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Friends & Horses – Pferdemädchen küssen besser

hier erhältlich:

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Sommer, Pferde und die erste Liebe

Rosas Sommer ist perfekt! Lange Ausritte zusammen mit ihrer Cousine Gitti, ein Schnellkurs im Islandpferdereiten und viele schöne Stunden mit den geliebten Pferden – was könnte es Besseres geben? Als Gitti sich bei einem Ausritt verletzt, springt Rosa sogar beim Passrennen ein. Nur dass ihr bester Freund Daniel mit ihrer Freundin Ollie zusammen ist, macht ihr noch immer zu schaffen. Und dann ist da noch Finn, der ihr weiter im Kopf herumspukt. Finn, mit dem sie ihren ersten Kuss erlebt hat …

Chantal Schreiber erzählt einfühlsam von besten Freundinnen und erster Liebe!

Das ideale Lesefutter für Pferdemädchen – nicht nur im Sommer!


  • Erscheinungstag: 28.12.2020
  • Aus der Serie: Friends & Horses
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 224
  • Altersempfehlung: 10
  • Format: Klappenbroschur
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505143809

Leseprobe

Chantal Schreiber

Friends &
Horses

Pferdemädchen küssen besser

Für Hannah, FD & SMMPaginavignette_highres.jpg

1. Goodbye & Hello

„Fanny bekommt nur einen halben Becher Müsli, auch wenn sie dich ansieht, als wäre sie am Verhungern! Der Trick ist, auf den dicken Bauch zu schauen statt in die großen traurigen Bambi-Augen.“

„Rosa. Ich kenn Fanny doch.“

„Und Sokrates“, fahre ich fort, Daisys Einwurf ignorierend, „hat eine kleine Verletzung über dem Auge, da, siehst du?“

„Die hast du mir doch gestern schon gezeigt! Ich werde zweimal täglich Jodsalbe drauftun. Wie ausgemacht.

Daisys Blick ist halb mitleidig, halb amüsiert, aber ich rede trotzdem weiter. Ich bin nervös, verdammt nervös, und zwar nicht nur, weil ich meine Babys zurücklassen muss. Obwohl das die ganze Sache natürlich nicht leichter macht. Nur vier Autostunden trennen mich von einer Großmutter, die ich noch nie gesehen habe, und einer Cousine, die ich bisher nur von ein paar Skype-Dates und den Erzählungen meiner Freundin Iris kenne. Die beiden haben sich im Stall kennengelernt. In dem neuen Stall, in dem Ginger, Iris’ Fjordstute, jetzt steht, seit Iris mit ihrer Familie aus dem Grillental weggezogen ist. In dieselbe Straße, in der auch eine gewisse Ulrike Hainbach wohnt, deren Namen ich zum ersten Mal auf einem Zettel im Zimmer meiner Mutter gelesen habe. Ich weiß bis heute nicht genau, warum ich das zerknüllte Stück Papier geglättet und behalten habe. Es war nur so ein Gefühl. Meine Mutter ist mir gegenüber immer in allem offen gewesen – was die Krankheit meiner Urgroßmutter anging, ihr angespanntes Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter, meiner Nonna, oder unsere oft nicht minder angespannte finanzielle Situation. Nur über eine Kleinigkeit hat sie mich nicht aufgeklärt: die Identität meines Vaters. Zugegeben, lange Zeit hab ich gar nicht gefragt, denn ich war völlig zufrieden mit meinem Leben, so wie es war: mit Mom, meiner Urgroßmutter „Uma“, meinen Pferden (leider sind es nicht wirklich meine, sie gehören dem Hotel, in dem Mom arbeitet), mit meinem besten Freund Daniel und meinen Freundinnen Iris und Daisy. Und mit meiner Tante Anita, Moms jüngerer Schwester. Alles war schön so, wie es war. Nichts hat mir gefehlt, oder zumindest ist es mir nicht aufgefallen.

Aber dann hat sich Stück für Stück alles verändert. Uma ist krank geworden und brauchte schließlich rund um die Uhr Pflege. Ich besuche sie oft, aber seit sie nicht mehr bei uns wohnt, fehlt ein großes Stück in meinem Leben.

Anita hat sich in einen Koch verliebt und ist mit ihm nach Südfrankreich gegangen.

Dann hat auch noch Iris angekündigt, dass sie wegziehen wird. Und Daniel? Eines Tages war er für mich nicht mehr der Junge, mit dem ich schon im Sandkasten gespielt habe, sondern der Junge mit dem niedlichen Lächeln, der sich auf unnachahmliche Weise durch die Haare fuhr, wenn er verlegen war. Der Junge, der mein Herz dazu brachte, schneller zu schlagen. Und da gab es einen Moment zwischen uns, da fühlte es sich an, als wäre ich auch plötzlich eine andere Rosa für ihn als all die Jahre zuvor. Doch bevor wir uns so richtig darüber klar werden konnten, was sich zwischen uns verändert hatte, tauchte Ollie auf. Ich habe mir alle Mühe gegeben, Ollie deswegen zu hassen, aber Ollie … ist eben Ollie.

In diesem Moment kommt sie vom Hotel zu uns gelaufen, und neben ihr hüpft McCartney, ihr Chihuahua, über die Wiese. Ollies Lockenmähne schwappt bei jedem Schritt wie eine dunkelgoldblonde Woge, der starke Wind, der schon seit dem Morgen weht, bläst ein paar Strähnen quer über ihr Gesicht, aber sie macht sich nicht die Mühe, sie wegzustreichen. Ihre Augen strahlen, und sie lächelt. Es ist leicht nachvollziehbar, dass Daniel ihr nicht widerstehen konnte. Ich konnte es ja letztlich auch nicht, weniger wegen der Locken und der Augen, sondern weil sie auch noch fröhlich, offen, hilfsbereit und loyal ist.

„Rosa“, ruft sie atemlos, als sie in Hörweite ist. „Gott sei Dank! Ich hab schon Angst gehabt, ich verpass dich!“ Sie rennt mich beinahe um, als sie mich umarmt, und drückt mich so fest, dass ich nach Luft schnappe. Nun bläst mir der Wind ihre Locken ins Gesicht.

„Ich werde dich so vermissen! Komm ja nicht auf die Idee, bei Iris zu bleiben!“

Wie schon gesagt: Es ist echt schwierig, Ollie nicht gernzuhaben.

Aber egal, wie ich nun zu Ollie stehe, auf einmal war in meinem Leben alles in Aufruhr. Und dann hat mich der Gedanke an meinen Vater nicht mehr losgelassen. Also habe ich nachgeforscht und bin drangeblieben – und mit Iris’ Hilfe habe ich Puzzlestück um Puzzlestück zusammengefügt, bis sich ein Bild ergab.

Meinen Vater habe ich zwar nicht gefunden, aber genug Hinweise, um meine Mutter dazu zu bringen, endlich mit der ganzen Wahrheit herauszurücken. Es war eine verdammt traurige Wahrheit, aber seit ich sie kenne, fühle ich mich irgendwie vollständiger.

„Rosa ist so nervös, dass sie sich nicht mal dagegen wehrt, von dir erdrückt zu werden!“, sagt Daisy und löst mit sanfter Gewalt Ollies Arme von mir.

Meine Freundin Daisy weiß wahrscheinlich ziemlich genau, was in mir vorgeht. Ihr Einfühlungsvermögen ist so extrem, dass sie manchmal haargenau das ausspricht, was ich gerade denke. Und sie kann das nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. Daisy findet entlaufene Hunde und bringt verängstigte Pferde dazu, völlig ruhig in einen Hänger zu steigen. Manchmal denke ich, sie ist eine Mischung aus einer weisen alten Frau und einem verunsicherten kleinen Mädchen. Mit ihren glatten, fast hüftlangen hellblonden Haaren, den blauen Augen und der zarten Figur erinnert sie mich an eine Elfe.

„Schaffst du das wirklich, dich um beide zu kümmern?“, frage ich Daisy zweifelnd. „Vor allem Sokrates braucht viel Aufmerksamkeit, immer wenn ihn einer der Hotelgäste geritten hat –“

„Ich weiß, Rosa“, sagt Daisy in dem geduldig-nachsichtigen Tonfall, den sie normalerweise ihren beiden kleinen Schwestern gegenüber draufhat. „Du hast mir die Dehnungsübungen gezeigt, die Dosierung für das Futter der beiden, ich weiß, welche Gelenke bei Fanny dazu neigen, bei Überanstrengung anzuschwellen, und wo der Reitplan hängt. Fanny und Sokrates sind bei mir gut aufgehoben.“

„Und ich bin ja schließlich auch noch da“, fügt Ollie leicht gekränkt hinzu.

„Das ist lieb von dir, Ollie, aber Daisy kennt die beiden einfach viel besser und –“

„… und ich bin bloß eine dahergelaufene Mexikanerin?“, unterbricht mich Ollie und zieht die Mundwinkel nach unten. „Ich dachte, ich wäre jetzt gleichberechtigt im Blumen-Club?“

Tatsächlich ist Ollie mittlerweile ein vollwertiges Mitglied unserer Clique: Ihr voller Name ist Violeta, Veilchen, und sie hat die Aufnahme mehr als verdient. Nachdem wir all die Jahre drei Blumen-Mädchen waren – Daisy, Iris und ich –, haben wir innerhalb von nur wenigen Wochen plötzlich zwei Mitglieder dazugewonnen. Nach Ollie ist meine Cousine Gitti – Marguerite – der letzte Neuzugang. Nicht, dass es reicht, einen „Blumen-Namen“ zu haben, um eine von uns zu sein – eher passiert es umgekehrt: Plötzlich taucht ein Mädchen auf, das zu uns passt, und dann stellt sich heraus, dass sie auch noch den passenden Namen hat. Das Universum hat eben Sinn für Humor, auch wenn es schon Momente gab, in denen ich das angezweifelt habe.

„Ollie“, sage ich mit einem Seufzer. „Das haben wir doch schon durch … Daisy hat mir schon so oft geholfen, und Max kennt sie seit Jahren. Er ist beruhigt, wenn sie das übernimmt.“

„Pfff “, macht Ollie.

„Zumindest offiziell“, wirft Daisy ein. „Inoffiziell mache ich die Stallarbeit natürlich lieber mit dir gemeinsam. Ausmisten heute Abend um sieben?“

„Heute Abend kommen Bekannte aus Mexiko, die auf Europareise sind. Ich muss um acht zum Essen im Hotel sein.“

„Dann morgen früh um sechs Uhr dreißig?“

„Sechs Uhr dreißig“, wiederholt Ollie mit großen Augen. „Ernsthaft jetzt?“

Daisy und ich lachen. Ollie ist eine passionierte Langschläferin. Für sie existiert die Welt in den Ferien nicht vor zehn Uhr. Wenn wir früh am Morgen ausreiten wollen, um die größte Hitze zu vermeiden, muss sie sich drei Wecker stellen, damit sie nicht verschläft.

Jetzt sieht sie uns von unten herauf an und meint gutmütig: „Schon gut, ihr habt mich erwischt. Aber abends kann ich dir wirklich helfen, Daisy! Normalerweise hab ich abends nie was vor.“

„Und was ist mit Daniel?“, frage ich grinsend und bin stolz auf mich, weil es mir nicht mehr unangenehm ist, Ollie gegenüber das Gespräch auf ihn zu bringen.

Sie verzieht ihr Gesicht ein wenig, als hätte ich einen wunden Punkt getroffen. „Das wüsste ich auch gern, was mit Daniel ist“, antwortet sie schmollend. „Er ist ständig nur mit seinen Fotos beschäftigt oder sieht sich denselben Film fünfmal hintereinander an. Er kümmert sich viel zu wenig um mich.“

Wieder müssen Daisy und ich lachen. Über unsere mexikanische Prinzessin, die zu wenig Aufmerksamkeit von ihrem Kavalier bekommt. So was ist sie nicht gewohnt. Für ihren Vater ist sie die absolute Nummer eins – und das war sie wohl auch immer für andere Jungs, mit denen sie zusammen war. Wir haben nie darüber gesprochen, aber ich bin ziemlich sicher, dass Ollie ein bisschen mehr Boyfriend-Erfahrung mitbringt als Daisy oder ich.

„Hör schon auf“, sage ich zu ihr. „Daniel ist total verknallt in dich, und das weißt du auch.“ Und ich weiß es auch, und mittlerweile kann ich darüber reden, ohne dass es sich anfühlt, als würde sich ein spitzer Gegenstand in mein Herz bohren.

Dazu hat Finn wohl einiges beigetragen. Wo er jetzt wohl ist? Ich habe mir selbst verboten, ständig sein Facebook und Instagram zu checken. Ich weiß nicht einmal seinen Nachnamen oder wo er wohnt, aber das ist mir erst aufgefallen, als er schon lange wieder weg war. Vor allem aber habe ich zum ersten Mal meinen Mädels etwas Wichtiges nicht erzählt. Vielleicht ist es albern, aber es gefällt mir, dieses kleine Geheimnis zu haben, das ich hübsch verpackt in einer sicheren Ecke meines Gedächtnisses aufbewahre. Nur Daisy ahnt etwas, aber Daisy … ist eben Daisy.

„Einen Penny für deine Gedanken!“, sagt sie gerade zu mir. Ich ordne meinen – vermutlich Finn-verklärten – Gesichtsausdruck und gebe so glaubwürdig wie möglich zurück: „Ich habe nur überlegt, ob ich dir auch wirklich alles gesagt habe, was du wissen musst.“

Ollie checkt ihr Handy und murmelt: „Er hat immer noch nicht geantwortet!“

„Daniel?“ Ich muss lachen. „Weil er nicht so kommunikationssüchtig ist wie du! Wann hast du ihm geschrieben?“

„Vor zwanzig Minuten“, erklärt Ollie. „So langsam tippt doch kein Mensch! Und ich kann doch sehen, dass er online war!“

„Er gehört eben nicht zu den Leuten, die sich von ihrem Handy versklaven lassen!“, verteidige ich Daniel.

„Wozu hat er dann eines?“, knurrt Ollie. „Wahrscheinlich kriege ich schneller eine Antwort, wenn ich ihm eine Brieftaube schicke!“

„Guter Plan!“, meint Daisy und lacht auch. „Damit hättest du seine Aufmerksamkeit bestimmt!“

„Allerdings würde er von der Taube wahrscheinlich eine Fotoserie schießen und anschließend die Fotos sichten und bearbeiten –“

„Ja, ja, schon gut“, unterbricht Ollie und versucht vergeblich, nicht zu grinsen. „Ich hab’s kapiert! Keine Brieftaube. Vielleicht ein Stein durchs Fenster mit einem Zettel drum, auf dem steht: Übrigens, du hast eine Freundin!

Sie will ihr Handy gerade wieder einstecken, aber ich greife rasch danach. „Oh, Shit! Schon so spät! Ich muss los!“

Ich schwinge mich unter dem Zaun durch, laufe auf die Koppel und gebe Sokrates und Fanny noch ein Leckerli. Sokrates stupst mich an, als wollte er sagen: „Und, was machen wir heute?“

Ich schlinge meine Arme um seinen von der Morgensonne warmen Hals und atme noch einmal diesen unwiderstehlichen Pferdeduft ein. Wenn der Wind noch ein wenig nachlässt, wird das heute perfektes Reitwetter. Und wenn nicht, dann könnte man die Waldroute nehmen, die ist windgeschützt …

Plötzlich ist Daisy hinter mir und nimmt meinen Arm. „Du wolltest dich beeilen“, sagt sie sanft. „Ich kümmere mich gut um die beiden, das weißt du.“

„Klar.“ Ich hole tief Luft und wische unauffällig mit der Hand über meine Augen. „Du bist die Beste, Daisy.“

„Ganz ohne Zweifel“, antwortet sie, und ich muss lachen.

„Und dein Job beginnt auch ganz sicher noch nicht in den nächsten zwei Wochen?“

Daisy seufzt. „Zum zweihundertsten Mal: frühestens Ende August. Und außerdem ist es noch nicht mal fix, dass ich ihn kriege.“

Daisys Schwester Alana arbeitet erfolgreich als Model. Ihr Agent hat ein Foto von Daisy gesehen und sie für eine Kampagne vorgeschlagen, für die ein sehr junges, natürliches Mädchen gesucht wurde. Mittlerweile wissen wir, dass es um Shampoo geht, und natürlich ist Daisy mit ihrem süßen Gesicht und dem seidigen hellblonden Haarvorhang absolut perfekt dafür. Nicht, dass sie Interesse an einer Modelkarriere hätte. Aber mit dieser einen Kampagne könnte sie die Kosten für ihr Pferd Pippin auf Jahre hinaus decken. Ihre Künstler-Eltern haben kein fixes Einkommen, da wäre das natürlich eine große Beruhigung.

„Natürlich kriegst du ihn“, sage ich und drücke ihre Hand. Ich werfe einen Blick zu Ollie, die gerade über den Zaun hinweg mit ihrer bildhübschen Criollo-Stute Chispa schmust. „Und wenn du Hilfe brauchst, dann spann wirklich unsere Miss Mexico ein! Sie kann ruhig mal vor dem Mittagessen aufstehen!“

„Mach ich!“, sagt Daisy und lacht. „Dann hat sie auch weniger Zeit, Daniel zu stressen!“

Ich werfe einen Blick auf mein Handy. „Mom erwürgt mich, wenn ich sie noch länger warten lasse!“

Als wir Minuten später die Rezeption des Hotels stürmen, stellt sich heraus, dass meine Sorge unbegründet war.

„Ich bin jederzeit erreichbar, falls es Probleme gibt!“, erklärt meine Mutter gerade Astrid an der Rezeption.

„Ida, Sie haben Urlaub!“, widerspricht Astrid, sichtlich kurz davor, sich entnervt die Haare zu raufen. „Ich rufe Sie nur in absoluten Notfällen an!“

„Und Sie kommen auch bestimmt zurecht?“, fragt meine Mutter zweifelnd. „Nächste Woche erwarten wir diese Journalistin, die uns als Romantikhotel empfehlen will, das vergessen Sie doch nicht, oder?“

„Sie haben es mir dreimal gesagt, zwei Memos auf meinem Schreibtisch deponiert und mir genau aufgeschrieben, was ich der Frau sagen und zeigen soll.“

„Oh“, antwortet meine Mom zerstreut. „Dann war ich ja gründlich.“

„Iris würde sagen: ‚Ich entdecke eine gewisse Familienähnlichkeit“, flüstert Daisy.

„Ja“, stimmt Ollie mit einem kleinen Grinsen zu. „Ihr beide seid die beste Werbung für dieses Tal. Man muss euch mit Gewalt dazu bringen, es zu verlassen!“

„Das ist genetisch verankertes Pflichtbewusstsein!“, erkläre ich würdevoll.

„Ich glaube, das Wort, das du suchst, heißt Kontrollzwang!“, meint Daisy. „Andere Leute gehen mit so was zum Therapeuten!“

„Sagte Daisy, die Angst davor hat, ihre kleinen Geschwister den eigenen Eltern zu überlassen, weil die bestimmt alles falsch machen.“

„Das ist etwas ganz anderes!“, protestiert Daisy.

Meine Mutter erinnert ihr Team gerade daran, dass die Termine der Müllabfuhr sich geändert haben, und Astrid wendet sich hilfesuchend mir zu.

„Vielleicht sind wir ja ohnehin in ein paar Tagen wieder da, Mom!“, reagiere ich prompt.

Meine Mutter hat der neuen Familie gegenüber behauptet, dass sie vermutlich nicht länger als ein paar Tage vom Hotel wegbleiben kann. Eine Sicherheitslüge hat sie das genannt und gemeint: „So was darf man.“ Dieser kleine Bruch mit der Wahrheit gibt uns nämlich die Möglichkeit, jederzeit die Flucht zu ergreifen.

„Wir wollten doch um neun fahren!“, füge ich leicht quengelig hinzu und ernte dafür einen dankbaren Blick von Astrid.

„Du hast recht!“, sagt meine Mutter. „Wir sollten jetzt wirklich los.“

Minuten später sitzen wir endlich im Auto, und ich winke durch das geöffnete Fenster, bis Ollie (wehende honigblonde Locken) und Daisy (wehender hellblonder Vorhang) nicht mehr zu sehen sind.

„Ich bin nicht sicher, ob das Grillental schon so weit ist, ohne uns auszukommen“, meint Mom.

„Ich auch nicht“, antworte ich mit einem Seufzer. „Aber ich fürchte, wir müssen es drauf ankommen lassen.“

Ein paar Minuten lang sitzen wir schweigend nebeneinander. Ich muss an Uma denken und daran, wie froh ich bin, dass Daniel und seine Mutter versprochen haben, sie während unserer Abwesenheit zu besuchen. Und ich denke an Iris. Es ist keine zwei Monate her, dass sie mit ihrer Familie weggezogen ist, und wir kennen uns seit dem Kindergarten, aber trotzdem bin ich auch ihretwegen nervös: Hat ihr neues Leben sie schon verändert? Wird es zwischen uns genauso sein wie immer? Und Gitti – meine Cousine und Iris’ neue beste Freundin –, wie wird das laufen mit uns dreien? Meine Großmutter – Ulrike Hainbach –, wie wird sie sich mir gegenüber verhalten? Sie hat zwei Enkel, die sie von Geburt an kennt, und nun tauche plötzlich ich auf – fast vierzehn, und das Einzige was uns verbindet, ist ein bisschen Genetik. Werde ich sie an ihren Sohn erinnern? Ich kann selbst erkennen, dass ich Ähnlichkeit mit ihm habe. Wird das nicht alte Wunden bei ihr aufreißen? Und dann fällt mir jemand ein, der mit dem ganzen Kuddelmuddel nicht direkt zu tun hat, aber doch irgendwie Teil davon ist.

„Hast du Nonna angerufen?“

Meine Mutter seufzt, und ihr Mund kriegt diesen Ausdruck, den er immer hat, wenn es um etwas Unerfreuliches geht.

„Nein“, antwortet sie. „Ich wollte erst mal sehen, wie es läuft. Wenn wir in drei Tagen fluchtartig die Stadt wieder verlassen, will ich mich nicht auch noch mit deiner Nonna auseinandersetzen müssen.“

„Heißt das …“ Ich zögere. „… du hast ihr noch nichts gesagt? Von … von all dem?“

Mom hat nur zwei Menschen erzählt, wer mein Vater ist, und diese zwei haben all die Jahre dichtgehalten: meine Urgroßmutter und Matthias, Moms Jugendfreund, der wohl auch ziemlich in sie verliebt war – und vielleicht immer noch ist.

Aber das Verhältnis zwischen meiner Mutter und meiner Nonna war immer schon schwierig und hat sich nicht gebessert, als meine Mutter mit neunzehn darauf bestanden hat, ein Baby zu bekommen.

„Nein“, erklärt Mom. „Noch nicht. Wie gesagt: Ich wollte abwarten. Wenn wir feststellen, dass wir gar keinen Kontakt zu …“ Sie schluckt hörbar. „… zu Ricks Familie wollen … dann sehe ich keinen Grund, ihr überhaupt etwas davon zu erzählen. Bringt nur Stress. Und Vorwürfe.“

Ich sage gar nichts darauf. Mom hat recht. Meine Großmutter ist schwierig, und das ist auch ein Grund, warum ich dem Treffen mit meiner neuen Großmutter mit gemischten Gefühlen entgegensehe. Obwohl: Uma ist schließlich auch eine Großmutter, und sie ist die Allerbeste.

Die entschlossene Linie um Moms Mund hat sich wieder etwas entspannt, aber sie scheint tief in Gedanken. Deshalb erschrecke ich beinahe, als sie plötzlich fragt: „Bist du aufgeregt?“

„Ja“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Und du?“

Sie zögert. „Angespannt“, meint sie schließlich.

Ich beginne, meine CD-Sammlung nach der richtigen Untermalung für diesen historischen Trip zu durchsuchen. Kurz darauf ertönen die ersten Takte von Follow your arrow von Kacey Musgraves, und Mom meint: „Komisch, der Unterschied zwischen einer Autofahrt und einem Roadtrip liegt manchmal nur in der Musik.“

„Und der Unterschied zwischen aufgeregt und angespannt?“, gebe ich zurück.

Mom lacht. „Im Alter.“

„Das muss es sein!“

Viereinhalb Roadtrip-CDs später kurven Mom und ich durch flaches, offenes Land: Felder, Wiesen, Windräder, ein Bach, ab und zu ein Dorf mit kleiner Kirche. Der Himmel ist blau, die Luft mild, und es ist schwer zu glauben, dass wir nur eine halbe Stunde Fahrzeit von einer Großstadt entfernt sind. Die wenigen Male, die wir meine Nonna in der Stadt besucht haben, habe ich nie etwas vom Umland gesehen, und ehrlich gesagt hat es mich auch nicht interessiert. Ich war froh, wenn es wieder zurück ins Grillental ging, denn schöner als dort konnte es sowieso nirgends sein. „Stadt“, das hieß für mich: Enge, Schmutz, zu viele Menschen.

Aber hier könnte ich es aushalten.

„Da!“, rufe ich, als ich den Wegweiser sehe. „Nussbach, drei Kilometer!“

Nussbach ist ein winziger Ort, und ich gehe jede Wette ein, dass es mehr vierbeinige als zweibeinige Einwohner gibt: die Pferde des Reitclubs Nussbach. Meine Mutter parkt das Auto, und wir steigen aus.

Ich atme einmal tief durch und merke, wie die Anspannung nachlässt. Nichts auf der Welt strahlt so viel Ruhe aus wie friedlich grasende Pferde.

Mom und ich sind etwa eine halbe Stunde zu früh dran. Ich hole mein Handy hervor und sehe, dass gerade eine Nachricht von Iris gekommen ist: Ihre Leseprobe wurde verschoben, sie kann nicht kommen. Gitti und ich werden also unter uns sein.

Einen Moment lang bin ich ärgerlich. Aber nur so lange, bis mir einfällt, dass Iris eben so ist. Bei ihr muss man ständig auf Überraschungen gefasst sein, das gehört dazu. Und ich wollte doch, dass sich zwischen uns nichts verändert, richtig?

No problem, schreibe ich also zurück. Bis später dann J!

„Alles okay?“, fragt meine Mutter.

„Iris’ Probe wurde verschoben“, antworte ich. „Aber das macht nichts. Dann können Gitti und ich einander ganz in Ruhe beschnüffeln.“

Sie sieht mich an mit diesem Blick, den sie so oft draufhat, seit die Sache mit meinem Vater ans Tageslicht gekommen ist. So ein Ich-hoffe-mein-Kind-nimmt-keinen-irreparablen-Schaden-Blick. „Bist du sicher?“

„Ich bin völlig sicher!“, antworte ich mit etwas mehr Zuversicht, als ich tatsächlich empfinde.

„Gittis Mutter holt uns dann ab. Mach dir keine Sorgen.“ Gittis Mutter. Meine Tante.

„Ich weiß nicht“, meint sie zögernd. „Ich kann noch bleiben und –“

„Mom! Bitte fahr, dann hast du noch Zeit, dich etwas frischzumachen vor dem Treffen mit … mit …“ … deiner Beinahe-Schwiegermutter? … meiner neuen Oma? „… mit Frau Hainbach.“ Sie schaut immer noch zweifelnd. „Hier sind jede Menge Pferde, also kann mir nichts passieren“, füge ich mit einem kleinen Grinsen hinzu.

„Da hast du wahrscheinlich recht“, antwortet sie und lächelt zurück. „Dann wünsch ich dir einen schönen Nachmittag, mein Schatz. Wir sehen uns später bei den Reinhardts.“ Iris’ Eltern haben uns heute zum Abendessen eingeladen, und morgen Abend sind wir bei Gittis Oma. Unserer Oma. Mom umarmt mich schnell und setzt sich wieder hinters Steuer. „Schön sieht es hier aus“, meint sie. „Ihr beide habt bestimmt Spaß.“

„Bestimmt.“

Als Mom gefahren ist, fühle ich mich dann doch ein bisschen wie ein gestrandeter Seefahrer auf einer schönen, aber exotischen Insel. Hier sind zwar Pferde, aber es sind nicht meine Pferde. Hier ist mir nicht jeder Schritt und jeder Handgriff vertraut, und niemand hier weiß, wer ich bin. Es ist, anders als bei uns im Grillental heute Morgen, windstill und angenehm warm. Wunderschönes Reitwetter.

Am besten fange ich damit an, das einzige Pferd zu suchen, das ich kenne: Ginger. Ich habe Karottenchips in der Tasche, die liebt sie. Ob sie mich gleich erkennt?

Ich gehe den Koppelzaun entlang, der die Weide von der Landstraße abgrenzt. Hier vorne stehen – schnell durchgezählt – neunzehn Pferde, alles Wallache, also gibt es wohl eine separate Stutenherde. Richtig, ein Stück den Hang hinauf, von den Wallachen durch einen Elektrozaun getrennt, finde ich die Stuten, sechzehn Stück. Mein Herz hüpft richtig, als ich die süße Ginger mit ihrer Stehmähne entdecke. Ihr Fell schimmert in der Sonne in einem Roségoldton.

Ich hab die Fjordstute immer versorgt, wenn Iris mal krank oder mit ihren Eltern im Urlaub war. Mit klopfendem Herzen schlüpfe ich unter dem Zaun durch und gehe ein paar Schritte auf die Stute zu. Sie hat mir das Hinterteil zugewandt und grast selbstvergessen.

„Ginger!“, rufe ich.

Die Stute hört auf zu kauen, hebt den Kopf und steht bewegungslos. Offenbar ist sie nicht ganz sicher, ob sie ihren Ohren trauen kann.

„Ginger!“, rufe ich noch einmal. „Komm her, du kleine Verrückte!“

Ginger wendet den Kopf, dreht sich langsam um, starrt mir entgegen.

„Ginger!“, rufe ich noch ein drittes Mal. „Ich bin’s!“

Und dann ist sie sicher. Sie wiehert, und es klingt, als wollte sie sagen: Na, das hat ja lange gedauert! Beschwingt trabt sie auf mich zu und begrüßt mich wie immer, indem sie mit der Nase alle meine Taschen absucht, bis sie die Karottenchips gefunden hat. Ich bin so gerührt, dass ich ihr alle auf einmal verfüttere, möglichst unauffällig, damit die anderen Stuten nichts mitkriegen, denn ich will auf einer fremden Koppel keinen Zickenkrieg auslösen.

„Da hat dich wohl jemand vermisst!“, höre ich eine Stimme hinter mir.

2. Zusammen passen

Ich hole tief Luft und drehe mich um. Da steht Gitti und beobachtet uns, mit den Armen gemütlich auf die oberste Zaunlatte gestützt.

„Hey, Gitti!“, begrüße ich sie, lasse Ginger noch einmal meine Hand abschlabbern und gehe dann auf meine Cousine zu. Sie trägt dreckige Jodhpur-Reithosen, abgetragene Stallschuhe und ein rotes Top. Ihre Haare sind nicht mehr so superkurz, wie ich sie in Erinnerung hatte, ein paar Fransen fallen ihr in die Stirn.

„Hey, Rosa!“, antwortet sie.

„Hey“, wiederhole ich, als ich bei Gitti angekommen bin.

Sie lächelt, aber ihr Blick ist etwas zurückhaltend – oder vorsichtig. Da ist eindeutig eine Ähnlichkeit zwischen uns, aber genauso, wie mir bei unserem ersten Video-Call die Gemeinsamkeiten ins Auge gesprungen sind, bemerke ich jetzt schlagartig die Unterschiede: Sie ist etwas kleiner als ich und zierlicher. Ihre Augen haben eine ähnlich undefinierbare Farbe wie meine, sind aber dunkler, ebenso ihr Teint. Und sie hat eine kurze Stupsnase – meine ist länger und ganz gerade.

Ginger ist mir gefolgt und schiebt von hinten ihren Kopf über meine Schulter. Ich kitzle sie mit den Fingern an den Nüstern, bis sie die Lippen wölbt und empört schnaubt – ein altes Spiel zwischen uns.

„Ich hoffe, es ist okay, dass ich auf die Koppel gegangen bin?“

„Die Koppelpolizei wird ausnahmsweise nicht einschreiten“, meint Gitti und grinst.

„Da bin ich ja beruhigt. So eine Vorstrafe kann einem voll die Karriere versauen, hab ich gehört.“

„Und welche Karriere wäre das in deinem Fall?“

Ich zucke mit den Schultern. „Mit vier wollte ich Bäuerin werden und mit sieben Zirkusreiterin. Derzeit gibt es keine konkreten Pläne.“

Gitti lacht. „Ich wollte eine Zeit lang Cowgirl in Australien werden.“

Ich nicke verständnisvoll. „Der McLeod’s-Effekt?“ An McLeod’s Daughters kommt kaum ein Pferdemädchen vorbei, nur Ollie kannte die Serie nicht – eine Bildungslücke, an deren Reparatur Daisy und ich gerade arbeiten.

„Ganz genau.“ Ich habe das Gefühl, dass die Zurückhaltung in Gittis Blick sich langsam auflöst. Und plötzlich weiß ich, warum sie überhaupt da war und dass mein Gesichtsausdruck vermutlich das genaue Spiegelbild von ihrem ist. Die Ähnlichkeit geht wohl über Äußerlichkeiten hinaus.

„Sieh dir das an!“, sage ich zu Gitti und hebe meine Hand vor ihre Augen. Sie zittert. „Bist du auch so gottverdammt nervös?“

„Und wie!“ Sie lacht laut auf, und ich höre Erleichterung in ihrer Stimme. „Ich habe schon seit drei Tagen Albträume deinetwegen.“

„Wie schmeichelhaft“, gebe ich zurück und muss auch lachen. „Aber ich schätze, als achtbeiniges, feuerspeiendes Cousinenmonster muss man damit rechnen.“

„Ich bin froh, dass du Verständnis hast“, gibt Gitti zurück und grinst breit.

„Iris kommt nicht“, sage ich.

„Ich weiß es schon“, antwortet sie. „Iris, die Königin der geänderten Pläne. Aber wir reiten doch trotzdem zusammen aus?“

Ich strahle in diesem Moment vermutlich über das gesamte Gesicht. „Ich dachte schon, du fragst nie!“, antworte ich.

Wieder lacht Gitti laut auf, und die Reserviertheit ist völlig aus ihren Augen verschwunden. „Bist du schon mal ein Islandpferd geritten?“, fragt sie.

„Noch nie“, antworte ich. „Steht aber auf meiner Liste.“

„Das trifft sich ja“, meint Gitti. „Soviel ich weiß, bist du eine Spitzen-Reiterin, und wie’s der Zufall will, habe ich ein Spitzen-Pferd für dich.“

„Wow, echt? Spitzen-Reiterin – na ja. Ich habe wie gesagt null Erfahrung mit Isis!“

„Der Sitz ist anders, aber das hab ich dir in zwei Minuten erklärt. Ich dachte, wir gehen vorher kurz aufs Viereck.“

„Okay!“, sage ich erleichtert. Mit einem fremden Pferd gleich ins Gelände zu gehen, ohne es erst mal ein bisschen kennenzulernen, würde ich niemandem empfehlen, und ich bin froh, dass Gitti das auch so sieht.

Ich verabschiede mich von Ginger und schwinge mich unter dem Zaun durch zu Gitti. „Von wem leihe ich das Pferd denn?“, frage ich, während ich ihr zum Isländer-Offenstall folge.

„Na, von mir!“

„Oh. Und welches Pferd reitest du dann?“

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