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Gebieter der Elemente - Gläserner Sturm

hier erhältlich:

Foster ist kein normaler Teenager: Sie besitzt die Gabe, Gedanken zu manipulieren. Und nicht nur das: Als ihre Adoptivmutter durch einen Tornado stirbt, offenbart sich, dass sie das Element Luft nach ihrem Willen beeinflussen kann. Aber nicht nur sie ist dazu imstande, sondern auch Tate, der ihr den letzten Nerv raubt. Und beiden wurde ihre Gabe nicht zufällig zuteil, sondern sie wurden bewusst zu Gebietern der Elemente erschaffen. Doch von wem und mit welchem Ziel? Während Foster und Tate sich näherkommen, müssen sie erkennen: Nur gemeinsam können sie ihrem Schöpfer die Stirn bieten.


  • Erscheinungstag: 02.05.2019
  • Aus der Serie: Gebieter Der Elemente
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 352
  • Altersempfehlung: 14
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959678520

Leseprobe

Dieses Buch ist für all jene von uns,

die sich insgeheim (oder nicht ganz so heimlich)

wünschen, sie könnten die Elemente kontrollieren,

die Welt retten und vielleicht sogar fliegen!

DANKSAGUNG

Wie immer danken wir unserer fantastischen Agentin und Freundin Meredith Bernstein. Unsere Meredith sei ganz fest gedrückt!

Ein großes Dankeschön geht an das Cast-Team von Macmillan, insbesondere an Jen Enderlin, Anne Marie Tallberg, Monique Patterson, und das überaus leidensfähige Herstellungs- und Designteam, das so hart gearbeitet hat, damit dieser Roman wunderbar wird.

Und ein sehr ernst gemeinter Dank geht an meine Freundin und Beraterin Liv. Tausend Dank, Freundin! Mit dir zu arbeiten ist wunderbar. Es war mir eine große Freude, dich kennenzulernen und von dir zu lernen. Mögliche Fehler, die ich bei Charlotte gemacht habe, gehen allein auf meine Kappe.

– P. C.

1

FOSTER

»Cora, warum sind wir hier? Das hier dürfte der Inbegriff von Einöde überhaupt sein.« Stirnrunzelnd betrachtete Foster die Flecken auf dem Bettüberwurf und ließ sich auf die durchgelegene Matratze fallen. »Und dies muss das schäbigste Motel sein, in dem wir im letzten Jahr waren.« Sie zog die Ärmel ihres Flanellhemds über die Hände und versuchte, nicht auf den Schmutzfilm zu achten, der auf sämtlichen Oberflächen lag.

»Sei still und freu dich, dass du ein Dach über dem Kopf hast. Manche Leute haben weniger Glück.« Luft zischte aus dem Polster des Stuhls, als Cora sich setzte und näher an den kleinen Tisch unter dem kleinen Fenster in dem winzigen Zimmer rückte.

»Und manche Leute verbringen ihr Geburtstagswochenende nicht in Mistsouri«, entgegnete Foster stöhnend.

»Missouri«, korrigierte sie Cora und zog ihren Laptop aus der zerkratzten Ledertasche, die sie immer bei sich hatte. »Homer, Missouri, um genau zu sein.«

»Denkst du, alles normalisiert sich wieder, wenn wir diesen Typen gefunden haben?« Foster stockte und biss sich auf die Innenseite ihrer Wange. Seit ihr Adoptivvater, Doktor Rick, vor fünf Jahren bei einem Bootsunfall umgekommen war, hatten sie und Cora in Portland eine gewisse Routine entwickelt. Portland, Oregon, versteht sich, nicht Maine. Wer wollte schon nach Maine? Doch Fosters Ansicht, dass die Westküste definitiv die beste Küste war, spielte keine Rolle. Entscheidend war, dass ihr Leben sich in einen endlosen, stressigen, halb dreckigen (und nicht im guten, sexy Sinne dreckigen) Roadtrip verwandelt hatte, nachdem Cora vor einem sehr, sehr langen Jahr die Kinderwunschklinik von Doktor Rick verkauft hatte. Seither war gar nichts mehr normal. Und Foster wünschte sich sehnlichst ihr Leben zurück. Sie wollte ihr Zuhause zurückhaben.

Foster spürte förmlich Coras wissenden Blick, sah ihre besorgte Adoptivmutter an und ergänzte rasch: »Oder wird wieder so normal, wie es sein kann?«

»Wird sich zeigen. Jetzt hör auf zu jammern! Ich muss mich konzentrieren, und deinetwegen bekomme ich Kopfschmerzen.« Sie murmelte etwas von lästigen Kindern vor sich hin, wandte sich erneut ihrem Laptop zu und massierte sich gedankenverloren die Wange.

»Du musst wirklich mal zum Zahnarzt. Bei der ganzen Schokolade, die du futterst, hast du garantiert schon einige Krater in den Zähnen. Oder vielleicht ist es auch dein Weisheitszahn.« Während sie überlegte, trommelte Foster mit den Fingern auf ihrem Knie. »Nein, für Weisheitszähne bist du wohl zu alt. Was ist mit …«

»Foster, sei still!«

Foster gehorchte, hielt den Atem an und wollte sich die Frage verkneifen, die ihr auf der Zunge brannte. Aber sie schaffte es nicht. Jedenfalls nicht lange. Nicht bei Cora. Beim Rest der Welt fiel es ihr leicht, den Mund zu halten. Tatsächlich zog sie es sogar vor und war ziemlich sicher, dass es sie ein kleines bisschen zickig wirken ließ. Na ja, womöglich sogar sehr zickig, doch eigentlich nur, weil sie wegen all der Dinge, die andere über sie sagten, durchdrehte und sich bemühte, nichts darauf zu geben.

Ehe ihr bewusst wurde, dass sie redete, war der Damm gebrochen, und es sprudelte nur so aus ihr heraus. »Warum sind wir überhaupt hier? Keiner bleibt in der Tornado Alley, es sei denn, er ist lebensmüde.« Donner krachte und brachte die dünnen Fensterscheiben zum Vibrieren. »Siehst du! Hab ich’s doch gesagt. Ich meine, das war jetzt wie abgesprochen, was irgendwie schon wieder gruselig ist«, sagte Foster, hängte sich ihren Rucksack über die Schulter und lief zur Tür. »Hauen wir ab von hier.«

»Beruhige dich, Kind.« Coras stramme Dreadlocks streiften ihre Schultern, während sie den Kopf schüttelte. »Ein Stück weiter ist ein Krankenhaus. Ich habe es gesehen, als wir herkamen.« Sie holte tief Luft und knetete ihre linke Schulter genauso mechanisch, wie sie vorher ihre Wange massiert hatte – fast so unwillkürlich und gedankenlos wie Zähneputzen. »Ich weiß, dass sie einen Keller haben, und sollte sich dieses Gewitter zu einem Tornado hochschaukeln, gehen wir da hin. Aber bis es so weit ist, setz dich hin. Deine Teenager-Hysterie beschleunigt hier gar nichts.«

»Ich bin nicht hysterisch«, murmelte Foster und berührte die Laminatplatte des Tisches. »Ich dachte bloß, dass wir an meinem Geburtstag was Cooleres unternehmen. Schließlich wird man nur einmal achtzehn. Und irgendwie, na ja, ich weiß nicht, aber ich hatte mir gewünscht, dass es besonders wird.« Sie schob die Unterlippe vor und klimperte mit ihren extrem langen Wimpern.

Cora blickte auf und schnaubte wieder. »Keine Chance.« Erneut sah sie auf ihren Computer. Der helle Monitor spiegelte sich in ihren hennafarbenen Augen.

»Was ist, wenn wir es wegen des Winds, des Hagels und des Regens oder sonst was nicht rechtzeitig zum Krankenhaus schaffen?«

Cora seufzte. »Nicht jedes Gewitter wird zu einem Tornado. Sonst wäre vom Landesinneren nichts mehr übrig.«

»Als wäre hier noch was übrig. Und schau mal.« Sie warf ihren Rucksack auf den Tisch und kramte in dem Chaos darin. »Die Gewitter haben sich verändert, vor allem die stärkeren. Das kann ich beweisen. Hier.« Sie klaubte ein verkrustetes Ketchuptütchen von einem Stapel zerknickten Papiers und hielt es Cora hin.

»Und was soll ich damit anfangen?« Fragend zog sie eine dichte Augenbraue hoch.

»Das ist Forschung. Für dieses Naturkundeprojekt, das du mir aufgegeben hattest. Ich habe mich für Wettermuster entschieden, weil die anderen Themen blöd waren, wie zum Beispiel die Vermehrung von Mücken. Ich bin doch keine Insektenvoyeurin, und keiner will noch mehr von den Dingern.«

»Demnach hast du deine Hausaufgaben erledigt?« Cora blickte sich zu beiden Seiten um. »Wer bist du, und was hast du mit meiner Foster gemacht? Ungefähr so groß«, sie hielt eine Hand hoch, bis sie Fosters Höhe von einem Meter siebenundsechzig erreichte, »knallrote Haare, Teint wie ein Schneemann. Hast du sie gesehen?« Ihre perlweißen Zähne blitzten, als sie lachte.

»Sehr witzig.« Foster blätterte durch die Seiten, die sie bei ihrem letzten Aufenthalt in einer Bücherei ausgedruckt hatte. Rote und orange Flecken bedeckten die Wetterkarte des Mittleren Westens, und die Statistiken zu den Tornado-Touchdowns und – Sichtungen waren beängstigend. »Aber im Ernst, die Wetterseiten im Netz sagen einige ganz schön unheimliche Sachen über die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gewitter einen Tornado auslöst. Ich schätze, die globale Erwärmung tritt uns jetzt richtig in den Arsch.« Ein weiterer Donnerknall bewirkte, dass Foster eine Gänsehaut auf den Armen bekam. »Wie auf Kommando. Schon wieder. Erzähl mir nicht, dass das nicht völlig irre war.« Sie stopfte die Papiere zurück in ihren Rucksack und hängte ihn sich über den Arm. »Wir müssen gehen.«

Hektisch flogen Coras Finger über die Tastatur.

»Ich habe noch einen Donner gehört. Wir müssen weg. Komm schon.« Fosters Flehen blieb ungehört. »Cora!« Sie stampfte mit dem Fuß auf, worauf eine Staubwolke vom Teppich aufflog und ihr einen heftigen Niesanfall bescherte.

»Verdammt, was ist denn, Foster? Was willst du?« Coras schroffe Stimme wurde noch lauter, als über ihnen Donner grollte.

Foster atmete schnappend ein und versteifte sich, während sie mit dem Kloß in ihrer Kehle kämpfte. »Nichts.« Es klang leiser als beabsichtigt. Deshalb räusperte sie sich. »Ist egal«, erklärte sie.

Coras Züge wurden weicher, und sie beugte sich über den Tisch, um nach Fosters Hand zu greifen. Nachdem sie die einmal sanft gedrückt hatte, ließ sie sie los und rieb sich seitlich den Hals. »Tut mir leid. Ich bin gestresst und habe diese Schmerzen in meinem Genick echt satt. Die ewigen Motelkissen machen mich …« Sie verstummte, und ihr huschte ein Ausdruck übers Gesicht, den Foster nicht deuten konnte. »Aber ich hätte dich nicht anschreien dürfen«, fuhr Cora fort. Da war wieder jene besondere Ruhe in ihrem Ton, cremig und aromatisch, mit einem kleinen Kick, ähnlich mexikanischem Kakao. »Du bist nicht aus dieser Gegend, und ich verstehe, dass du nervös bist. Aber ich bin in der Tornado Alley aufgewachsen. Es gibt halt Gewitter. Außerdem haben wir Ende August. Die Tornados in Missouri treten eher im Frühling und Frühsommer auf als im Spätsommer und Herbst. Uns passiert nichts.«

»Versprochen?«

»Ehrenwort. Du bist doch mein Baby. Ich würde dich niemals in Gefahr bringen.«

»Cora, ich bin achtzehn. Du musst aufhören, mich dein Baby zu nennen.«

»Kind, mich interessiert nicht, ob du achtzehn oder achtzig bist. Du bleibst immer mein kleines Erdbeerbaby.«

»O Gott! Na schön, nenn mich Baby, aber bitte nicht ›kleines Erdbeerbaby‹.«

»Wir werden sehen«, murmelte Cora, die ihre Aufmerksamkeit schon wieder ihrem Computer widmete.

»Tja, ›wir werden sehen‹ ist besser als ›Kind, ich werde dich mein kleines Erdbeerbaby nennen, bis einer von uns begraben wird‹.« Sie ahmte Cora perfekt nach. »Okay, ich nehme, was ich kriegen kann.« Fosters Unbehagen ließ nach, und sie setzte sich auf den Stuhl gegenüber der molligen Frau. Obwohl sich ihr Magen im Takt mit dem nahenden Donnergrollen zusammenkrampfte, beruhigten Coras Worte sie. Schließlich hatte ihre Adoptivmutter noch kein Versprechen gebrochen. Sie war für sie da gewesen, seit Foster als Frühchen auf die Welt gekommen war und zunächst an lauter Schläuchen auf der Neonatal-Station gehangen hatte. Ihre leiblichen Eltern hatten ihr Geschichten von ihrer »Tante« Cora erzählt, der selbstlosen Krankenschwester und Heldin, die täglich dort gewesen war und dafür gesorgt hatte, dass sie gesund und stark wurde. Bei der Erinnerung an ihre Eltern zog sich Fosters Herz zusammen. »Warte mal. Du hast gesagt, dass du gestresst bist. Wieso?«, platzte sie heraus, weil sie nicht mehr an die Vergangenheit denken wollte.

»Weil sich, falls ich recht habe, was denjenigen betrifft, den wir heute Abend treffen, unsere ganze Welt verändern wird.«

»Moment, ist das der Typ? Der, den wir seit einem Jahr suchen? Du hast mir nicht erzählt, dass du ihn gefunden hast. Wer ist er? Wie heißt er?«

Ohne auf Fosters Fragen einzugehen, deutete Cora auf ihren Koffer. »Hol die beiden braunen Sweatshirts raus.«

Foster trottete zu dem rostigen Gepäckgestell und öffnete den Reißverschluss des Koffers. Kurz darauf hielt sie das dicke Sweatshirt in die Höhe und wies auf den goldenen Aufdruck: Homer High School Panthers. »Ich dachte, das mit dem Hausunterricht läuft gut. Und ich kann viel mehr bei dir lernen als in einer beschissenen Hinterwäldlerschule. Außerdem mache ich dieses Jahr meinen Abschluss.«

»Gib es her.«

Foster warf Cora das Sweatshirt zu, und die streifte es sich über, bevor sie erklärte: »Du gehst auch nicht auf die Schule, sondern nur dorthin. Jetzt zieh dir das andere Shirt über. Ich will nicht zu spät kommen.«

Foster streifte das weite Sweatshirt über ihr Flanellhemd und krempelte es unten ein bisschen auf, bis die fransigen Enden ihrer Shorts hervorlugten und sie nicht mehr halb nackt wirkte. »In dem Ding sehe ich aus wie eine Tonne«, murrte sie beim finsteren Blick in den staubigen Spiegel. »Aber wenigstens muss ich nicht zurück zur Highschool.« Nicht mehr auf eine traditionelle Schule gehen zu müssen war das einzig Positive gewesen, was bei Doktor Ricks vorzeitigem Tod herausgekommen war. Cora wollte seine Forschung abschließen – irgendwas über einen Heilungsprozess, wie ihr einer von Coras Medizinerfreunden erzählt hatte – und ihre Adoptivtochter in der Nähe behalten. Wobei Foster der Grund egal war, solange sie nicht zurück in die schwachsinnige Ganztagsbetreuung musste, die sich staatliche Schule nannte.

Einige krause, feuerrote Strähnen fielen ihr in die Stirn, und sie steckte sie zurück in den losen Haarknoten. »Also, dieser Mensch, den wir treffen«, begann sie, während sie Lippenbalsam auftrug, »ist er einer von Doktor Ricks früheren Laborassistenten, der inzwischen zu einem alten Biolehrer geworden ist oder so?«

Cora schob sich den Riemen ihrer Tasche über die Schulter und sah auf ihr Handy. »Gehen wir. Es fängt bald an.«

Foster steckte den Lippenbalsam ein und drehte sich zu Cora um. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du aussiehst wie Kerry Washington?« Sie presste den Mund zusammen und lächelte betont unschuldig.

»Nein, weil es nicht stimmt.« Die Zimmertür knarrte, als Cora sie öffnete, und stickige, kühle Luft wehte herein. »Jetzt schwing deinen knochigen weißen Hintern ins Auto.«

Foster schlenderte zur Tür und blieb vor der Frau stehen, deren Zimt- und Zedernduft ihr in der Nase kitzelte. »Wen treffen wir?« Während sie sprach, verspürte sie ein vertrautes Kribbeln.

Cora stemmte die Hände in die Hüften. »Wenn ich es für angebracht halte, dir das zu sagen, erfährst du es. Und wir haben schon über deinen kleinen Trick geredet, Foster. Sei vorsichtig, wie du ihn einsetzt.«

»Ich begreife immer noch nicht, woher du von meinem Jedi-Gedankentrick weißt.« Sie hüpfte hinaus auf den Bürgersteig und zog ein imaginäres Lichtschwert.

»Es gibt keine Jedis, und ich bin viel zu schlau, um auf deinen neurolinguistischen Bockmist reinzufallen.«

»Keine Jedis?« Foster nahm ihr Lichtschwert herunter und tat so, als würde sie es an ihren Gürtel hängen. »Jetzt hast du mir das Herz gebrochen. Ja, du zerstörst mir meine Kindheitsfantasien.«

Cora schürzte die Lippen. »Hm, hm, hm. Wunderlich du bist. Idiotisch du immer wirst sein.«

»Sollte das Yoda-Sprache werden? Dein Training scheint was zu bringen, junger Padawan. Und apropos Training: Fährst du da hin, wo wir hinwollen?«

»Nein.« Cora entriegelte den Wagen, und Foster nahm auf dem Fahrersitz Platz. »Und ich brauche kein Training. Ich kann fahren. Du bist nur besser als ich – so Evel-Knievel-mäßig.«

»Dir ist klar, dass ich keine Ahnung habe, wer diese alten Leute sind, von denen du redest, oder?« Foster ließ den Motor an und wartete, bis Cora die Adresse ins Navi eingetippt hatte. »Doch im Gegensatz zu anderen übe ich.«

»Ja, und während du täglich Fahren übst, übe ich mich darin, in diesem Sitz zu schlafen.«

»Nein, das Fahren meine ich nicht. Ich rede von meinem Jedi-Gedankentrick. Vor diesem Restaurant in Pennsylvania habe ich eine ganze Rose zum Blühen gebracht.« Foster fuhr vom Parkplatz und bemerkte Coras skeptischen Blick, als sie von ihrer Adoptivmutter zum Display des Navis schaute.

»Na gut«, gestand Foster und beobachtete, wie die weiten, von Kühen gesprenkelten Felder in der Ferne entschwanden, während sie sich der Stadt näherten. »Vielleicht ist die ein winziges bisschen gewachsen, bevor sie nicht mehr zugehört hat. Aber ich habe diese Wolken in West Virginia dazu gebracht, wie riesige Menschen auszusehen. Ich wollte es regnen lassen, doch die Umrisse waren alles, was ich hinbekommen konnte. Erinnerst du dich?«

»Ich erinnere mich vor allem daran, dass die Klimaanlage des Autos ausging und wir hier drinnen geschmort wurden. Du hättest im Wagen schwimmen können, so wie ich geschwitzt habe.«

»Ja«, antwortete sie lachend. »Das war ziemlich eklig.« Donner rumpelte über ihnen, und Foster wartete, bis er verklungen war. »Ich weiß, dass irgendwas da draußen ist, das die ganze Zeit zuhört. Vielleicht keine Leute, Blumen oder Wolken, aber da ist etwas. Ich muss nur rausfinden, was.«

Der Wagen ruckelte, als Foster den Blinker setzte und in ein großes Feld einbog. Hinter einem riesigen Ford-Pick-up hielt sie an und stellte den Motor aus. »Wir sind da.«

Hohes Gras kitzelte an Fosters nackten Knöcheln, als sie aus dem Wagen stieg und auf dem Behelfsparkplatz stand. »Wo immer das auch sein mag.«

»Vorwärts, Panthers! Yeah!«, kreischte eine Horde Mädchen in Braun, die an ihnen vorbeilief.

Foster reckte den Hals, um an dem Monsterauto vorbeizuschauen. »Du nimmst mich auf den Arm.« Sie warf Cora einen genervten Blick zu. »Ein Footballspiel? Im Ernst?«

»Im Ernst.« Cora holte ihre Tasche von der Rückbank, ehe sie den Wagen verriegelte. »Jetzt reiß dich zusammen. Ich würde gerne einen guten ersten Eindruck machen.«

»Puh«, stieß Foster stöhnend hervor, schlurfte hinter ihr her und zupfte an dem lächerlichen Sweatshirt herum. »Aber es gibt gleich Regen.« Sie blickte zum Himmel hinauf und betrachtete die dicken dunkelgrauen Wolken. »Und wahrscheinlich gibt es auch einen Tornado. Der Himmel sieht ganz fies grün aus.«

»Ich hole dir auch alles von den Imbissständen, was du willst«, bot Cora an.

»Imbissstände? Wieso hast du nicht gleich gesagt, dass es hier was zu essen gibt?« Begeistert hakte Foster sich bei Cora unter und strebte auf den Stadioneingang zu.

Mit den Taschen voll saurer Drops und einer extragroßen Portion Popcorn in der Hand stand Foster am Spielfeldrand und musterte die Zeichen an den Tribünen. »Eins-fünfzehn, nein. Eins-zwanzig, nein. Ah, da ist es! Eins-fünfundzwanzig.« Sie hielt sich die Tüte an die Lippen und schüttete sich ein paar Popcorn in den Mund. »Aua!« Ein heftiger Stoß von hinten bewirkte, dass ihr die eine Packung Bonbons und die Popcorntüte aus den Händen fielen. Das Popcorn verteilte sich um sie herum wie salziger Schnee. »Verdammt! Jetzt ist das Beste an dieser barbarischen Testosteron-Demo hinüber!«

»Ich bin das Beste an dieser barbarischen Testosteron-Demo.«

Foster blickte auf, dann weiter auf zu der typischen Sportskanone, die sie deutlich überragte. Er war natürlich ein Traum. Dunkles Haar, unfassbar blaue Augen, wahnsinnig ausgeprägte Wangenknochen und jede Menge straffe Muskeln – obwohl er sehr viel süßer gewesen wäre, hätte er eine Jeans und ein T-Shirt getragen und ein Buch unter dem Arm gehabt anstelle dieses blöden pflaumenlila und goldenen Trikots und des Footballs.

Beim Grinsen zeigte er makellos gerade weiße Zähne – klar – und reichte ihr die Packung Drops, die sie fallen gelassen hatte. »Nenn mich Tate Nighthawk Taylor.«

Foster verdrehte die Augen und verlor beinahe das Gleichgewicht. »Moment, wie bitte?«, sagte sie gespielt unbedarft. »Hast du Nacht-Trottel gesagt?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das klingt eher nach einer Diagnose. Mein Fehler. Du musst Nachtheuler gesagt haben. Jap, das war’s.«

»Was? Nein. So höre ich mich ja an wie ein Arsch, und der bin ich nicht. Ernsthaft. Da kannst du jeden fragen. Ich bin kein Arsch.«

»Wie ich sehe, ist Anatomie nicht deine Stärke.«

Eine ganze Reihe Trikotträger joggten vorbei, deren Stollen auf der Sandbahn um das Spielfeld herum knirschten. »Nighthawk, komm jetzt, Alter! Der Coach flippt aus, wenn wir nicht bald da sind.«

»Ja, komme schon!«, rief Tate den Spielern zu und begann, langsam rückwärts in Richtung Rudel zu laufen. »Hey, Erdbeermädchen, lass mich dir zeigen, dass ich kein Arsch bin.«

»Ey, nenn mich nicht Erdbeermädchen!«

»Dann verrate mir deinen Namen!«

Sie seufzte. »Foster.«

»Also, Foster, es gibt immer eine Party nach unserem Sieg. Und solange ich da draußen auf dem Feld bin, gewinnen wir. Wie wär’s, wenn du mir deine Nummer gibst, damit ich dir sagen kann, wo die stattfindet, und dir zeigen kann, was für ein gar nicht arschiger und netter Typ ich bin?«

»Beantworte mir vorher eine Frage.«

»Raus damit, Rotschopf.«

»Was ist dein Lieblingsbuch?«

»Sports Illustrated!« Er zwinkerte.

»Ja, genau das dachte ich mir.«

Er wurde rot.

Das wäre mir auch peinlich. Vielleicht war ihm klar geworden, dass er wie ein echter Trottel klang. Dann sagte er wieder etwas, und sie beschloss, dass es wohl eher die Sonne, nicht der Verstand gewesen war, der seine Wangen gefärbt hatte.

»Meine Nummer ist ganz leicht zu merken. Sie ist einfach …«

Foster hielt die Hand in die Höhe. »Nein, lass es. Nicht mal, wenn mein Leben davon abhinge. Aber viel Glück da draußen, Nachtheuler.« Sie winkte ihm zu, machte auf dem Absatz kehrt und ging in Richtung Tribünenbereich eins-fünfundzwanzig, wo ihre Schritte laut auf den Aluminiumplanken schepperten.

Cora starrte auf ein flattriges einseitiges Programm, als Foster sich neben sie setzte. »Du glaubst nicht, was mir eben passiert ist«, meinte Foster mit dem Mund voller saurer Skittles. »Ich habe das Klischee eines Supersportlers getroffen, und der hat mich irgendwie auch noch auf eine Party eingeladen.«

»Auf ein Date?« Cora zog die Augenbrauen so hoch, dass sie beinahe ihren Haaransatz erreichten.

Foster schnaubte und klang dabei ähnlich wie ihre Adoptivmutter. »Nicht so, wie du es aus den Achtzigern kennst, wenn man in die Disco eingeladen wurde. Mehr so eine von diesen ›Komm zu der und der Adresse, denn mir ist danach, mit dir abzuhängen; und wenn sich nichts ergibt, habe ich dich nie gefragt, also sei nicht sauer‹-Nummern. Völlig vergurkte Jungs-Logik.« Verärgert warf sie sich noch einen Skittle in den Mund und kaute übertrieben. »Sicher wollte er mir bloß zeigen, wie umwerfend er ist, weil jeder in Mistkaff, Mistsouri das denkt.«

»Zum letzten Mal, dies ist Missouri, nicht Mistsouri«, sagte Cora. »Und Disco? In den Achtzigern? Echt jetzt? Kleines, du musst aufhören, so viele Science-Fiction-Sendungen zu sehen, und mit den Geschichtslektionen anfangen, die auf deinem Stundenplan stehen. Vorausgesetzt, du willst deinen Abschluss schaffen.«

»Ich weiß eine Menge über den Zweiten Weltkrieg. Du kannst mich abfragen. Das wird mir auf jeden Fall einige Zusatzpunkte bei meiner Geschichtshausaufgabe einbringen.« Foster verstummte und wartete hoffnungsvoll darauf, dass Cora sie für eine Weile mit den langweiligen Dokus verschonte.

»Du bekommst keine Zusatzpunkte, weil du etwas lernst, was nicht Halbjahresstoff ist. Das solltest du grundsätzlich tun.«

»Ist ja gut«, entgegnete Foster. »Aber zurück zu meinem Austausch mit dem Eingeborenen, der sich als Tate Nighthawk Taylor vorgestellt hat. Nighthawk! Ich schwöre, den Mist kann nicht mal ich mir ausdenken. Ist das nicht das beknackteste Jungszeug, was man je gehört hat?«

»Tate Taylor?«, fragte Cora.

»Ja, Tate Nachtheuler Taylor. Den Teil kann ich nicht vergessen.«

Cora seufzte.

»Was?«, fragte Foster und trank einen Schluck Wasser aus Coras Flasche.

»Der, den wir hier treffen sollen, heißt …«

»Nein«, fiel Foster ihr ins Wort. »Tu mir das nicht an, Cora!«

»Tate Taylor.«

2

TATE

Tate atmete tief ein, als er zur Umkleide lief. Der Duft von Schmerzsalbe und Schweiß verriet ihm, dass er da war, wo er hingehörte – zu Hause. Die Jungen, mit denen er schon seit Kindertagen Football spielte, wuselten umher, schleuderten Handtücher hin und her und klopften sich gegenseitig auf die Schulterpolster, um die Nervosität vor dem Spiel einzudämmen und sich für die Homer-High-School-Version von Friday Night Lights hochzupuschen. Tate hatte das nicht nötig, denn seine beiden Lieblingsdinge brauten sich direkt vor der Umkleide zusammen: ein gewaltiges Gewitter und ein großes Spiel.

Was ihm allerdings am allerwenigsten gefiel, brachte ihn nun dazu, mit leerem Blick in seinen Spind zu glotzen, während er erwog, seine Stirn gegen die Metallkante zu knallen. Tate Nighthawk Taylor war ein Versager, wenn es darum ging, mit Mädchen zu reden. Und war eines auch noch hübsch, dann …

Er ließ die Schultern hängen.

Ich habe tatsächlich Sports Illustrated als mein Lieblingsbuch genannt. Nachdem ich schon wie ein schwachsinniger Möchtegern-Superheld geklungen habe, indem ich mich als Nighthawk vorstellte – einer Wildfremden … einer heißen, desinteressierten Wildfremden.

»Mist. Vielleicht bin ich ein Arsch.«

»Jo, Nighthawk, wer war die Rothaarige, mit der du geredet hast? Von hier ist die schon mal nicht.« Kyle Case stieß ihn mit der Schulter an. »Falls du dich mit einer von der St. Joe einlässt, kriegst du mächtigen Ärger mit unseren Girls. Vor allem mit Emma.«

»Emma und ich haben Schluss gemacht. Ich darf jetzt sprechen, mit wem ich will.«

»Nicht wenn sie von der St. Joe ist. Dann ist sie eine Spartan. Wir sind Panthers. Die beiden verbrüdern sich nicht«, widersprach Kyle.

»Verbrüdern? Hast du wieder eine Wörterbuchseite auswendig gelernt, Ky-kee?« Tate sah seinen besten Freund an und wackelte mit den Augenbrauen.

»Alter!« Kyle senkte die Stimme. »Wir haben doch schon darüber geredet. Ungefähr eine Million Mal. Du darfst mich nie mit dem Spitznamen anreden, den meine kleine Schwester mir gegeben hat. Niemals.«

»Oh doch, darf ich. Und ob.«

»Nein. Das ist nicht cool.«

»Hey, du sprichst mich dauernd mit meinem Spitznamen an«, erwiderte Tate.

»Weil Nighthawk cool ist. Ky-kee ist es nicht. Ende der Diskussion. Geh zurück zu der Rothaarigen mit den großen Möpsen.«

»Große Möpse? Was? Nein.« Tate schüttelte den Kopf. »Deshalb habe ich nicht mit ihr geredet.« Er war so von den grünen Augen, dem verblüffend roten Haar und dieser wie aus Marmor gemeißelten Haut gebannt gewesen – aus glühend heißem, makellosem Marmor –, dass ihm sonst nichts an ihr aufgefallen war. Na ja, außer dass sie Football nicht mochte und, um genauer zu sein, ihn noch viel weniger.

»Hast du ›große Möpse‹ gesagt?«, fragte Ryan. »Wessen?« Der Linebacker blickte sich zu Tate um – wie das halbe Team –, was alle wie mutierte Küken aussehen ließ. »Ich dachte, das mit dir und Emma ist vorbei.«

»Ist es. Kyle ist bloß …«

»Nighthawk hat sich ein paar Möpse geangelt!«, rief Ryan, der noch nie ein Genie gewesen war, über ihn hinweg und rempelte andere aus dem Weg, als er sich mit seinen eins neunzig und seinen dreihundertfünfzig Pfund zwischen dem Team hindurch zu Tate drängte. »Ich brauche mehr Einzelheiten.«

»Keine Details!«, entgegnete Tate. »Ich habe mit einem Mädchen geredet, weiter nichts.«

»Und sie ist eine Spartan«, fügte Kyle hinzu.

»Das habe ich nicht gesagt!«, widersprach Tate. »Ich weiß nicht, was sie ist, außer dass sie nicht sonderlich freundlich rüberkommt.«

»Definitiv Spartan«, folgerte Ryan. »Ich denke, große Möpse gleichen das aber aus.«

Kyle schnaubte. »Erzähl das mal Emma und ihren Freundinnen.«

»Wir haben Schluss gemacht!« Eigentlich hatte Emma ihn abserviert. Vor zwei Wochen und ohne jede Erklärung – außer: »Babe, das funktioniert nicht.« Funktioniert nicht? Was sollte das überhaupt heißen? Er versuchte immer noch herauszufinden, was er falsch gemacht hatte.

»Tate! Hör auf, mit deinem kleinen Freund zu denken, und konzentrier dich auf das Spiel!« Das Team teilte sich auf geradezu biblische Art in zwei Hälften, als Tates Dad auf ihn zuschritt.

»Ich bin ganz beim Spiel, Coach!«, versicherte Tate. Die anderen aus dem Team standen stramm.

»Gut, denn heute Abend wird es nicht leicht für dich. Muss ich dich daran erinnern, dass St. Joe eine Eliteschule ist und wir nur Durchschnitt sind?«

»Nein, Coach!«, rief Tate.

»Nein, Coach!«, stimmte das Team ein.

»Und muss ich daran erinnern, dass das Wetter übel aussieht, was bedeutet, dass alles passieren kann, sollte sich das Spielfeld in einen Sumpf verwandeln?«

»Nein, Coach!«, antwortete das Team im Chor mit Tate.

»Hey, Coach, keine Sorgen wegen des Wetters«, sagte Kyle. »Je dunkler es wird, desto besser kann Nighthawk sehen.«

Tates Dad versetzte Kyle einen Klaps an den Hinterkopf. »Junge, wenn das ganze Team im Dunkeln so gut sieht wie Tate, ist das beschissene Wetter ein Vorteil. Kannst du im Dunkeln gucken wie ein Nachtfalke?«

»Nein, Sir!«, brüllte Kyle.

»Wie ich euch Jungs schon seit der Grundschule einbläue: Nichts, nicht mal sensationelle Nachtsicht, kann harte Arbeit und Konzentration ersetzen. Jetzt rückt zusammen und auf die Knie.«

Tate und der Rest des Teams bildeten einen Kreis um seinen Dad und knieten sich halb hin, wobei sie die Köpfe senkten und sich bei den Händen fassten.

»Schütze uns da draußen, stärke uns da draußen, mach uns selbstbewusst da draußen. Mach, dass wir da draußen Panther sind!«

»Vorwärts, Panthers!«, erwiderte das Team.

»Oh ja. Das hätte ich fast vergessen«, sagte sein Dad und blickte verschwörerisch in die Runde. »Seid ihr bereit?«

»Ja, Coach!«, brüllte das gesamte Team – bis auf Tate.

»Dann los!«

»Happy birthday to you! Happy birthday to you! Happy birthday dear Nighthawk! Happy birthday to you!«, sangen sie schlecht, aber voller Inbrunst.

»Süße achtzehn und ungeküsst!«, spottete Ryan.

»Mann, süße achtzehn und nie vermisst!«, sagte Kyle.

»Okay, okay, ihr habt euren Spaß gehabt. Jetzt wird’s Zeit, euch aufzustellen. Captain und Co-Captain zuerst.«

Tate und Kyle nahmen ihre Plätze an der Spitze der Zweierreihen ein, wo sie gemeinsam mit den anderen darauf warteten, dass die Band ihr Kampflied anstimmte.

»Verdammt, dein Dad hat keinen Quatsch erzählt, was das Wetter betrifft«, stieß Kyle hervor, der nervös zum grünlichen Himmel mit den schaurig dunklen Wolken aufsah. »Meinst du, die blasen das Spiel ab?«

»Nein, verdammt«, antwortete Tate. »Na, jedenfalls nicht, ehe es zu blitzen anfängt. Und ich hoffe, das tut es nicht.« Er atmete tief ein, liebte den Geruch von Regen und die plötzliche Kälte in der Luft, die ein Gewitter ankündigte. Er war besessen von Gewittern! Schon immer gewesen. Es war, als könne er die Kraft im Takt mit dem fernen Donner und den aufquellenden Wolken in sich anschwellen fühlen.

»Sei heute Abend vorsichtig da draußen, Junge.« Sein Dad war neben ihn getreten und legte ihm fest und vertraut die Hand auf die Schulter. »Ich weiß, dass du Gewitter magst, aber wenn das hier losgeht und es zu gießen anfängt, passt auf. Der Boden wird dann glitschig wie Schweinescheiße. Brichst du dir was, heißt es Ersatzbank für dich. Und die Saison fängt eben erst an. Du darfst nicht ausfallen, sonst riskierst du dein Mizzou-Stipendium.«

»Keine Angst, Dad. Ich komme klar – wie immer.«

Sein Vater klopfte ihm auf die Schulter und lächelte liebevoll. »Sicher. Ich überlasse es deiner Mutter, sich Sorgen zu machen. Und denk dran, ihr zuzuwinken.«

»Sie ist da draußen? Aber sie hasst Gewitter.«

»Selbstverständlich ist sie da, gleich an der Fünfzig-Yard-Linie, wie üblich. Deine Mom hasst Gewitter, doch sie liebt ihren kleinen Nighthawk mehr.«

»Ich bin einen Meter sechsundachtzig und seit heute achtzehn Jahre alt. Warum muss sie immer klein sagen? Echt, Dad, nur Mom kann diesen Spitznamen richtig lahm klingen lassen.« Na ja, Mom und dieses grünäugige Erdbeermädchen, dachte er.

Die ersten Trommelschläge ihres Kampfliedes übertönten das Gelächter seines Vaters und ließen die Heimseite des kleinen Stadions aufspringen, als Tate durch das Spalier von Cheerleadern und Pompons hinaus aufs Feld lief. Als sie sich im Kreis versammelten, um mit dem Aufwärmen zu beginnen, winkte Tate seiner Mutter zu. Sie war leicht auszumachen. Ihr dichtes blondes Haar, von dem Tate fand, dass es dem einer Disney-Prinzessin ähnelte, leuchtete unter dem grellen Flutlicht. Sie winkte zurück und hauchte ihm einen Kuss zu, während der Wind ihre Locken aufwirbelte.

Tate rief gerade die Kommandos für ihre Liegestützsprünge, da lenkte ihn ein rotes Schimmern auf der Tribüne gleich oberhalb von seiner Mutter ab. Rotes Haar, das sich aus dem Knoten gelöst hatte, ergoss sich um ein wunderschönes Gesicht. Verdammt, das Mädchen hatte eine Menge Haare! Tate blinzelte – und blinzelte gleich wieder. Das war sie! Das Erdbeermädchen! Sie saß neben einer kräftigen Schwarzen, die Tate betrachtete, als wäre er eine zweiköpfige Jahrmarktsattraktion. Aber das Erdbeermädchen? Die Kleine war damit beschäftigt, die Unmenge an rotem Haar zu bändigen, und schaute praktisch überallhin, nur nicht zum Spielfeld.

Nach den Liegestützsprüngen rief Tate das Team auf, die Positionen zu wechseln und Hampelmannsprünge zu machen. Dabei sah er erneut zu dem Mädchen. Jap, es starrte immer noch alles an außer ihm. Nein, Moment. Es starrt nicht alles an, sondern hinauf zum Himmel.

Der Schiedsrichter pfiff, was bedeutete, dass das Aufwärmen beendet war, und rief die Team-Captains zu sich in die Feldmitte, um eine Münze zu werfen. Tate joggte dem Spartan entgegen, schüttelte ihm die Hand und versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass ihn sein Vollbart und das Fehlen eines Halses wie siebzig aussehen ließen, nicht wie siebzehn.

»Kopf«, rief der Spartan in einem solch tiefen, raspelnden Bariton, als würde er seit Jahrzehnten rauchen.

»Zahl! Panthers Wahl!«, verkündete der Schiedsrichter. Er musste rufen, um bei dem Wind gehört zu werden.

»Wir sind das Receiving Team«, sagte Tate, bevor er schnell vom Feld lief und sich zu den anderen gesellte, als sein Dad die Hand in ihre Kreismitte streckte. Er musste brüllen, weil der Wind so laut heulte, doch seine kräftige Stimme war der Herausforderung gewachsen.

»Also gut, Panthers. Holt euch das verdammte Ei und zeigt den Spartans, dass größer nicht besser heißt! Auf drei – eins, zwei, PANTHERS!«

Eingespielt, wie sie waren, verteilte sich Tates Team auf die Positionen und stand bereit, als die Spartans sich zum Kick-off aufstellten. Doch ehe der Schiedsrichter anpfeifen konnte, brachen die dunklen Wolken auf, und strömender Regen ergoss sich auf sie. Die hellen Stadionlichter flackerten, genau wie die Anzeigetafel, und der Schiedsrichter zögerte.

Tate konnte nicht anders, er musste zur Tribüne schauen, noch einen Blick auf dieses durchnässte Erdbeermädchen werfen. Die Rothaarige war leicht zu finden, da sie als Einzige stand, einen Arm gen Himmel gestreckt. Während er mit großen Augen hinsah, schrie sie ein einzelnes Wort, und das so laut und mit einem solchen Entsetzen, dass alle nach oben schauten.

»TORNADO!«

Tates Welt explodierte.

Das Heulen des Windes veränderte sich, wuchs zu einem Schrei an. Aus den schwarzen Wolken oben begann ein Trichter herabzuwirbeln, der direkt auf das Feld zielte.

»Alle in die Schule! Sofort!«, ertönte es aus den Lautsprechern.

Panik trieb die Menge an. Alle versuchten gleichzeitig, von den Tribünen zu kommen. Im Gegensatz dazu hatte Tate das Gefühl, auf dem Boden festgenagelt zu sein. Der herabsteigende Trichter nahm ihn völlig gefangen. Er konnte die Kraft des Tornados spüren – sein Zorn und seine destruktive Stärke drangen in ihn ein, umwirbelten ihn, bauten sich auf … immer weiter, bis er die Arme heben, ihn umschlingen und seinen Ruf mit dem Tosen vereinen wollte.

»Tate! Lauf!«

Der Ruf seines Vaters brach den Zauber des Tornados, und plötzlich fand Tate das Gewitter nicht mehr aufregend. Er war nur ein Junge, der allein inmitten eines Spielfelds stand, während der Tod in Form eines Trichters aus dem Himmel auf ihn zustürmte.

Jeder sprintete zu den Umkleiden, und auf den Tribünen brach Chaos unter den panischen Leuten aus. Durch die dichten Regenwände konnte er das blonde Haar seiner Mutter erkennen. Sie war am Rand der Tribüne, und entsetzt beobachtete er, wie jemand sie von hinten stieß und sie stürzte.

»Mom!«, brüllte Tate und rannte in Richtung Tribüne.

»Tate! Lauf in die Umkleide!« Sein Dad tauchte gleichsam aus dem Nichts neben ihm auf und packte seinen Unterarm.

»Aber Mom …«

»Lauf! Ich hole deine Mutter. Du bist der Captain. Sorg dafür, dass dein Team in Sicherheit ist!«, rief sein Dad, umarmte ihn einmal fest und schubste ihn auf den Menschenstrom zu, der in die Schule eilte.

Sogleich wurde Tate mit den anderen an der Seitenlinie entlanggetrieben – gemeinsam mit hysterischen Cheerleadern und panischen Eltern. Er wollte in die Umkleide, denn er musste tun, was sein Vater ihm gesagt hatte: für die Sicherheit des Teams sorgen. Doch je näher er dem Gebäude kam, umso deutlicher fühlte er es – den Drang, draußen zu bleiben, im Auge des Sturms, etwas zu tun … egal was …

Die Trichterwolke traf am anderen Ende des Feldes auf die Erde, riss die metallenen Torpfosten aus dem Boden und schleuderte sie auf den Parkplatz – gegen die Autos und Trucks, die dort abgestellt waren, und auf die hilflosen Leute, die entschieden hatten, zu ihren Fahrzeugen zu rennen anstatt in die Schule. Nun gingen die Schreie richtig los, vermengten sich mit dem Wind und dem Regen zu einer Symphonie des Grauens.

Der Tornado bewegte sich in einer bizarren Parodie des Spiels, das er zunichtegemacht hatte, in die Spielfeldmitte. Von der Seitenlinie aus beobachtete Tate, wie er auf das zweite Tor zusteuerte.

Ein roter Blitz leuchtete durch den Regen und den Wind. Einen eigenartigen Moment lang – den Tate niemals vergessen würde – konnte er das Erdbeermädchen namens Foster sehen. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und kniete neben der Schwarzen, bei der sie gesessen hatte. Die ältere Frau lag gekrümmt auf der Seite und hielt sich die Brust, während Foster versuchte, ihr aufzuhelfen.

Der Tornado hielt direkt auf sie zu, und voller Adrenalin rannte Tate los. Mit beiden Händen formte er einen Trichter vor seinem Mund und schrie: »Foster! Weg da!«

Sie blickte sich zu ihm um, und er sah die vor Schock weit aufgerissenen grünen Augen, als sie den schwarzen Wirbel anstarrte, der auf sie zuraste.

Er dachte, sie würde loslaufen. Sie sollte loslaufen.

Doch das tat sie nicht.

Selbst aus der Entfernung konnte Tate erkennen, dass sie es nicht würde. Sie würde ihre gestürzte Freundin nicht im Stich lassen.

Und er würde es nicht rechtzeitig zu ihnen schaffen, um zu helfen. Er käme zu spät.

Schlitternd blieb er stehen und wünschte, er würde dies hier träumen und nicht mit ansehen müssen, wie eine schöne Fremde in die Luft gesogen und getötet wurde.

Benommen vor Schreck schaute er zu, wie Foster sich aufrichtete. Doch anstatt wegzurennen, stand sie kerzengerade und fing an, auf den röhrenden Trichter zuzugehen. Ihre Lippen bewegten sich, aber Tate konnte nicht hören, was sie sagte, bis sie stehen blieb, die Beine ausstellte, die Hände in die Hüften stemmte und den Tornado anschrie.

»DU KOMMST NICHT HIERHER!«

Ihre Worte vibrierten in Tates Körper. Er fühlte sie bis in die Tiefen seiner Seele. Es war, als würde sich ihre Stimme in ihm bewegen, so greifbar wie der Wind und der Regen, und zugleich fühlte er die Kraft – eine pulsierende, pochende Stärke, die dem wirbelnden Malstrom vor ihnen in nichts nachstand. Ihre Worte waren wie Zügel, bändigten den Tornado, als wäre er ein sich aufbäumender Hengst. Tate konnte das sich straffende Zaumzeug spüren, und sein Geist, sein Herz wie auch seine Seele folgten ihm.

Das Mädchen hatte irgendwie einen gigantischen Pause-Knopf gedrückt. Der Tornado stoppte! Direkt dort, in der Mitte der Fünfzig-Yard-Linie, erbebte der Trichter, drehte und drehte sich, sträubte sich gegen die Zügel, bewegte sich jedoch nicht weiter.

Verwirrt starrte Tate Foster an. Sie hatte die Arme gehoben, sodass ihre Handflächen nach vorn gerichtet waren wie ein Stoppschild, das den flirrenden Trichter aus Tod und Luft in die Schranken wies. Ihr Körper begann zu zittern. Sie stolperte einen Schritt zurück, dann noch einen, bis ihre Beine gegen den gekrümmten Leib ihrer Freundin stießen. Tränen strömten ihr übers Gesicht. Ihre Augen waren weit aufgerissen und blickten ängstlich, als sie zu ihm sah.

»Hilf mir!«, sagte sie stumm, als der Tornado sich losriss.

Von einem Instinkt gesteuert, der sich fremd und vertraut zugleich anfühlte, setzte Tate sich in Bewegung. Sofort schwang er die Arme durch, während er auf das Feld zwischen Foster und dem Tornado rannte. Dort hob er die Arme, wie er es schon sein Leben lang beim Football trainiert hatte. In dieser Haltung warf Tate die neu erwachte Kraft in sich, die ihn an den Sturm gebunden hatte, geradewegs auf den Trichter zu, wobei er dasselbe Kommando nutzte wie Foster: »DU KOMMST NICHT HIERHER!«

Es folgte ein Geräusch, als würde der Blitz in einen großen Baum einschlagen, und der Tornado erzitterte, ehe er in kleinere, aber immer noch tödliche Trichter explodierte, die große Erdbrocken aufrissen und eine Schneise der Verwüstung in sämtliche Richtungen zogen, außer zu Foster, ihrer gestürzten Freundin und Tate.

Tate stand stockstarr da, fühlte seine Kraft, die den Tornado zersplitterte, unfähig, sich zu rühren, als eine der neuen Trichterwolken – die er irgendwie geschaffen hatte – von ihm weg und entlang der Seitenlinie rauschte, wo sie durch die Leute fetzte, die von den zur Todesfalle gewordenen Tribünen zu fliehen versuchten.

Und dann beobachtete Tate, wie es geschah. Er sah ihr Disney-Prinzessinnen-Haar im Schlund des Trichters verschwinden, sah, wie seinem Vater die Coach-Jacke im selben Augenblick vom Leib gerissen wurde, in dem ihm seine Frau aus den Armen gerissen wurde – und der Tornado verschlang Tates Eltern.

3

FOSTER

Ganz kurz erschien die Sonne, streckte ihre langen goldenen Finger durch die weißen Plusterwolken. Wie zum Hohn streichelte das Licht Coras rußschwarze Wangen, schien heller zu werden, als ihre Atmung angestrengter wurde und der Glanz ihrer Augen abstumpfte. Foster kniete neben Cora, wischte ihr Regen und Schlamm vom Gesicht.

»Cora, was ist? Wo bist du verletzt?«

Schwach griff Cora nach Fosters Hand und zog sie näher zu sich.

»Hör mir gut zu, Baby Girl.« Ihre zittrige Stimme war bei dem Heulen des Windes und den Schreien der Leute kaum zu hören.

»Foster! Wir müssen von diesem Feld weg!«, unterbrach Tate sie.

Foster blickte sich nicht einmal richtig zu ihm um. »Nein. Nicht ohne Cora.« Dann wandte sie sich erneut der Frau zu, die ihr die letzten fünf Jahre Mutter, Vater und beste Freundin gewesen war. »Wo bist du verletzt?«, wiederholte sie.

Erstaunlich fest drückte Cora ihre Hand. »Es ist mein Herz, Kind. Du kannst nichts tun.«

»Doch, kann ich wohl! Komm schon, Cora. Ich bringe dich ins Krankenhaus.« Foster schob einen Arm unter Coras Achseln. »Wir schaffen es bis da.«

»Nein, nicht, Kind. Dafür ist es zu spät. Jetzt hör mir zu, und hör gut zu.« Coras kalte Hand drückte die von Foster. »Sie ist hier.«

»Sie? Cora, du fantasierst. Es sind ein Haufen irre Tornados. Wir müssen weg. Du brauchst einen Arzt.«

»Nein. Hör mir zu!«

Foster starrte ihre Adoptivmutter an, denn sie kannte diesen Ton nur zu gut. Sie macht keinen Spaß. Es ist ihr vollkommen ernst. O Gott, was passiert mit ihr? Mit uns?

»Ist ja gut, ich höre zu.«

»Foster! Wir müssen weg.«

Ruckartig wandte Foster den Kopf. Tate hatte sich sein Trikot heruntergerissen und die Schulterpolster wie auch seinen Helm beiseitegeworfen. Offenbar machte er sich bereit loszurennen. Foster wurde wütend. »Dann geh! Keiner zwingt dich zu bleiben!« Sie drehte sich wieder zu Cora um. »Sag.«

»Die Tornados sind kein Zufall. Ich weiß nicht, wie sie die hier macht, aber die sind kein Zufall

»Wer, sie?«

»Eve.«

Foster stockte der Atem. »Eve? Wie in Eve von Doktor Ricks Viererkern?«

Cora nickte schwach. »Ich habe sie gesehen. Falls die anderen – Matthew, Mark und Luke – auch hier sind, bist du in großer Gefahr. Du und dieser Junge.« Cora blickte zu Tate, der eine frische Rille in den Boden lief, weil er nervös auf und ab ging.

»Tate? Das ergibt keinen Sinn.« Der Puls, den Foster in ihren Ohren hämmern hörte, schien einen Schlag auszusetzen. »Wollen sie uns umbringen? So wie Doktor Rick?«

»Kind …« Cora stockte, rang nach Luft und verzog das Gesicht vor Schmerz.

»Komm schon! Wir hauen hier …«, begann Foster, doch Coras Hand umklammerte ihre auf einmal wie eine Schraubzwinge, sodass sie sich nicht bewegen konnte.

»Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Bitte, du musst mir zuhören. Sie stecken da alle gemeinsam drin. Dein Vater ist nicht tot. Er ist …« Vor Schmerz keuchte Cora. »Er ist in Schwierigkeiten. Ich weiß nicht, ob er wahnsinnig geworden ist oder sie etwas gegen ihn in der Hand haben. Ich weiß nur, dass er lebt.«

Der Schock machte sich als Erstes dadurch bemerkbar, dass sich Fosters Magen zusammenkrampfte, bis sie glaubte, sich übergeben zu müssen. Sie drängte dieses Gefühl zurück, ebenso wie den Kloß in ihrem Hals, und schluckte mehrmals, um ihre Verzweiflung in den Griff zu bekommen. »N…nicht tot?«

»Nein. Und nicht vertrauenswürdig. Er ist nicht der Mann, den wir gekannt haben.«

»Ich verstehe das nicht, Cora.« Verzweifelt grub Foster die Fingernägel in ihre Handfläche, um nicht loszuheulen.

»Baby Girl, es gibt Dinge über dich, die du nicht weißt.«

»Meinen Jedi-Gedankentrick?«

»Mehr … mehr. Du bist verbunden. Du und dieser Junge. Und andere. I…ich glaube, dein Vater und der Viererkern sind hier, weil sie es auf euch abgesehen haben. Auf dich und Tate. Sie dürfen euch nicht kriegen, Foster. Ihr könnt nicht zur Polizei. Ihr müsst weg. Sofort.«

»Keine Ahnung, wovon du redest, aber ohne dich gehe ich nirgends hin.« Heiße Tränen rannen Foster über die Wangen.

»Du musst. Dein Leben hängt davon ab. So wie seins – und andere. Baby Girl, ich bin schon seit einem Jahr dabei, zu sterben. Es kann nichts getan werden, aber ich finde keine Ruhe, solange du mir nicht versprichst, dass du Tate hier weg- und euch in Sicherheit bringst.«

Mit dem Handrücken wischte Foster sich über die Augen. »Wo sollen wir denn hin?«

»Nach Sauvie Island, vor Portland. Du weißt, wo das ist, nicht?«

Benommen nickte Foster, während Cora versuchte, sich die Tasche von der Schulter zu ziehen. Foster bückte sich und half ihr, dann drückte Cora ihr zitternd die Ledertasche in die Arme.

»Gut. Braves Mädchen. Nimm die.« Cora rang nach Atem, brachte mit letzter Kraft hervor: »Die Adresse ist in meiner Tasche. Genauso wie der Code für das Tor und die Haustür. Und da ist ein Brief für dich. Er wird den Rest erklären, aber vergeude keine Zeit damit, ihn zu lesen, bis ihr auf Sauvie seid. Alle Dateien sind dort. Ihr müsst los. Fahrt zu der Adresse. Sofort. Nimm Tate und verschwinde von hier. Schnell. Du weißt, wie du dich bedeckt hältst. Euer Leben hängt davon ab. Geht.«

Foster schluchzte so heftig, dass ihre Worte stockend und gequält klangen. »Nicht ohne dich! Ich kann nicht ohne dich gehen!«

Cora legte eine zitternde Hand an Fosters Wange. »Ich hatte mir mehr Zeit gewünscht.« Gequält verzog sie das Gesicht, und ihr Teint nahm einen beängstigenden Grauton an. »Wenigstens konnte ich dir helfen«, sagte sie atemlos. »Dir helfen, den Ersten zu finden.« Angestrengt atmete sie ein und blickte über Fosters Schulter. »Bring sie jetzt weg, Junge. Ich vertraue darauf, dass du sie beschützt.«

Foster blickte sich nicht um, fühlte jedoch Tate hinter sich. Nun richtete sich Coras wässriger Blick wieder auf Fosters Gesicht. »Ich liebe dich, mein kleines Erdbeer-Baby-Girl. Habe ich immer. Von dem Moment an, als ich dich zum ersten Mal sah. Und werde ich immer.«

»Ich lieb dich auch!«

»Versprich mir, dass du tust, was ich dir gesagt habe: Sauvie – der Brief – der Junge.« Cora rang zwischen den Worten nach Atem, und ihre Stimme bebte vor Anstrengung.

»Versprochen, Cora! Ich verspreche es!«

»Danke, Baby Girl. Jetzt kann ich endlich ruhen.«

Coras Atmung setzte aus, und ihre vertrauten braunen Augen wurden größer, als würde sie von etwas Beachtlichem, wundervoll Fantastischem überrascht. Dann glitt ihre Hand von Fosters Wange, und sie atmete ein letztes Mal aus.

Fosters Herz pochte so schnell und so unerträglich laut, dass sie das Gefühl hatte, nur noch aus einem wunden, blutenden Herzen mitten auf einem Footballfeld zu bestehen.

»Cora!«, schrie sie. »Cora!«

Starke Hände packten Fosters Schultern, hoben sie hoch und zogen sie weg von Coras reglosem Körper. Foster wehrte sich – trat und kreischte, er solle sie loslassen –, doch es war wie ein Kampf gegen eine Betonmauer.

»Hey, hör auf!«, rief Tate, der sie halb vom Footballfeld trug, halb zog.

»Nimm die Finger von mir! Lass mich los!«

»Nein! Sie ist tot, Foster. Und sie hat gemeint, dass ich auf dich aufpassen soll. Ich tue, was sie mir gesagt hat.«

Foster war, als wäre ihr Körper auf einmal geschmolzen wie Eis auf heißem Asphalt, das sich verflüssigte, bis nur noch ein dunkler Fleck blieb – ein Schatten dessen, was es einmal gewesen war. Doch sie wusste, dass Tate recht hatte. Tief in ihrem Herzen wusste sie, dass Cora tot war. Sie blickte zurück zum gekrümmten Leib ihrer Adoptivmutter, als sie sich von dem Footballspieler fort von dem Feld und der einzigen Familie bringen ließ, die sie noch hatte.

Und sie wollte aufgeben. Sie müsste nichts weiter tun, als sich von diesem Jungen loszureißen und wegzulaufen. Überall um sie herum schrien und rannten Leute. In diesem Chaos würde er sie nicht finden. Foster schaute sich aufmerksam in der hysterischen Menge um und berechnete den günstigsten Zeitpunkt, um wegzukommen und zu Cora zurückzulaufen.

Und da sah sie sie.

Eve.

Am anderen Ende der eingestürzten Tribünen eilte sie vom Feld. Ihr Kopf bewegte sich von links nach rechts, von rechts nach links, als würde sie jemanden suchen. Suchte sie nach ihnen?

Der Regen hatte wieder eingesetzt und verschleierte Foster die Sicht, doch es bestand kein Zweifel, dass es Eve war. Foster würde sie jederzeit und überall erkennen, obwohl sie Eve zuletzt gesehen hatte, als sie zwölf war. Die Frau mit der schwarzen Samthaut, dem kurz geschorenen Haar und den gewaltigen Creolen, die sie stets trug, war unvergesslich. Sie war winzig – knapp über einen Meter fünfzig –, dennoch schien sie Fosters Blickfeld auszufüllen, als sie die panischen Menschen um sich herum mit kalten, ausdruckslosen Augen musterte.

Foster wusste, dass Cora recht gehabt hatte. Im Sterben hatte Cora sie vor Eve gewarnt. Wenn ich zulasse, dass Eve mich bekommt – uns bekommt –, ist Cora vergebens gestorben.

Foster stemmte die Fersen in den Boden, sodass Tate das Gleichgewicht verlor und rückwärts stolperte.

»Nicht da lang. Wir müssen zum Parkplatz, das Auto finden«, brüllte Foster ihm zu.

Tate nickte. »Da rüber!«

Sie rannten, wichen Schuttbrocken und gestürzten Leuten aus. Foster sah sie nicht an, weigerte sich, darüber nachzudenken, wie verletzt die Menschen sein oder wie stark sie bluten mochten.

Der Regen legte wieder zu, und Foster neigte den Kopf zum Schutz vor den peitschenden Tropfen, während sie Tate folgte. Gemeinsam bogen sie um eine Ecke, weg vom Spielfeld, und als sie stolpernd stehen blieb und das Horrorszenario vor sich sah, gaben beinahe Fosters Knie unter ihr nach. Die Hälfte des Parkplatzes war weg, nur noch frisch umgepflügte dunkelbraune Erde. Die andere Hälfte war ein Kriegsgebiet aus verdrehten Wagen, Tribünenteilen und Leichen. So vielen Leichen.

Jetzt nicht. Denk jetzt nicht über sie nach.

Entschlossen schob Foster den Riemen von Coras Tasche höher auf die Schultern und stürmte auf einen Teil des Parkplatzes zu, der relativ intakt schien. »Wir müssen einen Wagen finden. Bist du hergefahren?«, rief sie. Blinzelnd sah sie zu den wenigen Autos, die der Tornado ausgelassen hatte. »Bist du hergefahren?«, wiederholte sie und drehte sich genervt um, als Tate immer noch nicht antwortete.

Er stand zwanzig Schritt entfernt und hatte die Augen weit aufgerissen.

»Tate!« Fosters Schuhe schmatzten im Schlamm, als sie auf ihn zuging. »Wir müssen weg.«

»M…m…mom?« Sein Kinn bebte, und Foster konnte nicht erkennen, ob das auf seinem Gesicht Tränen waren oder Regenwasser. »Mom!« Er sprintete los.

Foster umklammerte die Ledertasche, während sie ihm nachlief. »Tate!«, schrie sie und griff nach seinem Ellbogen. »Stopp!«

»Lass los!«, stieß Tate zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und entwand sich ihr. »Meine Eltern brauchen Hilfe!«

Sofort blickte Foster in die Richtung, in die sein Arm zeigte. Ineinander verkeiltes Metall formte eine makabre Skulptur. Langes blondes Haar quoll zwischen zwei Autos hervor. Das eine war mit solcher Wucht auf das andere geknallt, dass unmöglich auszumachen war, wo eines aufhörte und das andere anfing. Als ihr Blick auf steife, kräftige Finger fiel, gebrochen und seltsam verdreht, verkrampfte sich Fosters Magen.

»Dad!« Tate stürmte weiter, und der Wind drehte, sodass sich das Dornröschenhaar in der krummen Hand verfing.

»Nicht.« Erneut packte Foster Tates Arm, fester diesmal, um zum einen zu verhindern, dass er auf diesen gruseligen Friedhof zulief, und zum anderen, um sich aufrecht zu halten. »Sie sind tot. Genau wie meine Cora. Tot.« Foster schirmte die Augen ab, als eine Windböe kleine Kieselsteine wie Schrotkugeln auf sie zutrieb.

Tate rannte weiter.

»Nicht!«, rief Foster und stürzte ihm nach. »Tate, du kannst ihnen nicht mehr helfen!«

Hitze traf auf Fosters Gesicht, als sie von einem markerschütternden Krachen umgeworfen wurde. Schreie hallten um sie herum, und der Boden schien zu kippen und zu beben. Mühsam rappelte Foster sich aus dem Schlamm auf und rang nach Luft. Sie blinzelte wegen der Flammen, die aus dem Haufen von verworrenem Metall und Körpern aufzüngelten, und suchte nach Tates weißem Trikot.

Er lag auf dem Rücken, Holz- und Metallteile bedeckten seine Beine. Foster kniete sich neben ihn, wobei ihre nackten Knie im Schlamm einsanken, griff nach seinen Schultern und schüttelte ihn. »Tate!«, schrie sie über das Klingeln in ihren Ohren hinweg. »Du musst aufstehen! Wir müssen weg!«

Seine Lider hoben sich flatternd. »W…was ist passiert?«

»Komm jetzt!« Foster zog ihn hoch, legte seinen Arm über ihre Schultern und führte ihn fort von dem Feuer, von der letzten Ruhestätte seiner toten Eltern und zu der letzten Reihe unbeschädigter Autos auf dem Parkplatz.

»Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte«, flüsterte sie, lehnte Tate seitlich an einen Pick-up und zog am Türhebel. »Oh, Gott sei Dank«, sagte sie und atmete aus. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie die Luft angehalten hatte. »Steig ein.« Wieder stützte Foster Tate und half ihm in den grellroten Pick-up.

Während sie um die Kühlerhaube lief, wühlte sie blind nach dem dicken Schlüsselbund in Coras Tasche. Foster zerrte die Fahrertür auf, bevor sie den dicksten, stabilsten Schlüssel auswählte und ihn mit der Spitze in die Naht an der Plastikabdeckung um die Lenksäule rammte.

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