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Nachhaltig verliebt

hier erhältlich:

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Als ihre Mutter verreist, übernehmen die 15-jährige Zoe und ihr älterer Bruder Jack das Fill up, den Zero Waste-Laden ihrer Mutter. Zoe ist froh, dass sie vor lauter Arbeit kaum zum Nachdenken kommt, denn ihr Ex Milo spukt ihr immer noch im Kopf herum. Obwohl er vor seinen Kumpels respektlose Bemerkungen über ihre Figur gemacht hat. Die Erfahrung nagt an ihrem Selbstbewusstsein. Ihre weiblichen Formen versteckt sie jetzt unter dem Fill-Up-Shirt, wie sie auch ihre wunderschöne Solostimme lieber im Chor "versteckt". Da taucht Leon im Laden auf, der sie ganz anders zu sehen scheint. Die Enttäuschung mit Milo beginnt zu verblassen. Doch dann wird alles erneut in Frage gestellt. Ist Leon wirklich an ihr interessiert oder verfolgt er andere Ziele? Als dann auch noch von einem Tag auf den anderen alles auf dem Spiel steht, wofür die Familie so hart gearbeitet hat, findet Zoe Hilfe dort, wo sie nicht damit rechnet - und endlich die Stärke, sich nicht mehr zu verstecken.


  • Erscheinungstag: 28.07.2020
  • Seitenanzahl: 240
  • Altersempfehlung: 12
  • Format: Klappenbroschur
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505143731

Leseprobe

Bisher bei Schneiderbuch erschienen:

Friends & Horses – Schritt, Trab, Kuss (Band 1)

Friends & Horses – Sommerwind und Herzgeflüster (Band 2)

Friends & Horses – Pferdemädchen küssen besser (Band 3)

Perfekt für dich














Nachhaltig verliebt

1. Auflage 2020

Originalausgabe

© 2020 Schneiderbuch

in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Designomicon | Anke Koopmann, München

Umschlagmotiv: © Anke Koopmann unter Verwendung von Motiven von shutterstock

eBook: PPP Pre Print Partner GmbH & Co. KG, Köln, www.ppp.eu

ISBN 978-3-505-14375-5

www.schneiderbuch.de

Family Business

»Der CO2-Ausgleich macht ungefähr sechzig Euro aus.« Jack hämmert auf die Tastatur seines Laptops ein und ich frage mich wieder einmal, wie man mit zwei Fingern so schnell tippen kann. »Willst du lieber ein Permakulturprojekt in Tansania oder einen Tiefbrunnenbau in Uganda unterstützen?«

Mom hebt abwehrend die Hände. »Immer langsam. Noch hab ich den Flug nicht mal gebucht.«

»Aber Mom, du musst doch fliegen!«

Ihre Finger klopfen nervös auf der Tischkante und ich merke, dass sie wieder begonnen hat, die Nagelhaut an ihren Daumen blutig zu beißen. Ich weiß nicht, warum sie alle anderen Finger in Ruhe lässt, aber ihre Daumen sind jedenfalls ein sehr genauer Mom-Stress-Indikator.

»Oder nicht? Wenn du die einzige Verwandte bist?«

Bowie, unser Mischlingshund, kommt in die Wohnküche getrottet und legt sich so unter den Tisch, dass seine Vorderpfoten auf Jacks Füßen liegen, seine Hinterpfoten auf Moms und sein Kopf auf meinen Zehen. Er ist ein Familienhund im wahrsten Sinne des ­Wortes.

»Gibt es wirklich keine anderen Verwandten?«, fragt mein Bruder und Mom seufzt.

»Wirklich nicht«, sagt sie. »Sie war die Cousine eures verstorbenen Großvaters. Unverheiratet oder verwitwet, jedenfalls keine Kinder. Ist mit zwanzig in die USA ausgewandert, um Karriere als Sängerin zu machen, und hat sich damals mit der gesamten Familie zerstritten. Ich hatte keine Ahnung, was aus ihr geworden ist, bis der Brief kam.« Sie überlegt kurz. »Eigentlich hab ich immer noch keine Ahnung. Aber da sie offenbar die letzten vier Jahrzehnte in einer Stadt zu­gebracht hat, die keiner kennt ...«

Jack tippt schon wieder. »Norman, Oklahoma«, liest er aus Wiki­pedia vor. »Universitätsstadt. 122.000 Einwohner. Davon 25.000 Studenten. Nicht gerade eine Metropole.«

»Also wohl auch keine Karriere«, ergänze ich.

»Nein, wohl nicht«, meint Mom. »Zumindest dürfte sie lange vorbei gewesen sein. Ich muss vielleicht sogar das Geld fürs Begräbnis vorschießen, bis das Häuschen verkauft ist. Und das kann dauern, so wie der Immobilienmarkt in den USA momentan aussieht.«

»Die reichen Tanten aus Amerika gibt es wohl nur im Film«, sage ich und seufze auch. Erst hat es aufregend geklungen, als diese amerikanische Tante plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht ist – wenn auch nur in Form eines Anwaltsbriefes aus Oklahoma City, der Mom über ihren Tod informierte. Da unsere Mutter ja »Ms Gertrud Vannemaker« gar nicht gekannt hat, hielt sich ihre Trauer in Grenzen und der Trip in die USA hätte so was wie ein längst überfälliger Urlaub für sie werden können – finanziert durch den Verkauf von Großtante Gertruds Besitz. Aber jetzt sieht es so aus, als könnte sich die Sache stattdessen zu einer finanziellen Belastung auswachsen. Die Flüge, die Anwaltskosten, die Beisetzung ...

»Ich habe keine Ahnung, wie lange das Ganze dauert«, sagt Mom mit einem Seufzer. »Wenn ich das Fill up einfach auf unbegrenzte Zeit schließe, verlieren wir den Kundenstamm, den wir in den letzten Monaten so mühsam aufgebaut haben.« Bowie beginnt tröstend ihre Füße zu lecken, sie krault ihn mit den Zehen und er rollt sich auf den Rücken, die verschiedenfarbigen Augen genießerisch geschlossen.

Vor einem Jahr hat Mom ihren Job als Lektorin bei einem Verlag gekündigt und sich mit dem Fill up einen Traum erfüllt. Der Name war meine Idee und ich muss sagen, ich bin ziemlich stolz drauf, vor allem, weil er gleich doppelt Sinn macht: Das Fill up ist ein Laden, in dem man von türkischen Bio-Pistazien bis zu hundertprozentig biologisch abbaubarem Waschmittel alles ohne Verpackung kaufen kann. Man kommt also mit eigenen Behältern und lässt sie auffüllen. Natürlich gibt es auch ein paar verpackte Produkte, wie Pflanzenmilch oder Schokolade. Aber wir achten in jedem Fall auf besondere Nachhaltigkeit des Produkts. Unsere kleine, aber feine Auswahl an Obst und Gemüse beziehen wir zu über achtzig Prozent aus der näheren Umgebung. Die paar Sachen, die aus Italien kommen, werden CO2-neutral transportiert. »Man kann nicht hundertprozentig nachhaltig sein«, sagt Mom immer. »Irgendwo stößt man an Grenzen, auch mit den besten Absichten. Aber man kann einfach immer die umweltfreundlichere Variante wählen, wenn man schon den Luxus der freien Wahl hat.«

Nails it, oder? Ich könnte jedenfalls nicht mehr zustimmen. Ich bin, zugegeben, auch einer von Moms größten Fans und wahnsinnig stolz auf sie.

An den Shop angeschlossen haben wir unser Fill-up-Bistro, das Tee, Kaffee, hausgemachte Limonaden, selbst gebackene Kuchen, Sandwiches und kleine Speisen anbietet. Alles bio, vegan und vieles auch glutenfrei. Man kann sich also auch selbst »auffüllen«. Wie gesagt, ich bin ziemlich stolz auf den Namen!

Begonnen hat alles mit Kuchenverkauf an unserer Schule, aus dem mit der Zeit so was wie ein Mini-Partyservice wurde. Dass meine Mutter spezielle Diätwünsche erfüllen kann, hat die Nachfrage enorm angehoben. Leckere Mini-Quiches, die sich nicht nur optisch gut auf dem Büfett machen, sondern auch superlecker schmecken, sind an und für sich schon nicht so leicht zu bekommen. Aber dann auch noch vegan und glutenfrei? Vegane Burger, die so »echt« schmecken, dass man als Vegetarier oder Veganer beinahe ein schlechtes Gewissen kriegt, wenn man reinbeißt? Das kann kaum jemand. Gebackener Cheesecake, der geschmacklich nicht von »normalem« Cheesecake zu unterscheiden ist, in dem aber kein Ei und kein bisschen »Cheese« zu finden ist? Und kein Weizen? Ebenfalls eine Rarität.

Das Catering hat Spaß gemacht, war aber auch ziemlich stressig, und Mom hat ständig Ideen gewälzt, was sie tun könnte, um ALLES, was ihr wichtig ist, irgendwie in ein Paket zu packen und umzusetzen. Vegan und gesund backen und kochen. Den fairen Handel unterstützen. Ein Zeichen für die Umwelt setzen, das einen Schneeballeffekt hat und so vielleicht ein bisschen mehr bewirkt. Also haben Mom, Jack und ich über Monate hinweg das Konzept des Fill up entwickelt. Aber es blieb immer noch ein sehr theoretischer Plan. Schließlich braucht man die perfekte Location für so etwas. Und dann erfuhren wir, dass die alte Dame, die den Nähzubehörladen im Erdgeschoss unseres Wohnhauses führte, in Rente ging. Das war der kleine Schubs, das Zeichen des Universums, dass der Moment gekommen war. Wir wohnen in der richtigen Gegend für so ein Projekt: bisschen alternativ angehaucht, aber auch hip, viele Künstler, viele Jungfamilien in Birkenstocks, viele nette kleine Läden. Moms ganzes Erspartes ist in das Geschäft geflossen, und ein ziemlich hoher Kredit. Wir waren also sehr erleichtert, als das Fill up so gut angenommen wurde, trotz des Biosupermarkts zwei Straßen weiter! Jack, Clara und ich waren die ersten Angestellten. Clara ist Jacks Freundin und der zuverlässigste Mensch, den ich kenne. Sie ist so erwachsen, dass es fast schon beängstigend ist. Und sie liebt Zahlen! Also macht sie auch die Buchhaltung für das Fill up und hat immer im Blick, was nachbestellt werden muss.

Ich beteilige mich beim Backen und Kochen und helfe nach der Schule im Geschäft. Clara macht meistens zwei Tage in der Woche, je nachdem, wie viel an der Uni los ist. Jack steht an den Tagen, an denen er keine Uni hat, ebenfalls hinter dem Tresen. Mein Bruder ist auch derjenige, der das Brot bäckt! Er ist ein geradezu fanatischer Brotbäcker und erfindet ständig neue Sorten. Er bäckt das beste vegane Dinkelbrot, das ich je gegessen hab. Man möchte ja nicht glauben, wie viele tierische Produkte oft in Brot zu finden sind. Ei! Joghurt! Milch! Jacks Brote sind alle vegan.

Mom und ich sind die Scouts, ständig auf der Suche nach neuen ökologischen Produkten: Trinkflaschen und Kaffeebecher aus nachhaltigen Materialien. Bambuszahnbürsten, wiederverwendbares, unzerbrechliches Geschirr für Take-away-Essen, Zahnpasta-Kau-Tabs in wiederbefüllbaren Blechdosen statt der üblichen Plastik­tube, die dann alle paar Wochen im Müll landet. Wir haben beinahe so was wie einen Wettbewerb laufen, wer die Produkte mit dem größten Nachhaltigkeitsfaktor entdeckt. Mom hat sich von Anfang an geweigert, Kaffee in Einwegbechern zu verkaufen. Nein, auch die aus Recyclingpapier kamen nicht infrage. Entweder bleiben und ihn im Bistro trinken oder einen mitgebrachten Trinkbecher füllen lassen. Das zu verwenden, was man hat, anstatt was Neues zu kaufen, ist schließlich immer der nachhaltigste Weg. Aber für jeden, der noch keinen Travel Mug hat, findet sich in unserem Sortiment was. Anfangs haben wir mit dieser strikten Anti-Wegwerf-Politik sicher auch Kunden vergrault. Aber die meisten wissen zu schätzen, dass es uns wirklich um die Umwelt geht und wir nicht nur Geld machen wollen. Ich meine, echt jetzt, ein nachhaltiger Laden, der den Kaffee in Wegwerfbechern verkauft? Das geht gar nicht! Mom hat völlig recht.

Wir haben ein Bonussystem mit Stempelkarte, jeder zehnte Kaffee ist gratis und einen unserer selbst gemachten Cookies gibt es auch dazu. Nun läuft das Fill up seit fast einem Jahr und es läuft wirklich. Es trägt sich schon selbst, inklusive Kreditraten, und ich hab mir sagen lassen, das sei großartig für ein neues Geschäft nach so kurzer Zeit. Jedenfalls ist das Ganze ein richtiges Familienprojekt und wir sind alle verdammt stolz drauf. Und natürlich kommt es absolut nicht in die kompostierbare Tüte, den Laden zu schließen!

»Natürlich bleibt das Fill up offen!«, rufe ich, und »Wieso schließen?«, ruft Jack genau gleichzeitig. Wir müssen alle drei lachen.

»Was sollen wir denn sonst machen?«, fragt Mom dann etwas hilflos.

»Denkst du etwa, wir kriegen das nicht alleine hin?«, fragt mein Bruder.

»Aber Jack«, meint sie mit einem müden Lächeln. »Du und Clara, ihr wolltet doch den ganzen Juli nach Kroatien! Und Zoe hatte was mit eurem Vater geplant und mit Reggie auch ...«

»Clara und ich können auch im September fahren«, unterbricht Jack. »Und ich fresse einen bio-zertifizierten Besen aus rasch nachwachsenden heimischen Hölzern, wenn unser Vater schon was für Zoe und sich gebucht hat.«

Ich verziehe das Gesicht. Mein Vater ist der berühmte Last-Minute-Man aka No-Show-Man. Vorsichtig ausgedrückt: Er ist nicht der Zuverlässigste. Ich muss das nicht bestätigen, es ist total offensichtlich, dass Jack recht hat. »Mein einziger Fixtermin ist das Festival«, füge ich also nur hinzu. Der A-cappella-Chor, in dem ich singe, tritt beim Happy-Days-Festival auf, einem richtig coolen Musikfestival, das jedes Jahr knapp außerhalb der Stadt am Fuß einer Burgruine stattfindet. »Und mit Reggie ist auch noch nichts fix.« Mit ihr fahre ich vielleicht ein paar Tage nach Italien, da ist es überall schön und man kommt gut mit dem Zug hin. »Ich glaube übrigens, Reggie ist für Juli noch auf Jobsuche«, füge ich hinzu. »Sie hat doch auch schon ausgeholfen! Dann wären wir komplett!«

»Ich weiß nicht ...«, sagt Mom zögernd. »Ich habe kein gutes ­Gefühl dabei, eure Sommerpläne komplett durcheinanderzubringen ... Vielleicht wenn wir nur zwei Wochen Betriebsurlaub machen wie andere kleine Geschäfte auch ...?«

»Kommt nicht infrage!«, erkläre ich. »Bernds Biosupermarkt macht bestimmt auch keinen Betriebsurlaub!«

Damit habe ich einen wunden Punkt getroffen. Bernds ist unsere unmittelbare Konkurrenz zumindest sieht der Besitzer das so. Wir sehen uns eigentlich mehr als kreative Ergänzung. Aber offensichtlich nehmen wir ihm Geschäft weg. Die Kunden, die gerne bei uns frühstücken, kaufen dann eben auch gleich ihr Gemüse und Obst bei uns. Und die meisten finden die Nachfüll-Idee so toll, dass sie ihre bei Bernds gekauften leeren Öko-Waschmittelplastikflaschen nun bei uns auffüllen lassen. Ist billiger und man rettet den Planeten eben noch ein bisschen mehr.

Aber natürlich ist das Bernd’sche Angebot viel umfassender – die haben dreißig verschiedene Sorten Pflanzenmilch, wir haben nur die fünf, die uns am besten schmecken. Und dort gibt es Bio-Fleischprodukte, Bio-Milchprodukte und Bio-Eier, während bei uns das Angebot schon allein deshalb kleiner ist, weil wir vegan sind. Mal abgesehen davon, dass wir sechzig Quadratmeter haben und nicht sechshundert.

»Natürlich wäre es eine Notlösung«, meint Mom seufzend.

»Was passiert denn, wenn du nicht fliegst?«, fragt Jack und ich werfe ihm einen schnellen Blick zu. Er will, dass sie fliegt. Er will aber auch, dass sie selbst draufkommt, dass das für sie am besten ist.

»Der Anwalt – oder ist es ein Notar? – bekommt von mir eine Vollmacht und veräußert alles ...«

»... wodurch sein Honorar natürlich beträchtlich steigt«, fällt Jack ihr wieder ins Wort. Irgendwie hat unsere Familie nicht die beste Gesprächskultur.

Mom überlegt. »Wahrscheinlich«, gibt sie zu. »Was nach Abzug ­aller Spesen übrig bleibt, überweist er.«

»Und wenn nach Abzug aller Spesen noch Spesen übrig bleiben? Was ist dann?«

»Ich habe keine Ahnung«, sagt Mom und massiert mit den Fingerspitzen ihre Schläfen. »Ich hatte noch nie eine verstorbene amerikanische Tante.«

Ich greife nach dem Anwaltsbrief und lese ihn noch einmal ganz genau. »Ms Vannemaker’s worldly possessions, including her two properties, her car, all household items, art, pets and jewellery shall pass into Mrs Becker’s ownership, as well as ...«

»Wahrscheinlich sollte ich mich vorher noch hier von einem Anwalt beraten lassen«, sagt Mom gerade. »Ob ich die Erbschaft überhaupt annehmen muss und ...«

»Mom!« Ich muss schon wieder unterbrechen und zeige mit dem Finger auf die eine Stelle in dem Brief. »Da, sieh dir das an! Pets! Du erbst ihre Haustiere!«

»Haustiere?« (Jack)

»Was?« (Mom)

»Was passiert mit denen?« (Jack)

»Und wer kümmert sich derzeit wohl um die?« (Ich)

»Steht da nichts Näheres?« (Mom)

»Die kommen sicher in eines dieser schrecklichen amerikanischen Tierheime, die aussehen wie Gefängnisse!« (Ich)

»Und wenn sie keiner abholt, werden sie eingeschläfert!« (Jack)

»Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, dass ihre Besitzerin tot ist ...« (Ich)

»Okay.« Diesmal ist es Mom, die mir das Wort abschneidet. »Damit ist das entschieden. Ich fliege. Egal, ob sie zwei Riesenschlangen oder zweiundfünfzig Katzen hat. Um die Tiere muss sich jemand kümmern.«

So einfach geht das. Geld ist ein Argument, Zeit ist ein Argument, beruflicher Erfolg ist ein Argument. Aber das Trumpf-Ass, das alle ­Argumente jederzeit schlägt, ist in unserer Familie ein Tier. Jedem Tier, dem irgendwie geholfen werden kann, muss geholfen werden. Es ist schwer zu sagen, wer von uns der größte Tierliebhaber und Tierschützer ist, aber wahrscheinlich Mom. Von ihr ist schließlich immer alles ausgegangen. Jack und ich sind damit aufgewachsen, dass jedes Leben Respekt verdient.

Jack geht, um Clara anzurufen, und ich rufe Reggie an. Sie ist sofort Feuer und Flamme für die Idee, im Juli im Fill up zu jobben. Wir können nicht so viel zahlen, wie sie vielleicht woanders verdienen würde, aber dafür ist es nicht stressig und wir sind zusammen und haben sicher jede Menge Spaß. Taraaa! Das Team steht und der Sommer kann kommen! Plötzlich bin ich richtig aufgeregt. Es ist noch mal ganz was anderes, die volle Verantwortung zu tragen, als nur ein bisschen mitzuhelfen – auch wenn das Bisschen ziemlich viel ist.

Und außerdem komme ich dann gar nicht dazu, über Milo nachzudenken. Ich würde so ziemlich alles tun, um nicht an ihn denken zu müssen. Wenn nur endlich Ferien wären, damit ich ihm nicht mehr ständig über den Weg laufe. Ich weiß dann nie, wo ich hinschauen soll.

Mom holt mich aus meinen unerwünschten Milo-Gedanken, bevor sie sich vervielfachen, was sie immer tun. »Ist dir nicht heiß in dem dicken Sweater, Zoe?« Ihre Augen schauen mich mit diesem besorgten Mama-Blick an. »Du wirst doch nicht krank werden?«

»Nein, nein, mir geht’s blendend.«

»Es hat fünfundzwanzig Grad und du bist angezogen wie im tiefsten Winter.«

Nein, ich bin angezogen wie ein Mädchen, das C-Cups hat, manchmal sogar D. Wie ein Mädchen, das nicht die Blicke von unreifen ­Idioten auf seine Oberweite ziehen will.

»Wollen wir morgen mal shoppen gehen? Ich hab in der Stadt so süße Tops gesehen ...«

»In meiner Größe sind die nicht süß«, schnappe ich zurück, und es kommt viel schärfer raus als beabsichtigt. Ich schicke ein gemurmeltes »Sorry«, hinterher.

Zum Glück weiß meine Mutter, dass das nicht persönlich zu nehmen ist.

»Die meisten von uns hätten gern deine Oberweite«, sagt sie mit einem Seufzer. Ihr passen klein geschnittene B-Cups und diese indischen Hippie-Kleider trägt sie einfach ohne BH. »Ich weiß sowieso nicht, woher du deinen Busen hast.«

»Und meine Hüften. Und meine Pausbacken.«

»Du hast doch keine Pausbacken! Und du hast genau die Figur, die ich mir immer gewünscht habe! Ich war bloß dünn! Die Jungs haben durch mich hindurchgesehen!«

Es ist nicht gerade so, dass wegen meiner BH-Größe und meiner Marilyn-Monroe-Hüften die Jungs Schlange stehen würden. Und ich bin tatsächlich nicht dick oder so. Aber so mädchenhafte Tops, wie meine Mutter sie problemlos tragen kann, oder auch nur ganz normale Tanktops sehen an mir gleich aus wie Reizwäsche.

»Du musst lernen, deinen Körper anzunehmen, Schatz, wirklich, es ist ...«

»Mooohooom!« Ich hatte eben den Vorsatz gefasst, sie nicht mehr zu unterbrechen, aber sie macht es mir echt schwer. »Das hatten wir doch schon!« Und wenn sie tausendmal recht hat – und wahrscheinlich hat sie recht –, ich kann das jetzt echt nicht hören.

Sie seufzt. »Schon gut.« Ein paar Sekunden denkt sie nach, dann kann sie es doch nicht lassen: »Aber du bist so ein wunderhübsches Mädchen und ich möchte einfach nur, dass du dich so siehst, wie ich dich sehe ...«

»Mom, ich bin in der Pubertät und du bist meine Mutter.« Das mit den guten Vorsätzen vergesse ich wohl besser. »Ich kann mich nicht so sehen, wie du mich siehst.«

Sie muss lachen und ich muss mitlachen. Ich liebe meine Mutter. Sie versteht viel, aber eben auch nicht alles.

Reggie versteht das mit den Sweatern.

»Warum sollst du denen was zu glotzen geben, den Idioten«, meint Reggie. »Und bald sind Ferien, dann siehst du Milo und Co. ohnehin nicht mehr.«

»Nur blöderweise hat es jetzt schon dreißig Grad in den Klassenräumen.« Wir kommen gerade aus dem Kunstunterricht und der Lehrsaal ist im obersten Stockwerk und wird im Sommer verdammt heiß.

»Wer keusch sein will, muss leiden«, meint sie grinsend und zeigt milde lächelnd einem Jungen, dessen Augen sich nur mit sichtlicher Mühe vom Ausschnitt ihres Tops lösen, den Mittel­finger.

»Witzig.« Reggie provoziert gern und sie flirtet gern. Wenn sie es irgendwie einrichten kann, verbindet sie beides und flirtet provokant. Sie liebt Aufmerksamkeit mindestens ebenso sehr, wie ich sie hasse. Wir ergänzen einander also hervorragend.

»Milo ist ein Arsch. Vergiss ihn einfach.«

»Ich dachte, er ist absolut heiß und es ist geradezu unglaublich, dass er sich für mich interessiert.«

»Wer hat das gesagt?«

»Du natürlich.«

»Es ist verdammt taktlos, so was zu seiner Freundin zu sagen.«

»Du bist verdammt taktlos.«

Sie runzelt die Stirn. »Auch wieder wahr. Dann habe ich das wohl wirklich gesagt. Aber jetzt ist er bloß noch ein Arsch mit Ohren.«

»Zoooozooo ...!« Moms gedehnte Betonung meines Kosenamens reißt mich erneut aus meinem Tagtraum.

»Sorry. Außerirdische haben sich vorübergehend meines Gehirns bemächtigt und damit experimentiert.«

Mom sieht mich mit diesem Blick an. Sie ist Sekundenbruchteile davor, mir zu sagen, dass ich meine verbale Spontan-Kreativität von meinem Vater habe und sie sich wundert, wie ich ihm gleichzeitig so ähnlich und so unähnlich sein kann. Dann entscheidet sie sich da­gegen, wahrscheinlich weil sie nicht noch ein »Mohoooom« von mir hören will. Das genetische Familienlotto haben wir schließlich schon oft genug besprochen.

»Ich hab dich so lieb, mein Schatz«, sagt sie stattdessen und nimmt lächelnd meine Hand.

Mein Widerstand schmilzt augenblicklich dahin. »Ich dich doch auch, meine süße Supermom.«

Ich habe wirklich Riesenglück mit meiner Mutter. Reggie beschwert sich ständig über ihre. An guten Tagen ist sie nur genervt von ihr, an schlechten will sie sich selbst zur Adoption freigeben. Ich habe immer gefunden, dass meine Mutter großartig ist. Eine Welle von Dankbarkeit schwappt über mich und ich umarme Mom spontan.

»Du genieß Amerika und vergiss nicht, Spaß zu haben!«, sage ich und drücke sie fest. »Jack und ich verdoppeln inzwischen unsere Umsätze, du wirst schon sehen!«

»Da halte ich bestimmt nicht dagegen«, meint Mom und ich kann das Lächeln in ihrer Stimme hören. »Es gibt nichts, was meine Kinder nicht hinkriegen.«

Punschtörtchen und Idioten

»Wir haben kein Basilikum mehr! Und keine reifen Avocados!«, rufe ich aufgeregt ins Telefon. »Wie lange brauchst du noch? In einer ­halben Stunde kommen die ersten Büromenschen zum Mittag­essen!«

Mom ist seit einer Woche weg und die am häufigsten gestellte Frage lautet: Wie macht sie das?

Jack flucht. »Ich weiß nicht, wie Mom das macht, dass immer reife Avocados da sind. Wenn ich welche kaufe, die schon weich sind, sind sie innen schwarz und eklig. Wenn ich sie unreif kaufe, liegen sie noch drei Wochen bei uns rum, bis man sie verwenden kann – dann sind aber dafür alle gleichzeitig reif und die Hälfte wird schlecht!«

»Ja, ja, die Avocadoforschung steckt noch in den Kinderschuhen«, erkläre ich ihm und unterdrücke ein Lachen. Seit wir das Fill up allein führen, gibt es jeden Tag irgendein neues Rätsel.

»Kauf sie bei Aldi«, füge ich hinzu. »Die sind bio und von sehr guter Qualität. Und kaum teurer als auf dem Großmarkt. Und es sind immer welche dabei, die schon reif, aber noch nicht kaputt sind.«

»Noch ein Umweg«, murrt er. »Und außerdem braucht Avocado-Anbau Unmengen an Wasser. Und dann noch der Transport! Und ich wette, letztendlich landet mehr als die Hälfte im Müll, weil die Dinger zu früh geerntet oder nicht vorsichtig gelagert werden. Stellt sich echt die Frage, ob wir sie nicht konsequenterweise von der Karte streichen ...«

»Komm ja nicht ohne Avocados nach Hause!«, unterbreche ich Jack. »Wir wissen beide, dass es nicht möglich ist, alles richtig zu ­machen. Wir machen so viel richtig, da ist es in Ordnung, dass wir Avocados gegenüber tolerant sind. Ich sag nur: grüne Smoothies! ­Avocado-Toast! Avocado-Mango-Salat! Guacamole-Bagel! Avo...«

»Wenn du noch einmal Avocado sagst, schreie ich!«, unterbricht mein Bruder nun zur Abwechslung mich. »Ich kenne dich. Du denkst nicht an die Speisekarte, sondern bloß an dein eigenes Mittagessen. Bis später, Schwesterchen.«

Jack legt auf und mein Blick wandert zu der Obstschale auf dem Tresen, in der neben Bananen und Orangen derzeit nur eine einsame Avocado wartet. Mein Bruder hat natürlich recht. Ich liebe Avocados. Ich könnte sie für den Rest meines Lebens morgens, mittags und abends essen und es würde mir nicht langweilig werden. In letzter Zeit muss ich mir immer wieder anhören, wie viel Wasser Avocado­pflanzen benötigen, wie sehr dadurch also die Umwelt belastet wird. Tausend Liter Wasser für ein Kilo Avocado! Ich weiß, das ist sehr viel. Die Produktion von einem Kilo Rindfleisch ist mit einem Wasserverbrauch von sechzehntausend Litern verbunden, erkläre ich dann dem Omnivoren, der sich über meinen Avocado-Toast aufregt. Als Veganer lernt man, seine Recherchen zu machen und sich relevante Zahlen zu merken.

Der größte Nachteil der Avocado ist ihr Fettanteil. Es sind »gute«, gesunde Fette, aber trotzdem. Manchmal habe ich das Gefühl, jede Avocado, die ich esse, wandert direkt in meinen BH.

»Die sind der Wahnsinn. Noch besser, als sie aussehen. Da hat man alle Hände voll zu tun.« Milo lacht und spreizt die Finger beider ­Hände, um das Ganze anschaulicher zu machen. Es gibt leider nicht den geringsten Zweifel, dass er von meinen Brüsten redet.

»Hat sich also ausgezahlt, mal den Typ zu wechseln«, meint einer seiner Freunde. Es ist Chris, der Bassist der Band.

»Aber so was von.«

»Nur weil man das Mädchen wechselt, wechselt man nicht den Typ«, sagt Lasso, der lange, dünne Gitarrist. Wie wahr. Wenn der Reiz der großen Brüste abgeklungen ist, geht’s zurück zu den dünnen ­Model-Typen.

»Sie soll eine gute Stimme haben«, sagt Chris.

Wie verblüffend. Ich bestehe also nicht nur aus Busen, sondern aus Busen und Stimme.

»Wir wollten doch mal ein paar Duette reinnehmen.«

»Ich glaube, ich werde Berufliches und Privates lieber nicht ver­mischen«, erklärt Milo nachdenklich. »Sängerinnen gibt es ohne Ende, aber solche Kaliber nur einmal.« Wieder großes Gelächter.

Ich hätte ihm eine Nachricht schicken sollen, dass ich ihn von der Probe abhole. Aber ich wollte gerne ein bisschen zuhören. Die Band heißt The4Monkeys. Die Jungs sind verdammt gut und spielen schon oft richtige Gigs, gegen Bezahlung. Milo hat eine tolle Stimme, in die hab ich mich als Erstes verliebt. Und er spielt auch noch super Gitarre. Und dann die dunklen Haare, die mandelförmigen Augen, die schmalen Hüften. Sportlich ist er auch noch. Der Kombination kann kaum ein Mädchen widerstehen. Die ersten paar Wochen nach dem Konzert schien es völlig verrückt, dass er sich überhaupt für mich interessiert. Ich war vorsichtig, habe gezögert. Aber er war so süß und so cool und, hallo: Sänger und Gitarrist! Und dann hatte er mich so weit, ich war richtig, richtig verliebt.

Der Absturz ist entsprechend tief und die Landung entsprechend hart. Ich wollte einfach mal den Sound der Band ohne tausend Nebengeräusche abchecken. Und Milo überraschen. Das hab ich jetzt davon. Ich stehe mit verheultem Gesicht auf dem Flur vor dem Proberaum und habe irgendwann vor viel zu langer Zeit zu atmen auf­gehört. Nun brauchen meine Lungen doch wieder Luft, und das Luftholen wird gleichzeitig ein lautes Schluchzen. Als die Unterhaltung drinnen verstummt, wird mir klar, dass sie mich gehört haben. Ich drehe mich um und renne den Gang hinunter, den ich gekommen bin. Renne weiter auf die Straße und bis nach Hause, wo Gott sei Dank niemand ist. Ich hole Bowie aus der Wohnung und wir fahren mit der Straßenbahn an den Stadtrand. Eine halbe Stunde später fühle ich mich gut genug, um Milo eine »Das war’s dann«-Whatsapp zu ­schicken.

Ich trenne mich von der schwarz-grünen Perfektion der Avocado, die den Flashback ausgelöst hat, und beschließe, dass es Zeit für den ersten Latte des Tages ist. Ein Blick in den Kühlschrank ergibt akuten Mangel an Reis-Mandel-Milch. Wir haben eine Kamera über der Tür und tagsüber ist die Gasse recht belebt. Obwohl ich allein im Geschäft bin, ist es also kein Problem, mal eben nach hinten ins Lager zu gehen und Nachschub zu holen.

Ich kann mich nicht erinnern, dass Mom jemals irgendetwas schon vormittags, vor dem ersten Rush, aufstocken musste, seit es unser Geschäft gibt. Sie hätte gestern Abend noch Nachschub geholt. Na ja, ich lerne jeden Tag dazu, denke ich, als ich die Tür öffne. Ich mag das Lager. Manchmal sitze ich an heißen Tagen nach der Arbeit noch hier hinten und lese oder höre Musik. Es ist schön kühl hier, und von jeder Menge biologischer, veganer Lebensmittel umgeben zu sein, wirkt offenbar beruhigend auf mich. Obwohl ich die Tür zum Geschäft einen Spalt offen lasse, fühle ich mich, als wäre ich völlig allein auf einem anderen Planeten, sobald ich das Lager betrete. Ich beginne vor mich hin zu summen und das Lied, das sich als Erstes in mein Bewusstsein drängt, hat eindeutig mit Milo zu tun und nicht mit Avocados. Ich kann den Chorus auswendig und singe drauflos, mit jeder Zeile lauter werdend:

Ich singe immer noch, als ich die Tür zum Lager wieder hinter mir ­zuziehe, drei Kartons Reis-Mandel-Milch unter den Arm geklemmt.

Ich bin eine von denen, die die Augen schließen, wenn sie mit voller Hingabe singen, und die letzte Zeile singe ich mit sehr viel Hingabe. Entsprechend lasse ich vor Schreck beinahe die drei Milchkartons fallen, als ich die Augen öffne und den sichtlich amüsierten Typen auf der anderen Seite des Tresens entdecke.

»Hey«, sagt er. »Wem auch immer die Nummer gewidmet war, ich möchte nicht in seiner Haut stecken.« Er lacht. »Das muss dir wirklich nicht peinlich sein. Wenn mich jemand beim Singen ertappte, das wäre peinlich. Aber du hast eine fantastische Stimme. Wow.«

»Ehm, danke«, murmle ich.

»Gern geschehen«, sagt er freundlich. »Die reine Wahrheit.«

Es fühlt sich an, als würde die Röte in meinem Gesicht wieder nachlassen, also blicke ich vorsichtig auf. Er ist älter als ich und etwas jünger als Jack, vielleicht siebzehn oder achtzehn, hat längere, hellbraune Haare, die Spitzen sind blond von der Sonne. Und seine Augen sind sehr hell, blau oder graublau. Und sie lachen immer noch, obwohl er sich sichtlich bemüht, ernst zu bleiben.

»Einen Latte bitte«, fügt er hinzu. »Wenn du dann so weit bist.«

»Du weißt, dass wir keine Kuhmilch haben?«, frage ich vorsichtshalber. Ich habe schon viele fassungslose Gesichter gesehen, wenn ich etwa bei einer Cappuccino-Bestellung runtergerasselt habe: ­»Hafermilch, Mandelmilch, Sojamilch, Reismilch, Reis-Mandel-Milch oder Kokosmilch?«

»Das hab ich mir schon gedacht, als ich euer Schild gelesen habe.«

Auf unserem Schild steht groß: »Fill up«, und darunter kleiner: »Laden und Bistro. Zero waste. 100% vegan.«

»Das liest leider nicht jeder.«

»Ich schon.«

»Dann hat das Schild sich ja endlich mal bezahlt gemacht. Hafermilch, Mandelmilch, Sojamilch, Reismilch, Reis-Mandel-Milch oder Kokosmilch?«

»Das kommt drauf an.« Er runzelt die Stirn, deutet auf den Hafermilch-Karton, der neben der Espressomaschine steht, und fragt: »Habt ihr von der da auch die Barista-Edition?«

Aha, ein Kenner. Ich schüttle den Kopf. »Wir haben nur die. Da ist nur Hafer, Salz und Wasser drin, keine Zusatzstoffe. Deswegen.«

»Okay, dann nehme ich die Reis-Mandel-Milch.« Er verzieht das ­Gesicht ein bisschen verlegen. »Die schäumt besser.«

»Nicht besser als die reine Mandelmilch.«

»Stimmt, aber Reis-Mandel schmeckt besser.«

Ich nicke. »Gute Wahl. Reis-Mandel-Latte kommt sofort.« Ich weiß, warum er verlegen geguckt hat, und grinse ein bisschen vor mich hin, während ich die Milch schäume. Das mit dem Schaum ist mehr so ein Frauen-Ding. Männer legen da meistens nicht so viel Wert drauf. Beim Bier ja. Aber nicht beim Kaffee. Und überhaupt trinken Männer selten Latte. Jedenfalls nicht am Nachmittag.

»Ich weiß, es ist ein Mädchengetränk«, sagt er und ich wische erschrocken das Grinsen von meinem Gesicht. Kann der Typ Gedanken lesen?

»Meine Exfreundin hat das jedenfalls immer gesagt, und seither werde ich jedes Mal verlegen, wenn ich einen Latte bestelle.«

»Das ist schlimm«, sage ich und bemühe mich, ernst zu bleiben. »Vermutlich ein echtes Trauma. Du wirst wohl nie wieder einer Frau vertrauen können.«

Er lacht laut heraus. »Durchaus möglich.« Er streckt seine Hand über den Tresen. »Ich bin übrigens Leon.«

»Zoe.«

Er betrachtet mich einen Augenblick und nickt dann zufrieden. »Das passt zu dir. Sehr schöner Name.«

Während ich nachdenke, ob das nur ein Kompliment für meinen Namen oder auch eins für mich war, fügt er hinzu: »Also, Zoe. Zum Trost brauche ich dringend was Süßes.«

»Was richtig Männliches wie einen Apfelkuchen oder lieber ein Punschtörtchen? Zum Getränk passend?«

»Shit«, sagt er. »Ich liebe Punschtörtchen.« Er schaut dabei so ­zerknirscht, dass ich laut herauslache. Dann beschließe ich, es ihm leichter zu machen. »Unsere hausgemachten Punschtörtchen haben beim Blindverkostungstest eines Gourmetmagazins den ersten Platz belegt«, erkläre ich ihm stolz und deute auf die Plakette an der ­Vitrine. »Unser Produkt war das einzige vegane.«

Das war letztes Jahr im Frühling – kurz nachdem wir eröffnet hatten. Einer unserer allerersten Kunden hatte uns bei einer Zeitschrift für den Wettbewerb nominiert.

Er seufzt und sieht mich vorwurfsvoll an. »Du machst es mir echt schwer, eine einigermaßen männliche Fassade aufrechtzuerhalten«, erklärt er.

»Ich habe ein Instagram-Foto gesehen, auf dem Chris Hemsworth ein Punschtörtchen isst.«

Er legt den Kopf schief. »Das hast du gerade erfunden.«

»Stimmt.« Wir lachen beide.

»Ich wähle das Punschtörtchen«, sagt er dann entschlossen. »Und ich werde es so mannhaft verdrücken wie nur möglich.«

Während ich seinen Kaffee fertig mache und das Törtchen auf einen Teller lege, beäugt er mit Kennerblick unsere Espressomaschine. »Wow«, sagt er. »Das ist ja eine echte Antiquität, die ihr da habt! Eine FAEMA, oder?«

»Ja, genau«, erwidere ich stolz. »Eine FAEMA Presidente aus dem Jahr 1964. Du bist der Erste, der das erkennt!«

»Ein Hobby meines Vaters«, erklärt Leon. »Er sammelt alte Kaffeemaschinen und bastelt an ihnen rum.«

»Ein teures Hobby«, meine ich.

»Na ja«, sagt er. »Andere sammeln Autos.«

Ich lache laut auf. »Niemand, den ich kenne«, erkläre ich. Mein ­Vater verdient genug mit seiner PR-Agentur und er besitzt zwei Autos, einen kleinen Stadtflitzer und einen großen Geländewagen. Auch wenn Jack und ich seit Ewigkeiten versuchen, ihm zu erklären, dass niemand zwei Autos »braucht« und dass ein Auto nach fünf Jahren nicht »alt« ist – es ist nicht gerade eine Sammlung.

»Und Autos machen auch keinen Kaffee«, füge ich hinzu.

Leon nimmt einen Schluck von seinem Latte. »Schon gar nicht so guten«, sagt er. »Auch wenn mein Vater jetzt sagen würde, dass man bei so viel Milch und Schaum den Kaffee sowieso nicht mehr schmeckt.«

»Dein Vater würde sich gut mit meinem Bruder verstehen«, antworte ich grinsend.

Jack verachtet alles, was kein Espresso ist. Er hat die Maschine im Internet gefunden und Mom war sofort Feuer und Flamme. Okay, eine moderne Espressomaschine wäre um einiges bequemer. Aber diese hier ist ein Sammlerstück und für mein Gefühl macht sie allein fast fünfzig Prozent des Vintage-Flairs in unserem Laden aus. Wir haben überhaupt nur »echte« alte Sachen. Also nichts, was auf alt getrimmt ist und man als »retro« zu kaufen kriegt. Unsere Sachen sind von meiner Oma, von Flohmärkten, Trödelläden und Sozialkauf­häusern.

Leon schlendert durchs Geschäft und sieht sich alles an.

»Sehr coolen Laden habt ihr hier«, sagt er, als er von seinem Rundgang zurückkommt. »Und den Namen finde ich auch richtig gut.«

»Danke!« Ich kann nicht anders, als über das ganze Gesicht zu strahlen. »Das freut mich!«

»Ich denke, ich werde öfter hierherkommen.« Er nickt vor sich hin. »Wenn Gesang und Stand-up-Comedy nicht extra kosten?«

»Alles inklusive«, erkläre ich würdevoll. Er ist so nett, dass ich mich schon ziemlich entspannt habe. »Dann gebe ich dir eine Sammelkarte? Der zehnte Kaffee ist gratis und einen Cookie gibt es auch dazu.«

Er bezahlt, wirft zwei Euro in unser Trinkgeldglas und trägt Kuchen und Kaffee an einen unserer drei Stehtische.

Während der nächsten zwanzig Minuten kommen keine anderen Kunden und wir plaudern über den Laden. Ich erzähle ihm, dass er meiner Mutter gehört und wie gut das Konzept ankommt. Er stellt sehr interessierte und intelligente Fragen, vor allem nach unserem Zero-Waste-Konzept. Wie wir in kleinen Mengen regelmäßig bestellen, ohne zu hohe Kosten zu haben, interessiert ihn, und bei welchen Produkten wir Kompromisse schließen müssen, was die Nachhaltigkeit angeht.

Ungläubig sieht er mich an, als ich ihm sage, dass es Take-away-Kaffee nur in mitgebrachten Bechern gibt.

»Ehrlich jetzt?«

Ich nicke. »So was wirkt bewusstseinsbildend bei den Kunden.«

»Oder es vergrault sie. Ich hab so einen Becher zum Beispiel gar nicht.«

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