemacht …« Hektisch verrenkt er sich den Hals auf der Suche nach mir, aber ich bin schon zwischen den Süßigkeitenregalen verschwunden und auf dem Weg zu den Toiletten ganz hinten im Laden.

Ich ignoriere das riesige Schild mit der Aufschrift Außer Betrieb, das an der Tür prangt, und stecke den Schlüssel ins Schloss. Dann checke ich mit einem letzten Blick, ob die Luft rein ist.

Der Wachentyp starrt verständnislos zu Winz hoch. »Mein Preis ist also … ein Putzeimer?«

»Guter Putzeimer«, antwortet Winz. »Schon oft benutzt, nie ausgelaufen.«

Ich lache in mich hinein und drehe den Knauf.

Marcos echter Laden, der hinter dieser Tür, ist nicht bloß ein anderer Laden, sondern eine andere Welt. Der Leckerschlecker steht nur den übernatürlichen Stadtbewohnern offen – es sind also keine Zauber oder Tarnungen nötig – und hat die besten magischen Naschereien in ganz Atlanta im Angebot. Midas-Milchshakes, die deine Zähne leuchtend golden färben, Sternenstaubstangen, die deine Haut zum Schimmern bringen, und sogar den weltbesten schlechten Kaffee, der so grässlich schmeckt, dass du vor Schreck hellwach wirst. Kaum bin ich eingetreten, erfüllen süße Gerüche meine Nase und heben meine Laune.

Vorsichtig zwänge ich mich zwischen den Flügeln mehrerer Harpyien hindurch. Ein großer Yeti mit Kochmütze hinter der Theke bellt – buchstäblich – eine Begrüßung. Ich winke. »Hi, Marco!« Durch den kurzen Moment der Ablenkung stolpere ich beinahe über einen Irrwisch, der mir eine lange Hakennase dreht und irgendetwas über »unhöfliche Menschen« murmelt, bevor er davontapst.

Ich entdecke Elsie an einem Tisch, zusammen mit einem anderen Mädchen aus der Oberbehörde, Julia Farsight, deren schwere Augenlider sie immer ein bisschen schläfrig wirken lassen.

Ich eile zu ihnen und rutsche auf die Sitzbank ihnen gegenüber. »Okay, was ist so wichtig, dass wir uns vor der Schule hier treffen müssen?«

Elsie zieht die Augenbrauen zusammen. »Ich glaube nicht, dass ich das Wort wichtig benutzt habe.«

»Du hast sogar dringlich gesagt.«

»Nein«, erwidert sie. »Ich sagte ›schwing dich‹.« Sie grinst schelmisch. »Wie in: Schwing dich her und guck, was ich für euch habe!«

Julia kichert.

»Els … Das kostet mich meine null Fehltage. Und du weißt doch, wie viel Momma so was bedeutet. Die Frau hat schon einen Platz an der Wand für die Urkunde ausgesucht.«

»Keine Sorge«, meint Elsie. »Bär bringt den Ersatztransporter seines Dads mit, damit sind wir blitzschnell in der Schule. Und solange wir im Bus sitzen, wenn er zum Georgia-Aquarium losfährt, betrachtet Mr. Ames uns als anwesend.«

»Zur Schule zu teleportieren ist erlaubt?«, frage ich. »Weil ich nämlich das ganze Jahr den Bus genommen habe.«

»Erlaubt ist vielleicht ein bisschen übertrieben«, gibt Elsie zu.

»Soweit ich weiß, ist es nicht nicht erlaubt«, ergänzt Julia in ihrer Singsangstimme.

Ich verziehe das Gesicht. »Ich freue mich echt auf die Sommerakademie morgen, also wär’s gut, wenn wir nicht vorher rausgeschmissen werden, ja?«

Elsie lächelt nur und tippt auf ihrem Handy herum. »Glaubst du echt, sie würden jemanden rausschmeißen, der solche Schlagzeilen macht?« Sie dreht das Gerät herum und zeigt mir all die Suchergebnisse für meinen Namen im Übernet – dem geschützten Teil des Internets für die übernatürliche Welt. »Das sind alles nette Artikel.«

»Selbst die Schöner Garten und Zwerg hat was über dich geschrieben«, fügt Julia hinzu. »In unserem Garten lebt eine Zwergenfamilie, und es ist wirklich schwer, sich mit ihnen über irgendwas anderes als Blumen zu unterhalten, also kannst du dir da echt was drauf einbilden. Du bist quasi ein Promi.«

»Ja«, bestätigt Elsie. »Guck dich mal um.«

Das muss ich gar nicht, denn ich weiß, dass sie recht hat. Seit ich mich hingesetzt habe, sind die Finger und Blicke der übernatürlichen Wesen im ganzen Laden auf mich gerichtet. Ein paar machen sogar Bilder, die bestimmt auf Örgfzmtchiltchmsfzltchzm landen, kurz Örg, der meistgenutzten Social-Media-Plattform der übernatürlichen Welt.

Trotzdem greife ich nach Elsies Handy und klicke auf den ersten Link.

AMARI PETERS: DIE GUTE MAGIERIN?

Umstrittene Jugendliche kehrt diesen Sommer in die Oberbehörde zurück

Magierinnen und Magier sind für zwei Dinge bekannt: jede Menge Magie und eine lange Tradition als die schlimmsten Bösewichte unserer Welt. Nichtsdestotrotz scheint ein dreizehnjähriges Mädchen unbedingt beweisen zu wollen, dass nicht alle Magier böse sind. Sie hat uns bereits einmal gerettet und dabei Fans auf dem ganzen Globus gewonnen. Doch nicht einmal das hält kritische Stimmen davon ab, ihre wahren Motive zu hinterfragen. Wie viel kann das Wundermädchen wohl noch erreichen im Einsatz für das Gute? Eins ist sicher, die gesamte übernatürliche Welt schaut zu!

Beim Wort »Bösewichte« schneide ich eine Grimasse. Sobald irgendwer Magier erwähnt, denkt die übernatürliche Welt noch immer zuallererst an die Nachtbrüder Vladimir und Moreau, und das aus gutem Grund. Die beiden haben nicht nur den Unsäglichen Krieg begonnen, nein, Moreau hat ihn auch überlebt und siebenhundert Jahre lang schreckliche Verbrechen verübt – bis er letzten Sommer von seinem Schützling Dylan van Helsing hintergangen wurde. Jemandem, von dem ich gedacht habe, er wäre mein Freund. Dylan hat es geschafft, für seinen Mentor ein mächtiges Zauberbuch zu stehlen, nur um sich dann gegen ihn zu wenden und es für sich selbst zu behalten. Er hat mir angeboten, seine neue Partnerin zu werden, aber ich habe abgelehnt. Unsere Magie lieferte sich ein Duell, und ich habe gewonnen. Knapp.

Obwohl die ganze Sache streng geheim war, verbreitete sich die Nachricht, und die übernatürlichen Medien fingen an, Fragen zu stellen. Deshalb veröffentlichte die Oberbehörde irgendwann die Überwachungsaufnahmen unseres Kampfes, und die übernatürliche Welt bekam eine Magierin zu sehen, die sich dafür entschied, kein Bösewicht zu werden. Das Video ging sofort viral im Übernet. Es gibt sogar Memes von mir in voller Rüstung, wie ich die Arme gen Himmel strecke, um einen Blitz herabzubeschwören.

Ich reiche Elsie ihr Handy zurück. »Ein virales Video macht einen noch nicht zum Promi.«

Sie hebt eine Augenbraue. »Hast du in letzter Zeit mal deine Followerzahlen angeschaut?«

Ich ziehe mein eigenes Handy heraus, öffne Instagram und deute auf meine dreiundzwanzig Follower, von denen mir zwei gegenübersitzen. »Nicht sonderlich beeindruckend.«

Elsie verdreht bloß die Augen und legt ihr Handy auf den Tisch. »Du weißt genau, was ich meine.« Sie ruft mein Örg-Profil auf.

@Amari_Peters image

1,73 Millionen Follower

»Mir war gar nicht klar, dass es sooo viele sind«, sagt Julia. »Du bist sogar verifiziert.«

»Die Alle-Magier-Verbannen-Seite hat doppelt so viele«, brummt eine mürrische Stimme hinter mir.

Uff. Bär.

Diesen Spitznamen hat er, weil er der Größte an unserer Schule ist, und noch dazu ganz groß im Mobben. Außerdem ist er das vierte Mitglied und der einzige Achtklässler in der Maggi-AG – Maggi aka Magie. Das ist eine AG für Leute, die zur Oberbehörde gehören und von der übernatürlichen Welt wissen. Solche AGs gibt es an vielen Middleschools und Highschools. Manchmal stehen sie sogar in den Infobroschüren. Zum Glück haben andere Kinder null Interesse daran, ihre Freizeit für eine AG zu opfern, die nach einer Tütensuppenmarke benannt ist … und in der man nicht einmal Suppe isst.

»Bär …« Julia hebt mahnend einen Finger. »Sei nett.«

Bär lässt sich auf den Platz neben mir fallen, lehnt sich aber so weit wie möglich von mir weg. Auch wenn die übernatürliche Welt letztes Jahr allmählich angefangen hat, Magierinnen und Magier zu akzeptieren, gibt es nach wie vor Leute, die mich immer dafür verachten werden, dass ich, genau wie die Nachtbrüder, in diese Kategorie falle. Egal, was ich mache.

»Okay, wir sind alle da«, knurrt Bär. »Worum geht’s bei diesem Treffen überhaupt?«

Elsie wirft ihm einen Blick zu, ehe sie sich ein bisschen aufrechter hinsetzt. »Also … Ich wollte euch nur sagen, dass ich wirklich gern die Sprecherin der Maggi-AG an der Whitman war. Und ich dachte, wir könnten uns noch ein letztes Mal versammeln, bevor die Sommerakademie losgeht. Ich hab ein Geschenk für euch alle.«

Julia klatscht in die Hände. »Ich liebe Geschenke!«

Sogar Bärs Miene hellt sich ein wenig auf.

Aber ich erkenne das Glitzern in Elsies Augen – sie hat irgendetwas vor. »Was hast du getan?«

Elsie gibt Marco ein Zeichen, und vier Teller kommen zu unserem Tisch geschwebt. »Ich habe Glückskekse bestellt. Echte

Ich starre auf die Teller, die sanft vor uns landen. »Aber die Dinger sagen nicht nur die Zukunft voraus, sie kosten auch ein Heidengeld!«

Elsie nickt. »Aber nur, weil es eine Heidenarbeit ist, sie herzustellen. Der Teig muss mit den Teeblättern einer erfolgreichen Vorhersage versetzt werden, ein Magic-8-Ball muss im Raum sein, die Sterne müssen richtig stehen, die Feuerstelle muss im vergangenen Jahr mindestens drei Visionen gezeigt haben … und das sind nur die Voraussetzungen, die mir gerade einfallen. Die Teile haben alle Preisgelder meiner Wissenschaftswettbewerbe verschlungen, aber ich finde, ihr seid es wert.«

Lächelnd bricht Julia ihren Glückskeks auf, holt den schmalen Papierstreifen heraus und legt ihn auf den Tisch. Er ist leer. Doch dann schließt sie die Augen, flüstert leise etwas vor sich hin und steckt sich ein Stück Keks in den Mund.

Plötzlich erscheinen rote Buchstaben auf dem Papier.

»Was steht drauf?«, fragt Elsie.

Julia hält den Streifen hoch, damit wir es lesen können.

Die Kirschen in Nachbars Garten sind nicht immer süßer.

»Ich habe den Glückskeks gefragt, ob ich diesen Sommer in eine andere Abteilung wechseln soll«, erklärt Julia. »Anscheinend bleibe ich wohl besser in der Abteilung des Todes. Als Medium passe ich da ja auch ganz gut hin.«

Ich erinnere mich noch, wie Julia bei der Zeremonie letzten Sommer auf der Bühne stand und die Kristallkugel berührte. Sie wirkte total überrascht von ihrer neuen Fähigkeit, sich mit Geistern unterhalten zu können. Aber so ist die Kristallkugel. Du weißt nie, welches deiner Talente zu einer übernatürlichen Fähigkeit weiterentwickelt wird. Es kann etwas total Offensichtliches sein, wie meine superkreative beste Freundin in eine geniale Erfinderin zu verwandeln, oder irgendetwas, mit dem du niemals gerechnet hättest.

Bei mir hat die Kristallkugel die Magie erweckt, die schon mein gesamtes Leben lang in mir geschlummert hatte. Bloß dass Menschen eigentlich gar keine Magie in sich tragen sollten, bevor sie Teil der Oberbehörde werden. Jedes Mitglied bekommt bei der Kristallkugelzeremonie eine kleine Dosis von zehn Prozent, gerade genug für eine übernatürliche Fähigkeit. Aber da ich schon Magie besaß (und zwar ziemlich viel, nämlich einhundert Prozent Magiekonzentration), wurde ich zur Magierin erklärt. Und Magier können mit ihrer Zauberkraft scheinbar Unmögliches vollbringen.

Das kam nicht sonderlich gut an, und die hohen Tiere in der Oberbehörde sind ausgeflippt – ein paar waren sogar dafür, meine Erinnerungen zu löschen und im Labor an mir herumzuexperimentieren. Zum Glück haben sie mir am Ende die Chance gegeben, mich zu beweisen.

Als Nächstes bricht Bär seinen Glückskeks auf. Er runzelt die Stirn, als auf seinem Papierstreifen die Worte erscheinen:

Manchmal wartet der wahre Feind im Spiegel.

Mit verschränkten Armen wendet er sich ab. Er verrät uns garantiert nicht, was er den Keks gefragt hat.

Dann ist Elsie dran, und was sie fragen wird, weiß ich jetzt schon. Elsie ist ein Werdrache, bloß konnte sie sich noch nie ganz verwandeln. Ein paarmal hat sie Feuer gespien, mehr war nie drin. Durch ihre Bücher und ihre Adoptivmutter, die eine Expertin für Drachen ist, weiß sie immerhin, dass man für die erste Verwandlung eine besonders mutige Tat vollbringen muss. Und sie ist die Letzte ihrer Art, deswegen beschäftigt sie das so sehr.

Sie schließt die Augen und steckt sich den Keks in den Mund. Atemlos beobachtet sie, wie die Buchstaben auf dem Papier erscheinen.

Deine harte Arbeit wird sich auszahlen.

Sie lässt einen derart lauten Schrei los, dass der gesamte Laden zusammenzuckt.

»Heißt das …«, fange ich an.

»Ich glaube schon.« Sie strahlt. »Vielleicht verwandle ich mich diesen Sommer in einen richtigen Drachen. Endlich! Natürlich liegt die Trefferquote der Glückskekse nur bei ungefähr siebzig Prozent, aber mir geht’s jetzt trotzdem viel besser.«

»Wie toll! Das freut mich total für dich.«

Ich bin an der Reihe. Ich breche meinen Glückskeks auf. Eigentlich gibt es nur eine Antwort, die ich will.

Ich habe die Sommerakademie letztes Jahr überhaupt nur besucht, um rauszukriegen, was mit meinem verschollenen Bruder Quinton passiert ist – der hat jahrelang als Agent übernatürliche Verbrechen für die Oberbehörde bekämpft. Aber als ich ihn schließlich gefunden habe, hatte Moreau ihn schon mit einem so grässlichen Fluch belegt, dass er noch immer nicht aufgewacht ist.

Erst war es leicht, darauf zu vertrauen, dass sein Zustand sich bald bessert. Dass er jeden Augenblick nach Hause zu mir und Momma kommt und alles wieder so wird wie früher. Aber das ist nie geschehen, und inzwischen fällt es mir Tag für Tag schwerer, nicht die Hoffnung zu verlieren. Die letzten zwei Monate war Quinton in Australien für experimentelle Fluchbrechbehandlungen, aber nicht einmal die haben geholfen.

Ich schwanke hin und her, ob ich die Frage wirklich stellen soll. Denn was, wenn die Antwort Nein lautet? Könnte ich damit leben?

Bevor mich der Mut verlässt, stoße ich hervor: »Wacht mein Bruder jemals wieder auf?«

Elsie packt meinen Arm, ehe ich den Keks essen kann. »Sorry, aber zwei Dinge: Du darfst deine Frage nicht laut stellen. Und, ähm … sie muss sich um dich drehen, damit es funktioniert.«

»Oh«, mache ich enttäuscht. Ich weiß nicht so genau, was ich sonst fragen soll. Also stecke ich mir den Keks in den Mund und überlege. Nach ein paar Sekunden zucke ich die Achseln und denke: Gibt es etwas Wichtiges, das ich erfahren sollte?

Die anderen keuchen auf, und ich schaue hinunter auf meine Bestimmung.

Hüte dich vor unvorhergesehenen Gefahren.

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2

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Endlich an der Whitman angekommen, warten Elsie und ich auf dem Parkplatz zusammen mit all den anderen, die sich für Mr. Ames’ berühmte Exkursion am letzten Schultag angemeldet haben. Was vielleicht komisch klingt, aber die Whitman legt Wert darauf, jeden Tag zu einer Lernerfahrung zu machen, also konnte man sich entscheiden: das Georgia-Aquarium oder die Schulaula für Tag fünf von Mrs. Laurels szenischen Lesungen diverser Shakespeare-Stücke.

Ob man’s glaubt oder nicht, das war keine leichte Wahl. Diese Frau schauspielert so übertrieben, dass sogar Romeo und Julia zur Komödie wird.

Elsie stupst mich an. »Grübelst du immer noch über deinen Glückskeks nach?«

»So offensichtlich?«, frage ich.

Sie nickt. »Deine Aura ist knallgelb.«

Auras lesen zu können, ist ein Vorteil davon, ein Werdrache zu sein. Gefühle strahlen gewisse Farben aus, die Elsie sehen kann. Das vergesse ich auch nach einem Jahr Freundschaft noch manchmal.

»Ihr habt Ratschläge bekommen«, erwidere ich. »Und ich eine Warnung.«

Ein heller Blitz in den dunklen Wolken über uns lenkt meine Aufmerksamkeit nach oben. Kurz huscht mir mein Kampf gegen Dylan durch den Kopf. Meine Magie kann eigentlich nur Illusionen erzeugen, deshalb ist mir immer noch nicht klar, wie ich einen echten Blitz herabbeschworen und Dylan besiegt habe.

»Vielleicht sind diese ›Gefahren‹ nur die ganz normalen Dinge, mit denen es Nachwuchsagenten jeden Sommer zu tun kriegen«, meint Elsie. »Jeder weiß, dass die BüV die gefährlichste Abteilung in der ganzen Oberbehörde ist. Ihr bekämpft echte übernatürliche Verbrechen.«

»Das ergibt Sinn … Aber warum dann unvorhergesehene Gefahren?«

Elsie runzelt die Stirn, während sie sich das geniale Gehirn nach irgendetwas Ermutigendem zerbricht. Schließlich zuckt sie die Schultern. »Wenn die Gefahren sich irgendwann blicken lassen, hast du haufenweise andere Agentinnen und Agenten um dich rum. Also Kopf hoch!«

»Aber …«

FIIIIIIIIIIIEP!

Alle halten sich die Ohren zu, als Mr. Ames’ Trillerpfeife schrillt, aber das scheint unser Biolehrer gar nicht zu bemerken. »Neun Uhr. Alle einsteigen!«

Bär drängt sich an uns vorbei. »Aus dem Weg, Achtklässler im Anmarsch!«

Elsie und ich folgen ihm zur Bustür, wo Mr. Ames die Anwesenheit kontrolliert.

»Warum so ein langes Gesicht, Amari?«, fragt er mich. »Heute ist ein aufregender Tag!«

Ich schlucke. »Ich weiß, es ist nur …«

KRACH! Ein Donnerschlag lässt mich zusammenzucken, und plötzlich fängt es an, in Strömen zu regnen.

Schnell springen Elsie und ich in den Bus und suchen uns einen Platz im hinteren Teil. Durch das Fenster sehe ich, wie sich die anderen Kinder hereindrängeln.

Elsie bemerkt besorgt: »Hm, also das soll jetzt nicht heißen, dass dein Glückskeks recht hatte, aber bei diesem Gewitter wird mir ein bisschen mulmig.«

Ich beiße mir auf die Lippen und spähe durch den Regen hoch zu den dunklen Wolken. Irgendwie sieht der Himmel bedrohlich aus – nein, er fühlt sich so an. Genau wie in diesem Horrorfilm, den Quinton und ich vor Ewigkeiten zusammen geguckt haben, kurz bevor der Typ mit der Kettensägenhand auftaucht.

Vielleicht mache ich mir aber auch einfach zu viele Gedanken.

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Nach zwanzig Minuten Nervosität passiert etwas, das mich endlich von diesem dämlichen Glückskeks ablenkt: Elsie gähnt.

Das klingt jetzt vielleicht nicht nach einer besonders großen Sache, trotzdem ist es der Grund dafür, dass ich mucksmäuschenstill bin und mich keinen Millimeter bewege. Nach zwei vollen Monaten werde ich endlich unsere Wette gewinnen.

Hoffentlich.

Ich meine, sie war schon ein paarmal kurz davor, einzudösen. Dann gähnt sie herzhaft, und ihre Augen fallen langsam zu. Aber irgendwann verlässt mich das Glück – der Bus fährt über eine Bodenwelle, die sie wach rüttelt, irgendein Handy klingelt, oder die Leute in der Reihe vor uns streiten sich so lautstark, dass niemand mit gesundem Gehör schlafen könnte. Letztes Mal ging es darum, wer im Armdrücken gewinnen würde, ein Gargoyle oder der stärkste Mensch der Welt. Wer kommt überhaupt auf so eine Frage?

Außerdem ist doch völlig klar, dass man gegen einen Gargoyle keine Chance hat. Er würde einfach seinen Arm in Stein verwandeln und sich ausschütten vor Lachen, bis irgendwer das Spiel für unentschieden erklärt. Gargoyles sind berüchtigt für ihre Streiche und hängen gern an alten Gebäuden, um anderen heimlich Grimassen zu schneiden.

Diesmal allerdings bleiben Elsies Augen geschlossen. Und als kurz darauf das Schaukeln des Busses ihren schnarchenden Kopf auf meine Schulter rutschen lässt, kann ich mir das Grinsen nicht verkneifen. Das wird so großartig, sogar noch besser als der Schnappschuss, den sie von mir ergattert hat, als ich vor zwei Monaten bei dieser Schulversammlung eingenickt bin. Hängender Kopf, offener Mund … Ich weiß immer noch nicht, wie sie das hingekriegt hat. Ich könnte schwören, dass ich höchstens eine Sekunde weg war.

Später in der Mittagspause hat sie mit mir gewettet, dass ich es nicht schaffen würde, mich zu revanchieren. Ich habe eingeschlagen und sogar noch einen draufgesetzt: Das Foto der Verliererin wird auf der Örg-Seite der Gewinnerin gepostet, rechtzeitig zur #Schnarchnasen-Challenge.

Vorsichtig fische ich mein Handy aus der Tasche und richte es für das perfekte Selfie aus. Noch kurz auf einen besonders lauten Schnarcher warten, eine alberne Grimasse schneiden und dann auf den Auslöser …

»FANTASTISCH!«, bellt Mr. Ames aus heiterem Himmel und springt auf. Als der Bus in eine Kurve fährt, stolpert er und klammert sich an eine Rückenlehne, um nicht hinzufallen. So wie er strahlt, könnte man meinen, er hätte gerade im Lotto gewonnen oder so was.

Elsie schlägt die Augen auf. Kaum bemerkt sie mein Handy, breitet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Hast du dich gerade gerächt?«

»Fast«, stöhne ich. »Dein Lieblingslehrer hat dich gerettet.«

Mr. Ames läuft durch den Gang und lässt den Blick über die Sitze wandern. Sobald er uns entdeckt, geht er neben uns in die Hocke und streckt Elsie sein Handydisplay hin. »Großartige Neuigkeiten, Elsie! Du bist drin! Der Dekan hat mir gerade die E-Mail weitergeleitet.«

Erst hat Elsie ganz offensichtlich keinen Schimmer, wovon er redet. Dann reißt sie die Augen auf. »Halt, meinen Sie Oxford?«

»Ganz genau«, antwortet Mr. Ames. »Du hast die Aufnahmeprüfung gewuppt, und sie bieten dir einen Platz in ihrem Spezialprogramm für Hochbegabte an. Du wirst zusammen mit den hellsten Köpfen der ganzen Welt studieren!«

Elsie bekommt den Mund nicht mehr zu. »Ich darf wirklich Naturwissenschaften und Mathe an der Oxford University studieren … in England?«

Mr. Ames nickt begeistert. »Von der siebten Klasse nach Oxford. Ich bin so stolz auf dich. Was für eine Leistung!«

Mit einem Quietschen dreht Elsie sich zu mir, und ich schenke ihr mein überzeugendstes Lächeln – ehrlich. Sie ist der genialste Mensch, den ich jemals kennengelernt habe. Aber sosehr ich mich auch für sie freue, ich werde das flaue Gefühl nicht los, dass ich meine beste Freundin verliere. Ein besseres Schuljahr als das an der Whitman hatte ich noch nie. Und das lag vor allem daran, dass ich es mit ihr teilen konnte.

Elsies Miene ist unsicher, als sie sich wieder zu Mr. Ames wendet.

Der Mann schnieft und nimmt seine Brille ab, um sich die Augen zu wischen.

»Weinen Sie etwa?«, fragt Elsie peinlich berührt.

»Es war eine solche Ehre, dich zu unterrichten«, antwortet er. »Die schlaueste Schülerin, die ich je hatte.« Sein Blick wandert zu mir. »Deine Freundin wird Großes erreichen, was, Amari?«

»Jep.« Ich nicke. »Riesengroßes.«

Er steht wieder auf und schenkt Elsie ein weiteres strahlendes Lächeln, bevor er zu seinem Platz zurückkehrt.

Ich versuche, mein eigenes Lächeln zu wahren, bin mir aber nicht sicher, wie gut mir das gelingt. Mir schwirrt der Kopf. Was bedeutet es für Elsie und mich, dass sie wegzieht? Werden wir überhaupt befreundet bleiben?

Elsie spielt nervös mit den Händen, und es dauert eine ganze Weile, ehe sie mich wieder anschaut. »Okay, und was denkst du wirklich?«

»Ich freu mich für dich«, sage ich schnell. »Du wirst eins von diesen jungen Genies, die sie in den Nachrichten zeigen, weil sie schon als Teenie die Uni abschließen. Und danach heilst du seltene Krankheiten oder findest eine Lösung gegen den Welthunger oder so.«

Elsie bedenkt mich mit einem Blick. »Sei ehrlich, Amari. Eine blaue Aura ist das Gegenteil von Freude. Und deine könnte blauer nicht sein.«

Ich hebe die Achseln. »Ich wünschte halt, du hättest es mir erzählt. Ich wusste nicht einmal, dass du dich beworben hast.« Klar, sie hat sich beklagt, wie einfach die Schulaufgaben für sie sind. Und ja, sie hat sogar mal was von Klasse-Überspringen erwähnt. Aber wie viele Dreizehnjährige bewerben sich an der Uni?

»Ich weiß«, meint sie. »Aber ehrlich gesagt habe ich das Ganze gar nicht ernst genommen. Die Aufnahmeprüfung habe ich nur gemacht, weil Mr. Ames über nichts anderes mehr geredet hat. Ich hätte nie geglaubt, dass ich eine Chance habe. In diesem Programm sind Kinder, die mit acht oder neun Jahren aufgenommen wurden. Ich bin nicht gerade dumm, aber …«

»Nicht gerade dumm?«, wiederhole ich. »Elsie, du bist genial, und das weißt du.«

Sie wird rot und lächelt. »Na schön, vielleicht ein bisschen.«

Ich muss lachen, bis mir auf einmal ein Gedanke kommt. »Warte, wenn du nach England ziehst, gehst du dann nächstes Jahr auch in der Londoner Oberbehörde zur Sommerakademie?«

Sie öffnet den Mund, um zu protestieren, klappt ihn aber wieder zu. »Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht …«

Plötzlich fängt der Bus an, so heftig zu wackeln, dass die Scheiben klirren und ich auf meinem Sitz durchgeschüttelt werde. Nervöse Schreie ertönen.

Ich schaue aus dem Fenster, um rauszufinden, was los ist, aber es ist dicht beschlagen.

Dann wird alles still. Kein Scheibenklirren mehr, kein Stimmengewirr.

»Els, was passiert hier?« Ich drehe mich zu ihr – und keuche auf.

Elsie regt sich nicht mehr. Ihr Körper schwebt ein paar Zentimeter über dem Sitz. Der verwirrte Ausdruck auf ihrem Gesicht bleibt starr, sie blinzelt nicht einmal. Und ihr langer schwarzer Pferdeschwanz hängt wie festgefroren in der Luft. Fast als würde ich ein Bild von ihr betrachten, nicht die echte Elsie. Als hätte jemand bei ihr auf Pause gedrückt.

Ich stupse sie leicht an, in der Hoffnung, sie wach zu rütteln, aber was auch immer sie erfasst hat, es ist, als würde ich eine Schaufensterpuppe im Shoppingcenter berühren. Sie reagiert überhaupt nicht, sondern bleibt vollkommen leblos.

Nein, nein, nein, nein, nein. Hier stimmt etwas nicht. Mit rasendem Herzen rapple ich mich hoch und will Hilfe holen.

Aber nicht nur Elsie ist erstarrt – niemand bewegt sich mehr. Die beiden in der Reihe vor uns sind ein regungsloses Durcheinander aus Armen und Beinen. Und das Mädchen auf der anderen Seite des Gangs sitzt mitten in der Luft, die Augen weit aufgerissen, die Hände nach einem Smartphone ausgestreckt, das knapp außer Reichweite schwebt. Ich wische ein Stück des Fensters frei. Mein Herz setzt kurz aus. Selbst die Regentropfen sind wie versteinert.

Es ist, als würde die Zeit stillstehen. Für alle außer mich.

Hüte dich vor unvorhergesehenen Gefahren. Wollte mich der Glückskeks davor warnen?

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Hektisch huscht mein Blick durch den Bus, bis ich Mr. Ames entdecke, der ganz vorne neben der Fahrerin kauert.

Ich reiße mich zusammen und schlüpfe an Elsie vorbei in den Gang. Vielleicht betrifft das, was auch immer gerade geschieht, ihn auch nicht. Aber je näher ich ihm komme, desto weniger Hoffnung habe ich. In jeder Sitzreihe, an der ich vorüberlaufe, sind alle erstarrt. Deshalb bin ich, als ich Mr. Ames endlich erreiche, nicht überrascht, dass er und die Busfahrerin ebenfalls versteinert sind.

Ich schlucke. Warum passiert das hier?

Und dann ist es vorbei. Plötzlich sind die Geräusche und Bewegungen zurück. Alles wird so schnell wieder normal, dass ich zusammenzucke.

Mr. Ames erschrickt, als er sich umwendet und ich direkt hinter ihm stehe. »Ach, hallo, Amari. Brauchst du etwas?«

Mein Herz wummert noch immer, und ich weiß nicht recht, was ich antworten soll. »Ähm, erinnern Sie sich nicht daran, was los war? Gerade eben?«

Er runzelt verwirrt die Stirn. »Ich bin mir nicht sicher, was du meinst.«

Ich starre ihn an. Wie kann er vergessen haben, dass er versteinert war?

Er hebt eine Augenbraue. »Alles in Ordnung? Möchtest du über irgendetwas reden?« Verständnis breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Machst du dir Sorgen, weil Elsie uns verlässt?«

Rasch schüttle ich den Kopf. »Schon gut, entschuldigen Sie.« Ich drehe mich um und gehe zurück zu meinem Platz. Die anderen Kinder scherzen und lachen, als wäre nichts gewesen. Selbst wenn sie sich nicht an das Erstarrtsein erinnern, sollten sie nicht zumindest noch wissen, wie der Bus gewackelt hat? Das alles ist so seltsam. Erst als ich wieder bei Elsie bin und sehe, wie sie fröhlich auf ihrem Handy herumtippt, atme ich erleichtert auf und drücke sie ganz fest. »Gott sei Dank!«

»Ähm, Amari? Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich wegziehe.«

Ich schaue sie an. »Was, du auch? Erinnerst du dich etwa auch an gar nichts

»An was denn? Die Oxford-Sache?«

Ich verneine. »Danach. Wir haben uns unterhalten, und plötzlich sind alle eingefroren. Also, alle außer mir.«

Elsie zieht eine Augenbraue hoch. »Eingefroren?«

»Das ist kein Witz.«

Mein Handy in der Hosentasche fängt an, wie wild zu piepen. Genau wie Elsies. Wir wechseln einen Blick. Das kann nur eins bedeuten. Ich hole mein Telefon raus. Auf dem Display blinkt eine Benachrichtigung.

Alarmstufe Rot!

Notfall!

Elsie klappt die Kinnlade runter.

»Ich hab’s dir doch gesagt«, meine ich.

Bei ihr ploppt eine Nachricht auf.

Neue Nachricht von Bär:

Treffen in der letzten Reihe.

Natürlich textet er nur Elsie und nicht mir.

Nachdem wir sichergestellt haben, dass Mr. Ames uns nicht sieht, schleichen wir nach hinten. Bär guckt finster, als er mich entdeckt, rutscht aber ans Fenster, damit wir beide Platz haben.

»Habt ihr es schon gelesen?«, fragt er und schaut an mir vorbei zu Elsie.

Wir schütteln den Kopf. »Wir sind direkt hergekommen, als du geschrieben hast.«

Er streckt uns sein Handy hin und tippt auf die Benachrichtigung. Elsie und ich beugen uns vor.

Alarmstufe Rot

Wie die Abteilung für Magiewissenschaften soeben bestätigt hat, waren große Teile von Georgia heute von einem gewaltigen Zeitstillstand betroffen. Die Abteilung für Halbwahrheiten und Vollvertuschungen arbeitet mit Hochdruck daran, alle beeinträchtigten Uhren wieder richtig einzustellen. Die Ursache für dieses nie da gewesene und gefährliche Magieereignis ist noch unklar.

»Magie?«, flüstert Elsie.

»Dieser Zeitstillstand muss auch unseren Bus erfasst haben«, sage ich. »Aber …«

»Warte mal, was?«, unterbricht Bär mich stirnrunzelnd. »Ich erinnere mich nicht daran, dass die Zeit stillgestanden hat.«

»Hat sie aber«, erkläre ich. »Ich bin als Einzige nicht erstarrt. Glaub mir, das war ziemlich seltsam.«

Elsie nickt abgelenkt. »Die Zeit kann man nicht fühlen, selbst wenn sie anhält. Was ich nicht verstehe, ist, warum sie glauben, dass es was mit Magie zu tun hat. Ein magischer Zeitstillstand von so großem Ausmaß sollte eigentlich gar nicht möglich sein.«

»Ist das nicht offensichtlich?«, fragt Bär. »Amari hat doch gerade selbst zugegeben, dass sie nicht betroffen war. Also muss es wieder ein fauler Magierzauber gewesen sein.«

Ich verdrehe die Augen. »Dass du so was denkst, war ja klar.«

Elsie schaut zwischen uns hin und her und wird blass. »Eine Auszeitgranate kann die Zeit rund um eine Person vielleicht eine Minute lang anhalten, aber selbst das schluckt eine unglaubliche Menge Magie, und es dauert Monate, bis sie wieder aufgeladen ist. Für so was müsste deine Magiekonzentration gigantisch sein, wie …« Sie sieht mir direkt in die Augen und verstummt.

»Wie bei einem Magier?«, ergänzt Bär höhnisch und verschränkt die breiten Arme. »Denkt mal drüber nach. Ist doch logisch, dass die Person, die den Zeitstillstand ausgelöst hat, nicht selbst darin gefangen sein will, oder? Dass ein Magier seinen Zauber magiersicher macht.«

Ich funkle ihn an. Hauptsächlich, weil es wirklich logisch ist. Mein Magen verkrampft sich vor Angst. Das alles kann doch nicht die Schuld eines Magiers gewesen sein, oder?

Elsie senkt den Blick. »Wir sollten keine Mutmaßungen anstellen.«

Bär beachtet sie gar nicht. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, grimmig auf sein Handy zu starren. »Müsste es nicht längst ein Update geben?« Er tippt ein paarmal auf das Display, und plötzlich ertönt die Stimme von Mr. van Helsing, dem Leiter der Abteilung zur Bekämpfung übernatürlicher Verbrechen. Bär dreht die Lautstärke leiser, damit nur wir ihn hören können.

Van Helsing: … Magie, wie wir sie noch nie gesehen haben.

Reporterin: Was können Sie uns darüber berichten?

Van Helsing: Das war kein harmloser Unfall, sondern ein gezielter Angriff. So etwas werden wir nicht tolerieren und gewiss nicht unbeantwortet lassen.

Reporterin: Haben Sie schon eine Vorstellung, was oder wer den Zeitstillstand ausgelöst haben könnte?

Van Helsing: Derart gefährliche, derart starke Magie ist in aller Regel das finstere Werk von Magiern. In Anbetracht dessen werden wir Notfallmaßnahmen ergreifen, um die Sicherheit unserer Welt zu gewährleisten.

Damit endet der Clip. Bär lehnt sich zurück, und sein Grinsen wird breiter. »Hast du das gehört? Ich wette, die haben dir schon ’ne Zelle im Blackstone reserviert.«

»Halt einfach die Klappe, ja?« Mein Angstkloß verwandelt sich in ausgewachsene Panik.

Bär lacht mir ins Gesicht.

Ich drehe mich zu Elsie. »Kann Mr. van Helsing so was einfach machen?«

Bär antwortet an ihrer Stelle: »Auf jeden!«

»Das ist nicht fair.« Elsies Kiefer zuckt, wie immer, wenn sie frustriert ist. »Amari saß direkt neben mir.«

»Sicher?«, fragt Bär. »Als ich nämlich aufgestanden bin, um Mr. Ames was zu fragen, bist du gerade weggedöst. Für mich sah’s sogar aus, als würde Amari dich beobachten und warten, bis du einschläfst. Hat wahrscheinlich auf ihre Chance gelauert, diesen Zauber zu sprechen.«

Ich schüttle den Kopf. »Ich wollte eine Wette gewinnen! Außerdem erzeugt meine Magie bloß Illusionen. Ich habe keine Ahnung, wie man die Zeit anhält. Und du hast Elsie doch gehört: So mächtige Magie ist unmöglich.«

»Das ist das Ding mit euch Magiern«, gibt er zurück. »Ihr macht ständig Zeug, das eigentlich unmöglich sein sollte. Mann, alle haben gesehen, wie du letzten Sommer dieses krasse Gewitter ausgelöst und Dylan van Helsing mit einem Blitz erledigt hast. Der war ja auch keine Illusion, oder?«

Ich schweige. Der Zauber damals hat zwar als Illusion begonnen, aber der Blitz war sehr real.

Bär fährt fort: »Und das Gewitter da draußen gerade ist garantiert auch kein Zufall. Vielleicht ist das dein Geheimnis – wer weiß, was für Magie du noch vor uns versteckst?«

»Das muss ich mir nicht geben.« Ich stehe auf und stürme durch den Gang. Elsie folgt mir auf dem Fuß.

Als wir wieder bei unseren Plätzen sind, sagt sie: »Dass sie das Ganze als Angriff und nicht als Unfall bezeichnen, heißt, es steckt mehr dahinter, als sie uns verraten.«

Ich nicke. »Was hat Mr. van Helsing wohl mit ›Notfallmaßnahmen‹ gemeint?«

Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Auf meinem Handy ploppt eine E-Mail auf. Von der Oberbehörde.

Amari Peters, du bist mit sofortiger Wirkung von der Sommerakademie der Oberbehörde für Übernatürliches AUSGELADEN.

– im Auftrag des Vizepräsidenten der Übernatürlichen Union

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Anscheinend hat dieses grässliche Unwetter einen Stromausfall in großen Teilen der Innenstadt verursacht, inklusive des Georgia-Aquariums, also drehen wir schließlich wieder um und fahren zurück zur Whitman. Kaum sind wir angekommen, verschwindet Mr. Ames mit Elsie, um die Oxford-News in der Schule zu verbreiten. Der Rest von uns wird in die Aula geschickt, wo Mrs. Laurel sich untröstlich durch das Ende von Macbeth jammert.

Nicht dass ich davon besonders viel mitkriege. Ich kann an nichts anderes denken als an die Ausladung von der Sommerakademie. Wenn ich nicht zurück in die Oberbehörde darf, wie soll ich dann Quinton besuchen? Nur die Aussicht darauf, ihn diesen Sommer endlich wiederzusehen, hat mich durch die langen Monate seiner Behandlung in Australien gebracht. Was, wenn sein Zustand sich verschlechtert und ich nicht da bin?

Ich muss mit jemandem reden … jemandem wie Maria van Helsing. Dylan und ich waren nicht die einzigen Magier, die letzten Sommer enttarnt wurden. Dylans älterer Schwester Maria ist es ebenso ergangen. Wie sich rausgestellt hat, gibt die renommierte Familie van Helsing seit Jahrhunderten heimlich ihre Magie an ausgewählte Mitglieder weiter.

Maria ist auch der Grund, warum ich nicht allein die Lorbeeren dafür ernten kann, die öffentliche Meinung über Magierinnen und Magier geändert zu haben. Sie ist viel berühmter als ich, und das nicht nur, weil sie van Helsing heißt, sondern auch, weil sie zusammen mit Quinton zu VanQuish gehörte. Bevor er verflucht wurde, zählten die beiden zu den erfolgreichsten Spezialagenten ever. Es gibt sogar Actionfiguren von ihnen.

Wenn irgendwer mehr über das alles weiß, dann sie.

Doch als ich auf die Örg-App klicke, öffnet sich nur eine Fehlermeldung.

Fehler! Zugriff auf das Übernet verweigert.

Ein paar Sekunden lang starre ich fassungslos auf mein Handy. Von der Sommerakademie ausgeladen zu werden ist schon schlimm genug, aber jetzt kann ich nicht mal mehr das Übernet benutzen? Es fühlt sich an, als würde man mich nicht nur aus der Oberbehörde werfen, sondern aus der gesamten übernatürlichen Welt. Das Ganze ist so unglaublich unfair, ich könnte schreien.

Stattdessen schicke ich schließlich Elsie eine rasche Nachricht. Sie antwortet sofort.

Neue Nachricht von Elsie:

Kann grad nicht. Mom und die Rektorin wollen nach der Schule über Oxford reden.

Wenn Elsies Mom sich mit der Rektorin unterhält, heißt das dann, Elsie geht definitiv weg? Außerdem habe ich mich eigentlich darauf verlassen, dass Elsies Fahrer mich nach Hause bringt.

Jetzt muss ich wohl den Stadtbus nehmen.

Und natürlich setzt sich direkt ein bleicher Ork neben mich. Er ist so riesig, dass er eigentlich drei Sitze bräuchte. Niemand sonst beachtet ihn, weil die Leute nicht bemerken, was sie nicht erwarten. Tja, und außerdem trägt er einen Trenchcoat und kiloweise Blickschutzmittel der Marke Unansehnlich – das sorgt dafür, dass dich gar nicht erst jemand anschauen will. Und es ist die von der Oberbehörde vorgegebene Minimaltarnung für Übernatürliche in der Öffentlichkeit. Nur dank der Wahrsicht-Tropfen erkenne ich seinen breiten, flachen Kopf, die pechschwarzen Augen und die dicken Arme, die stellenweise durch die aufgeplatzten Ärmel lugen.

Der Ork bemerkt, dass ich ihn anstarre, und knurrt.

Ich saß schon mit genügend übernatürlichen Wesen im Bus, um es nicht gleich persönlich zu nehmen. Klar, manchmal bedeutet ein Knurren: »Dich verputze ich zum Mittagessen!«, aber meistens heißt es bloß so was wie: »Draußen sind es fast vierzig Grad, und trotzdem muss ich diesen Trenchcoat tragen.«

Deshalb lächle ich und deute auf die Zeitung, die er zu lesen vorgibt. »Die steht auf dem Kopf.«

Aber das scheint ihn nur noch mehr zu verstimmen. Er faltet die Zeitung zusammen und funkelt mich an. »Für wen hältst du …«

In exakt diesem Moment realisiert der Ork, dass ich Amari Peters bin, die Magierin. Er verstummt plötzlich, und sein gesamter Körper versteift sich. Das Knurren verwandelt sich in ein Wimmern, als er aufspringt und so weit wie möglich von mir wegschleicht.

Genau, denke ich. Weil ich hier die Schreckgestalt bin. Haben jetzt wieder alle Angst vor mir, nur weil die Oberbehörde Magiern die Schuld an diesem Zeitstillstand gegeben hat? Macht diese eine Sache, für die ich nicht einmal was kann, wirklich all meine guten Taten vom letzten Sommer zunichte?

Als ich eine knappe Dreiviertelstunde später am Ende meiner Straße aussteige, schlägt mein Magen immer noch nervöse Saltos. Die Fahrt zieht sich echt, wenn man die ganze Zeit nur vor sich hin grübelt.

Meine Anspannung ist allerdings das genaue Gegenteil der Stimmung in der Rosewood-Sozialbausiedlung. Nachdem der Regen aufgehört hat, könnte man fast meinen, hier fände ein Straßenfest statt, so viele Kinder und Erwachsene tummeln sich auf den Bürgersteigen. Musik schallt aus den Fenstern von Häusern und Autos, und alle lachen und tanzen und amüsieren sich. Besonders die kleinen Kinder, die in den Pfützen herumhüpfen.

Ein paar Leute nicken mir zu oder begrüßen mich mit einem »Was geht?«, als ich vorbeilaufe. Die meisten Bewohner der »Wood« kennen mich, weil ich Quintons kleine Schwester bin. Er ist quasi eine Legende hier, nachdem er Plätze an gleich zwei Eliteunis ergattert und sich so sehr für das Nachhilfeprogramm im Jugendzentrum engagiert hat. Natürlich ahnt keiner, was er wirklich nach der Schule gemacht hat. Und das Traurigste daran ist, dass er wegen des Fluchs nie nach Hause zurückkommen konnte, deswegen glauben alle, er wäre immer noch vermisst.

Aber das hält sie nicht davon ab, ihn zu feiern. Für unsere Nachbarn reicht es, dass er von hier war. Eine gute Geschichte gegen all das Schlechte, das Leute von außerhalb gern über uns erzählen.

Jayden, ein Kumpel aus dem Haus, winkt mir von der anderen Straßenseite. Wäre er gerade neben mir, würde er schwören, die vielen grüßenden Leute seien der Beweis dafür, dass ich ein genauso großes Ding bin wie mein Bruder. Aber der Kerl versucht immer, mein Ego zu pushen.

Als würde ich mich nicht schon mies genug fühlen wegen der Sommerakademie, versetzt Jaydens Anblick mir noch einen Extrastich. Seine Nominierung für die Oberbehörde toppt alles andere, was ich letzten Sommer erreicht habe, und jetzt kann ich nicht einmal dort sein, um ihn wie versprochen zu unterstützen.

Mit düsterer Miene erreiche ich unser Wohnhaus. Aus Gewohnheit werfe ich einen Blick zu Mrs. Walters’ Fenster. Als ich sehe, dass es leer ist, bleibe ich wie angewurzelt stehen.

Mrs. Walters sitzt immer an diesem Fenster. Jeden Tag zu jeder Zeit, um bloß keine Sekunde vom Leben aller anderen zu verpassen. Sie führt sogar ein Notizbuch, damit sie nichts vergisst. Diese Frau ist die Neugier in Person.

Außerdem ist sie zufällig eine Hexe, die sich als alte Frau tarnt. Nicht dass ich vor letztem Sommer auch nur die geringste Ahnung von ihrer wahren Identität gehabt hätte. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung sind Hexen definitiv keine Menschen. Die knallgrüne Haut ist ein untrügliches Zeichen.

Mir kommt eine Idee. Vielleicht weiß die alte Neugiernase ja auch etwas über den Zeitstillstand. Und kann mir einen Hinweis auf den Verursacher geben.

Auch wenn es wahrscheinlich nichts bringt – einen Versuch ist es wert. Ich laufe an unserer Wohnung vorbei und klopfe leise bei ihr. Trotz des ganzen Lärms von draußen höre ich Musik durch die Tür.

Keine Antwort. Aber die Tür steht einen Spalt offen. Was komisch ist und mich ein bisschen beunruhigt.

»Hallo? Jemand zu Hause?« Ich schiebe die Tür gerade weit genug auf, um hineinzuspähen. Alle Besitztümer der Hexe scheinen in eine Ecke gepfropft worden zu sein. Ein paar Besen schweben in der Luft, und ein großer Kupferkessel ist mit staubigen alten Büchern gefüllt. Aber meine Augen wandern sofort zu der Bluse, die andere Blusen faltet und ordentlich in einen Koffer packt. Das verleiht dem Begriff »Arbeitskleidung« eine ganz neue Bedeutung.

Was ist hier los? Zieht Mrs. Walters um?

»He, entschuldige mal!« Mrs. Walters reißt die Tür auf. »Hast du dich verlaufen, oder was?«

Ihr Gesicht ist hinter einem dicken Schal und einer riesigen Sonnenbrille verborgen. Doch als meine Wahrsicht-Tropfen wirken, nimmt die braune Haut ihren natürlichen grünen Ton an. Ihre Nase wächst, genau wie ihr Kinn, bis es so weit vorragt, dass ihr Gesicht von der Seite beinahe wie ein Halbmond geformt ist. Genau wie bei der bösen Hexe des Westens aus Der Zauberer von Oz.

Ich sehe ihr wahres Äußeres nicht zum ersten Mal, trotzdem bringt mich die Verwandlung kurz aus der Fassung.

»Ich … Sie waren nicht am Fenster und …« Ich drehe den Kopf, als aus dem Nebenzimmer ein vertrauter Song schallt. »Hey, seit wann hören Sie denn Hip-Hop?«

Mit einem zahnlückigen Grinsen schwingt Mrs. Walters im Türrahmen die Hüften. »Diese Füße legen schon seit Jahrhunderten ’ne flotte Sohle aufs Parkett, Kurze. Wir feiern bloß ’ne kleine Abschiedsfete.«

Abschied? Ich schaue zu ihrem Gepäck. Wo will sie hin?

»Frag das Mädchen mal, ob sie Spades kann«, ruft eine Stimme von irgendwo aus der Wohnung.

Mrs. Walters mustert mich von oben bis unten. »Und?«

Die Frage grenzt fast an eine Beleidigung. Spades ist für Schwarze hier im Süden quasi ein Nationalsport. Wenn man das Kartenspiel nicht kann, braucht man sich bei manchen Grillpartys gar nicht erst blicken lassen. Ich setze mein selbstbewusstestes Lächeln auf. »Klar. Aber …«

»Dann rein mit dir!« Sie zerrt mich in die Wohnung und wirft die Tür zu.

»Ähm, Mrs. Walters?«, fange ich an, während sie mich nach nebenan bugsiert. »Eigentlich wollte ich nur fragen, ob Sie was über den Zeitstillstand …«

»Hör auf zu quasseln, Kurze, und schnapp dir ’nen Stuhl.«

»Aber …« Mir klappt die Kinnlade runter. Zwei weitere, identisch aussehende Mrs. Walters sitzen am Esstisch. Es dauert ein paar Sekunden, bis auch ihre Tarnungen verblassen und ich die Hexen darunter erkenne. Eine ist groß und hager, die andere klein und stämmig.

»Sie alle sind Mrs. Walters?« Tja, das erklärt immerhin, wie sie pausenlos an diesem Fenster sitzen kann. Ich meine, es ist auch schon passiert, dass Momma und ich aus dem Supermarkt spaziert sind, als Mrs. Walters gerade erst reingegangen ist, und trotzdem saß sie am Fenster, als wir nach Hause kamen. Das fand ich früher total unheimlich.

»Ganz genau«, sagt die kleine Hexe. »Ist schwer, mehr als einen falschen Ausweis in die Finger zu kriegen, um in dieser Stadt zu wohnen, für gesuchte Verbrecherinnen wie uns …«

»Pssst!« Die große Hexe schaudert. »Posaun’s doch noch lauter raus. Sie arbeitet für die Oberbehörde, schon vergessen? Sie könnte uns verpfeifen.«

Ich schaue zwischen den beiden hin und her. Hat sie gerade wirklich Verbrecherinnen gesagt?

Die kleine Hexe verdreht die Augen. »Wir verduften doch eh! Außerdem hat das Mädchen als Magierin wahrscheinlich grade größere Probleme als vier Hexen auf der Flucht.«

»Aber Sie wurden bestimmt zu Unrecht beschuldigt, oder?« Ich lache nervös. »Also, Sie haben eigentlich gar nichts getan …«

Alle drei weichen meinem Blick aus. Auch eine Antwort.

Ich gucke mich noch einmal im Zimmer um. »Haben Sie nicht eben gesagt, Sie wären zu viert?«

Die große Hexe wirft den Kopf zurück und gackert. »Dottie sitzt da drüben im Glas.«

»Der Frosch?«, frage ich mit aufgerissenen Augen.

»Na logo«, antwortet die kleine Hexe. »Wer schummelt, kriegt ’ne Stunde im Glas – Hausregeln. Ich hoffe für dich, du spielst fair.«

Ich schlucke. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?

»Warum gehst du nicht schon mal rüber zur Anrichte und suchst dir ’nen Satz Karten aus?«, meint die Mrs. Walters, die mir die Tür aufgemacht hat.

Ich beschließe, sie ab jetzt »erste Hexe« zu nennen. Auf der Anrichte liegt ein rotes Kartenspiel mit bedrohlichen schwarzen Augen auf der Rückseite und ein blaues mit einem finsteren Gesicht. »Egal welches?«

»Sie sind beide verhext, also wähl weise.«

Mein Blick wandert zwischen den roten und blauen Karten hin und her. »Wie denn verhext?«

»Tja, Kurze, die Spielkarten einer Hexe sind niemals harmlos. Manche beißen.«

»Manche keifen.«

»Manche lassen Flammen gleißen.«

Sie prusten los. »Und das ist noch längst nicht alles. Aber wir wollen dir ja nicht den Spaß verderben.«

Das gefällt mir ganz und gar nicht. Ich kaue auf meiner Unterlippe herum und denke nach. Ja, ich brauche Informationen, aber an die muss ich doch auch irgendwie kommen, ohne mich verhexen zu lassen. Am Ende entscheide ich, erst einmal mitzuspielen, aber sofort hinzuschmeißen, sobald ich sie dazu gebracht habe, mir zu verraten, was sie über den Zeitstillstand wissen. Die drei stecken mich nicht zu Dottie ins Glas, solange ich es verhindern kann.

Ich greife nach den blauen Karten und laufe zurück zum Esstisch. Die große Hexe fängt an auszuteilen, und ich will gerade eine Frage über den Zeitstillstand stellen, als ich bemerke, wie eine meiner Karten über den Tisch rutscht, direkt in die Hände der kleinen Hexe.

»Hey, das ist meine!«, rufe ich. »Wir sind in einem Team.«

»Sagt wer?«, spottet die kleine Hexe. »Das hier ist Hexen-Spades. Jede Hexe für sich.«

Die erste Hexe schüttelt den Kopf. »Pass besser auf deine Karten auf, wenn du mit uns spielen willst.«

Ich runzle die Stirn bei diesen seltsamen Regeln. Wenn Kartenklauen okay ist, was gilt dann bitte schön als Schummeln?

Als meine nächsten Karten kommen, schiebe ich sie zu einem ordentlichen Stapel zusammen und bedecke ihn mit der Hand. Ein schneller Blick rund um den Tisch verrät mir, dass die drei das Spiel superernst nehmen.

»Also …«, setze ich an, »dieser Zeitstillstand war ziemlich verrückt, was?«

Sofort richten sich alle Augen auf mich. Die kleine Hexe zieht die Augenbrauen zusammen. »Was Wunder, dass du darüber Bescheid weißt!«

»Ich weiß gar nichts«, sage ich schnell. »Eigentlich habe ich gehofft, Sie hätten vielleicht was gehört – wer ihn ausgelöst hat oder wie oder so was.«

»Nix hab ich gehört und will auch nix hören«, faucht sie. »Geht mich nix an.«

Jetzt starre ich sie an. Das sind ja ganz neue Töne …

»Ja, ja, schon klar, was du denkst«, meldet sich die große Hexe finster zu Wort. »Aber selbst wir haben Grenzen.«

Ich blicke von einer zur anderen. »Glauben Sie, so was könnte wieder passieren? Noch ein Zeitstillstand? Vielleicht woanders?«

»Noch ’n Zeitstillstand ist uns schnurz. Was uns Bammel macht, sind die ganzen krummen Touren rund um den aktuellen.«

Ich beuge mich vor. »Was denn zum Beispiel?«

»Zum Beispiel, dass wir noch gar nichts vom Präsidenten der Übernatürlichen Union gehört haben. Sonst versichert Merlin doch bei jedem großen Ding sofort im Übernet, dass alles wieder gut wird. Aber heute hat er noch kein Sterbenswörtchen verloren.« Sie lehnt sich zu mir und verzieht das Gesicht. »Stattdessen wird gemunkelt, dass sein schrecklicher Vize am Drücker sitzt.«

Ich denke zurück an die E-Mail, die mich von der Sommerakademie ausgeladen hat. Die kam auch im Auftrag des Vizepräsidenten.

Mit verdrossener Miene legt die große Hexe eine Karte in die Tischmitte. Es ist eine Zehn, aber das Symbol darauf ist mir fremd. Statt Herz, Karo, Kreuz oder Pik sind kleine Narrenkappen abgebildet.

»Die Ulk-Zehn«, sagt die erste Hexe und legt eine Dame mit dem gleichen Symbol darauf.

Die kleine Hexe spielt den König.

Rasch schaue ich auf meine Karten. Keine davon sieht vertraut aus, aber ich kann Spades gut genug, um zu wissen, dass das Ulk-Ass den Stich gewinnen sollte. Also spiele ich es.

Kaum hat die Karte den Tisch berührt, erscheinen gigantische Kübel über den Hexen und kippen ihnen Wasser über die Köpfe. »Luft anhalten!«, ruft eine von ihnen noch durch den Schwall.

Ich schlage mir die Hand vor den Mund, sowohl vor Überraschung als auch, um nicht loszulachen. Als es vorbei ist, frage ich: »Was war das?«

»Du hast den Stich gemacht«, erklärt die große Hexe und schüttelt die nassen Gewänder aus. »Ulk-Karten sind immer fies. Man weiß nie, was sie anstellen. Du spielst aus, Kurze.«

Ich nicke, immer noch ein bisschen geplättet. »Okay, ähm, und wer ist dieser Vizepräsident?«

»Bane«, schnaubt die kleine Hexe.

Die große Hexe schaudert. »Kann man keinem verübeln, so ’nen erbärmlichen Wicht nicht im Kopf zu behalten.«

Die erste Hexe schaltet sich ein. »Aber schon merkwürdig, oder? Der Vize übernimmt ja nur, wenn der Präsident nicht kann.«

Ich setze mich aufrechter hin. »Meinen Sie, dass Merlin womöglich etwas passiert ist?« Man sieht es seiner gebeugten Gestalt und der fleckigen, borkigen Haut vielleicht nicht an, aber der alte Elf hat die Armee der Übernatürlichen im Unsäglichen Krieg gegen die Nachtbrüder angeführt und leitet seither unsere Welt als Präsident der Übernatürlichen Union. »Ist er nicht das magischste Wesen überhaupt?«

»War er … bis du aufgetaucht bist«, antwortet die kleine Hexe.

Meine Wangen glühen. »Stimmt wohl.« Bloß dass Merlin im Gegensatz zu mir Jahrhunderte Zeit hatte, um mit seiner Zauberkraft umgehen zu lernen, und ich noch eine blutige Anfängerin bin.

Die erste Hexe lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. »Wenn’s nicht die Magier waren, würd’s mich kein Stück wundern, wenn dieser Bane hinter der ganzen Sache steckt. Wartet’s ab, bald schimpft er sich Präsident Bane. Und dann sieht’s zappenduster aus für alle in diesem Zimmer.«

»Ja? Warum?«

Die kleine Hexe beugt sich zu mir und reckt das Kinn vor. »Dabei behaupten alle, ihr Peters-Kinder wärt so clever … Dir ist schon klar, dass Bane ein Phantom ist?«

»Wirklich?« Ich erinnere mich daran, letzten Sommer etwas über Phantome gelernt zu haben. »Die wurden mit einem Fluch belegt, oder?«

Die große Hexe nickt. »Einem der allerscheußlichsten. Stell dir vor, du würdest aus deinem Körper gerissen und müsstest für immer als Geist leben, halb in dieser Welt, halb in der nächsten, nur noch ein flackernder Schatten deiner selbst.«

Ich muss nicht fragen, wer sie verflucht hat. Während des Unsäglichen Krieges ritt eine Gruppe schwer bewaffneter Ritter gegen die Nachtbrüder ins Gefecht, und Moreau entfesselte einen Fluch, den man den Lebenden Tod nennt. Angeblich war der Anblick so grausam, dass der Rest des Heeres die Flucht ergriff.

Die erste Hexe schüttelt den Kopf. »Das haben die Phantome den Magiern niemals verziehen. Bane giert schon ewig nach Rache, schließlich war er der Anführer der verfluchten Schwadron. Aber Merlin hat ihn als Präsident in Schach gehalten, um den Frieden zu wahren.«

Allmählich ergibt alles Sinn.

»Und wenn Merlin was passiert ist, wie wir befürchten, dann hat Bane jetzt das Sagen. Und kann auf den Kieker nehmen, wen er will.«

»Deswegen machen wir die Düse. Unser Zirkel gehörte zu denen, die mit der Schwesternschaft der Hexen gebrochen und sich den Nachtbrüdern angeschlossen haben. Wir waren jung und dumm, wir haben uns von ihrer hehren Magie ködern lassen. Ich schätze mal, Bane hat eine Liste von allen, mit denen er noch eine Rechnung offen hat. Und wenn unsere Namen da draufstehen, muss er gründlich suchen, um uns zu finden.«

Draußen hupt ein Auto.

»Wie aufs Stichwort«, meint die große Hexe.

Die kleine Hexe schüttelt den Kopf. »Erst müssen wir die Runde zu Ende spielen. Du hast noch keine Karte gelegt, Kurze.«

Ich lächle schwach. »Ist Ihnen nicht entgangen, hm?«

Alle drei nicken. »Karten werden sauer, wenn man mitten in der Runde aufhört. Und sie können ziemlich nachtragend sein. Wenn wir die Runde nicht ordentlich beenden, fallen die Strafen für die Verliererinnen beim nächsten Mal extrafies aus.«

Ich spiele meine beste Karte, ein weiteres Ass mit einem schreienden Gesicht als Symbol.

Die kleine und die große Hexe schmollen, weil sie meine Karte nicht stechen können.

Aber die erste Hexe grinst. »Mhm, das Schreck-Ass.« Sie knallt eine schwarze Karte mit einem Schädel und gekreuzten Knochen auf den Tisch. »Todes-Ass!«

Wenn Hexen-Spades richtigem Spades auch nur ein bisschen ähnelt, dann habe ich gerade verloren. Mit hochgezogenen Schultern warte ich darauf, was geschieht. Das Licht über unseren Köpfen flackert, und elektrische Funken schießen über den Tisch.

»Autsch!«, schreit die kleine Hexe und zuckt zurück.

Die große Hexe quiekt und schüttelt ihre Hand. »Todes-Karten sind immer die schlimmsten.«

Die beiden drehen sich zu mir. Die Funken springen über meine Finger. Nur spüre ich überhaupt nichts. Wow.

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